OLGA PERETYATKO
Ich könnte schon die „Troubadour“-Leonore singen!
31.01.2019
Olga Peretyatko, die russische Starsopranistin, ist die neue Lucia di Lammermoor der Wiener Staatsoper. Bei dem „Opfer Lucia“, das die Regie ihr in Wien abverlangt, muss sie ihren feministischen Geist unterdrücken… Mit einer Stimme, die – wie sie sagt – in den letzten Jahren „drei mal so groß“ geworden ist, deckt sie mittlerweile ein breites Repertoire ab und wird in Wien demnächst auch als Donna Anna zu hören sein
Frau Peretyatko, die Lucia di Lammermoor ist in Ihrem Repertoire ziemlich präsent: Sie kommen eben von einer Serie aus der Metropolitan Opera zurück, wo es für Sie und Partner Vittorio Grigolo glänzende Kritiken gab?
Ja, das war eine schöne, normale, konventionelle Aufführung. Die Lucia begleitet mich schon seit 2011, als ich sie zum ersten Mal in Palermo gesungen habe. Dann an der Deutschen Oper in Berlin – da hatte ich gerade einmal eineinhalb Tage zur Vorbereitung. Dann gab es eine neue, sehr schöne Produktion in Tokio, danach die Met, und hier in Wien ist es meine fünfte Lucia…
Und „ganz anders“, wie man hört.
Ja, wenn man sie schon mehrfach auf dieselbe Art und Weise gesungen hat, dann ist es gar nicht so leicht, auf die neue Fassung von Maestro Evelino Pido umzulernen. Er besteht da punktgenau auf die Originalpartitur, das heißt auch, dass ich die Kadenz der Wahnsinnsarie ohne Begleitinstrument singe.
Muss man nicht bei jeder neuen Produktion eines Werks „umlernen“, ja auch, je nach Regie, ein anderer Mensch in derselben Rolle sein?
Diesmal schon, weil die Regie so strikt ist, dass man nie ausbrechen kann. Ich habe in meine Rollen immer ein bisschen Olga mitgebracht, ihren feministischen Geist, ein wenig Widerstand, selbst in scheinbar so passive Figuren wie Gilda oder auch Lucia. Hier ist sie sehr, sehr jung – ich hätte über einen Fluß springen sollen, um zu zeigen, wie mädchenhaft sie noch ist. Das hat mir nicht eingeleuchtet, ich denke, das hätte komisch gewirkt, und ich frage dann schon beim Regisseur nach – ich stelle immer Fragen, auch auf die Gefahr hin, dass ich alle nerve. Aber man muss nicht alles machen, was gesagt wird, man kann auch einen Konsens finden. Diese Inszenierung ist ja auch kein Blödsinn, man muss akzeptieren, was der Regisseur sich denkt – dass Lucia ein ganz einsames Wesen ist, naiv und verblendet, nicht sieht, dass Edgardo sie nicht liebt, ohnedies von Anfang an ein bisschen verrückt… Wenn sie allerdings nie aus sich herausgehen darf, dann ballt sich die ganze Energie in ihrem Inneren, und die Intensität wird stärker. Ich arbeite sehr friedlich mit Laurent Pelly, ich weiß nur, dass es für mich eine ziemliche Herausforderung ist, so gar nichts von meiner eigenen Persönlichkeit einbringen zu können.
Ist die Lucia di Lammermoor eigentlich noch Ihr „Fach“?
Ich hasse das Wort „Fach“, ich weiß nicht, was es bedeuten soll. Ich bin Sopranistin, ich möchte ein breites Spektrum abdecken. Auch wenn meine Stimme heute dreimal so groß ist wie früher, möchte ich doch so lange wie möglich „leichte“ Rollen singen, auch wenn ich anderes könnte. Eine meiner Lehrerinnen – die wichtigste – ist Mariella Devia, die den Vorteil hat, dass sie selbst auf der Bühne stand und auch noch steht und die Sängerinnen-Probleme genau aus eigener Anschauung kennt. Sie hat mir gesagt, ich könnte mit meiner Stimme schon eine „Troubadour“-Leonore singen, ich hätte die Mittellage, die sie nie hatte – so hat sie es jedenfalls ausgedrückt.
Tatsächlich singen Sie Donizetti und Mozart, um dessentwillen, wie man immer wieder liest, Sie einst von St. Petersburg nach Deutschland gekommen sind?
Ja, wenn man denkt, ich wollte vor allem Mozart, Bach und Händel lernen, und wie viel Rossini es dann geworden ist, viele Jahre in Pesaro, bisher elf Rollen, und nächstes Jahr kommt noch die Mathilde in „Guillaume Tell“ dazu. Aber ich habe viel Mozart gesungen, die Konstanze, lange Jahre die Susanne: Das war dann gar nicht so leicht, auf die Gräfin umzusteigen, weil die beiden ja so viel gemeinsam singen und man die andere Rolle im Kopf hat. Die Donna Anna werde ich jetzt im März in Wien singen, und diese Rolle war eine Überraschung, als ich sie erstmals vor zwei Jahren in Berlin gemacht habe. Ich bin Partien gewohnt, wo man furchtbar viel singen muss – die Donna Anna kommt mit Don Giovanni, Pause für sie, Arie, Terzett, wieder Pause, Arie… Ehrlich, das war das leichteste Debut meines Lebens, auch wenn es immer wieder heißt, wie schwer diese Rolle ist. Ich will weiterhin Mozart singen, die Elettra im „Idomeneo“ kommt 2020 in Berlin, über die Vitellia denke ich noch nach.
Sie haben an der Seite von Juan Diego Florez die drei Frauenrollen in „Hoffmanns Erzählungen“ in Monte Carlo gesungen, da „stretcht“ man die Stimme doch sehr zwischen Koloratursopran, lyrischem Sopran und Mezzo?
Es sind vier Rollen, denn die Stella singt auch ein bisschen, und ursprünglich waren die Partien nicht so extrem verschieden, weil Offenbach sie für eine Sängerin geschrieben hat. Für mich war die schauspielerische Herausforderung größer als die gesangliche. Außerdem ist es das wahre Problem bei „Hoffmanns Erzählungen“, dass es keine Letztfassung gibt, jedes Theater also etwas anderes spielt. Als ich „Hoffmann“ in Baden Baden wieder gesungen habe, waren Charles Castronovo und ich ganz verzweifelt, weil nichts so war, wie wir es kannten, und außerdem waren wir mit erstaunlich viel neuer Musik konfrontiert!
Sie singen ein buntes Repertoire, nächstens die Anna Bolena, neuerdings auch die Leila in den „Perlenfischern“, aber für eine Russin so gut wie keine russische Partien – außer der „Zarenbraut“ 2013 in Berlin oder daheim in St. Petersburg.
Ja, und das ist schade, ich bin schließlich Russin, auch wenn ich schon lange weg von zuhause lebe, und das bleibt man auch. Und es gibt solche Perlen des russischen Repertoires – eben die „Zarenbraut“, die kennt daheim jeder, hier niemand, oder die Werke von Glinka, „Russlands Rossini“, und vieles mehr. Das ist meine Sprache, meine Musik, und um das ein wenig zu vermitteln, habe ich die „Russian Light“-CD zusammen gestellt, mit der ich dann auch viel konzertant gereist bin. Da möchte ich die Schönheit dieser russischen Musik vermitteln.
Wie geht es weiter?
„Fach Sopran“ – nach der Leila, einer großen französischen Rolle, denke ich an die Manon von Massenet. Und die Rossini-Mathilde ist ja auch eine „französische“ Rolle. Etwa zwei neue Partien kommen pro Jahr dazu. Im Herbst debutiere ich als Norina in „Don Pasquale“. Ich lerne relativ leicht, da kommt mir meine ursprüngliche Ausbildung zur Chordirigentin sehr zugute. Und ich beobachte die Stärken und Schwächen meiner Stimme, und danach arbeite und lebe ich.
Eine letzte Frage: Eine zeitlang standen Sie immer als „Olga Peretyatko-Mariotti“ auf den Theaterzetteln. Das ist jetzt verschwunden…?
Ich habe mich voriges Jahr scheiden lassen. Es ging aus vielen Gründen nicht mehr gut, und jetzt fühle ich mich viel besser. Jeder weiß, wie sehr das Privatleben das Berufsleben beeinflusst, wie sehr es sich spiegelt, wenn es einem schlecht geht. Vielleicht müssen wir leiden? Jetzt lebe ich jedenfalls allein in Luzern, und seit Monaten bin ich wieder verliebt. In einen russischen Landsmann. Und bin glücklich!
Liebe Frau Peretyatko, dann wünschen wir Ihnen nicht nur einen großen Lucia-Erfolg, sondern auch alles private Glück der Welt! Besten Dank für das Gespräch.
Mit Olga Peretyatko sprach Renate Wagner / 8.2.2019
Foto Wiener Staatsoper / © Daniil Rabovsky