WELS
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TRISTAN UND ISOLDE
24.5.2015
Zurück zu Wagner - Rettung für Bayreuth
Michael Kupfer, Stig Andersen, Hermine May, Lioba Braun. Foto: Bernd Rengelshausen
Immer öfter wird in letzter Zeit moniert, dass es sich bei Isoldes Abgesang nicht um einen Liebes-Tod, sondern um eine Liebesverklärung handelt. Der Unterschied: Die Liebenden leben weiter – in einer selbst geschaffenen Welt. In der letzten Aufführung eines 26 Jahre lang von einem Wagner-kundigen Publikum, ergänzt durch Besucher, die den Dichterkomponisten in Wels entdecken durften, mit großer Begeisterung aufgenommenen alljährlichen Festivals besingt Lioba Braun den Weltatem, der dieses – wohl nicht nur für mich – grandioseste Liebesdrama, das je in Musik gesetzt wurde, durchweht, vor einem Sternenhimmel, der während der letzten Takte des Finales immer größer wird und uns immer näher rückt, bis die im Zentrum der Bühne postierte Sängerin nur mehr als Silhouette wahrnehmbar ist und der Klang des Orchesters sich mit dem Sternenhimmel vermählt. Präzise beim letzten Ton hat sich der Vorhang geschlossen. Der Dirigent Ralf Weikert belässt die Hände noch erhoben, um uns eine Atempause zu ermöglichen, ehe der Applaus einsetzt. Sie wird auch zur Denkpause.
Umso mehr, als dann zu den Verbeugungstouren der Vizebürgermeister von Wels mit einem riesigen Blumenstrauß die Intendantin Renate Doppler für ihre wertvolle Initiative, die der Stadt solch hochwertige Kultur geboten habe, großmächtig belobigte und mit vagen Worten seine Hoffnung auf weitere solche Großtaten aussprach. Da sich die Förderung von städtischer und Landesseite bekanntlich in engen Grenzen gehalten hat, gab es – nicht zu Unrecht – auch kräftige Buhs für die “schöne Rede”. Frau Doppler sprach ihren persönlichen Dank posthum vor allem ihrem Vater aus, der die Anregung zu diesem Wagner Festival gegeben hatte, weil ihm das “Regietheater” auf die Nerven gegangen war und er sich werkgerechte Inszenierungen wünschte. Er konnte auch finanziell kräftig mithelfen. Dazu fand sich ein bedeutender Schweizer Sponsor, der nun leider auch verstorben ist. Immerhin konnte Renate Doppler fast alle großen Wagner-Sänger nach Wels holen.
Mit dem Regisseur Herbert Adler und dem Ausstatter Dietmar Solt engagierte sie zwei erfahrene Theaterhasen, die mit einfachen Mitteln gutes Theater machten, in welchem sich die Sänger wohlfühlten und das Publikum nicht um den Musikgenuss kam. Das Welser Theater im Greif wurde zum Terrain für Bayreuth-Flüchtlinge und Zuzügler aus berühmten Opern-Metropolen…
Da die naheliegenden Musikstätten Salzburg und Linz ihre Orchester aus verschiedenen Gründen nicht (mehr) an Wels verleihen wollten/durften, musste man auf tschechische und slowakische Ensembles ausweichen. Waren es heuer beim “Tannhäuser” die Slowakische Philharmonie und der dazugehörige Chor, so hörten wir beim “Tristan” die Brünner Philharmonie, ergänzt durch den “Philharmonia Chor Wien” unter Walter Zeh. Es handelt sich, bitte, um zwei Symphonie-Orchester, die vom routinierten Opernkapellmeister Ralf Weikert zu einem Opernorchester für zwei der anspruchsvollsten Partituren der Opernliteratur geformt werden mussten! Während an der Wiener Staatsoper ein “Ring” läuft, bei dem ein von den Medien als Stardirigent gehandelter Mann am Pult steht, der reine Konzertmusik produziert, wird in Wels hochwertiges Musiktheater geboten.
Die “Tristan”-Interpretation von Ralf Weikert mit den Brünnern war großartig. Nicht nur gelang es ihm, den Spannungsbogen durch alle drei Akte durchzuziehen, konnte er auch im Detail die vielen Geheimnisse dieser Partitur offenbaren, Wichtiges hervorheben, ohne die Nebenstimmen zu ignorieren, und vor allem wurde mit wahrer Inbrunst musiziert. Die orchestralen Ein- und Überleitungen waren genauso aufregend, so gut aufgebaut und expressiv wie die Sängerbegleitung und die reine Klangqualität beachtlich. Nachdem ich von Karajan und Böhm bis zu den letzten 7 Wiener “Tristan” Aufführungen unter Peter Schneider höchste Qualität mit Spitzenorchestern in reichem Maße kennen gelernt habe, spreche ich ein solches Lob wahrlich nicht leichtfertig aus. Dass die Brünner Musiker möglicherweise “Tristan” überhaupt zum ersten Mal gespielt haben, und merklich mit großer Hingabe und Dankbarkeit dafür, dass sie es durften, ist ein Grund mehr, solche “Provinz”-Events zu preisen.
Der bewährte dänische Wagner-Recke Stig Andersen, der zwei Tage zuvor auch noch als Tannhäuser eingesprungen war, sang und gestaltete einen Tristan voller Intensität, Leidenschaft und Leidenskraft, einen, der auch Ekstase und Verklärung mit starker mimischer und physischer Ausdruckskraft und unermüdlicher heldentenoraler Souveränität, aber auch mit ergreifenden leisen Tönen vermitteln kann.Lioba Braun war eine wunderbare, liebenswerte Isolde mit hellem Höhenmetall, das die vormals ebenso wunderbare Brangäne allmählich dazugewonnen hat. Wie die beiden nach dem Trank in Todeserwartung durch kleine verlegene Gesten kundtun, dass sie nicht wissen, wie sie nun all das, was sie einander gern sagen würden, dem anderen mitteilen sollen, bis sie sich endlich in den Armen liegen – das war ein aufregendes Stück Personenregie. Und natürlich durfte Tristan auch in Isoldes Armen sterben.
Die gescheite, aparte und schönstimmige Brangäne von Hermine May war ebenso wenig nur Begleiterscheinung wie der kraftvolle, rührend um seinen leidenden Herrn besorgte Kurwenal vonMichael Kupfer. In der Personenführung von Herbert Adler stimmten einfach alle Relationen. Das würdevolle Auftreten von Andreas Hörl als König Marke, obzwar nicht von einer ganz so edlen Bassstimme begleitet, aber durch markanten Vortrag präsent, wurde sowohl im 2. wie auch im 3. Akt durch Positionierung auf dem höchsten Punkt der 5-stufigen Treppe im Mittelteil der Bühne noch erhöht. Ebenso präsent der Melot von Marco di Sapia und der Steuermann von Nicolas Legoux sowieChristian Sturm als Hirt und junger Seemann, der, sichtbar auf dem Deck hinter Isolde stehend, sein Spottlied auf Isolde mit ebenso traurigem Unterton singt wie im 3. Akt seine besorgten Fragen nach Tristans Befinden.
Stig Andersen, Lioba Braun. Foto: Bernd Rengelshausen
Ja, im 1. Akt sind wir wirklich auf einem Schiff, im Mittelakt auf einer Anhöhe unter zwei blühenden Bäumen, und im 3. Akt blicken wir auf eine Wasserfläche mit bewegten Wellen, ein etwa halbkreisförmiges Ufer, oberhalb dessen der ohnmächtige Tristan gelagert ist, der, wie es sich gehört, lange reglos daliegt und sich erst langsam wieder in der realen Welt zurecht findet. Die atmosphärische Lichtgestaltung gehört zu den stärkstenAusdrucksmitteln des Regieteams. Die unterschiedlichen Himmelsfärbungen mit den dräuenden dunklen Wolkenformationen unterstreichen die jeweilige Seelenverfassung der Protagonisten.
So selbst-verständlich erlebt man diese “Handlung in drei Aufzügen” heute selten. Gerade die Tatsache, dass hier nichts verkompliziert wird, macht das komplexe, aber im Grunde ganz schlüssig konzipierte Wagnersche Seelendrama als menschlich nicht nur berührende, sondern auch ungemein feinsinnige Geschichte mühelos erlebbar.
Ich habe mir überlegt, was passieren würde, wenn man diese Produktion auf die Bayreuther Festspielbühne brächte…Die Presse würde wohl Zeter und Mordio schreien – Gott, wie hoffnungslos konservativ…Und das Publikum, das heute zu Hunderten Bayreuth den Rücken kehrt??? Ob es nicht einen Versuch wert wäre?
Sieglinde Pfabigan 30.5.15
(MERKER-online)