OPERNFREUND-Interview mit dem Intendanten der Oper Frankfurt Bernd Loebe
Teil 4: „Diese sogenannte Betriebserlaubnis ist eine Fata Morgana“
Der Blick in die Zukunft: Sanierung oder Neubau der Theateranlage?
800 Millionen. Diese Zahl hat wie ein Blitz in die Frankfurter Kommunalpolitik eingeschlagen. Sie ist das Ergebnis einer Studie über den Sanierungsbedarf an der Theaterdoppelanlage der Städtischen Bühnen Frankfurt, welche Schauspiel und Oper beherbergt. 800 Millionen Euro – ganz gleich, ob man saniert oder abreißt und neu baut. Seit Vorstellung der Studie ist eine wilde Diskussion um Kostendämpfung und Standorte entbrannt.
OF: Das Thema, das allen auf den Nägeln brennt, ist die Studie zu Sanierung oder Neubau der Theater-Doppelanlage. Die dafür errechneten Kosten haben die Politik alarmiert. Die FAZ hat Ihnen vorgeworfen, daß Sie dazu bislang und insbesondere bei der Präsentation der Machbarkeitsstudie auffällig geschwiegen haben.
Loebe: Ich halte mich derzeit bewußt zurück. Es ist wichtig, zur richtigen Zeit am richtigen Ort das Nötige zu sagen. Ich lasse mich da nicht von der Presse treiben, um hochemotionale Dinge loszulassen. Wichtig ist ein sehr guter Kontakt zur Kulturdezernentin, mit der ich mich ständig über die Themen austausche. Sicherlich wird es auch weiteren Gesprächsbedarf geben. Ich gehe davon aus, daß die anstehende Oberbürgermeisterwahl im März von alleine dafür sorgen wird, daß das Thema erst einmal wieder in der Versenkung verschwindet, weil man ja mit Dingen der Kultur nicht unbedingt Stimmen gewinnt oder das zumindest glaubt. Dagegen bin ich überzeugt, daß man auf jeden Fall Stimmen verlieren kann, wenn man sich nicht eindeutig für uns positioniert, denn es kommen ja Menschen in unsere Vorstellungen, die das Wahlrecht besitzen und ein politisches Bewußtsein haben. Trotzdem gehe ich davon aus, daß das Thema im Stillen weiterbehandelt wird und daß man nach der Wahl konkreter werden wird.
OF: Verliert man dadurch nicht wertvolle Zeit? Die aktuelle Betriebserlaubnis umfaßt noch fünf Jahre. Dann, so ist es dargestellt worden, ist ein Weiterbetrieb nicht mehr möglich. Wenn die derzeit von vielen favorisierte Lösung, nämlich Abriß und Neubau, umgesetzt werden soll mit Planungen, wohl einem Wettbewerb, Ausschreibungen etc., dann sind fünf Jahre schon ziemlich knapp.
Loebe: Diese sogenannte Betriebserlaubnis ist eine Fata Morgana. Es stimmt, wir gehen derzeit davon aus, daß wir bis zur Spielzeit 2021/22 mit dem vorhandenen Bestand planen können. Es gibt sogar Fachleute, die einen noch längeren Weiterbetrieb für möglich halten. Es ist auch besser, lieber länger um eine gute Lösung zu feilschen und zu kämpfen, als überstürzt jetzt irgendetwas zu beschließen. Man nimmt ja sehr viel Geld in die Hand. Dann soll das schon sitzen. Es muß ja dann auch ein Gebäude sein, das jahrzehntelang Bestand hat.
Mir wäre es wichtiger, daß wir über künstlerische Erfolge sprechen. Leider kommen viele von denen, die sich politisch zu Wort melden, selten in unsere Vorstellungen. Mir wäre lieber, man wüßte, worüber man redet.
OF: Zumindest im Baustadtrat und neu gewählten CDU-Vorsitzenden haben Sie einen eifrigen Operngänger. Den sieht man sehr oft in Premieren. Er hat sich ja in einer Weise geäußert, die Ihnen sicher in der Richtung nicht gefällt, indem er die Möglichkeit eines Neubaus an anderem Ort ins Spiel gebracht hat. Diese Lösung hätte den Vorzug, daß man das Interim möglichst kurz macht, denn man kann parallel zur Neubauphase das alte Gebäude weiter bespielen. Der Baudezernent hat ja auch der Kulturdezernentin widersprochen, als sie den Begriff „Low budget“ für einen möglichen Neubau eingeführt hat. Er hat sehr deutlich gemacht, daß er eine Billiglösung für falsch hielte.
Loebe: Vieles ist da auch der Tagespolitik geschuldet. Momentan ist die ganze Situation sehr emotional. Die Fronten verlaufen unübersichtlich. Selbst in den einzelnen Parteien gibt es ganz unterschiedliche Stimmen. Es gibt nicht die eine Meinung der CDU oder die eine Meinung der SPD. Überraschender und erfreulicher Weise reden immerhin die Grünen mit einer Stimme. Auch die Oberbürgermeister-Kandidatin der Grünen hat erklärt, man befürworte Investitionen in ein Haus erster Klasse, und wenn man 800 Millionen durch 70 Jahre teile, dann wirke die Summe auch nicht mehr so extrem – das freut mich natürlich.
OF: War es ein geschicktes Vorgehen, sämtliche auch nur denkbaren Kosten, einschließlich der Kosten zur Errichtung oder Ertüchtigung von Interimsspielstätten, einschließlich erwartbarer Kostensteigerungen etc. zusammenzuaddieren und so eine Riesensumme für zwei Theater in einer Doppelanlage zu erhalten, die alle erschrecken muß? Hätte man das nicht besser in kleinere Päckchen packen sollen, um den Schockeffekt nicht so groß werden zu lassen?
Loebe: Nein, so etwas hätte uns in der Debatte wieder eingeholt. Nach den Erfahrungen von Berlin, Hamburg und Köln erwartet die Öffentlichkeit, daß es in Frankfurt besser und seriöser gemacht wird.
OF: Zum Abschluß möchte ich Sie verleiten, noch einen Blick in die Zukunft zu diesen erwähnten fünf Jahren zu werfen. Nehmen wir an, das Szenario, wie es in der Studie zu Sanierung oder Neubau der Theaterdoppelanlage entworfen wurde, entwickelt sich so: In fünf Jahren wird hier abgerissen oder mindestens entkernt. Dann muß der Spielbetrieb in einer Interimsspielstätte organisiert werden. In fünf Jahren aber läuft gleichzeitig Ihr Vertrag aus. Sie können doch dann das, was Sie hier aufgebaut haben, insbesondere das Ensemble, das zusammengehalten werden muß, nicht in einem Interim von mindestens sechs Jahren im Falle des Neubaus oder sogar von bis zu elf Jahren im Falle der Kernsanierung einfach alleine lassen. Man wird ja wohl kaum einen neuen Intendanten für eine Zwischenlösung von ungewisser Dauer finden.
Loebe: (lächelt verschmitzt) Haben Sie eine Ahnung! Frankfurt ist so reizvoll, so traditionsreich und auch so lukrativ, daß man sich da keine Sorgen machen muß. Ich war zuletzt als eine Art Headhunter im Auftrag der Landesregierung für die neu zu findende Leitung der Oper Stuttgart tätig. Die steht ja auch vor einer umfangreichen Sanierung. Wenn man sieht, wer sich da alles beworben hat, muß einem um meine Nachfolge nicht bange sein. Es saßen hier in meinem Büro übrigens schon zwei namhafte Kollegen, die ihr Interesse für Frankfurt angemeldet haben.
OF: Wohlwissend, daß man das zunächst in Bretterbuden, Zelten und Messehallen organisieren muß?
Loebe: (lacht) Wir wollen das mal nicht zu weit treiben. Ich fühle mich bei dieser Stadt und besonders bei den Mitarbeitern für die nächsten Jahre in der Pflicht. Ich habe einen guten Draht zur Kulturdezernentin. Die Tendenz der politisch Verantwortlichen geht ganz klar in Richtung Abriß und Neubau. Die Zahlen sprechen gegen eine Sanierung im laufenden Betrieb, was mir ursprünglich lieber gewesen wäre. Leider wird die in der Studie vorgeschlagene Errichtung eines Hochhauses, das man für eine Spielstätte, für Probebühnen und Kulissenlager hätte nutzen können, von den Verantwortlichen der Stadt überwiegend abgelehnt. Offensichtlich ist man der Meinung, daß im Ensemble der vielen wunderschönen Hochhäuser Frankfurts ein weiteres Hochhaus für die Oper querstehen würde. Ich kann das nicht ganz verstehen, muß es aber hinnehmen.
Mein Wunsch als Alt-Frankfurter ist es, daß es bei einer Doppelanlage von Oper und Schauspiel bleibt. Opern- und Schauspielpublikum haben sich in den vergangenen Jahren durchmischt. Wir haben keine zwei Sparten, die sich feindlich gegenüberstehen, sondern gegenseitig befruchten. Ich hatte und habe zu den jeweiligen Schauspiel-Intendanten immer ein freundschaftliches Verhältnis aufbauen können. Nicht zuletzt sprechen Synergieeffekte für die Beibehaltung des Konzepts der Doppelanlage.
Bei der Auswahl der für die Neubauphase nötigen Ausweichquartiere werde ich mich mit voller Kraft einbringen. Es sollten nicht mehr als drei sein. Wir haben bereits konkrete Ideen, die wir prüfen. Ich glaube, daß es uns gelingen kann, das Publikum auch in der langen Zwischenphase bei der Stange zu halten und einen spannenden Spielplan zu gestalten, der die Vielfalt der Oper in besonderer Weise an verschiedenen Orten zeigen kann. Davor muß uns also nicht bange sein.
OF: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch!
Einen Überblick über das gesamte Interview mit Verweisen auf die übrigen Teile gibt es hier.