Eiffel Art Studios
Johann Sebastian Bach
Kreuzkantaten
26.3. (Uraufführung).
Ein kurzweiliger Abend zu ernster Musik
Die nach Graf Miklós Bánffy von Losoncz (1873-1950) benannte Halle enthält einen Theaterraum für 500 Personen und ist in den 22.000 m2 umfassenden ehemaligen Reperaturkomplex der Nordbahn in der Kőbányai út 30 im 10. Bezirk, die insgesamt 5 Hallen umfasst, integriert. Das Konzept des unter dem Titel „Kreuzkantaten“ zusammengefassten geistlichen Kantaten stammte von Direktor Szilveszter Ókovács. Zur Aufführung gelangten Ausschnitte aus der Kantate „Christ lag in Todesbanden“ (BWV 4), nämlich die Sinfonia, die Arie Hier ist das rechte Osterlamm (Stanza V) und der Choral Wir essen und leben wohl (Stanza VII), die Kantate „Ich habe genug“ (BWV 82) sowie die Kantate „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ (BWV 56).
Gesungen wurde abwechselnd in Deutsch und in Ungarisch (Übersetzung: János Lackfi). Gesungen wurden die Soloteile vom ungarischen Bass István Kovács. Die szenische Gestaltung der Kantaten lag in den Händen von Csaba Horváth, der auch die Choreografie verantwortete. Die stufenförmig verschachtelte Bühne entwarfen Zoltán Kalászi und Kristóf Benedek Kiss, die praktikablen Kostüme des Balletts stammten von Mari Benedek. Es scheint in den letzten Jahren Mode geworden zu sein, sowohl Oratorien, also geistliche Opern, als auch andere geistliche Werke, wie etwa das Deutsche Requiem an der Volksoper Wien, szenisch umzusetzen. Das Orchester der ungarischen Staatsoper wurde von Péter Halász schwungvoll geleitet. Die Tanzszenen wurden von folgenden Mitgliedern der Forte Company ausdrucksstark mit akrobatischen Elementen versehen, getanzt: Atanáz Attila Babinchak, István Bari, Szabolcs Benedek Csáki, László Fehér, Boglárka Ferenczy-Nagy, Gizella Gálhidy, Fanni Hevesi, Barnabás Horkay, Zsófia Hrapka, Tibor Juhász, Aida Diána Kiss, Panka Ajsa Kondákor, Vilmos Lehel, Simon Regős, Liza Tarjányi und Kristóf Widder.
Die Tänzer ergänzten auch fallweise stimmlich den von den obersten Reihen des Zuschauerraumes aus singenden Chor. Nach pausenlosen 90 Minuten wurden alle Mitwirkenden und das Regieteam vom anwesenden Publikum wohlwollend, wenn auch nicht enthusiastisch, beklatsch.
Harald Lacina, 29.3.
Fotocredits: © Péter Rákossy / Hungarian State Opera
Koninklijke Vlaamse Schouwburg
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Benjamin Attahir
LE SILENCE DES OMBRES
Uraufführung 27.9.2019
Als Auftakt einer neuen „Troika-Zusammenarbeit“ eine zweite Uraufführung – leider wenig gelungen.
Zu den neuen Projekten des Intendanten Peter de Caluwe für seine dritte Amtszeit an der Monnaie/Munt gehören nicht nur zwei Uraufführungen zu Beginn jeder neuen Spielzeit, sondern auch die Initiative „Green Opera“ über ökologisch verantwortliches Opernschaffen. (Die Monnaie/Munt ist meines Wissens das einzige große Opernhaus, das schon seit zwölf Jahren eine „Ökomanager“ in der Direktionsetage hat.) Nun folgt auch eine „Troika“ – eine vertraglich festgelegte Zusammenarbeit mit dem flämischen Nationaltheater KVS (Koninklijke Vlaamse Schouwburg) und dem wallonischen Nationaltheater (Théâtre National Wallonie-Bruxelles). Wer die belgischen politischen Verhältnisse kennt, kann sofort ermessen, wie mutig eine solche Initiative ist in einem Land, das alle Rekorde der Unregierbarkeit in Europa gebrochen hat : die meisten Regierungen seit 1945, die längste Zeit ohne Regierung und, vor allem, die meisten Regierungen pro Einwohner, die mehr gegen als miteinander arbeiten. So brauchte es fast zehn Jahre, um den nun endlich fertig gestellten Tunnel zu bauen zwischen der Monnaie/Munt (das frühere Münzgebäude) und den dahinterliegenden Werkstätten. Doch für diese 20 m mussten drei verschiedene Administrationen ihr Ja-Wort geben: der Nationalstaat Belgien, dem die Oper untersteht (auch wenn es schon lange kein nationales Kultur- und Bildungsministerium mehr gibt), die Region (verantwortlich für die schlechten Straßen in Brüssel) und die Stadt selbst (der das Werkstattgebäude gehört). Zehn Jahre für 20 m, das sagt alles aus und Peter de Caluwe beendet sein Vorwort der Spielzeitbrochüre mit dem Wunsch, dass Kultur weiterhin eine Möglichkeit sei, um unser Zusammenleben zu verbessern, damit wir „mehr zusammenarbeiten als miteinander zu konkurrieren - auf allen Ebenen“. In diesem Sinn ist diese neue Uraufführung bewundernswert, weil verschiedene Instanzen aus verschiedenen Ministerien/Sprachgebieten zeigen, dass man auch konstruktiv und kreativ zusammenarbeiten kann.
Einen belgischen Nationaldichter gibt es nicht in einem zweisprachigen Land. Aber wohl einen Dichter, der den Nobelpreis gewonnen hat: Maurice Maeterlinck (1862-1949). Zu seinem 70en Todestag also eine neue Oper mit seinen Dramoletten „Trois petits drames pour marionettes“ (1894), die inhaltlich und atmosphärisch ähnlich sind wie „Pelléas et Mélisande“ (1892): Geschichten aus einer alten, vermoderten, mittelalterlichen Burg, in die das Tageslicht kaum eindringt und in denen eine junge Frau (wie Mélisande) leidet, umgeben durch ein junges Kind (wie Ynold), einen alten mürrischen Mann (wie Golaud) und einem liebenden, unschuldigen baryton Martin (wie Pelléas). Im Schatten von Claude Debussy hat der junge Komponist Benjamin Attahir (1989 in Toulouse geboren) nicht nur die musikalische Rollen-Typologie übernommen, sondern auch die Leitmotive (aus „petit père“ von Ynold wird nun „petit-frère“ etc). Aber nicht mit den gleichen Mitteln, da man im kleinen Orchestergraben des KVS nur 20 Musiker unterbringen kann. Warum nicht? Debussy selbst hat eine Pelléas-Fassung für zwei Klaviere geschrieben, die 1993 ganz wunderbar durch Peter Brook in Paris inszeniert wurde als „Impressions de Pelléas“.
Doch Brook und auch Debussy haben wirklich an der Textvorlage gearbeitet und sie in ein Libretto verwandelt, während Attahir alle drei Stücke strichlos vertont, nur die Reihenfolge verändert hat (das erste mit dem Dritten ausgetauscht) und ihnen einen neuen Namen gab: „Le Silence des Ombres“ (Das Schweigen der Schatten). An Theatertauglichkeit hat er offensichtlich nicht gedacht – oder hat ihm niemand beigebracht. Auch in der Musik, die einfach langweilig ist. Die Orchestrierung ist besonders: der Abend beginnt mit einem „Serpent“, einer schlangenförmigen Flöte aus der Renaissance, gefolgt durch einer „Oboe d’amore“, die wir aus in Bachkantaten kennen und einem Tuba-ähnlichen „Saxhorn“. Man kann diese verschiedenen Instrumente, wie die „Archilaute“ aus 1600 des Vortags (bei Dusapin) übrigens sehen und hören in dem wunderbaren Musikinstrumentenmuseum in Brüssel, das die größte Instrumenten-Sammlung der Welt zu haben scheint. Aber was nutzen uns diese Instrumente, wenn die Musik selbst nicht zu interessieren vermag.
Da hätte vielleicht ein theaterkundiger Regisseur wie Thomas Jolly bei Dusapin den Abend retten können. Aber Olivier Lexa zeigte sich genauso unbeholfen wie der junge Komponist. Was er uns an Bewegungsabläufen und Rollengestaltung bot, wirkte – wir finden kein anderes Wort – fast wie Laientheater. Für die Ausstattung standen 11 Namen im Programmheft: 9 Schüler und 2 Lehrer der Bühnenbild-Klasse von La Cambre. Die Kunst-Schule hat einen internationalen Ruf, aber neuartig war dieses Einheits-Bühnenbild keineswegs. Die Bögen links waren von Adolphe Appia übernommen und die Treppe rechts von Josef Svoboda. Zumindest war es gut bespielbar und akustisch einwandfrei.
Die Beleuchtung von Alexander Koppelmann war gut gemeint, aber schlecht gemacht - wie so Vieles an diesem Abend. Das Beste waren die jungen Sänger. Die Oper in Brüssel ist noch dabei ein eigenes Opernstudio auf zu bauen und arbeitet zusammen mit den exzellenten Musikschulen der Stadt, sowie die Chapelle Musicale Reine Elisabeth in Waterloo (wo u.a. José Van Dam zu den Lehren gehört). Sie zeigten sich äußerst professionell. Denn sie hatten wenig von dem Regisseur – der sie nur auf der Bühne zu Gruppenbilder hingestellt hat – und noch weniger vom Komponisten & Dirigenten, der hypnotisiert in seine eigene Partitur starrte und dem Kammerorchester der Monnaie/Munt kein einziges dynamisches Zeichen gab und nicht einmal die Sänger anguckte, auch wenn er ihnen vor lauter Nervosität seine Einsätze zu früh gegeben hatte. Julia Szproch, Raquel Camarinha und Clémence Poussin zeigten Nerven und Professionalität, wie der junge belgische Tenor Pierre Derhet. Der französische Bass Renaud Delaigue hatte offensichtlich mehr Erfahrung und ließ seine schöne Stimme durch den Raum klingen, so wie der alte Schauspieler Pierre Derhet. Doch seine Anwesenheit wirkte auf uns wie ein Schwächebekenntnis des Komponisten. Denn im zweiten Stück, „Intérieur“, wurde zu 90 % nur gesprochen, während im ersten, „La Mort de Tintagiles“, und dritten „Alladine et Palomides“ zumindest noch manchmal gesungen wurde (oft wurde der „Sprechgesang“ nur durch eine Trommel begleitet).
Wenn das über drei Stunden anhält, entsteht Langeweile. Ein Mann in der ersten Parkettreihe, gleich hinter dem Dirigenten, begriff dies schon nach fünf Minuten, stand auf und verließ diskret den Saal (die Belgier sind in dieser Hinsicht sehr gut erzogen). Bald folgten die nächsten und nach der Pause war das Parkett nicht einmal halb gefüllt. Doch das dritte Stück war auch nicht besser und nach wieder 5 Minuten standen die nächsten auf. Am Ende waren wir alle nur erleichtert, dass der Abend endlich vorbei war. Das ist auch schon anderen Komponisten passiert. Philippe Boesmans erste Oper, „La Passion de Gilles“, 1983 an der Monnaie/Munt uraufgeführt, war auch kein Erfolg (verschwand sogar aus seinem Werkkatalog). Das hat Boesmans aber nicht daran gehindert, um ein anerkannter und erfolgreicher Opernkomponist zu werden. Dies wünschen wir auch Benjamin Attahir: nächstes Mal besser!
(c) Gianmaria De Luca
Waldemar Kamer, 3.10.2019
Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online