DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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EUGEN ONEGIN

Vorstellung am 28. Mai 2022

(Premiere am 21. Mai 2022)

Turbulent

 

Bekanntlich beruhen Tschaikowskis „Lyrische Szenen“ auf Alexander Puschkins gleichnamigem Vers-Roman, mit dem es in Hannover gleich beginnt: Auf Russisch rezitiert eine Sprecherin Puschkin, wie die Freundschaft von Lenski und Eugen Onegin entstanden ist, während die beiden auf dem Fußboden des großen Saals in Larinas Landguts rumalbern, offenbar kiffen und sich langsam verziehen, wenn die Akteure der ersten Szene erscheinen – ein überflüssiger Einstieg, denn man weiß, dass die beiden eine enge Freundschaft verbindet. Wie diese entstanden ist und dass sie trotz großer Verschiedenheit Bestand hat, ist für den Ablauf der Handlung letztlich uninteressant. Alles findet in einem Einheitsbühnenbild (Susanne Gschwender) mit einer übergroßen Fensterwand statt, durch die man in eine parkähnliche Landschaft und zuletzt auf Hochhausschluchten von St. Petersburg blickt. Durch die passenden Kostüme von Eva Butzkies wird deutlich, dass die Hausregisseurin Barbora Horáková die Handlung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart geholt hat, ohne dass dies irgendwie plausibel ist. Denn so manche Klimmzüge sind nötig, um die Handlung aus früheren Zeiten dennoch glaubwürdig zu gestalten, wie beispielsweise beim Duell, das zu einer tödlich endenden Rauferei mit versehentlich ausgelösten Schuss wird. Sonst bleibt die detailverliebte Regisseurin erfreulicherweise eng an der Vorlage, wobei es einige Merkwürdigkeiten gibt, die nicht immer verständlich sind: Da lehnt sich Tatjana bei ihrer ersten Begegnung an die Brust Onegins, was sich das schüchterne Mädchen nie trauen würde; dass bei emotionalen Aufwallungen ständig Stühle umgeworfen werden oder dass man sich häufig auf den großen Tisch begeben muss (Olga tanzend, Tatjana den Brief schreibend), sind wohl gern gewählte Regieeinfälle, die allerdings nicht immer überzeugen. Wenn Tatjana sich am Schluss der Briefszene Wasser aus der Blumenvase über den Kopf schüttet und Onegin sich beim Übergang von der Duell-Szene zum Fest bei Gremin während der Polonaise zum Gejohle auf offener Bühne umziehen muss und später nach dem Wiedersehen mit Tatjana in ein auf die Bühne gefahrenes Terrarium klettert, um sich dort mit Erde zu beschmieren – da hört das Verständnis auf. Ansonsten waren besonders die beiden Feste von einer teilweise übertrieben wirbeligen Turbulenz, wie sie selten zu erleben ist.

 

James Newby/Pavel Valuzhin

 

Das alles störte doch sehr, aber beeinträchtigte die insgesamt gut gelungene musikalische Verwirklichung nur selten, wie z.B. das Gejohle der festlich gekleideten Choristen bei der Polonaise. Am Pult des an diesem Abend in allen Gruppen und bei den zahlreichen Instrumentalsoli ausgezeichneten Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover stand der 1. Kapellmeister James Hendry, der mit großem Gestus und effektiver Präzision für enormen Schwung sorgte, aber auch in den lyrischen Passagen den Farbenreichtum von Tschaikowskis Musik herausarbeitete. Bei der dramatischen Zuspitzung am Ende der Oper hätte das Dirigat des jungen Briten deutlich sängerfreundlicher sein müssen; da hatten die beiden Protagonisten teilweise keine Chance, über das Orchester hinaus zu kommen.

 

Monika Walerowicz/Ruzana Grigorian

 

James Newby in der Titelrolle zeichnete den zunächst gelangweilten Müßiggänger nicht wie sonst oft zu erleben als arroganten, schnöselhaften Dandy, sondern gab ihm sogar sympathische Züge, wenn er z.B. nach seiner Ablehnung Tatjanas deren Tränen abwischt. Sein höhensicherer Bariton gefiel besonders in den lyrischen Teilen; in der Dramatik der Schlussszene forcierte er leider zu stark, was sicher auch an dem Lärm aus dem Orchestergraben lag. Als Tatjana erlebte man die Usbekin Barno Ismatullaeva, die die zurückhaltende, schwärmerische Jugendliche und später die gereifte, treue Ehefrau überzeugend gestaltete. Sie führte ihren fülligen, ausdrucksstarken Sopran sicher von den ruhigen, lyrischen Passagen bis in leidenschaftliches Forte.  Nur an wenigen Stellen im Piano gab es kleinere Intonationstrübungen. Mit charaktervollem lyrischem Tenor versah der Belarusse Pavel Valuzhin den unglücklichen Lenski; besonders anrührend gelang ihm dessen berühmte Abschiedsarie. Mit munterem Spiel und einem dunkel timbrierten, flexiblen Mezzo gefiel die Russin Ruzana Grigorian als Olga.

 

Shavleg Armasi/Barno Ismatullaeva

 

Einmal mehr begeisterte Shavleg Armasi mit seinem Prachtbass in der berühmten Arie über die Liebe als würdevoller Fürst Gremin. Der in allen Lagen abgerundete, kultivierte Mezzosopran von Monika Walerowicz passte bestens zur besorgten Larina als elegante Gastgeberin. Eine entgegen dem Text nicht alte Filipjewna war mit glaubhaftem Spiel und ausgeglichenem Mezzo die Russin Vera Egorova. Eine eitle Witzfigur war hier Triquet, dessen Geburtstagsständchen Robert Künzli heldentenoral ausfüllte. Als Hauptmann und Saretzki ergänzte Gagik Vardanyan zuverlässig. Die Chöre in der Einstudierung von Lorenzo Da Rio gefielen erneut durch Klangpracht und Ausgewogenheit.

Das Publikum war hellauf begeistert und bedankte sich bei allen Mitwirkenden mit jubelndem, mit Bravos durchsetztem Applaus.

 

Fotos: © Sandra Then

Gerhard Eckels 27. Mai 2022

Weitere Vorstellungen: 1.,3.,11.19.6.+1.,7.7.2022

 

 

 

Staatsoper Hannover

SAISONVORSCHAU 2022 / 2023:

Musiktheater:

Mefistofele – Premiere am 24.09.2022

(Dirigent: Stephan Zilias, Inszenierung: Elisabeth Stöppler)

The Fall of the House of Usher (Oper von Philip Glass)

Premiere am 04.11.2022 Ballhof Eins

(Dirigent: Carlos Vazquez, Inszenierung: Victoria Stevens)

Pinocchios Abenteuer (Instrumental-Komödie von Lucia Ronchetti)
Premiere am 18.11.2022 Ballhof Zwei

(Dirigent: Richard Schwennicke, Inszenierung: Maria Kwaschik)

Die Zirkusprinzessin (Operette von Emmerich Kálmán)
Premiere am 25.11.2022

(Dirigent: Giulio Cilona, Inszenierung: Felix Seiler)

Das Märchen vom Zaren Saltan Premiere am 13.01.2023

(Dirigent: James Hendry, Inszenierung: Eva-Maria Höckmayr)

Rusalka – Premiere am 11.03.2023

(Dirigent: Stephan Zilias, Inszenierung: Tatjana Gürbaca)

EN(coun)TER (Ein Klangraum für Innovation und Begegnung im Musiktheater von

Composer in Residence Olivia Hyunsin Kim) – Premiere am 15.03.2023 Ballhof Zwei

L’Orfeo (Oper von Claudio Monteverdi) – Premiere am 28.04.2023

(Dirigent: David Bates, Inszenierung und Bühne: Silvia Costa)

Nixon in China (Oper von John Adams) – Premiere am 03.06.2023

 (Dirigent: Daniel Carter, Inszenierung: Daniel Kramer)

ZER-BRECH-LICH von Alessandro Schiattarella und Ensemble (Kooperation von Staatsoper Hannover, Schauspiel Hannover, Festival Theaterformen und der Theaterakademie Hamburg) – Uraufführung am 23.06.2023 Ballhof Eins
Inszenierung und Choreografie: Alessandro Schiattarella

 

Wiederaufnahmen:

Alcina, Dialoge der Karmeliterinnen, Barbier von Sevilla, Hänsel und Gretel, Hamed und Sherifa, La Bohème, Tosca, The Turn of the Screw, Die Jüdin, Denis & Katya, Die Hochzeit des Figaro

 

Ballett:

Der Feuervogel (Ballett von Marco Goecke)
Uraufführung am 21.10.2022
Glaub – Liebe – Hoffnung
(Choreografien von Guillaume Hulot, Medhi Walerski und Marco Goecke) – Premiere am 11.02.2023
Spiel des Lebens (Choreografien von Goyo Montero, Sofia Nappi und Marco Goecke) – Premiere am 31.03.2023

Wiederaufnahmen:

A wilde Story, Wir sagen uns Dunkles

 

Gerhard Eckels 25. Mai 2022

 

           

 

FIGAROS HOCHZEIT

Besuchte Vorstellung am 29. Januar 2022

Premiere am 22. Januar 2022

Überdrehte Klamotte

Germán Olvera/Kiandra Howarth/andere Susanna


Die Neuinszenierung von Halévys „Jüdin“ zeigte 2019 überwältigende Opulenz, die jetzt in Mozarts Geniestreich von Lydia Steier mit Momme Hinrichs (Bühne, Video) und dem Kostümbildner Alfred Mayerhofer nicht erreicht wurde. Diesmal beschränkte das damals so erfolgreiche Team den äußerlichen Prunk auf prächtige, fantasievolle Kostüme und Perücken der ausgehenden Barockzeit. Das praktikable Bühnenbild ist dagegen eher schlicht und gefällt dadurch, dass sich die beweglichen Wände der verschiedenen Zimmer des gräflichen Schlosses leicht mal nach rechts und mal nach links verschieben und sich durch Einengen oder Vergrößern der jeweiligen emotionalen Situation anpassen lassen. Das dem „tollen Tag“ sowieso schon innewohnende, hohe Tempo wird dadurch noch erheblich gesteigert. Nicht gefällt die Manie, zu jeder Zeit teilweise völlig überdrehte Aktionen hinzuzufügen, was besonders in den einzelnen Arien dazu führt, dass man vom Inhalt stark abgelenkt wird, wenn z.B. um Figaro bei „Se vuol ballare“ und später bei „Aprite un po‘ quegl’occhi“ weitere Bedienstete um ihn herum wieseln. Auch die Gräfin ist betroffen, die wegen Depressionen den ganzen 2. Akt über ans Bett gefesselt ist und während ihrer traurigen Arie „Porgi amor…“ von zwei Betschwestern (in Wahrheit verkleidete Männer) „betreut“ wird. Überhaupt gleitet der 2. Akt endgültig in die Klamotte ab, wenn ein Sauerstoffgerät für die um Atem ringende Gräfin (Covid?) bemüht wird oder das bewegliche Bett während Cherubinos „Voi che sapete“ mehrmals im Kreis gedreht wird. Auf weitere Beispiele der vielen überdrehten, teilweise wohl satirisch gemeinten Aktionen soll hier verzichtet werden.

 


Andere Susanna/Kiandra Howarth/Nina van Essen

 

Im Ganzen ist die Sicht der amerikanischen Regisseurin auf die bekannte Geschichte zumindest gewöhnungsbedürftig: Die Oper beginnt in Hannover mit dem Schlussbild und der großen Verzeihungsgeste des Grafen Almaviva. Während der erst jetzt erklingenden Ouvertüre tritt Susanna aus dem Ensemble heraus und blickt zurück, wie es zu dem angeblich harmonischen Schluss gekommen ist. Im Prinzip ist das nichts Neues, weil bereits bei da Ponte und Mozart Susanna stärker als Figaro im Mittelpunkt des Geschehens steht. Hier ist sie allgegenwärtig, auch wenn sie gerade nicht unmittelbar am Geschehen beteiligt ist. Dazu kommt, dass sie sich ernsthaft in den Grafen verliebt, wofür es überhaupt keinen Anhalt in der Vorlage gibt. Dass sie für den offenbar alle weiblichen Bediensteten im Schloss (mehrere sind schwanger) „vernaschenden“ Grafen echte Gefühle entwickelt, ist mehr als unwahrscheinlich. Aber sie zerreißt den ihr von der Gräfin diktierten Brief, ersetzt ihn durch einen eigenen und erscheint im Schlussbild – wie der Graf – zunächst mit einem Koffer. All dies entspricht nicht dem Libretto, vor allem auch nicht Mozarts Musik. Denn in der berühmten „Rosen-Arie“ freut sich Susanna auf Figaro und nicht auf den Grafen!

 

Kiandra Howarth/Germán Olvera

 

Insgesamt erfreulich war die musikalische Verwirklichung in der besuchten Vorstellung: Dem temperamentvollen, aber stets präzisen Dirigat von Hannovers 2. Kapellmeister Giulio Cilona folgte das gut disponierte Staatsorchester bis auf einige Anlaufschwierigkeiten in der spritzigen Ouvertüre diszipliniert. Die vor allem in den Ensembleszenen und den Akt-Finals wahnwitzigen Tempovorstellungen passten zu den rasanten Abläufen auf der Bühne, wenn es auch mehrfach zu Wacklern führte. Beeindruckend spielfreudig war das gesamte Ensemble, das mit den Choristen und Statisten den Vorstellungen des Regieteams  mit durchweg wirbligem Auftreten folgte, einschließlich mancher Körperpositionen, die nicht von sich aus gerade zum Singen animierten.

Susanna war Nikki Treurniet, die durch glaubhaftes Spiel und klares, durchweg intonationsreines Singen gefiel; trotz allen Trubels um sie herum gelang ihr die schön auf Linie gestaltete „Rosen-Arie“ anrührend. Ihr Figaro, der deutlich zu machen wusste, dass es ihm in der vorrevolutionären Zeit nicht nur um seine Braut, sondern auch um Angriffe gegen den Adelsstand ging, war mit kernigem, beweglichem Bass Richard Walshe. Darstellerisch und stimmlich besonders ausdrucksstark zeigte sich als Gräfin Almaviva Kiandra Howarth, die mit ihrem in allen Lagen abgerundeten  Sopran in ihren beiden Arien geradezu dramatisch auftrumpfte. Ähnliches kann man zu Germán Olvera sagen, der den Grafen als eitlen Macho gab, wozu sein kräftiger Bassbariton bestens passte.

 

Richard Walshe/Kiandra Howarth/andere Susanna

 

Als ausgesprochen munterer Cherubino trat die in Hannover inzwischen beliebte Sängerin Nina van Essen auf, die mit ihrem hellen, kräftigen Mezzo deutlich machte, dass ihr durchaus dramatischere Aufgaben zuzutrauen sind. Mit charaktervollem Mezzo bewährte sich als Marcellina Monika Walerowicz, während Daniel Eggert stimmstark Dr. Bartolo gab. Philipp Kapeller zeichnete klarstimmig  Basilio als selbstverliebten, schwulen Musiklehrer; aus dem Opernstudio gefielen als (schwangere) Barbarina Petra Radulovic aus Montenegro und der Ire Peter O'Reilly als Don Curzio. Mit dröhnendem Bass war Markus Suihkonen der Gärtner Antonio. Seine wenigen Aufgaben erfüllte der Staatsopernchor (Lorenzo Da Rio) klangausgewogen.

Das Publikum war durchweg begeistert und bedankte sich bei allen Mitwirkenden mit starkem Beifall.

 

Fotos: © Sandra Then

Gerhard Eckels  30. Januar 2022

 

Weitere Vorstellungen: 5.,16.,18.,23,.26.2.2022 u.a.

 

OTELLO

NI am 30. Oktober 2021

Eine ungewöhnliche, aber nachvollziehbare Interpretation

Die Staatsoper Hannover wartete schon unter der Direktion Michael Klügl bis 2019 mit so eigenwilligen, ja abwegigen Produktionen auf, dass sich in der Stadt sogar eine recht emsige Bürgerinitiative dagegen bildete. Nahezu leere Ränge waren oft die Folge. Dieser Stil hat mit der US-amerikanischen Intendantin Laura Berman weitgehend eine Fortsetzung erfahren. Insbesondere, wenn ich an die „Carmen“ in der Regie von Barbora Horáková, die neben einem aufwendigen, völlig überzogenen und damit auch zu teuren Bühnenbild, aber zudem noch mit einem offenen und mehr als gewöhnungsdürftigen, eigentlich aber fragwürdigen Eingriff in die Partitur völlig aus dem Ruder lief, denke - aber auch an den Corona-bedingt etwa auf zwei Drittel gekürzten „Tristan“ von Richard Wagner. Nun fehlt am Haus offenbar das Geld, um wunschgemäß weiterzumachen. Eine Protestaktion auf der Bühne wurde nach der „Otello“-Aufführung groß angekündigt, ein Spruchband von allen Akteuren hochgehalten und Protestkarten an das Publikum zur Sendung an die relevante staatliche Subventions-Stelle verteilt…

Dabei ging es auch bei dieser Neuinszenierung von Verdis Meisterwerk „Otello“ wieder recht unkonventionell zu. Aber die Interpretation macht trotz aller Ungewöhnlichkeit, auch der Unklarheit einiger Bilder von Etienne Plus, den Videos von Philipp Contag-Lada und dem Licht von Susanne Reinhardt doch interpretatorischen und dramaturgischen Sinn. Man ist zunächst überrascht, wenn man den - natürlich weißen - Otello zu Beginn in einer heruntergekommenen Küche mit einem Baseball-Schläger wie wild in die Luft schlagen, dann verzweifelt auf eine Matratze sinken und sich wieder imaginärer Angriffe aus dem Nichts erwehren sieht. Das „Esultate“ geht unter in einem optisch beklemmend dargestellten Kriegstaumel, mit ratternden Maschinengewehrsalven, schemenhaften Soldaten mit Gewehr im Anschlag, Fallenden und einem ungeheuren Lärm. Hier geschieht staatlich beauftragter Massenmord, dessen Erfolg auch noch bejubelt werden soll! Es wird sogleich klar: Hier ist ein Otello, der von seinen Kriegserlebnissen stark traumatisiert ist und nicht zur Ruhe finden kann. Das wird auch deutlich, wenn Desdemona mit einem spärlichen Einkauf wie in einem studentischen Wohnmilieu hereinkommt, in dem auch die Bierdosen von Unrast zeugen, und es weder einen Kuss noch eine Umarmung gibt. So wird auch das romantische Duett der beiden zum Finale des 1. Akts eher zu einer Farce als Beweis gegenseitiger Wertschätzung und Liebe.

Regisseur Immo Karaman und seine im Programmheft äußerst präsente Dramaturgin Regine Palmai sehen Otello in einem „Kampftrauma“, einem Zustand  an Überforderung, der nicht mehr zu verkraften ist. Die Kriegsveteranen, die aus dem 2. Weltkrieg nach Deutschland zurückkehrten, und natürlich nicht nur diese, haben gezeigt, dass der Krieg, auch wenn er schon zu Ende ist, dauerhaft im Zivilleben nachwirkt, auch im politischen Diskurs und in der Geschichtsschreibung. So sehen Karaman und Palmai einerseits den von Verdi musikalisch komponierten militärischen Triumph, der aber, de facto, in der „schlimmstmöglichen Katastrophe des Siegers im Privatleben“ endet. Und das ist in der Tat gegenwartsrelevant, leider immer wieder und kontinuierlich in unserer Zeit. Und hier sehen sie die ‚alte‘ Geschichte des „Otello“ uns die Möglichkeit geben, „mit  Mitteln der Kunst über die Herausforderungen unserer Zeit nachzudenken - und wie wir mit ihnen umgehen.“

Das scheint mir ein sehr plausibler Deutungsansatz für Verdis „Otello“ zu sein, obwohl er in Hannover impliziert, dass man sich von allen mit der Aufführungstradition des Werkes verbundenen Erfahrungen radikal verabschieden muss. Denn was wir hier erleben, ist natürlich knallhartes Regietheater, wo es auf eine auch nur in Ansätzen erbauende Optik oder gar Harmonie, und sei es auch nur in wenigen Momenten, überhaupt nicht mehr ankommt. Das Regieteam zeigt uns ein unter die Haut gehendes psychisches Drama, in dem Otello langsam, aber sicher, der völligen Selbstzerstörung entgegen geht. Gegen Ende muss er sogar von zwei Polizisten in Gewahrsam genommen werden, weil er auf seine Frau losgehen wollte. Diese hält das alles geduldig aus. Sie scheint als einzige die Einsicht in die Tragik ihres Mannes zu haben, sein Trauma und dessen Konsequenzen für ihre Beziehung zu verstehen. Es „herrschen Einsamkeit und Sprachlosigkeit.“ Und hier wird ein ganz interessanter Vergleich zur derzeitigen Lockdown-Problematik gezogen. „Plötzlich fangen wir an zu grübeln, ob wir noch so sind wie vorher. Und wer isoliert und auf sich allein gestellt ist, beginnt unter Umständen, an sich zu zweifeln“ - eine interessante Facette dieser Interpretation. Emotionale Kälte und mangelndes Vertrauen in die Umgebung können sich einstellen.

Der Einheits-Bühnenraum soll durch eine Vervielfachung bis zu einem vierten, fünften Mal Otellos psychisches Gefängnis darstellen, einen „wahnhaften Zustand der Zersplitterung und Verunsicherung“. Das Publikum soll nach und nach entdecken, dass es sich hier um Parallelwelten und Parallelzustände handelt, eine „Multiplikation von Realitätswahrnehmung und Verrätselung.“ Hier gehen der Regie die interpretatorischen Pferde etwas durch, denn das gelingt mit diesem Bühnenbild nur begrenzt. Die Auffächerung des immer gleichen Raumes, in dem eigentlich nur ein alter Kühlschrank und ein Tisch mit zwei Stühlen steht, wirkt nicht wirklich überzeugend, da sich die Figuren, insbesondere Jago, der natürlich als einziger Wissender unter den Männern die Strippen zieht, immer wieder zwischen den verschiedenen Räumen hin und her bewegen. Da hilft auch ein mir bisher unbekannter Movement Director nicht, den hier Fabian Posca gibt. So wirkt dieses Konzept optisch diffus. Ein negativer Höhepunkt ist zudem der offenbar bewusst kitschig aufgezogene Chor der Mädchen zu „T'offriamo il giglio soave stel“, die bei entsprechender Verkleidung (Kostüme: Gesine Völlm) karnevalsartig Luftschlangen werfen und Knallkörper hochgehen lassen, absolut entbehrlich! Völlig unverständlich ist die Hinzufügung zweier kleiner Kinder in Desdemonas Schlafzimmer, die von der eigentlichen Tragik des Geschehens nur ablenken und zuvor in ein Nebenzimmer abgeschoben werden müssen. Die Tatsache, dass Otellos Selbstmord misslingt, weil keine Kugel im Magazin ist und Desdemona dann wieder mit dem Einkauf hereinkommt, stoisch wie zuvor, sollte wohl heißen: Alles beginnt von Neuem, was allerdings leider wahr ist…

 

Natürlich kommen im Programmheft naheliegender Weise auch ein Vietnam-Veteran sowie eine Angehörige zu Wort. Dazu gibt es interessante und ebenso gut lesbare Aufsätze von Jonathan Shay „Vor mir selbst kann ich nicht fliehen“ und „Demoralisierung“, von Jan Philipp Reemtsma „Werkzeuge der Gewalt“, von Marita Scholz „Dämonen in seinem Kopf“ und von Günter Anders „Das Nichts“, die zudem alle treffend - schon durch die Titel - die Relevanz des hier gewählten Regiekonzepts belegen. Obwohl inhaltlich also viel Sinn machend und auch völlig nachvollziehbar in der Argumentation in Bezug auf Otello und seine Umgebung nach dessen Rückkehr nach Zypern, was hier natürlich kein Zypern ist, sondern alles und irgendwo, sind die Aufsätze der Dramaturgin Regine Palmai allerdings alles andere als leicht lesbar. Hier wird stramm „durchgegendert“. Da stolpert man dann relativ schnell hintereinander auf vom Rat für deutsche Rechtschreibung noch im März diesen Jahres offiziell als nicht-normgerechte Formulierungen eingestufte Wortkreationen wie „Kamerad:innen“ oder „Zivilist:innen“ gleich in einem Satz; „Vietnam-Heimkehrer:innen“ und „Vietnam-Veteran:innen“; nicht ohne kurz darauf auch von den gewohnten Vietnam-Veteranen zu sprechen; sowie „Außenseiter:innen“, Heimkehrer:innen und „Protagonist:innen“. Eine bemüht aktualisiert wirkende Wortschöpfung fällt auf, wenn Palmai im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg zum „Kampftrauma“ schreibt, dass Krieg dauerhaft  „… in den Familien der Soldat:innen beider Seiten“ nachwirkt. Selten wurde mir klarer, wie sehr die Verwendung nicht-normgerechter Formulierungen das gute Deutsch mit der alles umfassenden, fälscherweise als maskulin bezeichneten generischen Form verunstalten und einem das Lesen vergraulen kann. Nicht zuletzt deshalb hat die deutsche Literatur davon noch nichts angenommen.

Kommen wir aber zu Positiverem, und hier ist ganz eindeutig der musikalische Teil zu würdigen. Martin Mühle als Otello und Barno Ismatullaewa als Desdemona boten mit ihren jeweiligen Rollendebuts ganz außerordentliche Leistungen. Insbesondere bei Mühle kam noch eine fast über menschliche Grenzen hinausgehende extreme Darstellung der Titelrolle, die er blendend und unglaublich authentisch meisterte. Sein kraftvoller Tenor mit dramatischem Aplomb (der Siegmund ist klar zu vernehmen!) passt ebenfalls bestens dazu, und er sang auch die Höhen mit großer Kraft und Intensität. Ein sehr guter Otello! Barno Ismatullaewa ist in Hannover und nicht nur dort für ihren wundervollen, geschmeidigen, leicht dunkel schattierten und damit umso charaktervoller klingenden Sopran bekannt. Sie gab eine Desdemona der Extraklasse und sollte nicht nur mit dieser Rolle bald auch international zur Wirkung kommen. Hinzu ist ihr emotional einnehmendes Spiel zu würdigen. Ismatullaewa verfügt, nicht zuletzt durch eine stets situationsgerechte Mimik, über eine hohe Bühnenpräsenz.

Pavel Yankovsky war den beiden ein Jago auf Augenhöhe, ebenfalls mit kraftvoller Stimme und boshafter Tongebung seines facettenreichen Baritons. Dazu konnte er in der Tat den verschlagenen Bösewicht nachhaltig über die Rampe bringen. Marco Lee sang den Cassio mit guten tenoralen Farben und intensiver Darstellung. Ruzana Grigorian war eine klangvolle und rollengerecht zurückhaltend agierende Emilia. In weiteren kleinen Rollen waren Peter O’Reilly als Rodrigo, Markus Suihkonen als Lodovico, Yannick Spanier als Montano und Gagik Vardanyan als Herold gut besetzt.

Der Hannoveraner GMD Stephan Zilias bewies am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover seine guten Kenntnisse der Musik Verdis im allgemeinen und des „Otello“ im Besonderen. Er legte mit dem Orchester den Grundstein für die Entfaltung der guten Stimmen der Protagonisten und konnte einige Entbehrlichkeiten auf der Bühne gut überspielen. Der von Lorenzo Da Rio einstudierte Chor der Staatsoper Hannover sang kraftvoll, mit guter Transparenz und hoher Wortdeutlichkeit. Insgesamt ein denkwürdiger Abend an der Staatsoper Hannover!

 

Bilder: Sandra Then

 

Klaus Billand, 03.12.21

www.klaus-billand.com

 

 

 

OTELLO

Premiere am 30. Oktober 2021

Otellos Alpträume

 

In der Neuinszenierung von Verdis genialem Meisterwerk orientierten sich Regisseur Immo Karaman, Bühnenbildner Etienne Pluss und Kostümbildnerin Gesine Völlm an einer Charakterisierung des Textdichters Arrigo Boito, der Otello als Menschen bezeichnet hat, „der unter dem verhängnisvollen Zwang eines Alptraums denkt, handelt und leidet“. Das Regieteam verlegt die Handlung in die Gegenwart, sieht Otello als Kriegsheimkehrer an, der unter einer – derzeit durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr leider hochaktuell – posttraumatischen Belastungsstörung leidet und der in sein bürgerliches Leben nicht wieder zurück finden kann. In der Neuinszenierung hat man nun versucht, Otellos Alpträume in Bilder des Musiktheaters umzusetzen, was nicht durchgehend überzeugend gelang. Bevor die Musik begann, sah man auf einen etwas schäbigen, karg möblierten Raum (links Kühlschrank, rechts Matratze und dazwischen Tisch mit zwei Stühlen), in dem der mit Trainingshose, Unterhemd und Bademantel gekleidete Otello unruhig auf und ab ging. Dann öffnete sich die hintere Wand, und der hereinbrechende Gewittersturm mit Kanonendonner und unruhigen Video-Einblendungen von kriegerischen Handlungen (Video: Philipp Contag-Lada, Licht: Susanne Reinhardt) machten deutlich, dass das alles in der Rückerinnerung Otellos geschah; das gilt auch für das stimmlich blass wirkende „Esultate!“. Im weiteren Verlauf gab es manches Unverständliche und Ungereimte: Mal redeten Otello und Jago sichtbar aneinander vorbei, mal sprachen sie „richtig“ miteinander; im Finale des 3. Aktes wurde nach scheinbar realer Auseinandersetzung der Protagonisten der in Einheitskleidung und Konzertaufstellung singende Chor mit irrisierendem Flackerlicht versehen. Anschließend gab es einen Einbruch der Realität, indem Otello von realen (?) Polizeibeamten festgenommen wurde. Ebenso unschlüssig war der Auftritt der Choristen zum „Rache-Duett“ von Otello und Jago am Schluss des 2.Aktes, als sie im Zeitlupen-Tempo zu Boden gingen, offenbar weil sie von den grauen Scharfschützen an beiden Seiten der Bühne erschossen wurden.

 

 

Im Ablauf wirkte nicht alles konsequent; denn Otello trat im 3. Akt in sauberer Uniform auf, obwohl man erwartet hätte, dass er durchgehend im Bademantel agierte. Ganz am Schluss, nachdem er im bürgerlich-spießigen Schlafzimmer Desdemona getötet hatte, lag er wieder am Boden seines Zimmers, und seine Frau brachte ihm wie im „Liebesduett“ des 1.Aktes etwas zu essen – ein deutliches Zeichen dafür, dass nach dem Regiekonzept alles Vorangehende in den Träumen Otellos geschah. Auch blieb offen, ob sein Selbstmord Fantasie oder doch Realität war. Leider lenkte vieles der nicht immer verständlichen Inszenierung erheblich von der musikalischen Verwirklichung ab; eindeutig geprägt wurde sie von dem leidenschaftlichen Aufspielen des in allen Gruppen ausgezeichneten Niedersächsischen Staatsorchesters, das von GMD Stephan Zilias mit temperamentvollem, aber stets präzisem Dirigat zu ständigem Vorwärtsdrängen angetrieben wurde. Leider ließ er es jedoch oft allzu sehr lärmen, worunter Sängerinnen und Sänger jedenfalls in den unteren Lagen ihrer Partien zu leiden hatten.

 

 

Ein beachtliches Rollendebüt als Otello hatte Martin Muehle, der in der Konzeption der Regie fast ununterbrochen auf der Bühne präsent war und die Zwangszustände des geschundenen Kriegsheimkehrers glaubwürdig zu gestalten wusste. Seinen baritonal gefärbten Tenor führte der deutsch-brasilianische Sänger intonationssicher durch alle Lagen, wenn man sich auch manches noch differenzierter vorstellen könnte. Ein Genuss war der durchweg füllige Sopran von Barno Ismatullaeva als leidende Desdemona. Die usbekische Sängerin sang mit fast perfektem Legato, wobei das „Lied von der Weide“ und das anschließende „Ave Maria“ berückend schön gelangen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die links über dem Orchestergraben postierte Souffleuse ihre Stichworte viel zu laut und damit störend rüberbrachte.

 

 

 

Pavel Yankovsky war mit reichlich eindimensionalem Bariton der intrigante Jago, den der belarussische Sänger viel zu oft nur mit Lautstärke statt mit der gehörigen Dämonie versah. Schönstimmig sang Marco Lee Cassio, während die Russin Ruzana Grigorian Emilia mit angenehmem, volltimbriertem Mezzo gab. Der sonore Bass des Finnen Markus Suihkonen passte gut zum Lodovico; sicher ergänzten Peter O'Reilly (Roderigo), Yannick Spanier (Montano) und Gagik Vardanyan (Herold). Von klangprächtiger und gut ausgewogener Stimmkraft zeigte sich der nun wieder in vollständiger Besetzung auftretende Chor (Lorenzo Da Rio).
 

Das Premierenpublikum feierte vor allem die Sängerinnen und Sänger mit begeistertem Beifall, während das Regieteam einige Buh-Rufe hinzunehmen hatte.

 

Fotos: © Sandra Then

Gerhard Eckels  31. Oktober 2021

Weitere Vorstellungen: 3.,5.,11.,13.,21,.28.11.2021 u.a.

 

COSI FAN TUTTE

Premiere am 19. Juni 2021

Verwirrend und überfrachtet

Hubert Zapiór/Nina van Essen

 

Wie überall in den Opernhäusern geht es nun ebenso in Hannover wieder los mit Live-Aufführungen, wenn auch mit erheblicher Publikumsbegrenzung – aber besser als nichts oder als Streaming, das das Live-Erlebnis einfach nicht ersetzen kann.

Beim Lesen des Besetzungszettels wurde man in der Staatsoper gleich zu Beginn stutzig, als man las, dass Cosi fan tutte in einer Fassung des Regisseurs, des Dramaturgen und des Dirigenten gegeben werde. Das zugrunde liegende Konzept konnte man jedenfalls in den ersten Szenen nur verstehen, wenn man im Programmheft gelesen hatte, dass sich die bekannten Paare Ferrando/Dorabella, die übrigens bereits ein Kind haben, Guglielmo/Fiordiligi sowie Alfonso und Despina alle seit Kindertagen kennen, was zur Ouvertüre mit Kinderfotos der handelnden sechs Personen belegt wurde. Laut Inhaltsangabe im Programmheft haben Alfonso und Despina die anderen beiden Paare „auf ein Wochenende ins Retreat ihres paartherapeuthischen Zentrums eingeladen.“ Auf der Bühne steht dann auch ein Schild mit der Überschrift „Polyamorie“. Nun wird nicht jedem Opernbesucher geläufig sein, was das ist; die häusliche Recherche ergab, dass Polyamorie, eine Wortschöpfung aus dem Anfang der 1990er-Jahre,  eine Form des Liebeslebens ist, bei der eine Person mehrere Partner liebt und zu jedem einzelnen eine Liebesbeziehung pflegt, wobei diese Tatsache allen Beteiligten bekannt ist und einvernehmlich gelebt wird. Nun wurde in der ersten Szene die Wette der Männer über die mögliche Treulosigkeit der Männer im Beisein der Partnerinnen geführt, wobei im Folgenden Da Pontes Text deutlich hinderlich war; auch deshalb hatte Dramaturg Martin Mutschler die Obertitel dem Konzept angepasst und außerdem im Sinne des „Sprechs“ der heute Dreißig- bis Vierzig-Jährigen modernisiert. Dazu gehörte ebenfalls, dass die Reihenfolge der einzelnen Musik-Nummern geändert wurde. So erklang beispielsweise ziemlich am Anfang schon das Duett der Frauen „Prenderò quel brunettino“ („Ich erwähle mir den Braunen“).

 

Nina van Essen/Richard Walshe/Hubert Zapiór/Nikki Treurniet/Kiandra Howarth/Marco Lee

 

Als sich die Paare bei einem therapeutischen Experiment unerwartet in den Armen der/des anderen Liebsten wiederfanden, konnte das weitere Geschehen weitgehend entsprechend dem Libretto ablaufen, wenn auch nicht alles konsequent erschien. Zusätzlich kam es beinahe zum Gruppensex, und es ging im Sinne der Polyamorie kreuz und quer zwischen Despina und Dorabella oder später auch angedeutet zwischen Männern fast zur Sache. Dadurch, dass die Bearbeiter im Grunde ein neues, anderes Stück geschaffen haben, haben sie auch die musikalischen Schätze der Oper nicht hinreichend zur Geltung gebracht: So wurde z.B. überhaupt nicht deutlich, warum die Frauen über die Abreise ihrer Ehemänner nach dem Soldatenchor – hier übrigens vom Kind (Maki Dominguez Muniz) mit einer Spielzeug-MP gesungen und gespielt – so entsetzt waren, wie es Mozarts Musik überdeutlich sagt. Sie hätten eigentlich genauso wie die Männer, die diesen großen Abschiedsschmerz nur spielen, darüber lachen müssen. Oder das wunderschöne Terzett beim Abschied der Männer („Soavesia il vento“) verpuffte geradezu, als es ohne Obertitel zu Beginn des zweiten Teils der Oper gesungen wurde, während sich die Frauen im Therapie-Zentrum ätherische Öle auf die Körper schmierten. Sicher, im Verlauf des Stückes kapiert man schon, dass sich offenbar auch die Frauen jedenfalls anfangs darauf eingelassen haben, ihre Überzeugungen von Treue und Monogamie zu überprüfen. Sie konnten dann auch die im Libretto vorgesehene Empörung ausdrücken, als ihre Männer die jeweilig andere Frau anbaggerten.

 

Nikki Treurniet/Marco Lee/Hubert Zapiór/Maki Dominguez Muniz/Kiandra Howarth/ Nina van Essen/Richard Walshe

 

Das Konzept wurde über die geschilderten Veränderungen hinaus noch mit Erinnerungen an die eigene Kindheit überfrachtet – siehe Videos von den Kinderbildern der Paare, wo es auch schon Zuneigung zum „falschen“ Partner gab (Video: Vincent Stefan). Der Schluss schließlich war völlig überdreht, wenn neben der riesigen, begehbaren Hochzeitstorte mehrere große Teddys wie die Fotos aus den Familienalben als Hinweis auf die Kindheit der Handelnden aufgebaut waren. Vor allem gab es nun eine große Verkleidung, indem Dorabella und Ferrando (!) je ein weißes Brautkleid und auf der anderen Seite Fiordiligi und Guglielmo festlichen Smoking trugen. Dass Despina in der Giftszene als Domina und jetzt am Schluss als Elvis-Verschnitt aufzutreten hatte und Alfonso eine Bischofsmithra aufsetzte, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Was besonders in der Neuinszenierung von Martin G. Berger neben dem doch eher verkorksten Konzept auffiel, war das temporeiche Agieren aller Protagonisten, die in allen Körperlagen auch noch zu singen hatten. Das Bühnenbild mit den vielfältigen, häufig sich ändernden Lichtstangen von Sarah-Katharina Karl passte zum Ganzen ebenso wie die fantasiereichen Kostüme von Esther Bialas.

 

Richard Walshe/Marco Lee/Kiandra Howarth/Nikki Treurniet/Hubert Zapiór/

Nina van Essen

 

Wieder einmal ist anders als die szenische Verwirklichung die musikalische Gestaltung zu loben: Der junge Chefdirigent des Mailänder Kammerorchesters Michele Spotti wählte vor allem in den Ensembles teilweise rasante Tempi, wobei das Niedersächsische Staatsorchester seiner deutlichen Zeichengebung sicher folgte und was zum Aktionismus auf der Bühne durchaus passte. Das auffallend junge, internationale Ensemble bot durchweg ansprechende Leistungen: Da ist zunächst als Dorabella die Niederländerin Nina van Essen zu nennen, die mit ihrem hellen, sehr flexiblen Mezzo begeisterte; in der Arie „Smanie implacabile“ („Unerbittliche Qual“) konnte sie geradezu dramatisch auftrumpfen. Ihre Bühnenschwester war die Australierin  Kiandra Howarth, deren fülliger Sopran sich in der Bravour-Arie „Come Scoglio“ und auch später in den Szenen, in denen sich die gefühlsintensive Fiordiligi  in großem Liebes-Widerstreit befindet, als besonders ausdrucksstark erwies. Der Koreaner Marco Lee ließ einen schön ausgeglichenen Mozart-Tenor hören, den er als Ferrando wirkungsvoll einzusetzen wusste. Der polnische Bariton Hubert Zapiór gab dem letztlich mit allem unzufriedenen, allerdings stets selbstverliebten Guglielmo angemessene Gestalt, wozu seine markante, sicher durch alle Lagen geführte Stimme verlässlich beitrug. Es bleiben als ausgesprochen lebhafte Despina Nikki Treurniet aus den Niederlanden, die mit blitzsauberen, gestochenen Koloraturen für sich einnahm, und als Organisator des turbulenten  Liebesreigens Don Alfonso, den der Brite Richard Walshe mit manchmal etwas zurückhaltenden Bassbariton gab. Ausgewogen klangen die wenigen eingespielten Chorszenen (Einstudierung: Lorenzo Da Rio).

Das Publikum spendete allen Beteiligten freudigen Beifall, der beim Erscheinen des Regieteams deutlich verhaltener ausfiel.

 

Fotos: © Sandra Then

Gerhard Eckels  20. Juni 2021

 

Weitere Vorstellungen: 23.,27.,29.6.+3.,11.,14.,16.7.2021 

 

 

SAISONVORSCHAU 2021 / 2022

 

Musiktheater

 

Otello – Premiere am 30.10.2021

(Dirigent: Stephan Zilias, Inszenierung: Immo Karaman)

Sweeney Todd (Musical-Thriller von Stephen Sondheim) – Premiere am 27.11.2021

(Dirigent: James Hendry, Inszenierung: Theu Boermans)

Die Hochzeit des Figaro – Premiere am 14.01.2022

(Dirigent: Giulio Cilona, Inszenierung: Lydia Steier

Denis & Katya (Eine amplifizierte Oper von Philip Venables) – Premiere am 26.02.2022, Ballhof Eins (Dirigent: Maxim Böckelmann, Inszenierung: Ted Huffman)

Der Mordfall Halit Yozgat (Ben Frost) – Uraufführung im Schauspielhaus am

18.03.2022 (Dirigent: Florian Groß, Inszenierung: Ben Frost)

Der Vampyr (Große romantische Oper von Heinrich Marschner) – Premiere am 25.03.2022 (Dirigent: Stephan Zilias, Inszenierung: Ersan Mondtag)

Die Griechische Passion (Martinu) – Premiere am 28.04.2022

(Dirigent: Valtteri Rauhalammi, Inszenierung: Barbora Horáková)

Eugen Onegin – Premiere am 21.05.2022

(Dirigent: James Hendry, Inszenierung: Barbora Horáková)

Humanoid (Science-Fiction-Oper von Leonard Evers) – Premiere am 11.06.2022, Ballhof Eins (Dirigent: Giulio Cilona, Inszenierung: Tobias Mertke)

 

Wiederaufnahmen

 

Cosi fan tutte, Gänsemagd, Trionfo. Vier letzte Nächte, Teufels Küche, Greek,  Hänsel und Gretel, Carmen, Turn of the Screw, Rigoletto, Barbier von Sevilla, Sommernachtstraum

 

Ballett

 

Toda (Ballett von Nadav Zelner) – Uraufführung am 25.09.2021 (Dirigent: Valtteri Rauhalammi)

Wir sagen uns Dunkles (Choreografien von Jiří Kylián, Paul Lightfoot & Sol León und Marco Goecke) – Premiere am 11.02.2022

A wilde Story (Ballett von Marco Goecke nach Motiven von Oscar Wilde) – Premiere am 17.06 2022 (Dirigent: James Hendry)

 

Wiederaufnahmen:

Himmel und Hölle, Der Liebhaber

 

Gerhard Eckels 28. Mai 2021

 

CARMEN

Premiere am 24. Oktober 2020

Ist das noch Oper?!

Die Staatsoper Hannover, schon länger für unkonventionelle Darbietungen bekannt, die nicht immer den größten Publikumszuspruch ernten, kam Ende Oktober mit einer Neuinszenierung der „Carmen“ von Georges Bizet heraus. Das Programmheft ist übertitelt mit „CARMEN, Georges Bizet/Marius Felix Lange“, als seien beide Komponisten gleichwertig an der musikalischen Gestaltung des Stückes beteiligt. Regie führte Barbora Horáková, mit dramaturgischer Unterstützung durch Martin Mutschler. Im Innern des Heftes erfährt man dann, dass es sich um eine musikalische „Neubearbeitung“ des Bizet-Klassikers durch Marius Felix Lange handelt, weil der 52-jährige Komponist, der als Geiger mit „Carmen“-Fantasien von Pablo de Sarasate und Franz Waxmann aufwuchs, eine Diskrepanz entdeckte zwischen dem Leben, welches, auf Prosper Mérimées Novelle basierend, eigentlich in der Oper erzählt werden soll, und den Mitteln, mit denen das geschieht.

 

Lange will den Protagonisten Carmen und Don José etwas von ihrer spezifischen Identität zurückgeben. Das wäre wohl eher die Sache der Regisseurin gewesen. Hier kommt es aber musikalisch zum Ausdruck, beziehungsweise soll es kommen, indem Lange nicht nur diverse und harmonisch unpassende Versatzstücke in die Bizetsche Partitur hineinkomponiert, sondern selbst bekannteste, geschlossenste und auch beliebteste Nummern wie die Musik zur Habanera und zur Blumenarie, um nur zwei prominente Beispiele zu nennen, mit Dissonanzen unterspielt, ja, man könnte auch sagen „unterspült“. Dazu benutzt er in erster Linie das Vibraphon und Röhrenglocken, die nach seiner Ansicht „weitere Klangfarben“ erzeugen, aber auch ein riesiges Xylophon, sowie das Schlagwerk. Die drei erstgenannten Instrumente, deren Verzicht es wohl selbst bei den geltenden Hygiene-Vorschriften im Graben erlaubt hätte, ein paar Streicher mehr als die gerade einmal vier Geigen, zwei Bratschen und zwei Celli zu platzieren (insgesamt nur 21 Musiker!), sorgten dafür, dass der Zuhörer sich zu keinem Zeitpunkt der Integrität der von ihm erwarteten Musik Bizets sicher sein konnte. Entsprechend dünn war auch der Streicherklang, wofür der ansonsten umsichtig agierende Stephan Zilias am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover wohl eher nichts konnte.

 

Der Streicherklang war in dieser Produktion aber eigentlich auch gar nicht so wichtig. Denn was Barbora Horáková auf der Bühne von Thilo Ullrich, mit den Kostümen von Eva-Maria von Acker, dem Licht von Sascha Zauner und der Choreographie von James Rosental abzog, wich deutlich von dem ab, was - immer noch - unter der Kunstgattung Oper verstanden wird. Mit der eigentlich gar nicht so abwegigen Idee, das Stück in der Springsteenschen „darkness at the edge of town“, also in einer Art Bronx oder Soho spielen zu lassen, in einem alten verlassenen Stadion, wo man noch das verblichene Basketballfeld erkennen kann. Hier geht es mit den sich dort herumtreibenden jungen Leuten, gesellschaftlichen Underdogs, hoch her. Sergio Verde sorgt auf einer hochgestellten Leinwand ähnlich wie Frank Castorf das Geschehen mitzufilmen und zusätzliche Szenen einzublenden. Die ominösen Kameraleute, eine sich mittlerweile immer mehr abnutzende postmoderne Stereotype des Regietheaters, huschen also auch wieder mal störend durch das Geschehen. Ganz amüsant war aber der Einfall, dass Carmen einmal vor dem eingeblendeten Werbe-Stier des spanischen 30-prozentigen Brandys Osborne singen darf, wenigstens noch ein wenn auch kommerzieller Anflug von einem allerdings auch schon etwas klischeehaften Spanien-Kolorit.

 

Statt des Chores läuft aus Hygienegründen eine Balletttruppe mit Mundschutz auf, die neben akrobatischen Einzelleistungen gleichwohl sehr laut wird und am Ende des Torero-Liedes sogar aus voller Kehle mitbrüllen darf und dabei einen nahezu unerträglich kakophonen Geräuschpegel erzielt! Hinzu kommt allerhand Müll, der herumsteht oder durch die Gegend fliegt, Bierkästen, Autoreifen, Ölfässer, ein shopping cart, ungeachtet musikalischer Gegebenheiten hupende Motorroller - alles so schon oft gesehen, aber dadurch nicht besser. „Carmen“ in the gutter…

 

 

Zusätzlich dürfen Don José, und wie man erst im Laufe der Arbeit an der Produktion feststellte, vorwiegend aus Gleichberechtigungsgründen auch Carmen ein Lied aus ihrer Heimat singen - er eines aus dem Baskenland, sie eines im zigeunerischen Caló. Der des Programmheftes unkundige Zuseher muss wohl raten, was das soll, zumal es die Musik von Bizet unterbricht, um nicht „durchbricht“ zu sagen.

Zu allem unkompositorischen Überfluss lassen zudem zwei Sprecher immer wieder Carmens und Don Josés Gedanken über Lautsprecher erklingen. Könnte es nicht sein, dass man über diese auch etwas, wenn nicht sogar viel, über die Komposition Bizets erfahren kann – oder will man sich nicht die Mühe machen, diese in nachvollziehbare Handlung umzusetzen?! Das wäre eigentlich die Aufgabe eines das Werk und seine Rezeption bestens kennenden Regisseurs.

 

 

Stattdessen wird die arme Micaela zum Zeichen ihrer Unerwünschtheit gleich mit dem Dreck beschmissen und mit einem Messer bedroht. Natürlich soll das zeigen, dass eine Rückkehr Don Josés in seine Vergangenheit, zu der er ja immer wieder tendiert, zugunsten einer klaren Entscheidung für Carmen und die Zigeuner verhindert werden soll – ein Ausdruck der Freiheit, um die es hier geht. Da darf er unterdessen auch Zuniga erschießen, als Eifersuchtstat und Zeichen seiner nun ins Kriminelle abdriftenden Freiheit, ähnlich wie er später Carmen umbringt. Freilich raucht Zuniga im Sterben schnell noch eine E-Zigarette – so leicht löst man sich in diesem Milieu von seinen Lastern nicht!

 

In Carmens Tod ortet das Regieteam allerdings einen „Femizid“, weil sie entgegen dem Besitzanspruch des Mannes – in seiner „toxischen Maskulinität“ – auf ihrer Freiheit besteht, als femininer „outlaw“. Sie ist nicht zuletzt aufgrund ihrer Herkunft, die ihr jeglichen sozialen Aufstieg versagt, für den Dramaturgen Mutschler ein Beispiel für „das mehr als latente Ausgeliefertsein der Frau.“ Da haben wir sie also wieder, die klassische Opferrolle der Frau. Dabei ist eigentlich in den bei weitem am meisten zu sehenden „Carmen“-Inszenierungen und wohl auch bei Bizet selbst der Mann das Opfer. Denn Carmen hat durch ihren unbeugsamen Freiheitsdrang eine enorme Souveränität – auch über sich selbst, während Don José sich selbst zum Opfer macht, weil er sich zwischen einem durch Erziehung naheliegenden konventionellen Lebenskonzept - symbolisiert durch Micaela - und Carmen nicht entscheiden kann. Daran scheitert er am Ende und bringt ihr den Tod, weil er sich diese Schwäche und sein Versagen nicht eingestehen kann. Erst da ist auch sie dann wirklich Opfer.

 

Die blutjunge Russin Evgenia Asanova gab die Carmen als aufreizender Teeny mit einem schon recht guten Mezzo und schönen Klangfarben. Der Mexikaner Rodrigo Porras Garulo spielte einen engagierten und emphatischen Don José und ließ mit seinem kraftvollen Tenor erkennen, dass er einmal Bariton war. Germán Olvera, ebenfalls aus Mexiko, sang den Escamillo mit ansprechendem, nicht zu großem Bariton. Der stimmliche Star des Abends war aber unzweifelhaft Barno Ismatullaeva aus Usbekistan, die der Micaela mit ihrem leuchtenden Sopran nahezu himmlische, facettenreiche und lyrische Töne verlieh und dabei auch noch große Empathie vermittelte. Frasquita war bei Mercedes Arcuri und Mercedes bei Nina von Essen gut aufgehoben. Yannick Spanier sang den Zuniga mit einem klangvollen Bass.

 

Wenn das, was man an diesem Abend in Hannover erlebte, noch Oper sein soll und der Trend, hemmungslos in Partituren einzubrechen und sie nach Belieben umzuschreiben und hinzu zu komponieren, weiter gehen sollte, dann steht es schlecht um diese weltweit so beliebte Kunstgattung. Und das ist, was die Oper am wenigsten im Moment der Corona-bedingt geschlossenen Opernhäuser braucht. Man sah und hörte in Hannover stattdessen ein Potpourri aus dramatischem Theater, Oper und Musical, eine Mischform, die nicht überzeugen konnte, es vielleicht auch gar nicht wollte. Im Focus stand wohl, etwas „ganz Neues“ zu machen, weil nur das Neue noch interessant ist und Aufmerksamkeit sowie Aufregung erzeugt. Dass das „Alte“ schon fast an der Perfektion liegt – nicht umsonst gehört die „Carmen“ wohl zu den beliebtesten fünf Opern überhaupt – spielt dabei keine Rolle. Daran im vorgegebenen kompositorischen Rahmen auch szenisch phantasievoll zu arbeiten, wäre wohl auch zu „konservativ“ und vermessen… In jedem Falle ist der Intendanz zu raten, bei solchen „Verinszenierungen“ zumindest dem Abo-Publikum einen Vorabdruck des Programmheftes mit den Aufsätzen des leading teams per E-Mail zu übermitteln, sodass es sich etwas auf das Kommende einstellen kann.                                                                   

 

Im Übrigen müsste sich, wenn dieser Trend einreißt, der öffentliche Subventionsgeber, in diesem Falle das Bundesland Niedersachsen, Gedanken machen - und es ist zu hoffen, dass an der relevanten Stelle die erforderliche Fachkompetenz vorhanden ist - ob die Höhe der jährlichen Subventionen noch den angegebenen Kunstgattungen entspricht. Der Etat für die Oper müsste dann wohl überdacht werden.

 

Angesichts des Erlebten machte ich nach der Vorstellung auf der Treppe der Oper eine kleine Publikumsbefragung. Interessanterweise sagten zwei voneinander völlig unabhängige ältere Damen auf die Frage, ob, beziehungsweise wie es ihnen gefallen habe: „Gewöhnungsbedürftig, sehr gewöhnungsbedürftig!“ Auf die zweite Frage, ob sie nochmals in eine Vorstellung dieser „Carmen“ gehen würden, kam ein resolutes „Nein, einmal reicht!“ Die zweite meinte sogar auf meine Frage speziell nach dem musikalischen Eindruck im Weggehen: „Ach, die Leute sind doch heute schon froh, wenn sie überhaupt noch eine bekannte Melodie hören…“ Ist das Opernpublikum in seinen Ansprüchen wirklich schon so weit gesunken?!                                                                                               

Fotos: Sandra Then

 

Klaus Billand/27.11.2020

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TRISTAN UND ISOLDE gekürzt

25. Oktober 2020

Delegierung von Emotion und Leid auf Dritte

In der Corona-Krise lassen sich Opernhäuser allerhand einfallen, um einen wenigstens minimalen Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. In der Staatsoper Hannover kam man auf die Idee, die Inszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ von Stephen Langridge aus dem Jahre 2018 auf knapp drei Stunden mit einer Pause zu kürzen. Mit dramaturgischer Unterstützung von Christopher Baumann und Johanna Mangold übernahm Felix Schrödinger die szenische Einstudierung.

Drastische Kürzungen der Wagnerschen Musikdramen wurden in der Vergangenheit mit wenig Erfolg versucht. Dazu zählt insbesondere der sog. „ColónRing“ am Teatro Colón in Buenos Aires 2012, der auf 7,5 Stunden mit zwei Pausen zusammengestrichen wurde und dann nicht mehr überzeugen konnte. Mit „Tristan und Isolde“, von Wagner als „Handlung in drei Aufzügen“ bezeichnet, liegt der Fall etwas anders. Das Stück ist bekanntlich relativ handlungsarm und von langen Dialogen gekennzeichnet, sodass signifikante Kürzungen insbesondere dem Wagner-Unkundigen nicht allzu störend auffallen (müssen).

Im Bühnenbild von Conor Murphy, ohnehin ein auch durch das Licht von Susanne Reinhardt steril-modernistisch wirkendes Einheitsbühnenbild mit wenigen Versatzstücken, fallen die langen Striche nicht so stark auf wie erwartet. Man sieht ständig auf eine sängerfreundliche, zum Publikum hin gewölbte Wand mit einer Treppe (ein Fallreep wie von einem Schiff) und einem schräg abgeschnittenen Rohr, einem Kanalrohr ähnlich, und im 3. Aufzug allerhand Gerümpel mit Betten, um das Chaos zu verdeutlichen. Murphy ist auch für die farblich gut in diese meist weiß-gelben Bilder passenden Kostüme verantwortlich. Im Wesentlichen werden die beiden langen Dialoge zwischen Isolde und Brangäne weitgehend sowie bei Tristan und Kurwenal im 3. Aufzug signifikant gestrichen.

 

 

Schwerer als die Reduktion der Wagnerschen Vorlage wiegt die dramaturgische Ausrichtung dieses „Tristan“ von Stephen Langridge und seine dementsprechende Personenregie. Er ist bekanntlich, wie man zurzeit in seinem neuen „Ring“ in Göteborg wieder sehen kann, ein Meister im Delegieren von Inhalten, Emotionen und Handlungen auf Personen, die gar nicht im Stück vorgesehen sind. Das erlebt man in letzter Zeit (leider) gerade im Wagner-Theater immer öfter, als ob der Komponist nicht alles umfassend in seinen Protagonisten und in der Musik angelegt hätte und dramaturgische Nachhilfe bräuchte - oder in einem Zwang, immer wieder „Neues“ zu (er)finden, allein um des Neuen willen. Hier hat der Regisseur den japanischen Butoh-Tanz gefunden, ein pantomimenartig agierendes Paar (Nora Otte und Tadashi Endo mit der Regie), welches durch die Bedeckung ihrer fast nackten Körper mit mehliger Farbe „zur Auslöschung der Merkmale von Geschlecht und Alter“ wie die Nubier von Leni Riefenstahl wirkt. Laut Langridge soll es „eine Art Dämmer-Ebene schaffen zwischen konkreter Realität, physischem Leben und einer Innenwelt. Butoh ist eine emotionale Ausdrucksform, die asymmetrische Bilder von Sehnsucht und Leiden erzeugt…“, wie Langridge im Programmheft schreibt.

 

Nun, das ist sicher gut gemeint, stellt sich in der Ausführung dem Zuschauer aber nicht schlüssig dar. Vielmehr verwundert, wie losgelöst Tristan und Isolde von ihren eigentlichen Problemen und Emotionen agieren, was besonders auffällt, wenn Tristan im 3. Aufzug munter in Freizeitkleidung von Bett zu Bett wechselt, während Tadashi an der blutenden Wunde leidet… Auch Isolde darf keine Emotionen zeigen, als sie den sterbenden Tristan sieht. Sie darf sich ihm nicht einmal nähern. Schon Tristans Verletzung durch Melot zuvor fand als Standbild wie eine Pantomime statt. Im Prinzip emotionsloses Wagner-Theater…

Magdalena Anna Hofmann sang Isolde mit einem klangvollen, höhensicheren Sopran und stellte sie in den engen vorgegebenen Grenzen auch gut dar. Robert Künzli gab den schon leicht in die Jahre gekommenen Tristan mit einem etwas fest sitzenden Tenor mit wenig Breite, aber doch einem gewissen tenoralen Aplomb. Sehr gut war Shavleg Armasi als König Marke mit profundem Bass, während Monika Walerowicz mit der Brangäne stimmlich meist überfordert schien. Michael Kupfer-Radecky konnte als stimmstarker und agiler Kurwenal überzeugen, allerdings in übertriebener Soldatenuniform. Gagik Vardanyan gab einen guten Melot, und Marco Lee sang einen stimmschönen jungen Seemann. Richard Walshe hatte die Ehre, die vier Zeilen vor dem zur sonstigen Dramaturgie nicht passenden allzu heftigen Kampfgeschehen zu singen. Hier wirkte auch besonders albern, dass Kurwenal gegen fünf MG-bewaffnete Statisten mit seinem Schwert ankämpft und obendrein noch zu Tode kommt, ohne dass einer von ihnen einen Schuss abgegeben hat. Die MG-Soldaten bleiben dann auch beharrlich mit den Protagonisten beim Schlussapplaus auf der Bühne, etwas ungewöhnlich.

Konstantin Trinks dirigierte das Niedersächsische Staatsorchester Hannover mit Wagner-erfahrener Hand, aber etwas unterkühlt, was jedoch durchaus zum optischen Gesamteindruck passte. Die Herren des Chores der Staatsoper Hannover kamen aus Hygienegründen vom Band. In jedem Falle war es eine Wohltat, den nach der Kürzung verbliebenen Wagner vollständig zu hören, nach dem Erlebnis der Premiere der „Carmen“ in der Inszenierung von Barbora Horáková und der musikalischen Bei- und Vermischung durch Marius Felix Lange am Abend zuvor.

 

Fotos: Clemens Heidrich 1-2, 4-5; Thomas M. Jauk 3; Klaus Billand 6

 

Klaus Billand/23.11.2020

www.klaus-billand.com

 

 

 

CARMEN

Premiere am 24. Oktober 2020

Corona-Fassung

Evgenia Asanova

 

Es hilft nichts: Wenn man Oper erleben will, muss man sich zurzeit mit aufs Wesentliche konzentrierten, sprich: gekürzten Fassungen zufrieden geben. Auf Manches, wie z.B. auf große Chorszenen muss man verzichten oder zuvor Eingespieltes ertragen. In Hannover erlebte man nun tiefgehende Eingriffe in eine der Opern schlechthin, Bizets „Carmen“. Die Hausregisseurin der Staatsoper Barbora Horáková und Dramaturg Martin Mutschler haben die  Handlung deutlich reduziert, indem sie vor allem den 1.Akt änderten. So trifft Don José in Sevilla wohl eher zufällig auf die Freundinnen Frasquita, Mercedes und Carmen, in die er sich sofort verliebt. Sie ist so ganz anders als andere Frauen, die er bisher kannte. Anders auch als Micaëla, die von seiner Mutter aus dem baskischen Heimatdorf zu ihm geschickt wurde. Zwischen den beiden Frauen kommt es zum Streit, nach dem Micaëla vorgibt, Carmen habe sie verletzt. Den weiteren Fortgang kennt man aus der vollständigen Oper. Im Auftrag der Staatsoper hat der Komponist Marius Felix Lange mit einigen Modernisierungen und neu komponierten Überleitungen die Oper umgearbeitet. Im Graben saßen nun anstelle von Bizets großem romantischem Orchester nur 21 Instrumentalisten, die erstaunlich dichten Klang erzeugten. Dabei halfen allerdings die zusätzlichen Instrumente wie das Kontrafagott, Tuba, Vibraphon und Marimbaphon sowie jede Menge weiteres Schlagwerk. Dadurch gab es meist sinnvolle, manchmal auch weniger überzeugende Ergänzungen (ironisierende „Trompetenheuler“ im 3.Akt.). Höchst interessant waren das baskische Lied im 1.Akt, das der Komponist in das Duett von Micaela und José eingebaut hatte, und das besinnliche, wie eine Vokalise klingende Lied, das Carmen in „Caló“, der Sprache der spanischen Roma, sang.

Das Einheitsbühnenbild von Thilo Ullrich war ein von Stahlaufbauten umgebenes, teilweise von einer Leitplanke begrenztes Rund, das eine Art Arena suggerierte. Hier in einer der trostlosen Vorstädte Sevillas lungerten in moderner, fantasiereicher Kleidung (Eva-Maria Van Acker) ein paar junge Erwachsene herum. Dabei fiel negativ auf, dass die Regisseurin einen fast durchgehenden, nicht immer einsichtigen Aktionismus dieser Jugendlichen betreiben ließ, der vom Kern der Handlung zumindest teilweise ablenkte. So tobten sie z.B. mit dreirädrigen Gefährten mit Stierköpfen, mit Motorrädern und immer wieder mit Autoreifen und Getränkekisten herum, die sie von rechts nach links und umgekehrt platzierten; oder während der „Habanera“ wurde eine Filmszene gedreht (warum?).

Evgenia Asanova

 

Dazu kamen – meist zu längeren Arien der Protagonisten – Videos (Sergio Verde) mit Aufnahmen der gerade Singenden in verfremdeter Gestalt, deren Gestik sich nicht erschloss. Schließlich hörte man zeitweise von Schauspielern gesprochene Texte aus dem Off von Don José und Carmen, die einen Zusammenhalt des Ganzen herstellen sollten, was jedoch nicht gelang, zumal sie jedenfalls zu Beginn schlecht verständlich waren, da gleichzeitig mit der Musik gesprochen wurde. Eine weitere überflüssige Aktion war die als Stier verkleidete Carmen, die Escamillo bei seinem Auftrittslied umkreiste. Ein wichtiges Thema der Oper ist die Freiheit, die dadurch symbolisiert wurde, dass eine durch einen Scheinwerfer statt der Fackel in der Hand verfremdete Freiheitsstatue am rechten Bühnenrand aufgestellt war. Zur Darstellung der Freiheit von allen Zwängen gehörte wohl auch der Solotanz einer (fast) nackten Tänzerin zum Zwischenspiel vor dem 3.Akt. Noch ein Wort zu den sechs Tänzerinnen und Tänzern, die oft mit Mund-Nasen-Masken agieren mussten: In der lebhaften Choreographie von James Rosental boten sie im Sinne der vorwärtsdrängenden Dramatik des Stückes eindrucksvolle Tanzszenen, von denen der mit schwarzen großen Fächern spanische Folklore andeutende Tanz zum Zwischenspiel vor dem 4.Akt als besonders gelungen in Erinnerung bleiben dürfte.

Rodrigo Porras Garulo/Evgenia Asanova/Barno Ismatullaeva

 

Das internationale Ensemble der Staatsoper bot darstellerisch und sängerisch ansprechende Leistungen: Da ist zunächst die Carmen von Evgenia Asanova zu nennen; sie gefiel mit voll timbriertem Mezzo, mit dem sie allerdings – jedenfalls anfangs (Premierennervosität?) – nicht genau genug intonierte. Die vielschichtige Partie kommt für die noch junge Russin auch darstellerisch um Einiges zu früh, wirkte sie doch etwas ungelenk und eher wie ein nettes Mädchen ohne frauliche, erotische Ausstrahlung. Ihr Don José war beim Mexikaner Rodrigo Porras Garulo, neu im hannoverschen Ensemble, gut aufgehoben. Er setzte sich gestalterisch voll ein, was dazu führte, dass er seine tragfähige Stimme mit tenoralem Glanz bei den Spitzentönen so sehr an ihre Grenzen führte, dass man Sorge hatte, ob die Töne halten oder gar wegbrechen. Einen sehr positiven Eindruck hinterließ die Usbekin Barno Ismatullaeva, die mit ihrem in allen Lagen fülligen Sopran die Partie der Micaëla mit starker Ausdruckskraft und sicheren Höhen sang.

 


 

Germán Olvera

 

Der Mexikaner Germán Olvera versah den Stierkämpfer Escamilloim 4.Akt mit traditioneller Torero-Bekleidung mit der nötigen selbstgefälligen Eitelkeit und kam mit der tiefen Tessitura der Rolle gut zurecht. Die Argentinierin Mercedes Arcuri (Frasquita) überstrahlte mit beweglichem Sopran die Ensembles. Auch der helle, abgerundete Mezzo von Nina van Essen als Mercédès gefiel; beide überzeugten durch äußerst lebhaftes Spiel. Mit markantem Bass füllte Yannick Spanier den hier als Macho dargestellten Zuniga rollendeckend aus.

Der neue GMD des Hauses Stephan Zilias hatte den ganzen Apparat sicher im Griff und stellte mit klarer Zeichengebung die vielen dramatischen Ausbrüche ebenso ausdrucksvoll heraus wie die wegen des übertriebenen Bühnen-Aktionismus wenigen zurückhaltenden Momente.

Szenenapplaus ließ die gespielte Fassung kaum zu; nur nach Don Josés „Blumenarie“ und Micaëlas Arie im 3.Akt hielt das Orchester kurz inne, sodass starker Zwischenbeifall die jeweiligen Protagonisten belohnte. Am Schluss zeigte sich das Publikum begeistert, indem es bei allen Beteiligten, auch beim Regieteam, lang anhaltend applaudierte. 

 

Fotos: © Sandra Then

Gerhard Eckels  25. Oktober 2020

 

Weitere Vorstellungen: 29.10.+4., 10., 15.,20., 25., 27., 29.11. etc

 

 

 

DON GIOVANNI

am 26. September 2020

Don Giovanni als Einakter – Corona fordert seinen Zoll!

Sieben Stühle stehen abgestuft auf der Bühne der Staatsoper Hannover, dahinter ein Gazevorhang, hinter dem man wiederum das Orchester sieht. Man fühlt sich unmittelbar an die halbszenischen Produktionen von Gustav Kuhn in Erl erinnert. Tobias Mertke mit dramaturgischer Unterstützung von Julia Huebner war für die schlichte szenische Einrichtung verantwortlich, gemeinsam mit Marvin Ott auch für Bühne (Bühnenbild lässt sich ja nicht sagen) und die schlichten Alltagskostüme, Elena Siberski, für das stets szenengerecht eingesetzte Licht.

Und dann kommt alles recht kurz, 100 Minuten in einem Durchgang, also Mozarts „Don Giovanni“ als Einakter – ungewöhnlich. Aber die Corona-Hygieneauflagen sind in Niedersachsen offenbar so streng, dass man nicht nur auf eine Pause verzichtet, sondern auch das Parkett recht schütter besetzt. Der eine oder andere Platz hätte wohl noch genutzt werden können, wenn man beispielsweise an die Salzburger Festspiele denkt, bei denen bei einer bisweilen über fünfzigprozentigen Auslastung alles gut gegangen ist.

Trotz dieses szenischen Spartanismus entstand jedoch ein Opernabend mit enger gewissen Spannung und Homogenität, auch aufgrund des engagierten und dynamischen und dem „Don Giovanni“ voll gerecht werdenden Dirigats des jungen James Hendry, Erster Kapellmeister an der Staatsoper Hannover. Er schuf auch eine sehr enge Koordination mit den Sängern, die seinen Taktstock über Monitore vor ihnen am Rand des ursprünglichen Orchestergrabens sahen.

Germán Olivera war als typischer Latin Lover aufgemacht und gab den Don Giovanni mit einem geschmeidigen, aber nicht allzu großen Bariton. Sein Leporello, der Bass Shavleg Armasi wirkte für die Rolle zu alt, glänzte aber durch eine klangvolle Stimme mit großer Wortdeutlichkeit. Hailey Clark war eine stimmlich etwas flatterhafte Donna Anna, was sich aber im Laufe des Abends besserte. Einen guten Eindruck hinterließ sowohl stimmlich wie darstellerisch Anaik Morel als Donna Elvira die insbesondere mit ihrer klang- und charaktervollen sowie etwas abgedunkelten Mittellage überzeugte. Auch Nikki Treurniet konnte als Zerlina überzeugen, während Yannick Spanier als Masetto unscheinbar blieb. Daniel Eggert war in seine kurzen pantomimeartig gestalteten Todesszene ein Komtur mit klangvollem Bass. Long Long als Don Ottavio sang die berühmte Arie nicht als der übliche chancenlose Fantast mit beschränktem Realitätsvermögen. Mit einem kraftvollen und stabilen Tenor gestaltete er die Rolle mit weit mehr Gewicht und glänzte noch mit dem überraschenden Einschub eines hohen Cs! Von ihm wird man in anspruchsvolleren Rollen noch sehr viel hören.

In meinem Gespräch mit Sir Bryn Terfel anlässlich seines Pizarro-Debuts in „Fidelio“ auf der Kasemattenbühne Graz im August meinte er zu möglichen Veränderungen der Aufführungspraxis im Lichte der offenbar noch anhaltenden Corona-Krise meinte er: „Who knows, maybe the directors and most importantly the set designers have to change their ways just for a little while. Maybe, a couple of years where productions are very different and, maybe, bring back those one-act operas that we dearly love like “Il tabarro“, „Gianni Schicchi“, like Walton's „The Bear“, and others. These, perhaps, could be our saviours in the operatic realm to bring a sense of, maybe, having new commissions, maybe composers writing new operas.”

So interessant das Hannoversche Experiment mit der halbszenischen einaktigen Version des Zweiakters „Don Giovanni“ ist, so wenig sollte dies ein längerfristiges Modell für die Aufführung mehraktiger Opern und Musikdramen werden. Sie würden dann schnell von den Spielplänen verschwinden. Also: Entweder, oder! Von den großen Musikdramen Richard Wagners sollten Intendanten und Regisseure dann besser gleich die Finger lassen. Dass dies nicht gelingt, hat der Versuch des sog. „Colón-Ring“ 2012 am ehrwürdigen Teatro Colón in Buenos Aires bewiesen.

 

Klaus Billand/1.10.2020

www.klaus-billand.com

Fotos: Clemens Heinrich

 

 

SAISONVORSCHAU 2020 / 2021:

Musiktheater:

 

Die Griechische Passion (Martinu) – Premiere am 19.9.2020

(Dirigent: Valtteri Rauhalammi, Inszenierung: Barbora Horáková)

Teufelsküche (Kochoper von Moritz Eggert) – Premiere am 25.9.2020

(Dirigent: Giulio Cilona, Inszenierung: Julia Huebner)

Carmen – Premiere am 24.10.2020

(Dirigent: Stephan Zilias, Barbora Horáková)

Humanoid (Science-Fiction-Oper von Leonard Evers) – Premiere am 30.10.2020

(Dirigent: Maxim Böckelmann, Inszenierung: Tobias Mertke)

Sweeney Todd (Musical-Thriller von Stephen Sondheim) – Premiere am 4.12.2020

(Dirigent: James Hendry, Inszenierung: Theu Boermans)

Der Mordfall Halit Yozgat (Ben Frost) – Uraufführung im Schauspielhaus im

Frühling 2021 (Dirigent: Florian Groß, Inszenierung: Ben Frost)

Otello – Premiere am 25.3.2021

Dirigent: Stephan Zilias, Inszenierung: Immo Karaman)

Die Gänsemagd (Kinderoper von Iris ter Schiphorst) – Premiere am 20.5.2021

im Ballhof Eins (Inszenierung: Friederike Blum)

Lear (Aribert Reimann) – Premiere 22.5.2021

(Dirigent: Christoph Gedschold, Inszenierung: Joe Hill-Gibbins)

Cosi fan tutte – Premiere am 19.06.2021

(Dirigent: Michele Spotti, Inszenierung: Martin G. Berger)

 

 

Wiederaufnahmen:

 

Don Giovanni, Tristan und Isolde, Hänsel und Gretel, Und wie klingst du?, Heute Abend Lola Blau, La Juive, Kuckuck, Il barbiere di Siviglia, L‘elisir d’amore, Zählen und Erzählen, Dialogues des Carmelites, König Hamed und Prinzessin Sherifa, L’Incoronazione di Poppea, Die Zauberflöte, La Bohème, Der Freischütz

 

Ballett:

 

Rastlos (Choreografien von Lukás Timulak, Jiri Kylián und Juliano Nunes) –

Premiere am 8.11.20 (Dirigent: Valtteri Rauhalammi)

Der Liebhaber (Ballett von Marco Goecke) – Uraufführung am 23.1.2021

Nachtschwarz und Windschief (Choreografien von Shahar Binyamini, Paul Lightfoot & Sol León und Marco Goecke) – Premiere am 24.4.2021

 

Wiederaufnahmen:

 

3 Generationen, Nijinski, Beginning

 

 

 

MÄRCHEN IM GRAND HOTEL

Besuchte Aufführung am 23.01.20 (Premiere am 16.11.19)

Unterhaltung ist Trumpf

An großen Häusern, wie der Staatsoper Hannover, ist die Operette oft ein Stiefkind, doch in Hannover hat es sich eingebürgert, das man dem Publikum jede Saison eine Unterhaltungsproduktion beschert, ein Jahr ein Musical, ein Jahr eine Operette, was die Zuschauer auch begeistert annehmen. Auch die neue Opernleitung hält klugerweise daran fest und hat in ihrer ersten Saison auf eine mutige Rarität gesetzt und, es sei vorweggenommen, auf ganzer Linie gewonnen. Paul Abrahams Operetten erleben in den letzten Jahren eine erfreuliche Renaissance, nachdem "Viktoria und ihr Husar" und "Die Blume von Hawai" endlich rekonstruierte Versionen erlebten, die die sämigen Nachkriegsfassungen in die flotten Orginale veränderten. Hatte auch das relativ unbekannte "Ball im Savoy" über die Komische Oper Berlin den Weg in die Theater gefunden und taucht immer wieder in den Spielplänen auf. Der dortige Intendant, Barrie Kosky, setzt sich verstärkt für das Werk Abrahams ein und lässt als semikonzertante Aufführungen die Deutschen Erstaufführungen der Emigrationswerke, so 2018 "Märchen im Grand Hotel" und 2019 "Dschainah- das Mädchen vom Tanzhaus", aufführen. Semikonzertant bedeutet, die Musik über handlungserläuternde Sprechertexte. Das "Märchen im Grand Hotel" schien mir damals schon als besonders aufführenswert, so erfolgte am Staatstheater Mainz die erste (erfolgreiche) szenische Erprobung, in Hannover jetzt die zweite.
Die Handlung setzt sich aus zwei kurzen Rahmenakten in Hollywood und der Haupthandlung im Grand Hotel in Cannes zusammen. Filmproduzent MacIntosh hat Probleme, die seine Tochter Marylou als emanzipierte Frau lösen wird; sie begibt sich nach Cannes , wo sie auf exilierte europäische Aristokraten trifft. Die vertriebene spanische Infantin Isabella ist eigentlich mit dem österreichischen Prinzen Andreas Stephan verlobt; dahinein turbuliert sich der als Kellner inkognito arbeitende Hotelerbe (Finanzadel!) Albert und schnappt sich schließlich die verarmte Infantin, die zum Schluss in Hollywood Filmkönigin wird, ebenso wie die kesse Marylou den Prinzenboy. Dazwischen natürlich jede Menge Verwicklungen bis zum Slapstick von den großartigen Librettistenkönnern Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda mit viel Witz und Grazie geformt, da kann wirklich viel gelacht werden. Abrahams Musik wirkt in seinem Emigrationsstück (Wien 1934) etwas anders , als in seinen drei großen Berliner Erfolgsoperetten. Nicht ganz so aufpoliert ohrwurmträchtig, sondern etwas melancholisch verschatteter, vor allem was die vertriebene Infantin betrifft; das ist jetzt durchaus mein ganz subjektiver Eindruck.  
Natürlich reicht ein gutes Stück allein nicht zum Erfolg, sondern die gekonnte Umsetzung, die in Hannover wirklich in den allerbesten Händen lag. Stefan Huber hatte im letzten Jahr schon in Nürnberg "Ball im Savoy" und an der Komischen Oper Berlin "Roxy und ihr Wunderteam" von Paul Abraham zum Erfolg geführt und bringt an der Leine einen veritablen Kracher auf die Bühne, der zu ausverkauften Vorstellungen führt. Spritzige Dialoge, tolle Choreographien und eine klasse Ausstattung sind neben der professionellen musikalischen Umsetz Garant dafür. Timo Dentler und Okarina Peter gestalten schon die Reise von Hollywood nach Cannes und zurück zu einem echten Coup, die drei rotierenden Hoteltüren auf der Drehbühne geben immer wieder schnell kleine, verwandelbare Spielräume  frei, in denen sich die Handlung und Musiknummern in schönen Dreissiger-Jahre-Kostümen von Heike Seidler abspielt. Das besondere Bonbon sind allerdings die wunderbaren Choreographien von Andrea Danae Kingston mit ihrem hohen Stepanteil, die von den Solisten und acht Tänzern, die den ganzen Chor und fast alle Staffage ersetzen, ganz großes Kino, wie man es an Deutschen Theatern nicht oft erleben darf. Die Solisten sind eine gelungene Mischung aus Mitgliedern des Opernensembles und ausgewählten Musicaldarstellern, natürlich wird Sprache und Gesang vom Mikroport verstärkt, was in Hannover auf technisch gelungene Weise geschieht.
Valentina Inzko Fink befeuert als Marylou die Handlung unter den Adligen, was so ein bißchen an den Dichter in Rossinis "DerTürke in Italien" erinnert, mit keckem Charme gibt sie einen echten "Flapper" der Zwanziger Jahre. Ihr gegenüber die elitäre, mondäne Infantin Isabella von Mercedes Arcuri mit den weit ausschwingenden Melodiebögen auf fast opernhafte Art gesungen. Sie muß natürlich dem Herzenbrecher Albert verfallen; Alexander von Hugo erinnert mit jungenhaft dreistem Witz an Peter Alexander als Rößl-Leopold, seine Solostep-Nummer gehört eindeutig zu den Höhepunkten des Abends. An diesen drei Hauptdarstellern entzündet sich die Vorstellung und wird vom vortrefflichen Ensemble darumherum prima unterstützt: Carmen Fugiss als schräge Gräfin Inez de Ramirez und der irgendwie niedlich Prinz Andreas Stephan von Philipp Kapeller an erster Stelle, Daniel Eggert als Großfürst Paul, Ansgar Schäfer in Doppelrolle und Frank Schneiders als elegant gediegener Hotelier-Papa, ebenso wie Henrike Stark als Sekretärin Mabel und Andreas Zaron als Matard/Barry. Und natürlich die vielseitigen Tänzer in ihren verschiedenen Auftritten.
Carlos Vazques gelingt mit dem gutgelaunten  Niedersächsischen Staatsorchester Hannover genau der richtige "Sound" zwischen später europäischer Operette und frühem Broadway-Musical. Eine Vorstellung, die in ihren sämtlichen Komponenten stimmig ist und glücklich macht. Bitte rechtzeitig um Karten kümmern, denn selbst die Aufführungen innerhalb der Woche sind so gut wie ausverkauft.
 
Martin Freitag, 5.2.2020
Bilder siehe Premierenbericht weiter unten!
 
 

 

Il barbiere di Siviglia

Premiere am 18. Januar 2020

Toller Spaß

Mit einem Paukenschlag ging die Staatsoper Hannover mit der Neuinszenierung von Giacomo Rossinis wohl bekanntestem Werk in das neue Jahr! Das auf das wirbelige Lustspiel von Beaumarchais zurückgehende Stück bietet jedem Regisseur immer wieder Zündstoff für neue Ideen. So hat auch das Team um die Regisseurin Nicola Hümpel wirklich einen äußerst spannenden, unterhaltsamen Abend beschert, so dass die drei Stunden wie im Fluge vergingen. Mit wenigen Mitteln wurden größte Effekte erzielt: Das Besondere war die Verdoppelung durch fast durchgehend gleichzeitige, vergrößerte Wiedergabe der handelnden Personen durch Videos im Bühnen-Hintergrund. Die etwa aus einer Gasse auf beiden Seiten aufgenommenen Bilder der Akteure schienen den Zuschauer dann um ca. 45° gedreht direkt anzublicken, was einen extrem dichten Kontakt vermittelte. Für die Sänger war es sicher eine zusätzliche Erschwernis, dass sie nun wie in Fernsehen und Kino so dicht gezeigt wurden, dass man nicht nur die herausragende Mimik, sondern auch die Schweißtropfen der Höchstleistung erkennen konnte. Aber gerade die kleinen Gesten, Zwinkern, Stirnrunzeln, veschmitztes Lächeln etc. vermittelten sich dem Zuschauer so am Besten.

Sunnyboy Dladla/Frank Schneiders/Hubert Zapiór

Das Ballast-freie Bühnenbild von Oliver Proske war ideal zur Veränderung der Schauplätze. Köstlich war u.a. die Idee, Doktor Bartolos Haus mit überdimensionalen Pillen zu dekorieren, in denen dann auch das notwendige Briefpapier versteckt war, und vor allem das klappbare, weiße Klaviertasten-Sofa, für das ‚Don Alonso‘ die schwarzen Tasten mitbringt. Die flippigen Kostüme von Esther Bialas passten wunderbar zu dieser turbulenten Inszenierung, die ständig auf dem schmalen Grat zwischen Klamauk und Kunst balancierte, wobei der Spaß die Oberhand behielt.

Die musikalische Leitung lag in den Händen von Eduardo Strausser, der das gut disponierte Niedersächsische Staatsorchester zu differenziertem Spiel antrieb, aber auch lyrische Momente auskosten ließ. Entscheidend zu dem Riesenerfolg des Abends trugen jedoch die darstellerisch durchweg hervorragenden Leistungen der Sänger und Sängerinnen bei: Da ist zuerst der mit einem typisch leichten Rossini-Tenor begabten Südafrikaner Sunnyboy Dladla zu nennen, der durch großen Stimmumfang, sichere Höhe, perlende Koloraturen und gelungenes Legato im lyrischen Bereich bei bester Intonation bestach. (Als Alonso, „Schüler des Don Basilio“, hatte man ihn endlich einmal nicht wie sonst üblich genauso gekleidet wie seinen Lehrer, sondern in einen rosa farbenen Anzug gesteckt, der farblich das Futter der Jacke Basilios aufnahm.) Das neue Ensemble-Mitglied Hubert Zapiór machte als selbstverliebter Figaro, der viele witzige Kleinigkeiten beisteuerte, gute Figur; lediglich der Witz mit dem Gerät zur Kopfmassage wurde ein wenig überstrapaziert. Sein heller, durch alle Lagen gut ausgebildeter Bariton mit gelungenem Falsett passte gut zu den anderen Stimmen; ein Höhepunkt war natürlich seine Auftrittsarie, mit der er das Publikum zum ersten Begeisterungssturm hinriss. Ebenfalls neu am Haus ist Nina van Essen aus den Niederlanden, die als lebhaft agierende Rosina mit hellem intonationssicheren Mezzosopran entzückte; bei Una voce poco fa kamen auch die Lyrismen nicht zu kurz. Als heiratswütiger, sein Mündel streng bewachender Doktor Bartolo fügte sich Frank Schneiders rollengerecht in das Ensemble ein und überzeugte voll mit seiner großen Arie A un dottora della mia sorte.  

 

 

Mit sicher durch alle Lagen geführter Bassstimme gefiel als Don Basilio der Pole Daniel Miroslaw; sein La calunnia entwickelte sich entsprechend vom Lüftchen zum Sturm. James Newby aus Großbritannien ließ als Fiorillo mit weichem Bariton aufhorchen, ein Versprechen auf die Zukunft. Mit schlanker Stimmführung ihres kultivierten Soprans erfreute Carmen Fuggiss als komische Berta. Darwin Prakash (Offizier) ergänzte das muntere Ensemble passend.

Eine sichere Bank war der ausgeglichen klangvolle Männerchor (Lorenzo Da Rio), der hier als Terror-Sicherheitsgruppe agierte.

Das Publikum des offensichtlich ausverkauften Hauses bedankte sich mit anhaltenden Ovationen für alle Beteiligten, in die sich nur vereinzelte Negativstimmen mischten, die aber bald verstummten.

Fazit: Ein toller Spaß, den man nicht versäumen sollte.

 

Fotos: © Sandra Then

Marion Eckels  19.01.2020

Weitere Vorstellungen: 22., 24.01.; 2., 7., 15., 21.02.; 7., 15.03.; 30.04. etc.

 

 

MÄRCHEN IM GRAND HOTEL

Besuchte Vorstellung am 27. November 2019

Premiere am 16. November 2019

Es swingt und walzert

Valentina Inzko Fink/Ensemble

Auch die Staatsoper Hannover schwimmt nun auf der Paul-Abraham-Wiederentdeckungswelle mit, die die Komische Oper Berlin vor einigen Jahren in Gang gesetzt hat. Die Lustspieloperette „Märchen im Grand Hotel“ war nach der Wiener Uraufführung 1934 schnell von deutschen Bühnen verschwunden, weil die Stücke des Juden Paul Abraham (1892-1960) verboten waren. Nach der Mainzer Inszenierung im Vorjahr ist die in Hannover erst die zweite Komplettinszenierung des Werkes in Deutschland. Nun swingt und walzert es im Opernhaus, was das Zeug hält – und das macht richtig Spaß!

Es beginnt in einem der großen Filmstudios Hollywoods, wo der Filmproduzent Sam Macintosh (Ansgar Schäfer) verzweifelt nach einem Sujet für einen neuen Film sucht. Hier ebenso wie im Nachspiel ist Kulisse (Bühne: Timo Dentler und Okarina Peter) ein riesiger Vorhang, auf dem in bekannter Machart das Logo der „Universal Star Picture Ltd.“ prangt. Tochter Marylou Macintosh hat ihre eigenen Vorstellungen von einem neuen Stoff und findet in einer Klatschspalte Nachrichten über die im

Grand Hotel in Cannes abgestiegene spanische Infantin Isabella samt Gefolge. Marylou will nach Europa reisen, um diese echten europäischen Adeligen als Protagonisten für einen neuen Film zu gewinnen. Szenenwechsel zum Grand Hotel: Eine Palme deutet Cannes an, ein Tresen das Hotel. Auf der viel in Bewegung befindlichen großen Drehbühne gibt es drei kleinere mit Drehtüren versehene Spielorte, wo dann ein Schlafzimmer, das Foyer und andere Räume zu sehen sind. Hier trifft Marylou auf den Kellner Albert, der sich Hals über Kopf in die Infantin verliebt hat. Er ist natürlich kein heiratsfähiger Kandidat für sie, auch wenn schließlich herauskommt, dass er in Wahrheit der Sohn des reichen Hotelbesitzers Chamoix (bewährt Frank Schneiders) ist. Im Gefolge der Infantin Isabella befinden sich Großfürst Paul (Daniel Eggert), die Gräfin Inez de Ramirez (Carmen Fuggiss) und der für die Etikette zuständige Baron Don Lossas (witzig: Ansgar Schäfer). Der Verlobte der Infantin, der Wiener Prinz Alfred, ist dabei, der sich aber auch deutlich zu Marylou hingezogen fühlt. Nun geht es hin und her, bis sich die Paare „über Kreuz“ finden. Das ersehnte Happyend für den Film, zu dem sich letztlich die Protagonisten auch aus akuter Geldknappheit bereitgefunden haben mitzuwirken, wird erst im Nachspiel – wieder in Hollywood – gefunden. Jetzt stellt sich heraus, dass Albert inzwischen heiratsfähig geworden ist, weil sein Vater einen Adelstitel gekauft hat, während aus der Infantin der „normale“ Filmstar Isabella del Rio geworden ist.

Daniel Eggert/Philipp Kapeller/Ansgar Schäfer/Mercedes Arcuri/Carmen Fuggiss

Aus dieser Mischung von Hollywood, Hochadel und Hotelambiente, die gekonnt mit den Klischees des Genres spielt, haben der Schweizer Regisseur Stefan Huber und der Arrangeur Kai Tietje in Hannover ein flottes Lustspiel mit viel Musik und Tanz gemacht. Der Originalfassung mit einem bunten Mix aus Swing, Walzer, Tango, Charleston, Jazz und ungarischem Kolorit haben sie je ein tanzendes und singendes Damen- und Herren-Quartett hinzugefügt, die dafür sorgen, dass die Solo-Nummern fast unmerklich in flotte Tanzszenen und vor allem auch in mitreißende Steptanz-Nummern übergehen, wofür die australische Choreographin Andrea Danae Kingston verantwortlich war. Zu der stimmungsvollen Atmosphäre trugen ganz entscheidend die fantasiereichen, farbenfrohen Kostüme im Stil der 1930er-Jahre (Heike Seidler) und die sich unauffällig verändernde Licht-und Farbregie von Sascha Zauner bei.

Carmen Fuggiss/Alexander von Hugo/Mercedes Arcuri

Unter der temperamentvollen Leitung von Carlos Vázquez, der ein gutes Gespür für Schwung und Sentiment hatte, zeigte sich das Niedersächsisches Staatsorchester Hannover in glänzender Verfassung, das das Ensemble zuverlässig unterstützte. Gut gemacht war die dezente Verstärkung, die dafür sorgte, dass die amüsanten Dialoge mit ihren treffenden Pointen stets verständlich waren. Nun zu den weiteren Darstellern, die alle mit sichtlicher Spielfreude bei der Sache waren: Da gefiel mit rundem, tragfähigem Sopran als elegante und ein bisschen arrogante Infantin Isabella ein neues Ensemble-Mitglied, die Argentinierin Mercedes Arcuri. Isabella zugetan war der angebliche Kellner Albert, den Alexander von Hugo, inzwischen in der Musical-Szene zuhause, mit viel Spielwitz, einer schönen Singstimme und vor allem durch begeisternden Steptanz gab. Sein Widerpart, der Wiener Prinz Andreas Stephan, war bei Philipp Kapeller und seinem klaren Tenor gut aufgehoben. Valentina Inzko Fink war eine quirlige, manchmal etwas schrille, aber äußerst bewegliche, tanzfreudige Marylou.

Valentina Inzko Fink/Ensemble

Dann gab es da noch in kleineren Rollen, teilweise wie Carmen Fugiss und Frank Schneiders in Doppelfunktionen Andreas Zaron als Hoteldirektor und Henrike Starck als Mabel. Die tanzenden und singenden Dramaturgen, Sekretärinnen, Hotelangestellten und –gäste sollen wegen ihrer tollen Leistungen ebenfalls genannt werden; es waren Katrin Merkl, Miriam Neumaier, Shari Lynn Stewen, Julia Waldmayer, Kevin Arand, Christopher Bolam, Stephen Dole und Konstantin Zander.

Das Publikum im nicht voll besetzten Haus war zu Recht begeistert und bedankte sich bei allen Mitwirkenden mit starkem lang anhaltendem Applaus.

 

Fotos: © Ralf Mohr

Gerhard Eckels 28. November 2019

 

Nächste Vorstellungen: 7.,23.,29.,31.12.2019 und weiter im neuen Jahr

 

 

 

 

Zum Ersten

DIE JÜDIN

Besuchte Vorstellung am 24. September 2019

Premiere am 14. September 2019

Fulminant

Mit einer fulminanten, mehrere Zeitepochen überbrückenden Inszenierung von Halévys „Die Jüdin“ hat die Staatsoper unter Leitung der neuen Intendantin, der Amerikanerin Laura Berman, einen glänzenden Saisonstart hingelegt.

Von den 40 Opern des französischen Komponisten Jacques Fromental Halévy (1799 – 1862) kennt man heute eigentlich nur noch seine selten, in den letzten Jahren allerdings vermehrt aufgeführte Grand Opéra „La Juive“, deren Thema der Konflikt zwischen Christen und Juden und damit der Antisemitismus ist. Nach der Pariser Uraufführung 1835 war das Werk bis in die frühen 1930er-Jahre durchgehend auf den großen europäischen Bühnen zu erleben; anschließend unter der Nazi-Herrschaft durfte es nicht mehr aufgeführt werden, geriet aber auch danach in Vergessenheit. Erst ab 1988 wurde die Oper in Bielefeld (John Dew), Nürnberg und Dortmund wieder auf die Bühne gebracht; auf internationaler Ebene gelang der Durchbruch mit der Wiener Neuinszenierung 1999.

Zum Inhalt der im frühen 15. Jahrhundert zur Zeit des Konzils in Konstanz spielenden Oper: Weil der jüdische Goldschmied Eleazar auch am wegen der Konzilseröffnung verordneten christlichen Feiertag arbeitet, soll er als Ketzer bestraft werden. In einem Schnellurteil fordert der Bürgermeister Ruggiero den Tod für ihn und seine Tochter Rachel. Diese hat sich in einen Mann verliebt, der sich Samuel nennt und nur vorgibt, Jude zu sein, in Wirklichkeit aber der christliche Reichsfürst Léopold ist. Hinzu kommt, dass er mit Eudoxie, der Nichte des Kaisers, verheiratet ist. Aus Eifersucht denunziert Rachel ihren Geliebten als Verführer, und ein von Kardinal Brogni angeführtes Tribunal verurteilt das Liebespaar und Éléazar zum Tode.

Rachel lässt sich durch die flehentliche Bitte der Prinzessin Eudoxie zur Zurücknahme ihrer Anschuldigung gegen Léopold überreden und erwirkt damit seine Begnadigung. Sie selbst könnte durch Konversion zum christlichen Glauben am Leben bleiben, entscheidet sich aber für den gemeinsamen Tod mit ihrem vermeintlichen Vater. Im Augenblick ihres grausamen Todes im siedenden Wasserkessel enthüllt Éléazar dem früheren Magistrat und jetzigen Kardinal Brogni Rachels wahre Identität: Sie ist dessen verloren geglaubte Tochter, die Éléazar seinerzeit unbemerkt aus einer Feuersbrunst gerettet hatte. Während Éléazar triumphierend in den Tod geht, bricht Brogni zusammen.

Die Regisseurin Lydia Steier nahm die Eigenschaften einer „Grand Opéra“ ernst , indem sie einen ganz großen historischen Bogen schlug, um die traurige Zeitlosigkeit der Judenverfolgung zu dokumentieren, allerdings unter Weglassung des damals obligatorischen Balletts und in umgekehrter Reihenfolge: Im 1. Akt in den USA der 1950er-Jahre verdecken bunte Luftballons, ein protziger Straßenkreuzer und fröhliches Feiern Fremdenhass und Intoleranz. Samuel mit Elvis-Tolle und Kippa singt in Rock’n‘ Roll-Manier (zu originaler Gitarrenbegleitung von Halévy) ein Ständchen für Rachel. Anschließend geht es nach Deutschland, wo sich beim jüdischen Pessach-Fest zum Ende der Weimarer Republik die Konflikte zwischen Juden und Christen verschärfen, wenn Diffamierung und Überwachung die Oberhand gewinnen. Wenn im dritten Akt Rachel ihr Verhältnis mit dem Christen Léopold öffentlich macht, wird der Skandal um „Jud Süß“ Oppenheimer im barocken Württemberg zitiert, ohne dass ein Bezug zu diesem historischen Fall erkennbar wird. Über die Kerker der spanischen Inquisition 1492 gelangt man schließlich im 5. Akt zum spätmittelalterlichen Konzil in Konstanz, das als großes Volksfest gezeigt wird. Karren mit Zerrbildern von Juden werden durchgefahren, ein jüdischer Junge, der in den Bildern zuvor als stummer Zeitzeuge zu sehen war, liegt tot auf einer Holzpalette, an der die lüsterne Menge vorbei defiliert. Die Hinzufügung des Jungen mit einem christlichen Widerpart in nahezu jedem Bild wirkte allzu aufgesetzt. Bei der Hinrichtung muss Rachel, von aus dem 1.Akt bereits bekannten Mickymaus-Schergen begleitet, in einen Glaskubus mit kochendem Wasser hineinspringen.

Besonders beeindruckend sind die aufwändigen Bühnenaufbauten (Bühne und Video: Momme Hinrichs/fettFilm) und die detailreiche Kostümierung aller Beteiligten (Alfred Mayerhofer): Nach hinten wird die Bühne von einer großen hellgrauen, beweglichen Mauer begrenzt, vor der die auffallend lebhaften Ensemble- und Massenszenen spielen; Video-Einspielungen illustrieren unaufdringlich.

Die Regisseurin hat die handelnden Figuren sehr glaubhaft agieren lassen, so dass nicht nur im Ganzen, sondern auch in den privaten Szenen die eindringliche Spannung stets durchgehalten wurde.

Die musikalische Verwirklichung hatte beachtlich hohes Niveau. Die fünf sehr anspruchsvollen Hauptpartien waren mit zwei Gästen und teilweise neuen Ensemblemitgliedern besetzt. Die zentrale Figur Éléazar war Zoran Todorovich anvertraut, der als Gast an sein Stammhaus aus den 90er-Jahren zurückkehrte und die in jeder Beziehung schwierige Partie des religiösen Eiferers ungemein eindringlich gestaltete. Sein durchschlagskräftiger Tenor bewährte sich in den vielen hochdramatischen Passagen; von besonderer Güte war das wunderbar ruhig ausgesungene Gebet beim Pessach-Fest im 2.Akt. Kleinere Intonationstrübungen schmälerten den positiven Gesamteindruck seiner Leistungen nicht. Neu im Ensemble ist die Amerikanerin Hailey Clark, die in der Rolle der Rachel imponierte. Sie führte ihren fülligen Sopran sicher und ausdrucksstark durch alle Lagen und stellte die bis zum schaurigen Ende bedingungslos Liebende glaubwürdig dar. Die Ehefrau ihres Geliebten, Prinzessin Eudoxie, war die Argentinierin Mercedes Arcuri, auch neu im Ensemble. Sie ließ einen äußerst flexiblen, höhensicheren Koloratursopran hören und gefiel ebenfalls durch intensiv glaubhafte Gestaltung. Léopold alias Samuel war Matthew Newlin von der Deutschen Oper Berlin, der die gefürchteten, extremen Höhen der Partie mit seinem hellen, schlanken Tenor sicher beherrschte. Schließlich erlebte man als Éléazars Gegenspieler Kardinal Brogni den bewährten hannoverschen Bass Shavleg Armasi, dessen prägnante Darstellung und gekonnte Stimmführung einmal mehr überzeugte.

Mit sonorem Bass ließ das neue Ensemblemitglied Pavel Chervinsky als Ruggiero aufhorchen. Der russische Bass Yannick Spanier, seit 2017 in Hannover, ergänzte als Offizier Albert sicher. Mit prächtiger Klangmacht und bei aller Bewegungsvielfalt ausgewogenem Singen beeindruckten Chor und Extrachor in der Einstudierung von Lorenzo Da Rio.

Dass der lange Opernabend spannungsreich blieb und positiv in Erinnerung bleiben wird, lag auch ganz wesentlich an der musikalische Gesamtleitung von Constantin Trinks. Er hielt den großen Apparat mit präziser Zeichengebung gut zusammen und sorgte mit dem gut disponierten Niedersächsischen Staatsorchester mit gewaltigen Ausbrüchen und lyrisch sanften Tönen für kontrastreiches Musizieren.

Das Publikum im nicht voll besetzten Haus war begeistert und spendete allen Beteiligten starken, mit Bravos durchsetzten Applaus.


Fotos: © Sandra Then

Gerhard Eckels 25. September 2019

 

 

 

 

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