DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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MEININGEN

Bild 1: Marie Liebig

Bild 2: www.foto-ed.de/                       

https://www.meininger-staatstheater.de/

 

 

 

Gioachino Rossini

DER BARBIER VON SEVILLA

Premiere am 21. Oktober 2022


Dichtung von Cesare Sterbini

Regie und Inszenierung: Brigitte Fassbaender

Musikalische Leitung: Jonathan Brandan


Eigentlich ist der Inhalt recht banal und hundertfach Stoff von Opern und Operetten: Ein alternder Mann möchte ein junges Mädchen heiraten, wird aber von einem jungen Liebhaber und einem gewitzten „Helfer“ übertölpelt. Aber keine Sorge, hier entsteht kein blödelndes Verwirrspiel, in dem sich oberflächlicher Ulk an Ulk reiht, sondern eine Geschichte, so ehrlich und intensiv wie möglich, die von der Musik getragen wird. Brigitte Fassbaender gestaltet die skurrilen Charaktere ihrer Protagonisten und deren ganz persönliche Schicksale mit Tiefgang und einer Komik, die weniger die Lacher, sondern Mitfühlen provoziert. Da ist nichts dem Zufall überlassen, jede Mimik, jede Geste hat Sinn, nichts verwischt oder verschmilzt. Unaufdringlich aber glasklar zeigen sich die Wesenszüge der grundverschiedenen Personen nicht von ungefähr. Eine solche Regiearbeit gelingt nur, wenn alle Darsteller sich mit ihren Rollen identifizieren und deren Emotionen und Verhaltensweisen verinnerlichen. „Wir kamen uns vor wie in einer Meisterklasse, die von einer der ganz Großen geleitet wurde, mit Schwung, Esprit und auf Augenhöhe.“ Keiner konnte sich der Faszination und dem Charisma dieser Frau entziehen, die ihrerseits von der Qualität des Ensembles begeistert war.



Zusammen mit ihrem Komödienspezialisten Dietrich von Grebmer entwarf sie die Kostüme und ein Bühnenbild, das dem Schreiben huldigt und den Handykult außen vor lässt. Ein überdimensionaler alter Schreibtisch in dunklem Holz mit vielen Schubladen, Türen und höchst wandelbar mit zahlreichen Funktionen wird zum Haus Dr. Bartolis, in dem sein Mündel Rosina eingesperrt ist. Auf der Oberfläche liegen ein riesiger Stempel und ein Bleistift, die später tatsächlich kurios zum Einsatz kommen. Gleichzeitig fungiert der Ort als Terrasse und Treffpunkt. Ständig wird irgendetwas geschrieben: Briefe, Listen und Dokumente. Ein leuchtend gelber Briefkasten der spanischen Post am linken Bühnenrand wird immer wieder von verschiedenen Personen gefüttert, gestreichelt und regelmäßig geleert und während der Ouvertüre spurtet ein Postbotenballett in witzigen blau-gelben Kostümen über die Bühne.

Wenn gleich zu Beginn Figaro raumfüllend, umtriebig und souverän die Truppe niederknien lässt, um allen die Haare zu schneiden, wird schnell klar, wer hier die Fäden zieht. Lässig und cool verkörpert Johannes Mooser einen Tausendsassa mit einer solchen Intensität, dass er augenblicklich zum Publikumsliebling wird. Er strotzt vor Selbstbewusstsein – einerseits – fühlt sich aber auch sichtbar in der Pflicht, alles richtig zu machen. Schließlich soll er hier Schicksal spielen, was ihm nicht nur nebenbei auch einen schönen Profit einbringt. Für ihn gilt nicht: „Kleider machen Leute“. Im ausgeleierten T-Shirt, Aufschrift „Faktotum“, blauer Hose und Umhängetasche trägt er sich mit einer Selbstverständlichkeit zur Schau und sein gewaltiger Bariton beherrscht die gesamte Klaviatur dieser anspruchsvollen Rolle hinreißend und brillant. Nun gilt es, Graf Almaviva, der sich in Rosina verliebt hat, zu helfen, sie zu erobern und aus den Fängen Dr. Bartolos zu befreien. Figaro rät mit Erfolg zum Liebesständchen. Zart, fast schüchtern, singt sich Rafael Helbig-Kostka ins Herz der Angebeteten, die natürlich auch die Chance wittert, aus ihrem Gefängnis zu entkommen. Noch weiß sie nicht, dass ihr Verehrer ein Graf ist, er gibt sich als armer Student Lindoro aus. Obwohl sie von den Hausangestellten gut bewacht wird, schreibt sie dem Verehrer einen Brief und Figaro spielt den Postillon d’amour. Doch inzwischen erzählt Musiklehrer Don Basilio Dr. Bartolo, dass er wohl einen potenten Nebenbuhler hat. Mikko Järviluoto spielt diesen Intriganten grandios abstoßend. In schmuddeliger Priesterkutte, die schwarze Aktentasche stets verkrampft an die Brust gedrückt, verkündet er mit schleppendem Bass, dass man mit einer Verleumdung den anderen ausschalten könnte. Der Barbier besucht Rosina und alarmiert sie mit den Heiratsplänen ihres Vormunds. Sie ist entsetzt und gibt ihm einen Liebesbrief für Lindoro mit, was nicht unbemerkt bleibt. Tomasz Wija mimt den alten Bock Bartolo – schon rein äußerlich eine Zumutung für das junge Mädchen –  so authentisch widerlich, dass man gar nicht anders kann, als das junge Mädchen zu bedauern: ein Glatzkopf mit rotem Fransenhaarkranz im braunen Altmänneranzug, ätzend, streng und introvertiert, der vordergründig absolut nichts Liebenswertes an sich hat und seine Haushälterin begrapscht. Er beschimpft seine Braut, demütigt sie, die gelähmt vor Schreck und Ekel seine Tiraden über sich ergehen lässt… äußerlich. Sara-Maria Saalmann, dieses anmutig zierliche Geschöpf, verkörpert eine Rosina, die sich wohl zu wehren weiß und ihr Glück in die Hand nimmt. Ihre wunderbar klangpräzise Stimme modelliert alle Facetten an Emotionen und sie gibt hier ein erstaunliches Rollendebüt.



Die Idee, sich als betrunkener Soldat bei Dr. Bartolo einquartieren zu lassen, stammt natürlich von Figaro und glückt nur ansatzweise. Rafael Helbig-Kostka fühlt sich in dieser Rolle sichtlich wohl und zeigt als angeheiterter Tenor ein ganz besonderes Timbre. Der Hausherr fühlt sich bedroht, ruft die Wachen, die als Toreros erscheinen und ein Chaos veranstalten. Um einer Verhaftung zu entgehen, steckt der Graf dem Hauptmann, wer er wirklich ist. Das Finale des ersten Akts liefert ein Spektakel, bei dem fast das gesamte Ensemble auf der Bühne in Aktion ist und in rasendem Tempo spielt und singt – jeder für sich. Im zweiten Akt erscheint Almaviva, verkleidet als „barocker Musikus“, in Vertretung für den angeblich erkrankten Don Basilio im Hause Dr. Bartolos, um Rosina zu unterrichten. Sie spielt mit und während der Barbier den Hausherrn rasiert, mopst er den Balkonschlüssel, um die Flucht um Mitternacht zu ermöglichen. Zu allem Übel erscheint nun auch der angeblich erkrankte Don Basilio. Musik und Spiel gewinnen immer mehr an Drive, ständig singen alle gleichzeitig, die Ereignisse jagen sich. Bartolo entdeckt den Schwindel, bittet den Musiklehrer, den Notar zu holen, um schnell die Heirat mit seinem Mündel zu besiegeln.



Inzwischen macht Monika Reinhard als Haushälterin Berta ihren Gefühlen Luft: Mit perlender Koloratur setzt sie sich hochprofessionell in Szene. Ständig muss sie die derben Anzüglichkeiten ihres Chefs abwehren und für sie gab es noch immer wenig Glück in Liebesdingen. Auch sie schreibt Briefe und wartet, dass sie ihren Postboten bekommt. Bartolo sieht seine Felle davonschwimmen. Er erzählt Rosina, dass ihr Liebster eine andere hätte, die nun zutiefst verletzt, doch in eine Heirat mit ihm einwilligt. Gewitter, Sturm und Regen peitschen die Dramatik der Situation. Als wie verabredet Figaro und Almaviva kommen, um sie zu befreien, verstößt sie ihn. Da gibt er sich als Graf zu erkennen und sie gesteht ihm ihre Liebe. Figaro mahnt zur Eile. Genervt von dem Geturtel, will er seine Aktion zu Ende bringen. Don Basilio erscheint mit dem Notar und bevor Bartolo eingreifen kann, hat der Barbier die Heiratsurkunde für den Grafen und seine Braut unterschreiben lassen. Vergeblich ruft der Geprellte die Wachen, die Papiere sind gültig. Versteinert muss er zusehen, wie das Leben der anderen nun leuchtet: Berta bekommt ihren Postboten, Figaro genießt den Erfolg und ganz sachte bahnt sich auch für Don Basilio ein Hauch von Glück an. Ein scheuer Blick zum Notar. Ja, da finden sich gerade zwei Gleichgesinnte und ein Lächeln verzaubert dieses finstere Gesicht.



Im Finale entfachen Sänger, Chor und Orchester ein furioses Feuerwerk, Champagner fließt und alle empfinden Freude bis auf einen, dem das Ganze nun zu viel wird. Mit der Fernbedienung schaltet Dr. Bartolo Orchester, Bühnenspektakel und sogar das Publikum stumm. Dann branden nicht enden wollender Applaus und Begeisterung auf. Standing Ovations galten natürlich in erster Linie den Sängerinnen und Sängern, die mit einer scheinbaren Leichtigkeit die ausgefeilte Technik dieses exaltierten Gesangs mit einer umwerfenden schauspielerischen Leistung darboten. Brigitte Fassbaender hat mit diesem Ensemble eine „Geschichte“ erzählt, die Dirigent Jonathan Brandani mit der Meininger Hofkapelle zu großer Oper stilisierte. Fein abgestimmt auf das Bühnengeschehen untermalt die Musik, begleitet und trägt Emotionen und Handlung. Mit höchster Präzision und Werkstimmigkeit entstand hier eine musikalische Leistung der Spitzenklasse


Inge Kutsche


Fotos: Christina Iberl




Erich Wolfgang Korngold

DIE TOTE STADT

Premiere am 16.09.2022 im Staatstheater Meiningen

 

Meiningen im Sommer: Ein Banner mit dem Titel „Die tote Stadt“ sorgt für Irritationen. Eigentlich soll es an gewohnter Stelle auf die Spielzeiteröffnung mit dieser Oper hinweisen, könnte aber auch als Proklamation der Verödung dieser Stadt verstanden werden. Also: weg damit. Schade, denn die südthüringische Kleinstadt hat einen Herzschrittmacher, um den sie vielerorts beneidet wird: das Staatstheater Meiningen. Berühmt dafür, Außergewöhnliches und Anspruchsvolles zu bieten, bringt es Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ auf den Spielplan, die 1920 uraufgeführt wurde.

Inspiriert von Georges Rodenbachs Romanvorlage „Bruges-la-Morte“, komponierte er dieses Musikwerk, das ihn mit einem Schlag berühmt machte. Im Zentrum steht Paul, der sich ganz der Trauer um seine verstorbene Frau hingibt und nur noch in der Welt der Erinnerungen lebt.

 

 

Regisseur Jochen Biganzoli geht mit dieser Inszenierung neue Wege. Auf einer bühnenfüllenden überdimensionalen Leinwand zeigt ein Video die Vorgeschichte. Dazu erklingt der 3. Satz aus Korngolds „Symphonischer Serenade“ op. 39. Fast wie im „Tatort“ betritt ein Mann die Pathologie, wo er seine tote Frau zum letzten Mal sehen wird, um sich zu verabschieden. Die Nüchternheit des Raumes im kalten Licht, der Anblick der Toten, das versteinerte Gesicht des Mannes und die Schwere der Musik vermitteln all die Tragik des Verlusts. Die nächste Szene zeigt ihn am nackten Tisch, vor sich Brot und Käse in der Verpackung. Er weint. Bilder im Hintergrund zeugen von glücklichen Zeiten. In Wut und Verzweiflung zerstört er auf dem Bett einen Rosenstrauß. Dann sieht man ihn auf dem Friedhof, es regnet, der Blick fällt auf ein schlichtes Holzkreuz und im Hintergrund auf einen schmucklosen Wohnblock. Die Kamera fokussiert eine rote Rose, die am Boden liegt und verwelkt. Die letzten Szenen zeigen ihn in der Wohnung am Fenster, während der Regen rinnt. Später kauert er vollständig bekleidet in der Badewanne. Videokünstlerin Jana Schatz hat mit diesen Filmsequenzen die unendliche Verlassenheit und den bohrenden Schmerz so verdichtet, dass sich das Publikum dem nicht mehr entziehen kann.

 

 

Im ersten Bild hat der Zuschauer anfangs Mühe, sich in der Düsternis zu orientieren. Brigitta, Pauls Haushälterin, erzählt seinem Freund Frank, welchen Totenkult er seit Jahren betreibt. Nicht von ungefähr lebt er nach dem Verlust seiner Frau Marie im morbiden Brügge und empfindet seine Wohnung als „Kirche des Gewesenen“, in der er mit Bildern und Reliquien ein Schattendasein führt. Paul kommt nun von einem Spaziergang zurück, völlig aufgedreht, weil er einer Frau begegnet ist, die der Verstorbenen gleicht. Überzeugt, dass sie aus dem Totenreich zurückgekehrt ist, lässt er Rosen besorgen, die Bühne dreht sich und überall sieht man Bilder Maries. Pathetisch und aufwühlend gestaltet die Musik diese Euphorie und Erwartung. Frank beschwört ihn vergeblich, sich doch einer lebenden Frau zuzuwenden. Der Raum gewinnt an Licht und Farbe, Marietta erscheint ganz in Weiß, kokett mit Schirm, geschmeichelt, dass sie eingeladen wurde. Paul hält sie tatsächlich für Marie, sie lässt sich darauf ein und mit dem Lied „Glück, das mir verblieb“ singt sie sich nicht nur in sein Herz, sondern auch in das des Publikums. Die glanzvolle Partie beider Protagonisten in diesem Duett gehört zu den schönsten der Oper. Er kann sein Glück kaum fassen, während sie, die Tänzerin in einer Theatertruppe ist, über seine Gefühlsduselei lacht.

 

 

Inzwischen rufen die Schauspieler, ein munteres, frivoles und ausgelassenes Völkchen, schon von den Rängen nach ihr und stören damit die Zweisamkeit. Maries Bild erscheint, ein exaktes Pendant zu Marietta, die den faulen Zauber erkennt und in ihre Probe verschwindet. Marie erscheint und beschwört die Ewigkeit ihrer Liebe. Paul hat Schuldgefühle, ist aber der erotischen Ausstrahlung der anderen bereits verfallen. Nebel wallen, die Musik schrillt dramatisch und unterstreicht den Gewissenskonflikt. Waren bislang die Räume schwarz, durchziehen nun farbige Leuchtbänder die Wände. Brigitta heißt seinen Stimmungsumschwung nicht gut und ahnt, wohin das führt.

Im zweiten Bild sucht Paul nach Marietta und muss mit ansehen, dass sie eine Affäre mit Frank hat. Er lässt sich beleidigen und ist dennoch machtlos gegen ihre Sinnlichkeit und sein Begehren. Die nächsten Szenen stehen ganz im Zeichen des Lebens. Die ausgelassene Theatertruppe springt durch den Zuschauerraum, lacht, albert und mischt die tote Stadt auf. Lust, Freizügigkeit und Sex schockieren Paul, der ihnen bei der Theaterprobe zusieht. Auch Fritz, einer der Gaukler, ist seiner „Königin“ verfallen. „Mein Sehnen, mein Wähnen“ offenbart seinen Gemütszustand. Orchester und Chor im Hintergrund – wie in vielen Szenen – begleiten diese wunderbare „Schnulze“. Doch hier ist kein Raum für Sentimentalität. Die Gruppe fläzt am Boden, trinkt Sekt, futtert Käse und Trauben aus der Plastikpackung und probt dann orgiengleich im vollbesetzten Bett die Auferweckung einer toten Nonne. Im Hintergrund läuft ein Video: Paul und die schwangere Marie haben einen Autounfall… Er verachtet Mariettas Treiben und erklärt ihr, dass er sie nur wegen ihrer Ähnlichkeit mit der Toten begehrt. Das kränkt sie und sie versucht mit allen Mitteln, um ihrer selbst geliebt zu werden.

 

 

Im dritten Bild gestalten sich die Szenen immer surrealer. Marie und Marietta treffen aufeinander. Sie beschwört die Tote, loszulassen und zerreißt ihr Bild. Ein Kinderchor mit Puppen im Arm zieht vorbei. Sie sind Teil einer Prozession der Gläubigen. Paul ist ergriffen, zündet Lichter an. Marietta lässt das kalt. Paare mit einem Kind auf dem Arm schweben ein, dann Brautpaare, die Marie und ihn für die Hochzeit kleiden. Marietta will diesem Wahnsinn ein Ende bereiten, raubt das Haar der Toten und führt ein Spotttheater auf. Sie verhöhnt ihn wegen seiner Lust. Schuldbewusst, verzweifelt und wütend erwürgt er sie. Nun bettet er beide Toten nebeneinander. Im Tod gleichen sie sich ganz. Auf diese finale Eskalation steuern Handlung und Musik mit einer Intensität zu, dass man atemlos, mit Herzklopfen von Szene zu Szene mitgerissen wird. Fassungslos verfolgt man dieses hinreißende Schauspiel und die großartigen Stimmen beider Protagonisten. Und am Ende? Die Bühne dreht sich weiter – Paul liegt auf der Couch, erwacht und hat alles nur geträumt. Brigitta kündigt eine Dame an, die ihren vergessenen Schirm holen wolle. Frank möchte Brügge verlassen und den Freund mitnehmen, vergeblich. Mit Wehmut singt er ein letztes Mal: „Glück, das mir verblieb“. Wie zu Beginn endet die Oper mit einem Film: Man sieht ein riesiges Kornfeld – eigentlich schön. Ein Mann läuft weit hinein, verschwindet fast, zückt eine Pistole und schießt sich in den Kopf.

 

 

Paul geht währenddessen von der Bühne durch den Zuschauerraum hinaus. Nichts ist gut am Ende dieses Seelenstriptease und bohrende Gewissheit, dass nicht jeder über den Tod eines geliebten Menschen hinwegkommt, bleibt.

Korngolds Musik ist unwiderstehlich packend und hochemotional, ständig im Fluss, ein Wellengang mit Schaumkronen und Tälern. Schon jetzt zeigt sich seine Prädestination, Filme zu orchestrieren, nicht zur Untermalung, sondern gleichrangig mit Handlung und Inhalten. Dass die Sängerinnen und Sänger nicht untergehen, ist dem Dirigat Chin-Chao Lins und einer charismatischen Hofkapelle zu verdanken, die in höchster Professionalität und Empfindsamkeit die Hauptrolle spielt. Nuancenreich, pointiert und höchst dynamisch vermag sie mit expressionistischer Klangwucht, aber auch innig und geschmeidig dieses Seelendrama zu führen. Einfach fabelhaft! Musikkritiker neigen stets dazu, Neues zu sezieren und auf Elemente bekannter Komponisten hinzuweisen. Selbstverständlich war Korngold Schüler seiner Zeit und beeinflusst von Mahler, Richard Strauss und Puccini. Auch jeder Autor verwendet das ABC und erfindet es nicht neu. Aber der Facettenreichtum dieser Oper zeigt das Genie, alle Genres so passgenau zu platzieren, dass ein Original-Korngold entsteht.

 

 

Die Partien Pauls und Mariettas gehören zu den anspruchsvollsten der Opernliteratur und Charles Workman vollbringt diesen unglaublichen Kraftakt bravourös und hingebungsvoll. Er lebt diesen leidenden, psychopathischen Paul und seine Zugewandtheit zu beiden Frauen wirkt so realistisch, dass man hier mehr als Oper erlebt: großes Kino. Lena Kutzner springt in die Rolle der Marietta mit Brillanz und Professionalität. Sie ist als Gegenpol zu Marie lebenslustig, provokant, liebevoll, verletzend und verrucht. In ihrer vollkommenen Harmonie mit Handlung und Personen gehört sie zur Starbesetzung. Auch die Nebenrollen sind exzellent besetzt. Deniz Yetim singt die Partie der Marie mit einer gruseligen Intensität, die Gänsehaut erzeugt, die fast Heilige, Reine, die ihren Mann nicht loslässt. Tamta Tarielashvili verleiht Pauls Haushälterin Brigitta mit einer beeindruckender Stimme Persönlichkeit, sodass es fast schade ist, sie nur in wenigen Szenen zu erleben. Gleiches gilt für Tomasz Wija als Frank, der souverän und sonor einen Ruhepol darstellt. Johannes Mooser darf als Fritz seine sensible Seite zeigen und lyrisch geschmeidig von seiner Liebe zu Marietta singen: zauberhaft und bewusst übertrieben. Pfiffig, quietschlebendig und stimmlich einfach hervorragend mischt die Gauklertruppe die Traueratmosphäre auf.

 

 

Großes Kompliment an Monika Reinhard, Marianne Schechtel, Rafael Helbig-Kostka und Stan Meus. Auch wenn der Chor kaum zu sehen war, war er doch im Hintergrund stets präsent und die Kinderchöre am Ende der Oper waren eine gelungene Überraschung. Wolf Gutjahrs Bühnenbild mit fünf Kammern, entsprechend der fünf Buchstaben MARIE, besteht aus überwiegend schwarzen Räumen und rotiert in unaufhaltsamer Dynamik wie die Gedanken und Gefühle in Pauls Kopf. Das erschließt sich dem Zuschauer wohl erst im Nachhinein. Schwarz ist die omnipräsente Farbe, aber wenn das Leben nach Paul greift, kommt Farbe ins Spiel. Katharina Weissenborn unterstreicht mit schwarzen und weißen Kostümen Inhalt und Kulisse und verpasst den Statisten und Chören ungewöhnliche Details.

Korngold gab sein Debüt in Meiningen. Standing Ovations, nicht endender Applaus quittierten diesen großen Erfolg.

 

Inge Kutsche, 19.9.22

Fotos (c) Christina Iberl

 

 

Märchen mit leichtem Überschwang

Besuchte Vorstellung 19.06.2022                

Premiere 17.06.2022 (Besprechung runterscrollen)

„Die Zauberflöte“ wird in Meiningen sehr humorvoll dargestellt, vielleicht etwas zu sehr, was jedoch nach wie vor herausragt, sind die Stimmen, die wie immer mehr als beeindrucken

Das letzte Mal war ich mit meinen Freunden im Oktober 2020 in Meiningen, in der sehr schönen Aufführung vom „Märchen im Grand Hotel“. Und dann war praktisch kaum mehr ein geregelter Besuch möglich und so waren meine Freunde und ich mehr als glücklich, als wir wieder im voll besetzten Saal des herrlichen Theaters saßen. Die Rezensentin, Frau Inge Kutsche hat ja bereits ausführlich über die Premiere berichtet, so dass ich mich heute – für mich auf das Wichtigste bei einer Opern- oder Operettenaufführung – konzentrieren kann, die Sänger. Und hier kann man in Meiningen seit vielen Jahren, Gott sei Dank, aus dem Vollen schöpfen.

Ich persönlich, aber das ist ja das Schöne, dass es gerade in diesem Metier unterschiedliche Meinungen gibt, bin mit dieser Inszenierung nicht sehr zufrieden. Die vielen Gags sind zu umfangreich, die eigentliche Tiefe des Stücks wird mit lustigen Ideen förmlich überlagert und überspült und vor allem der arme Papageno muss seinem Pferd so viel Zucker geben, dass er einem fast schon leidtut. Sicher kann man das Stück zur „prall gefüllten Wundertüte“, wie es meine Kollegin ausdrückte, machen, aber wenn man zu viel in die Tüte hineinpackt, wirkt es überladen. Ich gebe gerne zu, dass ich etwas altmodisch bin, mir fehlt halt mein Glockenspiel, meine Zauberflöte – hier stehen sie stilisiert am Boden herum und werden ab und zu beleuchtet. Alles für mich zu bunt, zu schräg, zu abgehoben – und ja, auch zu wenig Mozart. Gut, das ist meine ganz private Auffassung (die im Bus zurück nach Bamberg aber von fast allen über 50 Mitreisenden geteilt wird). Dem Publikum im praktisch ausverkauften Haus jedoch hat es mehr als gefallen, prasselnder Beifall und viel Gelächter, ja sie sind von dieser Inszenierung sehr angetan.

Wenden wir uns jetzt jedoch dem eindeutig Positiven zu, der Musik und wie sie von Orchester, Chor und Solisten behandelt wird.

 

Sara-Maria Saalmann und Chor

Die Meininger Hofkapelle, für mich eines der besten Klangkörper in Deutschland, steht an diesem Nachmittag unter dem Dirigat von Harish Shankar. Und er gibt wieder einmal eine hervorragende Darbietung zum Besten. Mit leichter Hand führt er das gut aufgelegte Orchester durch alle Höhen und Tiefen der Partitur. Er arbeitet die unterschiedlichsten Töne eindrucksvoll heraus und ist auch den Sängern, wo es von Nöten ist, ein zurückhaltender Helfer. Die Hofkapelle lässt sich problemlos leiten und bringt wieder einmal eine eindrucksvolle Leistung auf die Bühne. Ja – und wie schon so oft müssen die Musik, das Orchester und die Sänger eine Inszenierung aus dem Feuer reißen – und das tun sie in bravouröser Art. Dieses Orchester ist einfach nur toll und ein herausragender Pluspunkt des Staatstheaters Meiningen.

Die gesanglichen Leistungen sind fast ausnahmslos, wie man es von Meiningen gewohnt ist, einwandfrei, eindrucksvoll und auf einem sehr hohen Niveau.

Sarastro wird von dem finnischen Bass Mikko Järviluoto dargeboten. Eindrucksvoll, mit vollmundigem, klangvollem, tiefschwarzem Bass versieht er seine Rolle würdevoll und durchschlagend. Auch gestalterisch gibt er der Figur die notwendige imposante Darstellung.

Als Tamino erleben wir den in Deutschland geborenen und in Nordkalifornien aufgewachsenen Rafael Helbig-Kostka. Sein heller, hoher, durchschlagskräftiger Tenor weiß mit stählernen Höhen und metallischem Einschlag zu gefallen und zu überzeugen, besitzt Schmelz und ein gefälliges Timbre. Auch spielerisch gibt er auf der Bühne eine gute Figur ab und weiß zu überzeugen. Sehr behend verkörpert er den liebestrunkenen Prinzen.

 

Sara-Maria Saalmann, Rafael Helbig-Kostka

Sara-Maria Saalmann gestaltet Pamina, die Tochter der Königin der Nacht. Die deutsch-spanische Sopranistin ist ein wahrer Glücksfall für Meiningen, denn erst seit dieser Spielzeit ist sie hier Ensemblemitglied. Vor Beginn der Vorstellung wird sie wegen einer stimmlichen Indisposition entschuldigt und man harrt der Dinge, die nun kommen. Mit strahlend leuchtendem, gefühlvollem und nuancenreichem Sopran weiß das zierliche Persönchen mehr als zu gefallen. Mit weichem Einsatz und Koloraturen, die wie an einer Perlenschnur aufgereiht sind, bringt sie mit ihrem klangvollen, ausdruckstarken Sopran die Zuhörer zu Beifallsstürmen. Und man fragt sich, wo die Einschränkungen liegen. Es ist auch nicht im Geringsten ein stimmliches Problem zu erkennen, eine wunderschöne überzeugende Darstellung, dieser nicht unbedingt leichten Partie. Hoffen wir, dass sie noch recht lange in Meiningen bleiben wird.

Die Königin der Nacht wird gesungen von der blutjungen deutschen, in Passau geborenen Sopranistin Laura Braun. Sie debütiert mit dieser Rolle in Meinungen – und wie. Mit einer für ihr Alter unglaublich abgeklärten Leistung bringt sie das Publikum zum Kochen. Blitzsaubere Koloraturen, messerscharf abgeliefert, ohne jegliche Furcht vor der Höhe, so atemberaubend, dass man bei ihrem Vortrag praktisch die Luft anhält. Für eine Debütantin eine Spitzenleistung. Auch hier kann man nur hoffen, dass Meiningen erkennt, welches Juwel es hier besitzt und sie so schnell nicht wieder weglässt.

Johannes Mooser, der den Papageno gibt, ist in Marktoberdorf geboren, auch er ist das erste Jahr in Meiningen engagiert. Er besitzt einen weichen, durchschlagskräftigen und flexiblen Bariton, den er publikumswirksam einsetzt. Er bringt einen sympathischen Papageno auf die Bühne und kann gesanglich auf jeden Fall voll überzeugen. Leider sind die albernen Momente, für die er nichts kann, die ihm von der Regie aufgezwungen werden, in seinem Fall etwas zu umfassend und beeinträchtigen damit seine sonst sehr gute Leistung. Aber auch das ist wieder meine persönliche Meinung, das Publikum hat sich überwiegend auf die Schenkel geklopft. Auch er stellt auf jeden Fall eine Bereicherung des Meininger Ensembles dar.

 

Johannes Mooser, Stan Meus, Sara-Maria Saalmann

 

Als seine Papagena steht Monika Reinhard auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Die in Oberhausen geborene junge Sopranistin ist seit 6 Jahren am Staatstheater Meiningen. Die leider recht kleine Rolle gestaltet sie mit blitzsauberem, glockenhellem, weichem und leichtem Sopran, mit ihrem fröhlichen, kecken Spiel verzaubert sie nicht nur ihren Papageno. Ein rundum gelungener Auftritt.

Ein Urgestein aus Meiningen steht als Monostatos auf der Bühne. Der polnische Tenor Stan Meus, der seit fast 23 Jahren auf der Bühne in Meiningen agiert, kann auch hier voll überzeugen. Er setzt seinen hellen, klaren und energischen Tenor klangsicher ein und dass er darstellerisch und komödiantisch eine außergewöhnliche Begabung ist, weiß das Publikum in Meiningen zu schätzen und gibt ihm den wohlverdienten reichlichen Beifall.

Selçuk Hakan Tirasoglu ist als Sprecher eine beeindruckende Gestalt. Verstärkte durch riesige Schule füllt er (fast) die Bühne bei seinen kurzen Auftritten aus. Beeindruckend stimmgewaltig kann er, der sein Musikstudium in Ankara verbracht hat und ebenfalls die erste Spielzeit in Meiningen ist, entsprechende Akzente setzen.

Ganz hervorragend auch das doppelte Damenterzett. Einmal die drei Damen der Königin der Nacht, Deniz Yetim, Tamta Tarielashvili und Marianne Schechtel, die stimmlich ohne Fehl und Tadel, total aufeinander eingespielt und überzeugend agieren und so einen recht großen Teil zum positiven Eindruck dieser Aufführung beitragen. Dann die reizenden drei Knaben, voller Lausbubigkeit und Spielwitz in Gestalt von Sophia Greiwe, Eva Möritz und Siba Veran. Sie bringen das Publikum wirklich zum Schmunzeln und man merkt ihnen an, wieviel Spaß und Freude ihnen ihr Auftritt bringt – und das können sie auch zum Publikum transportieren

Pedro Arroyo und Tomasz Wija runden als 1. und 2. Geharnischter/Priester die Ensembleleistung voll deckend ab und alle erhalten zu Recht langanhaltenden verdienten Applaus.

Schlussapplaus mit Dirigent Harish Shankar

 

Manfred Drescher, 26.10.2020              

Fotos 1 – 3 Marie Liebig; Foto 4 Eigenaufnahme

 

Die Zauberflöte

Premiere am 17.06.2022

Regie und Inszenierung: Achim Freyer

Diese „Zauberflöte“, so viel sei schon vorweggenommen, ist eine wahrhaft prall gefüllte Wundertüte voller Überraschungen. Schon bevor sich der rote Vorhang öffnet und die Ouvertüre an Fahrt aufnimmt, lugen die ersten Gestalten hervor, schneiden Grimassen und deuten mit ihren Faxen an: „Nehmt alles nicht so ernst, Schalk und Witz kitzeln euch gerade dann, wenn ihr es nicht erwartet.“ Herrlich verrückte und ausgefallene Kostüme, eine Welt aus faszinierenden Farben und Licht, die Mozarts Musik Konkurrenz macht, magische Figuren, mal echt, mal aus Plüsch oder Pappe, und eine perfekte Besetzung bezaubern und begeistern. Selbst wenn man Achim Freyers Zauberflöte fünfmal sieht und hört, wird man nicht genügend Zeit, Augen, Ohren und Geist haben, diese Vielzahl an kuriosen Details überhaupt zu entdecken oder ihren Sinn zu hinterfragen. Und das muss man auch nicht.

Die Musik ist keinesfalls Basis. Sie spielt ihre eigene Rolle und steht oft im Gegensatz zur Handlung. Sie baut Spannung auf, schlägt mit Wucht zu, besänftigt, deutet Entwicklungen an, schmeichelt oder verstört. Harish Shankar und die Meininger Hofkapelle sind einfach unvergleichlich gut. Hochvirtuose Arien mit abenteuerlichen Koloraturen neben Strophenliedern und Chorälen bilden den Spagat zwischen Oper und volkstümlichem Singspiel. Ausnahmslos alle Sängerinnen und Sänger identifizieren sich mit ihren Rollen und verkörpern sie mit großartigem Spiel und Gesang. Tamino steckt in einer riesigen, plumpen schwarzweißen Hose, und hat recht wenig von einem Prinzen. Auch Pamina wirkt in einem blauen Rock mit weißer Bluse schlicht und zierlich und nicht wie eine Königstochter. Ganz anders Papageno. Was versteckt sich in der Aufgeblasenheit seiner überdimensionalen grünen Latzhose und was bedeutet seine Schildkappe mit gewaltigem rotem Entenschnabel? Großmaul, Kleingeist oder ist er einfach einer, der aus dem Bauch heraus handelt und lebt mit ganz menschlichen Bedürfnissen? Nicht zufällig trägt später Papagena ein ähnliches Outfit. Auf den ersten Blick edel und eindrucksvoll erscheint die Königin der Nacht im blauen Gewand, unter dem sich aber ein teuflisch rotes Catsuit versteckt. Lange Krallen symbolisieren, wozu sie fähig sein kann. Die drei Damen in ihrem Umfeld agieren wie Feen mit kunstvollen Frisuren in blauen Samtgewändern und die drei Knaben stecken in bunten Pumphosen, jede anders. Sarastro wirkt in seinem gelben Gewand und Strahlenkranz wie ein Gott, dessen Größe durch Plateauschuhe noch gewinnt. Ihm huldigen, ganz in hellen Anzügen mit sonnengelben Frisuren und Sonnenbrillen, seine Anhänger im Sonnentempel. Auch der Sprecher ist eine respekteinflößende Gestalt im langen Talar mit eindrucksvollem Kopfputz. Monostatos, der Oberaufseher, darf als Schwarzer in tiefrotem orientalischem Tuch auftreten und sein Gesicht weist Zebrastreifen auf. Warum wohl?  

Diese Inszenierung gibt Gas, verkommt aber nicht zur Revue. Denn der dreidimensionale Bühnenraum bleibt konstant: drei riesige aufgemalte Türen in warmen Rot-, Pink- und Ockertönen, vor und hinter denen sich alles abspielt. Keine unnötigen Accessoires lenken ab und so ruht der Blick stets auf den Akteuren. Auch deren Kostüme wechseln nicht, mit Ausnahme des Chors.

Achim Freyer ist ein Magier, der mit Farben, Licht, märchenhaften und allegorischen Elementen zaubert, den hyperpräsenten Figuren Leben einhaucht und sie beleuchtet. Aber bevor sich der Zuschauer emotional ansprechen lassen und binden kann, bricht die Momentaufnahme schon wieder ab. Ähnlich wie in Brechts „Epischem Theater“ bleibt er damit Beobachter und darf selbst beurteilen, was er sieht. Freyer nimmt seiner „Zauberflöte“ die Bedeutungsschwere durch ein feinsinniges Gleichgewicht der düsteren und hellen Ereignisse. Mit Humor, Ulk und viel Komik verlieren Bedrohungen, Leid und Ängste ihren Schrecken. Auch werden keine Personen in Schubladen gepresst. Hier gibt es nicht die Guten oder die Bösen, nicht die Idealtypen. Selbst Sarastro hat am Ende Flecken auf seiner Weste und seine Krone ist um einen Zacken ärmer. Es menschelt und keiner richtet sich in seiner Lebenseinstellung ein. Alle sind auf dem Weg und auf der Suche. Die Älteren scheinen zu wissen, was zählt. Sie legen den Jüngeren Zwänge und Prüfungen auf, die sie mutig übernehmen, aber mit einem Ziel, das deren Vorstellung von Leben dann doch nicht entspricht und sie verschwinden.

Ganz wunderbare Gags und Ideen verleihen dem Stück einen besonderen Liebreiz, wenn bunte Vögel an Schnüren auf die Bühne purzeln oder Sarastro von zwei riesigen Löwen begleitet wird, deren Gesichter so eindrucksvoll und bedrohlich wirken, aber dann ihre roten Zungen rausstrecken und sabbern. Phantasievolle Zaubertiere erscheinen und ein Spielzeugflugzeug überbringt Nachrichten. Am Ende lugt Papagenos Vogelschwänzlein noch aus der Hose, denn er will ganz viele Kinder und Papagena liefert: Fünf langbeinige Stoffküken darf er aus ihrem Hosenlatz zu Tage fördern.

Vielleicht kringeln sich Mozart und Schikaneder vor Lachen, wenn sie vom Himmel auf die vielen Inszenierungen samt schlauer Interpretationen blicken, wo sie sich doch kaum etwas von dem dabei gedacht hatten, sondern sich nur mit dem Wiener Publikum einen großen Spaß erlaubten. Aber Achim Freyers Meininger Version dürften sie Respekt zollen, weil er ihr Original weiter gedacht hat und die Wundertüte ist längst noch nicht leer.

 

Inge Kutsche

Fotos: Christina Iberl

 

 

LOHENGRIN

Premiere am  22. April 2022

Wagners Romantische Oper in werktreuer Interpretation

Vor mittlerweile 21 Jahren inszenierte Christine Mielitz am Staatstheater Meiningen, das damals noch anders hieß, in Bühnenbildern des berühmten Wiener Bildhauers Alfred Hrdlicka Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“. Das war eine weithin beachtete Produktion, vor allem wegen Hrdlickas Bühnenbildern sowie guter sängerischer und musikalischer Leistungen. Der damals noch wenig bekannte Meininger Chefdirigent Kirill Petrenko, der ein Jahr später an die Komische Oper Berlin wechselte, stand am Pult und ließ einen wunderbaren Wagner-Sound aus dem Meininger Graben zaubern. Nur vier Jahre nach diesem „Ring“ übernahm Ansgar Haag die Leitung des Meininger Staatstheaters und hielt diese bis 2021 inne. Zum Abschluss dieser langen Zeit inszenierte er nun den „Lohengrin“ des Bayreuther Meisters, der - wie später auch Cosima Wagner - schon damals die hervorragenden Meininger Orchestermusiker in signifikanter Zahl zu den Bayreuther Festspielen einlud.

Ein Ort also mit großer Wagner-Geschichte! Und historisch mutet insbesondere auch der 1. Akt der Neuinszenierung d e r Romantischen Oper Wagners an, die Thomas Mann einmal als „Ein herrliches Stück! Der Gipfel der Romantik möchte ich sagen“ bezeichnete. Äußerst löblich zunächst, dass während des so wunderbaren Vorspiels, welches Peter Tschaikowsky als „vielleicht das gelungenste, inspirierteste Stück Musik aus Wagners Feder“ beschrieb, bis kurz vor Schluss der Vorhang unten bleibt und man sich also geistig und emotional in die Thematik des Stückes einfinden kann. „Es führt uns in das Reich des Lichtes, der Wahrheit und der Schönheit, aus dem der Ritter Lohengrin zur Rettung der schönen, verleumdeten Elsa herabgestiegen ist“ schreibt Tschaikowsky völlig nachvollziehbar weiter. (Wenn man dabei an den neuen „Lohengrin“ von Wieler, Morabito und Viebrock bei den Osterfestspielen Salzburg in diesem April denkt, kann einem ganz anders werden…).

Als sich der Vorhang langsam hebt, sehen wir durchaus passend auf eine entwurzelte alte Gerichtseiche und den langsam aus dem Hintergrund nach vorn kommenden Chor der Brabanter, unnötigerweise mit allzu vielen Stühlen beschäftigt. König Heinrich, der von Selcuk Hakan Tirasoglu mit einem offenbar schon weit über seinen Zenit gekommenen Bass verkörpert wird, lässt den stimmlich guten und bestimmt auftretenden Heerrufer Tomasz Wija nach dem Ritter für Elsa rufen. Ab dessen Ankunft kommt endlich etwas Bewegung in das bis dahin allzu statische und rampenorienterte Geschehen auf der Bühne, welches bei allen Vorbehalten gegen jüngere regietheatralische Exzesse auf der Wagner-Bühne doch allzu stark in die andere, mehr als konservative Richtung ausschlägt. Denn nun sind auch zwei exzellente Rollenvertreter auf der Bühne. Während die junge Lena Kutzner als Elsa schon mit ihrem „Einsam in trüben Tagen…“ einen guten vokalen Eindruck machte, kommt mit Magnus Vigilius ein äußerst persönlichkeitsstarker Lohengrin auf die Bühne. Dass er dann Telramund mit der Hand an dessen Gurgel auf der Gerichtseiche fixiert - nachdem dieser noch ein paar Dehnungsübungen an ihr vollzogen hat - mag zwar inhaltlich passend, optisch aber nicht die beste Option für die von Andris Plucis choreografierte Kampfszene gewesen sein, die an das koreanische Taekwondo erinnerte.

Mit Elsa und Lohengrin hat die Inszenierung nun aber sofort zwei Stars, die auch bestens miteinander harmonieren und auf die sich - so wie es ja auch sein sollte - in der Auseinandersetzung mit der ebenfalls sehr persönlichkeitsstarken Sabine Hogrefe - einst Brünnhilde in Detmold - als Ortrud und ihrem gegängelten Ehemann Telramund Shin Taniguchi forthin alles konzentriert. Und damit nimmt dieser „Lohengrin“ von Ansgar Haag mit dramaturgischer Unterstützung von Julia Terwald in den im Laufe des Abends immer ausdrucksvoller werdenden Bühnenbildern von Dieter Richter und auf die heutige Zeit aktualisierten Kostümen von Kerstin Jacobssen dramaturgisch ebenso wie dramatisch an Fahrt auf. Im 2. Akt ist ein Erker des Münster sinnhaft in Schwarz zu sehen, und der 3. Akt wird von einem großen Gemälde der „Toteninsel“ von Arnold Böcklin dominiert, bereits zu Beginn den traurigen Charakter des Finales erahnen lassend. Mit den vier Charakteren Lohengrin, Elsa, Ortrud und Telramund sowie einer mit der Assistenz bei der Chorregie von Konstantin Ostheim-Dzerowycz und der musikalischen Einstudierung von Manuel Bethe der im „Lohengrin“ so wichtigen Chöre - hier ganz exzellent Chor, Zusatz- und Extrachor des Staatstheaters Meiningen - versteht es Haag auf nachvollziehbare Weise, die zentrale Thematik des „Lohengrin“ mit einer im Laufe des Abends immer zwingender werdenden Personenregie und Wagners Vorstellungen in Treue ergeben zu vermitteln.

Magnus Vigilius, der bisher nach seinem Bayreuther Froh in der Castorf-Produktion 2013 auch schon den Parsifal und den Siegmund gesungen hat, verkörpert den Lohengrin viel aktiver, man möchte sagen exekutiver, als andere Rollenvertreter, mit einer charakterlich stark in seiner Mission verankerten, gleichwohl aber auch hochemotional gestalteten Interpretation. Diesem Lohengrin kann man alles glauben, was er sagt, er wirkt äußerst authentisch und damit souverän. Es ist spannend, Vigilius bei der tragischen Entwicklung seiner scheiternden Mission zu folgen. Dabei verfügt er über einen bestens geführten, eher schlanken hell timbrierten und dennoch ausdrucksstarken Tenor mit einer lyrischen Note und viel legato. Das kommt dem astralen Charakter des Schwanenritters auch mit der absoluten Höhensicherheit des Sängers sehr entgegen. Dabei setzt Vigilius stets eine Mimik ein, die der jeweiligen Situation vollkommen entspricht. Die junge Lena Kutzner hat ein jugendlich natürliches Vibrato, einen herrlich aufblühenden Sopran. Sie singt schöne lange Bögen und kann ihn ebenfalls, auch in tieferen Lagen, bestens zur jeweiligen Situation facettieren. Damit erreicht sie großen Ausdruck in ihrem auch sehr engagierten Spiel. Ihre Diktion ist ebenfalls sehr gut. Sicher darf Kutzner, die fest in Meiningen engagiert ist, nun Aufwind für künftige Elsa-Besetzungen bekommen.

Mit Sabine Hogrefe kommt die Dunkelheit des bösen Gegengewichts gegen das Traumpaar nahezu beängstigend ins Spiel. Auch von Kostüm und Maske her an eine Azucena erinnernd, vermag Hogrefe mit ihrem dunkel schattierten und äußerst variationsreichen sowie sehr wortdeutlichen Sopran die Schlinge um Elsa immer enger zu ziehen und dabei den Ehemann als Werkzeug einzusetzen. Das Thema Rache steht bei dieser Ortrud im Zentrum allen Denkens. Mit ihr erhielt der Abend weitere Spannung. Es war auch einmal erfrischend zu erleben, wie sie nach ihrem triumphalen „Fahr heim…“ im Finale erst spät den jungen Gottfried neben sich gewahrt und damit als endgültige Verliererin tot in sich zusammensinkt.

Shin Taniguchi gibt den Telramund sehr agil, lässt es aber etwas an stimmlicher Prägnanz vermissen. Im 3. Akt wird dem König nur noch seine Jacke vorgelegt - eigentlich auch eine gute Idee! Homogen treten die vier Brabantischen Edlen Horst Arnold, Matthias Richter, Ilja Schwärsky und Sang-Seon Won auf. Die vier Edelknaben Katharina Fulda, Dana Hinz, Jisun Oh und Heidi Lyn Peters machen stimmlich im Brautgemach sehr guten Eindruck. Das Vorspiel zum 3. Akt läuft erfreulicherweise ebenfalls vor geschlossenem Vorhang.

Der Meininger GMD Philippe Bach leitet die Meininger Hofkapelle mit Wagner-erfahrener Hand. Im Vorspiel klappt es noch nicht so ganz mit den Streichereinsätzen, was aber schnell besser wird und im 2. und 3. Akt zu einer großartigen musikalischen Leistung gerät. Das Vorspiel zum 3. Akt hat diese dunkel dräuende Note, die man sich von einer Ortrud dieses Kalibers erwarten kann. Jenes zum 3. Akt zeichnet sich durch eine überschwängliche Dynamik aus, bei der wie auch sonst an diesem Abend der große Bogen mit einem hohen Maß an Emotion stimmt. Ganz hervorragend erklingen die Fanfaren von den oberen Proszeniumslogen, fehlerfrei! Und auch die so kompliziert zu einer harmonischen Leistung zusammenzuführende Verwandlungsmusik im 3. Akt, auch schonmal als das „Pferdegetrappel“ bezeichnet, bei dem selbst berühmte Dirigenten schon aus dem Tritt kamen, war bei GMD Bach in sicheren Händen. Ein guter „Lohengrin“ in Meiningen.

Fotos: Christina Iberl

Klaus Billand/17.5.2022

www.klaus-billand.com

 

 

 

Ludwig van Beethoven

FIDELIO

Gastspiel des Freien Modern Music Theatre Kiev 

04.05.2022

Hochpolitisch und hochemotional

So einfach zur Tagesordnung überzugehen, wird wohl keinem gelingen, nicht dem Meininger Theater, nicht dem Publikum und erst recht nicht dem Ensemble des „Freien Modern Music Theatre Kiev“. Mitten im Krieg zeigt diese kleine Truppe Kulturschaffender, dass es nicht nur Millitäreinsätze, Waffenlieferungen und Milliardenhilfen braucht, sondern auch Empathie, Glauben an das Machbare, helfende Hände, Herzen und Köpfe. Intendant Jens Neundorff von Enzberg und Regisseur Andrey Maslakov sind Ausnahmetypen mit überwältigendem Charisma, Tatkraft und unerschütterlichem Optimismus. Sie überwanden bürokratische, logistische, technische und finanzielle Hürden, um mit diesem Spontanprojekt zu zeigen: „Geht doch“!

 

 

Eigentlich sollte Maslakovs „Fidelio“ schon 2020 im Beethovenjahr aufgeführt werden, was pandemiebedingt ausfiel. Erst am 12. Februar war Premiere, dann kam der Krieg und damit wieder das Aus für die Oper. Dank glücklicher Fügung und Hilfe von höchster Ebene gastiert das Ensemble nun in Deutschland.

Der Regisseur verlegt die Handlung in ein KGB-Gefängnis zu Zeiten stalinistischer Diktatur. Er bezeichnet seine Inszenierung als ein Symbol für Tyrannei und interpretiert den Stellenwert von Wahrheit und Freiheit anders als in der Originalversion des Komponisten. Die Dialogfassung ist volksnah, teils witzig, teils zotig, aber auch nüchtern oder pathetisch und den Charakteren augenfällig angepasst. Die Arien belässt er in deutscher Sprache, doch die gesprochenen Dialoge ursprünglich in ukrainischer. Aber es war dem Ensemble ein Anliegen, auf die Schnelle  alles übersetzen zu lassen und einzustudieren. Was für ein Kraftakt!

 

 

Zur Ouvertüre wird auf riesiger Leinwand eine Video-Collage in Schwarzweiß eingespielt, die die Vorgeschichte von Leonore und ihrem Mann Florestan, seine politische Agitation für Wahrheit und Freiheit, seine Verfolgung und Verhaftung in rascher Abfolge zeigt. Sie verkleidet sich als Mann, gewinnt das Vertrauen des Kerkermeisters Rocco, der einen Gehilfen gut gebrauchen kann. Seine Tochter Marzelline findet den hübschen „Fidelio“ weitaus attraktiver als ihren Möchtegernverlobten, den Pförtner Jaquino.

1. Aufzug

Das erste Bild zeigt die Hauptkulisse einer surrealen Gefängnisszenerie mit einer Mauer und farblich interessanten schroffen Hintergrundwänden. Im Vordergrund hantiert Marzelline im grünroten Dirndl fidel und quirlig in einer winzigen Küche, nachdem sie wohl gerade eine Gans gemeuchelt hat. Die Einrichtung der Gefängniswohnung ist spartanisch: Ein grünes Sofa, ein alter Tisch und ein desolates Klo, das tatsächlich benutzt wird, vermitteln zwar Schmuddelatmosphäre, aber durch Farbtupfer nicht unbedingt Tristesse. Der Pförtner Jaquino jammert, weil er endlich Marzellines Ja-Wort und am liebsten gleich mit ihr schlafen möchte. In einem ersten Duett wird schon klar, dass er wenig Chancen hat, denn sie ist scharf auf Fidelio und macht ihm gewaltig Avancen. Ihr Vater Rocco, geprägt von Alter und ödem Beruf, lobt den Jungen, der ihm eine wertvolle Hilfe ist. Im Quartett besingen alle ihre Wünsche, Hoffnungen und ihren Kummer. Der Kerkermeister sitzt auf dem Klo, säuft und ist über die Wahl seiner Tochter nicht unglücklich. Da erscheint Don Pizarro, der Gouverneur des Staatsgefängnisses, und kündigt eine Kontrolle durch den Minister an, der von angeblichen Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen der Gefangenen gehört hat.

 

 

Er hat dafür gesorgt, dass Florestan halbtot im tiefsten Kerker sitzt, weil dieser seine üblen Machenschaften ans Licht bringen wollte. Nun bietet er Rocco Geld dafür, den Gefangenen umzubringen, damit er seinen Posten behalten kann. Der weigert sich, muss aber wenigstens das Grab ausheben und Pizarro hat vor, den Widersacher selbst zu töten, um sich zu retten. In einem zweiten Bild tritt eine Gruppe von Männern in weißen Hemden mit Holzspeeren auf, die auf Sandsäcke einstechen, wohl als Symbol für Soldaten, die weder Uniform noch Waffen haben. Im nächsten Bild zieht Fidelio die Männerkleidung aus. Brustbinde, Penis und Mütze sind lästig. Yuliia Alieksieieva darf für einen Moment wieder Leonore sein. Jetzt erst kann sie ihre wundervolle Stimme entfalten, wenn sie in ihrer Sorge um ihren Mann, den sie bisher noch nicht sehen durfte, anrührend von Trost und Hoffnung singt, von Liebe, die Grausamkeit überwinden soll, der Hintergrund wird ganz in rotes Licht getaucht. Später kann sie Rocco überreden, die Gefangenen doch einmal an die Luft zu lassen. Vom Licht geblendet, ungläubig ob des Guten, was ihnen da widerfährt, singen sie im Chor von Lust und Hoffnung auf Freiheit. Doch da zieht im Hintergrund ein riesiges Bild Stalins auf. Man weiß, „er lauscht mit Ohr und Blick“, Sirenen ertönen, Lichtkegel rotieren und Pizarro ist wütend. Er lässt die Männer zusammentreiben und von seinen Schergen erschießen… zu Stalins heutigem Geburtstag.

 

 

2. Aufzug

Florestan liegt angekettet im tiefen Kerkerloch. Er hadert nicht mit seinem Schicksal, weil er die Wahrheit aussprach und sich dafür einsetzte, die menschenverachtenden Machenschaften Pizarros publik zu machen. In einer plötzlichen Vision erscheint ihm ein Engel, der Leonore gleicht, es wird hell um ihn. Serhii Androshchuk beeindruckt mit kraftvoller Stimme voller Emotionen. Hier winselt kein Halbtoter, nein, hier zeigen sich Inbrunst und Freiheitskampf auf anrührende Weise. Inzwischen sind Rocco und Fidelio dabei, in dem Verlies eine Grube auszuheben, es stinkt, ein Haufen von Fäkalien muss weggeräumt werden, Abflussrohre in Form eines Kreuzes muten grotesk an, metaphorisch für den Kreuzigungsplatz Christi. Lebt der Gefangene noch? Ja, und er zweifelt inzwischen am Sinn, die Wahrheit gesagt zu haben, statt sich in einem Leben in „Freiheit“ eingerichtet zu haben. Doch schon kommt Pizarro als Rächer, zückt das Messer und will Florestan töten. Fidelio wirft sich dazwischen, gibt sich als Leonore zu erkennen und ist wild entschlossen, sich für ihren Mann töten zu lassen. Da kommt Jaquino in schneidiger Uniform, berichtet von einem Regierungsumsturz und er und Rocco „kümmern“ sich um den Schurken. Das endlich wieder vereinte Paar singt in „namenloser Freude“ ein Duett, das eigentlich als überschwängliches Happy End verstanden werden könnte. Da werden plötzlich auf überdimensionaler Leinwand Archivaufnahmen eingeblendet . Das Publikum wird schier bombardiert mit den Schlächtern der Welt, ihrem Sturz und den Hoffnungsträgern für Demokratie und Freiheit, doch gleich rollen wieder Panzer. Dazwischen laufen immer wieder Ausschnitte aus Tschaikowskys Ballett Schwanensee . Es ist mucksmäuschenstill im Publikum. Man hält den Atem an und sieht und weiß: Nichts wird besser. Im Finale erscheint Don Fernando, ein Freund Florestans, der sich als demokratischen Senator feiern lässt und den Gefangenen die Freiheit schenkt. Er sonnt sich im Licht der Medien, während im Hintergrund Pizarro an den Galgen gezerrt wird. Leonore befreit ihren Mann, Marzelline, kein Kind von Traurigkeit, tröstet sich schnell und wendet sich nun wieder in Ermangelung eines anderen Jaquino zu. Noch einmal ist der Fokus auf die jubelnde Menge gerichtet, die mit der gewonnenen Freiheit allerdings kaum umzugehen weiß.  Da erscheint plötzlich Leonore mit einem Maschinengewehr und erschießt sie. Zurück bleiben am Rande „lesende Blinde“. Demokratie erscheint als Utopie.

 

 

In einem langen Filmabspann werden noch einmal alle Akteure gezeigt, aber auch sämtliche guten Geister, die diese Vorstellung möglich gemacht haben, verbunden mit einem riesigen Dankeschön.

Diese Aufführung hat trotz ihrer Brutalität Charme. Der Regisseur wollte mit seiner Interpretation eine Oper für alle schaffen und Leute ins Theater locken, die noch nie da waren. Deswegen verzichtete er auf Pathos, gab Humor, Witz und Frivolem Raum. Marzelline und Rocco sind einfache und normale Menschen, die ihre „Bedürfnisse“ zeigen und sich auch ordinär verhalten dürfen. Leonore und Florestan sind eigentlich Idealisten, die aber scheitern. Bei Jaquino, Don Fernando und Pizarro finden sich Opportunismus und Machtgier.

Im ersten Akt spürt man noch etwas von Anspannung und Aufregung. Die Stimmen wirken verhalten, als könne man es noch immer nicht fassen, tatsächlich hier auf einer Bühne zu stehen. Der helle Sopran Olha Fomichovas gewinnt aber schnell an Klangfarbe, und sie verkörpert als Marzelline amüsant eine kecke, quirlige junge Frau, die sich einen Mann angeln will. Sie gurrt und quengelt, schmachtet und wirbt, ganz wie es die Rolle verlangt. Tenor Vitalii Ivanov mimt zunächst sichtlich gequält und ärgerlich den verschmähten Liebhaber Jaquino, dreht jedoch im zweiten Akt auf. Ausdrucksstark, souverän und schneidig zeigt er äußerlich wie stimmlich Format. Der Situation im ersten Akt geschuldet, muss Yuliia Alieksieieva als Fidelio anfangs ihre Stimme nüchtern und sparsam einsetzen. Aber welch eine Überraschung bietet sie als Leonore mit makellosem leidenschaftlichem Sopran. Töne der Liebe, des Schmerzes, der Wut und der Enttäuschung, kraftvoll oder leise, beweisen ein großes Talent.

 

 

Oleksandr Kharlamov schlüpft in die Rolle des Kerkermeisters Rocco und vermittelt in gutmütigem Bass Gelassenheit, Verlässlichkeit und verschafft sich gewitzt seine Vorteile, eine sympathische Figur. Bariton Dmytro Kyrychek kommt als zynischer und grausamer Bösewicht Pizarro schneidend und markant auf den Punkt. Ganz anders fleht er mit dünner Stimme am Galgen um sein Leben. Tenor Serhii Androshchuk setzt seine gewaltige Stimmstruktur als Florestan virtuos ein… und das nach Wochen im Kerkerloch. Jevgen Malofeiev als Don Fernando gibt sich in feinem, geschmeidigem Bariton so, wie es sein Amt verlangt. Verstärkung für den Meininger Chor kam vom Landestheater Coburg, das den „Fidelio“ im Repertoire hat. Unglaublich, dass nach nur kurzer Probenzeit musiktheatralisch so eine Harmonie zustande kam. Ein großes Kompliment gilt der Meininger Hofkapelle, die ebenfalls unter großem Zeitdruck Beethovens Oper einstudieren musste. Kraftvoll und grell, pathetisch oder zart erklang starke und berührende Musik aus dem Orchestergraben. Dass die Fanfare zum Machtwechsel aus dem Rang ertönte, war besonders eindrucksvoll. Als Zeichen der Verbundenheit beider Nationen dirigierte der Ukrainer Sergii Golubnychyi den ersten Aufzug und der Meininger GMD Philippe Bach den zweiten.

 

 

Was sich am Ende abspielte, wird wohl keiner so schnell vergessen. Diese hochpolitische und hochemotionale Vorstellung und die Wahnsinnsleistung des Ensembles trotz Krieg und Angst verdient größten Respekt und Bewunderung. Trotz widrigster Umstände und Ungewissheit, ob dieses Projekt überhaupt stattfinden kann und darf, hat sich diese kleine Truppe in ein Abenteuer gestürzt, von dem man noch nicht weiß, wie es ausgeht. Die Visa laufen in Kürze ab. Werden sie verlängert oder müssen sie zurück und die Männer zum Wehrdienst? Dürfen sie zu weiteren Gastspielen nach Coburg, Siegen, Heidelberg oder in andere Städte? Tief bewegt und begeistert spendeten die Zuschauer nicht endenwollenden Applaus. Sichtlich bewegt und erleichtert lagen sich Intendant Jens Neundorff von Enzberg und Regisseur Andrey Maslakov in den Armen. Hier zeigte sich, dass Kultur Schrecken überwinden und Brücken bauen kann.

Inge Kutsche, 8.5.22

Bilder: Christina Iberl, Anastasia Maslakova/Yurii Veres

 

 

LOHENGRIN

Premiere am 22.04.2022 Staatstheater Meiningen

 

 

Wenn der Schwan krank wird und ausfällt, ist das nicht so tragisch und ein Ersatz schnell gefunden. Trifft es aber wenige Wochen vor der Premiere den Ritter Lohengrin, ist das schon eine mittlere Katastrophe. Was für ein Glück, dass Intendant Jens Neundorff von Enzberg so gut vernetzt ist und den dänischen Tenor Magnus Vigilius nach Meiningen herbeizauberte.

Wer Wagner bislang scheute, ob seiner angeblichen Schwere der Musik, der anspruchsvollen Inhalte und der überlangen Aufführungen, dem sei Ansgar Haags Inszenierung empfohlen. Fast fünf Stunden lang versetzt sie das Publikum in Hochspannung durch eine Musik, die emotional packt und Bilder schafft, mit großartigen Sängerinnen und Sängern, die auch exzellente Schauspieler sind. Die vollendete Harmonie zwischen Orchester und Handlung, Figuren und Bühnenbildern machen staunend sprachlos.

 

 

Düster beginnt der erste Aufzug. Es ist die Zeit des politischen Vormärz. Der revolutionäre Versuch, eine deutsche Republik zu gründen, ist gescheitert. König Heinrich mahnt in diesen unsicheren Zeiten zur Einheit und beschwört Bürger und Heer, Geschlossenheit und Kampfeswillen zu zeigen. Düster wirkt auch der Raum der Versammlung: alte Stühle, Palastwände mit verblassten Farben, ein bedrohliches Hintergrundbild und eine umgestürzte riesige Eiche. Graf von Telramund erscheint und bezichtigt Elsa von Brabant des Mordes an ihrem Bruder Gottfried. Nach dem Tod des Fürsten konnte der Graf die erste Frau im Herzogtum nicht gewinnen und heiratete stattdessen Ortrud, die sich aus dieser Ehe Macht und Reichtum versprach. Nun bittet er den König zu richten. Elsa verteidigt sich nicht, wirkt seltsam entrückt und erzählt von einem Ritter, der sie tröstete. Frauen scharen sich um sie, der König zweifelt an ihrer Schuld und Telramund hat keinen Beweis. Ein Gottesurteil soll nun entscheiden. Selcuk Hakan Tıraşoğlu verkörpert vom ersten Augenblick an würdevolle Autorität. Der Wirkung seiner kolossalen volltönenden Stimme kann sich keiner entziehen. Sein Auftreten wirkt bestimmt, seriös und wahrhaft königlich. Seine Haltung, frei von Emotionalität und Parteinahme, bestärkt die Akzeptanz.

 

 

Ganz anders spielt Bariton Shin Taniguchi den missgünstigen Lügner Friedrich von Telramund mit fieser Mimik und Gestik und gestaltet perfekt den negativen Touch. Im flatternden schwarzen Mantel mit hohem Kragen, von schmaler Gestalt, hat er etwas Windiges und Teuflisches an sich. Lena Kutzner im weißen schlichten Gewand verschmilzt mit der Rolle der Elsa und singt so berührend und innig von dieser Begegnung mit dem rätselhaften Fremden, dass sie alle in ihren Bann schlägt. Sie verspricht ihm Land, Krone und Ehe, wenn er kommt und sie rettet. Tatsächlich wird ihr Hilferuf erhört und Lohengrin erscheint in gleißendem Licht, begleitet von einem imaginären Schwan. Magnus Vigilius ist nicht nur optisch die erste Wahl für diesen edlen Ritter. Blond, hochgewachsen und schlank, in weißem Anzug, strahlt er Reinheit und Größe aus. Auch seine Stimme, markant, aber fein, kultiviert und wohl verständlich, passt wunderbar zu Elsa. Er verspricht, für sie im Kampf gegen Telramund anzutreten und bittet sie außerdem, seine Frau zu werden, doch nie darf sie nach seinem Namen und seiner Herkunft fragen. Überglücklich stimmt sie zu, er besiegt den Grafen und schenkt ihm aber sein Leben. Außerdem versichert er dem König seine Gefolgschaft als Schützer von Brabant. Mit einem großartigen Chorfinale endet der erste Teil. „Was wäre der Lohengrin ohne Chor? – Nix!“, konstatierte der Intendant am Ende. Fast in jeder Szene ist er präsent in wechselnden Rollen und keinesfalls uniformen Kostümen. Faszinierend zart und fast unbemerkt setzt er ein, gewinnt an Volumen und steigert sich, flüstert, brüllt, jubelt und fungiert als Volk, Heer oder Hochzeitsgesellschaft. Manuel Bethe und Konstantin Ostheim-Dzerowycz schufen diese Basis mit ihren Sängerinnen und Sängern in Vollendung. Zwar hat der Heerufer des Königs nur eine Nebenrolle, doch Tomasz Wijas feste Stimme und sein Auftreten signalisieren Autorität, Ordnung und Stärke. 

 

 

Zu Beginn des zweiten Aufzugs befinden sich Telramund und seine Frau, geschockt von ihrem Pech, vor der riesigen schwarzen Tür des Palasts. Großartig spielt er den Gedemütigten, der nun erkennt, was sie für ein böses Weib ist, das ihn nur wegen ihrer eigenen Machtambitionen benutzt hat. Sabine Hogrefe treibt hier als Ortrud ein Spiel par excellence. Hexengleich beherrscht sie alle Facetten der Manipulation und besticht schon optisch mit roter Mähne und schwarzbuntem Gewand. Unbeeindruckt von seinen Vorwürfen schwingt sie sich in ihrer Rachsucht zu einer Größe auf, der Telramund nichts entgegenzusetzen weiß. Der Facettenreichtum ihrer gewaltigen Stimme reicht vom abgründig Tiefen bis zu schrillen Höhen. Sie ist die lebendigste und schillerndste Figur und zieht die Fäden. Sie pusht den Grafen, nicht aufzugeben, sondern einen Weg zu finden, Lohengrins Geheimnis zu lüften. Raffiniert spielt sie Elsa die gebrochene Frau vor, die alles verloren hat, erweckt Mitleid und wird aufgenommen. Geschickt sät Ortrud erste Zweifel an der Integrität Lohengrins, doch noch ist Elsas Vertrauen stärker. Am nächsten Tag verkündet der Heerufer die Verbannung Telramunds. Gleichzeitig laufen die Hochzeitsvorbereitungen an. Alles scheint gut zu werden. Der Hochzeitszug formiert sich. Männer in eleganten Anzügen und Damen in zauberhaftem Grün, der Farbe der Hoffnung und Erneuerung, sammeln sich. Als Elsa das Münster betreten will, erscheint Ortrud als flammende Furie im roten Gewand, die für sich als Ranghöhere den Vortritt beansprucht. In die Enge getrieben beschuldigt der Graf den Ritter der Zauberei und verlangt die Offenbarung von Herkunft und Namen. Die Dramatik der Ereignisse wird – typisch Wagner – durch beeindruckende Naturszenen nach Caspar David Friedrich verstärkt. Lohengrin ist nun in einem Dilemma, Chor und Orchester steigern die Spannung, aber Elsa steht zu ihm und auch der König ist von seiner göttlichen Reinheit überzeugt.

 

 

Im dritten Aufzug vermittelt ein kunstvoller Prospekt mit Zypressen, Grotten und Wasser italienisches Flair. Während beschwipste Hochzeitsgäste das Fest noch genießen, „Treulich geführt“ erklingt, ist das Ehepaar glücklich, endlich allein zu sein. Doch Elsa plagen Zweifel und Ängste, Lohengrin wieder zu verlieren. Sie will ihn schützen können und ihn beim Namen nennen. Sie beschwört ihn, wenigsten ihr sein Geheimnis zu verraten. Da stürzt plötzlich Telramund ins Hochzeitsgemach und er ersticht ihn. Die liebliche Kulisse verschwindet und eine schroffe, bedrohliche Felsenküste signalisiert schon das Unheil. Inzwischen formiert sich das Heer, das der Schützer von Brabant in den Kampf führen soll, Fanfaren erklingen. Doch es kommt anders. Lohengrin bekennt sich des Mordes an Telramund schuldig, aber der König verurteilt ihn nicht. Da verkündet der Ritter nahezu emotionslos den Schwurbruch Elsas und ist bereit, seine wahre Identität als Gralsritter und Sohn Parzivals zu offenbaren. Damit ist sein Schicksal besiegelt. Er muss zurück in das Reich der Mystik. Schon zieht der Schwan heran, aber Lohengrin verspricht die Rückkehr des totgeglaubten Bruders. Elsa stirbt, auch für Ortrud gibt es kein Weiterleben. 

Tatsächlich verwandelt sich der Schwan in den Jungen, der die Herrscherinsignien erhält und alle huldigen dem neuen Herzog von Brabant.

 

 

Ansgar Haag hat die richtige Art gefunden, diese Oper so zu erzählen, dass sie der Idee Wagners treu bleibt, aber darüber hinaus noch mehr Modernität wagt. Er richtet den Fokus auf Ortrud, die alte Werte und Religion in Frage stellt und weit emanzipierter agiert. Sie ist die Schlüsselfigur für den Umbruch in Politik, Religion und Gesellschaft. Noch scheitert sie. Das Publikum dankt ihm, dass es keine abstrakt öden und farblosen Schauplätze ertragen muss, sondern in faszinierenden Räumen mit bestechenden Motiven diese wundervolle Musik erleben darf. Bühnenbildner Dieter Richter kombiniert traditionelle Elemente mit modernen, lässt Farbe und Licht spielen und erzeugt weit mehr als einen stimmungsvollen Rahmen.  Unter dem Dirigat von GMD Philippe Bach lässt die Hofkapelle alle Gefühlswelten dieses romantischen Werkes Wirklichkeit werden.“ Kerstin Jacobssen setzt „narrative Akzente“ und legt Wert auf Ästhetik. Ihre Kostüme erzählen Geschichten, signalisieren Botschaften, Charaktereigenschaften oder Stand und Herkunft und schlagen einen Bogen von der Zeit Wagners bis heute. Es macht Spaß, die vielen Details zu entdecken und man kann sich nicht sattsehen.

Diese Lohengrinpremiere dürfte zu den Sternstunden des Meininger Theaters zählen und der frenetische Schlussapplaus spiegelt die Hochachtung des Publikums vor einer wunderbaren Aufführung.

Inge Kutsche, 25.4.22

Bilder: Christina Iberl und arifoto Michael Reichel

 

Spielplan 2022/23 Staatstheater Meiningen

Die Einladung zur Pressekonferenz zur Spielplanpräsentation 2022/23 an einer der weltgrößten Sprungschanzenanlage im legendären Wintersportzentrum Oberhof gibt schon im Vorfeld Rätsel auf. Warum gerade dort? Ja, das Staatstheater Meiningen will nicht nur hoch, sondern auch weiter hinaus, raus aus der Komfortzone traditioneller Spielstätten, rein in die Thüringer Kulturlandschaft. Und so kraxelten Medienvertreter, Landrätin Peggy Greiser, Staatssekretärin Tina Beer und Meiningens Bürgermeister Fabian Giesder tapfer die steile Treppe neben der imposanten Riesenschanze hoch, um im stahlblauen Ufo-Turm der Kampfrichter auf ein hochmotiviertes Theaterteam zu treffen. In den 100 Minuten, in denen Intendant Jens Neundorff von Enzberg, Schauspieldirektor Frank Behnke, Orchesterdirektor Alexander John und Gabriela Gillert, Leitung „Junges Theater“ ihre Projekte und Pläne vorstellen, wird deutlich, wie außergewöhnlich und charismatisch Meiningen tickt. Dass Staatskanzlei, Landkreis und Stadt stets und gerade in Krisenzeiten jedwede Unterstützung bieten, ist wohl einzigartig.

 

 

Mit Erich Wolfgang Korngolds Oper „DIE TOTE STADT“ wird die Saison eröffnet und man darf gespannt sein, wie Regisseur Jochen Biganzoli dieses Psychodrama anpackt. Dass Mario Venzago die musikalische Leitung übernimmt, ist ein Glücksfall. Auch Gioachino Rossinis „Barbier von Sevilla“ weckt Neugier, nachdem bereits die Premiere bei den Bregenzer Festspielen unter der Regie von Brigitte Fassbaender ein Erfolg war. Spannend dürfte auch die komplette szenische Uraufführung von Georges Bizets Grand Opéra „IVAN IV“ werden. Hinrich Horstkotte entwirft Bühnenbild, Kostüme und führt Regie!! Frank Wildhorns Musical „Der Graf von Monte Christo“ nach der populären literarischen Vorlage von Alexandre Dumas verspricht, interessant zu werden. Schon im letzten Jahr erlebte man mit „Amadigi di Gaula“, dass man nicht nach Halle fahren muss, um Barock zu erleben. Und nun kommt Georg Friedrich Händels Oratorium „Messias“ als szenische Aufführung mit sehr zeitgemäßen Inhalten. Weil alte religiöse Muster und Glaubensgemeinschaften verschwinden, wird Regisseur Johannes Pölzgutter anderen Werten wie Nächstenliebe in unserer Gesellschaft nachspüren. Eine Frau, Verena Stoiber, inszeniert die Oper „Salome“ von Richard Strauss, eine tragische Figur, die ihren Kopf durchsetzt und ihn verliert. Haifisch- und Raubtierkapitalismus sind keineswegs ausgerottet und auch eine gerechtere Gesellschaft ist immer noch Utopie, deshalb ist Brechts „Dreigroschenoper“ nach wie vor aktuell. Leo Goldberg nimmt an einem Chansonabend in „Aggro Alan“ den Feminismus aufs Korn und Frauenhasser kommen auf ihre Kosten. Das Ballett-Ensemble aus Eisenach präsentiert außerdem den „Nussknacker“, „Giselle“ und eine Interpretation der „Vier Jahreszeiten“. Wer um Richard Wagner bisher einen Bogen machte, könnte es mit „Der Ring an einem Abend“ versuchen. Die Textfassung von Loriot ist göttlich. Authentisch wird es auf der Wartburg in Eisenach. Ansgar Haag inszeniert dort am Originalschauplatz den „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“.

 

 

Doch nun zu des Rätsels Auflösung, warum wir hier in der Lotto Thüringen Schanzenanlage im Kanzlersgrund tagen. Ich weiß, dass mich Skisprung-, Biathlon- und Rennrodelfreaks glühend beneiden. Aber nein, es gab keine Freikarten für die anstehenden Weltmeisterschaften 2023, hingegen die Einladung zu einem gigantischen Spektakel, bei dem Sport und Kultur gemeinsam auftreten. Wenn am 30. Juni und am 1. Juli abends „Die Schanze rockt“, treffen beide Welten aufeinander. Mehr als 10 000 Menschen können erleben, wie die Meininger Hofkapelle mit Popstars musiziert, wie DJs und Lasershows für Partystimmung sorgen, wie Klassik und Rock ein viel breiteres Publikum erreichen und begeistern können, das bisher nur oder vielleicht noch nie in einem Theater saß. Und da wären wir wieder bei diesem charismatischen Fluidum, das Theatervolk, Politiker und Sporteventmanager beseelt, Neues auszuprobieren, Traditionelles weiterzuführen und Hemmschwellen abzubauen. Ideen dazu gibt es genug.

 

Inge Kutsche 23.3.22

Fotos: Inge Kutsche

 

„Santa Chiara“

Große Oper in drei Aufzügen von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha

Libretto von Charlotte Birch-Pfeiffer

 

Premiere in Meiningen am 18.02.2022

 

 

Aus welchem Grund ruht ein Werk fast 100 Jahre in der Versenkung? War es die Eintagsfliege eines unbekannten Komponisten mit schwachem Inhalt und unpopulärer Musik? Spielten historische Ereignisse oder mangelnder Pioniergeist eine Rolle, etwas Altes in der Gegenwart zu präsentieren?

Wenn Intendant Jens Neundorff von Enzberg sich auf die Suche macht und Raritäten ausgräbt, wird das spannend. Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha brachte ab 1854 seine Oper „Santa Chiara“ erfolgreich auf über 25 Bühnen, darunter Paris, Wien, London, Berlin. Die Musik entzückte ob ihrer Polystilistik das Publikum. Sie erinnert an Bellini, Donizetti, Carl Maria von Weber, Lortzing, enthält deutsches Liedgut und Wagnersche Dramatik. Das Libretto verfasste Charlotte Birch-Pfeiffer, damals eine Art Rosamunde Pilcher ohne Opernerfahrung. Seltsamerweise stimmt es kaum mit dem Geschehen auf der Bühne überein und kommt auch etwas trivial daher.

 

 

Seit 1927 liegt es in der Schublade, gilt als altmodisch, zu langatmig und gestelzt. Genau da liegt der Reiz, aber auch die Verantwortung, solche Kleinodien gegenwartstauglich zu gestalten und sie einem breiten Publikum zu erschließen. Gelingt es dem Regisseur, Charaktere zu entwickeln, die in romantischer Verkleidung in phantasievoller und dynamischer Kulisse zu Ikonen zu werden, greift das, wenn überdies die eingängige Musik in Bauch, Herz und Geist fließt. Die Bühne dreht sich unaufhörlich und nimmt Darsteller und Zuschauer mit auf eine Reise. Es gibt keine Längen. Ständig wechselnde Bilder und Räume, kurze Arien, überschaubare Handlung kommen dem Anspruch vieler entgegen, die Oper sonst langweilig finden. Ich glaube nicht, dass Ernst II. sich über diese „Light-Version“ seines Werkes ärgern würde, denn diese Interpretation zeigt wahrscheinlich mehr Tiefe als damals. Regisseur Hendrik Müller und Bühnenbildner Marc Weeger kreierten zusammen mit GMD Philippe Bach ein Klangjuwel in aparter Fassung.

 

 

Schon die Ouvertüre verheißt: Hier war kein Dilettant am Werk, und wer jetzt ein karg minimalistisches Bühnenbild mit Protagonisten im Businesslook befürchtet, wird angenehm „enttäuscht“. Ein dunkles, sattes Rot symbolisiert Macht und Stärke des Zarenhofes, das Interieur ist sparsam Ton in Ton und konzentriert den Blick. Auffällig sind die vielen Türen in den Wänden, durch die die Personen von Raum zu Raum, von Szene zu Szene getrieben werden wie gleich im ersten Aufzug, als die Geburtstagsfeier für Fürstin Charlotte stattfindet. Statt im Kreis von Familie und Gästen zu feiern, bleibt sie für sich. Alexej, mit dem sie aus politischen Gründen verheiratet wurde, verabscheut sie und will sie loswerden, um mit seiner Mätresse zu leben. Grotesk böse geschminkt mit gewaltiger Haartolle soll er zwar furchteinflößend wirken, doch fläzt er wie ein infantiles Riesenbaby auf rotem Plüsch, gefangen in seiner Rolle, neben sich seine Mutter, die gleich der „Queen“ keine Regung zeigt und beziehungslos zu ihrer Umgebung einfach nur dasitzt und raucht. Der Chor als feine Abendgesellschaft wartet im nächsten Raum vergeblich auf Charlotte. Chevalier Victor, der sie verehrt, ist blind für die Schönheiten des Lebens. Im Hintergrund tut sich ein Märchenwald auf, in dem eine überirdisch schöne Fee umgeben von Tieren eine heile Welt symbolisiert. Aber er beklagt sein unerfülltes Dasein.

 

 

Patrick Vogel verkörpert diesen Jammerlappen nicht als kraftvoller Tenor, sondern gequält authentisch. Aurelius, der Leibarzt Alexejs, soll die Fürstin an diesem Abend mit einem Gifttrunk ins Jenseits befördern. Jahre gedemütigt, verachtet und unbeachtet in Kälte und Einsamkeit, Lieblosigkeit und Grausamkeit fürchtet sie nicht, was ihr bevorsteht. Sie sieht sich schon in der Zielgeraden zum Tod und scheint sich sicher zu sein, dass da etwas Besseres auf sie wartet. Sie vermittelt keineswegs das Bild einer schwachen und zerstörten Persönlichkeit, sondern tritt selbstbewusst auf, zeigt Haltung und verweigert die Aufnahme der Mätresse ihres Mannes in den Hofstaat. Lena Kutzner, Sopran, spielt diese Figur mit Distanz, ohne starr zu wirken. Da Bewegung und Mimik sehr zurückgenommen werden, konzentriert man sich umso mehr auf die Emotionalität ihrer großartigen Stimme, die jede Regung sensibel darstellt. Zwischen all den in sich gefangenen Personen zeigt Bertha, die liebende Freundin, Lebendigkeit und Zuneigung. Marianne Schechtel, Sopran, schlüpft souverän und wirkungsvoll in diese Rolle. Sie warnt und rät vergeblich zur Flucht. Schon wartet der Arzt mit dem Gift, der Chor singt freudig vom Trunk, Charlotte greift beherzt zu und stirbt. Im zweiten Aufzug liegt sie im Sarg, die Drehbühne steht still. Bertha singt von ihrer unerfüllten Liebe, Viktor ist fassungslos und schwört Rache, Alexej in pompösen Frauenkleidern ist froh, dass er sie los hat, wittert jedoch Mordanschuldigungen und fürchtet „der Reue Schlangen“ oder dass sie gar nicht tot ist.

 

 

Der Pope lümmelt neben dem Leichnam und will sie bald beerdigen. Die Bläser intonieren die Szene mit einem Choral, im Hintergrund erhebt sich ein Mann in weißem blutbespritztem Gewand, Christus, der die scheinbar Tote aufweckt. Triumphierend entsteigt sie dem Sarg. Im dritten Aufzug wechselt das Geschehen in eine andere Welt. In einer Art Zirkusarena mit mehreren Ebenen lustwandeln verklärte Frauen und Männer, beide in weißen Brautkleidern, singen, beten, verteilen Brot und warten auf ihre Heilsbringerin. Im Blütenring schwebt Charlotte herab, glückselig strahlend, und vollbringt als Santa Chiara Wunder, lässt sich anbeten und kassiert Spenden. Bertha und ein Diener koordinieren die Rituale. Auch Victor verschlägt es zu dieser Kulttruppe und darf ihr beitreten. Noch einmal erscheint Alexej, nun vollends verrückt, bringt im Wahn wider Erwarten seine Geliebte um und provoziert damit sein eigenes Ende. Johannes Mooser lässt sich überzeugend in diesen kranken Charakter fallen und singt einen sehr eindrucks- und kraftvollen Bariton, der alle Facetten von Gemeinheit und Bosheit, Wahnsinn und Angst stimmlich hingebungsvoll präsentiert. Alle Macht liegt nun bei Chiara, deren Jünger ihrem begeisternden Aufruf zum Mord lustvoll folgen: „Lasst uns richten!“

 

 

Schon im Original wurde bemängelt, dass der Text teilweise recht wenig mit den Geschehnissen auf der Bühne zu tun hat. Dies gilt besonders für den ersten und zweiten Aufzug, weniger für den dritten. Deshalb war es schon eine Mammutaufgabe für Regisseur, GMD und Bühnenbildner, hier eine Beziehung zu schaffen. Jeder für sich hat nun die Wahl, wie er das einsortiert. Interpretationsansätze gibt es genug. Ist es Sehnsucht, Anspielung auf eine Welt, die von den Protagonisten nicht wahrgenommen wird? Die auffällig zahlreichen liedhaften Beschreibungen der Natur, die Verehrung des deutschen Landes lenken ab von den Machenschaften Gestörter hin zu einer schlichten Betrachtungsweise des Lebens. Es sei dem Zuschauer geraten, weniger auf das Textband zu achten und sich ganz dem Geschehen zu widmen. Nur so erfasst er die Entwicklung der Figuren, hat Muße, die ausgefallenen und prächtigen Kostüme zu betrachten, die teils märchenhaft opulent, aber auch modern und witzig sind. Nur so bleibt Zeit, dem raschen Wechsel von Raum zu Raum zu folgen und kuriose Details auszukosten, wenn zum Beispiel Christus sich nach getaner Auferweckung ein Zigarillo aus der Dornenkrone holt und genießt, Statisten mit schillernden Tiermasken plötzlich in Räumen auftauchen oder Bertha unter Chiaras Followern eimerweise Geld und Schmuck einsammelt.

 

 

Es ist ein Leichtes, sich der wunderbaren Musik hinzugeben, langatmige Rezitative wurden gestrichen, Arien verkürzt und die Hofkapelle intoniert sehr vielschichtig die Ereignisse, ohne sie zu dominieren. Ganz im Sinne von Ernst II. entstehen die unterschiedlichsten romantischen Klangszenarien in perfekter Harmonie mit dem Geschehen.

Niemand will eine Traviata, eine Carmen oder einen Holländer aus dem Programm schmeißen, aber wie bereichernd und spannend wäre es, wenn mehr Häuser dem Meininger Beispiel folgen würden und solchen Raritäten einen festen Platz im Spielplan reservieren.

 

Inge Kutsche, 21.2.22
Fotos: Christina Iberl

 

Shockheaded Peter

Musical von Phelim McDermott & Julian Crouch und den Tiger Lillies

Musik: Martyn Jaques

Junk-Oper nach Motiven aus „Der Struwwelpeter“

 

 

Als der Arzt und Psychiater Dr. Heinrich Hoffmann 1844 mit seinem Ur-Struwwelpeter ein Gedicht-Geschichtenbuch mit „drolligen“ Bildern schuf, das unfolgsamen Kindern drastisch zeigte, was ihnen alles passieren kann, hätte er bestimmt nicht gedacht, dass der Stoff noch im 21. Jahrhundert aktuell und sogar bühnentauglich sein würde. Mit „Shockheaded Peter“ kreierten die Briten Phelim McDermott, Julian Crouch und die Tiger Lillies ein Musical, das erstmals 1998 in London und 2000 in Hamburg aufgeführt wurde. Darin nur Kritik an autoritärer oder antiautoritärer Erziehung zu sehen, nach dem Motto: „Wer nicht hören will, muss fühlen“, wäre zu einfach. Grotesk, schrill, schräg, makaber und sadistisch, aber auch sensibel, jagt es die Zuschauer durch menschliche Abgründe mit diabolischem Spaß. Was läuft schief zuhause? Eigentlich alles. Welcher Regisseur, welches Ensemble sich das Stück auch auf die Fahne schrieb, hatte gewiss eines im Sinn: „Denen zeigen wir es!“

 

 

Wer ist gemeint? Kinder oder Eltern? Das Publikum muss selbst entscheiden.

Vom ersten Moment an zieht Leo Goldberg als Peter die Zuschauer magisch in seinen Bann. Natürlich liegt das an diesem überaus attraktiven Wesen im sexy Harlekinbody, seiner Löwenmähne, den spitzen Krallen, aber noch mehr an der facettenreichen Performance. Mit „Meine Damen und Herren und alle dazwischen, Mädchen und Jungen und alle dazwischen,  Mutige und Unerschrockene, die ihr den Weg hierher gewagt, das menschliche Bewusstsein ist voller Ungeheuer: Seid gewarnt!“, begrüßt er das Publikum und setzt es unter Strom. Geschmeidig, einschmeichelnd, suggestiv und brutal, distanziert oder sensibel zeigt er als Moderator der folgenden Fallbeispiele, genannt „Sensationen“, sein Talent. Das fünfköpfige Ensemble, paritätisch besetzt, identifiziert sich in jeder Szene mit den Figuren, überzeichnet und karikiert sie mit Empathie aber auch Distanz. Jeder darf sich austoben, je wilder und schriller, desto besser. Mimik, Gestik, starke Stimmen und perfektes Timing passen. Das gilt auch für die Musik, eine Mischung aus Punk, Jazz, Musical und Vaudeville unter der Leitung von Hans-Jürgen Osmers, Tasteninstrumente, mit Florian Winkel, Percussion und Posaune, und Karl Epp, E-Gitarre. Sie befeuert, schlägt zu, haut drauf, macht Krach und klingt ganz selten weich.

 

 

Sound, Choreographie, Gesang und Sprache verschmelzen zu einem starken Cocktail, der es in sich hat. Für alle, die den Inhalt des Original-Struwwelpeters nicht kennen, vermitteln Showmaster Peter und Akteure überdeutlich, worum es in jeder Szene geht. Elf Situationen passieren Revue und es passiert Schreckliches, locker auf der Drehbühne serviert. Am Anfang stehen Kinderwunsch, Zeugung und Geburt eines Wesens, das wenig Freude auslöst: „Struwwi“, eine Puppe, mit ätzender Stimme, die, stets präsent als Marionette bewegt, das Alter Ego, den „evil twin“ Peters darstellt. Und nun beginnt sich das Karussell der tragischen Fälle zu drehen. Der „Suppenkaspar“ hat das Pech, alle Ernährungstrends auslöffeln zu müssen, die seine Eltern ihm einbrocken. Er hat die Schnauze voll und wehrt sich endlich, verweigert die Nahrung und stirbt. „Friederich“ erlebt und erleidet häusliche Gewalt, quält folglich selbst Tiere, bis ihn ein Hund totbeißt. Dem armen „Paulinchen“ fehlt das richtige Maß an Zuwendung, Liebe und Kontrolle, was an der Mutter vorbeigeht. Alleingelassen zündelt es, freut sich am wärmenden Feuer und verbrennt.

 

 

Die Stimmung auf der Bühne wird aufgeheizt, das Publikum zum Mitklatschen animiert, alles gewinnt an Drive. In der Szene vom „Wilden Jäger“ erwischt es nicht nur den Schießwütigen, sondern am Ende alle Hasen. „Konrad“, das hochbegabte Kind, befriedigt sich mit exzessivem Daumenlutschen, wilder Latin-Jazz begleitet das Szenario und während die Mutter ihrem Vergnügen nachgeht, schneidet man ihm die Daumen ab und er verblutet. Das Farbspiel Blut auf weißem Gewand assoziiert sie mit Kunst. Dem „Zappelphilipp“, einem hyperaktiven Jungen, geht es auch nicht besser. Die primitiven Eltern saufen und schimpfen, statt zu bemerken, dass der Sohn nur Aufmerksamkeit sucht. Er wird von Gabeln und Messern durchbohrt. In allen Fällen wirken die Väter und Mütter seltsam unbeteiligt, keinesfalls betroffen. Niklas, ein „böser Bube“, verdrischt auf dem Pausenhof jeden, der sich ihm in den Weg stellt. Hier greift Peter einmal rettend ein und verhindert einen Mord. Häme, Wut und Anklage stocken. „I can‘t get no satisfaction“,  aber das Karussell der Sensationen dreht sich weiter. Als „Hans-Guck-in-die-Luft“ sich dem Leistungsdruck seiner Eltern entzieht, in den Fluss fällt und ertrinkt, erkennt er auf einmal: „Das war ja ich!“ Was hat er selbst erlebt? Ein Fenster geht auf und noch einmal verspielen Helikoptereltern und Alkoholiker das Glück ihres Kindes. Peter sinniert über die Kreationen der Mutter Natur. Natürlich steckt in jedem Kind, in jedem Menschen Potential für Gemeinheiten und Grausamkeiten. Peter distanziert sich endlich von der Mörderpuppe „Struwwi“ und hat den Mut, in seine eigene schwarze Seele zu blicken und akzeptiert sie. Was macht er draus? Die Puppe entschwindet in den Äther und da ist auf einmal Raum für positive Phantasie, ein Hoffnungsschimmer.

 

 

Regisseur Philipp Moschitz rückt das aktuelle Fehlverhalten von Eltern in den Vordergrund. Die Kinder sterben nicht wirklich, sondern haben nur keine Chance, sich positiv zu entwickeln, wenn sie in einem ungünstigen Umfeld aufwachsen. Desinteresse, Lieblosigkeit und Gewalt, aber auch Leistungsdruck und Überbehütung verhindern, dass sich eine Persönlichkeit entwickeln und entfalten kann. „Shockheaded Peter“ ist nicht nur ein Lehrstück. Der Regisseur packt nicht die gesamte Misere Erziehungsberechtigter hinein. Er bleibt bei der Kinderbuchvorlage H. Hoffmanns, den Musicalautoren, katapultiert jedoch die Fallszenen mit Bühnenbildner Helge Ullmann auf eine riesige Drehbühne mit Lichteffekten unterschiedlicher Intensität und Farben. Das Ensemble in schrill schillernden und witzigen Kostümen aus der Ideenkiste Isabelle Kittnars belebt dieses kolossale Spektakel in unüberseh- und unüberhörbarer Präsenz. Dafür, dass es nicht zu einer oberflächlichen Non-Stop-Action-Revue verkommt, sorgen die Reflexionen und glasklaren Ansagen des Showmasters  Peter, der in dieser Produktion sein beachtliches Talent beweisen konnte.

 

 

Alles andere als Junk, beste Unterhaltung, die Spaß macht und mit Sicherheit bei einem breiten Publikum ankommt: Weitersagen!

Gut übrigens, dass diesmal nicht nur Silberhaar in den Reihen saß, gut, dass man nach einer Stunde Spielzeit endlich begriffen hat, nicht immer mitklatschen zu müssen und an den falschen Stellen zu lachen. Kam es vielleicht doch an, wenn Peter auf eine „von den Medien verbildete Generation in ihrer Denkarmut“ anspielte, ganz vorn am Bühnenrand, ganz nah am Publikum?

Viel Applaus am Ende und großes Lob des Intendanten Jens Neundorff von Enzberg für diese gelungene Inszenierung. „In jedem von uns steckt ein Struwwelpeter.“ Spätestens jetzt sollten wir darüber nachdenken.

 

Inge Kutsche, 31.1.22
Fotos: Christina Iberl

 

 

 

Found Souls

Uraufführung am 13.01.2021

Ballett des Landestheaters Eisenach

 

Choreografie: Alfonso Palencia
Musikalische Arrangements: Massimo Margaria

 

Leben, Lieben und Tod sind Allerweltsthemen. Menschen gehen damit in unterschiedlicher Intensität um. Die Einen tanzen auf der Oberfläche, distanziert oder fatalistisch ergeben, die Anderen lassen sich mitreißen, erleben alle Schattierungen, analysieren und beginnen immer wieder von Neuem. Kann man das wirklich so schwarzweiß sehen?

Für Alfonso Palencia, Gastchoreograf am Landestheater Eisenach, ist die stetige Suche des Individuums nach sich selbst und der Kampf um Identität ein immanenter Zustand. Texte von Virginia Woolf, Frederico García Lorca und Mascha Kaléko boten Inspiration, und Massimo Margarias Idee, elektronische und klassische Musik von Max Richter, Philip Glass, Johann Sebastian Bach u.a. in einem monumentalen Soundtrack zu vereinen, gibt diesem Werk Wucht und Präsenz.

 

 

Im ersten Teil „Identitas“ interpretiert die international besetzte 12-köpfige Company die Suche nach Anerkennung, Liebe, Nähe und Partnerschaft. Es geht um Selbstfindungsprozesse mit glücklichen und leidvollen Erfahrungen, das Ausloten der sexuellen Orientierung und die Akzeptanz in der Gesellschaft. Es bedarf keiner Worte, weil Tänzerinnen und Tänzer diese Stimmungskontraste in hochemotionalen Bildern ausdrucksstark umsetzen. Lichtkegel fokussieren einzelne Figuren in ihrer Ästhetik und Schönheit, wenn Körper im Duett oder Trio verschmelzen. Die hyperpräsente Musik befeuert das rasante Tempo. Alles ist im Fluss, ein ewiger Reigen, schwerelos mit immer gleichen Gesten der Scheu, Distanz, Annäherung, des Findens, der Hingabe und Anpassung bis Zweifel, Missverständnisse, Streit, Gewalt und Trennung verstören.

 

 

Die szenische Darstellung des inneren und äußeren Geschehens ist von höchster Intensität. Wenn die Akteure im permanenten Wechsel sich gegenseitig das Gewicht abgeben, übereinander rollen, sich strecken, kauern, am Boden liegen, kopfüber und -unter von einer Position in die nächste gleiten, bemerkt man nichts von der enormen Anstrengung. Synchrone Bilder der gesamten Company bestechen in ihrer Präzision genauso wie der hochakrobatische Paartanz. Ohne hartes Training, Askese, Hingabe und Ernsthaftigkeit wäre diese künstlerische Performance nicht gelungen. Der Betrachter erkennt zweifellos alle Symbole menschlicher Beziehung, darf sie interpretieren, reflektieren und findet vielleicht sich selbst.

 

 

Während „Identitas“ real nachvollziehbar ist, bleibt „Anima“ ein rein spirituelles Konstrukt. Palencia gestaltet seine Vision vom Übergang ins Totenreich mit einer Transformation der Seelen. Symbolträchtig führt eine Treppe auf großformatigem Hintergrundbild nach oben ins Ungewisse oder ins Licht. Auf dem Weg dorthin müssen sie sich erst einmal selbst finden, realisieren und akzeptieren, dass sie tot sind. Tänzergruppen in weißen, grauen und schwarzen Kostümen, genderneutral, gestalten verschiedene Stadien. Die „Weißen“ verkörpern in Reinheit und Schwerelosigkeit den vollzogenen Übergang ins Jenseits. Die „Grauen“ sind erst gestorben und wissen noch nicht, was mit ihnen passiert ist. Die „Schwarzen“ sind in einem Zwischenreich und erleben einen schmerzlichen Prozess des Loslassens, erkennen aber auch den hoffnungsvollen Weg nach oben. In plötzlichen, heftigen Bewegungen, im Aufbäumen und Niederwerfen, lassen sie sich durch peitschende Musik von einer Richtung zur anderen katapultieren.

 

 

Schrille Töne sind Metaphern für ihre Unsicherheit und Verzweiflung. Doch da gibt es die „Weißen“, die die Neuen mit Liebe umfassen, um sie zum Loslassen zu bewegen. In anmutiger Leichtigkeit umspielen sie die von Schock und Grauen geprägten Seelen, nehmen sie in ihre Obhut und flößen ihnen Mut ein, bis sie bereit sind, um dann zu „erweißen“. Metaphorisch schweben Türen herab, die den Übergang in eine andere Welt bedeuten. Jauchzende, schrille, aber auch finale Klänge begleiten sie.
Junge Menschen für die Auseinandersetzung mit diesem Thema zu gewinnen, spricht für das Charisma des Choreografen und die Sensibilität dieser Generation, die selbst Betroffene der Pandemie sind. Nahezu ehrfürchtig und sichtlich ergriffen zollt ihnen das Publikum großen Respekt für die beeindruckende künstlerische Leistung mit lang anhaltendem Applaus.

 

Inge Kutsche, 17.1.22
Fotos(c) Carola Hoelting

 

 

 

3. Sinfoniekonzert

12.01.2022

 

Meininger Hofkapelle, Leitung: Mario Venzago

 

Johann Sebastian Bach: Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 arr. von Leopold Stokowski

Rudolf Kelterborn (1931-2021): Traumland (2019), Uraufführung

Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98

 

Uraufführungen sind immer etwas Besonderes und in der Tradition der „Meininger Hofkapelle“ Usus. Wenn „Traumland“ von Rudolf Kelterborn wirklich das erste Mal gespielt wird, denkt man bei Brahms‘ 4. Sinfonie doch eher an Bekanntes und erst recht bei Bachs Toccata und Fuge in d-Moll. Weit gefehlt. Dirigent Mario Venzago empfindet Tradition als ein „Hindurch- und Weitergehen, nicht als ein Stehenbleiben“, das wäre museal. Nur so bleiben Vermächtnisse lebendig und zeitgemäß. Deshalb erklingt unter seinem Dirigat die 4. Sinfonie von Johannes Brahms ganz anders als die hier vor 137 Jahren uraufgeführte. Erst mit 60 Jahren begann er sich diesem Komponisten zu widmen, dessen Musik er als perfekt empfindet. „Es ist etwas ganz Reines in ihr, das dünner, durchsichtiger und flexibler ausgerichtet werden muss.“ Er löst das starre Korsett der üblichen Herangehensweise. Nimmt Wucht und Schwere zurück und verzichtet weitgehend auf pathetische Effekte. Statt sinfonischem Einheitsbrei werden Instrumentengruppen viel klarer und sensibler herausgearbeitet. Sie erzählen eine Geschichte, blitzen auf, schwellen an, verklingen. Weit deutlicher als in bisherigen Interpretationen fließt immer wieder die Anfangsmelodie ein, oft nur im Ansatz. Diese Vierte wird auch die „Elegische“ oder die „Traurige“ genannt – zu Unrecht. Eigentlich müsste man sie die „Spannende“ nennen, weil man nie ahnt, was jetzt kommt. Wiegend, einschmeichelnd beginnt der 1. Satz ohne Einleitung mit dem anrührenden Thema, das in Variationen von Streichern und Bläsern einprägsam fesselt. Schon jetzt ist Spannung da, die bis zum Finale bleibt. Tempi und Lautstärke wechseln. Seitenmotive tauchen auf und verschwinden. Der 2. Satz als Andante moderato wirkt getragen, zart und einfühlsam, aber nicht langweilig. Das unaufhaltsame Voranschreiten, der markante Wechsel von Pizzicato, lichten Querflöten, Holzbläsern und wieder Streichern gönnt keine Pause. Der temperament- und schwungvolle Beginn des 3. Satzes vermittelt vordergründig Heiterkeit, gar quietschvergnügte Lebensfreude – Brahms brütete dieses Werk während eines Sommerurlaubs in der Steiermark aus – und dennoch braut sich Bedrohliches zusammen. Kontrabass, Triangel und Querflöte unterbrechen den Duktus zum Finale nur scheinbar. Das Tempo steigert sich. Im 4. Satz schlägt Brahms überraschend einen Bogen zur Barockmusik. Themen Bachscher Kantaten klingen an, aber dennoch gehen variierende rhythmische Akzente, Pauken, Querflötenintermezzi und Streicherpassagen einen neuen Weg, der sich von der klassisch-romantischen Generation verabschiedet. Mario Venzago ist ihm dabei der ideale Weggefährte.

 

 

Gerade die bekannteste Toccata von J.S. Bach aufs Programm zu setzen, und noch dazu nicht als Orgelwerk, sondern für Orchester, lässt die Gralshüter der Originalkompositionen erst einmal die Nase rümpfen. Leopold Stokowski aber gelang es, in einem monumentalen Klangwerk Bach Tausenden von Menschen nahezubringen. Als Chef des Philadelphia Orchestra verfügte er nicht nur über das beste, sondern auch das größte Orchester der Welt. Während der Komponist im Original keinerlei Hinweise auf Tempi und Modi hinterließ, enthält bei ihm auf der Suche nach dem perfekten Klang jeder Takt Anweisungen, Akzente, verrückte Ideen. Es ist Hypermanierismus und so trickreich komponiert, dass es nur von ganz virtuosen Spielern zu bewältigen ist. Dirigent Mario Venzago geht ganz nach dieser Partitur vor, vergisst Bach und Barock, Toccata und Fuge und lässt sich von dieser Klangfülle und dem Fluss der Emotionen überwältigen. Sein Esprit, seine Wärme und Herzlichkeit, seine Beseeltheit und Brillanz wirken ansteckend auf die ohnehin hochmotivierte Meininger Hofkapelle, wenn er diese höchstmögliche Klangvielfalt in all ihrer Opulenz, aber auch Zartheit so wirksam zelebrieren lässt. Streicher in dramatischem Drive, mitreißend, erzeugen Gänsehautfeeling, die Harfe gluckst wie ein Gebirgsbach, Flöten übernehmen, Fagott schafft ein Plateau, Blech schmettert und dann wieder tutti, dass es unbestreitbar ist: Die reine Orgelversion ist dagegen fast langweilig. Bach in dieser Form, in dieser Fülle, geht weiter, tradiert Tradition.

Was will der durchschnittliche Konzertbesucher? Behaglich im festlich-feierlichen Ambiente Altbewährtes, Bekanntes erleben, das ihn zum Kenner kürt, perfekte Arrangements und meisterhafte Interpreten? Oder ist da etwa auch Lust, sich auf etwas völlig Neues einzulassen, ohne von vorneherein skeptisch zu sein? Der Titel „Traumland“ von Rudolf Kelterborn erweckt vermutlich gewisse Erwartungen einer Fantasiewelt, die sich jeder anders vorstellt. Das Orchester hat schon eine spannende Probenwoche hinter sich, um sich in diesem Kosmos zurechtzufinden. Und auch dem Publikum helfen die Hinweise, wonach es nicht suchen soll: Zusammenhang. Achtung: „Das Stück geht nicht unter die Haut, Emotionen bleiben außen vor.“ Die Tonsprache ist dicht, teils stürmisch abstrakt, nicht rational erklärbar. Bevor man sich in einer Melodie, einer Tonfolge einnisten kann, ist sie schon wieder verklungen. Höchste Konzentration ist gefragt. Kelterborn zerlegt Gedichte von Georg Trakl in Fragmente: Sätze, Wörter, Silben, die den sechs Sängerinnen und Sängern eingeschrieben werden: „Über dem weißen Weiher sind die Vögel fortgezogen …“, „… am Abend weht von unseren Sternen eisiger Wind …“, „… der rote Ahorn rauscht …“, „… durch schwarzes Geäst tönen schmerzliche Glocken …“, „… auf das Gesicht tropft Tau …“, „… silbern erblüht die Blume des Winters …“, „… es dröhnt gewaltig die Glocke im Tal …“, „… Flammen, Flüche stürmt den Himmel …“, „… die Liebenden blühen den Sternen zu …“ – Die Musik ist nicht tonal, sondern atonal, es gibt keine Tonleiter, keine Dominante, aber es ist keine Zwölftonmusik. Stöhnen bei diesen Angaben schon manche gequält? Bestimmt. Doch weil Mario Venzaga so offen und sympathisch erklärt, was dem Zuhörer bevorsteht, ist das Eis schon gebrochen. Und ist nach dieser wegweisenden Einführung nicht etwas Neugier entstanden? Man weiß jetzt, worauf man sich einlassen kann: auf instrumentale und vokale Fragmente.                                                                       
Klangmomente: bedrohlich, schrill, glitzernd und klagend, Gluckern, Quietschen, Lispeln, Rauschen, Klopfen, ein Gong, Saitenklänge, Pizzicato. Kontrabässe befeuern, Triangel erklingt schüchtern, zaghafte Streicher dehnen den Moment. Längst konzentriert man sich ganz auf die einzelnen Instrumente, nimmt sie in ihrer Solitärfunktion ganz anders wahr: das Fagott, die Pauke, die Harfe, den Buckelgong. Viele Pausen erhöhen den Effekt. Von den sechs Sängerinnen und Sängern tönen aus dem Hintergrund die Gedichtfragmente: mal einzeln, mal versetzt, zu zweit oder in wildem Durcheinander. Das wirkt verstörend. Es ist totenstill im Saal, man vergisst zu atmen, es ist ungemein spannend und manch einer ist verblüfft, was man sich zumuten kann. Wenn Kelterborn in einem Interview bekannte, dass seine Musik durch die oft unerträgliche Spannung zwischen Schönheiten dieser Welt und den unerhörten Möglichkeiten einerseits und den Ängsten und Schrecken unserer Zeit andererseits bestimmt wird, versteht man dieses Werk in der momentanen Situation umso mehr. Gewiss, das Stück ist keine „Kleine Nachtmusik“ zum Dauerkonsum, aber „Traumland“ erweitert unseren Horizont und die Wertschätzung der Dirigenten und Musiker, die bereit sind, neue Wege zu gehen. Eigentlich wollte Rudolf Kelterborn dieser Uraufführung selbst beiwohnen. Im März 2021 starb er im 90. Lebensjahr. Mario Venzago hat sein Vermächtnis verantwortungsvoll, einfühlsam und brilliant erfüllt. Glücklich und erleichtert verneigt er sich am Ende vor der Meininger Hofkapelle und einem begeisterten, tief beeindruckten Publikum.

 

Inge Kutsche, 15.1.2022

(c) Michael Reichel

 

 

La Bohème

Musikalische Leitung: GMD Philippe Bach

Regie, Bühne, Kostüme: Markus Lüpertz

 

Premiere am 10.12.2021

 

 

So wie in der Vorweihnachtszeit in himmlischen Werkstätten, Backstuben und heiligen Hallen Christkind Spielzeug, Gebäck und Klangvolles herstellen lässt, scheint in Meiningen etwas Ähnliches im Gange zu sein. Die Neugier ist groß. Gleich mehrere Tage nehmen sich Journalisten der „Süddeutschen“ Zeit für eine Reportage, MDR und ORF führen Interviews und drehen vor Ort. Die regionale wie überregionale Presse, aber auch die Liebhaber des Theaters, fiebern einem Ereignis entgegen, das andere Opernhäuser neidisch werden lässt: Markus Lüpertz inszeniert „La Bohème“, gestaltet Kulissen und Kostüme und führt tatsächlich selbst Regie. Er traut sich das zu, schließlich ist er, O-Ton, ein Genie. Er hat Glück, im Meininger Intendanten Jens Neundorff von Enzberg nicht nur einen Freund, sondern mit ihm ein Theater gefunden zu haben, das ihm diesen Traum ermöglicht. Seit knapp zwei Monaten arbeitet das Haus mit Hochdruck an diesem Gesamtkunstwerk. Lüpertz ist in erster Linie Maler und will ein Bild zum Klingen bringen. Die Sänger und Sängerinnen sind Farben, die singen.

 

 

Das Schauspiel reduziert er auf ein Mindestmaß, zu viel Bewegung lenkt nur ab. Nah am Bühnenrand positioniert, nach vorne gewandt, soll die Schönheit des Gesangs ins Publikum fluten. Dass das Ensemble für ihn Weltklasse hat, ist kein leeres Kompliment. In dem erfahrenen kongenialen Co-Regisseur Maximilian Eisenacher findet er seinen „Scout“, ein Glücksgriff, der seine Ideen tatsächlich bühnentauglich umsetzt. Auch Ruth Groß, eine erfahrene Bühnen- und Kostümbildnerin, gehört zum Team und arbeitet die Entwürfe des Künstlers so aus, dass sie Bühnenreife bekommen. Und Markus Lüpertz steht täglich im Malsaal, stundenlang, gestaltet Wände, Pappaufsteller und Kostüme, ist bei allen Proben dabei, er arbeitet hart, verträgt Kritik, geht darauf ein, schläft schlecht und dann ist er da, der Tag der Premiere.

In vier Bildern verdichten sich die Ereignisse um die vier brotlosen Künstler und Mimi und Musetta. Vor dem Ersten, Zweiten und Vierten wird je ein Prolog, den Markus Lüpertz selbst spricht, eingespielt: Expressionistische Lyrik, Satzfetzen, die nicht im Zusammenhang verstanden werden wollen, vor einem monumentalen Gemälde mit den Köpfen der Protagonisten.

 

 

Im ersten Bild, es ist Heiligabend, frieren der Maler Marcello und der Dichter Rodolfo in ihrer kalten Dachwohnung und verheizen deshalb dessen Manuskript. Die Einrichtung, Ofen, Stühle, Sofa, Staffelei und Wände sind zweidimensionale Bilder, Pappaufsteller, nichts ist heimelig, alles wirkt düster. Ganz anders die Kostüme. Alle tragen mit groben Pinselstrichen bunt bemalte Kleidung, übergestülpte ärmellose Hänger, kuriose Hosen und typische Kopfbedeckungen, auffällige Krägen. Fast komisch, harlekinhaft, grotesk geschminkt symbolisieren sie die Lebenskunst der Bohèmiens, die trotz widrigster Umstände dem Augenblick etwas Gutes abgewinnen können. Der Philosoph Colline und der Musiker Schaunard, der als einziger etwas Geld verdient hat, kommen dazu und alle beschließen, später in ihre Stammkneipe, das „Momus“, zu gehen. Nachdem sie den Vermieter Benoît, der eigentlich kassieren wollte, betrunken gemacht haben, bleibt Rodolfo noch daheim, um einen Artikel zu schreiben. Die anderen ziehen schon los. Mimi, die kranke Nachbarin, erscheint und bittet um Feuer. Beide kommen sich näher und verlieben sich. Alex Kim als Rodrigo erobert mit „Che gelida manina“ nicht nur Mimi, sondern die Herzen des Publikums und wenn Deniz Yetim Mimis Arie „Si, chiamono Mimi“ so innig und berührend singt, zerreißt es einem fast das Herz.

 

 

Natürlich sind das Gänsehautarien, natürlich kann man denken, Puccini läuft von alleine, aber beide brillieren in so vollendeter Harmonie und einer solchen Stimmvielfalt und Ausdruckskraft, dass es wirklich nicht verwundert, dass Herr Lüpertz zutiefst von den Meininger Größen beeindruckt ist.

Farben singen tatsächlich im zweiten Bild. Ganz in Giftgrün, mit roten Haaren oder Kopfbedeckungen, eine Kerze in den Händen, steht im Hintergrund der Chor in Tannenbaumformation. Im Vordergrund schräg und abstrakt die Kulisse des „Momus“, wo sich die Freunde treffen. Rodolfo erzählt allen von seiner Liebe, Mimi bekommt von ihm ein Hütchen und Marcello, Julian Younjin Kim, ist alles andere als glücklich, als er seine ehemalige Geliebte mit ihrem reichen Liebhaber sieht. Monika Reinhard mit roter Lockenmähne verkörpert die leichtlebige, leicht verruchte und kesse Musetta so individuell typisch, kokettiert und bewegt sich doch etwas mehr, als vielleicht der Regie lieb ist. Aber es passt!! Sie hat Esprit, Temperament und Herzenswärme, was sie später im 4. Bild so impulsiv und tröstlich vermittelt. Monika Reinhard eben!! Und singen, keine Frage, das kann sie auch, und wie. Die Meininger lieben sie. Thomas Lüllig als Alcindoro schämt sich für ihr frivoles Auftreten und mimt den Gehörnten perfekt, der hilflos mit ansehen muss, wie sie ihre Spielchen mit ihm treibt und am Ende die ganze Zeche noch bezahlen muss. Sie aber liebt Marcello immer noch, auch wenn er arm ist.

 

 

Im dritten Bild erscheint Mimi in bizarr düsterer Vorstadtszenerie, sie friert und es schneit. Sie sucht Marcello in einem Gasthof auf, um mit ihm über Rodolfos quälendes Verhalten zu reden. Ein überdimensionales, totenkopfähnliches Vogelgesicht lenkt die Fantasie des Betrachters auf das, was kommen wird. Der Geliebte will sich von ihr trennen, nicht weil er sie satt hat, sondern weil ihm die Mittel fehlen, ihr Leid zu lindern. Während Mimis zartes „Addio“ verklingt, streiten Musetta und Marcello im Hintergrund, weil sie ständig mit anderen Männern flirtet und sie trennen sich. Rodolfo und Mimi beschließen, doch noch bis zum Frühling zusammen zu bleiben.

Der Sinn des Prologs zum vierten Bild erschließt sich kaum, soll er auch nicht, Expressionismus eben, der keiner Interpretation bedarf. Die vier Freunde leben wieder als Junggesellen zusammen. Johannes Mooser als Musiker Schaunard ist immer für einen Spaß zu haben, er muntert die anderen auf und bildet mit Selçuk Hakan Tıraşoğlu als Philosoph Colline ein Gegengewicht zu den anderen in ihrem Liebeskummer. Als Musetta plötzlich erscheint und Mimi mitbringt, der es inzwischen immer schlechter geht, verkaufen die Freunde ihr letztes Hab und Gut, um für sie einen Arzt, Medizin und einen Muff zu besorgen. Rodolfo und Mimi bleiben alleine zurück, die Musik birgt alle Emotionen glücklicher Erinnerungen an ihre erste Begegnung.

 

 

Er ist verzweifelt, aber gefangen in seiner Unfähigkeit zu echtem Mitgefühl und Nähe und sie akzeptiert das in ihrer bedingungslosen Liebe. Musetta ist die einzige, deren Mimik und Haltung Herz beweisen, als sie ihr noch einen Muff bringt. Außergewöhnlich: Lüpertz lässt Mimi im Stehen sterben. Alle wenden sich ab und erstarren.

Und am Ende? Verzeiht man Markus Lüpertz die Kasperlkostüme, die schrägen, krakeligen und manchmal verstörenden Kulissen? Der Jubel, der aufbraust, als Deniz Yetim, Alex Kim und die anderen Sänger sich beim Schlussapplaus vor dem Publikum verneigen, die Bravorufe, die Standing Ovations, als Jens Neundorff von Enzberg GMD Philippe Bach zuruft: „Du bist Puccini“, zeigen: Da ist ein Gesamtkunstwerk gelungen. Ohne so ein großartiges Orchester, ohne so ein Weltklasse-Ensemble, ohne so einen perfekten Theaterapparat hätte Markus Lüpertz sein Bild nie zum Klingen gebracht.

Das Medieninteresse war vorher schon groß, wie wird jetzt erst die Resonanz nach so einer außergewöhnlichen Operninszenierung ausfallen?

 

Inge Kutsche, 12.12.21

Bilder (c) Christina Iberl, Jochen Quast, Marie Liebig

 

 

 

Junges Staatstheater Meiningen

„Drei Nüsse für Aschenbrödel“

Nach dem gleichnamigen Film von Václav Vorlíček und František Pavlíček

Musik von Karel Svoboda

 

Premiere am 20.11.2021

 

 

Wie kriegt man Kinder und junge Leute ins Theater? Man nehme ein Aschenbrödel, drei Haselnüsse, einen Prinzen und zauberhafte Musik… Ganz so einfach machen es sich Regisseurin Gabriela Gillert und Bühnenbildner Helge Ullmann nicht. Natürlich orientieren sie sich an der Filmvorlage und belassen die Schauplätze Winterwald, Hofgut und Schloss, aber schon bei den Figuren geht diese kindgerechte Inszenierung ganz eigene Wege. Herrlich überzeichnet bedienen die einen ein comedyerfahrenes Publikum, das begeistert auf jede ihrer Schrullen, Tollpatschigkeiten, Mimik und Gestik reagiert, während sie in Aschenbrödel ein selbstbewusstes junges Mädchen erleben, das Natürlichkeit und Optimismus ausstrahlt. Die Geräuschkulisse zu Beginn im vollbesetzten Haus ist gewaltig, doch kaum erklingen die ersten Töne, der Vorhang hebt sich, der Blick fällt auf einen imaginären Winterwald, Lichtertäubchen schweben am Himmel, ein Hase fährt vorbei und schon ist es mucksmäuschenstill. In der Küche auf dem Hofgut, auf dem Aschenbrödel mit seiner bösen Stiefmutter und deren gemeinen Tochter Dorchen lebt, geht es weniger still zu.

 

Der König wird zu einem Besuch erwartet, es wird gebacken, gebraten und geschimpft und niemand kann es der strengen Hausherrin recht machen. Aschenbrödel entflieht trotzdem für eine kurze Zeit mit seinem geliebten Hengst Nikolaus in den Winterwald und trifft dort auf den Prinzen mit seinem Präzeptor, der ihm wenig erfolgreich die Gepflogenheiten eines zukünftigen Königs beizubringen versucht. Das Mädchen verulkt den jungen Mann, spielt Verstecken mit ihm und verschwindet. Inzwischen ist der König in einer rosa Kutsche eingetroffen und nach seiner überdeutlichen Mimik kein bisschen von dem affektierten Getue der Damen angetan. Trotzdem ergattern sie eine Einladung zum Ball im Schloss. Diener Vinzek wird deshalb für Besorgungen fortgeschickt und bringt auch Aschenbrödel, das nicht zum Ball darf, eine Kleinigkeit mit: die drei Haselnüsse. Dank der Hauseule Rosalie entfaltet die erste Nuss ihre Magie und ein Jagddress fällt vom Himmel. Wieder trifft das Mädchen, nun in Jägergestalt, im Wald auf den Prinzen, imponiert ihm durch Treffsicherheit und Schlagfertigkeit und ist zu seinem Bedauern gleich wieder verschwunden. Inzwischen kleiden sich die Damen für den Hofball, lassen sich von Aschenbrödel bedienen und bürden ihm noch mehr gemeine Arbeit auf, nämlich Mais und Linsen zu sortieren.

 

Lichtertäubchen helfen im Nu und Eule Rosalie lässt den Zauber der zweiten Haselnuss in Form eines Ballkleides samt Schuhen vom Himmel schneien. Präzeptor und Zeremonienmeister gleichermaßen lässt Stück für Stück den Palast entstehen, die Kulisse für den königlichen Ball, bei dem der Prinz als zukünftiger Herrscher seine Braut erwählen soll. Die Zuschauer werden angehalten, durch Gesten der Ehrerbietung dem König die üblichen Ovationen zu erweisen – und tatsächlich machen alle mit. Selbstverständlich gelten im Schloss auch alle Regeln des AHA-Konzepts: Man wird auf Masken und Abstand hingewiesen. Gequält und angewidert betrachtet der Prinz die schrill-hässlichen und grauenvoll aufgedonnerten Heiratskandidatinnen, zum Teil Männer in phantastischen Roben und will schon flüchten, als Aschenbrödel seinen Wow-Auftritt im Tausendglitzerkleid hat. Hingerissen macht er ihm sofort einen Heiratsantrag, aber erst wenn er ein Rätsel gelöst hat, würde das Mädchen ihn nehmen. Nun verliert es natürlich bei der überstürzten Flucht den Schuh und irrt im Wald umher auf der Suche nach Pferd Nikolaus.

 

 

Der Prinz verfolgt seine Traumfrau und die Kinder im Publikum dirigieren ihn lauthals, fiebern mit. Stiefmutter und Dorchen haben nur noch einen kurzen Auftritt und versinken, nachdem der Schuh nicht passt, in einem Schneeloch. Ein letzter Auftritt der Eule lässt die Magie der dritten Haselnuss wirken: Ein Hochzeitskleid erscheint. Nicht er holt oder findet seine Braut, sie selbst erscheint in phantastischer Lichterrobe im Schloss, um sich ihren Prinzen zu nehmen, der nun das Rätsel lösen kann. Happyend mit Fanfaren, Blütenblätterregen, Pferd und Schnutenkuss auf Abstand lösen ein Applausgeschrei im Saal aus. Nach 70 Minuten Anspannung und Mitfiebern hält es kleine und große Kinder nicht mehr auf den Sitzen.

 

 

Carola Witte als Aschenbrödel verkörpert temperamentvoll, witzig und frech ein junges Mädchen, das trotz widriger Umstände Freude empfindet. Hengst Nikolaus, die Eule Rosalie, Täubchen und Eichhörnchen sind ihm ans Herz gewachsen und treue Gefährten. Intuitiv spürt die junge Frau, dass sie ihr Leben nach ihren Wünschen gestalten kann. Selbst ist die Frau, das wird der Prinz Yannick Fischer schon bald zu spüren bekommen. Richtig gut mimt er den hübschen, aber noch unreifen Thronfolger, dessen Mimik augenfällig signalisiert: „Kein Bock auf königliche Pflichten oder hässliche Bräute“. Weil er etwas phlegmatisch und unbeholfen wirkt, ist seine Zukünftige wohl genau die Richtige für ihn. Im Wesen ist er dem Vater, Matthias Herold, gar nicht so unähnlich. Kugelrund mit überdimensionalem Po und Bauch verkörpert er einen gutmütigen und sympathischen Mann, der durchaus auch ein Herz für das Personal hat. Seine Späße und Possen begeistern alle. Christine Zart ist die Rolle der bösen Stiefmutter auf den Leib geschrieben. Grandios verkörpert sie bis zum letzten Auftritt diese dominante, herrschsüchtige und eiskalte Person.

 

 

Schon die strenge Frisur, die furchteinflößende Mimik und ihr menschenverachtendes Verhalten wirken. Marie-Sophie Weidinger als Tochter Dorchen übertreibt als affektiertes Echo der Mutter ihr zickiges und albernes Verhalten ins Unerträgliche und tritt in jedes Fettnäpfchen. Zu den Guten zählen der treue, urige Hofknecht Vinzek im Wurzelsepplook und der übereifrige, pflichtbewusste Präzeptor in Staatsuniform. Hans-Joachim Rodewald verkörpert in einer Doppelrolle diese unterschiedlichen Charaktere sehr gelungen. Den Zuschauern fiel bestimmt nicht auf, dass es sich um ein und denselben Schauspieler handelt. Und nun zu dem wundervollen Pferd, in dem Ibrahim Bajo und Emil Schwarz stecken, die in völliger Harmonie der Bewegungen die Illusion eines echten Tiers erzeugen. Es wirkt täuschend echt und hat so eine intensive Ausstrahlung, dass es einen rührt.

 

 

Das Orchester der Meininger Hofkapelle unter der Leitung von Peter Leipold hat die zauberhafte Musik von Karel Svoboda im Vorfeld eingespielt. In jeder Szene untermalt oder führt, romantisiert oder dramatisiert sie situativ die Geschehnisse. Niemand wird sich der Magie dieser Melodien entziehen können. Die Idee, das Programmheft als eine Art Bilderbuch mit wenig Text und einer CD zum Nachhören zu gestalten, ist etwas Besonderes. Die Tradition in Meiningen, in der Weihnachtszeit ein Märchen aufzuführen, alte Stoffe neu, mit anderen Schwerpunkten zu inszenieren, hat sich wieder bewährt. Die Eindrücke werden bleiben, nachhallen und die Liebe zum Theater wecken. Wenn Eltern und Großeltern, Lehrerinnen und Lehrer den Kindern die Chance geben, Theaterkultur zu erleben, werden sie „infiziert“ und inspiriert. Intendant Jens Neundorff von Enzberg verwirklicht mit dem „Jungen Staatstheater“ ein tiefes Anliegen, junges Publikum in ihrer Lebenswelt abzuholen, ihnen Produktionen anzubieten, die nicht nur bloße Unterhaltung, sondern weit mehr bieten.

 

Inge Kutsche, 23.11.53

Fotos: Marie Liebig, Christina Iberl

 

 

The Sound of Music

Premiere 29.10.21

 

Musik: R. Rogers   Songtexte: O. Hammerstein II Buch: H. Lindsay und R. Crouse

Regie: Bernd Mottl   Musikalische Leitung: Harish Shankar

 

 

 

Maria lebt als Novizin in einem kleinen Kloster in den Bergen. Quirlig, temperamentvoll, natur- und musikbegeistert weckt sie nicht bei allen Nonnen Sympathie. Aber die Mutter Oberin hat viel Verständnis, erkennt die Lebensfreude und ahnt, dass ein Leben im Orden dieses besondere Naturell zerstören würde. Sie schickt sie als Gouvernante in die Villa des verwitweten Kapitäns Georg von Trapp und dessen sieben Kinder. Maria pfeift auf Drill und sture Disziplin. Weder die Strenge des Vaters noch die elegante Umgebung können sie beeindrucken. Mit Offenheit und Wärme, mit Musik und Gesang gewinnt sie die Herzen im Sturm und auch die Haushälterin und der Diener atmen auf. Sie ersetzt die fehlende Mutter, wird Freundin und Vertraute von Lisl, der Ältesten, die sich in einen Jungen, Rolf, verliebt hat. Noch harmlos, aber dennoch infiziert, sympathisiert dieser schon mit dem Nazikult. 1938 steht die Machtergreifung der Deutschen und der Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland kurz bevor. Wohl symbolhaft nimmt sie den Kindern die Angst vor einem Gewitter, wenn alle in ihr Bett flüchten dürfen und gemeinsam singen.

 

 

Kapitän von Trapp kehrt von einer Reise zurück, begleitet von der eleganten Baroness Elsa Schrader, die ihm Avancen macht. Geld gehört zu Geld, ist ihre Devise. Als er seine Kinder ausgelassen und übermütig, statt diszipliniert, erlebt, will er Maria sofort entlassen. Unbeeindruckt lässt sie ihren „Chor“ ein Lied zur Begrüßung der Dame singen und erweicht damit alle Herzen. Während eines Balls, der eigentlich zu Ehren Elses stattfindet, verlieben sich Maria und der Kapitän. Auch hier wird die politische Entwicklung deutlich: Dirndl und Trachtenanzüge neben Uniformen. Nach einem anrührenden Auftritt der Kinder ist Max, ein Musikproduzent und Freund des Kapitäns, so begeistert, dass er sie bei einem Musikwettbewerb groß herausbringen will. Aus Angst vor ihren Gefühlen ist die Novizin inzwischen heimlich ins Kloster geflohen, wird aber von der klugen Äbtissin wieder zurückgeschickt, weil diese Liebe ihre Bestimmung ist.

 

 

Im zweiten Teil offenbaren Max und Else, beide Opportunisten, ihren Hang zu den neuen politischen Machthabern. Eigentlich will sie den Kapitän heiraten, erkennt aber, dass dieser ihre Ansichten nicht teilt und außerdem Maria liebt, die inzwischen wieder da ist. Ganz in Rot getaucht, die Farbe der Liebe, finden die beiden sich und heiraten im Nonnbergstift, begleitet vom „Gaudeamus“ des Nonnenchors und blümchenstreuenden Kindern. Zurück von der Hochzeitsreise erhält von Trapp den Befehl, ein U-Boot zu übernehmen. Nur die Teilnahme an dem Gesangswettbewerb verschafft ihm noch etwas Aufschub. Dort erweist sich Max als wahrer Freund und ermöglicht der Familie die Flucht ins Kloster. Doch der Sturmbannführer und seine Truppe überfallen die Nonnen, höchste Gefahr ist im Verzug und Rolf hilft entgegen seiner Überzeugung. Mit dem Segen der Mutter Oberin bricht die Familie auf, um zu Fuß über die Alpen in die Schweiz zu gelangen.

 

 

Regisseur Bernd Mottl bleibt in der Zeit vor und während der Machtergreifung der Deutschen. Musik und Gesang tragen diese Familie durch alle bedrohlichen Situationen, vermitteln Gemeinschaft und einen Schutzraum der Geborgenheit. Sie erweichen den versteinerten Witwer Georg, der nach dem Tod seiner Frau alle Musik aus seinem Haus verbannt hat. Mit Musik erobert Maria im Handumdrehen die Herzen der Kinder und Musik bewegt sogar den gestrengen Admiral, Trapps Einberufungsbefehl noch ein paar Tage hinauszuschieben. Musik verbindet Maria und die Mutter Oberin, die in ihrer Novizin einen Teil ihres früheren Ichs wiederfindet. Der Chor der Nonnen begleitet die Hochzeit und die gefährliche Flucht über die Alpen, spendet Segen, Mut und Zuversicht. Nein, Bernd Mottl schuf keine Kitschversion, keine rührselige Seifenoper über die bekannte Trapp-Familie. Szene für Szene reduziert er die Inhalte in schlichter Sprache auf ein Kerngeschehen. Nirgendwo gibt es Zeit zum längeren Verweilen. Tempo ist angesagt. In rascher Abfolge wechseln die Schauplätze. Der Zuschauer gewinnt immer nur kurz Einblick ins Kloster, in die Villa des Kapitäns, in das Zimmer Marias, in die Bergwelt oder das Musikfestival. Auch Komik darf sein, ein Musical ist keine todernste Angelegenheit. Die „Sisteracts“ gleich zu Beginn sind zum Schießen. Der Damenchor des Theaters ist einfach klasse.

 

 

Im Karussellmodus nimmt Friedrich Eggert Darsteller und Publikum vor schroffer Bergkulisse von Schauplatz zu Schauplatz. Die bleiben eigentlich ziemlich gleich, ändern sich aber in Position und Ansicht, in Farbe und Beleuchtung. Zu Beginn gleitet eine gemütliche Kapelle mit grünem Dach und Zwiebeltürmchen ins Bild, die gleichzeitig als Kloster fungiert. Danach tanzt Maria auf ihrem geliebten Berg und verweilt auf einer grünen Bank. Die Villa des Kapitäns in Gelb mit Freitreppe zu den grünen Türen der Kinderzimmer vermittelt edles Ambiente und Marias schlichtes Zimmer in Orangetönen ist ein Wärmekämmerchen für die verwaisten Geschwister. Ganz anders erzeugt die dunkle und schmucklose Bühne des Gesangsfestivals, dominiert von einem riesigen schwarzen Reichsadler, Unbehagen, Grauen. Perfekt passen originelle und farbintensive Kostüme ins Bild: Die lila Tracht der Nonnen mit witzigen Toppings, die an Fahrradhelme erinnern, die Matrosenanzüge der Kinder, später die Spaßkluft in Orange, genäht aus Vorhängen, und schließlich Dirndl und Trachtenanzüge in Rot und Weiß, den Farben Österreichs. Max in hellblauem Karo und Else in elegantem Outfit dürfen die Klischees des Musikproduzenten und der Schickeria bedienen. Authentische Nazikluft bringt den gewünschten Effekt: Angst und Schrecken.

 

 

Der bekannte Choreograf Hakan T.Aslan verleiht mit Tanz und Bewegung dem Stück Drive und Pep. Gleich zu Beginn lässt er die Klosterfrauen grooven, Maria übermütig über die Bühne wirbeln, die Kinder wild und scheinbar ungeordnet toben…nein, jeder Schritt ist durchdacht und wirkt. Hier ist ein Meister am Werk.

Mottl peppt die allzu rührselige amerikanische Vorlage etwas auf, gibt den Ohrwürmern wie „Edelweiß“ nur so viel Raum, dass sie nicht zum Mitsummen und Schunkeln verleiten, und rückt damit auch die Figuren mehr ins Licht. Wenn Monika Reinhard als Maria kess und keck im Überschwang voller stimmlich brillanter Kapriolen ihrer Mutter Oberin von ihrer Liebe zur Natur und zum Gesang vorschwärmt, ausgelassen springt und tanzt, zeigt sie sich noch fast pubertär. Später als Erzieherin und Mutterersatz für die Kinder, dann als Ehefrau, findet sie die Balance zwischen Spaß, Fürsorglichkeit und Haltung. Bewegung, Tanz, Gesang und Dialoge sind authentisch. Sie ist der Mittelpunkt des Geschehens, lässt aber den anderen genügend Raum, sich zu entfalten. Michael Jeske als Georg von Trapp erscheint anfangs erst unsensibel, gehemmt und etwas unbeholfen, wächst aber an ihrer Seite und traut sich sogar als singender Vater anrührend das „Edelweiß“ beim Musikwettbewerb vorzutragen. Marianne Schechtel verkörpert mit ihrer wundervollen Stimme, mit ihrem Humor und ihrer Sensibilität die Äbtissin auf das Beste.

 

 

Gäbe es im Leben mehr von ihrer Sorte, hätten Orden weniger Nachwuchsprobleme. Stan Meus erweist sich als dandyhafter Musikproduzent komisch, schlitzohrig, aber auch empfindsam und hat wieder eine Rolle, die zu ihm passt. „Ihr Kinder wart ein Traum“ schwärmt Intendant Jens Neundorff von Enzberg am Ende. Überbordender Applaus galt in erster Linie ihnen und ihren hinreißenden Auftritten. Mal quietschvergnügt, turbulent und voller Übermut, mal still, diszipliniert und lammfromm sind sie fast drei Stunden in allen Facetten des Musicals auf der Bühne präsent. Natürlich und unverbildet, ansteckend und anrührend sind sie eine Wucht. Da zeigen sich Talente und die Früchte zahlreicher Proben. Ein großes Lob den Dramaturgen Julia Terwald und Cornelius Edlefsen.

Harish Shankar, der schon als Kind den Film „Sound of Music“ liebte, gestaltet jede Szene, jeden Inhalt, jede Stimmung souverän mit einer idealen Besetzung des Boulevardorchesters der Meininger Hofkapelle.

Ein begeistertes und dankbares Publikum feiert mit „Standing Ovations“ sein Meininger Theater und man darf gespannt sein, was an Überraschungen diese Spielzeit unter der Intendanz von Jens Neundorff von Enzberg noch bieten wird.

                                                                                                                                  Inge Kutsche, 1.11.21

(c) Christin Aiberl

 

OPERNFREUND SILBERSCHEIBEN REDAKTIONS-TIPP

 

Heute digital überarbeitet klingt und sieht der Film natürich tausendmal besser aus, als noch bei der Premiere vor 56 Jahren. Ein  Klassiker - ein MUST HAVE. Einfach wunderbar redigitalisiert für die Ewigkeit.                                                                 P.B.

 

 

Der fliegende Holländer

Premiere am 16.10.2021

 

 

 

Am besten lässt man die Muster klassischer Holländerinszenierungen in der Erinnerungsschublade oder noch besser: Man hat noch nie eine gesehen. Dann kann man sich vorbehaltlos dieser Variante hingeben und sich mitnehmen lassen.

Die Ouvertüre öffnet den Blick in die Bar eines Kinos im Retrodesign der 50er Jahre. Vergilbte Tapeten, einige Tischchen und Stühle, der Tresen mit einem Barkeeper, der Gläser poliert und einen Gast bedient, an der Wand ein großes Filmplakat: „Fluch der Meere“. Davor sitzt eine junge Frau im braven Outfit: Faltenrock, Strickjäckchen und Blüschen. Sie faltet ein Papierschiffchen, tritt vor das Bild des Titelhelden, himmelt es an und wartet ungeduldig auf den Einlass. Diese Szene wiederholt und wiederholt sich, denn sie sieht sich den Film immer wieder an. Das Bühnenbild wird bleiben, alles wird sich in diesem  „Wartesaal des Glücks“ abspielen, nicht auf dem Meer, nicht am Strand oder auf den Schiffen.

 

 

Trotzdem sind da die Inhalte der Arien, die in ein Zweiebenengeschehen mit einer Doppelbedeutung der Figuren führen. Dass das funktioniert, ist zum einen dem ungeheuer sensiblen Spiel der Meininger Hofkapelle zu verdanken, die den ganzen Facettenreichtum dieser romantischen Komposition Wagners in all ihrer Wucht und Zartheit zum Leben erweckt. Die Musik braust, umtost, schrillt, alarmiert, schmeichelt und schmiegt sich an Darsteller und Geschehen. Zum anderen sehen wir die Protagonisten in völliger Harmonie mit ihrem Schicksal, ihrem Denken, Tun und Fühlen. Nichts wirkt aufgesetzt oder distanziert. So kann trotz irritierendem Äußeren auch die eigentliche Geschichte aufleben.

Kapitän Daland gerät auf der Heimreise mit seinem Schiff in einen schweren Sturm und muss mit seiner Mannschaft in einer Bucht anlegen. Während er sich in der Bar betrinkt, hält sein Steuermann, der Barkeeper, Wache. Auch er möchte heim zu seiner Liebsten und spätestens, wenn er singt: “Ach lieber Südwind blas noch mehr…“ begreift der Theaterbesucher, dass sich hier ein metaphorisches Geschehen anbahnt, aber auch wenn plötzlich eine Schar von gläserpolierenden und serviettenwedelnden Kellnern hereinrauscht und lustig singt: „Hei, wie die Segel sich blähn“.

 

 

Der Holländer, verdammt durch einen Fluch, so lange auf den Meeren zu segeln, bis er eine Frau findet, die ihm bis in den Tod treu ist, darf für dieses Vorhaben nur alle sieben Jahre an Land. Er trifft auf Daland, offenbart ihm seine Sehnsucht nach einer Frau und zeigt ihm seine Schätze. Geldgierig bietet der ihm Gastfreundschaft und seine Tochter an. Senta ist eine Außenseiterin, sie hat nichts mit den anderen Frauen gemein, die nun alle ebenfalls uniform gekleidet mit Strickzeug auftreten und freudig die Ankunft ihrer Männer erwarten. Völlig entrückt und voller Inbrunst singt sie die Ballade vom „Holländer“ und sieht ihr Schicksal in der Erlösung dieses Mannes. Als Erik, ein Jäger, der Senta liebt, deren Verblendung erkennt, will er sie warnen, retten, aber sie will nichts mit ihm zu tun haben. Hier endet der erste Teil und schon jetzt zeigt sich Wirkung im Publikum. Lena Kutzner gibt ihr Debüt mit einer solchen Intensität, dass man fast den Atem anhält.

 

 

Der Sopranistin gelingt es überwältigend, die Rolle der besessenen Senta in Mimik, Stimme und Gestik darzustellen. Sie gestaltet die Arien in einer solch empfindsamen Tiefe, dass man die Tristesse der Kulisse vergisst. Der Bariton Shin Taniguchi singt den Holländer in seiner Tragik, Verzweiflung und Hoffnung so überzeugend und tragend, dass es eine Wonne ist, ihm zuzuhören. Dagegen wirkt Bassbariton Tomasz Wija als Daland fast blass. Aber es gelingt ihm gut, den windigen, geldgeilen Typen darzustellen, der seine Tochter verkauft und wie eine Zuchtstute anpreist. Michael Siemon überzeugt als Erik in seinem Unglück, in der Verzweiflung  und steigert seine stimmliche Kraft.   Der Tenor Rafael Helbig-Kostka passt in die Rolle des Barkeepers und meistert seine Passagen ausdrucksvoll, ansprechend und souverän. Der Chor hat in Wagneropern stets besonderes Gewicht und Bedeutung. Er fungiert niemals nur Hintergrundmusik. Hier agieren Sängerinnen und Sänger mit schauspielerischem Talent und perfekter Choreografie in originellen Kostümen.

 

 

Im zweiten Teil trifft Senta auf den Holländer, erkennt ihre Bestimmung und gibt sich ganz der Erfüllung ihrer Träume hin. Sie wird blind für ihre Umwelt und erträgt weder den peinlichen Vater, noch das Getue und die Wertvorstellungen der anderen Frauen. Sie ist besessen von der fixen Idee, den Seefahrer zu erlösen, und gleitet aus der Realität in eine Traumwelt, blind für alle Unglückszeichen. Dieser ist anfänglich noch skeptisch, ob sie weiß, worauf sie sich einlässt, aber am Ende feiert man zu dritt Verlobung mit Piccolo und einer Partie „Mensch ärgere dich nicht“. Als Erik Senta noch einmal eindringlich an ihr einstiges Treueversprechen erinnert, zerbricht das Glück. Der Holländer glaubt nicht mehr an einen glücklichen Ausgang seiner Geschichte, auch wenn Senta sich sogar das Leben nehmen will, zum Beweis ihrer Liebe, was er noch verhindert und verschwindet. In der Schlussszene sind wir wieder am Anfang, im Kino, am Ende einer Vorstellung….Aber ich verrate nicht, wie es ausgeht.

 

 

Man versteht diese Inszenierung erst rückwärts. Der Regisseur Kay Metzger verlegt den Schauplatz ins Kino, um Sentas Besessenheit zeitgemäß zu erklären. Der Schwarm für Filmhelden kann zur Obsession führen. Gerade Teenager fixieren sich auf Rock- oder Filmstars, leben in deren Filmwelten, übernehmen deren Gewohnheiten und werden blind für die Realität. Der Ausbruch aus einer langweiligen oder fordernden Gesellschaft und die Flucht in eine Fantasiewelt sind gar nicht so selten. Die allgegenwärtige Medienpräsenz wirkt wie eine Droge und die, die anders sind oder sein wollen, verfallen der Sucht.

Nach fast drei Stunden Spieldauer und einer so großartigen Leistung aller Akteure brandet ein wahrer Sturm der Begeisterung im Publikum auf. Jubelschreie, Bravorufe, Standing Ovations und Applaus, Applaus, Applaus zeigen: Selbst eine so auf den ersten Blick verrückte Inszenierung kommt an, und wie!!! Dabei war das Durchschnittsalter der Besucher geschätzt sicher bei 55 aufwärts.

                                                                                                                                  Inge Kutsche 18.10.2021

Bilder (C) Staatstheater Meiningen

 

 

 

Georg Friedrich Händel

„Amadigi di Gaula“

Musikalische Leitung: Attilio Cremonesi

Regie, Bühne, Kostüme: Hinrich Horstkotte

Dramaturgie: Claudia Forner

 

Premiere am 17.09.2021

 

 

Spielzeiteröffnung mit einer über 300 Jahre alten Oper, deren überschaubarer Inhalt sich an einem Ritterroman aus dem 16. Jh. orientiert und nicht auf einem Schrottplatz oder Gefängnishof spielt… geht das? Ist die Gefahr nicht groß, dass ein Werk des Barock im Schwulst überladener Kulissen und Kostüme, Effektspektakel und überzeichneter Figuren einfach nicht mehr zumutbar ist? Jens Neundorff von Enzberg, dem neuen Intendanten des Staatstheater Meiningen, gelang es, mit Hinrich Horstkotte einen Regisseur zu gewinnen, der den Urstoff Händels zwar entstaubt hat, aber dennoch faszinierende Bühnenbilder entwarf, opulente wie witzige und verrückte Kostüme kreierte und maßvoll dosierte Effekte ersann.

Auf ihrer Reise geraten die Ritter Amadigi und Dardano ins Zauberreich Melissas, die sich in ihn verliebt. Er aber ist bereits mit Oriana liiert, die auch Dardano heiß begehrt. So werden beide zu Rivalen. Die Zauberin versucht vergeblich, Amadigi zu verführen und erntet nur eine kalte Abfuhr. Verzweifelt und wütend offenbart sie ihm, dass sie Oriana in einem Turm gefangen hält, den ein Feuerkreis umgibt. Beide Männer wollen sie befreien, was allein Amadigi als wahrhaft Liebendem gelingt.

 

 

Orianas Freude währt nur kurz, Melissa lässt sie erneut von ihren Furien entführen, um das Objekt ihrer Begierde doch noch zu bezirzen. Vergeblich. Nun soll Dardano in Gestalt des Nebenbuhlers die Geliebte betören. Amadigi kommt hinzu und im Kampf tötet er den Rivalen. Melissas Pläne gehen nicht auf. Beide Frauen geraten in einen heftigen Streit und wieder wird Oriana in den Palast der Zauberin entführt, die dann all ihre magischen Kräfte und Furien mobilisiert, um das Liebespaar doch noch zu trennen. Am Ende ruft sie Dardanos Geist aus der Unterwelt zu Hilfe, aber die Götter dort stehen auf Seiten der Liebenden. Daran zerbricht Melissa und bringt sich um. Fanfaren ertönen, das Paar wird in Hochzeitskleidung gesteckt, aber ob es nach all dem erlebten Leid sein Glück finden wird, sei dahingestellt.

Alle vier Protagonisten stehen für einen bestimmten Charakter. Das offenbart sich im Kontrast ihres Auftretens, ihrer Kostüme, ihrer Gefühle, im Bühnenbild und in den Farben. Melissa, die Zauberin, verkörpert von Monika Reinhard, ist die stärkste Persönlichkeit, was sich in einer ungeheuren Opulenz ihrer raumgreifenden Roben zeigt.

 

 

Rot und Schwarz sind die Farben dieser Figur, die all ihre Gefühle wie Wut, Verzweiflung, Rachegelüste, Liebesschmerz und Verletzlichkeit in ihre Stimme legt. Scheinbar mühelos und hochemotional vokalisiert sie in endlosen Koloraturen brillant jede Regung. Mimik und Gestik unterstreichen ihre psychische Situation. Dardano, gespielt von der großartigen Mezzosopranistin Almerija Delic, zeigt mit ungeheurem Körpereinsatz Temperament und starke Gefühle. Souverän meistert sie facettenreich die vokalen Brechungen aller Gesangstöne der schwierigen Arien in scheinbarer Leichtigkeit. Jungenhaftes, fast lässiges Outfit, wirre Frisur, leicht derangiert, stetiges Klagen prägen diese unglückliche Persönlichkeit, den Loser. Amadigi daneben wirkt in seiner Rolle fast starr und distanziert. Countertenor Rafal Tomkiewicz muss zwar in weißer edler Robe den starken Helden markieren, hinter dessen Fassade sich jedoch wenig Einfühlungsvermögen findet, was die Psyche beider Frauen betrifft. Er handelt nach Schema, wirkt manchmal wie fremdgesteuert. Seine Stimme bleibt zart und selbst in Konfliktsituationen wenig vehement. Auch Oriana, stets mädchenhaft in schlichtem, fließendem Weiß, ist seltsam distanziert, scheint kraftlos, zerbrechlich, ängstlich. Nie lässt sie sich von Angst oder Freude hinreißen. Erst am Ende, als alles verloren scheint, tritt sie Melissa kraftvoll gegenüber. Sopranistin Sara-Maria Saalmann interpretiert diesen Typus sehr einfühlsam und behutsam in anrührendem Gesang.

 

 

Barocker Stil, wie man ihn von Kirchen und Schlössern gewohnt ist, erschlägt in seiner Fülle. Hinrich Horstkotte entrümpelt und schafft Solitäres, das den Blick des Betrachters magisch in seinen Bann zieht: ein riesiger roter Höllenschlund mit gewaltigen Zähnen bildgewaltig in Szene gesetzt, schwebende Säulen in zarten Weiß- und Grautönen schaffen Illusion von Räumen, spiegelnde Wände die von Brunnen. Gewaltige Steinschluchten, Feuerkreise aus züngelnden Flämmchen oder hopsende Meereswellen mit ulkigem Getier sind phantastisch und witzig zugleich. Aber auch Szenen mit spartanischem Interieur sind bewusst gewählt, wenn die Sinne ganz auf eine Figur gelenkt werden. Nur so erlebt das Publikum die virtuosen Arien in ihrer Vielfalt. Zauber, Überraschungen, Effekte, phänomenale Kostüme wie ein Reifrock Melissas, der sich zu einem riesigen Zelt bauscht, Gruseliges oder Schrilles für die Furien, Lächerliches wie Schirmröckchen und Glitzeroberteil für Amadigi. Keinesfalls unerwähnt bleiben dürfen die Künstler an der Lichttechnik. Denn sie zaubern in jeder Szene Stimmungen und Gefühle und machen eine Opernaufführung zum komplexen Wunderwerk.

 

Dirigent Attilio Cremonesi ist die Seele dieses Kunstwerks. Mit den Solisten der Meininger Hofkapelle gestaltet er musikalische Charaktere, Handlung und Stimmungen präzise und transparent. Lebendiger und einfühlsamer kann man sich Händels Musik kaum vorstellen. Filigran bis furios, hingehaucht leise bis kraftvoll dynamisch gestaltet er die Sätze so, dass jede Stimme hörbar bleibt. Ständig wechselnde Tempi, vielfältige Klangschattierungen, Hervorheben von Soloparts zeugen von einer genau ausbalancierten Dramaturgie. Dem großartigen Orchester und seinem Dirigenten zuzusehen, war fast genauso faszinierend wie das Geschehen auf der Bühne.

Gratulation dem neuen Intendanten, dem gesamten Team des Theaters zu einem wahrhaft gelungenen Start in die neue Spielzeit.

                                                                                                                                 Inge Kutsche, 20-9-2021

Bilder (c) Theater Meiningen

 

 

 

 

 

Eine Nacht in Venedig

 

Johann Strauss

Komische Oper drei Akten

Libretto: Friedrich Zell und Richard Genée

Musikalische Neueinrichtung: Erich Wolfgang Korngold

Orchesterfassung : Harish Shanka

 

Premiere in Meiningen am 16.07.2021

 

Als Richard Strauß 1882 den Kompositionsauftrag für dieses Werk angenommen hatte, ohne das Libretto vorher zu lesen, erlebte er eine böse Überraschung. Die Geschichte ist zerfahren, schwulstig und weder poetisch, geschweige denn komisch. Er klagt seinem Schwager: „…es wird ein rechter Schund werden, kannst dich drauf verlassen…“ und schenkt ihm später die Partitur mit Widmung „Meinem lieben Schwager Josef Simon als gebundenes Closette-Papier. Wünsch guten Appetit.“

 

 

Natürlich packte ihn der Ehrgeiz, dieses Miststück in ein Glanzstück zu verwandeln und die herrlichen Melodien reizen bis heute die Theaterbesucher mitzusummen!!

Regisseur Thomas Weber-Schallauer verlegt die Handlung zeitgemäß in das Venedig der Gegenwart, ohne auf Barockes, Opulentes und die Klischees der Lagunenstadt ganz zu verzichten. Komödie und Satire auf die damalige wie heutige Gesellschaft mit überzeichneten Figuren verschmelzen zu einer gelungenen Symbiose, die wohlwollend karikiert und weder albern noch abgedroschen wirkt. Alle erscheinen selbst in ihrer Unzulänglichkeit sympathisch und hinreißend komisch. Siegfried E. Mayer gönnt dem Publikum ein farbenfrohes Bühnenbild und führt es zu den Originalschauplätzen auf die Piazza San Marco, an die Ufer der Lagune und ins Innere eines Palastes. Die Kostümbildner durften sich mit Schnitten und Farben aus den Moden des Rokokos, der 20iger, 50iger und 70er Jahre austoben und könnten mit ihren Kreationen in jeder Talentshow Preise abräumen. Gewagt und frech betonen manche Kostüme geradezu unvorteilhaft körperliche Unzulänglichkeiten. Schief sitzende Perücken, groteske Haartürme und Schminkexzesse feiern die Satire.

 

 

Im ersten Akt fluten Touristen in Regencapes mit gezückten Handys die Piazza San Marco. Makkaronikoch Pappacoda ist sauer, weil keiner an seiner Nudelgondel andockt und er vor der Pleite steht. Emotional aufgebracht und wütend besingt Giulio Alvise Caselli aus einem überdimensionalen Pastateller, eine Gondelattrappe um den Bauch geschnallt, seine trübe Situation. Seine Geliebte Ciboletta, die als Köchin im Haus des Senators Delacquas arbeitet, will er so mittellos nicht heiraten. Carolina Krogius ist die gelungene Besetzung, die diesem Jammerlappen temperamentvoll und stimmgewaltig die Meinung geigt. Sehr begehrt und geschäftstüchtig präsentiert sich Annina, die Fischverkäuferin in einer riesigen Muschel. Aufreizend und freizügig zieht Monika Reinhard in Höchstform nicht nur ihre Kunden, sondern auch Verehrer an. Liiert mit Caramello, dem Leibbarbier des Herzogs, ist auch sie frustriert und fühlt sich nur ausgenutzt und wenig wertgeschätzt. Schon optisch birgt dieses Paar Komik: sie zierlich und quirlig, er distinguiert, abgehoben und mit pavarottischen Ausmaßen. Nur das Stimmvolumen dürfte noch wachsen.

 

 

Rafael Helbig-Kostka, neu im Ensemble, gibt in dieser Premiere sein Debüt. Wenn die drei Senatorengockel auf die Bühne stelzen, schießt Stan Meus als Bartolo Delacque den Vogel ab. Er genießt es sichtlich, wieder im Rampenlicht zu stehen und wird in dieser Paraderolle zur schillerndsten Figur. Mimik, Stimme und Bewegungen zeigen seine absolute Spielfreude. Alle drei Herren gieren nach dem Aufsichtsratsposten in der Holding des Immobilieninvestors Guido Urbino, genannt der „Herzog“. Alex Kim, strahlender Tenor, zunächst ganz in Weiß, bedient dieses Klischee perfekt. Weil er Delacquas Frau Barbara verführen will, lädt er zu einem Fest ein. Ihr Mann ahnt Schlimmes und so soll sie maskiert und per Gondel nach Murano gebracht werden. Aber Barabara hat gerade an diesem Abend ein Date mit ihrem Neffen und so überredet sie Annina, in ihre Rolle zu schlüpfen. Caramello, verkleidet als Gondoliere, lockt sie mit „Komm in die Gondel mein Liebchen“ und bringt sie natürlich nicht nach Murano sondern ins Haus seines Herrn Urbino.

 

 

Im zweiten Akt wartet der „Herzog“ schon ungeduldig auf sein Opfer. Doch statt der Angebeteten stürmen aufgedonnerte Fregatten seinen Salon, um ihn zu umgarnen, weil deren Männer den begehrten Aufsichtsratsposten auf diesem Weg ergattern wollen. Schließlich schleppt Caramello das Objekt der Begierde an, aber Annina gibt sich schnell zu erkennen und keinesfalls willig, sich mit Urbino einzulassen. In ihrem Silberfischglitzer wäre sie durchaus eine Alternative. Inzwischen ist nebenan das Fest in vollem Gange und die Gäste saufen und klauen hemmungslos. Delacqua indes hält sich für besonders schlau und präsentiert dem Herzog seine Frau, die in Wirklichkeit seine Köchin Ciboletta ist. Vielleicht bekommt er ja doch noch den begehrten Sitz im Aufsichtsrat. Der „Herzog“ durchschaut das Spiel und lädt gleich beide Damen zum Dinner ein. Ciboletta nutzt die Gunst der Stunde und überredet ihn, ihren Pappacoda als Leibkoch zu engagieren. Caramello legt in diesem Akt erstaunlich zu und erweist sich als wirklich komödiantisches Talent.

 

Im turbulenten dritten Akt ist Karnevalsnacht. Hier gipfeln die Ereignisse. Das Volk in Phantasiekreationen quer durch alle Moderichtungen sorgt für ein herrliches Spektakel. Pandemiebedingt wacht der Carabiniere über die Abstandsgebote, die echte Barbara kreuzt sturzbetrunken mit ihrem Liebhaber auf, spielt ihre Rolle aber ein bisschen zu echt, giekst und lallt, redet und singt zu leise, sodass sie vom Orchester übertönt wird. Pappacoda ist eifersüchtig und streitet sich mit Ciboletta, versöhnt sich aber erleichtert und glücklich, als er von seiner neuen Stelle erfährt. Auch Caramello erkennt, was für einen Schatz er an Annina hat und wird für seine Treue schließlich von Urbino mit dem Aufsichtsratsposten belohnt. Ein dickes Lob gilt dem Chor des Theaters, der szenengerecht, stimmlich und schauspielerisch, kurios kostümiert diese Operette trug. Großes Kompliment an Manuel Bethe. Die Meininger Hofkapelle unter der Leitung von Harish Shankar durfte endlich wieder in größerer Besetzung dieses wunderschöne Werk intonieren. Was für ein Glück für das Meininger Staatstheater, über ein solches Orchester zu verfügen.

 

 

Gründlich entstaubt, keinesfalls kitschig, wirklich komisch toppt diese Inszenierung musikalisch wie bühnentechnisch vergangene Strauß- und Korngoldfassungen.

Prädikat: sehr sehenswert, beste Unterhaltung, nichts wie hin

                                                                                                                                 Inge Kutsche, 19.7.2021

Bilder (c) Theater Meiningen / Liebig

 

 

Ansgar Haag zum Abschied

Gala

Meininger Staatstheater

10.07.2021

 

Wenn ein Intendant ein Haus übernimmt, dessen Publikum verschnupft war, dem die Abonnenten davonliefen, von den Krisen im Esemble ganz zu schweigen, dann wird es spannend. Schafft er das, kann er das? Und ob, und wie! Er war ein Glücksgriff, der als Mensch und als Künstler auf Augenhöhe ein Familiengefühl wachsen ließ, das eine Atmosphäre schuf, in der sich alle mit Hingabe in die Arbeit stürzten und dem Meininger Theater zu Ansehen, Erfolg und Bekanntheit verhalfen.Wenn Ansgar Haag nun in der ersten Reihe sitzt und sich ein Programm ansehen darf, das diesmal nicht er, sondern Corinna Jarosch, die Operndirektorin, inszeniert hat, kann er mit Freude und Dankbarkeit auf sechzehn glückliche Jahre zurückblicken.Carolina Krogius, Mezzosopran, stimmt zart und anrührend mit Mahlers „Wer hat dies Liedlein erdacht“ auf diesen feierlichen Abend ein, begleitet von Virginia Breitenstein am Flügel, die diesmal ein ganzes Orchester ersetzt und zwar so souverän und passgenau, dasseine wunderbare Harmonie zwischen Musik und Gesang erwächst. Der Tenor Stan Meushilft dem Publikum mit einem Couplet aus Offenbachs „ORPHÉEEN ENFERS“,umgetextet von Corinna Jarosch auf die Sprünge, was in den vergangenen Jahren, „Als er hier Chef war vom Theater“,so alles gelungen ist.Es wird ein Wiedersehen und -hören mit Donizettis „Lucia di Lammermoor“, Ausschnitten aus Verdis „Rigoletto“ ,„La Forza del Destino“ und „UN BALLO IN MASCHERA“. Faszinierend ist auch der Blick in die Zuschauerreihen. Verzückt, beglückt, endlich wieder Oper, die Sopranistinnen Elif Aytekin und Monika Reinhard oderdie Tenöre Alex Kim, Michael Siemon, Shin Taniguchiund MikkoJärviluoto, Bass, live zu erleben. Keiner lümmelt in den Sitzen, kein Husten, Wispern oder Schniefen, niemand schwätzt, alle zeigen Respekt und Bewunderung für dieses Ensemble, das alles andere als provinziell, sondern auf hohem Niveau und mit dieser einzigartigen Darbietung Abschied nimmt. Ein Höhepunkt ist der Doppelintendanz mit dem Landestheater Eisenach geschuldet, wo u.a.  jedes Jahr Wagners „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“ am Originalschauplatz aufgeführt wird. Wenn Staatssekretärin Tina Beer in ihrer Rede Ansgar Haag als Intendanten zum Anfassen, als Mann des Ausgleichs und Abenteurer beschreibt, der ein zeitgemäßes Theater schuf, das in allen Sparten für ausverkaufte Häuser sorgte, dann hat er es richtig gemacht. GMD Phillippe Bach formuliert es nach G.Mahler: Tradition dieses Hauses ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Bewahrung des Feuers. Und dazu gehören lebende Komponisten, gesellschaftliche und politische Themen. Nach der Verleihung der Georgsmedaille endet mit „Brindisi“,dem Trinklied aus Verdis „La Traviata“ der erste Teil dieser Zeremonie und mit Corinna Jaroschs Aufforderung, „es geht noch weiter, bitte folgen Sie mir in den Park, wartet für alle eine großartige Überraschung.

Der romantische „Englische Garten“ mit Teich und altem Baumbestand erlebt an diesem Abend wohl eine der denkwürdigsten Veranstaltungen seit Jahren. Die Blechbläser der „Meininger Hofkappelle“ empfangen mit Swing und Fanfarenein festlich gekleidetes Publikum. Und fast alle sind gekommen, die einst hier spielten und und ihren Intendanten zum Lehrmeister, Freund und Gefährten gewonnen hatten. Hier darf auch der Opernchor endlich wieder auftreten. Doch das tollste Abschiedsgeschenk steht am Teichufer: KentaurChiron ganz in Gold, die monumentale Requisite auf vier Beinen aus Faust  2. Geduldig wartet er in der Abendsonne auf seine neue Bestimmung: Ein Denkmal für Ansgar Haag. Schnell buddeln „ausgewählte Darsteller“ fünf Löcher und pflanzen Kletterhortensien und „Je länger, je lieber“. Auf dass niemand vergisst, welche wunderbaren und kuriosen Blüten das Theater trieb und auch weiter treiben soll. Ein glücklicher und sichtlich überwältigter Ansgar Haag gießt die jungen Pflänzchen und wir werden sehen, was daraus wird.

Wer mag, kann sich auf www.rennsteig.tv – Danke, Ansgar Haag einen eigens für ihn gestaltete TV-Gala ansehen.

                                                                                                                      Inge Kutsche, 13.7.2021

 

 

 

Heiße Zeiten

Von Tilmann von Blomberg

Die Wechseljahre-Revue

Meininger Staatstheater, Premiere am 03.07.2021

 

 

Darf es ein Glas Sekt sein oder einfach nur der Genuss dieses lauschigen Sommerabends vor der Traumkulisse des Meininger Staatstheaters, das seinem Publikum an diesem dritten Spieltag nach einer tristen Zeit den roten Teppich ausrollt? Selten sieht man so viele heitere Gesichter. Und dann erst das Bühnenbild: Wir befinden uns in der Abflughalle eines Flughafens, im Vordergrund der Wartebereich, im Hintergrund der Blick auf eine große Maschine in Startposition. Wenn da nicht Vorfreude auf einen unbeschwerten Urlaub aufkommt!

Hier treffen vier Frauen aufeinander, die einen Flug nach New York gebucht haben:

Die Karrierefrau, 52, Anja Lensen, freizügig und offen, die auf dem Weg zu einem enorm wichtigen Geschäftstermin ist und eine Vorliebe für One-Night-Stands hat

Die Hausfrau, 53, Christine Zart, die das erste Mal in ihrem Leben fliegt, deren Gedanken ständig um die Familie kreisen und die besorgt ist, ob die ein paar Tage ohne sie auskommen kann.

 

 

Die Junge, 42, Evelyn Fuchs, die unbedingt schwanger werden will, aber einen zeugungsunfähigen Verlobten hat und hysterisch die biologische Uhr im Blick hat

Die Vornehme, 57, Ulrike Walther, die sich herablassend und distanziert gibt und Stress mit ihrem penetranten Vater hat

Weil sich der Abflug immer wieder verzögert, finden die doch sehr unterschiedlichen Damen ein gemeinsames Thema, das sie alle umtreibt: die Wechseljahre.

Wenn diese vier Frauen mit Schwung, Temperament und hinreißender Komik über die Bühne rocken, von Schweißausbrüchen, Libidoverlust, Gewichtszunahme, Falten und Vergesslichkeit erzählen und singen, ziehen sie die Zuschauer unwiderstehlich in ihren Bann. Wer hier perfekte Gesangsgenies sucht, muss ein Auge zudrücken. Trotzdem stimmt einfach alles: voller Körpereinsatz, bändesprechende Mimik und Herzblut. Mal witzig, mal sentimental, mal bissig und wütend präsentieren sie die Wechseljahre nicht nur für Frauen.

 

 

Nein, auch die Männer sind elektrisiert und lassen sich mit sichtlichem Vergnügen einen Aufklärungsshot über Slipeinlagen, Renifemin und Skin Viva reinpfeifen. Kein Thema ist tabu. In schonungsloser Offenheit keckern die Darstellerinnen über Inkontinenz, simulieren Harndrang, diskutieren Befruchtungsmöglichkeiten und sind sich trotz aller Verschiedenheit gänzlich einig: Ehemänner sind undankbare und unsensible Geschöpfe. Und trotzdem schaffen sie sie nicht ab. Keiner kann sich der Stimmung dieses komödiantischen und musikalischen Feuerwerks entziehen. Der Blick in die Zuschauerreihen auf ein fasziniertes Publikum, das vor Vergnügen quietscht, dürfte den vier Superweibern in dem zweistündigen Programm den Spaß an ihrem Auftritt noch vergrößert haben. Der erfolgreiche und preisgekrönte Regisseur Thomas Helmut Hepp inszenierte diese hinreißende Revue mit irre komischen Dialogen und legendären Pop- und Rocksongs der 70er bis 90er Jahre, die themagerecht umgetextet und von der musikalischen Leitung Thomas Kässens neu arrangiert wurden.

 

 

„What a feeling“, „Pretty Woman“, „Lady Marmalade“ oder „I will survive” kennt jeder. Die Live-Band unter der Leitung der Stewardess Virginia Breitenstein befeuerte mit Drive und entsprechender Lautstärke dieses köstliche Hormonspektakel. Ein Erfolg? Standing Ovations, nicht endender Applaus, auch von den Männern und eine Zugabe: „Fly me to the Moon“

Gerade nach der Leichenstarre der letzten Monate ist „Heiße Zeiten“ eine wunderbar leichte Rückkehr in die Kulturszene.

 

Inge Kutsche, 6.7.2021

Bilder (c) Staatstheater

 

                                                                                 

Liebesgelüste

Ein musikalisches Liebesgeflüster von und mit Stan Meus

Premiere am 01.07.2021

Meininger Staatstheater

Kammerspiele

 

In was hat man sie da hineingesteckt, die alternde Diva, grotesk geschminkt mit kahlem Schädel: goldene Siefelettos, bauschiges Rockgebilde, das in der Mitte tief blicken lässt, darüber ein kurzes Jäckchen, tüllbedeckte Brust? Ein Zwitterwesen, oben Mann, unten Frau.

 

 

Wer mutet ihm das zu, on the top ofstage, geblendet vom Scheinwerferlicht auf dieser halsbrecherisch geschwungenen Treppe hinabzusteigen? Vorsichtig, Schritt für Schritt, Tastenklänge und Percussion weisen Takt und Tempo, bloß nicht stürzen, das Haupt erhoben, singt er ganz leise „Mein Leben für die Liebe“. Auf den Stufen hinter ihm entfaltet sich eine phänomenale Schleppe. Fast überrascht, dass er heil unten angekommen ist, gewinnt er an Sicherheit, parliert über die Liebe in all ihren Facetten und entsprechend gestaltet sich die Liedauswahl. Hochemotional und mit Hingabe, mal witzig odertrauernd, malbelehrend und besänftigend, mal distanziert und abstrakt interpretiert er u.a. Songs von Rainhard Fendrich, Christine Busta, Ulla Hahn, Georg Kreisler oder Edith Piaf. Stan Meus, der seit 1999 als Tenor im Meininger Musiktheater im Ensemble sowie als Entertainer mit Soloprogrammen auftritt, weiß, seine Stimme einzusetzen.

 

 

Er bedient sämtliche Gefühlswelten aller Vorlieben und Gelüste, sei es die Sucht nach Schokolade oder die Vorliebe für brutalen Sex. Mit Andrey Doynikov, preisgekrönter Perkussionist, Dirigent, Komponist und Pianist hat er den idealen Hexenmeister zur Seite, der umgeben von vier Tasteninstrumenten u.a. ein Rhodes Mark V Electric Piano, ein zweimanualiger Försterflügel, Orgel und ein CM VF 8 Masterkeyboard ein Klangszenario aus seiner Hexenküche zaubert, das die Liedinhalte phantastisch inszeniert, untermalt, befeuert, akzentuiert. Er ist der eigentliche Star des Abends, der Partner schlechthin, der in der Liebe fast nie zu finden ist.

 

Die nach nur drei Jahren scheidende Dramaturgin Corinna Jarosch führte Regie und gestaltete die Texte. Was bleibt, ist am Ende die Gewissheit, dass Liebe stets subjektiv, selten erfüllt, meist ein Traum bleibt und mehr Trauer statt Glück bewirkt. Das Publikum 65 plus wusste das schon vorher.

                                                                                                                      Inge Kutsche, 3.7.2021

Bilder (c) Staatstheater

 

 

Vorschau Spielzeit 2021/22

 

Das Herz hüpft: E-Mail für mich! Einladung von Meiningens neuem Theaterintendanten Jens Neundorff von Enzberg zur Pressekonferenz mit der Spielplanpräsentation 2021/22 ins Große Haus. Endlich wieder Theaterluft schnuppern oder doch lieber digital teilnehmen? Bei Meiningens Inzidenzen und noch ohne Impfschutz wähle ich wie 30 andere Medienvertreter doch den Live-Stream.

Pünktlich und in guter Bild- und Tonqualität startete die über zweistündige Vorstellung der sieben Protagonisten aus Sparten und Lokalpolitik. Frisch frisiert und phrasenfrei, euphorisch und voller Tatendrang stellten Intendanz, Musiktheater, Schauspiel und Junges Theater ihre Produktionen vor. Spartengrenzen werden fallen und Kinder sowie 20- und 90-Jährige gleichermaßen angesprochen. Spielstätten sind neben Großem Haus und Kammerspielen u.a. der „Rautenkranz“, eine ehemalige Kleinkunstbühne, „Die Diele“, eine einstige Kultdisco“, das Dampflokwerk und der Schlosspark. Lassen wir uns überraschen, ob Inszenierungen von Barock bis Gegenwart das Publikum erreichen und begeistern werden.

Die zwei Wagnerpremieren „Der fliegende Holländer“ und „Lohengrin“ als Schwergewicht neben Leichtkost „Thüringer Spezialitäten“ von Franz Wittenbrink bleiben der Tradition des bisherigen Musiktheaters und seinem Publikum treu. Die selten aufgeführte Zauberoper Georg Friedrich Händels „Amadigi di Gaula“ wurde als Juwel aus seiner Londoner Zeit angekündigt. Für die Besetzung der Trapp-Familie in „The Sound of Music“ fehlen übrigens noch sechs Kinder. Wer sangeslustige Blagen kennt, möge sie in Meiningen für ein Kindercasting anmelden. „La Clemenza di Scipione“ von Johann Christian Bach, Mozarts „Zauberflöte“ und „Heiße Zeiten – Die Wechseljahre-Revue“ von Tilman von Blomberg spannen den Bogen von Barock bis Gegenwart. Interessantes verspricht die Uraufführung „Licht! Eine tänzerische Sehreise“ mit Musik von Anton Bruckner, dem Eisenacher Ballettensemble und den Installationen von Andris Plucis. In „La Boheme“ von Giacomo Puccini wird der Zeitgenosse Markus Lüpertz als Kostüm- und Bühnenbildner sich ein Denkmal setzen. Außer den acht Sinfoniekonzerten sind bestimmt „Die drei kleinen Schweinchen“, eines der Kinder- und Familienkonzerte, wieder ausverkauft.

Der gesamte Spielplan ist bereits auf der Seite des Staatstheaters Meiningen veröffentlicht.

 

Wünschen wir allen Beteiligten auf, unter, über, vor und hinter der Bühne, dass diese neue Spielzeit im September mit dem Theaterfest beginnen kann – zur Freude und Erbauung.

In der Zwischenzeit gibt es eine echte Alternative für alle, die Online-Stream-Performance satthaben: Das tägliche Morgen- und Abendkonzert unserer gefiederten Freunde. Wohl dem, der einen Garten oder Friedhof in Hörweite hat.

 

Inge Kutsche 13.4.2021

Bilder (c) Staatstheater

 

Ein Märchen in Coronazeiten

Besuchte Vorstellung 18.10.2020                   

Premiere 24.01.2020

 

Diejenigen, die die Freude hatten, einen Platz zu ergattern, hatten mehr als Spaß an der heiteren Geschichte des „Märchens im Grand Hotel“

 

Als die Premiere der Paul Abraham Operette am 24. Januar mit riesigem Erfolg über die Bühne ging, ahnte niemand, dass kurz danach durch einen fürchterlichen Virus das Theaterleben für Monate gestoppt werden würde. Umso mehr freute man sich, dass man endlich wieder ins Theater konnte. Nach sieben gezwungenen Absagen von Aufführungen in diesem Jahr, konnte ich erstmals wieder mit einer kleinen Gruppe nach Meiningen fahren, und unsere 36 Musikfreunde nahmen einen beachtlichen Platz der wenigen Plätze im wunderschönen Theater Meiningen ein. Es ist schon eigenartig, wie wenige Fürsprecher die Kunst in der Politik zu besitzen scheint. In einem Opernhaus, mit eingehaltenen Hygieneregeln, und die wurden an diesem Nachmittag gut eingehalten, geht aus meiner Sicht kaum eine größere Gefahr der Ansteckung aus. Wie auch, Musikliebhaber, vor allem des klassischen Bereiches, sitzen brav auf ihrem Platz, reden nicht, weil sie die Sänger auf der Bühne hören und sehen wollen, geraten nicht in schweißtreibende Ekstasen, wie bei manchen Rockkonzerten und verstehen einfach nicht, dass man gerade diese Sparte so im Regen stehen lässt. Es ist unendlich traurig mitanzusehen, wie eine Handvoll von Musikliebhabern, einem begeisterungsfähigen Ensemble gegenübersitzt, die nichts weiter wollen als ihrem Beruf nachzugehen und Freude zu verbreiten. Und dies haben sie an diesem Nachmittag mehr als genug getan. Man merkt richtig, mit welcher Leidenschaft, mit welchem Herzblut die Künstler dabei sind, froh, endlich wieder ihre Kunst, für die und mit der sie leben, an ihr Publikum zu bringen, welches ebenfalls mehr als froh ist, dass die „stumme Zeit“ endlich – wenn auch nur für einige Wochen - vorbei ist. Nach dieser Vorstellung ist es auch verständlich, warum der Bayerische Rundfunk den Klassikpreis „Frosch“, verliehen von der Sendung Operetten-Boulevard, genau an dieses Stück vergeben hat. Eine große Auszeichnung für ein doch relativ unbekanntes Paul Abraham Märchen.

Über den Inhalt der beschwingt leichten Operette brauche ich nichts weiter zu schreiben, dies hat umfassend und ausführlich meine Kollegin Claudia Behn getan.

Die musikalische Seite ist eine Mischung aus einer ganzen Reihe musikalischer Stilelemente, da kommt auch sehr das revuehafte hervor, der Jazz, der Foxtrott, auch Stepptanz und insgesamt ist es so eine Art Musicaloperette. Schwungvoll, schmissig, rassig, dem Publikum jedenfalls gefällt es ausgezeichnet.

Die etwas verkleinerte Meininger Hofkapelle musiziert unter der Leitung von Harish Shankar, und er macht seine Sache recht gut. Vielleicht trägt das Orchester bei einigen moderneren Musikpassagen etwas zu viel auf, vielleicht werden die Übergänge nicht ganz so sicher gefunden, insgesamt gesehen, ist es jedoch eine recht gute Leistung und man merkt auch dem Orchester an, wie froh alle darüber sind, wieder in ihrem Metier zu agieren. Die Regie hat Roland Hüve übernommen und er versucht Abraham zu modernisieren. Die Handlung wird in unsere Zeit verlegt, mit Handy, Tablets, Fernsehserien aus Netflix und ähnlichem. Er versucht hier zu entstauben, was eigentlich gar keiner Entstaubung bedarf. Aber irgendwie passt auch dieses Konzept und mir persönlich gefällt diese leichte, schwungvolle und auch musikalisch reizvolle Operette ausgenommen gut. Gerade in der heutigen Zeit will man nichts weiter tun, als sich zu entspannen. Ob die Ansätze mit der Pandemie, es wird ständig desinfiziert und geputzt, so hätte sein müssen, bezweifle ich etwas. Der Virus macht uns seit Monaten zu schaffen, da brauchen wir nicht auf der Bühne auch damit konfrontiert zu werden. Ausgezeichnet sind die Tanznummern des Stücks, für deren Choreographie Marie-Christin Zeisset verantwortlich zeichnet und die mit zu den Höhepunkten der Aufführung gehören. Das Bühnenbild, das von Christian Rinke zurückhaltend, mit geringen Mitteln aber dennoch recht stimmig verantwortet wird, bietet eine geräumige schräge Hotelhalle mit wenig Inventar, viel gemalten Hintergründen und immer wieder eine von oben sich ins Bild schiebende Videoleinwand, in welcher die Protagonisten zusätzliche Einblicke in das Geschehen geben. Für diese recht gelungenen Videoeinspielungen ist Jae-Pyung Park zuständig. Fügt sich gut ein, passt sich an und ist eine optisch gelungene Abwechslung. Die Kostüme von Siegfried E. Mayer sind farbenfreudig, teilweise sogar etwas luxuriös, auf jeden Fall schöne bunte Farbtupfer im Geschehen.

Eine gute Operette steht und fällt mit den Hauptpersonen, den Sängern und Schauspielern. Und hier hat man in Meiningen fast noch nie einen Ausfall gehabt, es ist beeindruckend, welch gute Künstler man hier herbekommt und wie lange man sie teilweise auch halten kann. Das ist für ein Theater dieser Größenordnung schon eine außergewöhnliche Leistung an der der rührige Intendant Ansgar Haag seinen nicht geringen Anteil hat.

Die Rolle der Isabella, Infantin von Spananien wird von der in Kaiserslautern geborenen Sopranistin Anne Ellersiek gegeben, die seit vier Jahren in Meiningen engagiert ist. Und sie macht dies ausgezeichnet. Ihr Sopran besitzt genügend Leuchtkraft, ist klar und kraftvoll und kann auch mit einer stimmlichen Dramatik überzeugen, ist aber ebenso zu zarten zurückhaltenden Tönen fähig. Sowohl in ihren Soloauftritten als auch in den Duetten mit Prinz Andreas Stephan, dem Hotelbesitzer Chamoix oder dem Zimmerkellner Albert weiß sie mehr als zu überzeugen. Auch darstellerisch kann sie sich sehr gut in Szene setzen und liefert insgesamt eine überdurchschnittliche Leistung ab. Der Applaus, der leider nur spärlich plätschern kann, aber das liegt nicht an den hervorragenden Künstlern, sondern an den wenigen Musikfreunden, die das Glück hatten, eine Karte zu ergattern, erfreut die Solisten sichtlich. Als der sie schmachtend verehrende und verliebte Zimmerkellner Albert (der er ja auch nicht ist) kann sich der blutjunge in Flensburg geborene Bariton Jonas Böhm eindrucksvoll vorstellen. Der gerade einmal 28 Jahre alte Künstler hat einen schönen weichen und flexiblen Bariton, den er jetzt schon gekonnt einsetzen kann. Er singt und spielt den etwas tollpatschigen liebestollen Verehrer ausgezeichnet. Er wird zum Dreh- und Angelpunkt der Aufführung und kann in allen Belangen mehr als voll überzeugen. Man leidet mit dem unglücklich bzw. glücklich Verliebten so richtig mit. Freuen wir uns, was er in Zukunft noch auf die Bretter, die die Welt bedeuten, stellen kann. Als Marylou, die Tochter des Filmagenten kann die in Stegaurach bei Bamberg geborene Deutsch-Französin Natalie Parsa mehr als überzeugen. Den Bamberger Rezensenten freut es umso mehr, dass mit ihr, die eine äußerst starke Bühnenpräsenz besitzt, eine Künstlerin sich einbringt, die den gesamten Raum beherrscht, egal, ob sie tanzt, steppt oder auch singt, sie ist in allen Bereichen beeindruckend. Als Gast in Meiningen bringt sie, die ich als exzellente Musicaldarstellerin bezeichnen darf, Feuer, Leidenschaft und Können auf die Bühne und dies im besten Sinn. Eine ganz tolle Leistung der Künstlerin. Ich bin überzeugt, dass wir von ihr in der Zukunft noch einiges erwarten können. Freuen wir uns darauf.

Als Prinz Andreas Stephan bringt sich der in Ferrara, in Italien geborene junge Bariton Giulio Alvise Caselli ein, und auch er macht dies beeindruckend. Wie ein eitler Pfau stolziert er durch das Hotel, mit schmeichelndem warmem und weichem Bariton lässt er in den Soli wie auch in den Duetten aufhorchen. Auch er eine rollendeckende Erscheinung, dass er auch darstellerisch alle Möglichkeiten voll ausschöpft, sei nur am Rande erwähnt. Als Gräfin Inez de Ramirez weiß die Sopranistin Cordula Rochler sich in Szene zu setzen und fügt sich, vor allem auch vom gestalterischen her, bruchlos in das Ensemble ein. Herrlich ist es, wie sie beispielsweise die Fassung verliert, man fühlt richtig mit ihr mit und sie bringt auch eine große Portion Humor in ihre Rolle ein. Als Hotelbesitzer Präsident Chamoix weiß dann der polnische Tenor Stan Meus, der seit über 20 Jahren auf der Bühne in Meiningen steht, voll zu überzeugen., Das Meininger Urgestein kann mit hellem, klaren und energischem Tenor zu gefallen, dass er darstellerisch und komödiantisch eine außergewöhnliche Begabung ist, weiß das Publikum in Meiningen zu schätzen und gibt auch ihm den wohlverdienten reichlichen Beifall. Keinerlei Ausfälle bei den weiteren Darstellern, die überwiegend im schauspielerischen glänzen und diese Operette zu einer richtig runden Sache werden lassen. Als Großfürst Paul imponiert Matthias Herold, als Hoteldirektor Matard weiß sich Jan Kämmerer in Szene zu setzen und der gebürtige Arnstädter Peter Liebaug gibt dem Filmagenten Sam Makintosh Profil und Gestalt. Auch die weiteren Darsteller machen ihre Sache mehr als gut, es ist kein einziger Ausfall zu verzeichnen.

Langanhaltender, für die wenigen Besucher, die dies miterleben durften, fast schon ein gewaltiger Applaus, für ein unbekanntes Werk von Paul Abraham, welches nur eines will, nämlich zu unterhalten. Und das ist auf das trefflichste gelungen. In dieser momentanen Zeit, von der wir alle hoffen, dass sie bald vorübergehen möge, braucht man keine ernsten, traurigen oder hochtrabenden Stücke, nein, die Musik Paul Abrahams, die flott, frisch und belebend herüberkommt, ist genau die richtige Medizin für diese kranken Zeiten.

 

Manfred Drescher, 26.10.2020              

Fotos Marie Liebig

 

 

Märchen im Grand Hotel

besuchte Vorstellung: 18.10.2020

 

„Das wichtigste ist das Happy End“ ist das Credo der beschwingten Lustspieloperette „Märchen im Grand Hotel“, die eher ein Musical ist. Sie wurde in quirliger Farbenpracht, leichtester Handlung und mit viel begeistertem Publikum zur Aufführung gebracht.

Ausgewogene Ensembleleistung im „Märchen im Grand Hotel“

 

Die Pandemieauflagen wurden in Meiningen weniger streng genommen, als in anderen Thüringer Theatern. Der Eintritt ins Staatstheater bis zum Sitzplatz erfolgte wie üblich mit Mund-Nasen-Schutz. Es ging eigens eine unfreundliche Einlasskraft durch die Reihen um das Publikum barsch darauf hinzuweisen, dass Mäntel nicht über freie Stühle gelegt werden dürfen, sondern entweder an der Garderobe abzugeben sind oder auf dem Schoß gehalten werden müssen, was zur Schlangenbildung an der Garderobe führte. Beim Verkauf von Speisen und Getränken vor der Veranstaltung und während der Pause im Foyer kam es zu Gedrängel, das zur Nichteinhaltung der Abstände führte. Es wurden zumeist keine Reihen zwischen den besetzten Reihen im Saal freigelassen, doch blieben in jeder Reihe zwischen den Haushalten etwa drei Plätze unbesetzt. Die Masken sollten auch am Sitzplatz erst zu Stückbeginn abgesetzt und vor dem Schlussapplaus wieder aufgesetzt werden, woran sich aber kaum jemand hielt.

Das Bühnenbild zeigte, handlungskonform, ein Hotelfoyer mit Empfangstresen und zwei Sessel mit Tisch rechts und links der Bühne sowie das Empfangszimmer des Filmproduzenten Sam Macintosh. Videoeinspielungen, in denen Rollencharaktere im heruntergefahrenen Fernseher im Nahformat sprachen (Video: Jae-Pyung Park) wurden abwechslungsreich einbezogen.

Die Handlung ist schnell erzählt. Marylou Macintosh, die Tochter des Filmproduzenten Sam Macintosh soll, da die Firma des Vaters nicht mehr floriert, einen begabten, das Business kennenden Filmproduzenten, seinen größten Konkurrenten, heiraten. Tochter Marylou weigert sich und will dem Vater beweisen, dass sie selber fähig ist, einen überaus erfolgreichen Film zu produzieren. Sie dreht diesen im Grand Hotel an der Rivera mit realen Darstellern, Isabella, der Infantin von Spananien, Großfürst Paul, Prinz Andreas Stephan, Gräfin Inez de Ramirez, alles Vertreter des verarmten Adels, und dem Hotelbesitzer Präsident Chamoix, dem Hoteldirektor Matard sowie dem vermeintlichen Zimmerkellner, eigentlich Sohn des Hotelbesitzers, Albert, als Vertreter des aufstrebenden Bürgertums. Unter diesen, - Adel und neureiche Bürgerliche -, entspinnt sich eine Verwechslungskomödie im großen Stil, die aussichtslos erscheint, aber schlussendlich doch noch zum Happy End führt. Der Zimmerkellner, der eigentlich Sohn des Hotelbesitzers ist, wird zum adoptierten Adligen und kann somit seine Liebste Isabella ehelichen. Marylou Macintosh ist ein reißender Kassenschlager gelungen.

In das Stück hielten viele aktuelle Elemente Einzug (Regie: Roland Hüve) wie die ansteigende Nutzung neuer Medien (Smartphone, Tablets), denn „Niemand geht ins Kino“, alle schauen auf das Smartphone, auch in der Inszenierung. Die aktuelle Pandemie wurde eingeflochten, so desinfizierte Bariton Jonas Böhm, Ensemblemitglied in Meiningen in der Saison 2019/20, als Kellner Albert alle Tische, Filmagent Sam Macintosh wollte „Donald Trump, der Untergang“ verfilmen, seine Tochter Marylou suchte ihr Filmthema in der Google-Suchmaschine „Prinzessin, Cote d`Azur, Liebe“ und manipulierte später die Social Media, der Besteller „Fifty Shades of Grey“ wurde erwähnt und Fake News einbezogen. Doch leider wurden die pandemiebedingten Abstände auf der Bühne zumeist unterschritten.

Sopranistin Anne Ellersiek als Infantin von Spananien, seit 2017/18 Ensemblemitglied des Hauses, die auch in Opernproduktionen zu erleben ist, sang „Ich wäre so gerne Königin“ im goldenen Glitzerkleid mit brauner Stola und blonder Hochfrisur lieblich und zart im Duett mit dem italienischen Bariton Giulio Alvise Caselli als Prinz Andreas Stephan, der ebenfalls auch in Opernproduktionen singt, im schwarzen Samtsmoking, in weiter Entfernung Walzer tanzend. Sein „Bis morgen, wenn die Hähne krähn“ und „Träum heute Nacht von der Liebe“ fand begeisterten Anklang. Anne Ellersiek entzückte das Publikum mit musicalmäßigem Soubrettengesang mit Schwung in „Der Duft der Rose“, gemeinsam mit Jonas Böhm, „Freunde, heute bin ich so glücklich“, „Ich weiß ein Herr so wie Sie“, „Das Märchen im Grand Hotel“ sowie in zwei weiteren Duetten in schmelzender Operettenromantik mit Jonas Böhm „Du bist eine Dame, du bist so mondän“ und im zu Herzen gehenden „Weil ich verliebt bin“ sowie im Duett mit dem mondänen Hotelbesitzer, Präsident Chamoix, dem polnischen Tenor Stan Meus, seit 1999 Ensemblemitglied, der häufig in Musicals zu erleben ist, im anrührenden „Jede schöne Frau hat einen Freund“ und in „Dieser feine junge Herr“ als hilfreicher, die Verwicklungsgeschichte auflösender Vater.

Sopranistin Anne Ellersiek als Etikette wahrende Infantin Isabella

 

Bariton Jonas Böhm, in der Spielzeit 2019/20 Ensemblemitglied des Meininger Staatstheaters, spielte gekonnt den verliebten, tollpatschigen Liebhaber mit einer Prise Komik in süßlicher Interpretation des Filmschmachtschlagers „Die schönste Rose“ unter Schrammelanklängen. In „Ich bin noch immer außer mir“ werden Analogien zu Johannes Heesters oder Harald Juhnke hör- und spürbar. Musicalsängerin Nathalie Parsa sprühte nur so vor Energie und Spielfreude und gab die witzige, nie um eine Lösung verwegene Marylou Macintosh gesanglich und darstellerisch eindrucksvoll, brillierte vor allem in den Steppeinlagen. In den Nummern „Jede junge Dame will glücklich sein“ und „Happy End“ bewies sie ihr Können als leichte Operettensoubrette in schwungvollen Stücken.

Foto 3: Jonas Böhm als Zimmerkellner Albert und Nathalie Parsa (Marylou Macintosh) als verkleidetes Zimmermädchen (Foto: Marie Liebig)

Schauspieler Matthias Herold als Großfürst Paul, seit 1983 Ensemblemitglied, Schauspieler Peter Liebaug als Filmagent Sam Macintosh, seit 2014/15 im Ensemble und Schauspieler und Sprecher Jan Kämmerer als Hoteldirektor Matard meisterten ihre Partien souverän. Sopranistin Cordula Rochler als Gräfin Inez de Ramirez absolvierte ihre Rolle als vulgäre und extrovertierte Adlige glaubwürdig mit großer humoristischer Begabung.

Anne Ellersiek als Infantin Isabella, Matthias Herold als Großfürst Paul, Cordula Rochler als Gräfin Inez de Raimrez und Giulio Alvise Caselli als Prinz Andreas Stephan

 

Dieses als Operette bezeichnete revueartige Musical, mit musikalischen Einschlägen von Salonmusik, Jazz, Foxtrott, Stepptanz und anderen Tanzstilen der 1920er Jahre, mit schmelzenden Nummern im hohlen Einerlei des Schlagerstils, oberflächlichem Inhalt und oftmals zu laut dröhnender Bigbandmusik der Meininger Hofkapelle (Musikalische Leitung: Harish Shankar), die teilweise sogar die Solisten übertönte, zeigte eine überspitzte Karikatur der adligen Etikette im Umgang mit neureichen Bürgerlichen á la Rosamunde Pilcher oder diverser romantischer Fernsehserien. Auch spritzige und ironische Dialoge, der Gegenwartseinbezug und die gelungene Komik Jonas Böhms, können diese Schunkelkomödie, dieses zu recht vergessene Werk Paul Abrahams, diesen Nonsens, zu keinem Erlebnis hochstilisieren. Statt leichtester Unterhaltung wären Werke mit mehr Niveau empfehlenswert. Eine ausgewogene Ensembleleistung, die beim Publikum begeisterten Applaus und Bravos für Nathalie Parsa hervorrief.

 

Claudia Behn, 20.10.2020

Fotos (c) Marie Liebig

 

 

 

 

Luke Bedford

THROUGH HIS TEETH

Premiere am 25.September 2020

In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Tragende Figur ist A, Anne Ellersiek, Sopran, die sich mit R, Shin Taniguchi, Bariton, einem smarten Autoverkäufer, einlässt. Schnell verfällt sie diesem „Magier“ der Manipulation, der angeblich für den Geheimdienst arbeitet und unterzieht sie einer Gehirnwäsche. Sexuell abhängig, ihm vollkommen hörig, verliert sie nicht nur den Bezug zum realen Leben sondern auch ihr Vermögen. Aus einer strahlenden, selbstbewussten Frau wird eine willenlose Marionette. Dass er schließlich dank der Intervention ihrer Schwester doch von der Polizei gefasst und ihm der Prozess gemacht wird, bedeutet kein Happy End, nicht für A und nicht für die anderen Frauen, die er auf die gleiche Weise missbraucht hat. A ist keinesfalls geheilt und schwankt zwischen Angst, Sehnsucht und Hoffnung.

Die Oper beginnt in einem TV-Studio. A ist bereit, einer Interviewerin über ihr Leben zu berichten. Dies geschieht in Rückblenden. 16 kurze Szenen von unglaublicher Dichte zeigen in hohem Tempo die Geschehnisse. Der Drehbühne sei Dank. Jede Szene hat eine eigene in sich stimmige Klangwelt, die in erster Linie auf der Gestaltung der instrumentalen Schicht beruht. Nicht die Stimmen sondern die für den Inhalt spezifischen Instrumente dominieren. Nur acht Musiker, acht Instrumente, sind die Hauptakteure. Wer Melodien, fassbare wiederkehrende Motive erwartet, muss umdenken, „umhören“. Und dennoch herrscht hier kein willkürliches Klangchaos. Jede Szene hat etwas Charakteristisches. Mal dominieren die Streicher: Violine, Cello und Bass, mal hetzt und schlägt die Percussion, mal verführt das Akkordeon. Trompete, Harfe und Klarinette sorgen für eine Vielfalt an Klangfarben. Vierteltöne, falsche Dreiklänge, unterschiedlich gestimmte Instrumente irritieren vielleicht, passen aber punktgenau zu den meist verstörenden Inhalten: schrill, alarmierend, laut, aber auch sensibel.

Darin liegt Luke Bedfords Kunst: Klangszenarien stellen Dramatik und Gefühle, wie Angst, Verzweiflung, Aggression, Depression, Abscheu und Liebe in diesem Seelenstriptease besser dar als echte Handlung oder Stimmen. Der Gesang ist fast immer sprachnah und rezitativisch gehalten. Einfache Wechseltonmotive, die erweitert und gesteigert werden, prägen jede Szene. Lang gehaltene Liegetöne halten die Spannung. Die Sopranistin Anne Ellersiek fügt sich dieser musikalischen Idee unglaublich sensibel. Sie modelliert in jedem Bild Stimmung und Inhalt. Erst kokett, dann mädchenhaft, mal naiv, mal verstört oder depremiert zieht sie das Publikum trotz der Instrumentaldominanz in ihren Bann. Hoch über der Bühne zeigt ein riesiger Spiegel ihr Gesicht und ein unglaublich echtes Mienenspiel Wären nicht Coronaregeln einzuhalten, hätte sie Ansgar Haag beim Schlussapplaus am liebsten umarmt ob dieser großartigen Leistung. Auch der Bariton Shin Taniguchi ist für diese Rolle ein Glücksfall. Die reduzierte Sprache erfordert den richtigen Effekt in Kürze. So spielt er mühelos den smarten Verführer, aber auch den brutalen, aggressiven Kriminellen, der mitleidlos sein Opfer missbraucht. Seine kräftige, markante und teils schneidende Stimme treffen.

Marianne Schechtel, Mezzospranistin, als Schwester As, vermittelt durch klare Botschaft eine gewisse Normalität im Geschehen. Carolina Krogius, Mezzosopran, spielt eine Doppelrolle. Im TV-Studio distanziert sie sich und bleibt stimmlich im Hintergrund, dafür mimisch vielsagend. In der anderen reduziert sie sich auf ein verstörtes Opfer, das sich später als raffinierte und schadenfrohe Interviewerin entpuppt.

Die Szenen brauchen nur wenig Raum und Schauplätze: TV-Studio, Autosalon, Küche der Schwester, Restaurant, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Parkbank, Warteraum im Terminal und Gefängniszelle. Grautöne dominieren, nur die leuchtend grüne Seidenbluse As stechen heraus. Die wenigen Statisten bleiben völlig im Hintergrund.

Corinna Jarosch, der Dramaturgin, gelang ein Meisterstück und Ansgar Haag sei Dank, dass er ein kurzes Werk auf die Bühne bringen musste, das nach nur sieben Wochen Proben ein voller Erfolg wurde.

Eigentlich müsste man es zweimal sehen, da alles in rasantem Tempo abläuft. Konzentriert man sich auf die Übertitel, verpasst man das Bühnengeschehen. Will man sich auf die Klangfacetten der Instrumente einlassen, vernachlässigt man die Akteure.

Mein Fazit: Allen Opernnostalgikern sei gesagt: Nicht jede moderne Oper ist Mist, bloß weil ohrgängige Arien fehlen. Nein, hier ist wirklich etwas Bedeutendes geglückt. Hut ab vor den Engländern und natürlich dem Meininger Theater.

Inge Kutsche, 27.9.2020

Bilder (c) Staatstheater Meiningen / Marie Liebig

 

 

Giacomo Puccini

LA RONDINE

Premiere Freitag, 29. November 2019

Puccini wäre begeistert gewesen

Magda de Civry führt als die Geliebte des Bankiers Rambaldo ein Leben in Luxus aber auch in einer gewissen Routine und Langweiligkeit. Man hat Gäste, unterhält sich über Kunst und tauscht Belanglosigkeiten aus. Als ihr der Dichter Prunier aus der Hand liest und ihr prophezeit, dass sie wie eine Schwalbe der Liebe entgegenfliegen werde, weckt dies Erinnerungen an pubertäre Erlebnisse. Ruggero, der Sohn eines Bekannten des Bankiers , ist das erste Mal in Paris und die Damen schicken ihn ins „Bullier“, damit er den Mythos Paris kennen lernt. Magda denkt an die Zeit zurück, in der sie sich dort zum ersten Mal verliebte. Als junges Mädchen verkleidet erscheint sie in diesem Tanzpalast, trifft Ruggero, die beiden verlieben sich und sie verlässt Rambaldo. Einige Zeit leben sie unbeschwert in einem Hotel an der Côte d’Azur, doch als das Geld knapp wird, schreibt er seinen Eltern, bittet um Hilfe und das Einverständnis zur Hochzeit. Noch weiß Ruggero nichts von der Vergangenheit seiner Geliebten. Sie gesteht ihm alles. Auch wenn Ruggero sie trotz dem heiraten will, entscheidet sie sich zum Weggang, der sie vor einer Zukunft in der Provinz bewahrt. Sie trifft diese Entscheidung für sich und nicht, um den Ruf des Geliebten zu beschädigen. Zurück bleibt ein weinender Ruggero und die „Schwalbe“ fliegt in den Sonnenuntergang. Warum allerdings ein brennender Flügel am Strand entlang fährt, gibt dem Publikum Rätsel auf.

Der erste Akt spielt in Magdas Salon. Das Bühnenbild Helge Ullmanns, eine Installation aus bizzarr geometrischen Formen disharmonischer gezackter Wände in Blau-Grau-Tönen. Kostüme in Schwarzweiß erinnern an den Stil der 50er Jahre, die Zeit Grace Kellys. Elif Aytekin in der Rolle der Magda, eine Gastgeberin voll Anmut und Grazie, verzaubert vom ersten Augenblick an mit edlen Piani und der feingesponnenen Höhe ihres Filigransoprans. Anspruchsvolle Gesangspartien mit hohen Tönen, die zwei Oktaven umfassen, ein immer wiederkehrendes Thema , voller Sensibilität und Leichtigkeit.

Ruggero, Alex Kim , entspricht als zart schmelzender, flötender Tenor ganz dem Bild des noch unverdorbenen jungen Mannes. Sein jugendliches Timbre steigert sich bis zum Schlussakt, wenn er niedergeschmettert von der Entscheidung Magdas seinem Schmerz Ausdruck gibt. Regine Sturm, als Lisette, Dienstmädchen und Vertraute Magdas, kokett, frech, soubrettig und Robert Bartneck, als erfolgloser Dichter erheitern das Publikum als ideales Buffo Duo mit ihrer burlesk komödiantischer Darbietung.

Schauplatz des zweiten Akts ist der Tanzpalast mit einem witzigen Kontrastpublikum: Studenten, die die neue „Schöne“ bedrängen, vergnügungshungrige Mädchen, unförmige Weiber, brutale Kerle, Halbweltmillieu. Die Musik ist anders, Trinklieder, Modetänze wie Tango, Slow-Fox und One-Step und Walzer sind ein Tribut an die Operette. Hier brilliert und akzentuiert das Balletensemble Eisenach unter der Leitung von Andris Plucis . Ein Regen von Rosenblättern, und die Lichtinstallationen in Rottönen wirken nicht kitschig. Geigen schluchzen, zarter Schmelz nicht Schmalz begleiten Liebesszenen, Getöse und Geschepper die vulgären.

Jae –Pyung Park wählt unaufdringliche Videotechnik und lässt mit Schwalbenflug zwischen dem ersten und zweiten Akt schon das Ende erahnen. Die maritime Atmosphäre im dritten Akt: Sanfte Wellen im Hintergrund, blauer Himmel, ein Liegestuhl am Strand, im Vordergrund ein großes weißes Bett erwecken die Illusion heller, unbeschwerter Tage des Glücks. Dann aber lodern Flammen als Sinnbild der Zerstörung.

Dieses Spätwerk Puccinis ist keinesfalls ein Reinfall. Es ist ein Kunstwerk, das den Spagat zwischen Oper und Operette, zwischen Komik und Tragik in einer Zeit des Umbruchs geschafft hat. Es steckt voll von bezaubernden Melodien. Alles ist fließend, harmonisch ohne Längen und von einer Leichtigkeit, eine lyrische Komödie eben.

Regisseur Bruno Berger-Gorski (Bild rechts) der weltweit mehr als 100 Werke des

 

Musiktheaters inszeniert hat, ist es gelungen, einen Schatz zu heben. Und das in einer Stimmigkeit, wie es so manche moderne Inszenierung vermissen lässt.

 

Die Meininger Hofkapelle unter der Leitung von Leo McFall betont die Leichtigkeit des Stückes. Geschmeidig, einschmeichelnd, fast obszön unterstrichen die Liebesszenen, derb, krass und randalierend dort, wo es Wirbel gibt. Musik, Handlung, Darsteller, Lichtinstallationen und Kulissen verschmelzen zu einem ganz besonderen Erlebnis. Die Kostümbildnerin Francoise Raybaud, die in Triest lebt, hat einen ausgesprochenen Sinn für dieses Projekt. Das Ergebnis ist perfekt bis ins Detail und trägt mit diesen akzentuierten Kreationen zu einem beeindruckenden Ergebnis bei.

Das Premierenpublikum war begeistert und Puccini wäre es bestimmt auch gewesen.

 

Inge Kutsche, 1.12.2019

Bilder (c) Marie Liebig

 

Weitere Termine:

 

 

PS

Bitte lesen Sie auch den interessanten Vergleich der drei existierenden Komplettaufnahmen dieser seltenen Oper, die Peter Klier im OPERNFREUND rezensiert hat.

 

 

 

 

SCHWARZWALDMÄDEL

Besuchte Vorstellung 02.06.2019            

Premiere 07.12.2018

Das Publikum erfreut sich an der Geschichte über die heile Welt mit tollen Stimmen

Wer erinnert sich von den Älteren nicht gerne an den wunderschönen Farbfilm aus den 50er Jahren mit Sonja Ziemann, Rudolf Prack und Paul Hörbiger über das „Schwarzwaldmädel“ und wer hat nicht viele der eingängigen und einschmeichelnden Melodien der wunderschönen Operette von Léon Jessel im Ohr. Damals ein Kassenschlager im Kino, heute eine nostalgische Reise zurück in die rührselige Geschichte aus dem Schwarzwald. Der der Jugend schon länger enteilte Domkapellmeister Blasius Römer glaubt eine neue Liebe zu erleben. Er meint nämlich, dass das Bärbele, auch als „Lumpenprinzessle“ von den Dorfbewohnern eines erfundenen Ortes im Schwabenländle bezeichnet, und im Dorf als Außenseiterin behandelt, sich in ihn verliebt hat. Die beiden fröhlichen Handwerksburschen Hans und Richard, die verlassene Geliebte Malwine, die den beiden nachreist, der Ochsenwirt Jürgen, der praktisch fast alle Ämter des kleinen Fleckens in sich vereint hat, und der allem, was da auf ihn zukommt „machtlos vis-á-vis“ steht, ein Ausspruch der sich durch das ganze Stück zieht, der Berliner Urlauber Schmusheimer, der sich überall einmischt und alles besser weiß, sie alle tragen dazu bei, ein fröhliches, lustiges, teilweise etwas verworrenes Spiel ablaufen zu lassen, welches am Ende, wie könnte es in einer Operette (fast) anders sein, zu einem gewaltigen Happy End führt und einen glücklichen Ort zurücklässt. Und das Stück lässt nicht nur einen glücklichen Ort zurück, sondern auch glückliche Menschen im bis auf den letzten Platz ausverkauften Meininger Theater, wo es meine fast 50 Mitreisenden nicht bereut haben, dabei gewesen zu sein.

Robert Bartneck - Ondrej Saling - Stan Meus - Marianne Schechtel - Monika Reinhard

Diese einfache ländliche Geschichte wird Gott sei Dank, ohne große Änderungen in der Geschichte vorzunehmen auf die Bretter in Meiningen gestellt. Ein großes Dankeschön an den Regisseur Tobias Rott. Er stellt nicht sich in den Vordergrund mit einer nicht nachvollziehbaren Inszenierung, nein, er bringt die Geschichte schnörkellos, im Lokalkolorit, ländlich bedächtig, aber genügend spritzig voranschreitend auf die Bühne. Eine wohltuende Inszenierung, an der man einfach nur seinen Spaß haben kann. Auch das Schwäbeln wird nicht übertrieben, man kann allem ohne Probleme folgen und ist immer „im Stück“. Die Fäden der Meininger Hofkapelle hält Peter Leipold in seinen bewährten Händen, und auch von hier gibt es nur Gutes zu berichten. Mit straffer Hand führt er das Orchester durch die wunderschöne Melodienwelt, lässt es aufbrausen, wo es notwendig ist, es aber gleichzeitig auch ein bisschen zurücknehmen, wenn die eine oder andere Gesangstimme dadurch etwas bedroht erscheint. Schmeichelnd klingen die Töne aus dem Orchestergraben, umfließen die Szene und die Sangessolisten und insgesamt spielt die Hofkapelle, wie man es von ihr gewohnt ist, sauber, präzise, zurückhaltend und leidenschaftlich, einfach so, wie es die jeweilige Situation verlangt. Auch der von André Weiss in Szene gesetzte Chor weiß voll zu überzeugen und man bewundert immer wieder die Leidenschaft, mit welcher sich die Choristen in ihre Aufgaben werfen. Man merkt ihnen richtig an, wieviel Spaß sie an Ihren Auftritten haben. Und dies überträgt sich natürlich dann auch auf das Publikum. Farbenfroh, der damaligen Umgebung angepasst und einfach nur stimmig, die Kostüme von Kerstin Jacobssen, die den Augen der Zuhörer und Zuseher schmeicheln. Das wunderschön kitschig-einfühlsame Bühnenbild von Christian Rinke passt genau in das Konzept des Regisseurs. Alles etwas grell, bunt, manchmal eine Nuance übertrieben, aber immer gefällig schön anzuschauen und teilweise beeindruckend, auf jeden Fall gefällt es den Zuschauern, die mit Applaus nicht geizen – und dies zu Recht.

 

Ondrej Saling – Stan Meus – Robert Bartneck

Und nun kommen wir zu dem, was für mich einfach mit das Wichtigste bei einer guten Operette ist, und woran sie nicht selten scheitert, die Sänger. Und hier ist der nächste große Pluspunkt dieser Aufführung. Es gibt keinen wirklichen gesanglichen Ausfall und das ist heutzutage auch nicht mehr gerade üblich. Gott sei Dank hat Meiningen über viele Jahre ein tolles Ensemble und kann gute Kräfte überraschenderweise auch länger an das Haus binden, was für die Entwicklung des jeweiligen Sängers mit Sicherheit keinen Schaden darstellt, im Gegenteil.

In der Rolle des Domkapellmeisters Blasius Römer können wir Stan Meus erleben. Der polnische Tenor ist in diesem Jahr seit 20 Jahren in Meiningen engagiert und in den letzten Jahren hat man ihn praktisch fast nur in kleineren Rollen erleben können. An diesem Nachmittag hat er eine der Hauptpartien, die des alternden sich unsterblich verliebenden Domkapellmeisters Blasius Römer. Und es ist toll, was er aus dieser Rolle herausholt. Zum einen bewältigt er die Partie mit seinem hellen durchschlagenden Tenor, den er energisch einzusetzen versteht und der zum Mittelpunkt des Operettenmärchens wird. Das er auch darstellerisch „alles draufhat“, braucht man nicht extra zu erwähnen, aus jedem Satz, aus jeder Geste spricht seine jahrelange Erfahrung und Bühnenpräsenz. Er berührt in seiner Darstellung, vor allem, wenn er am Ende seiner Liebe entsagen muss, wobei er in Meiningen am Schluss trotzdem nicht ganz frauenlos bleibt. Eine sehr schöne gesangliche und darstellerische Leistung des Urgesteins der Meininger Bühne, der sich den großen Applaus des Publikums redlich verdient hat. Ebenso redlich verdient wie Monika Reinhard als Bärbele, seine Haushaltshilfe, das „Lumpenprinzessle“. Sie ist geradezu prädestiniert für diese Rolle. Die Sopranistin, die in Köln aufgewachsen ist, befindet sich seit 5 Jahren in Meiningen. Mit zartem, weichem, aber dennoch durchschlagskräftigem vollem und hellem Sopran weiß sie voll zu überzeugen. Mit blühenden Höhen und feiner differenzierter Gestaltung gibt sie dem etwas armen, verhärmten, von den anderen Dorfbewohnern verspotteten Bärbele Gestalt und Kontur. Darstellerisch macht sie sich die Rolle zu eigen und kann auch hierfür den wohlverdienten stürmischen Applaus des Publikums entgegennehmen. Eine tolle Darstellung des Bärbele.

Chor des Meininger Staatstheaters

Die beiden Handwerksburschen Hans und Richard sind ebenfalls völlig rollendeckend besetzt. Als Hans erleben wir den in Zlaté Moravce, in der Mittelslowakai geborenen und seit drei Jahren in Meiningen engagierten Tenor Ondrej Saling. Er bringt für die Rolle einen hohen klaren und strahlenden Tenor mit, den er kraftvoll und durchschlagend ausdauernd einsetzt. Auch gestalterisch setzt er Akzente und bietet eine runde Rollendeutung. Auch er erhält starken Beifall des Publikums. Als Richard tritt der junge in Hannover geborenen Tenor Robert Bartneck auf. Er ist die erste Spielzeit in Meiningen und hat einen vollen runden angenehmen, sehr gefälligen Tenor. Seine Stärke liegt mehr in der weichen aber trotzdem kraftvollen Führung seines Organs und in einer ausgesprochen komödiantischen Darstellung seiner Partie. Beide Tenöre ergänzen sich gut, schlagen sich auch in den Duetten bravourös und bringen nicht nur die Damen auf der Bühne, sondern auch das Publikum auf ihre Seite.

Als Malwine von Hainau, kann die Sopranistin Sonja Freitag, in Garmisch-Partenkirchen geboren und seit acht Jahren in Meiningen zu Hause, brillieren. Mit großem, fülligem und sehr beweglichem Sopran füllt sie ihre Rolle vollkommen aus, das kann auch vor ihrer darstellerischen Seite der Malwine sagen. Eine – wieder einmal – tolle Darstellung der sympathischen Künstlerin.

Die in Lübeck aufgewachsene und seit letzter Spielzeit in Meiningen engagierte Mezzosopranistin Marianne Schechtel, setzt in der Rolle des Hannerle, der Tochter des Domkapellmeisters, entsprechende Akzente. Mit warmem klangvollem Mezzo holt sie aus der relativ kleinen Rolle alles heraus und gefällt auch darstellerisch. Ebenso wie Youngkyu Suh, dem aus Seoul in Süd-Korea stammenden Tenor, der seit zwei Jahren im Meininger Chor singt und hier in der Solopartei mit klarem kräftigem Tenor und ansprechendem Spiel ebenso überzeugen kann.

Sonja Freitag – Robert Bartneck

Als Jürgen, dem Wirt des Blauen Ochsen, dem Bürgermeister, dem Feuerwehkommandanten, dem Polizeichef und was sonst noch alles, ist der aus Dortmund stammende Peter Bernhardt zu erleben. Er durchlebt seine Rolle, immer gekrönt von seinem „Da kannscht nix mache, da schtehscht machtlos vis-á-vis“ und hat vor allem das Publikum voll auf seiner Seite, die seinen Auftritt mit großem Beifall begleitet. Man hat an seiner Darstellung einfach nur Spaß, und das ist ja schon sehr viel. In zwei weiteren Sprechrollen sind, ebenfalls beide völlig rollendeckend Ulrike Walther als die alte Traudel, die Hex eben, zu erleben und sie gestaltet ihre Partie mit großer Strenge und ebenso großer Wärme. Als Berliner Urlauber im Schwarzwald ist der gebürtige Arnstädter Peter Liebaug in voller Action und er macht aus seinen Auftritten wahre Kabinettstückchen, die Lacher hat er auf jeden Fall immer auf seiner Seite.

Langanhaltender, herzlicher Applaus am Ende. Die Zuschauer sind wunschlos glücklich, fröhliche Gesichter beim nachhause Gehen, was will man eigentlich mehr. Meiningen ist eine Reise wert, hier spielt man noch mit Herzblut und ich freue mich sehr auf die nächsten Aufführungen.

 

Manfred Drescher, 08.06.2019              

Fotos: Sebastian Stolz, Meiningen

 

 

DAS SCHLOSS DÜRANDE

2.Premiere am 10.3.2019

Große Oper neu überabeitet wiederentdeckt

 

„Irrelohe brennt“ heißt es am Ende von Schrekers großer Oper. Auch hier geht es um ein Schloss, und wenn Brünnhilde mit ihrer Fackel – eine traditionelle Inszenierung vorausgesetzt – in die starken Scheite springt, entfacht sie immerhin den Weltenbrand. Ganz so groß macht es Othmar Schoeck nicht, aber an Dramatik und Spannung durchaus vergleichbar. Hier wird mittels Fackel - Regisseur Ansgar Haag arbeitet dabei sehr werktreu und textgenau – der mit Sprengstoff gefüllt Schlossturm im großen Finale zur Explosion gebracht. Ein auch optisch starkes opernhaftes Ende mit umstürzenden Säulen, Feuer und Rauch – das ist auf der kleinen Meininger Bühne doch ziemlich eindrucksvoll gemacht; auch hat Bernd Dieter Müller eine sehr sängerfreundliche Bühne gebaut, die trotz Einheitsbühnenbild doch von Akt zu Akt recht wandelbar, immer andere Perspektiven erschließt, wobei vor allem auch die Lichtregie perfekt arbeitet.

Die Kostüme von Annette Zepperitz sind zeitgemäß passend und werktreu unaufdringlich. Schön, dass sich das Regieteam in der Verantwortung sieht, dieses seltene Werk – in dieser entschlackten neuen, nicht mehr so völkisch dahintümelnden Textfassung – nicht zu verfremden oder zu modernisieren, sondern dem Publikum gleichsam urtümlich zu offerieren. Schon dafür gebührt den Verantwortlichen großes Lob.

Musikalisch liegt Othmar Schoecks Musik Franz Schreker oder Richard Strauss näher als Wagner – ich würde ihn als den Schweizer Schreker bezeichnen. Die Musik ist durchgängig hörenswert, schön und mit nur leicht modernem Aplomb – die Ansprüche an die Sänger allerdings liegen auf ähnlich hohem, schweren Niveau.

Man braucht mindestens sechs Sänger, die das hochdramatische Fach einer Strauss-Partie relativ klaglos beherrschen würden. Was das Meininger Theater hier aufbietet, ist der schiere Wahnsinn. Große Häuser wären stolz, ein so durchgängig perfektes, lückenlos überzeugendes Sängerteam zu haben. Auch die Damen und Herren von Chor und Extrachor (einstudiert von André Weiss) überzeugten nachhaltig. Der Rezensent, der eigentlich in den großen Häusern zuhause ist, traute seinen Ohren nicht und deklamierte am Ende mehrfach lauthals „Bravi“. Hier wurde Oper mit dem Herzen für Musik inszeniert und eine vergessene Oper auch szenisch bemerkenswert revitalisiert. Sinnvolle Plage, lohnende Müh...

Philipp Bach evozierte mit der Meininger Hofkapelle in Wagnerbesetzung (!) großdimensionale Bilder mit einer Klangpracht auf Bayreuth-Niveau - und das nicht nur in den goldenen Bläsern. Das ist Spielkultur vom Allerfeinsten und verkörpert weiterhin die große herzogliche Tradition, die immer noch aus jeder Fuge dieses Kleinods von Theater seit einem Vierteljahrtausend bravourös atmet.

Fazit: Othmar Schoeck gehört einfach in jedes Repertoire. Ein ganz großes "Bravissimo" für das ganze Team! Der Aufwand war gigantisch, aber er hat sich gelohnt. Damit wird man zweifellos Schoeck-Rezeptionsgeschichte schreiben. Für diese Rarität lohnt sich auch die weiteste Anfahrt für den vielseitig interessierten Opernfreund. Nicht nur, weil die Besetzung internationales Format hat, sondern auch weil man hier ein zu Unrecht vergessenes Werk endlich wieder hoffähig gemacht hat.

 

Peter Bilsing 11.3.2019

Bilder © Theater Meiningen / Sebastian Stolz

 

 

Credits

 

Musikalische Leitung:  GMD Philippe Bach

Regie: Ansgar Haag

Bühne & Kostüme: Bernd Dieter Müller/Annette Zepperitz

Chor: André Weiss

Dramaturgie: Corinna Jarosch

 

Armand: Ondrej Šaling

Der alte Graf: Matthias Grätzel

Priorin: Anna Maria Dur

Gräfin Morvaille: Sonja Freitag

Renald Dubois: Shin Taniguchi

Gabriele: Mine Yücel/Sophie Gordeladze

Nicolas: KS Roland Hartmann

Wildhüter: Mikko Järviluoto

Volksredner: Remy Burnens

Wirt Buffon: Daniel Pannermayr/Giulio Alvise Caselli

Advokat: Robert Bartneck

Gärtnerbursche: Sanjun Lee

1. Helferin: Heejoo Kwon/Imogen Thirlwall

2. Helferin: Kylee Slee/Dana Hinz

Kommissar: Youngkyu Suh

Ein anderer Revolutionär: Pedro Arroyo

Ein Soldat: Lars Kretzer

Polizist: Kuk Sung Han

Wachtmeister: Sang-Seon Won

1. Jäger: Thomas Lüllig

2. Jäger: Steffen Köllner

3. Jäger: Gerhard Goebel

Pariser: Silvio Wild/Sanjun Lee

Eine Stimme: Axel-Michael Thoennes

 

 

 

TOSCA

Pr 08.09.2017 – Wiederaufnahme 02.11.2018, besuchte Aufführung 11.11.2018

Ausverkauftes Haus in Meiningen ist begeistert von Tosca und neuen Sängern

Wie schon so oft fuhr ich diesmal wieder mit einigen Freunden nach Meiningen und diesmal waren es stattliche 78 Personen, die in einem Doppelstöcker saßen. Und wieder einmal haben wir die Fahrt nicht bereut, im Gegenteil, selten waren meine Freunde so einhellig begeistert, begeistert von der schnörkellosen, eindrucksvollen und realistischen Inszenierung von Ansgar Haag und den tollen Stimmen der Meininger Protagonisten, dabei zwei, die zum ersten Mal von uns zu hören waren und von denen wir wünschen, dass sie noch lange auf dieser Bühne agieren werden. Warum ich und meine Freunde so gerne nach Meiningen fahren, liegt in erster Linie daran, dass man hier praktisch nie einen kompletten Ausfall erlebt, sondern im Gegenteil, hochinteressante, manchmal diskussionswürdige aber vor allem musikalisch bestechende Aufführungen, die meilenweit über dem normalen Durchschnitt mancher Opernhäuser liegen.

Regie führte wie bereits erwähnt der Intendant des Meininger Staatstheaters. Er bringt den Hintergrund der historischen Geschichte punktgenau auf die Bühne, alles ist erkennbar, alles kann man problemlos nachvollziehen. Klar, überzeugend, das Stück und nicht den Regisseur in den Vordergrund stellend, eine wirklich tolle und stimmige Inszenierung. Dieter Richter ist für das Bühnenbild zuständig und auch er beeindruckt mit imposanten, etwas düsteren, der Oper jedoch völlig angepassten Bauten, sei es eine Kirche, sei es die große hoch emporschießende Gerüstkonstruktion, auf welcher der Maler Cavaradossi in schwindelnden Höhen agiert.

Die Kostüme von Renate Schmitzer sind völlig der damaligen Zeit entsprechend, akkurat, formschön, teilweise richtige Hingucker, alles passt zusammen, alles fügt sich in das Szenario ein. Bühne und Kostüme sind eindrucksvoll aufeinander abgestimmt. Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Tatsache, dass „Tosca“ in der Regie von Intendant Ansgar Haag vom Förderverein Theaterfreunde Meiningen aus 20 Inszenierungen zur besten Inszenierung der Saison gewählt wurde. Und ich darf im Vorgriff auf die Besprechung schon eines sagen, dies war völlig zurecht. Selten habe ich eine so stimmige Aufführung erlebt, von der Inszenierung, dem Bühnenbild, den Kostümen, der Hofkapelle bis hin zu den vorzüglichen Sängern, alles war über dem Durschnitt, alles aufeinander abgestimmt, eine wahrhaft meisterliche Gesamtleistung.

Brit-Tone Müllertz – Xu Chang

Die wunderschöne und zeitlose Musik Puccinis wird von der Meininger Hofkapelle vortrefflich dargeboten. Musikalische feurige Leidenschaft, eine komplette Geschlossenheit, das Erarbeiten feinster Nuancen wo es machbar ist und eine stille sängerdienliche Zurückhaltung, um den Wohlklang der Stimmen nicht zu zerstören, zeichnet das Orchester aus. Das liegt natürlich auch daran, dass Mario Hartmuth „seine Musiker“ voll im Griff hat, sie behutsam, zurückhaltend, aber auch feurig und aufbrausend führt. Ein wahrer Meister des Taktstocks. Ein leidenschaftlicher Dirigent, der mit seinem Orchester praktisch atmet und sie zur Höchstleistung anspornt. Das Publikum wird von den leidenschaftlichen Wogen mitgerissen und ist spürbar beeindruckt.

Stan Meus – Shin Taniguchi

Die gebürtige Dänin Brit-Tone Müllertz erlebe ich heute zum ersten Mal und es ist ein berauschendes Erlebnis. Sie gestaltet die Tosca mit einer Leidenschaft und einem stimmlichen Feuer, welches das Publikum zu andächtigem Schweigen bringt und gestaltet so eine Tosca von ganz besonderem Format. Mit mühelos leichtem, klarem kraftvollen leuchtendem und durchschlagskräftigem Sopran, der zur Zurückhaltung in zarten lyrischen Ansätzen fähig ist aber auch zum leidenschaftlichen dramatischem Forte, verzaubert sie nicht nur Cavaradossi sondern auch das Publikum, welches mit stürmischem Applaus die tolle Leistung honoriert. Auch darstellerisch kann sie auf hohem Niveau agieren, auch ihre kraftvolle und ausladende Gestalt füllt die Bühne bis in den letzten Winkel. Ihr durchaus ebenbürtig der Cavaradossi von dem aus Jen-Li in China stammenden Xu Chang. Er, der schon viele Jahre in Meiningen sein Publikum beeindruckt, kann mit seinem kräftigen, hellen und imponierendem Stimmeinsatz, der strahlend alle Höhen meistert punkten. Durchschlagskräftige stählerne Höhen mit metallischem Einschlag tun der Rolle sicherlich sehr gut. Darstellerisch ist er seiner Tosca kein ganz ebenbürtiger Partner, etwas zu statisch tritt er auf, aber man kann nicht alles haben. In jedem Fall eine beeindruckende Leistung, die auch vom Publikum jubelnd honoriert wird.

Shin Taniguchi – Brit-Tone Müllertz

Und dann der neue Bariton am Meininger Staatstheater als Scarpia. Der aus Japan stammende Shin Taniguchi ist, und man kann es nicht anders ausdrücken, eine wahre Bereicherung des Meininger Ensembles. Mit kraftvollem, gelenkigem und wuchtigem Bariton setzt er ein Ausrufezeichen hinter seinen Namen. Ein großes stimmliches Vermögen und eine Ausstrahlung, die fast frösteln lässt, eine dämonische Gestaltung des finsteren Bösewichts, wie ich sie bisher selten erlebt habe. Fast hätte man, aufgrund seiner stimmlichen und darstellerischen Leistung Mitleid mit dem Ende dieses furchtbaren Frauenverführers. Eine ganz tolle Leistung, welche die Freude auf die nächsten Austritte spürbar erhöhen.

In der Rolle des Cesare Angelotti der in Passau geborene Bass Daniel Pannermayr, der seit der Spielzeit 2017/18 neues Ensemblemitglied in Meiningen ist. Er beeindruckt in seiner doch sehr kleinen Gesangsrolle und ich freue mich heute schon auf seinen Osmin in „Die Entführung aus dem Serail“. Positiv fällt auch eines der Meininger Urgesteine, der in Polen geborene Stan Meus auf, der vor allem auch darstellerisch voll beeindrucken kann. Ohne Einschränkungen und sich ins äußerst positive Gesamtbild eingliedernd Mikko Järviluoto als Messner, Marian Krejcik als Sciarrone, Lars Kretzer als Kerkermeister und Marianne Schechtel als Hirt ein.

Schlussapplaus – Shin Taniguchi – Mario Hartmuth – Brit-Tone Müllertz – Xu Chang

Mit dieser Aufführung hat Meiningen wieder einmal gezeigt, dass es, obwohl ein relativ kleines Theater, in der obersten Riege der deutschen Theater anzusiedeln ist. Hier macht Theater Spaß, so soll es sein und so gewinnt man auch neue Zuhörer und Zuschauer, wenn so leidenschaftlich und werkgetreu musiziert wird.

Manfred Drescher, 16.11.2018  

Bilder (c) Der Opernfreund / M. Drescher


 

COSI FAN TUTTE

Besuchte Premiere am 17.11.17

So machen es eben nicht alle

Eigentlich ist die Neuproduktion von Mozarts "Cosi fan tutte" am Meininger Staatstheater auf den ersten Blick gar nicht so etwas Besonderes, doch das Besondere ist das unaufgeregt und werkdienlich gemachte dieser Produktion. Anthony Pilavachi und sein Ausstatter Christian Rinke verlegen die Handlung zwar nicht in die Entstehungszeit, sondern ein paar Jahre später in die Zeit von Goethes "Wahlverwandtschaften", zwei Meisterwerke, die wirklich sehr viel miteinander zu tun haben. Die Kostüme sind also kein ausladendes Rokoko, sondern feines Empire, die Albanertrachten der Verkleidung erinnern dabei durchaus an die schrecklichen Bilder aus dem heutigen Nahen Osten, ohne dabei den Rahmen des Historischen zu verletzen. Ansonsten findet das Spiel um die Authenzitäten der Gefühle genau nach Libretto und Partitur statt, Despinas Mummenschanz als Doktor und Notar ganz aus der handelsüblichen Opera Buffa statt. Doch mit welcher zwischenmenschlichen Beobachtungsgabe die Beziehungsfäden des Personals geknüpft werden, weisen Pilavachi als großen des Regiefaches aus; "denn in dem "Wie", da liegt der ganze Unterschied", möchte man sagen. Alles in duftigen, eleganten Bildern, die in ihrer Solidität fast schon unzeitgemäß anmuten und es trotzdem sind. Und das obwohl der Ferrando als Einspringer sehr kurzfristig zur Premiere eingewiesen werden mußte, mit einem Wort: bestes Handwerk. Erst zum Schluss erlaubt sich der Regisseur eine drastische Pointe, die jedoch den Spaß am vorherigen nicht trübt.
So etwas gelingt natürlich auch nur, wenn die musikalische Seite am gleichen Strang zieht, wie in Meinigen.Unter Mario Hartmuths Leitung zelebriert die relativ hoch plazierte Meiniger Hofkapelle einen  duftigen, straffen Mozart, der stets am Puls des Bühnengeschehens pocht. Die vielen Rezitative geraten als feinnerviges Musiktheater, überhaupt dominiert den Abend ein stilles Hinhören in Mozart und da Pontes Kosmos. Der Mut zum Leisen zahlt sich durch Vertiefen des Erlebten aus. 
Der bereits erwähnte Einspringer erweist sich als extrem hochkarätig, denn Dovlet Nurgeldiyev von der Staatsoper Hamburg singt die lyrischen Hauptpartien schon an den großen Bühnen. Der Tenor findet sich nicht nur hervorragend in das Ensemble ein, sondern spielt, als ob er die acht Probenwochen mit absolviert hätte, dazu Tenorgesang vom Feinsten, das verinnerlichte "Un aura amorosa" hört man selten so perfekt. Was nicht heißt, daß sich das Meininger Ensemble verstecken müßte, o nein! Elif Aytekin als Fiordiligi hält voller Gefühlstiefe dagegen, vielleicht klingt ihr Sopran am Premierenabend ein wenig müde, doch so ein Spektrum an Charakterfarben hört man nicht oft und läßt nicht unberührt. Carolina Krogius als Dorabella zieht mit saftigem Mezzo auf buffoneskere Art mit. Dazu passend der Guglielmo von Marian Krejcik mit angenehm virilem Kavaliersbariton. Monika Reinhard als Despina ist ein Ausbund an Kammerzofe mit sehr realistischem Denken, eine wunderbare Soubrette voller Bitterkeit in dieser Partie. Daniel Pannermayr nimmt man den "alten Philosophen" optisch nicht ab, er gibt jedoch einen bösen Zyniker mit leichten Höhenproblemen. Dann gibt es in dieser Aufführung noch zwei Hauptrollen, zum einen den szenisch sehr aufgewerteten Chorpart, der Chor des Meininger Staatstheater unter Martin Wettges ist vokal hervorragend und freut sich sichtlich über die vielfältig anfallenden Aufgaben. Ebenso wie Robert Jacob am Cembalo, der auf der Bühne zu einem Mitspieler auch in szenischer hinsicht wird.
Wie gesagt, alle ziehen in dieser Neuproduktion an einem Strang, das es nur so Freude macht. So werden die immerhin dreieinhalb Stunden zu einer enorm kurzweiligen Angelegenheit. Im Publikum wird viel mitgelacht, aber auch in die Herzen der Figuren gelauscht, deshalb gibt es einen langen und verdienten Schlussapplaus für diese sehens- und hörenwerte Aufführung, die einmal erneut beweist, das "Provinz(-iell)" nichts Lokales ist. Meiningen ist wieder einmal Garant für gutes Musiktheater und eine Reise wert.
Fotos: Marie Liebig

 

Martin Freitag 18.12.2017
 

 

 

LA TRAVIATA

Besuchte Vorstellung Wiederaufnahme 12.02.2017                

Premiere 26.06.2015

Eine überragende Violetta mit Elif Aytekin

Sie hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel, diese „La Traviata“ in Meiningen. Im Juni 2015 war die Premiere und bei der heutigen Wiederaufnahme, hat die Aufführung nichts von ihrer Spannung und Dramatik verloren. Die Geschichte der Lebedame Violetta Valéry, die sich – schon von ihrer tödlichen Krankheit gezeichnet – unsterblich in den jungen Alfred Germont verliebt und von ihm stürmisch wiedergeliebt wird, ist sicher allgemein bekannt. Sie vergisst in seinen Armen alles Leid und hofft auf eine glückliche Zukunft, auch wenn sie im Innersten bereits weiß, dass dies ihr nicht bestimmt ist. Alfredos Vater ist bedacht auf den Ruf seiner Familie, der Schwester Alfredos, die vor der Hochzeit steht, die durch eine Kurtisane gefährdet scheint. Er appelliert an Violetta ihn um das Wohl seines Hauses zu verlassen. Er denkt ja, dass sie ein langes glückliches Leben an der Seite anderer Männer noch vor sich hat. Violetta ist in sich zerrissen, sie will ihren Alfredo nicht aufgeben, ihn die einzige Liebe ihres Lebens, aber sie will auch dem Glück seiner Familie und damit auch ihm nicht im Wege stehen. So macht sie ihm vor, ihn nicht mehr zu lieben. In grenzenloser Verzweiflung beleidigt und erniedrigt Alfredo sie auf einem Ball und wirft ihr Geld und seine Verachtung ins Gesicht. Im Prinzip verflucht er die Liebe seines Lebens. Violetta, getrennt von Alfredo verfällt immer mehr, ihre Krankheit zehrt an ihr und droht sie zu vernichten. Jetzt erst erkennt Giorgio Germont, was er von ihr für ein grenzenloses Opfer verlangt hat, er, der seinen Sohn nach dem Vorfall schwere Vorwürfe machte, erkennt seinen großen Fehler. Er weiß aber auch, dass er ihn nicht mehr gut machen kann, dass es zu spät ist. Violetta, dem Tode näher als dem Leben empfängt noch einmal den geliebten Alfredo. Gemeinsam träumen sie vom großen gemeinsamen Glück, dann stirbt sie in seinen Armen. Eine Geschichte, die zu Herzen geht und wieder einmal etliche Taschentücher meiner Frau gekostet hat.

Steffen Köllner – Elif Aytekin – Ernst Garstenauer – Carolin Krogius – Mikko Järviluoto

Regie führt Christian Poewe, und hier bin ich ein bisschen hin- und hergerissen. Zu Beginn der Ouvertüre lässt er einen greisen Mann auf die Bühne schlurfen, sich auf ein Sofa setzen, der Musik mit verklärten Blicken lauschen, die gebrechlichen Arme gen Himmel recken und dann wieder verschwinden. Warum das Ganze, mir hat es sich nicht erschlossen, war für mich einfach nur deplatziert und albern. Das geht noch zwei dreimal so, aber vergessen wir es schnell, zu mehr taugt es eigentlich auch nicht. Den tieferen Sinn des Regisseurs, der sich ja irgendetwas dabei gedacht haben muss, hoffe ich wenigstens, erschließt sich mir nicht. Schade, denn das sonstige Regiekonzept von Poewe kann durchaus überzeugen. Er arbeitet akkurat alle Feinheiten des Stückes heraus, vermeidet unsinnige Mätzchen (fast – siehe oben) und stellt ein stimmiges Konzept auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Für die Bühne zeichnet Christian Rinke verantwortlich und das in der Mitte hochaufragende Stahlgerippe kann zu den verschiedensten Bereichen verwendet und angewandt werden, die Drehbühne ist ständig im Einsatz und vermittelt ein stets wechselndes Bild, einfach und eindrucksvoll. Eine einfache Darstellung, aber eine die zweckdienlich ist und voll überzeugt. Überzeugend auch die Kostüme von Tanja Hofmann, prächtige schön anzuschauende Roben in gedämpften Tönen, bis auf die Frau in Rot, die vielgeliebte Violetta. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Mario Hartmuth, er lässt die Zügel für das Orchester recht locker und ist in seinen Tempi auch sehr sängerunterstützend, teilweise spielen seine Musiker recht schmissig und leidenschaftlich auf. Die Hofkapelle lässt sich problemlos leiten und bringt eine eindrucksvolle Leistung auf die Bühne, die Violingruppe muss noch ein bisschen an sich arbeiten, ihr Klang ist mir etwas zu unschön, gerade im Vorspiel, wo man sich einen zarten elfengleichen Klang wünscht. Aber das sind Einwände, die zugegebenermaßen schon etwas beckmesserisch sind. Der von Martin Wettges einstudierte Chor macht seine Sache gut, alles ist aufeinander eingespielt, alles läuft im Takt.

Carolin Krogius – Ernst Garstenauer – Mikko Järviluoto

Und nun kommen wir zu dem, was eine gute „Traviata“ am besten ausmacht und woran sie oft scheitert, die Sänger. Und hier hat man für die Titelrolle in Meiningen ein Juwel. Elif Aytekin gestaltet die verzweifelt Liebende, die am Schluss doch noch in den Armen des Geliebten stirbt äußerst ergreifend. Mit zarten Piani, dennoch durchschlagskräftig mit strahlenden Spitzentönen, aufblühend und ergreifend gestaltet sie die Violetta, man zittert und fühlt mit ihr mit und kann am Schluss der Aufführung sicherlich die eine oder andere Träne nicht unterdrücken, wobei es bei meiner Frau mehr wie eine Träne war. Was kann man schöneres über ein solch musikalisches Ereignis sagen. Man kann nur hoffen, dass die junge türkische Sopranistin, die viel Szenenapplaus bekommt und einen am Ende fast nicht endend wollenden Schlussapplaus, noch lange in Meiningen bleibt.

Ihr Partner, der aus China stammende Tenor Xu Chang als Alfredo, der schon seit vielen Jahren eine Stütze Meiningens ist, hat einen durchschlagskräftigen, metallischen hellen Tenor mit einer bombigen imposanten Höhe. Dass sein Spiel insgesamt etwas statisch wirkt, kann man dabei gerne vergessen. Eine, vor allem im Einklang mit Elif Aytekin eindrucksvolle Leistung. Beide werden zu Recht mit vielen Ovationen gefeiert.

Mehr als ebenbürtig ist der rumänische Bariton Marian Pop als restlos überzeugender Vater Germont. Er läßt sein herrliches Material voll strömen und überzeugt nicht nur in seinen großen Arien sondern auch in den Duetten. Seine eindrucksvolle mächtige und flexible Stimme lässt aufhorchen. Ich habe ihn heute zum ersten Mal erlebt und hoffe, dass es nicht zum letzten Mal gewesen ist. Eindrucks- und ausdrucksvoll, so kann man ihn mit einem kurzen Schlagwort beschreiben.

Keinen Ausfall gab es bei den sonstigen Besetzungen, sowohl Carolina Krogius, die finnische Mezzosopranistin mit flexibler, lyrisch heller Stimme als Flora, Girn-Young Je als Annina, als auch Stan Meus als Gaston, Steffen Köllner als Baron Douphol, Ernst Garstenauer als Dr. Grenvil, Mikko Järviluoto als Marquis d´Obigny, Gerhard Goebel als Giuseppe, Dimitar Sterev als Kommissionär sowie Sang-Seon Won als Diener gaben ihr Bestes und vervollständigten das Ensemble stimmig.

Schlussapplaus

Langanhaltender, fast nicht endend wollender Applaus, gab darüber Aufschluss, dass es den Besuchern ausgezeichnet gefallen hat, man sah beim Ausgang kein griesgrämiges Gesicht. Und was kann man wohl schöneres über einen wunderbar gelungenen Opernnachmittag sagen. Meiningen ist immer eine Reise wert und ich freue mich schon auf die nächsten Aufführungen.

Manfred Drescher, 22.02.2017              

Fotos 1 und 2: Ed, Meiningen, Foto 3: Eigenaufnahme

 

DER BARBIER VON SEVILLA

nicht als komische sondern als alberne Oper

Besuchte Vorstellung 06. Juni 2016                

Premiere 14. Oktober 2016

Solisten und Orchester retten eine Inszenierung, die mehr als gewöhnungsbedürftig ist

Viele Jahre bin ich in Meiningen, viele Jahre begeistert, manchmal – aber ganz selten – etwas verunsichert von der ein oder anderen Inszenierung, aber was der Regisseur Lars Wernecke hier für mich abgeliefert hat, ist so etwas von albern, wie ich es bisher noch nicht erlebt habe. Die armen Sänger müssen fast über die gesamte Zeit herumhampeln, dass es einem fast schwindlig wird und sich damit – für mich jedenfalls – zum Affen machen. Ich war mit 60 Leuten in der Vorstellung, ausnahmslos Kopfschütteln über eine solche Inszenierung, für die das Wort albern fast noch geschmeichelt ist. Komische Oper soll unterhaltsam, auch in gewisser Weise derb und selbstverständlich auch etwas überzeichnet sein und die Ansätze des Regisseurs wären vielleicht nicht einmal so schlecht, wenn er sie differenziert eingesetzt hätte und nicht gnadenlos und ohne Pause es durchgängig zur Zappelekstase zu treiben. Wenn man Ende des ersten Aktes zusehen muss, wie alle Personen wild mit Händen und Köpfen gestikulieren, dann wird man nach ein paar Minuten selbst etwas schwindlig im Kopf und nach 10 Minuten wird man nur noch wütend und bekommt Mitleid mit den armen Sängern. Es war für mich schlimm, eine meiner Lieblingsopern (und wer die DVD mit Wunderlich, Prey und Köth im seinem Schrank hat, wird verstehen, was ich meine) so mit Dauergezappel und Rumgehampel verunglimpft zu sehen. Helge Ullmann zeichnet für die Bühne und die Kostüme zuständig und sie hat ein buntes, mitunter grelles Bild hingezaubert. Der überdimensionale Barbierstuhl in der Bühnenmitte, den alle ständig (teilweise am Schluss schon etwas angestrengt schnaufend) besteigen und beklettern müssen, warum eigentlich erschließt sich mir nicht, ist das Hauptrequisit der Bühne. Alles ist versehen mit überdimensionalen Bühnenhelfern, riesigen Scheren, Kämmen; Wassersprühern uns so weiter und Figaro fährt mit einem, ja, sagen wir mal überdimensionierten Rasierpinsel auf die Bühne. Die handelnden Personen werden dadurch fast in die Rolle von Liliputaner gedrängt, oder auch von Ameisen, ganz wie man will. Also, für mich sind Inszenierung und Bühnenbild nicht gerade das Gelbe vom Ei und von satirischen Ansätzen kann man auch nur träumen. Alles ist bunt, grell, überdimensioniert und teilweise gnadenlos albern. Schade für solch eine Perle in der Opernlandschaft.

Dr. Bartolo – Marian Krejcik, Figaro – Dae-Hee Shin

Die Geschichte der Oper ist eigentlich recht schnell erzählt. Der alternde Don Bartolo, der mehr als nur einen Blick auf sein Mündel Rosina geworfen hat, steht zwischen der Liebe eben dieser Rosina mit dem Grafen Almaviva. Von ihm denkt sie am Anfang er sei ein armer, aber lieber Bursche namens Lindoro. Figaro, der Barbier und Lebenskünstler in allen Fragen, hilft dem Grafen – natürlich gegen klingende Münze – den etwas vertrottelten Don Bartolo, dem auch die Hilfe seines Freundes Don Basilio nicht helfen kann, auszuschalten, ja ihn auch zu veralbern und die schöne Rosina mit dem Grafen zu verbinden. Dieser versucht in ständig wechselnden Verkleidungen seiner Rosina immer näher zu kommen und den mit Argusaugen über Rosina wachenden Don Bartolo auszuschalten. So richtig wird diese Geschichte aber in der oben angesprochenen Inszenierung aber nie wahrgenommen, weil auch der Hintergrund der Oper ein bisschen im Dauergezappel untergeht.

Graf Almaviva – Siyabonga Maqungo, Rosina – Carolina Krogius

Ja – und wie schon so oft muss die Musik, das Orchester und die Sänger eine Inszenierung aus dem Feuer reißen – und das tut sie in bravouröser Art. Die Meininger Hofkapelle steht an diesem Nachmittag unter dem Dirigat von Stefano Seghedoni. Er gilt als Barbierexperte und wurde extra als Gast für das Haus verpflichtet. Mit leichter Hand, manchmal wäre eine etwas stärkere Hand nicht schlecht gewesen, führt er das gut aufgelegte Orchester. Er arbeitet die unterschiedlichen Töne eindrucksvoll heraus und ist auch den Sängern, wo es von Nöten ist, ein zurückhaltender Helfer. Die Hofkapelle lässt sich problemlos leiten und bringt eine eindrucksvolle Leistung auf die Bühne. Leider geht die Ouvertüre etwas unter, weil hier Figaro allerlei Unsinn auf der Bühne machen muss (Luftballonrasieren, Utensilien herumlegen) und doch sehr von der Musik ablenkt. Das kann man aber in keinster Weise der Hofkapelle und seinem leidenschaftlich agierenden Dirigenten anlasten.

Die gesanglichen Leistungen sind fast ausnahmslos, wie man es in Meiningen gewohnt ist, einwandfrei und auf einem sehr hohen Niveau. Als Rosina steht an diesem Nachmittag die junge Finnin Carolina Krogius auf der Bühne und ich war schon etwas enttäuscht gewesen, weil ich mit der von mir hochverehrten Elif Aytekin gerechnet hatte. Aber die Enttäuschung verfliegt schnell. Ihr warmer und ausdrucksstarker Mezzosopran ist in jeder Lage präsent, flexibel mit samtigem Timbre weiß sie das Publikum für sich zu gewinnen, dazu kommt ein glaubhaftes und überzeugendes Spiel, so dass man nicht nur von einer rollendeckenden Gestaltung sondern von einer außergewöhnlichen Gestaltung sprechen muss. Ihr geliebter Lindoro, halt, Graf Almaviva wird von dem blutjungen Südafrikaner Siyabonga Maqungo gegeben und dessen Stimme ist, jedenfalls zu Beginn, etwas gewöhnungsbedürftig. Etwas gequetscht klingt sein sehr heller und scharfer Tenor, kann sich aber im Verlauf der Vorstellung steigern. Der gewitzte und verschlagene Figaro wird von einer Säule des Hauses, dem südkoreanischen Bariton Dae-Hee Shin gegeben. Er macht aus dieser Rolle wieder ein Paradestückchen, spielerisch sowieso, kann er mit seinem durchschlagskräftigem, weichem und klarem Bariton eindrucksvoll überzeugen. Er lässt die Stimme fließen und seine kräftige und wohllautende Stimmbänder überzeugen in allen Lagen. Ausgezeichnet auch Don Bartolo von dem aus der ehemaligen Tschechoslowakei stammenden Marian Krejcik. Sein vollmundiger kräftiger und durchschlagsfähiger Bass überzeugt in jedem Moment und dazu kommt ein ausgeprägtes schauspielerisches Vermögen. Humorvoll, auftrumpfend und gleichzeitig leidend macht er

aus seiner Partie eine kleine Sondernummer. Die Verleumdungsarie wird voller Bassschwärze, stark und überzeugend von Mikko Järviloto, der die Partie des Don Basilio darbietet, zelebriert. Man merkt ihm richtig an, wie sehr ihm die Verleumdung als Berater zur Seite steht. Hervorzuheben (trotz ihrer albernen Nasenputzmanie, bedingt durch unseren Regisseur) ist Monika Reinhard in der Rolle der Berta, die mit glockenhellem Sopran und eindrucksvoller Koloratur das Publikum in ihrer kleinen Rolle verzaubert, eine ganz tolle Leistung. Ohne Fehl und Tadel Sang-Seon Won als Fiorello, Lars Kretzer als Ambrogio und Ditimar Sterev als Un Ufficiale. Der Herrenchor des Meininger Theaters ist durch Martin Wettges gut eingestellt. Insgesamt gesehen eine eindrucksvolle gesangliche und musikalische Aufführung, die kaum irgendwelche Ausfälle hat, leider aber mit einer Inszenierung, die dieses wunderbare Stück – aus meiner Sicht – nun wirklich nicht verdient hat.

Manfred Drescher, 17.11.2016  

Fotos (c) Theater Meiningen /  Marie Liebig

 

 

Lucia di Lammermoor

und ein sensationelles Rollendebüt

Besuchte Vorstellung 19. Juni 2016   

Premiere 06. Mai 2016

Applausstürme in Meiningen für Elif Aytekin und das gesamte Ensemble

Ich war schon oft in Meiningen und ich habe Elif Aytekin – Gott sei Dank – schon oft erleben dürfen, sei es in „Don Pasquale“, „Gianni Schicci“, „Rigoletto“ oder auch in der atemberaubenden Partie der Elvira in „I Puritani“. Und immer war sie einfach herausragend und einmalig. Aber mit der Partie der Lucia aus Donizettis „Lucia di Lammermoor“ hat sie dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Über ihr Rollendebüt gleich mehr – aber wenn jemand einen Stern des Opernfreundes verdient hätte, dann Elif Aytekin und das Ensemble für diese herausragende Lucia.

Edgardo – Xu Chang, Lucia – Elif Ayetkin

Lucia funktioniert nur mit drei Spitzensängern – und hier in Meiningen hat man das große Glück, diese zu besitzen. Die schauerliche Mär von den Adelsfamilie Ashton und Ravenswood, die „immer schon“ verfeindet waren, ist aber auch zu mitreißend. Sir Edgardo, der letzte Ravenswood hat Lord Enrico Ashton, den er für sein grausames Schicksal verantwortlich macht, blutige Rache geschworen. Enrico, dessen Familie auch in finanzielle Probleme gekommen ist, sieht die einzige Möglichkeit seinen Clan zu retten darin, seine Schwester Lucia mit Lord Arturo Bucklaw zu verheiraten. Lucia, die sich ausgerechnet in Edgardo verliebt hat, will davon gar nichts wissen. Lucia und Edgardo versprechen sich ewige Treue, bevor Edgardo ins Ausland reisen muss. Enrico fälscht einen Brief und gaukelt damit Lucia die Untreue von Enrico vor. Resigniert willigt sie in die ungeliebte Heirat ein, da sie sich von Edgardo verraten sieht. Edgardo kommt von der Reise zurück, er verflucht Lucia und die ganze Familie Ashton, weil er glaubt, dass Lucia ihm bewusst untreu geworden ist. Lucia bricht zusammen.

Chor mit Edgardo - Xu Chang

Um seinen Todfeind ein für alle Mal auszuschalten fordert Enrico für den nächsten Tag Edgardo zum Duell auf Leben und Tod. In der Hochzeitsnacht tötet Lucia, deren Geist sich immer mehr verwirrt ihren Gatten Arturo. Als Edgardo vom Wahnsinns Lucias erfährt und die Totenglocken für sie läuten hört, bringt er sich selbst um und folgt so der ewig Geliebten in den Tod.

Der Regisseur Ansgar Haag lässt das Stück in den 20er bis 30er Jahren spielen, der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Alles in einem Land welches faschistische Züge aufweist und wo die Inszenierung greift. Auch die Kostüme von Renate Schmitzer passen sich dem an, dunkle, teilweise schwarze Uniformen der Männer stehen den Roben in Grautönen der Damen gegenüber, nur Lucia ist in Weiß, der Farbe der Unschuld, gekleidet. Das Bühnenbild von Christian Rinke ändert sich im ganzen Stück fast nicht. Eine Eingangshalle eines heruntergekommenen Sitzes der adligen Familien, eine Zelle, die der Folter dient und gekachelt ist. Aus diesen Kacheln fließt das Blut und es gibt auch den Blick auf den Friedhof frei. Die Probleme zeigen sich, ein Ebenbild Lucias erscheint des Öfteren, blutbefleckt und das Unheil, was auf alle zukommt, kann hier schon erahnt werden. Alles ist passend und auch teilweise beeindruckend. Aber was wäre das alles ohne die Musik.

Die Meininger Hofkapelle spielt unter der Leitung von GMD Philippe Bach zum grausigen Stück auf und sie tut dies vorzüglich. Die Musik Donizettis ist, allen Grausamkeiten zum Trotz, innig, beglückend, süß und mitreißend. Der Chor unter Leitung von Martin Wettges tut ein weiteres um die Ausnahmesituation dieser Inszenierung zu unterstreichen. Eine weitere Besonderheit ist auch der Einsatz einer Glasharmonika, welche von Philipp Alexander Maguerre leidenschaftlich gespielt wird. Donizetti, der sich dieses Instrument gewünscht hatte, musste damals auf die Flöte ausweichen, dies ist auch bei den meisten anderen Aufführungen der Lucia so. Die Wahnsinnsarie erhält aber durch die fast schwebende, seelenlose Glasharmonika etwas Geisterhaftes und hebt die Wahnsinnsarie auf eine besondere, nie dagewesene Stufe.

Chor mit Lucia – Elif Aytekin

Ja und dann kommen wir zu den Sängern. Und hier muss einfach zuerst die Debütantin der Lucia genannt werden, die junge türkische Ausnahmesopranistin Elif Aytekin. Sie ist einfach das herausragende Ereignis dieser Produktion. Sie verkörpert nicht die Lucia, nein, sie ist die Lucia. Schauspielerisch überragend, vermag sie jede Nuance dieser mörderischen Partie auszuleuchten. So zerbrechlich und zart sie wirkt, so leidenschaftlich ausdauernd und immer präsent ist sie hier. Mit einer immensen Stimmkraft, und dies habe ich bei „I Puritani“ bereits geschrieben, die man diesem zarten Persönchen gar nicht zugetraut hätte, einer brillanten Koloraturtechnik und einem Piani, bei welchem die Töne messerscharf hingehaucht im Raum stehen, ist sie einfach ein Erlebnis. Sie ist eine Ausnahmesängerin und –darstellerin, die berührt und bei deren Auftritten das Publikum im Saal fast das Atmen vergisst. Eine Stecknadel könnte man fallen hören, so gespannt und aufmerksam ist das Publikum. Ihre Wahnsinnsarie bringt sie mit einer solchen Leidenschaft, und das gegen Schluss der Oper, ohne jegliche Ermüdungserscheinung, klar, die höchsten Höhen mühelos erklimmend, die Koloraturen bis ins letzte auskostend, das es einem den Atem raubt. Ich gebe gerne zu, dass mich hier etwas die Euphorie mitgerissen hat, aber anders kann man diese Leistung nicht würdigen. Ich hoffe, dass sie dem Meininger Theater noch etwas erhalten bleibt, bin mir aber leider sicher, dass sich die großen Häuser schon auf den Abwerbeweg machen – schade für uns alle, die wir in der Gegend wohnen, sicher aber eine weitere Herausforderung für Elif Aytekin. Als Sir Edgardo lässt Xu Chang seinen klaren, höhensicheren, teilweise gewaltigen Tenor hören, auch er eine herausragende Leistung, vom darstellerischen ist er halt etwas statisch, aber man kann nicht alles haben.

Elif Aytekin

Dae-Hee Shin ist wie immer ein exzellenter Vertreter seines Faches. Als Lord Enrico lässt er einen weichen, klaren und durchschlagskräftigen Bariton erklingen und bringt auch die Rolle glaubhaft auf die Bühne. In keinster Weise wirkt sein Gesang angestrengt, er lässt seinen schönen weichen Bariton fließen und ist ein weiterer Aktivposten in der Besetzung, die kaum ein größeres Haus in dieser Intensität, Leidenschaft und Durchschlagkraft auf die Bühne stellen dürfte. Auch die weiteren Rollen sind exzellent besetzt, einen Ausfall gibt es nirgends. Als Lord Arturo lässt Daniel Szeili bis zu seiner tragischen Ermordung einen kräftigen robusten Tenor erklingen. Der – am Schluss auch gemeuchelte – Raimondo wird mit beweglichem, vollmundigem Bass von Mikko Järviluoto rollendeckend verkörpert. Mit samtigem ausdruckschönem Mezzosopran kann Carolina Krogius überzeugen und Normanno wird mit hellem, scharfem und präsentem Tenor tadellos von Siyabonga Maqungo verkörpert.

Fast zwanzig Minuten stehende Ovationen des ausverkauften Hauses, bei der Premiere sollen es weit über 30 Minuten gewesen sein. Und dies völlig zu Recht. Man hat heute eine Sternstunde am Theater Meiningen erlebt und wird diese Aufführung lange nicht vergessen. Man wünscht sich, dass es einmal eine Aufnahme in dieser Besetzung gibt um das ganze immer wieder hören zu können und es auch der Nachwelt zu überlassen.

Manfred Drescher, 26.06.2016  

Fotos 1 – Marie Liebig, 2 bis 4 - Foto ed Meiningen

 

 

 

ALBERT LORTZING

REGINA

Premiere: 18.3. 2016

Germania weint schwarze Tränen

Albert Lortzings Oper Regina - das opernhafteste seiner Bühnenwerke – ist ein äußerst seltener Gast auf unseren Bühnen. Geschrieben im Revolutionsjahr 1848, hatte und hat dieses außergewöhnliche Werk den Ruf der „Revolutionsoper“ - kein Wunder, dass die Dame erst ein halbes Jahrhundert nach jenen Ereignissen auf die Bühne kam, ohne die sie nicht geschrieben worden wäre. Die ersten der wenigen Inszenierungen boten jedoch nur Verstümmelungen des Werks: mal politisch rechts, mal – in der DDR – realsozialistisch. Als Regina 1998 von Peter Konwitschny in Gelsenkirchen inszeniert wurde, konnte man zum ersten Mal das Original besichtigen. Nun hat das Theater Meiningen zugegriffen und eine Version der Oper abgeliefert, die dicht an den Ereignissen von 1848 dran ist – und doch immer wieder durchschimmern lässt, dass die Hauptaspekte des Werks nicht von gestern sind.

Lortzing hat, als sein eigener Librettist, auch in der Regina, deren Grundkonflikt – da steht eine Frau zwischen einem „guten“ und einem „bösen“ Mann - nicht politisch, sondern privat ist, seine politischen Überzeugungen versifiziert. Es sind die Überzeugungen eines liberalen Demokraten, der die Gewalt als Mittel der Politik ablehnt – und doch nicht ganz frei ist von Tönen der Aggressivität. Dass die Intention der Regina seltsam gebrochen erscheint, ist weniger dem Komponisten als den komplizierten Zeitläuften anzulasten: beginnt die Oper pur sozialdemokratisch – mit dem Streikaufruf der Arbeiter gegen „Knechtschaft und Tyrannei“ in einer Fabrik von 1848 -, so wird der Konflikt zwischen dem guten Herrn und den Knechten schon schnell – und rein rhetorisch, also „auf milden Wegen“ - befriedet.

Fürs anarchistische Element sorgt eine marodierende Herde von Freischärlern, die zwar als böse Buben eines extremen Kommunismus charakterisiert werden, aber dank des loyalen Fabrikarbeiters Kilian unfreiwilliger Mithilfe propagandistisch angefeuert werden: „Freiheit, Recht und Vaterland“ sollen, folgt man dem heiteren Lied, mit Gewalt durchgesetzt werden. Die Stelle bleibt zweideutig, weil die mitreißende Propaganda aus dem Mund eines ängstlichen Gegenrevolutionärs tönt – und am Ende siegen die braven Bürger über die roten Rotten, um ihr Liedlein von Freiheit und Einheit marschmäßig ins Publikum zu posaunen.

Wenn die selben Bürger schließlich – nachdem sie die Strohpuppen der königlichen Minister an schwarzrotgoldenen Bändern symbolisch aufgehängt haben – zum letzten Mal die Freiheit besingen, klingt's bedrohlicher in den Raum. Nun wird der Ruf nach königstreuer Einigkeit zum imperialistischen Kampfruf; kein Wunder, dass die nach dem Bilde der Frankfurter Nationalversammlungs-Germania geformte Göttin, die im beeindruckenden Finale auf die Bühne geschoben wird, plötzlich schwarze Tränen der Trauer weint und zu brennen beginnt. Wir wissen ja, wie es nach der Niederschlagung der Revolution, über die Reichsgründung zum ersten und zum zweiten Weltkrieg, mit der deutschen Geschichte weiterging: nicht sonderlich demokratisch. Dafür stand schon das erste Bild des Abends ein: in dem Moment, in dem Lortzings Ouvertüre mitten im Takt abbricht, wird der Frankfurter Parlamentarier Robert Blum, mit dem Lortzing befreundet war, erschossen. Ein Justizmord, der der Komposition quasi eingeschrieben ist. Regina ist daher, hieß es 2013 anlässlich von Hansgünter Heymes Ludwigshafener Inszenierung, „keine Revolutionsoper, sondern weist den Weg zur Neugestaltung Deutschlands nach dem so erhofften Sieg über den Feudalismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts“.

Der Regisseur Lars Wernecke muss den Text nicht umschreiben, um die Aktualität des Friedensaufrufs und eines Beharrens auf Einigkeit in Frieden und Freiheit für die Gegenwart herauszuarbeiten; das einfache Wenden zur Rampe bringt Lortzing, mit all seinen Brüchen, ins Heute. Die Regie - nicht experimentell, sondern vorsichtig zur Sache gehend - erortet, dank des realistischen wie mehrseitig offenen Bühnenbilds von Dirk Immich, das Werk dort, wo es entstand: im Jahre 1848. Schön ist die Idee, jeweils zwei Tänzerinnen und einen Tänzer die dreifarbigen Galgen-Bänder umschlingen zu lassen; gut der Einfall, die Empörung gegen den Krieg, die Kilians Mutter coram publico äußert, aus der Zeitungslektüre aufsteigen zu lassen, und noch schöner der Turm, in dem sich der unglückliche Aufrührer Stephan mit seinem Opfer, der geraubten Regina, verschanzt. Im Übrigen hat Lortzing diesen vom politischen Glauben abgefallenen Dritten im fatalen Liebesbund psychologisch zu erklären versucht. Nein, er wurde nicht böse geboren, das Leben hat ihn böse gemacht: ein Zerrissener, der nicht so kann wie er will, und der nicht so darf, wie er möchte. Dass Lortzings Oper erst spät auf die Bühne kam, liegt sicher auch am Skandal des letzten Akts: 1848 gab es zwar schon sog. Flintenweiber, aber dass eine Frau einen Mann – wenn auch in äußerster Notwehr – auf der Bühne über den Haufen schießt, muss als starker Tobak empfunden worden sein. Auch in dieser Hinsicht hat die Bearbeitung Wilhelm Neffs, die in der DDR erschien, den Skandal entschärft: hier waren es die Befreier, die den Räuber aus Leidenschaft im Gefecht erledigten.

Der Werkmeister Stephan ist in dieser Inszenierung Matthias Vieweg, der mit seinem leichtgeführten, hellen Bariton die verzweifelte Lyrik dieses Zerrissenen gut ausspielt. Sehr gut kommt schon seine ausgedehnte Selbstvorstellungs-Arie: das autobiographische Porträt eines zur Hölle Verdammten, der doch so gerne Engel geblieben wäre.

Daniel Szeili macht den „Geschäftsführer“ Richard, den Verlobten der Regina, der insgesamt über einen schönen Tenor verfügt, der nur ganz oben zum Lagrimoso neigt. Darüber sollte man man nicht beckmessern sollte, denn es macht einfach Freude, die wohlgeformte, im besten Sinne männliche Stimme Szeilis zu hören. Ernst Garstenauer spielt den Fabrikbesitzer Simon wie ein zweiter Sarastro; in seiner Auftrittsarie – auch er ist, wie der Sonnenpriester, gerade von einer längeren Reise zurückgekehrt – glänzt er durch Schönklang – und Koloraturen. Apropos Mozart: man hört, dass Lortzing Mozart liebte, dass er mit Heinrich Marschner, aber auch mit der aktuellen Wiener Walzermode vertraut war. Seine Musik präsentiert sich als Mischung aus echtem Lortzing und zeitgenössisch Dramatischem: nicht zum Nachteil einer spannungsreichen Oper, die nicht sowohl aufklären als auch unterhalten soll. Den Rest machen die kurzweilige, von der Meininger Hofkapelle unter Lancelot Fuhry temperamentvoll gespielte Musik, der ganz ausgezeichnete Chor des Südthüringischen Staatstheaters (Regina ist eine große Choroper!).

Und schliesslich, vor allem – last not least! - die Titeldarstellerin, die wunderbare Anne Ellersiek. Als indisponiert angekündigt, entzückte sie nicht allein den Rezensenten durch ihren vornehmen Ton, der für emotionale Anteilnahme genug Raum ließ: die Fabriktochter als glücklich Liebende und unglücklich Entführte. Herausragend: ihre Preghiera (das operntypische Gebet) und das Quartett, in dem die von den Freischärlern Eingeschlossenen ihrer Hoffnung Ausdruck geben, heil zu entkommen.

Auch und gerade Anne Ellersiek lohnt die Reise nach Meiningen, wo ein zugleich politisches und unpolitisches Hauptwerk Albert Lortzings auf gediegene Weise wiederauferstand.

Frank Piontek, 19.3. 2016

Fotos (c) ed Meiningen

 

 

Abschied für einen großen

DON PASQUALE

am 21.06.2015      

Premiere am 24.04.2015

Etwas grelle, aber musikalisch tolle Aufführung aus einem Guss

Wieder einmal fuhr ich mit 50 Freunden nach Meiningen, wieder einmal haben wir es nicht bereut, wieder einmal waren alle zufrieden. Dass Schöne an Meiningen ist, dass man hier praktisch nie einen Ausfall erlebt, sondern immer hochinteressante, manchmal diskussionswürdige aber immer musikalisch bestechende Aufführungen. Regie führt Knut Weber, er ist der Intendant des Theaters Ingolstadt und es ist hier in Meiningen als Gastregisseur seine erste Operninszenierung. Dafür ist sie recht gut gelungen. Weber überzeichnet seine Geschichte manchmal etwas, sein Don Pasquale ist kein zittriger Greis, sondern ein vitaler älterer Mann mit viel zu viel Geld und viel zu viel falschen Freunden. Dr. Malatesta hat geradezu teuflische Züge an sich, alles verstärkt durch die bunten knalligen Kostüme von Christian Rinke. Alles ist bunt, leicht übertrieben, aber insgesamt recht stimmig. Der Regieeinstand von Knut Weber kann bedenkenlos als gut gelungen bezeichnet werden.

Das Publikum lässt sich von der Komödie einfangen, geht gut mit und ist in jedem Falle sehr amüsiert. Man hat an dieser Aufführung Spaß – und das ist doch schon die halbe Miete. Die andere Hälfte sind die Sänger, doch dazu gleich mehr. Die Geschichte des alternden, nach Liebe schmachtenden, Don Pasquale ist schnell erzählt. Der diabolische Dr. Malatesta zieht alle Fäden und spielt dem gut- und leichtgläubigen Don Pasquale, mit dem man fast Mitleid bekommen kann vor, dass seine Schwester, die diese natürlich gar nicht ist, ihn heiraten möchte. Er gaukelt ihm vor, dass sie tugendsam, sparsam, glaubensstark und überaus fleißig die richtige Entscheidung für seinen Lebensabend ist. Nach der fingierten Hochzeit entpuppt sich Norina als Teufelchen in Menschengestalt. Sie schmeißt das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster, führt Don Pasquale an der Nase herum und lässt ihn schier verzweifeln. Nein, einen solchen Weibsteufel habe er nicht haben wollen. Um sie nur so schnell wie möglich loszuwerden, gibt er sie seinem Neffen Ernesto, der alles mit eingefädelt hat und dessen große Liebe Norina ist. Am Schluss gibt es ein glückliches Liebespaar, wobei in dieser Inszenierung offen bleibt, ob Norina nicht auch Dr. Maletesto recht gerne sieht, um es vornehm auszudrücken. Don Pasquale erkennt, dass der Abend des Lebens auch alleine schön sein kann und dass die große Liebe, vor allem wenn sie so kratzbürstig ist wie Norina, nicht in sein doch etwas spießbürgerliches Leben hineinpasst. Er ist glücklich wieder alleine zu sein.

Die Meininger Hofkapelle wird von Arturo Alvarado geleitet, und dies ausgesprochen gut. Er versprüht entsprechendes Feuer, lässt das Orchester aufblühen, zuweilen auch energisch auftrumpfen, bei den Gesangsolisten aber wohltuend zurücknehmen, so dass diese nicht gegen die Wogen des Orchesters ankämpfen müssen. Es ist die letzte Station, denn nach der Spielzeit verlässt der Dirigent nach nur 1 ½ Jahren Meiningen. Der Chor des Meininger Theaters, ist von Sierd Quarré gut einstudiert, stets präsent und wartet insgesamt gesehen mit einer abgerundeten ausgezeichneten Leistung auf.

Der Don Pasquale wird von Stephanos Tsirakoglou gegeben und auch er verlässt nach drei Jahren am hiesigen Theater nach dieser Spielzeit Meiningen, um in die USA zu gehen. Er hat einen sehr beweglichen, noblen kräftigen runden Bass, der in allen Facetten seiner Rolle vollauf überzeugen kann. Darstellerisch bietet er eine herrlich komödiantische Leistung, man merkt ihm richtig an, dass er an dieser Rolle seinen Spaß hat und diese reine Spielfreude springt auch auf das Publikum über. Vom Publikum wird er am Ende mit frenetischem Beifall gewürdigt und aus Meiningen verabschiedet. Geani Brad verkörpert den listigen verschlagenen und gewitzten Dr. Malatesta. Und auch er weiß voll zu überzeigen. Stimmlich mit rundem angenehmen und weichem Bariton, spielerisch mit diabolischen Zügen, was auch die Maske verstärkt, bietet er eine vollkommen überzeugende Leistung und auch er wird mit stürmischem Beifall bedacht. Als Norina kann Monika Reinhard nicht nur voll überzeugen, sondern zu begeistern.

Ich gebe gerne zu, dass ich enttäuscht war, dass an diesem Tag Elif Aytekin nicht sang, sondern die junge, erst seit dieser Spielzeit in Meiningen befindliche Sopranistin. Mit zartem und dennoch durchschlagkräftigem Sopran, weich und vollmundig, mit glockenhellen Höhen und begeistert gefeierten Koloraturen weiß sie sofort für sich einzunehmen. Dazu kommt ein lockeres, attraktives Spiel, welches alle Zuschauer sofort für sie einnimmt. Mit Sicherheit hat diese junge Sopranistin noch eine große Zukunft vor sich. Und ich habe wieder einmal gelernt, dass man nicht so voreingenommen sein soll. Tosender Applaus und Bravorufe nach dieser exzellenten Leistung. Als Ihr Geliebter Ernesto kann man Xu Chang  erleben. Bei ihm sitzt jeder Ton, seine bombige Höhe ist schier unendlich und er kann die höchsten Tonberge mühelos erklimmen. In seiner Darstellung ist er leider – wie fast immer – ein bisschen steif und zurückhaltend. Doch dies wird von seinem Bombentenor mehr als ausgeglichen. Mikko Järviluoto als Notar ergänzt die Sängerriege vorzüglich und er macht aus seiner relativ kleinen Rolle das Beste. Langanhaltender fast nicht enden wollender Applaus für einen erneut musikalischen Höhepunkt in Meiningen. Schon heute freue ich mich auf die „Lucia di Lammermoor“, welche ich mir als nächstes in Meiningen anhören werde. Froh gestimmt verlassen die Besucher die Oper, fröhliche Blicke überall, gute Laune und Spaß – und was will man mehr von einem Opernabend der komödiantischen Art erwarten.

Manfred Drescher, 27.06.2015  

Fotos Theater Meiningen

 

 

Humor und Tragik liegen eng beieinander

GIANNI SCHICCHI - BAJAZZO

Wiederaufnahme am  05. Oktober 2014               (Premiere 20. Juni 2014)

Eine etwas ungewöhnliche Mischung und ein Stimmenfest bewegen Meiningen

Ja, in Meiningen ist immer nicht alles so wie in anderen Opernhäusern. Wo normalerweise der „Bajazzo“ zusammen mit „Cavalleria Rusticana“ gegeben wird, oder in Zusammenhang mit „Der Mantel“ wie dieses Jahr in Gut Immling, macht Meiningen wieder einmal etwas, was man eigentlich nicht erwartet. Nicht zwei dramatische und tragische Opern mit tödlichem Ausgang werden hier zusammen gegeben, nein in Meiningen beginnt man mit der humorvollen schlanken Aufführung von Puccinis „Gianni Schicchi“ um nach dem heiteren ersten Teil nach der Pause in die schauerliche Mär des „Bajazzo“ einzutauchen. War ich anfangs auch sehr skeptisch, wurde ich auch hier wieder einmal eines Besseren belehrt. Das Haus zeigt die beiden Stücke und verweist dabei darauf, dass beide mit einer direkten Ansprache beginnen, sich beide auf die commedia dell´arte beziehen und dass beide das Spiel im Spiel beinhalten. Und dieser Balanceakt von fröhlichem Auftakt und tragischem Weitergang nach der Pause ist problemlos und wird vom Publikum begeistert aufgenommen.

Begonnen wird mit „Gianni Schicchi“, dessen Inhalt eigentlich schnell wiedergegeben ist. Der reiche Buoso Donati ist im Kreis seiner Verwandtschaft verstorben, man findet nach langem Suchen sein Testament, wie befürchtet hat er alles der Kirche vermacht. Der Neffe Rinuccio, der die Tochter Gianni Schicchi´s heiraten will, überzeugt die Familie eben diesen Gianni Schicchi um Rat zu fragen, denn dieser ist für seinen Einfallsreichtum, aber auch für seine Eskapaden bekannt. Er schlägt der Familie vor, sich selbst als Buoso Donati auszugeben, da außer der Familie noch niemand etwas von dessen Ableben weiß und dann mit einem Notar die letzten Worte aufzusetzen – und der Familie das Erbe zu sichern. Der Plan gelingt, der mit verstellter Stimme sprechende Gianni Schicchi diktiert Buosos letzten Willen. Dabei bedenkt er die Kirche nur ganz minimal und die Familie zu gleichen Teilen sehr großzügig. Die sogenannten Sahnestückchen aber vermacht er dem treu ergebenen Gianni Schicchi, also sich selbst. Die Familie muss dieser Schlitzohrigkeit tatenlos zusehen, selbst als der vermeintliche Buosos den Notar und die Zeugen von der Familie bezahlen lässt. Nachdem der Notar gegangen ist, lässt Gianni Schicchi die empörte Verwandtschaft aus seinem Haus jagen und einer Vermählung von Rinuccio mit seiner Tochter Lauretta steht nichts mehr im Weg.

Ernö Weil, der die Regie führt, hat diese kleine köstliche Gaunerei mit leichter und sicherer Hand inszeniert. Alles passt zusammen, alles stimmt und alles ergibt ein geschlossenes Bild. Die Kostüme von Annette Mey passen sich vorbildlich dieser gradlinigen und überzeugenden Regie an, alles ein bisschen düster, dem eigentlich traurigen Anlass, dem Ableben des Buoso angemessen. Das Publikum jedenfalls amüsiert sich köstlich – und das ist in unserer heutigen Zeit schon sehr viel. Arturo Alvarado ist an diesem Nachmittag bestens aufgelegt, genauso wie die Meininger Hofkapelle. Kraftvoll zupackend und sich gleichzeitig sängerdienlich zurückzunehmen, so leitet er seine Musiker in den beiden Einaktern, die er gekonnt mit dem Orchester aufblühen lässt. Er hat sowohl für die heitere Note bei „Gianni Schicchi“ als auch für die mehr sentimentale in „Bajazzo“ musikalisch immer die richtige Antwort.

Ja und über die Sänger des südthüringischen Staatstheaters in Meiningen noch viel Worte zu verlieren, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Auch bei dieser Vorstellung wieder ein Einsatz bis zum Letzten und eine bis in die letzte Nebenrolle stimmige Besetzung. Das fängt an mit Stephanos Tsirakoglou als Gianni Schicchi. Es macht einfach Spaß ihm zuzuhören. Mit durchschlagskräftigem robustem Bass-Bariton, der in der verstellten nachgemachten Stimme des Buosos Donatis für größte Heiterkeit sorgt, weiß der griechisch-amerikanische Sänger vollstens zu überzeugen. Seine Tochter wird dargeboten von der jungen türkischen Sopranistin Elif Aytekin. Mit der bekanntesten Arie der Oper „Väterchen teures höre“ bringt sie die Zuhörer, wie bei ihren bisherigen Auftritten, auf ihre Seite. Zart, mit flirrendem Ton, auch als Person eine liebliche und zarte Erscheinung, wickelt sie das Meininger Publikum wieder einmal um den Finger. Ich freue mich heute schon auf ihren Auftritt in „Don Pasquale“ und hoffe, dass sie noch lange in Meiningen bleibt. Rodrigo Porras Garulo als Neffe Rinuccio weiß mit sicherem, klangschönem und weichem Tenor für sich einzunehmen. Der junge Sänger aus Mexico City wächst mit seinen Rollen und hat sich in Meiningen aus meiner Sicht bereits erheblich gesteigert. Heute bietet er wieder eine mehr als rollendeckende Besetzung. Ute Dähne als Zita, Sonja Freitag als Nella und Ernst Garstenauer als Simone vervollständigen das ausgezeichnete Ensemble, in welchem niemand abfällt und in dem selbst die kleinste Nebenpartie rollendeckend besetzt ist.

Nach der Pause, immer noch vom vorhergegangenen fröhlich eingestimmt, beginnt der „Bajazzo“. Die Geschichte, die übrigens von Leoncavallo einer tatsächlichen Begebenheit nacherzählt sein soll, ist ebenfalls rasch erzählt. In einer kleinen Schauspielertruppe, die von Dorf zu Dorf zieht, ist der Leiter der Truppe Canio fürchterlich eifersüchtig auf seine Frau Nedda. Diese hat auch eine Liebschaft mit dem Bauern Silvio. Ein Mitglied der Truppe Tonio, versucht sich Nedda zu nähern und wird von ihr barsch zurückgewiesen. In rasender Wut schürt dieser die Eifersucht in Canio und bei einem Theaterspiel am Abend im Dorf vermischen Realität und Fiktion. Rasend vor Eifersucht tötet Canio schließlich Nedda und ihren herbeigeeilten Geliebten Silvio. Der Satz „La commedia é finita“ – „Das Schauspiel ist zu Ende“ beendet das eindrucksvolle Treiben auf der Bühne.

Regie hat hier Ansgar Haag. Er versetzt das Spiel in unserer Zeit und versucht dadurch das Spiel im Spiel um ein weiteres Spiel zu erweitern. Das Publikum hat einige Mühe dem so zu folgen, das Ganze wirkt etwas ungeschickt und nicht ganz ausgegoren. Das Bühnenbild von Helge Ullmann ist sehr spartanisch, teilweise stehen ein paar Stühle verloren auf der Bühne herum, die Kostüme von Annette Mey passen sich dem an, alles ist mehr oder weniger in dunklen Stoff gekleidet. Auf die näheren Einzelheiten zur Inszenierung möchte ich nicht weiter eingehen, denn hauptsächlich stehen die Musik und deren Interpreten im Vordergrund und da gibt es kaum einen Grund zur Klage.

Zur Leistung von Arturo Alvarado und der Meininger Hofkapelle habe ich bereits etliches ausgeführt, auch im „Bajazzo“ wissen sie voll zu überzeugen und mit feinem ausgewogenem Klang die Sänger bestens zu unterstützen. Auch der von

Sierd Quarré einstudierte Chor weiß in allen Belangen zu überzeugen, fein abgestimmt, gut balanciert weiß er zu gefallen.

Mit dem „Prolog“ tritt zu Beginn des „Bajazzo“ Dae-Hee Shin auf die Bühne und er eröffnet die Oper grandios. Der aus Südkorea stammende Bariton weiß mit fulminantem, ausdrucksicherem und durchschlagskräftigem Bariton vollkommen zu überzeugen. Weich und warm timbriert eröffnet er das Stück glanzvoll. Ebenso verkörpert er den verschlagenen und gerissenen Tonio, der Canio im Prinzip in den Mord an seiner Frau und dessen Geliebten treibt. Ein überzeugender Auftritt. Den vor rasender Eifersucht fast den Verstand verlierenden Schaustellerchef Canio, den Bajazzo gibt der in China geborene Xu Chang. Ich habe schon viel über ihn geschrieben und auch heute kann ich nur voll des Lobes sein. Er besticht mit seinem höhensicheren, klangvollen, hohen, hellen, manchmal fast schneidenden Tenor und kostet jeden höchsten Ton weidlich aus. Der Beifall des begeisterten Publikums ist ihm auch heute wieder gewiss. Als seine Frau Nedda kann Sonja Freitag überzeugen. Die aus Garmisch-Partenkirchen stammende Sopranistin setzt ihren hohen, beweglichen Sopran effektvoll ein und kann alle Facetten ihres Wesens präsentieren. Ihr Liebhaber Silvio wird auf der Bühne von Marián Krejcik dargestellt, gesanglich aber in der Loge von Uwe Schenker-Primus verkörpert. Er musste ganz kurzfristig aus Weimar einspringen, Marián Krejcik war gesanglich indisponiert, Schenker-Primus hatte kaum Zeit zum Einsingen und bot eine exzellente Leistung. Sein voller, tiefer, kräftiger, den Raum mühelos füllender Bariton verleiht der Figur eine entsprechende Tiefe, auch wenn natürlich bei den Duetten die körperliche Trennung etwas problematisch ist. Jedenfalls ganz großer verdienter Applaus für dieses hervorragend gelungene Einspringen. Ebenfalls kurzfristig eingesprungen ist David Ameln aus Dessau als Beppe und er verkörpert ihn ebenfalls rollendeckend. Beiden ein ganz großes Dankeschön, denn ohne sie hätte es große Probleme mit der Durchführung der Aufführung gegeben. Sang-Seon Won und Gerhard Goebel, vervollständigen als Bauern ebenfalls rollendeckend das gut aufgelegte Ensemble. Großer, langanhaltender Applaus für alle Beteiligten.

Manfred Drescher, 21.10.2014                           Fotos alle = Foto ed Meiningen

 

 

RIGOLETTO

Besuchte Vorstellung  29.06.2014       (Premiere 18.10.13)

Ein Stimmenfest vom Feinsten begeistert die Besucher

Vor einigen Monaten, am 21.12.2013, war ich in der Meininger Aufführung des „Rigoletto“ im Theater Fürth. Der ausführliche Bericht ist unter www.deropernfreund.de/fuerth nachzulesen. Bis auf die Inszenierung, von Ansgar Haag, über die ich damals den Mantel des Schweigens gebreitet habe, war die Aufführung insgesamt über dem normalen Durchschnitt gelegen. Als Rigoletto war im Dezember Dae-Hee Shin zu erleben, der auch diesmal die Partie des Rigoletto sang und gestaltete. Gaseul Son war damals als Gilda eingesprungen und hatte ihre Sache ausgezeichnet gemacht, ebenso wie der jugendliche Rodrigo Porras Garulo, der einen exzellenten Herzog verkörperte. Jedoch bei der Aufführung vom 29.06.2014 stürmte auf mich und meine Freunde ein Stimmenfest ein, welches seinesgleichen sucht.

Über die Inszenierung, das Bühnenbild habe ich mich in der Beurteilung der Aufführung in Fürth schon ausführlich geäußert und brauche nicht noch einmal darauf einzugehen. 

Generalmusikdirektor Philippe Bach hat, wie schon so oft, wieder einen ausgezeichneten Tag erwischt und er lockt alles aus der zündenden Musik von Giuseppe Verdi heraus. Das Orchester ist blendend aufgelegt, donnert, wo es erforderlich ist, nimmt sich aber bei den Gesangspassagen wohltuend zurück und deckt die Sänger nicht zu. Philippe Bach leitet das ausgezeichnete Orchester mit straffer, aber gleichzeitig einfühlsamer Hand. Wieder einmal in Meiningen eine hervorragende Leistung des Orchesters und seines Dirigenten. 

Doch nun zu den drei Ausnahmesängern, die auch diese Vorstellung von „Rigoletto“ wieder einmal zu einem unvergessenen Erlebnis machen. Man kann auch nicht sagen, wem die Sangeskrone gebührt, man muss sie gleichermaßen auf alle drei Köpfe verteilen. Fangen wir bei dem titelgebenden Sänger an. Dae-Hee Shin zelebriert den innerlich zerrissenen Rigoletto. Mit ausdrucksstarkem, durchschlagskräftigen, aber auch zu zarten Ausbrüchen fähigen Bariton verkörpert er die Figur des spöttischen Vasallen des Herzogs, der dann, als er merkt, dass er betrogen wird zum verzweifelten, aber auch gnadenlosen Rächer wird, dem die Liebe zu seiner Tochter Gilda über alles geht und der in Schmerz versinkt, als sein geliebtes Kind schließlich leblos vor ihm liegt. Eine grandiose Leistung, die in allen Belangen, sowohl im gesanglichen als auch im schauspielerischen überzeugt und die Zuschauer jeden Moment mitleiden und miterleben lässt. Er ist zu Recht einer der Meininger Säulen, die heutige Vorstellung hat es wieder eindrucksvoll bewiesen. Ihm zur Seite als Gilda Elif Aytekin. Stimmlich und darstellerisch ist sie einer der außergewöhnlichsten Frauen, die ich in den letzten Jahren in Meiningen erleben durfte. Möge das Meininger Theater sie, wie auch die beiden anderen Protagonisten, noch möglichst lange am Theater halten. Sie, die nach der behüteten Phase bei ihrem Vater die wahre Liebe erlebt, so glaubt sie es wenigstens und die dann, auch als sie erkennt, dass sie nur ein Spielzeug des Herzogs war, sich in aufopferungsvoller Liebe zu ihm opfert, sie stellt dies alles nicht nur dar, sondern sie lebt es.

Ich habe selten eine berührendere Gilda erlebt wie in ihrer Verkörperung. Eine prachtvolle, glockenreine Stimme, die rund und warm ist, sich zu den höchsten Koloraturen aufschwingen kann und deren Pianissimo ihresgleichen sucht, sie ist der Star unter den Stars. Ich habe selten ein Publikum erlebt, man dem man fast zu versuchen ist anzunehmen, dass es bei den beseelten Passagen von Elif Aytekin die Luft anhälten um ja jedes Flirren dieses Ausnahmesoprans zu erleben. Sie lebt die Gilda und kostet sie in allen Facetten aus, eine Leistung, die man nur mit einer Gänsehaut verfolgen kann. Und dazu dann ein Herzog, verkörpert von Xu Chang, der über seinen darstellerischen Schatten springt und auch hier einen Herzog der Sonderklasse verkörpert. Über ihn stimmliche Beurteilungen abzugeben, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Er schmettert seine Arien mit einer Kraft, Höhensicherheit und einer Brillanz, die seinesgleichen sucht. Dieser herzogliche Verführer fegt stimmlich über die Bühne, dass man nur staunen kann. Mit Sicherheit gibt es nicht sehr viele Tenöre, die diese Partie so voller stimmlicher Leidenschaft, voller Draufgängertum und vollem vokalem Glanz über die Bühne bringen. Allen dreien gebührt der Stern des Opernfreundes, nicht nur für diesen herausragenden „Rigoletto“ sondern auch schon für das grandiose „Il Puritani“. Bei den weiteren Rollen gab es keinerlei Ausfall, besonders hervorzuheben ist Carolina Krogius, die als Schwester des ruchlosen Halsabschneiders Sparafucile, den Mikko Järviluoto mit wohltönender Bassorgel gab, und die mit einer angenehmen dunkelgefärbten flirrenden Altstimme, die gut zu ihrer verführerischen Gestalt und Auftreten passte, auftrumpfte.

Stephanos Tsirakoglou als Monterone, Steffen Köllner als Ceprano, Camila Ribero-Souza als seine Frau, Marian Krejcik als Marullo, Stan Meus als Borsa, Ute Dähne als Giovanna und Dimitar Sterev als Gerichtsdiener ergänzten eindrucksvoll das exzellente Ensemble und machten für mich diesen „Rigoletto“ zu einer weiteren Sternstunde in Meiningen.  

Ich hatte in meiner Rezension vom Dezember letzten Jahres geschrieben, dass ich trotz der hervorragenden Vorstellung gespannt bin auf den Juni, wenn ich in Meiningen die Alternativbesetzung erleben werde. Und obwohl mich der „Rigoletto“ im wunderschönen Fürther Theater überzeugen konnte, wurde es hier in Meiningen durch die drei Hauptakteure (die mich ja schon in „Il Puritani“ fast sprachlos machten) zu einem grandiosen Stimmenfest der allerersten Güte. Im Oktober werde ich alle drei wieder in „Der Bajazzo/Gianni Schicchi“ in Meiningen erleben, ich freue mich heute schon auf diese Vorstellung.

Manfred Drescher, 19.7.14                                       Bild: Eigenaufnahme

 


 

Die traurige Operette und ein fröhliches Publikum in Meiningen

DER ZAREWITSCH

Aufführung 16.02.2014                  (Premiere 24.01.14)

Eine Aufführung, die zu Recht viel Beifall hervorrief

Wieder einmal fuhr ich mit vielen Freunden mit gemischten Gefühlen nach Meiningen. Mit gemischten Gefühlen, weil ich vor der Abfahrt die Premierenkritik der Aufführung gelesen hatte und die verdammte fast alles in Grund und Boden und lies vor allem kein gutes Haar an den Sängern. Ja und da sieht man, dass die Geschmäcker doch sehr unterschiedlich sein können – übrigens waren die 50 mitfahrenden Freunde alle von der Aufführung begeistert gewesen, es gab Keinen, der große Kritikpunkte anbringen konnte. Also entweder hatte mein Kritikerkollege einen rabenschwarzen Tag, oder aber er mag die Hauptdarsteller bzw. die Sänger der Aufführung des Meininger Hauses nicht und verteufelt sie deshalb in Grund und Boden. Ich jedenfalls war froh, dass wir – wie so oft – beschwingt aus Meiningen nach Hause fahren konnten, nicht ohne bei einem gepflegten Abendessen die Aufführung noch einmal Revue passieren zu lassen.

Der „Zarewitsch“ gehört zu einer der seltenen Exemplare seiner Gattung, bei der am Ende nicht alles in Wohlgefallen aufgeht und man walzerbeseligt sich in die jeweiligen Arme fällt. Nein, der Schluss ist traurig, das Liebespaar bekommt sich nicht, der Zarewitsch muss seiner großen einzigen und ersten Liebe entsagen, die Staatsräson und die Übernahme der Kaiserkrone verlangt es von ihm. Die Handlung ist schnell erzählt. Der schüchterne, zurückhaltende scheue Zarewitsch Alexej fürchtet sich vor dem Zauber der Frauen und ergibt sich deshalb in eine erotische Zurückhaltung, die keinerlei weiblichen Kontakt zulässt. Da aber eine hochrangige Hochzeit geplant ist und man ein unbescholtenes Bübchen nicht in eine zum Scheitern verurteilte Ehe laufen lassen möchte, führt der Großfürst die als Mann verkleidete Tänzerin Sonja dem Zarewitsch zu, um ihn in die Freuden der Liebe einzuführen. Der Zarewitsch erkennt das Komplott und will Sonja vom Hof jagen lassen. Die kluge Sonja jedoch kann ihm erklären, dass er seine Ruhe von den höfischen Intriganten hat, wenn diese glauben, dass er mit ihr, einer Frau, zusammen ist. Es kommt, wie es kommen muss, der Zarewitsch verliebt sich in Sonja und will ihr zuliebe seine Anwartschaft auf den Thron aufgeben, nur um ihr nah zu sein. Als er fast nicht mehr anders kann, flieht er mit Sonja nach Italien und genießt mit ihr, aber auch mit seinem Leibdiener Iwan und dessen Frau Mascha Freuden der Liebe, die für ihn – und davon ist er überzeugt – nie enden sollen. Natürlich werden sie in Italien aufgespürt und eben zu diesem Zeitpunkt stirbt der Zar, der Vater Alexejs. Sonja, die den Zarewitsch von ganzem Herzen liebt, erkennt, dass sie auf ihn verzichten muss, da das Volk einen Zaren verlangt, der ganz für sein Vaterland aufgeht. Alexej verzichtet der Staatsräson Willen auf seine große Liebe und Sonja bleibt allein zurück. Um diese doch eher recht banale Geschichte hat Franz Lehár eine Fülle wundervoller Melodien geschrieben, man schwelgt und leidet gleichzeitig mit. Und natürlich hat meine Frau die Aufführung wieder mit Tränen in den Augen verlassen – ja die unerfüllte Liebe ist etwas fürchterlich Trauriges.

Der Regisseur Lars Wernecke hat dies alles entsprechend umgesetzt, er macht keine Experimente, er versucht sich nicht selbst zu verwirklichen, er gibt eine grundsolide Darstellung der tragischen Operette wieder. Die Zerrissenheit der Personen wird angerissen, ein ins Detail gehende Herausarbeiten widerspricht dem Zauber der Operette selbst, da sie von der Komposition immer Operette geblieben und nicht zum Drama abgestiegen ist – dies würde auch den wunderschönen Melodien nicht entsprechen. Aus diesem Grund gefällt mir die zurückhaltende Art der Regie und auch die Bühne und vor allem auch die wunderschönen farbenprächtigen Kostüme von Christian Rinke können überzeugen. Dies alles schmeichelt dem Auge – und das ist doch schon sehr viel, was man von einer Operette erwarten kann. Der Chor ist exzellent einstudiert durch Sierd Quarré und es wird auf der Bühne der Charme der frühen Jahre erkennbar. Die Meininger Hofkapelle ist Gott sei Dank – wie so oft - gut aufgelegt und wird mit kraftvoller, aber auch zu zarten lyrischen Passagen fähiger Hand von Sierd Quarré geleitet, der ja auch für die Choreinstudierung zuständig ist. Er überdeckt seine Sänger nicht mit Klangwogen, sondern lässt ihnen den notwendigen Freiraum zur Entfaltung und zum Erblühen der Lehárschen Melodien.

Und nun zu den Sängern dieser Aufführung. Stan Meus als Iwan, der quirlige Kammerdiener des Zarewitsch, gibt eine gute Buffovorstellung, sein durchschlagkräftiger heller und sicherer Tenor kann überzeugen, auch im Spiel gibt es keinen Ausfall. Dies kann man leider von Ute Dähne als seiner Frau Mascha nicht behaupten. Zu klein und schwach ist ihre Stimme, sie ist für mich kaum verständlich und auch vom Spielerischen her ist sie der Rolle der Mascha doch schon um einige Jahre entwachsen. Schade, denn das wertet die Duette mit ihrem Iwan auch ein bisschen ab. Reinhold Bock und Ulrich Kunze geben eine solide schauspielerische Vorstellung als Großfürst und Ministerpräsident. Kati Rücker als Gräfin und Julia Grunwald als Olga fallen nicht sehr groß auf und damit aber auch nicht ab.

Und nun zu den beiden Hauptpartien, die mich alle beide überzeugen konnten und die viel zum Erfolg der Aufführung beigetragen haben. Zum Einen ist es Rodrigo Porras Garulo als Zarewitsch, als Alexej. Der in Mexico City geborene Sänger überzeugt durch seine weiche, markante Stimme, die er in hohen Lagen auch strahlend, mit baritonalem Hintergrund, einsetzen kann. Er hat mich in der Rolle voll und ganz überzeugt, ebenso wie sein Herzog in Rigoletto, den ich vor kurzem hören konnte. Natürlich ist er kein Richard Tauber, aber wer ist das – und es ist außerdem widersinnig einen heutigen modernen Sänger zu vergleichen mit einer Sängerpersönlichkeit, von der ich mir nicht sicher bin, ober er in er heutigen Zeit die großen Erfolge wie früher feiern könnte. Mir gefällt die Art und die Weise, wie Rodrigo Porras Garulo sich in eine Rolle hineinversetzt und versucht das Beste zu geben. Das ist ihm auch im „Zarewitsch“ wieder gelungen. Sonja Freitag ist seine Sonja und auch sie erblüht etwas zurückhaltend, aber auf jeden Fall rollendeckend. Ihr beweglicher Sopran, der in den Höhen durchaus zu leuchten im Stande ist, kann in der Rolle der Sonja durchaus bestehen. Sowohl in den Soli als auch vor allen in den Duetten ergänzen sich beide ausgezeichnet und man leidet mit ihnen mit (vor allem meine Frau), wenn sie am Ende in unerfüllter Liebe auseinandergehen müssen.

Die Fahrt nach Meiningen hat sich für mich und meine Freunde wieder gelohnt und wir freuen uns heute bereits auf den Juni, in welchem ich mir den Meininger „Rigoletto“ zum zweiten Mal ansehen darf. Und natürlich werde ich wieder von meinen Eindrücken berichten. Ich kann jeden, dem sich die Gelegenheit bietet, nur auffordern, einmal nach Meiningen zu fahren und dort zu erleben, wie gespieltes Musiktheater sein kann.

Manfred Drescher, 03.03.2014                              Fotos ed Meiningen

 

 

 

RIGOLETTO

Premiere in Meiningen am 18.10.13

Diese Produktion hat der Opernfreund zu einem Gastspiel am  ans Theater Fürth begleitet. Die Aufführung vom 21.12.13 am Theater Fürth hat unser Redakteur Manfred Drescher besprochen.

 

 

 

Ein Galafest der Stimmen und „Standing Ovations“ in Meiningen

I PURITANI

Aufführung 27.10.2013                 (Wiederaufnahme 15.09.13)

Eine Aufführung, die man so schnell nicht vergisst

Mit fast 60 Freunden fuhr ich nach Meiningen, um mir „Der Puritaner“ von Vincenzo Bellini anzusehen und anzuhören. Und ich habe viel Überzeugungsarbeit gebraucht, dass all meine Freunde mitfuhren, denn Bellini und die Puritaner, was ist denn das? Kaum einer kannte die Oper, ganz wenige versprachen sich viel von der Aufführung und kaum einer wird sie je vergessen, nach einer denkwürdigen Aufführung in Meiningen. Und mit Aussprüchen wie „denkwürdig“ bin ich eigentlich recht vorsichtig, zu viele Aufführungen habe ich in meinem Leben schon erleben dürfen. Und wie schon so oft, fährt man auch wieder mit gemischten Gefühlen aus Meiningen nach Hause, denn zu oft, sind die grandiosen Sänger, die hier fast wie am Fließband verpflichtet werden, nach nur einer oder zwei Spielzeiten an größere Häuser abgewandert – und auch hier wird es wieder so kommen und man kann nur hoffen, dass das Händchen für Stimmen in Meiningen noch lange erhalten bleibt, damit man immer wieder einmal eine solche Sternstunde der Oper erleben darf.

Die Opern von Vincenzo Bellini werden leider nicht so oft aufgeführt, und das liegt nicht daran, dass sie schlecht sind, im Gegenteil, sondern in erster Linie  daran, dass es sehr schwer ist, Sänger zu finden, welche den immens hohen Anforderungen dieser Belcantooper gewachsen sind. Meiningen tat gut daran, gerade diesen Opernschmachtfetzen auf seinen Spielplan zu setzen, denn so begeistert wurde hier schon lange keine Oper mehr gefeiert. Bellini gilt als der Meister des wunderschönen Klanges, der musikalischen Linie, der musikalischen Genüsse und Lüste, des reinen Wohlklanges, des italienischen Belcanto schlechthin und als ein Komponist, der auch die Seele berührt.  

Xu Chang Stephanos Tsirakoglou und Elif Aytekin                   Foto-ed

Die Handlung ist eigentlich schnell erzählt. Die Hochzeit steht im Zentrum und um die junge Elvira Walton kämpfen der puritanische Oberst Sir Richard Forth und Lord Arthur Talbot, der ein Anhänger der Stuarts ist. Dem Glück von Arthur und Elvira stehen die Machtkämpfe zwischen Katholiken und Protestanten entgegen, Waffengewalt regiert und alles droht im Kampf zu versinken. Elvira muss mit ansehen, wie ihr Verlobter Arthur Talbott mit Henriette von Frankreich flieht, einfach um deren Leben zu retten. Sie, die sich verlassen fühlt und Arthur fälschlicherweise als untreu zu sehen glaubt, verfällt zusehends dem Wahnsinn (aus dem sie Gott sei Dank wieder entfliehen kann). Die Flucht scheitert und sowohl die Fürstin als auch ihr Helfer Arthur werden zum Tode verurteilt. Jedoch Oliver Cromwell, der siegreich aus der Schlacht heimkehrt, vollzieht die Wende und es kommt – außergewöhnlich für eine eigentlich tragische Oper – zu einem wunderschön anrührenden Happy End. Diese ganze Handlung jedoch wird durch die wunderschöne Musik Bellinis in den Hintergrund gedrängt. Im Vordergrund steht diese Musik, die herrlichen Melodien und vor allem auch die sehr starken Chorszenen, die sich durch das ganze Werk hindurchziehen und die allein schon für berauschenden Kunstgenuss sorgen. 

Dae-Hee Shin, Elif Aytekin ,Roberto Cassani, Ernst Garstenauer,  Ensemble   Foto-ari 

Der Regisseur Bernd Dieter Müller hat dies alles in ein schlüssiges Konzept gesteckt, er betont durch seine zeitlose Interpretation, durch den Verzicht auf historischen Pomp, die Musik – und die ist stets im Vordergrund und sie weiß dies weidlich auszunutzen. Beeindruckende Chorszenen (einstudiert durch Sierd Quarré) bestimmen die Oper, Sonderapplaus auch für den Chor, der so oft und dominant nur in wenigen Werken gefordert ist und dies mit Bravour erledigt, allein die Chorszenen wären schon einen Besuch der Oper wert. Die Meininger Hofkapelle ist gut aufgelegt und wird mit sicherer, straffer Hand von Leo McFall geleitet. Er lässt den Sängern auch den notwendigen Freiraum und deckt sie nicht mit Orchesterwogen zu. Und nun im Einzelnen zu den Sängern, es gab in der ganzen Besetzung niemand, der abgefallen wäre, oder den man mit der barmherzigen Gnade der Nichterwähnung schützen müsste, nein, alles fügte sich homogen zu einem Ganzen. Stimmgewaltig in der kleineren Partie des Generalgouverneurs der Puritaner war Stephanos Tsirakoglou als Lord Gualtiero Valton. Immer präsent, sein Bruder Sir Giorgio, Oberst a.D. der Puritaner und väterlicher Freund Elviras, der überzeugend und mit schöner, warmer Stimme von Ernst Garstenauer gegeben wurde. Enrichetta di Francia, die Witwe von Charles I. wurde von der Mezzosopranistin Carolina Krogius sowohl gesanglich als auch darstellerisch rollendeckend verkörpert, ebenso wie Roberto Cassani als Sir Bruno Robertson, Offizier der Puritaner. Sie alle trugen dazu bei, dass es stimmlich eine stimmige Inszenierung wurde. 

Elif Aytekin als Elvira, Chor                                    Foto-ari (3)

Ja – und dann waren da die drei Hauptpartien, bei denen man nicht weiß, welcher man die Krone aufsetzen darf, auf ihre Weise haben sie diese alle drei verdient. Die Sopranistin Elif Aytekin verkörperte die liebende, scheinbar Verlassene, dem Wahnsinn verfallende und aus ihm sich wieder lösende Elvira, die Tochter Lord Valtons. Und wie sie diese Figur verkörperte war einzigartig, sowohl von ihrer stimmlichen Verkörperung, als auch ihrer darstellerischen Intensität. Mit einer gewaltigen Stimmkraft, die man diesem zarten Persönchen gar nicht zugetraut hätte, einer brillanten Koloraturtechnik und einem Piani, bei welchem die Töne messerscharf hingehaucht im Raum stehen, in einem Raum, bei dem sich aus dem Publikum dabei kaum einer zu atmen wagt. Eine Ausnahmesängerin und -darstellerin mit Sicherheit, die stimmlich nicht nur voll überzeugt, sondern auch berührt. Ich will keine Vergleiche zu den großen Primadonnen, die diese – teilweise mörderisch schwere Partie – schon gesungen haben ziehen, bin mir aber sicher, dass man von Elif Aytekin in der Zukunft noch viel hören wird. Ihr zur Seite Xu Chang als ihr Verlobter Lord Arthur Talbot. Ich habe ihn schon öfter in Meiningen erlebt, aber noch nie so intensiv und mit einer stimmlichen Gewalt, die fast den Theatersaal sprengte. Noch lange habe ich mich im Bus mit einem mitgefahrenen Orchestermusiker „gestritten“, ob Chang das hochgestrichene E oder F gesungen hat. Wir haben uns dann beide auf das F geeinigt, es war beeindruckend und es gibt mir Sicherheit nicht viele Tenöre, die diese stimmlichen Voraussetzungen mitbringen. Dass Xu Chang ein bisschen die darstellerischen Qualitäten und die Leichtigkeit im Spiel fehlten, war vollkommen unerheblich und eine Kritik daran, die etliche Rezensionskollegen hier angebracht haben, kann man eigentlich nur als beckmesserisch bezeichnen. Ich war jedenfalls von beiden Protagonisten begeistert – und mit mir das fast ausverkaufte Haus, das in endlosen Jubel ausbrach. Und hier ist noch der dritte im Bunde zu erwähnen, der unglaublich sichere, klangschöne mit warmer tragender Stimme singende Dae-Hee Shin, der auch zu den Säulen des Meininger Musiktheaters zählt, als Sir Riccardo Forth, Oberst der Puritaner. Alle drei brachten das anwesende Publikum „zum Kochen“ und am Ende, als nach fast drei Stunden viel zu früh der Vorhang fiel, brachte es den Künstlern stehende Ovationen. Und diese hatten sich alle auch redlich verdient. Ich gebe gerne zu, dass mir sich heute beim Schreiben noch die Gänsehaut aufzieht, wenn ich an dieses musikalische Extraerlebnis zurückdenke. 

Schlussapplaus:  Xu Chang, Elif Aytekin, Dae-Hee Shin          Foto-Eigenaufnahme

Die Fahrt nach Meiningen war ein einmaliges Erlebnis, welches ich so schnell nicht vergessen werde, bereits im Dezember werde ich die drei Hauptprotagonisten wieder in der Oper „Rigoletto“ erleben dürfen und ich freue mich wahnsinnig darauf und hoffe gleichzeitig, dass der Gang zu größeren Opernhäusern noch ein bisschen aufgeschoben werden möge. Selten bin ich von einer Opernaufführung so beeindruckt und aufgewühlt nach Hause gefahren. Ein Edelstein ist in Meiningen zu bewundern, dessen Glanz sich weiter ausbreiten sollte.

Manfred Drescher, 02.11.2013  

 

 

 

 

TANNHÄUSER

Das Meininger Theater führte wieder "Tannhäuser" halbszenisch auf der Wartburg auf. Bericht von der Aufführung am 20.06.13 unter Eisenach.

 

 

 

TRISTAN UND ISOLDE

1. März 2013

Meiningen liegt nicht gerade ums Eck, wenn man aus Wien kommt. Aber die 700 km Anfahrt in den Thüringer Wald war dieser Abend auf jeden Fall wert, denn einen Tristan wie Andreas Schager sieht man heute auf den europäischen Opernbühnen nicht jeden Tag. Bereits im Vorjahr zeigte der Niederösterreicher in Minden mit dieser Rolle, dass er auf dem besten Weg in die vorderste Reihe der Wagner-Interpreten ist. Diesmal hatte ich den Eindruck, dass er dort bereits angekommen ist. Das Südthüringische Staatstheater Meiningen bot ihm auch die ideale Bühne und mit dem Regisseur Gerd Heinz fand er einen alten Theaterhasen vor, der auf plakative Mätzchen verzichtete und mit konsequenter, präziser Personenführung eine „aufregend-altmodische“ Inszenierung auf die Bretter zauberte. Mit Richard Wagners Parsifal konnte der vom Schauspiel kommende 72-jährige (der u.a. das Züricher Schauspielhaus leitete) an diesem Theater bereits 2009 das Publikum begeistern.

Tristan und Isolde hatte Heinz aber in seiner über 50-jährigen Bühnenkarriere noch nie gemacht, das Team für Wagners größtes Liebespaar der Operngeschichte war das gleiche wie 2009: Bühnenbildner Rudolf Rischer und Kostümbildnerin Gera Graf sorgten für Ästhetik und Wohlfühlen, keine Maschinengewehre, keine grauen Anzüge, sondern wunderbare Ausstattungen mit gutem Geschmack.

Für den ersten Akt wurde der Bug eines Schiffes imposant und Titanic-like in die Bühnenmitte gestellt und die Drehbühne intelligent zum Einsatz gebracht. So spielen die intimen Szenen in Isoldes Refugium, geschickt wechselt Heinz die Schauplätze, um schließlich im Finale des ersten Aktes den Chor auf den Außendeck Aufstellung nehmen lässt, um die Ankunft bei König Marke zu zelebrieren.

Isolde (Ursula Füri-Bernhard) ist dabei nicht eine weltentrückte Rächerin, sondern eher die verwöhnte Zicke vom Königshof. Ihre Darstellerin bringt dafür alle Voraussetzungen mit: Eine so behende und quirlige Isolde sieht man eher selten, und da kann es schon einmal passieren, dass die Töne nicht immer dort landen, wo Wagner sie hingesetzt hatte, insgesamt klingt ihr Gesang auch eher italienisch denn wagnerhaft-deutsch. Darüber gingen am Ende auch die Meinungen auseinander, für Furore sorgte die Schweizerin, die in Bern lange unter Vertrag stand und der Kinder wegen bisher auf internationale Engagements weitgehend verzichtete, allemal.

Über den Tristan von Andreas Schager kann man hingegen nur einer Meinung sein, und die kam beim Schlussapplaus auch lautstark aus dem Publikum: Jubel und große Anerkennung. Es ist schon erstaunlich wo dieses schlanke „Bürscherl“ all die Kraft hernimmt, eine der schwersten Partien der Opernliteratur ohne Rücksicht auf Verluste durchzusingen. Dass er alle zwei Tage (auch spätnachts) sein 6-Kilometer-Laufpensum absolviert, ist wohl nur eine unzureichende Erklärung für seinen Erfolg. Ebenso wichtig dürfte für ihn die seit einem Jahr andauernde Arbeit mit der Berliner Gesangslehrerin Heidrun Franz-Vetter sein. Die Stimme springt in jeder Sekunde richtig an und hat ein helles, klares Timbre. Ein fortissimo erschüttert auch die letzten Reihen, die zarten Töne schmelzen nur so dahin, was will man von einem Wagner-Tenor heute mehr. Dass er schon als „der neue Vogt“ gehandelt wird, wird dem sympathischen Sänger nicht gerecht: Er ist bereits DER SCHAGER. (der übrigens den Siegfried auch bestens drauf hat und ihn demnächst in Ludwigshafen singen wird).

Gerd Heinz zeichnet die Rolle Tristans auch in allen Facetten und lässt einen bereits von der ersten Sekunde an die schwierigen Verhältnisse spüren, aus denen er stammt und die erst im letzten Akt erzählt werden. Auch nach dem Liebestrank zweifelt er und steht sekundenlang an der Reling, wohl mit dem Gedanken ins Meer zu springen. Und wie Schager seinen Blick in die Ferne schweifen lässt. bevor er sein „O sink hernieder“ singt, das war großes Kino, das natürlich in einem Haus mit 730 Plätzen besonders effektvoll ankommt.

Apropos Liebestrank: Dass Richard Wagner zu seiner Cosima gesagt hat „sie könnten genauso gut ein Glas Wasser trinken“, setzt die Regie konsequent um. Brangäne versteckt den Todestrank und gießt lediglich Wasser in die Schale. Dass beim Trinken der Blitz in die Liebenden einschlägt bedarf keiner Utensilien. Und eben dieser Blitz ist auch bei den Vorspielen zu den Aufzügen 1 und 3 am Bühnenvorhang zu sehen.

Christina Khosrowi meistert die relativ undankbare Partie der Brangäne mit allergrößter Bravour. Man kann gespannt sein, in welche Richtung es bei ihr weiter gehen wird und auch bei ihr fragt man sich immer wieder, wie eine so gertenschlanke Sängerin (die noch dazu blendend aussieht) diese Power hernimmt dem Orchester stimmlich derart Paroli bieten zu können. Vielleicht wartet da demnächst gar eine Kundry?

Dass die Inszenierung im zweiten Akt einen kleinen Durchhänger hatte lag großteils an den (entbehrlichen) Videoeinspielungen während des großen Liebesduetts, der Sinn dieser „Wasserspiele“ erschloss sich mir jedenfalls nicht und die hektische Optik lenkte von der traumhaften Melodie doch zu sehr ab. Dabei hatte sich der Bühnenparavent mit dem stilisierten Wald vorher bereits zu einer sehr schönen Meeresstimmung geöffnet, naja, zu perfekt sollte der Abend wohl auch nicht ausfallen.

Neben den erwähnten Gastsängern behaupteten sich die hauseigenen Kräfte in den meisten Fällen: Ernst Garstenauer gab einen lautstark akklamierten König Marke, Dae-Hee Shin gab trotz seiner Herkunft einen wortdeutlichen Kurwenal und besonders angetan hatte es mir Rodrigo Porras Garulo, der sowohl den jungen Seemann als auch den Hirten mit lyrischem Tenor wunderschön intonierte. Nicht ganz so gut gefallen konnte der bewährte Stan Meus als Melot und Lars Kretzer als Steuermann.

GMD Philippe Bach brauchte mit der Meininger Hofkapelle (die ja einst auch von Bülow dirigiert wurde) vorerst einige Zeit um den idealen Spannungsbogen zu finden. Das Vorspiel wirkte daher noch ein wenig inhomogen und hätte auch eine exaktere Streichergruppe vertragen. Aber die Damen und Herren im Graben steigerten sich schon bald und Bach hatte das Heft bis zum Schluss fest in der Hand. Ein Bravo dem mit 39 Lenzen noch jungen Schweizer! Für den (gar nicht so kleinen) Chor (der sehr konventionell zum Einsatz kam) zeichnete Sierd Quarré verantwortlich, eine extra Erwähnung soll noch die Lichtregie von Beleuchtungschef Rolf Schreiber bekommen.

Der meiste Beifall galt natürlich am Ende Andreas Schager, aber auch seine Kolleginnen und Kollegen fanden ebenso vehementen Zuspruch wie das gesamte Regieteam – 13 Minuten Ovationen! Bis Ende Juni gibt es noch sieben Reprisen. Und sollten sie eine kürzere Anreise haben als der Schreiberdieser Zeilen, dann lege ich ihnen einen Besuch ans Herz.

Ernst Kopica                                                       Fotocopyright: Foto-ed.

 

 

 

 

 

 

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