DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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PRAG Ständetheater

(c) Wikipedia

 

 

DON GIOVANNI

Premiere: 9.6. 2012

Besuchte Aufführung: 17.4. 2019 (151. Aufführung set der Premiere)

Rouge et noir: Roter Schlüpfer, schwarze Rosen - ein interessanter Don Giovanni an der Moldau

Natürlich ist es etwas sehr Besonderes, den Don Giovanni im Haus der Uraufführung anzuschauen, auch wenn das Gebäude im Inneren und Äußeren während des 19. Jahrhunders wesentlich erhöht und im Stil der Neorenaissance umgestaltet wurde. Das einstige Gräflich Nostizsche Theater hat im Lauf der Jahrhunderte und Epochenumwälzungen nicht nur seinen Namen verändert. Heute darf das Ständetheater wieder Ständetheater bzw. Stavovské divadlo heißen. Wer wissen will, wie es dort im Jahre 1787 zuging, mag sich den genialen Film Amadeus anschauen, in dem der Held am Pult steht, um in genau diesem Haus die Aufführungen der Entführung, des Figaro und des Don Giovanni zu leiten.

Als das Ständetheater im Jahr von Mozarts 200. Todestag wiedereröffnet wurde, tat man es, wen wundert's, mit Mozarts Prager Oper, der 1791 mit der Clemenza di Tito ein bedeutendes Nachspiel folgte. Die noch laufende Inszenierung wurde bereits über 150mal gebracht und steht seit 2012 auf dem Spielplan, womit die Intendanz nicht nur ein Touristenpublikum, sondern auch eine Klientel anspricht, die sich für Interpretationen interessiert. Die wichtigste Don-Giovanni-Frage, zu der jeder Regisseur Stellung beziehen muss, will er sich nicht dem Verdacht aussetzen, das Werk nicht „hinterfragt“ zu haben, ist immer noch die nach dem Hintergrund der ersten Szene. E. T. A. Hoffmann hat sie in einer genialisch-subjektiven Deutung zum ersten Mal ausgebreitet, Walter Felsenstein (dessen Inszenierung, wie sie der Film festhielt, heute mehr wie ein Overacting wirkt) hat sie so ausgedrückt: „Was geschah in Donna Annas Zimmer zwischen ihr und Don Giovanni?“ Felsenstein, und mit ihm einige Deuter, die sich weder um die Aussagen des Textes noch um die Musik scherten, behaupteten, dass Donna Anna vom nächtlichen Eindringling, dem sehnsüchtig nach Liebe verlangenden und die ideale Frau suchenden Don Giovanni, seelisch überwältigt worden sei. Im Sinne der Mozartzeit war der Mann, der die Frau (vielleicht…) zu vergewaltigen versuchte, ein „dissoluto“, ein „Bösewicht“ und „Wüstling“, dem die Begegnung mit der sich wehrenden Frau und die Tötung des Vaters zum Fatum wird, weil ihm von nun an alle Pläne fehlschlagen und ihm der Tod, konsequenterweise, am Ende in Gestalt des toten Vaters die eiskalte Hand reicht. Sein Höllensturz: der Lohn für ein liebeloses, amoralisches, ja unchristliches und unhöfisches Leben. Erst in der Romantik und der auf Psychoanalyse versessenen Moderne hat man, so scheint es, aus dem Schurken und geheimen Außenseiter einen Helden der Sehnsucht gemacht – und aus Donna Anna eine Frau, die lügt, als sie im berühmten Rezitativ Nr. 10 ihrem Verlobten die Identität des Nachtmannes verrät, aber nicht bekennt, dass sie von ihm, der so ganz anders agiert als der noble, zurückhaltende, vernünftige und aufgeklärte Verlobte, im tiefsten Sinne berührt wurde.

Die Kernfrage also. Das Programmheft hält sich hier vornehm zurück, die Inszenierung aber geht delikat mit diesem Punkt um. Donna Anna klammert sich – so steht's ja auch im Libretto – an Don Giovanni, aber in Prag umfasst sie nicht die Arme, sondern seine Beine: wie eine Frau, die ihren Geliebten nicht loszulassen vermag und ihn halten will. Als Don Ottavio im zweiten Akt, Martin Šrejma macht das schon gut, seine Arie „Il mio tesoro intanto“ singt, sehen wir hinten den Don, wie er Donna Anna, die sich nicht sträubt (sie hebt lustvoll ein Beinchen), ohne Widerstand umfängt. Ist es ein Wahntraum des Verlobten? Ist es ein Wunschtraum Donna Annas? Und wenn schließlich Donna Anna den Don Ottavio beruhigen will und den seltsamen, in die Vergangenheit weisenden Satz „Du weißt, wie ich Dich liebte“ singt, schaut sie, zumindest zwischendurch, auf Don Giovanni, der, bereits von der Lebensmüdigkeit gezeichnet, vorn links im Halbdunkel des Bühnenrandes sitzt, während sich hinten Don Ottavio eine Flasche Marzemino – oder ist es tschechischer Schnaps? – in die Gurgel gießt.

Auch so kann man die zentrale Figur der Donna Anna interpretieren, ohne in jene Eindeutigkeiten zu verfallen, die Musik und Text negieren – und zugleich provozieren. Jana Šrejma Kačírková singt eine elegante und leidende, in den Höhen makellose und in der Mitte stimmschöne Anna, sie konterkariert damit deutlich die fast austauschbare Optik dieser Figur.

Denn Donna Anna ist hier, schaut man nur auf die Kostüme der Linda Boráros, nichts Anderes als eine Variante jenes Frauentyps, den dieser Don Giovanni so schätzt. Puppen mit kurzen Röcken und langen, wilden Haaren sind sie alle: zuerst die plebejische Zerlina, die, durchaus nicht gegen die Anlage und die Möglichkeiten dieser Figur und ihrer erotischen Interessen, schon schnell ihren blutroten Schlüpfer auszieht, denn bereit sein ist ja bekanntlich alles, und der Ehemann, gesungen von Pavel Švingr, ist ja eher ein grober Klotz. Lenka Máčiková singt sie, gesegnet mit einer wunderbar weichen Höhe, übrigens ganz hervorragend. Dann die noble Donna Anna, zum Dritten die kräftigere Donna Elvira, die von Veronika Hajnová wenig ansprechend, da zu ensemblestörend und schrill in der Höhe, gesungen wird – und die Kammerzofe der Elvira, die in dieser Inszenierung mehr ist als eine Erwähnung im Libretto. Sie tritt zusammen mit ihrer Donna auf, turtelt mit Leporello und lässt sich, bevor Don Giovanni sein Ständchen für sie singt, bereits mit ihm ein. Im Grunde sind Don Giovannis Frauen keine Frauen, sondern unreife Dinger: als suchte er nicht einmal im Sexuellen ein Äquivalent zu seiner entwickelten Männlichkeit. NB: Der Sänger der Uraufführung war, just in diesem Haus, nur 22 Jahre alt – und ein hervorragender Sänger. Von hier aus muss man den Don interpretieren, der kein alternder Lebemann, sondern ein skrupelloser Jüngling ist – 3000 Frauen hin oder her. Jiří Hájek singt einen herb baritonalen, schauspielerisch agilen, in der Verzweiflung des zweiten Akts äußerst überzeugenden Don Giovanni, dem wir eher die Brutalität als den Charme abnehmen – aber gewiss: beim Ständchen muss er sich ja auch nicht mehr, wir haben es gesehen, sonderlich anstrengen, um an das Objekt seiner Begierde heranzukommen. Diesem Typen nehmen wir es ab, dass er nichts Anderes zu sich nimmt als Wein und schwarze Rosen. Ein starkes Bild: Wie da immer wieder in Windeseile schwarze Rosen aus dem Boden wachsen, die er massenweise zu brauchen scheint. Es sind jene Kunstblumen eines lebenslangen und angekündigten Todes, die die erregte Donna Elvira im Gepäck hat, weil der Mann auch sie damit überschüttet hat. Schwarze Rosen, die wie Dartpfeile im Boden oder in der Wand hängenbleiben, sie werden im Finale des 1. Akts neben einigen Weinflaschen auf der Festtafel kredenzt. Vorher hat Leporello während der „Champagner-Arie“ - in der es nicht um Champagner geht, und die auch keine Arie ist – den Sekt im Zuschauerraum geöffnet: ein getreuer Diener und Handlanger seines Herren, dem es nichts auszumachen scheint, gewisse Mittel der Gewalt anzuwenden; wenn Don Giovanni Donna Anna überfällt, wird erst einmal der Verlobte chloroformiert und in der schwankenden Vertikalen festgehalten. Vermutlich steht in seinem Vertrag auch der Passus: „Reinigung des telefonzellengroßen Glaskastens, in dem der Herr regelmäßig mit Püppchen kopuliert“. František Zahradníček singt diesen Leporello wie aus dem Bilderbuch: nicht sympathisch, aber trotz gelegentlichen Widerstands loyal, nicht besonders „schön“, aber charakteristisch, mit seinen herausstatzenden Haaren ein direkter Abkömmling des Wiener Hanswurst. NB 2: Die Zeitgenossen dürften Don Giovanni, der explizit als Fresser und Wüstling geschildert wird, als bösen Genossen des Kasperls aufgefasst haben, der gleichfalls gegen die Normen, auch gegen die Ess-Sitten verstößt. Martin Stern hat 2004 ein schönes Büchlein über „Don Giovanni als Hanswurstiade“ veröffentlicht – in der Prager Inszenierung weist man auf den für viele Zuschauer verschütteten Zusammenhang zwischen dem Leporello und dem Hanswurst der Volksstücke des süddeutschen Barock hin, so wie die Kostüme das 18. Jahrhundert deutlich genug zitieren.

Und der Komtur? Er ist der bleiche Engel des Todes, der sich im Lauf des Spiels immer wieder in Erinnerung ruft, denn Tote leben bekanntlich länger, gehen nach ihrem letzten Röcheln elegant ab, erschrecken manchmal den Mörder, sitzen manchmal auch auf dem Komtursstuhl, um sich Arien oder ein Ständchen anzuhören. Roman Vocel verfügt über einen profunden Bass, der das Finale mit Spannung erfüllt. Martin Kukučka und Lukáš Trpišovský, die zusammen das Regieteam SKUTR bilden, haben jedoch nicht nur dem Komtur zusätzliche Auftritte gegeben. Die Choreographin Jana Burkiewiczová lässt von der Ouvertüre an die Puppen mit jungen Männern im Frack tanzen: Don Giovannis Frauen und Abbilder seiner selbst, die in der Sterbeminute des Komturs mit sechsfachen Doppelgängern in Form einer Orgelpfeifenreihe niedersinken. Drei Tänzer begleiten Donna Annas Arie „Or sai chi l'onore“ - träumt sie schon von ihm? Der getanzte Symbolismus wird realer, wenn die Tänzerinnen und ihre Partner das Fest des ersten Akts paarweise begleiten und im zweiten Akt auf Kinostühlen Platz nehmen, denn Don Giovannis Höllenfahrt läuft ab wie ein Schauspiel. Nun tragen sie alle, Männer und Frauen und Solisten, Masken, die nicht Anderes als Puppengesichter zeigen. Spielte der erste Akt noch in einem geschlossenen Raum mit vielen Klappfenstern und -türen (Möglichkeiten also des schnellen Verschwindens), auch einer gelegentlichen – und ironischen – Silhouette eines Storchenpaar in der Höhe einer weißen oder schwarzverbrannten Öffnung, so hat sich der von Jakub Kopeckś entworfene Raum nun ins Offene verwandelt. Einige armselige Bäume, ein bisschen Schutt: Hier beginnt der totale Abstieg mit den letzten Flimmerbildern eines Stummfilms, dem Gesicht einer jungen Frau in Extase, dann dem ausbleichenden Wort „Ende“, das später zum Wort „VENDETTA“ vervollständigt wird: wobei die beiden Ts wie Kreuze und das A wie ein Kreuz aussehen. Das Ständchen MIT der willigen Zofe geht vor bewegten Reihenbildaufnahmen (von E. Muybridge?) einer springenden Frau von 1890 und dem Komtur vor sich, bevor Don Giovanni die Asche des Komturs von ihm selbst erhalten und essen wird.

Das Finale aber kommt ohne alle Hinterbliebenen aus. Plötzlich erscheint Don Giovanni als „ragazzo“, als Knabe, der Komtur nimmt ihn in eine Bruchbude von Häuschen mit, entzündet nicht mehr als ein Streichholz, und als Don Giovanni, wie von einem Herzinfarkt niedergestreckt, zusammenbricht, sinkt auch der Knabe zusammen – und Vorhang. Die Moral von der Geschicht' fällt aus, die Oper endet mit jenem radikalen Schnitt, der gelegentlich am Opus angebracht wird: man spielt also die Prager Fassung ohne Prager Finale. Schade um die letzten Takte, von denen Joachim Kaiser einst – in Zusammenhang mit Wolfgang Gönnenweins Aufnahme des Werks – sagte: „Natürlich ist dieserr Aktschluss beifallprrovoziiierrend“. Im Sinne Mozarts und seiner Zeit wie den Konventionen eines Dramma giocoso ist dieser Cut gewiss nicht, aber wir haben genug gehört und gesehen, um zumindest theoretisch zu begreifen, dass nach diesem Ende eine Versöhnung mit irgendwelchen Konventionen kaum noch möglich scheint. In diesem Sinne haben wir einen „Don Giovanni“ erlebt, der die Geschichte konsequent und symbolisch, konkret und verspielt zuende erzählt, ohne auf ein Nach-Ende zu setzen. Aber schade ums eigentliche Finale ist es doch.

Wurde die Oper auch musikalisch befriedigend gebracht? Das Orchester des Národny divadlo hat unter dem Dirigenten Jan Chalupecký einen durchhörbaren und nicht zu langsamen, dramatisch wie lyrisch schönen „Don Giovanni“ gespielt. Der Ruf der böhmischen Holzbläser ist immer noch, zurecht, sehr gut. Verwundern muss nur der seltsam laute Klang, zumal während des ersten Akts, in dem aufgrund des geschlossenen, wenn auch nach oben offenen Bühnenraums, andere akustische Verhältnisse als im etwas ausgewogeneren zweiten Akt herrschen. Worauf auch immer die abnorme Dynamik der Sänger zurückzuführen ist: über weite Strecken klang ihr Sound seltsam laut, gelegentlich sogar hässlich detonierend. Schade – denn musikalisch wäre der Abend ansonsten, von den wenigen genannten Einschränkungen abgesehen, völlig von jenem Niveau gewesen, das der Kritiker der Uraufführung in der Prager Oberpostamtszeitung Anfang November 1787 als „gute Vorstellung“ bezeichnet hat. So aber blieben immer wieder Irritationen im Ohr hängen. Der Opernfreund empfiehlt der Intendanz des schönen und bedeutenden Hauses: Beseitigen Sie bitte, wie auch immer, diese unnatürlichen Klangstörungen – den Mozart- und den Opernfreunden zuliebe, die so gern dieses aussergewöhnliche Haus besuchen. Denn taub sind vermutlich die wenigsten Zuhörer.

 

Frank Piontek, 19.4. 2019

Foto: © Hana Smejkalová/Národní divadlo Praha

(Die Fotos zeigen nicht die Sänger der besuchten Afführung)

 

 

DIE ZAUBERFLÖTE

Premiere: 5.2.2015.

Besuchte Vorstellung: 8.2.2018

Eine besonders zauberhafte Zauberflöte

Prag ist bekanntlich eine Mozartstadt, auch wenn die Villa Bertramka immer weiter verfällt, weil sich die Verantwortlichen der Stadt Prag und der tschechische Staat nicht im Geringsten für das kostbare Haus interessieren, in dem Mozart zu Gast war und am „Don Giovanni“ schrieb. Schöne „Mozartpflege“, denkt sich der Musikfreund.

Eine wirklich gute Mozartpflege kann der Opernfreund jedoch im Ständetheater erleben, wo innerhalb von drei Jahren Vladimir Moráveks Inszenierung der „Zauberflöte“ über 50mal auf dem Programm stand. Frage: Gibt es, abgesehen von Ingmar Bergmans kongenialem Film, eine „schönste“ Inszenierung der „Zauberflöte“? Natürlich nicht, aber in einem Wettbewerb um die zauberhafteste „Zauberflöte“ der Gegenwart hätte die Prager Aufführung die besten Chancen, auf Platz 1 zu gelangen. Denn hier paaren sich Poesie und Analyse, Charme und Witz, historischer Hintergrund und Verspieltheit, die Schönheit der Nacht und des Tages, das Licht und die mystische Finsternis auf eine Weise, die, glaube ich, jeden Besucher begeistert hat. Und wenn mit Jana Sibera eine Königin der Nacht ihre unglaublich perfekten Spitzentöne produziert (und dabei noch extrem gut aussieht, weil Kostüm und Maske, also Tomás Kypta und die Herren und Damen aus den hinteren Gefilden, herrlich gearbeitet haben) und die Pamina der Marie Fajtová nicht nur wie eine standesgemäß erzogene Königstochter agiert, sondern auch noch in diesem Sinne gut, also gesegnet mit einem vergleichsweise dunklen wie betörenden Sopran herzbewegend singt, so agiert und so ausschaut, ist das Glück von Opernfreund- und -freundin vollkommen. Denn ohne die guten Sängerinnen wäre auch eine szenisch vollkommene „Zauberflöte“ nur die Hälfte wert.

 

Kommt hinzu das Orchester des Ständetheaters, das unter der Leitung von David Švec mit einem nicht abreißenden Fluss den Abend vom Orchestergraben her trägt: meist schnell, doch nicht zu schnell, immer mit der imaginären Vortragsbezeichnung „vivo“ versehen, immer klangschön und dramatisch bewusst bei der Szene. Voilá, ein Mozartorchester. Die Hallenarie habe ich beispielsweise mit dem glänzenden, weil tief tief unten und in der ungewöhnlichen Höhe profunden Sarastro namens Jan Šťáva selten so bewegt gehört, ohne dass man den Eindruck gehabt hätte, dass hier ein Dirigent zu Gunsten irgendeines Aktionismus den Duktus der Musik verhetzt. Nur eine Einschränkung muss gemacht werden: Musikalisch mag der Abend nicht durchwegs erstklassig sein, weil der Tamino des Jaroslav Březina seine Partie im ersten Akt wie ein Heldentenor angeht – verwunderlich, da doch das Ständetheater nicht die Ausmaße der Staatsoper oder des Nationaltheaters besitzt, doch mäßigt sich Sigmund Tamino im zweiten Akt deutlich und lyrisch. Mit dem Papageno des Jiří Brückler, den drei Damen Petra Nôtov, Jana Horáková Levicová und besonders der Altistin Kateřina Jalovcová hat man die „leading roles“ anständig besetzt. Bleiben Lenka Pavlovič als entzückende Papagena und Aleš Voráček als Monostatos.

Der Rest ist Szene. Alle paar Minuten geht ein neuer Prospekt herunter, betreten fantastische Gestalten die Bühne und den Zuschauerraum, fängt sich der Blick des Zuschauers an den vielen vielen Details der Hänger. Wie in einem „richtigen“ Theater des 18. Jahrhunderts verbirgt sich hinter dem ersten, schlichten Vorhang des Ständetheaters ein Schmuckvorhang, der auf typisch tschechische Weise – also als surrealistisches Cappriccio – in Mozarts und Schikaneders mystisch-musikalische Zauberflötenwelt einführt. Verwirrend – und herrlich wie ein Paradies- und Höllenbild von Breughel. Miroslav Huptych hat zusammen mit dem Ausstatter Martin Ondruš dem Opernkosmos einige Bilder beigegeben, die zwischen Karel Zemans fantastischen Filmwelten und dem allegorischen Theater des Spätbarock vermitteln. Wir entdecken gleich zweimal den Autor, den Schikaneder spielte, wir sehen Mr. „Shakespeare“ - einmal als Pferd mit dem Kopf des Droeshout-Stichs, daneben als Dichterporträt aus dem 19. Jahrhundert. Wir sehen auf Vögel und Mozartengel, auf Tempeltore und heilige Berge mit fantastischen Architekturen, wir sehen auf Allegorien der Weisheit und der Liebe, auf lustige Skelette, siebenköpfige Drachen und Luftschiffe. Mozart bläst die Zauberflöte, Flammen schießen aus den Schalllöchern heraus. Immer wieder grinsen uns unmögliche mehrköpfig gestaffelte Löwen an, während alchemistische Symbolbilder sich mit Tierkreiszeichen paaren und schöne nackte, sich bespiegelnde Frauen, auch mal mit einem Papageienkopf, den Wanderer durch die Unterwelten locken. Wir laufen durch die gemalten und collagierten Landschaften wie Kinder durch ein Panoptikum – und bekommen schon während der Ouvertüre einen Vorgeschmack auf die Bildwelten, die uns zwei Akte lang begleiten werden. Fliegende Fische, schwarze heidnische Könige, die Pyramiden Altägyptens und die Eingänge Thebens, ein unübersehbares Labyrinth, die Apparate der Laterna magica und der frühen Fotografie, technisches Wunderwerk und Spielerei für Groß und Klein, Totenköpfe und bärtige Philosophen in Betrachtung derselben, eine Himmelsleiter mit einem einsamen Kletterer, Astrolabien und Armillarsphären: so verschwistern sich die Kulturgeschichte und der geistige Raum der „Zauberflöte“, die tschechische Kunst und die Lust am ewigen Wundertheater. Als der Mozartliebhaber, Theaterdirektor und „Der Zauberflöte zweyter Teil“-Autor Goethe im Vorspiel des Faust den Theaterdirektor sagen ließ, dass man doch weder an Prospekten noch Maschinen sparen solle, dachte er an Mozarts Oper. In Prag wäre er schon vor den Prospekten vor Neid erblasst.

Goethe wäre, obwohl er auch im Theater sehr auf Anstand hielt, sicher auch von den Damen begeistert gewesen – von den mehr als Drei Damen. Diese Welt ist eine Welt, in der die Frauen selbstverständlich auftreten: doch nicht allein allein oder im Dreierpack. Wenn sich Tamino, gewandet wie ein nobler Herr von Anno 1780, vor einer Schwarzen Dame erschrickt, die die Oper bis zum Schluss durchlaufen wird, bekommt die Idee vom „Drachen“ eine ganz eigene Couleur – doch dass der Mann vor der maskierten Frau in Ohnmacht fällt, hat schon seinen Sinn. Den drei Schwarzen Damen stehen später, derart Parität wahrend, drei blütenweiß gewandete Damen aus der himmlischen Sphäre gegenüber, also keine Knaben in Pudelmützen. Doch engelhaft sind sie alle: so wie die Gestalten aus dem fantastischen und bisweilen irdischen Circus, die zu den Pforten des Zuschauerraums hineinkommen und in den Rängen stehen, um die Handlung zu beobachten und manchmal mit seltsamen Tierlauten zu kommentieren. Dass Sarastros Leute nicht sonnenhell, sondern nachtschwarz gekleidet sind und die Königin der Nacht in Sarastros spätbarockem Symbolpalast offensichtlich ein und aus gehen kann, wie sie lustig ist, weist darauf hin, dass es mit der strengen Trennung von Gut und Böse, Mann und Frau, Tag und Nacht nicht so einfach zu sein scheint. Isis bleibt eine nachtschwarze, im Hintergrund vernebelte Groß- und Muttergöttin. So korrigiert die Regie die Macher dieser Oper auf zarte, nicht auf harte Weise. Ideologiekritisches „Regietheater“? Gewiss – aber auf welchem ästhetischem Niveau! Dafür sorgt auch die zweite Sphäre, die der Regisseur dem Stück eingezogen hat. Wir sehen den späten, schon ziemlich fertigen Mozart sein Stück entwerfen, fürs tschechische Publikum spricht er die deutschen Dialoge nach (eine wunderbare Lösung), und wir sehen: dieser zart dirigierende und albträumende Mozart leidet mit seinen Figuren, insbesondere mit Pamina mit. Ein zweiter Mozart betritt die Bühne: das Kind im roten Galarock, die Flöte spielend. Er wird im zweiten Akt gleich zwei weiteren Kindern gegenüberstehen: der Tochter der Königin der Nacht und einem anderen Jungen. Sind das nicht die Königin der Nacht als Kind und ein sehr junger Sarastro? Bevor der Krieg zwischen ihnen begann? Oder schauen wir aufs „Wolferl“ und aufs „Nannerl“? Die Zauberflöte, ein Werk von und für Kinder? Der Mensch in seiner (fast…) unschuldsvollen Phase? Die Utopie eines friedlichen Zusammenlebens zwischen Mann und Frau, die ein kindlicher Traum ist?

Alles ist möglich, nichts ist falsch. Auch darin besteht die Magie dieser Aufführung: in der Freiheit der Deutung sinnvoller Inhalte. Das Glockenspiel ist, wir sind bei den Freimaurern, eine Pyramide, die, wir sind in der Commedia dell'arte, mit einem Fleischspieß angeschlagen wird. Ein Engel betritt den Raum, Stelzenläufer (vom Long Vehicle Circus) sind dem Himmel schon ein wenig näher, Monostatos ist der alte, blutrotgesichtige Teufel aus dem Kasperle- oder Pawlatschentheater, wie man im alten Böhmen sagte, das Licht geht im Zuschauerraum zart wellenförmig an und aus, noch ist der Kampf zwischen Sonnengott und Mondgöttin nicht entschieden. Papageno schlägt die Schergen des Monostatos in die Flucht, und schon beginnt das Duett von den Männern und Frauen, welche Liebe fühlen: ohne Vordialog und -warnung: die zarteste Annäherung an die ängstliche Prinzessin, die nur möglich ist. Im Übrigen hat Pamina eine Haltung, wie sie nur Prinzessinnen haben können: gestrafft, konzentriert, standesbewusst, nicht privat. Man sieht das sonst nie so deutlich. Vogelwesen streifen vor dem Tempel herum, die Priester sind sowohl schwarz als auch weiß gekleidet - links und rechts: streng kubistisch, wenn man so will; das kubistische Caféhaus für die Herren ist gleich am Platz (der gute Café für 95 Kronen. Der weise Sprecher ist in Wahrheit Sarastro, zwei Damen schlecken derweilen Eis: Was ist die Sonne? Nichts. Ein Affe, ein Frosch und ein Krokodil hüpfen fröhlich zum Flötenspiel auf die Bühne, und manchmal bläst ein Engel einen Goldregen aus seiner Posaune.

O Isis und Osiris… Nebel wallen, ein Genius führt Pamina, die Augen verbunden, auf die Szene, ein Vogelwesen sinkt in Ohnmacht. Später wird Pamina zu Boden sinken: die Prüfungen, nie geahnt, waren einfach zuviel für die junge Frau. Die einsame Schwarze Dame geht mit der Pyramide durch den Raum, die Königin schaut sich um, überreicht – nach der überaus brillanten und temporeichen Rachearie (noch einmal der Name der phänomenalen Sängerin: Jana Sibera) – der Tochter einen riesigen Dolch, später wird die Tochter noch einmal der Pamina überreichen. Versucherinnen fangen früh an… Die g-Moll-Arie der Pamina, der emotionale Höhepunkt dieser Rolle, gleich dicht neben dem herzbewegenden „Tamino mein ---“, diese Trauerarie kann frau gar nicht besser singen als Marie Fajtová: mit den letzten, schmerzvoll in die Länge gezogenen Todes-Vokalisen. Der Knabe im roten Galarock wird wieder kommen, die Begegnung Taminos und Paminas vollzieht sich in seinem Zauberflöten-Zeichen, die drei Weißen Damen begleiten die Szene. Papagena muss sich, vor einem erotischen Prospekt, der nur für diese Szene gebaut wurde, nicht verkleiden, ihr Sexappeal wirkt direkt auf Papageno ein: eine tänzelnde Frau, sexy und selbstbewusst – umso schlimmer der schnelle Abgang, der Interruptus dieses ersten Treffens. Pamina will sich umbringen, die Mutter schaut zu, auch Sarastro ist Zeuge ihrer Verzweiflung, doch hält es ihn nicht auf dem Sitz: er verschwindet schnell, zuviel ist ihm der Schmerz. Die Mutter aber scheint ernüchtert auf das Drama ihrer Tochter: Selber schuld, kein Mitleid ist hier möglich. Ein Regieeinfall? Ja, sicher – aber redet nicht Pamina ihre Mutter direkt an? „Mutter, durch dich leide ich...“. Die Mutter sitzt an der richtigen Stelle, der Eindruck ist erschütternd. Und Mozart selbst rettet die Verzweifelte.

Er wird sie auch umarmen. Ist Tamino unfähig, sich nach den Prüfungen mit Feuer- und Wasserschwertengel adäquat um die in Ohnmacht Gesunkene zu kümmern, und will er sich selbst – in Parallelaktion zu Papagenos Suizidversuch – umbringen, so interessiert der Prinz am Ende nur noch als Repräsentant des Sonnenordens: eine mit einem üppigen Kostüm augestattete Riesenpuppe. Pamina aber bleibt beiseite, denn Mozart ist viel interessanter. Die Annäherung ist zärtlich und vorsichtig, fast scheinen sie sich zu küssen, aber nein, das wäre zu banal – und so umarmt sie der Mann, dem sie ihr wahres Leben verdankt: sie, vielleicht eine Wiedergängerin der Anna Gottlieb, der ersten Pamina. Und so bleiben sie stehen, sich umarmend, während der letzte Vorhang hinter ihnen fällt.

Was für ein wunderbares, intimes, bewegendes Finale. Und was für eine szenisch herrliche und musikalisch meist sehr gute Aufführung, die sehr liebevoll und informiert gezeigt hat, dass „die Prager“, die Mozart schon damals mehr als die Wiener geliebt haben, mit „ihrem“ Mozart halten.

Frank Piontek, 11.2.2018

Fotos © Hana Smejkalová.

 

 

PS

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