DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
Dies ist das OPERNFREUND-Archiv
Alle neuen Kritiken erscheinen ab sofort auf unserer neuen Website
Startseite
Unser Team
Impressum/Copyright
---
Alle Premieren 22/23
Kontrapunkt
Die OF-Schnuppe :-(
Der OF-Stern * :-)
OF Filmseite
Silberscheiben
CDs DVDs
OF-Bücherecke
Oper DVDs Vergleich
Musical
Genderschwachsinn
Oper im TV
Nachruf R.i.P.
Et Cetera
-----
Aachen
Aarhus
Abu Dhabi
Bad Aibling
Altenburg Thüringen
Altenburg Österreich
Amsterdam DNO
Amsterdam Th. Carré
Amst. Concertgebouw
Andechs
Annaberg Buchholz
Ansbach
Antwerpen
Arnheim
Aschaffenburg
Athen
Athen Onassis Cultur
Augsburg
Avignon
Bad Hersfeld
Bad Ischl
Bad Kissingen
Bad Lauchstädt
Bad Reichenhall
Bad Staffelstein
Baden bei Wien
Baden-Baden
Badenweiler
Baku
Bamberg
Barcelona
Basel Musiktheater
Basel Sprechtheater
Basel Ballett
Bayreuth Festspiele
Bayreuth Markgräfl.
Pionteks Bayreuth
Belogradchik
Bergamo
Berlin Livestreams
Berlin Deutsche Oper
Berlin DO WA
Berlin Staatsoper
Berlin Staatsoper WA
Berlin Kom. Oper
Berlin Kom. Oper WA
Berlin Neuköllner Op
Berlin Konzerte
Berlin Sonstiges
Berlin Ballett
Bern
Bern Sprechtheater
Biel
Bielefeld
Bochum Ruhrtriennale
Bochum Konzerte
Bochum Sonstiges
Bologna
Bonn
Ära Weise 2003-2013
Bonn Sonstiges
Bordeaux
Bozen
Brasilien
Bratislava
Braunschweig
Braunschweig Konzert
Braunschweig openair
Bregenz Festspiele
Bregenz Sonstiges
Bremen
Bremen Musikfest
Bremerhaven
Breslau
Briosco
Britz Sommeroper
Brixen
Brühl
Brünn Janacek Theate
Brünn Mahen -Theater
Brüssel
Brüssel Sonstige
Budapest
Budap. Erkel Theater
Budapest Sonstiges
Buenos Aires
Bukarest
Burgsteinfurt
Bytom Katovice
Caen
Cagliari
Casciana
Chemnitz
Chicago Lyric Opera
Chicago CIBC Theatre
Coburg
Coburg Joh. Strauss
Coesfeld
Colmar
La Coruna
Cottbus
Crevoladossola
Daegu Südkorea
Darmstadt
Dehnberg
Den Haag
Dessau
Dessau Weill Fest
Detmold
Dijon
Döbeln
Dornach
Dortmund Ballett
Dortm. Konzerthaus
Dortmund Sonstiges
Dresden Semperoper
Dresden Operette
Dresden Sonstiges
Dresden Konzert
Duisburg
Duisburg Sonstiges
MusicalhausMarientor
Düsseldorf Oper
Rheinoper Ballett
Düsseldorf Tonhalle
Düsseldorf Sonstiges
Schumann Hochschule
Ebenthal
Eggenfelden
Ehrenbreitstein
Eisenach
Ekaterinburg
Enschede
Erfurt
Erl
Erlangen
Essen Aalto Oper
Essen Aalto Ballett
Essen Aalto WA
Essen Phil 2
Essen Phil 1
Essen Folkwang
Essen Sonstiges
Eutin
Fano
Fermo
Flensburg
Florenz
Frankfurt
Frankfurt WA
Bockenheimer Depot
Frankfurt Sonstiges
Frankfurt Alte Oper
Frankfurt Oder
Freiberg
Freiburg
Füssen
Fürth
Fulda
Sankt Gallen
Gelsenkirchen MiR
Genova
MiR Ballett
Genf
Gent
Gera
Gießen
Glyndebourne
Görlitz
Göteborg
Gohrisch
Gotha Ekhof-Festsp.
Graz
Graz Styriarte
Graz Konzerte NEU
Graz Sonstiges
Gstaad
Gütersloh
Hagen
Halberstadt
Halle
Halle Händelfestsp.
Hamburg StOp
Hamburg StOp Wa
Hamburg Konzert
Hamburg Sonstige
Hamm
Hanau Congress Park
Hannover
Hannover Sonstiges
Heidelberg
Heidenheim Festsp.
Heilbronn
Heldritt
Helgoland
Helsinki
Hildesheim TfN
Hof
Hohenems
Gut Immling
Ingolstadt
Innsbruck Landesth.
Innsbruck Festwochen
Jekaterinburg
Jennersdorf
Kaiserslautern
Karlsruhe
Karlsruhe Händel
Opera Europa Bericht
Kassel
Kawasaki (Japan)
Kiel
Kiew
Klagenfurt
Klosterneuburg
Koblenz
Köln OperStaatenhaus
Wa Oper Köln
Köln Konzerte
Köln Musical Dome
Köln Sonstiges
Konstanz Kammeroper
Kopenhagen
Kosice
Krummau a.d. Moldau
Krefeld
Krefelder Star Wars
Kriebstein
Landshut
Langenlois
Bad Lauchstädt
Lech
Leipzig Oper
Leipzig Mus. Komödie
Leipzig Ballett
Leipzig Konzert
Leipzig Sonstiges
Lemberg (Ukraine)
Leoben
Leverkusen
Lille
Linz/Donau
Linz Sonstiges
Ljubljana/Laibach
Loeben
London ENO
London ROH
London Holland Park
Lucca
Ludwigshafen
Luisenburg
Lübeck
Lübeck Konzerte
Lübecker Sommer
Lüneburg
Lüttich/Liège
Liege Philharmonie
Luxemburg
Luzern
Luzern Sprechtheater
Luzern Sonstiges
Lyon
Maastricht
Macerata
Madrid
Magdeburg
Mahon (Menorca)
Mailand
Mainz
Malmö
Malta
Mannheim
Mannheim WA
Mannheim Konzert
Maribor/Marburg
Marseille
Martina Franca
Massa Marittima
Meiningen
Melbourne
Meran
Metz
Minden
Mikulov
Minsk
Miskolc
Modena
Mönchengladbach
Mörbisch
Monte Carlo
Montevideo
Montpellier
Montréal
Moritzburg
Moskau Bolschoi N St
Moskau Sonstige
München NT
München Cuvilliés
MünchenPrinzregenten
München Gärtnerplatz
München Ballett
München Sonstige
Münster
Münster Konzerte
Muscat (Oman)
Nancy
Nantes
Neapel
Neapel Sonstiges
Neuburger Kammeroper
Neuburg/Donau
Neustrelitz
Neuss RLT
New York MET
Nizhny Novgorod
Nordhausen
Novara
Nürnberg
Nürnberg Konzerte
Oberammergau
Oberhausen
Odense Dänemark
Oesede
Oldenburg
Ölbronn
Oesede (Kloster)
OperKlosterNeuburg
Oslo
Osnabrück
Ostrau
Palermo
Palma de Mallorca
Paraguay
Paris Bastille
Paris Comique
Paris Garnier
P. Champs-Elysées
Théâtre du Châtelet
Paris Ballett
Paris Philharmonie
Paris Versailles
Paris Sonstiges
Paris Streaming
Parma
Passau
Pesaro
Pfäffikon
Piacenza
Pisa
Pforzheim
Plauen
Posen
Potsdam
Prag Staatsoper
Prag Nationaltheater
Prag Ständetheater
Radebeul
Raiding
Rathen Felsenbühne
Recklinghausen
Regensburg
Reggio Emila
Reichenau
Remscheid
Rendsburg
Rheinsberg
Rheinberg
Riga
Riehen
Rosenheim
Rouen
Rudolstadt
Ruhrtriennale
Saarbrücken
Saint Etienne
Salzburg Festspiele
Salzburg LT
Salzburg Osterfestsp
Salzburg Sonstiges
San Francisco
San Marino
Sankt Margarethen
Sankt Petersburg
Sarzana
Sassari
Savonlinna
Oper Schenkenberg
Schloss Greinberg
Schwarzenberg
Schweinfurt
Schwerin
Schwetzingen
Sevilla
Singapur
Sofia
Solingen
Spielberg
Spoleto
Staatz
Stockholm
Stralsund
Straßburg
Stuttgart
Stuttgart Ballett
Sydney
Szeged (Ungarn)
Tampere (Finnland)
Tecklenburg
Tel Aviv
Teneriffa
Toggenburg
Tokyo
Toulon
Toulouse
Tours
Trapani
Trier
Triest
Tulln
Turin
Ulm
Utting
Valencia
Valle d´Itria
Venedig Malibran
Venedig La Fenice
Verona Arena
teatro filarmonico
Versailles
Waidhofen
Weimar
Wels
Wernigeröder Festsp.
Wexford
Wien Staatsoper
Wien TadW
Wien Volksoper
Wien Kammeroper
Wien Konzerte
Wien Ballett
Wien Sonstiges
Wiesbaden
Wiesbaden Wa
Wiesbaden Konzert
Bad Wildbad
Winterthur
Wolfenbüttel
Wolfsburg
Wunsiedel
Wuppertal
Würzburg
Zürich
Zürich WA
Zürich Ballett
Zürich Konzert
Zwickau
---
INTERVIEWS A - F
INTERVIEWS G - K
INTERVIEWS L - P
INTERVIEWS Q - Y
---
DIVERSITA:
YOUTUBE Schatzkiste
HUMOR & Musikerwitze
Opernschlaf
Facebook
Havergal Brian
Korngold
Verbrannte Noten
Walter Felsenstein
Unbekannte Oper
Nationalhymnen
Unsere Nationalhymne
Essays diverse
P. Bilsing Diverse
Bil´s Memoiren
Bilsing in Gefahr

THEATER MÜNSTER

(c) Oliver Berg

 

 

Ernst Křenek

„Leben des Orest“

neue Intendanz - unbekannte Oper

 

Premiere 1. Oktober 2022

 

Spartenübergreifend will die neue Intendantin des Theaters Münster, Dr. Katharina Kost-Tolmein, ein Thema auf der Bühne darstellen. Sie begann mit dem Thema Generationenkonflikte – nicht ganz neu - dieses Mal dargestellt an Sagen rund um den antiken Orest, der bekanntlich aus Rache für die Ermordung seines Vaters Agamemnon durch seine Mutter Klytaemnestra und ihren Liebhaber Aegisth diese beiden nun ebenfalls tötete. Da gab es einen Ballettabend „Furien“, die Orest wegen dieser Taten verfolgten, wobei das Ballett - warum auch immer - in „Tanz Münster“ umbenannt wurde. Im Schauspiel folgte dann die „Orestie“ von Aischylos, wie heute leider vielfach üblich, erweitert durch Texte dreier lebender Autorinnen.

Als Musiktheater wurde zur Eröffnung gewählt „Leben des Orest - Grosse Oper in fünf Akten“ (acht Bildern) op.60 von Ernst Křenek auf ein eigenes Libretto, uraufgeführt 1930. Sie stand unter der musikalischen Leitung von GMD Golo Berg in einer Inszenierung von Magdalena Fuchsberger.

 

 

Im Gegensatz zu Richard Strauss, dessen „Elektra“ im Dezember folgt, schildert Ernst Křenek in seiner Oper nicht nur eine Episode sondern das ganze Leben des Orest. So sehen wir im ersten Akt, wie Agamemnon, um günstigen Wind für den Krieg gegen Troja zu erreichen, zuerst seinen Sohn Orest opfern will, was daran scheitert, dass auf Initiative Klytaemnestras Orest, geführt von seiner Amme Anastasia, fliehen kann. Tochter Iphigenie, als zweites Opfer gewählt, wird durch ein Wunder vorher entrückt..

Im zweiten Akt erleben wir Orest auf einem Jahrmarkt in Athen, wo er sich unwissend – Parsifal ähnlich - durch sein arrogantes Wesen unbeliebt macht, sodaß er von Gauklern verschleppt wird Wichtig für den weiteren Verlauf ist eine von ihm geworfene weisse Kugel, die von Anastasia einer Statue der Athene zu Füssen gelegt wird, um sie gnädig für Orest zu stimmen. Diese Szene gibt es in keiner anderen Fassung der Orestie.

Der dritte Akt zeigt den Teil der Handlung, den wir kennen. Der zurückgekehrte Agamemnon wird von Klytaemnestra und Ägisth - hier mit einem von ihnen gebrauten Gifttrank - ermordet, den ihm Tochter Elektra reichen muß. Sie wird daraufhin vom Pöbel umgebracht, da dieser sie für die Mörderin hält. Orest tötet Ägisth und seine Mutter, wird darauf von dieser verflucht und muß fliehen

Er gerät in das kalte nordische Reich des Königs Thoas, der sich in die zu ihm gelangte Iphigenie verliebt. Orest wiederum wird geliebt von der Tochter des Königs Thoas namens Thamar. Bruder Orest und Schwester Iphigenie erkennen sich und alle vier ziehen ins sonnige Athen.

 

 

Hier soll Orest wegen des Muttermordes verurteilt werden. Das Gericht ist sich uneinig, es liegen sechs weisse und sechs schwarze Kugeln in der Urne. Athene veranlaßt ein kleines Mädchen die weisse Kugel, die damals Anastasia zu ihren Füssen niedergelegt hat, in die Urne zu werfen und damit Orest von der Anklage zu erlösen. So kommt es zum happy end von Orest und Thamar, König Thoas und Iphigenie und gewaltigem Finale.

Diese Handlung fand statt in einem dreigeteilten Bühnenbild von Monika Biegler. Auf einem hinteren Rundhorizont sah man Projektionen. ( Aron Kitzig) Etwa schon vor Beginn und zwischen den einzelnen Bildern konnten in der Mitte sitzende Zuschauer durch einen Spalt im Vorhang das Foyer des Theaters Münster erkennen. Später sah man dann auf diesem Rundhorizont u.a. Bilder Griechenlands, darunter ein Kreuzfahrtschiff, oder Katzen, die wohl Kreta andeuten sollten. Davor - hinten auf der Bühne - wurden Bühnenteile hin- und hergeschoben oder Scheinwerfer ausprobiert, vielleicht, falls jemand vergessen haben sollte, dass man im Theater sass. Vorne gab es eine Spielfläche seitlich begrenzt von weissse Plastiksesseln, die früher ja so häufig auf Bühnen zu sehen waren. Natürlich wurden sie bei Bedarf umgeworfen oder dienten als angedrohtes Wurfgeschoß. In der Jahrmarktsszene trugen alle rote Knollennasen – wie witzig? Der erste Teil der abschliessenden Gerichtsszene fand bei beleuchtetem Zuschauerraum vor dem Vorhang statt. Der betreffend Verurteilung oder Freispruchs Orests unentschlossene Oberrichter Aristobulos (wie immer ganz großartig in Stimme und Ausdruck Gregor Dalal) kam aus dem Publikum – die Zuschauer dann quasi als Richter.

Die wenig originellen Kostüme (auch Monika Biegler) waren heutige Alltagsklamotten, der Chor in heller Bekleidung. Weibliche Mitglieder der Königsfamilien trugen zusätzlich Pelzmäntel.

 

 

Unter den zahlreichen Gesangssolisten sei zuerst Johan Hyunbong Choi in der Titelpartie gelobt. Bei guter Textverständlichkeit drang sein ausdrucksstarker Bariton über starke Orchesterklänge hinweg, auch leise Töne und kantable Gesangslinien (einmal ohne Orchester) gelangen ihm, dies alles besonders, wo er im fünften Bild sein bisheriges Wanderleben – Franz Schubert läßt grüssen - als nutzlos empfindet und angeregt durch den Gesang eines Hirten sich zur Rückkehr in die Heimat entschließt. Auch diesen Hirten sang in gewohnt grosser Form Gregor Dalal, mußte dabei aber ganz unsinnig einen Plastikstuhl reinigen. Grossartig gelang Choi auch der Verteidigungsgesang des Orest vor dem Vorhang in direkter Ansprache an das Publikum.

Bewundern konnte man auch Margarita Vilsone als Elektra mit ausdrucksvollem in der Höhe vielleicht manchmal etwas stark forcierendem Sopran, besonders in ihrem längeren Monolog in einer Gefängniszelle auf der Bühne. Robyn Allegra Parton als Königstocher im kalten Nordland fiel neben ausdrucksvollem Gesang durch gelungene Koloraturen auf.  Brad Cooper als Agamemnon verfügte über einen durchdringenden Tenor, leider mit Vokalverschiebungen und wenig textverständlich. Wie andere Sängerinnen und Sänger auch mußte er dabei meist passend zur Musik körperliche Verrenkungen durchführen. Über einen klangvollen Sopran verfügte auch Katharina Sahmland als Iphigenie, sodaß das Quartett mit ihr, Thamar, Orest und Thoas am Ende des vierten Aktes zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends wurde – gesungen mit Klavierauszügen.

 

 

Die undankbare Tenor-Partie des Aegisth sang – auch schon in vergangenen Spielzeiten gelobt Garrie Davislim. Nicht ganz so gut gefiel Wioletta Hebrowska als unglückliche Klytaemnestra. Helena Köhne sang die besorgte Amme Anastasia.

Grossen Anteil an der Aufführung hatten Chor und Extrachor in der Einstudierung von Anton Tremmel. Die vor Beginn vieler Szenen von Krenek vorgeschriebenen „Chorstimmen im Orchester“ kamen allerdings vom Bühnenhintergrund oder aus einer Empore im ersten Rang. Sonst war der Chor zu bewundern vor allem als wankelmütiges, im Anfang kriegsmüdes Volk Die Damen wirkten zusätzlich als Strassenmädchen in der Jahrmarktsszene. Alle bewegten sich häufig, wie auch Solistinnen und Solisten, im Rhythmus der Musik (Choreografie Alexander Novikov), z.B. mal ein Tänzchen zur Walzermusik, mal ein Totentanz nach der Ermordung von Aegisth und Klytaemnestra.

Das eigentlich nur zum Schluß für das Werfen der entscheidenden weissen Kugel vorgesehen Mädchen war fast während der ganzen Oper auf der Bühne zu sehen (Riccarda Tolmein)

Zur „grossen Oper“ passte ein grosses Orchester einschließlich etwa Baßtuba, grossem Schlagzeug (vier Sorten Trommel, Kastagnetten, Tamburin, Glocken), Klavier und sogar einem Banjo. Die zwischen farbenreicher Spätromantik (z.B. Beschreibung der Seefahrt von Nordland nach Athen) und Jazz-elementen (etwa einem Blues zur Jahrmarktsszene) und allen Stilen dazwischen teils sehr rhythmische Musik (Totenfeier für Agamemnon) wurde eindrucksvoll und gelungen gespielt vom Sinfonieorchester Münster unter Leitung von GMD Golo Berg. Seine umsichtige Gesamtleitung sorgte zudem für grosse musikalische Übereinstimmung zwischen Orchester und Bühne.

Im hymnischen Schlußchor rühmten sämtliche Solistinnen und Solisten – auch die vorher Verstorbenen – und der grosse Chor die Macht der Gnade, dies vor einer Projektion des Theaters Münster – eine Idee, die ähnlich vor langer Zeit schon einmal zum Schluß einer Aufführung von Mozart´s „Entführung“ vorkam, damals die Vorderseite des Theaters.

Das Publikum im vollbesetzten Parkett reagierte mit nicht übermässig enthusiastischem Beifall und einigen Bravos vor allem der Besucherinnen und Besucher aus den Rängen.

 

Sigi Brockmann 3. Oktober 2022

Fotos Martina Pipprich

 

 

Thorsten Schmid-Kapfenburg

Galen

Uraufführung am 14. Mai 2022 - besuchte Dernière am 24. Juni 2022

 

Nicht als Fiktion in Krimi-Filmen sondern als traurige Realität wurde kürzlich bekannt, daß in der Nachkriegszeit amtierende Bischöfe von Münster in Westfalen mitgewirkt haben bei der Vertuschung sexueller Verbrechen durch untergebene Priestern.

Umso mehr bewundert wird demgegenüber bis heute das Wirken ihres Vorgängers, Clemens August Graf von Galen, Bischof von Münster 1933 bis 1946, also in der gesamten Herrschaftszeit des Nationalsozialismus. Gegen diesen bezog er als einziger katholischer Würdenträger in Predigten und Schriften öffentlich Stellung, was ihm etwa den Beinamen „Löwe von Münster“ eintrug, während ein Nazi-treuer Bischofskollege ihn als „Elefant im Porzellanladen“ bezeichnete. Als Bischof verurteilte er scharf die Vertreibung der Ordensleute aus den Klöstern, empörte sich in Deutschland-weit verbreiteten Predigten aber vor allem über die Euthanasiemaßnahmen, im Nazi-Jargon die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“   Dies folgte für ihn aus der christlichen Lehre vom gleichen Wert aller Menschen vor Gott und ganz im Gegensatz zur durch ihn immer bekämpften Ideologie in Rosenberg´s „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ Tatsächlich wurden diese von Galen als „Mord“ bezeichneten Maßnahmen dann beendet. Einen Prozess gegen ihn, der mit der Todesstrafe geendet hätte, verschob das NS-Regime auf die Zeit nach dem „Endsieg“, da es Unruhen in der traditionell katholischen Bevölkerung Münsters befürchtete.

 

 

Kritisiert wird er wegen seiner zum alten westfälisch-katholischen Adel, dem er entstammte, passenden erzkatholischen, patriotischen Gesinnung, dies vor allem von Leuten, die die Zeit nicht selbst erlebt haben. Dazu gehört etwa, dass er über die Judenverfolgungen schwieg oder den Krieg gegen die kirchenfeindlichen „Bolschewiken“ befürwortete – letzteres durchaus im Einklang mit der Mehrheitsmeinung der Münsteraner, wie der Verfasser aus Gesprächen mit Eltern und Verwandten weiß.

Musikdramatisch überzeugend und theaterwirksam wurde diese herausragende historische Gestalt in ihrem historischen Umfeld jetzt dargestellt in einer Oper in 20 Szenen komponiert von Thorsten Schmid-Kapfenburg auf ein Libretto von Stefan Moster unter dem Titel „Galen (Der Kardinal)“ - einem Auftragswerk des Theaters Münster.

Die Uraufführung fand am 14. Mai dieses Jahres statt unter der musikalischen Leitung von GMD Golo Berg in der Inszenierung von Holger Potocki.

Gespielt wurde in einem Einheitsbühnenbild von Andreas Becker, das einen die ganze Bühne einnehmenden bunkerartigen Raum mit für kirchliche Szenen goldenen Wänden als Symbol der Macht der katholischen Kirche darstellte. Dieser wurde auf der Rückseite durchbrochen durch ein riesiges Hakenkreuz als Einbruch von aussen in diese abgeschlossene Welt. In ihm konnten dann verschiedene Handlungsorte wie Bischöfliches Arbeitszimmer oder Galen auf der Kanzel in der Kirche dargestellt werden. Die Kostüme ebenfalls von Andreas Becker entsprachen detailgenau der Zeit der Handlung. Eingespielt in die Handlung, teils in der Partitur vorgeschrieben, wurden u.a. Reden Rosenbergs aus einem „Volksempfänger“ , Glocken des Paulus-Doms, Vertreibung von Mönchen aus dem Kloster oder Luftangriffe. (Sven Stratmann) . Überflüssig waren Videos nach der Oper über einen Spaziergang durch das heutige Münster.

 

 

Wie ein „Kontrapunkt“ wurde der historischen Handlung hinzugefügt etwa als heutige „öffentliche Meinung“ eine junge Frau namens Jasmin, die in imaginären Gesprächen ihre kritischen Fragen an Galen richtete, dadurch seinen Weg begleitete und zum Schluß trotz seiner menschlichen Schwächen „als Kind seiner Zeit“ Verständnis und Bewunderung für ihn aufbrachte. Dies spielte Kathrin Filip glaubwürdig und keck und konnte sich stimmlich in der Anfangs- und der parallelen Schlußszene mit kräftigem Sopran textverständlich gegen das grosse Orchester und den Chor behaupten. Gleichzeitig gelangen ihr lyrische Momente teils auch ganz ohne Orchesterbegleitung. Größte Bewunderung verdiente Gregor Dalal in der Titelpartie des Galen. Glaubwürdig spielte er die Entwicklung vom die Obrigkeit akzeptierenden Bischof über die Angst zu Beginn des Widerstands, die Verlegenheit bei Ablehnung der Unterstützung der Juden, bis hin zum selbstsicheren aufrechten auch zum Tod bereiten Kämpfer gegen staatliches Unrecht. Stimmlich beherrschte er alle Facetten der riesigen Partie – er stand fast immer auf der Bühne. Textverständlich mit kräftigem Bariton blieb er gegenüber grossem Orchester, fand nachdenkliche leise Töne und deutlich zu hören war sogar der „Atemgesang“ ohne Worte aus Empörung über HJ-Spottlieder auf die Kirche.

Nachdrücklichen stimmlichen Eindruck hinterließ Suzanne McLeod als Mutter von Galen. In riesigem Reifrock wie eine Erscheinung aus dem Jenseits sprach sie ihm in langen Mezzo-Soprantönen Mut zu. Ihr Duett mit Galen, nachempfunden der Lauretanischen Litanei, mit dem „Bitte für uns“ an die Gottesmutter war ein musikalischer Höhepunkt des Abends.

 

 

Mit hellem herrischen Tenor sang Mark Watson Williams den zackigen Gauleiter Meyer, in seiner Feindschaft gegenüber der Kirche noch übertroffen von Frederik Schauhoff als Gestapo-Mann. Erfreut war man über ein Wiedersehen und Wiederhören mit dem Bassisten Mark Coles als Regens Francken – so eine Art Vertrauter des Bischofs. Den noch engeren Vertrauten, nämlich Galens Sekretär, sang mit der jeweiligen Situation angepaßten Tenor Christian-Kai Sander. Als Galens Bruder Franz überzeugte mit anrührender Tenor-Stimme Youn-Seong Shim. Mächtige Baßstimme ließ Stephan Klemm als Galens Freund Coppenrath hören, der später auch einen englischen Offizier darstellte, der Galen nicht von der „Allgemeinschuld“ der Deutschen überzeugen konnte.

Grossen Anteil am Gelingen der Aufführung hatten  Opern- und Extrachor einstudiert von Anton Tremmel. Das hörte man etwa bei sich steigernder Wiederholung der Worte aus Galens Predigt, nicht „Hammer sondern Amboß“ (der hält mehr aus!) wollten sie sein. Mächtig klang auch der Chor über den Psalm von der Zerstörung Jerusalems, mit dem die Luftangriffe und Zerstörung Münsters, wohl der Angriff am 10. Oktober 1943, beschrieben wurden. Ruinen ersetzten danach den Hintergrund des vorigen Bühnenbildes.

Passend für eine grosse Oper hatte die farbige (etwa auch mit Celesta), abwechslungsreiche, rhythmisch sehr markante (fünf Schlagzeuger) Musik Thorsten Schmid-Kapfenburgs entscheidenden Anteil am Erfolg des Abends. Da gab es „reine Musiknummern“ wie etwa zu Videos die „Reichspogromnacht“, es gab „Musik, die Stille ausdrückt“ oder während Galens Reise zur Ernennung zum Kardinal ein umfangreiches Zwischenspiel, in dem Trümmerfrauen eine schwarz-rot-goldene Fahne über das am Boden liegende Hakenkreuz legten. Teile von Galens Rede nach der Kardinals-Ernennung wurden als O-Ton eingespielt von Musik unterbrochen. Zwei Akkorde waren Galen zugeordnet, für Nazis gab es - wohl ironisch gemeint - eine von ihnen doch gehaßte 12-Ton-Reihe. Auch Klappern von Schreibmaschinen-Tasten wurde in die Musik integriert.

Viele instrumentale Soli erfreuten Ohren der Zuhörer, vor allem der Streicher und Holzbläser, aber auch mächtige Trompetenschläge und runde Hörnerklänge waren zu hören, letztere etwa bei einer kurzen Jagdszene zu Beginn der Oper. Als Kapellmeister am Theater Münster kannte der Komponist die Stärken einzelner Musikerinnen und Musiker.

 

 

Dies alles ließ GMD Golo Berg deutlich hörbar zum Ausdruck kommen und koordinierte wie gewohnt exakt und überlegen das musikalische Geschehen.

Das - soweit Corona-bedingt möglich - zahlreiche Publikum zeigte sich ergriffen und applaudierte dann herzlich und anhaltend, vor allem natürlich dem anwesenden Komponisten.

Ursprünglich kam die Anregung zu dieser Oper von GMD Berg, ermöglicht hatte sie Intendant Dr. Ulrich Peters. Für ihn gibt es zur Zeit am Theater ein „Abschiedsfestival“, in dessen Rahmen mit dieser Aufführung sein Abschied vom Opernensemble stattfand.

Es wäre zu wünschen, dass diese Oper an anderen Bühnen nachgespielt wird, insbesondere an solchen mit Bischofssitz, deren damalige Amtsinhaber mehr oder weniger brav mitgemacht haben. Auch eine Video-Aufzeichnung könnte veröffentlicht werden.

Sigi Brockmann 25. Juni 2022

Fotos Oliver Berg

 

 

Besuchte Premiere am 24.04.2022

Künneke

Der Vetter aus Dingsda

werkgetreu inszeniert

Premiere 19. März 2022 - besuchte Aufführung 8. April 2022

 

Am Theater Münster wurde - Corona-geschuldet – in dieser Spielzeit bisher keine Oper aufgeführt, auch das letzte Projekt, Mozart´s „Idomeneo“, wurde aus diesem Grunde abgesagt. Stattdessen wurde Bernstein´s komische Operette „Candide“ wiederum Corona-bedingt in einer gelungenen halbszenischen Aufführung gezeigt – wir berichteten darüber.

 

 

Als weiteren „Komische Oper - Ersatz“ gab es nun „Der Vetter aus Dingsda“ von Eduard Künneke auf den Text von Hermann Haller und Rideamus (Fritz Oliven) Eingängige Melodien, geistreiche Ensembles, spätromantisch anmutende Harmonien und Instrumentation, mit denen Künneke die zeitgenössischen Tanzrhythmen wie etwa Tango, Valse-Boston, Onestep, Foxtrott, Paso-doble teilweise veredelte, auch Zitate aus früheren Musiknummern als „Erinnerungsmotive“ verwendet, dies alles zeigt zu aller komischen Leichtigkeit kompositorische Meisterschaft. 

Komische Verwechslungen regt schon der Inhalt an, den man kaum ernst nehmen kann.. Ob nun der richtige Roderich der falsche August ist oder umgekehrt kann man nur mit einem Lied der Operette beschreiben „Kindchen, du mußt nicht so viel denken“ – jedenfalls gibt es ein sentimentales Paar mit Julia de Weert und einem Tenor und ein eher heiteres mit ihrer Freundin Hannchen und einem weiteren Tenor. Komische Charaktere sind auch der aufs reiche Erbe seines Mündels Julia versessene und verfressene Onkel Josse (eigentlich Josef Kuhbrot) – solche Mitgiftjäger kennen wir aus mancher komischen Oper – und seine Frau Wimpel.

Bedingt durch Corona-Isolation des eigentlich vorgesehenen Dirigenten hatte die musikalische Leitung dieser Vorstellung Justus Thorau als Gast vom Saarländischen Staatstheater übernommen. Zugleich war es die letzte Münsteraner Inszenierung des inzwischen zum Intendanten des Badischen Staatstheaters aufgestiegenen Ulrich Peters.

 

 

Erfreulichen Anblick bot schon das Bühnenbild von Bernd Franke, eine Terrasse vor einer riesigen Eiche, die auch als Schlußbild von Verdi´s „Falstaff“ gepaßt hätte. Sie wurde links begrenzt durch die Fassade einer schloßähnlichen Villa, rechts durch die eines Gartenhauses – fürwahr ein vornehmes Anwesen „de Weert“, eben kein mit Neonröhren erhellter Holzfußboden, wie wir es ja heute manchmal ertragen müssen. Auch Gewitter und Regen wurden naturalistisch dargestellt – „der Himmel und die Weiber haben ihre Mucken“ wie es im Text heißt. Die Kostüme von Bernard Niechotz waren nicht häßliche Alltagsklamotten, sondern entsprachen etwas exzentrisch dem Stil der Entstehungszeit der Operette, mit Ausnahme von Onkel Josse und seiner Frau Wimpel, die altmodischer gekleidet waren.

In diesem Rahmen ließ der Regisseur die Handlung wie von den Autoren gewünscht ablaufen mit einigen witzigen Zutaten, etwa wenn einer der Diener seine Herrschaften mit Gewehr und Patronengürtel schützen wollte. Manchmal hätte man sich noch mehr tänzerische Beweglichkeit etwa im Sinne einer Musical-Aufführung auf der Bühne gewünscht. Dafür – und das galt besonders bei einem Gastdirigenten – konnte die Konzentration auf den Gesang um so grösser sein.

Da war zuerst zu nennen Tanja Kuhn als Julia. Mit schmachtend-lyrischem Legato glänzte sie etwa bei ihrer Sehnsuchs-Arie an den „strahlenden Mond“, der auch entsprechend auf der Bühne zu sehen war. Auch in den Ensembles und Orchesterbegleitung war sie stets hörbar und weitgehend textverständlich, Das galt etwas weniger für Kathrin Filip als ihre Freundin Hannchen, die mit etwas kleinerer Stimme aber durch ihr kesses Spiel für Begeisterung sorgte, etwa im Besen-Duett mit Julia.

 

 

In der eigentlichen Tenorpartie konnte Garrie Davislim sich stimmlich im Laufe der Vorstellung immer weiter steigern. Das Zauberschloß-Terzett mit den beiden Damen geriet zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends. Sein ohne falschen Schmelz aber mit lyrischem Legato gesungener „Wandergesell“ schloß er mit hohem p-Schlußton – der Szenenapplaus war verdient. Wie vielen Tenören bereiteten die tiefen Töne seiner Partie, etwa im „Batavia-Foxtrott“, ihm kleine Schwierigkeiten.

Gesanglich und schauspielerisch war Rainer Zaun als Onkel Josse eine Wucht. Das zeigte er etwa schon sofort zu Beginn, wie er Bordeaux, Fricandeau und Salat in sich hereinstopfte und bei markanter Orchesterbegleitung zwischendurch kurze Bemerkungen mit volltönender Stimme textverständlich singen konnte. Seine Frau Wimpel hat sich zumeist damit zu begnügen, ihm zuzustimmen. Das gelang Suzanne McLeod  stimmlich und mit ihrer bekannten grossen Bühnenpräsenz eindrucksvoll. Begeistern konnte der aus Wien stammende Andreas Sauerzapf  als Gast von der Staatsoperette Dresden in der Rolle von Julias tolpatschigem Verehrer Egon von Wildenhagen. Sein Spiel war komisch aber nicht lächerlich, manchmal fast mitleiderregend. Stimmlich erfüllte er alle Wünsche an die Partie, sodaß etwa das Terzett mit Julia und Hannchen über die Qualen der Ehe ein musikalischer Höhepunkt war. Die beiden Diener gespielt und gesungen von Lars Hübel und Christian-Kai Sander komplettierten mal vornehm mal als Gärtner gekleidet das Gesangsteam, sodaß etwa das Ensemble beim Frühstück des „Wandergesells“ eine Delikatesse auch für den Zuhörer wurde. Die kurze Rolle des zweiten Fremden übernahm David Zimmer – er  konnte etwa im Duett mit Hannchen schon damals die Freuden des Autofahrens besingen.

 

 

 

In dessen Orchesterbegleitung wird der Ton der Autohupe musikalisch verarbeitet, was wiederum das Niveau der Musik und des Sinfonieorchesters Münster bestätigte. Dessen Qualität zeigte sich auch bei einzelnen Instrumentalsoli, etwa der Violine, des Horns beim Auftritt des „Wandergesells“, oder dem impressionistischen Klang der Harfe mit Celesta und Holzbläsern beim „Zauberreich“ 

Gastdirigent Justus Thorau leitete das ja teilweise rhythmisch vertrackte musikalische Geschehen exakt und überlegen, ließ auch im Tempo genügend Raum für die sentimentalen Orchesterklänge. Applaus der Sängerinnen und Sänger für ihn .zum Schluß bestätigte dies. Eine Flagge der Ukraine wurde als Zeichen des Mitgefühls auch gezeigt.

Betreffend das nicht sehr zahlreiche und zum grossen Teil ältere Publikum im Theater wäre von denen für diese musikalisch und szenisch eingängige Aufführung länger andauernder und intensiverer Beifall verdient gewesen.

 

Sigi Brockmann 9. April 2022

 

Fotos Oliver Berg

 

 

Candide

komische Operette von Leonard Bernstein

Familie und Gärtnern als bestmöglichstes Glück?

Premiere 4. September 2021

besuchte Vorstellung 19. September 2021

 

Münster und Westfalen sind weithin bekannt als Orte von Kriminalromanen und -filmen. Es spielen dort aber auch einige wenige Werke des Theaters, am bekanntesten Meyerbeer´s „Prophet“, eine grosse Oper über die Herrschaft der Wiedertäufer im 16. Jahrhundert, mit der etwa Wolfgang Quetes 2004 seine Intendanz begann. Zum Abschluß der Intendanz von Dr. Peters wurde jetzt aufgeführt die „comic operetta“ von Leonard Bernstein „Candide“ mit den Gesangstexten von R. Wilbur, S. Sondheim u.a. Diese beginnt in Westfalen entsprechend der als Vorlage dienenden Novelle aus dem Jahre 1759 „Candide oder der Optimismus“ von Voltaire, der einmal von „la sale province de Westphalie“ (dreckige Provinz Westfalen) spricht, dort im fiktiven Schloß-Thunder-ten-tronckh, das sich dadurch auszeichnete, dass es über ein Tor und Fenster verfügte.

 

 

Unter dem Pseudonym Dr. Ralph widerlegt Voltaire in satirischer überspitzter Weise die Lehre des Philosophen Leibniz, weil Gott gut sei, müßte die von ihm erschaffene Welt auch die beste aller möglichen Welten sein.

In besagtem Schloß vertritt Dr. Pangloss die Meinung von Leibniz vor allem gegenüber seinem Zögling Candide, einem nicht ganz so adeligen Neffen des Barons. Als dieser Cunegonde, die eheliche Tochter des Grafen, küssen will, wird er aus dem Schloß vertrieben. Dies wird von bulgarischen Soldaten zerstört (7-jähriger Krieg), Baronin und Baron getötet und Cunegonde vergewaltigt. Von da an wird Candide durch die Welt von einem Unglück zum nächsten getrieben. Vor Lissabon erleidet er zusammen mit Dr. Pangloss Schiffbruch. Als sie an Land schwimmen, werden sie für das Erdbeben verantwortlich gemacht und sollen in einem Autodafé verbrannt werden. Eine Alte mit abenteuerlicher Vergangenheit rettet ihn. Er trifft Cunegonde als Halbweltdame in Paris wieder, flieht mit ihr nach Argentinien,, wo sie vergeblich auf eine Heirat mit dem Gouverneur wartet. Candide kommt zu den Jesuiten nach Paraguay, die die Ureinwohner auch mit Gewalt zum wahren Glauben bekehren, muß wieder fliehen, findet dann Eldorado, das er aber mit viel Gold wieder verläßt, um Cunegonde zu suchen. Auf der Reise verliert er seinen Reichtum bei einem vom Reeder veranlaßten Schiffsuntergang und lernt den Philosophen Martin kennen, einen Pessimisten (das Leben ist schlecht) – also das genaue Gegenteil von Pangloss. Er kommt nach Venedig, wo er alle als betrügerische Glücksspieler wiedertrifft. Sie kommen zu dem Schluß, das Leben so zu nehmen wie es ist.

Die Schauplätze der Handlung und aktuelle Anspielungen darauf wurden in Münster als Programmheft in einer satirischen Ausgabe der örtlichen „Westfälischen Nachrichten“ dargestellt mit Titeln etwa „Inquisitoren stehen vor einem Rätsel“, weil trotz Verbrennung der angeblich Schuldigen das Erdbeben in Lissabon nicht endet, oder  dem erneuten Ausbruch der Blattern-Seuche (wird man trotz Quarantäne auf ewig mit der Seuche leben müssen?)

 

 

Angekündigt war eine konzertante Aufführung, es wurde weit mehr als das, nicht nur, weil die Mitwirkenden beweglich die Handlung andeuteten. Vielmehr projezierten als Live-Illustration auf eine grosse Leinwand Robert Nippoldt und seine Assistentin Saskia Kunze passend jeweils zur Handlung witzige Schrifttafeln, zeichneten mit Filzstift auf Landkarten die Reiserouten und malten satirische übertriebene Bilder der jeweils Beteiligten. Dies und die von Loriot für eine Aufführung in München verfassten die Handlung erklärenden Zwischentexte, vorgetragen in dessen Manier von Meinhard Zanger, sorgten für gute Laune und Lacher im Publikum.

Musikalisch stellt Bernstein hohe Anforderungen, besonders wenn er grosse europäische Opern karikiert- Cunegonde hat sogar ein wiederkehrendes Leitmotiv. Dies gilt auch und vor allem betreffend Gesang. In der Titelpartie hörte man etwa von Garrie Davislim mit lyrischem gefühlvollem Tenor meditierende Arien über das ach so schöne Leben, besonders eindringlich im ersten Akt die Klage über den vermeintlichen Tod Cunigundes. Davor, im „Liebesduett“ mit Cunegonde „oh, happy we“, in dem beide ihre völlig gegensätzlichen Wünsche an das Leben – Bauernhof oder Luxusleben – ausdrücken, gelangen stimmlich exakt die vertrackten gegensätzlichen Rhythmen. Als Cunegonde überzeugte Marielle Murphy in ihrer grossen Arie „Glitter and be gay“ zwar mit Darstellung der gegensätzlichen Gefühle zwischen Selbstmitleid als ausgehaltener Halbweltdame und ihrer Freude am dadurch möglichen Luxus, aber die heiklen grossen Stimmumfang erfordernden Koloraturen auf der Silbe „ha“ bereiteten Schwierigkeiten und in den Spitzentönen forcierte sie übermässig.

 

 

Gregor Dalal als Pangloss zeigte stimmlich alle Facetten dieses Optimisten, vielleicht besonders komisch, als der den Weg des Virus seiner Geschlechtskrankheit durch Generationen und Länder von Männern zu Frauen und umgekehrt bis hin zur Kammerzofe Paquette (quirlig und beweglich singend Kathrin Filip) und ihm selbst vorstellte und als manchmal vorkommenden Preis für Liebesgenuß in Kauf zu nehmen empfahl. Ganz gegenteilig überzeugte er auch als pessimistischer Philosoph Martin.

 Als „komische Alte“ erfreute Nana Dzidziguri mit markantem Mezzo, etwa bei „I am easily assimilated“   - als Tango eines der Hits des Stücks - in verschiedenen Sprachen mit der Schilderung ihrer Anpassungsfähigkeit. Mit gut geführtem Bariton überzeugte Jonas Böhm als Cunegondes eingebildeter selbstverliebter Bruder Maximilian. Er sang zudem weitere kleinere Rollen ebenso wie sie Mark Watson Williams und Valmar Saar übernahmen.

Grossen Anteil am Erfolg der Aufführung hatte auch der - Corona-bedingt - links im obersten Rang singende Opernchor einstudiert und dort geleitet von Boris Cepeda.  Teils fast ohne teils mit grosser Orchesterbegleitung, etwa als jubelnde Menge beim Autodafé, klappte die Abstimmung mit dem hinten auf der Bühne platzierten Orchester trotz der grossen Entfernung erstaunlich gut.

Aus Bernstein´s „Candide“ ist populär vor allem die Ouvertüre schmissig musikalische Themen vorwegnehmend. Hier brauchte es etwas Zeit, bis das Sinfonieorchester unter Leitung von Stefan Veselka den dazu passenden mitreissenden Schwung hören liess. Danach gelang passend zur Handlung die musikalische Darstellung etwa des Schlachtengetümmels oder des Autodafés mit dem Donner-Motiv aus Wagners „Rheingold“ Ganz grosse musikalische Karikatur erfreute beim Trio der sich langweilenden auf Einhaltung des Eheversprechens wartenden Cunigonde, der Alten und den Zwischenrufen „Ruhig“ (Quiet) des argentinischen Gouverneurs die öde Zwölftonmusik nachahmende Orchesterbegleitung.   Überhaupt klappten die teils komplizierten Ensembles gut, als Beispiel etwa das Quartett zu Ende des ersten Aktes.

 

 

Resigniert wünschen sich alle Mitwirkenden im Schlußgesang in getragenem C-Dur ein Haus zu bauen und den Garten zu pflegen (make our garden grow), wobei auf der Leinwand Strichzeichnungen von Mama, Papa und Kind zu sehen warem. Auch dieses Idyll wird durch die letzte Bemerkung des Erzählers „Noch Fragen?“ als Utopie entlarvt.

Das corona-bedingt auf Abstand sitzende Publikum – vor allem Gäste eingeladen vom Oberbürgermeister Lewe – spendete reichlich Beifall, auch rhythmisch, am meisten zu Recht für   Verfasser und Verfasserin der Live-Zeichnungen.

 

Sigi Brockmann, 20. September 2021

Fotos (c) Oliver Berg

 

 

 

Philip Glass

Der Untergang des Hauses Usher

mit veränderter Handlung

Premiere 1. Februar 2020

 

Unter den Horror-Erzählungen von Edgar Allan Poe nimmt The Fall of the House of Usher (Der Untergang des Hauses Usher oder, wie Arno Schmidt lautmalerisch übersetzt, des Hauses Ascher) insofern eine besondere Stellung ein, daß schon in ihrem Motto (eine Laute klingt wie ein schlagendes Herz) und auch später immer wieder Musik erwähnt wird. Vielleicht auch deshalb gab sie Anregung für Opernkompositionen. Claude Debussy hinterließ La chute de la maison Usher unvollendet. Philip Glass vollendete seine Oper in zwei Akten auf ein Libretto von Arthur Yorick – mit 90 Minuten kurz im Vergleich zu seinen anderen Bühnenwerken - und brachte sie 1988 in den USA (Cambridge Massachusetts) zur Uraufführung.

Am Theater Münster war am vergangenen Samstag Premiere in der deutschen Fassung von Saskia M. Wesnigk unter der musikalischen Leitung von Stefan Veselka in der Inszenierung von Sebastian Ritschel, der die bekannte Handlung völlig veränderte und diese veränderte Handlung auch als Inhaltsangabe im Programmheft veröffentlichte, inzwischen üblich im sogenannten Regietheater..

Eigentlich wird der Ich-erzähler in Poe´s Novelle – in der Oper William geheissen – brieflich dringend zu seinem intimen Jugendfreund und Zechbruder Roderick Usher gerufen. Letzterer, degenerierter letzter Sproß eines alten Geschlechts, lebt geistig überspannt zusammen mit seiner Schwester Madeline in dem von einem modernden Teich umgebenen verfallenden Familiensitz. Die an Katalepsie (Starrsucht) erkrankte Madeline wird nach ihrem augenscheinlichen Tod von den beiden Männern wohl noch lebend im unterirdischen Verlies begraben, gelangt zurück in das düstere Zimmer ihres Bruders, den sie mit sich in den Tod reißt. Auf seiner Flucht sieht William, wie das uralte Gemäuer zusammenbricht und im Schlamm versinkt.

Dieses verfallende Haus als Zeichen des gestigen Verfalls von Roderick ahnte man zu Beginn auf der Bühne, während Teile des Bittbriefs von Roderick vorgetragen wurden. (dabei als Stimme Joachim Foerster) Dann wurde alles anders, denn der Regisseur wollte nach eigener Aussage "nicht die Musik platt bebildern" Vielmehr verwandelte sich durch Drehung die gesamte Bühnenmitte (Bühne ebenfalls von Sebastian Ritschel unter Mitarbeit von Sophia Debus) in eine riesige Maske, die wie die gesamte Handlung durch Spiegel als Bühnenboden und an den Seiten albtraumhaft verdoppelt wurde.

Diese Maske fertigte Roderick als Kunstwerk an, mit dem er die Schwester Madeline irgendwie wieder in sein Leben zurückrufen wollte. Er und der herbeigerufenen William fühlten sich nämlich mitschuldig, daß Madeline - nach Meinung des Regisseurs - im Alter von neun Jahren bei einem Brand ums Leben kam.

Der Wahnsinn von Roderick äusserte sich dadurch, daß er für die Aussenhaut dieser Maske Häute ermordeter Frauen benutzte. Wie mehrmals während der langen Orchesterzwischenspiele wieder durch Drehung der grossen Maske auf deren Rückseite in einem Operationszimmer zu sehen war, tötete der Arzt (in einer sängerisch kleineren Rolle Pascal Herington) diese Frauen mittels Spritze und zog ihnen Haut ab. Der Diener (in einer sängerisch noch kleineren Rolle Christoph Stegemann) schob diese dann auch immer wieder in einer Art Laborwagen über die Bühne. Diese im Programmheft als Opfer bezeichneten jungen maskierten Frauen sah man zwischendurch in unterschiedlichen aber für alle gleichen Kostümen und Masken (auch Sebastian Ritschel) wechselnd etwa zwischen Abendgarderobe und liegend als nackte Opfer auf der Bühne Als William dem Roderick eine Spieluhr in Form eines Totenkopfes als Erinnerung an die gemeinsame Kindheit überreichte, traten William, Roderick und Madeline dann im Rückblick als Jugendliche auf die Bühne, bei modernen Regisseuren heute üblich, wir sahen es noch neulich im Lohengrin in Dortmund.

Zum Schluß tritt ja eigentlich Madeline der Gruft entkommend wieder auf. Hier sahen wir sie sowohl mit verbundenen Brandverletzungen und zum Schluß wohl dem Wahn Rodericks als Vollendung seines Kunstwerks entsprungen in goldenem Ganzkörpergewand mit langer Schleppe. Sängerisch beschränkt sich die Partie auf Vokalisen. Besonders zum Schluß gelangen diese Marielle Murphy durchdringend mit bis zu hohen Tönen leuchtendem Sopran ohne falsches Vibrato. Stimmlich bewältigten auch Youn-Seong Shim die Tenorpartie des Roderick und Filippo Bettoschi  die Bariton-Partie des William in der Art überhöhten Sprechgesangs mit kräftigen Stimmen sehr passend zu den extremen Rollen und weitgehend textverständlich. Die Übertitel waren eigentlich nur notwendig, wenn sie im Duett oder zusammen mit Madeline zu dritt sangen.

Hier mußten sie ansingen gegen das im Vergleich zu anderen Opern von Glass klein-besetzte (zwölf Musiker) aber elektronisch verstärkte Sinfonieorchester Münster. Das war schon nötig, da dazu etwa synthesizer und eine E-Gitarre gehörten - in Poe´s Erzählung spielt Roderick Gitarre. Das klang, wie die minimal music von Glass eben klingt, dauernde Wiederholung derselben Akkorde und Melodiestückchen. mit kleinen Änderungen. Da ist es der musikalischen Leitung von Stefan Veselka zu danken, daß auch vorhandene Wechsel der Klangfarben besonders in den langen Zwischenspielen hörbar wurden und das Zusammenwirken mit den Sängern und dem irrealen Bühnengeschehen klappte.

Grosse Teile des Premierenpublikums störte offenbar die Diskrepanz zwischen dem Inhalt von Poe´s Novelle und der erlebten Aufführung nicht. Es gab kräftigen Beifall für Sänger, den Dirigenten und sein Orchester, die so sehr geforderten Statisten und auch für das Leitungsteam.

 

Sigi Brockmann 3. Februar 2020

Fotos Oliver Berg

 

 

ANATEVKA

Premiere 14. Dezember 2019

Ein gelungener Musical-Abend

Söhne von Getreidehändlern haben manchmal eine künstlerische Ader, solche Söhne waren etwa in Deutschland der aus Münster stammende Kunsthändler Alfred Flechtheim oder, aus der Ukraine stammend, Salomon Rabbinowicz, der zwar durch Fehlspekulationen in den USA 1890 Bankrott machte, unter dem Namen Sholem Alejchem aber ein erfolgreicher Schriftsteller wurde. In seinen Kurzgeschichten und Romanen schilderte er das Leben im osteuropäischen jüdischen Schtetl vor etwas mehr als 100 Jahren liebe- und verständnisvoll, einer Lebensform, die dank russischer Vertreibungspolitik Ende des 19. und Anfang des 20.Jahrhundert untergegangen ist. Höchsten Bekanntheitsgrad erreichte seine Episoden-Sammlung „Tevje der Milchmann“, weil aus ihm die Handlung des erfolgreichen Musicals „Anatevka“ entnommen ist, im Original-Titel heißt es „Fiddler on the Roof“ (Fiedler auf dem Dach angeregt durch Gemälde von Chagall) . Um ein solches Stück erfolgreich für den Broadway zu verfassen, müssen gleich mehrere Autoren tätig werden, hier Joseph Stein für das Buch, Sheldon Harnick für die Liedtexte und Jerry Bock für die Musik. Am vergangenen Samstag hatte das schon klassische Musical in deutscher Fassung von Rolf Merz und Gerhard Hagen im Theater Münster Premiere unter der musikalischen Leitung von Stefan Veselka.

Die gesamte Handlung spielte auf einem freien Platz, der nach hinten durch einen Rundhorizont begrenzt wurde und durch vorgeschobene Holzwände verengt werden konnte. Seitlich wurde die Bühne ebenfalls durch durchsichtige Holzwände begrenzt, die Häusern ähnelten, (Bühne Bernhard Niechotz). Für die Szenen innerhalb etwa von Tevje´s Haus konnte die Rückwand verdunkelt, für die Sabbatfeier mit Glühbirnen etwas kitschig dekoriert werden. Für Tevje´s Traumszene gab es magische Beleuchtung. Die häufigen Szenenwechsel wurden durch Hereinfahren von Tischen, vor allem von Stühlen und für die Traumszene durch das Ehebett angedeutet.

In diesem Rahmen ließ Regisseurin Nilufar K. Münzing die Handlung den Erwartungen des Publikums entsprechend sich entwickeln, eben neben den familiären Beziehungskisten auch die dauernde Bedrohung der Juden durch die Staatsgewalt. Ebenfalls entsprachen die Kostüme (auch Bernhard Niechotz) dem gewohnten osteuropäisch-jüdischem Milieu, wobei diese erst während des Vorspiels von den Mitwirkenden angelegt und zum bitteren Ende wieder abgelegt wurden - Anatevka und seine im Eingang gepriesene Tradition  nur zeitlich begrenzte Episode!

Entscheidend für den Erfolg des Stückes ist der Darsteller des Milchmanns Tevje – hier konnte Gregor Dalal mit durch Operngesang erfahrenem Bariton alle szenischen und stimmlichen Erwartungen erfüllen, sowohl in nachdenklichem p als auch Chor und Orchester übertönend im f. Tongenau und geläufig gelang ihm der Hit „Wenn ich einmal reich wär“ mit den auf- und absteigenden Fülltönen und sogar Nachahmung von schreiendem Mastgeflügel. Ganz überflüssig wurde er hier pantomimisch durch einen Tänzer mit Hahnenkopf begleitet - das sollte wohl auch an Chagall erinnern. Ganz innig und ein wenig sentimental sang er die Chava-Sequenz  über die an einen Christen verlorene jüngste Tochter Auch die gegensätzlichen Argumente einerseits – andererseits oder im Fall von Tochter Chava kein andererseits sowie die verschmitzten Gesprächen mit seinem Herrgott machten nachvollziehbar sein Bemühen deutlich, gesellschaftliche Veränderungen weg von der Tradition zu verstehen.

Glück hatte Münster mit den Darstellerinnen der drei jeweils den nach Ansicht des Vaters falschen Mann heiratenden Damen, alle Opernsängerinnen, was der musikalischen Seite sehr zu Gute kam. So wurde das anfängliche Terzett über baldiges oder späteres Heiraten von Melanie Spitau als Zeitel, Kathrin Filip als Hodel und Finn Samira als Chava zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends. Später spielten alle ihre Rolle als gegen väterlichen Rat Liebende eindrucksvoll. Hodel beeindruckte zum Schluß noch besonders durch ihr Abschiedslied von der Heimat, als sie dem Geliebten ins ferne Sibirien folgte.

Suzanne McLeod beeindruckte wie gewohnt durch perfektes Spiel und grosse Bühnenpräsenz als Tevje´s langjährige resolute Ehe- und Hausfrau Golde. Auch sängerisch konnte sie beeindrucken, sodaß die melancholischen Duette mit Tevje über Erinnerung an die Kindheit der jetzt heiratenden Tochter oder über ihre lange Beziehung Ist es Liebe? zu weiteren Höhepunkten des Abends wurden.

Von den drei von Tevje zunächst ungeliebten Ehemännern beeindruckte Pascal Herington szenisch als Schneider Mottel und besonders stimmlich beim Agitato des Wunder o Wunder , das er zudem noch zum Bühnenhimmel aufschwebend singen mußte. Zusätzlich sang er komisch den Geist der Oma Zeitel in der Traumszene. Emil Schwarz als Revoluzzer Perchik und Patrick Kramer als christlicher Fedja beeindruckten besonders durch gelungenes Spiel. Mit raumfüllendem Bass sang Christoph Stegemann Zeitels abgewiesenen Ehekanditaten, den Fleischer Lazar Wolf, sodaß das Alkohol bedingte Zum-Wohl – Duett mit Tevje ein heiterer musikalischer Höhepunkt wurde.

Alle anderen der über zwanzig Partien waren passend besetzt, wobei Barbara Wuster als Heiratsvermittlerin Jente und als keifende wild lachende verstorbene Witwe Lazars Wolfs in der Traumszene einen heiteren Akzent setzte.

Bei Zeitels Hochzeitsfeier erhielt das Tanzensemble mit dem Flaschentanz wie üblich Extra- Applaus sie tanzen mit Flaschen auf ihren Zylindern, die trotz immer feurigere Tanzrythmen nicht herunterfallen.(Choreografie Jason Franklin)

Solide wie gewohnt sangen Chor und Extrachor einstudiert von Joseph Feigl,  wobei der Herrenchor in der Zum Wohl – Szene exakt aber ausgelassen klang, und der gesamte Chor als Zombies kostümiert in der Traum-Szene erschreckt schreiend komisch unheimlich wirkte.

Stefan Veselka begleitete mit dem Sinfonieorchester Münster rhythmisch exakt, machte die für ein Musical ungewöhnlich abwechslungsreichen Orchesterfarben deutlich und zeigte Gespür für im Tempo sich steigernde schwungvolle Hochzeitstänze, oder gegensätzlich für melancholische Ritardandi. Auch sollen die Soli einzelner Instrumente gelobt werden, etwa die Flöte als Kontrapunkt zur Geige am Anfang, das Englisch-Horn zur Einleitung des Sabbatgebetes, exotisch die Celesta zu Tevje´s Traum oder das Akkordeon bei Hodels Abschiedslied.

Neben Tevje ist die zweite Hauptperson des Stücks der Titel-gebende Fiedler. Da es keine Dächer gab, spielte Konzertmeister Mihai Ionescu mal aus halber Höhe, mal als Silhouette im Hintergrund oder als Tevje´s Begleiter auf der Bühne – vom ersten Solo im Prolog bis zur Schlußszene einfühlsam melancholisch aber nie in weinerliches Vibrato verfallend. Sein Spiel entsprach dem Motto eines kürzlich erschienenen Buches über den jüdischen Komponisten Max Weinberg Juden, die ins Lied sich retten.

Da zum Schluß zu Recht die Pläne einzelner Bewohner betreffend Auswanderung weggelassen wurden, endete der Abend unter langsames Gehen andeutender Orchesterbegleitung mit dem resignierten Abschiedschor Anatevka unterbrochen von Erinnerungsrufen von Solisten.

Da brauchte es etwas Zeit, bis Beifall und Bravos des Publikums im ausverkauften Theater sich zur Begeisterung steigerten als Anerkennung besonders für die Darsteller der Hauptpartien, von Dirigent und Orchester, auch für das Leitungsteam . War der Abend im ersten Teil durch allzu viel bekannte Witzchen und jüdisches Zeremoniell vielleicht etwas langatmig, geriet er dafür im zweiten Teil umso konzentrierter. So war es nach allgemeiner Meinung ein gelungener Musical-Abend.

 

Sigi Brockmann 15. Dezember 2019

Fotos (c) Oliver Berg

 

 

 

Ein Maskenball

Pappkönige statt Masken  

Premiere am 14. September 2019

besuchte Aufführung am 22. September 2019

 

Im Gegensatz zu manchen früheren Opern Giuseppe Verdis entwickelt sich die Handlung des melodramma Un ballo in maschera (Ein Maskenball) konsequent und plausibel, wohl weil der Textdichter Antonio Somma sich auf ein Drama des theatererfahrenen Eugène Scribe bezog. Allgemein bekannt dürfte sein, daß darin König Gustav III. von Schweden als Titelheld genannt wurde und Verdi gezwungen durch Zensurbeamte die Handlung nach Boston verlegen mußte, sodaß nun kein König Gustav sondern ein Gouverneur Riccardo auf der Bühne ermordet wird.

In Münster versuchte Regisseur Marc Adam beides zu verknüpfen, indem ein Machthaber namens Riccardo seinen Hofstaat zwang, Scribe´s Drama über den theaterbegeisterten König Gustav auf einer dafür in seinem Arbeitsraum errichteten Bühne (Monica Gora)  aufzuführen und selbst dessen Rolle spielte – wieder einmal Theater auf dem Theater!

Trotz seiner Kürze mit dem u.a. vom Orchester unter Leitung von GMD Golo Berg exakt gespielten Fugato des Staccato-Themas der damit als rückwärtsgewandt charakterisierten Verschwörer wurde das Vorspiel damit bebildert, daß Riccardo links am Bühnenrand das Kostüm König Gustavs anlegte. Dieses legte er dort zum Schluß sterbend wieder ab. Damit starben in einem der dargestellte König und sein Darsteller. Diese Idee vom Theater auf dem Theater  blieb indes bis auf diese beiden Szenen beschränkt ohne Konsequenz für den Rest der Inszenierung, etwas Umkleiden und Blättern im Dramentext half da auch nicht viel weiter. Vielmehr wurde die Handlung ganz konventionell und manchmal mit viel Herumstehen fast langweilig dargestellt.

Bis auf Rokoko-Anklänge im Schlußbild waren Kostüme ebenso wie das Einheitsbühnenbild in ebenfalls langweiligem Schwarz bis Grau gehalten. Wahrsagerin Ulrica trat etwa zuerst auf auch in grauschwarz auf einem hohen Turm bewegungslos wie ein Götzenbild. Dämonische Züge erhielt ihre Szene weniger durch reichlich Bühnennebel als durch das kontrastreiche Orchestervorspiel   und den dunkel-timbrierten voluminösen Mezzo von Monica Walerowicz , hier besonders in der Beschwörungs-arie Redell´abisso (König des Abgrunds) bis hin zum ganz tiefen Ton bei silenzio. Der begleitende Damenchor war unter ihr wie in einem grossen Reifrock platziert.

Auch die unheimlich Friedhofsatmosphäre des zweiten Akts wurde mehr durch das Vorspiel des Orchesters als durch die vom Finale des ersten Akts übriggebliebenen jetzt als Grabsteine grauweiß geschminkten Chormitglieder beschworen.

Erfreulicher waren die Gesangsleistungen und da ist vor allem Filippo Bettoschi als Renato zu loben. Warmes Timbre und sorgfältige Phrasierung beim langsamen Tempo überzeugten gleich in seiner Freundschaftsarie für Riccardo Alla vita (Für dein Glück). Ebenso gelang schnelles Parlando gegen Ende des zweiten Akts. Gegensätzliche Stimmung zwischen wilden Rachegefühlen gegen Riccardo und traurige Erinnerung an die frühere Liebe zu Amelia drückte er stimmlich gekonnt aus in seiner grossen Arie im dritten Akt Eri tu (Nur du). Da auch die Verschwörer mit Christoph Stegemann als Tom und Gregor Dalal als Samuel passend besetzt waren, folgte ein wuchtiges Racheterzett.

Auch das verhinderte Liebespaar konnte sich hören (und auch sehen) lassen. Kristi Anna Isene als Amelia verfügte über die notwendige Stimmkraft gegenüber dem hier im Verhältnis zu Verdis früheren Opern stärkerem Orchester und dem Chor. Bei Spitzentönen glaubte sie manchmal forcieren zu müssen. Beeindrucken konnte sie besonders mit leiseren Tönen und langen Legatobögen, etwa in der Friedhofsarie zu Beginn des zweiten Akts hier auch mit passender Tiefe und dem grossen Stimmsprung bei miserere. Das galt noch mehr für ihre grosse Arie mit der Bitte, noch einmal ihren Sohn sehen zu dürfen, zu Beginn des dritten Akts, mit bewundernswerten p-Stellen und ohne Orchesterbegleitung getroffenen Spitzenton. Auch Garrie Davislim als Riccardo verfügte stimmlich vor allem über kräftige sichere Höhe und gefühlvolles Legato. Auch Leichtsinn gegenüber der Todesdrohung ausdrückende Passagen wie etwa das elegante E scherzo è folie (Nur Scherze sind´s) gelangen. So wurde das grosse Liebesduett im zweiten Akt zum Höhepunkt des Abends, auch im Wechsel von ff- und pp-Gesang, kulminierend im emotionalen Liebesaufschrei der beiden bei t´amo und irradiami.

Auch anders als in früheren Opern zeigt Verdi mit der Hosenrolle des Pagen Oscar heiteren Gegensatz zum üblichen tragischen Dreieck Tenor, Bariton und Sopran. Hiermit konnte besonders im zweiten Teil Marielle Murphy brillieren, so etwa mit Trillern und Staccato bei Ankündigung des Maskenballs im dritten Akt, wo sie sich parallel mit Amelia singend bis zu hohen Spitzentönen gegen die Verschwörer behauptete. Ebenso gelang während des Balls die Kanzone mit Gegensatz zwischen ironischem Legato und kecken Staccato-Koloraturen.

Aufhorchen ließ in der kleinen Partie des Silvano Valmar Saar mit gut geführtem Bariton.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnten Chor und Extrachor in der Einstudierung von Joseph Feigl mit rhythmisch exaktem Gesang im zweiten Akt überzeugen. Auch das schnelle vivacissimo des Finales gelang. Hier war der Chor, in bunten Kostümen schreitend (Pascale-Sabine Chevroton), nicht etwa maskiert, sondern die Chormitglieder versteckten sich hinter mannsgrossen Pappbildern des Königs, sodaß Renato ohne die Auskunft Oscars nicht hätte wissen können, wer Pappkönig und wer der echte König war, den er ermorden wollte. 

Ganz hinten oben im Schlußbild thronte Ulrica jetzt ganz in weiß. Zwecks Erfolgskontrolle ihrer Prophezeiung sah man sie dann zum Schluß beim sterbenden Riccardo.

Wie schon angedeutet gingen die melodischen, rhythmischen und emotionalen Impulse vom Sinfonieorchester Münster unter Leitung von GMD Golo Berg aus. Seine Tempi entsprachen wohl den von Verdi selbst festgelegten Metronom-Angaben. Zu bewundern waren Soli einzelner Instrumente, so des Englisch Horn bei Amelias Friedhofsarie, des Cello bei ihrer Arie im letzten Akt, von Flöte und Harfe beim kantablen Mittelteil von Renatos Arie oder der Klarinette bei Riccardos letzten Worten.

Das Publikum spendete wenig Szenenapplaus, dafür war der Beifall nachher einschließlich Bravos umso kräftiger. Es war auch kein übliches zahlendes Publikum, sondern der Oberbürgermeister hatte wie jedes Jahr einmal Honoratioren aus Münster und Umgebung eingeladen, die das Parkett und den ersten Rang füllten. In seiner Begrüssungsrede ging es vor allem um den Neubau eines Konzertsaales mit Musik- und Musikhochschule, die unter dem Namen Musikcampus zusammen mit der Universität ausserhalb der Stadt gebaut werden soll, obwohl in der Nähe des Theaters ein passendes Grundstück verfügbar wäre.

 

Sigi Brockmann, 23. September 2019

Fotos Oliver Berg

 

 

 

Die Entführung aus dem Serail

Premiere 18. Mai 2019

Heute mal: Die Entführung aus  der Beziehungskiste

Am vergangenen Samstag war am Theater Münster wieder Premiere eines Bühnenwerks von Mozart, dem Singspiel Die Entführung aus dem Serail auf ein Libretto frei nach C. F. Bretzner bearbeitet von J. G. Stephanie d. J. Die musikalische Leitung hatte dieses Mal Stefan Veselka. Im Gegensatz zum veralberten Don Giovanni fast genau vor einem Jahr deutete Regisseur Philipp Kochheim das bekannte Singspiel sehr ernsthaft um.

 Langjährigen westfälischen Opernbesuchern ist er noch vom Opernhaus Dortmund während der Intendanz von John Dew u.a. bekannt durch seine Mitwirkung an einer Oper über Willy Brandt und an einer über R. Wallenberg, dem Retter ungarischer Juden vom Holocaust. Inzwischen ist Kochheim Intendant der Dänischen National Oper (den Jyske Opera) Aarhus, die auch diese Inszenierung übernimmt.

Erfreulicherweise blieb dem Zuschauer erspart, daß das zur Zeit Mozarts beliebte für orientalisch gehaltene dekorative Flair von Schauplatz und einzelner Musik-Nummern (Türkenmusik) aktualisiert  wurde zur  Darstellung von islamischer Clan-Herrschaft in Großstadt-Vierteln oder brutaler Mißhandlung von Geiseln etwa durch den IS. Allerdings mußte man sich nach der Pause über Lautsprecher Teile einer Rede von President Trump über Einwanderung aus Mexiko in die USA anhören – weder passend zur Inszenierung noch erst recht nicht zu Mozarts Singspiel.

Aktualisiert wurde ganz anders, was im Programmheft ausführlich durch ungewohnte Interpretation der Handlung verdeutlicht wird. So stellte die Bühne von Emily Bates anstelle orientalischer Pracht eine moderne Eingangshalle mit kalten Betonwänden dar, geschmückt u.a. mit moderner Kunst, etwa. Giacometti´s Nase oder ein wie bei Yves Klein übliches blaues Gemälde. Diese wurden im Laufe der Handlung immer wieder beschädigt, die Bühnenbildnerin bezeichnet sich ja auch als performance designer. Den Mittelpunkt bildete ein vielfach nutzbares grosses Sofa, dahinter ein Wasserbecken, das im ersten Akt von den Sängern aus unerfindlichen Gründen zum Planschen genutzt wurde.

In diesem Rahmen wurden dargestellt Zuneigung und Liebe der beiden Frauen schwankend zwischen den um sie werbenden Männern, also Konstanze zwischen ihrem armen früheren Verlobten Belmonte und dem reichen Bassa Selim, bei dem sie wohnte, sowie Blonde zwischen Pedrillo und Sicherheitschef Osmin, dies nur möglich in heutigen Kostümen (Mathilde Grebot)  Auf den Einsatz des Chors wurde verzichtet, nicht aber auf die für ihn bestimmte Musik. (Sparmaßnahme?) Es wurden neue Dialoge erarbeitet. Da hörte man wie heute üblich moderne Kraftausdrücke, z.B. Klugscheisser . Teile dieser neuen Dialoge wurden vor allem im ersten Akt auf Englisch gesprochen, vielleicht, weil die Darstellerin der Konstanze einen starken englischen Akzent hatte, wenn sie Deutsch sprach. Folgerichtig hatte der Bassa natürlich keine Möglichkeit, durch physischen Druck Konstanze zu halten.Er konnte nur versuchen, sie in Art eines goldenen Käfigs (Serail) an sich zu binden, einmal durch Singen eines englischen Schmachtfetzens (natürlich nicht von Mozart!) vor allem aber durch Möglichkeit luxuriösen Konsums, angedeutet wurden Luxus-shopping oder Bestellung von teurem candle-light-dinner. Dabei gescheitert konnte er zum Schluß dann nur noch Osmin mitzuteilen, daß die vier gehen wollten. Da es in dieser Fassung nichts zu verzeihen gab, wirkten die Danksagungen des Vaudeville  übertrieben..

Musikalische Glanzpunkte ließ Youn-Seong Shim als Belmonte hören. In seiner zweiten Arie ließ er ausdrucksvoll sein Herz klopfen,  betonte er, übertrieb aber nicht die feurigen sforzati, hielt ohne falsches Vibrato die langen Töne und sang sorgfältig die Koloraturen. Letzteres galt noch mehr für den grossen stimmlichen Sprung mit folgenden Koloraturen am Ende des Adagio-Teils der Arie Wenn der Freude Tränen fliessen.

Marielle Murphy als seiner geliebten Konstanze lag vor allem die lyrische Arie über ihr trauriges Los. Für die Koloraturen verfügte sie über die passende Höhe und dort stimmliche Beweglichkeit, etwas Schwierigkeiten bereiteten tiefe Töne und dadurch die grossen Stimmsprünge. Beim schwersten Stück ihrer Partie, der Martern-Arie, wurde ihr das Singen zusätzlich dadurch erschwert, daß Bassa Selim alle möglichen Kleidungsstücke und lärmend Schuhe in ihre Richtung warf – schlimme Regie ohne Rücksicht auf die Musik! Vom Staatstheater Oldenburg kommend spielte und sang Martha Eason keck mit passendem Timbre die Partie der Blonde. Vor allem die Andante grazioso – Arie Durch Zärtlichkeit mit Tonleitern und Koloraturen bis hin zum hohen e bewies ihre Gesangskunst und spielerisch ihre Kunst, Osmin in ihrem Sinne zu becircen.

In der Partie des letzteren gelang es Christoph Stegemann, seine Wut auf die Fremden mit übertrieben komisch gesungenen Koloraturen auszudrücken und in der Arie O wie will ich triumphieren mit exakten Oktavsprüngen die Haremsmäuse schleichen zu lassen. Auch das gefürchtete lange tiefe d deutete er an.

Gegensätzliche Gemütsstimmungen zeigte Pascal Herington zwischen mutigem Forte und zaghaftem p in seiner Arie Auf zum Kampfe . Für die berühmte Romanze zur mandolinenartigen pizzicato-Streicherbegleitung gelang lyrisches Legato..

Zum musikalischen Höhepunkt geriet das Quartett der beiden Paare im zweiten Akt, auch weil die Inszenierung hier den Gesang nicht behinderte. Gerade dieser stützte durch Darstellung von Glücksgefühl, Vorwürfen, Verzeihen und Hymne auf die Liebe den Ansatz der Inszenierung.

Musikalisches Highlight der Aufführung war das Spiel des Sinfonieorchesters Münster  unter Leitung von Stefan Veselka, der auch die Sänger gefühlvoll begleitete, wenngleich rasche Tempi ihnen das Singen nicht immer leicht machten. Wenig Vibrato bei den Streichern, dabei aber der Einsatz von vier Triangeln, Naturtrompeten, Barockpauken und verschiedenen Trommeln sorgten für musikalische Darstellung der menschlichen Emotionen vor allem auch für rhythmische Schärfe etwa bei den Janitscharen-Klängen. (je mehr lärmen je besser schrieb Mozart an seinen Vater) Soli einzelner Instrumente waren zu bewundern, so etwa die Oboe bei Belmontes zweiter Arie, die melancholischen Bassetthörner bei Konstanzens Klage oder nacheinander Flöte, Oboe, Violine und Cello im Vorspiel zu ihrer Martern-Arie.

Konnte man die Inszenierung weitgehend als Vorwegnahme der Konstellation von Cosi fan tutte empfinden, so gab es zum Schluß Vorwegnahme der Götterdämmerung. Zu den Klängen der Janitscharen-Musik schichtete Bassa Selim starke Stücke des Mobiliars zu Hauf. Bevor er das darüber gegossene Benzin mit einem Feuerzeug anzünden konnte, fiel dankenswerter Weise der Vorhang.

Das Publikum im ausverkauften Haus spendete reichlich Beifall für die Sänger, mit Recht vor allem für Dirigent und Orchester, während dem Leitungsteam neben einzelnen Bravos massive Buhrufe – auch zu Recht – entgegenschallten.

 

Sigi Brockmann 19. Mai 2019

Fotos (c) Oliver Berg

 

 

 

Sergei Prokofjew

Die Liebe zu den drei Orangen

Premiere am 6. April 2019

Lebendiges Musiktheater

Scherz, Satire, Ironie (Zitat nach C. D. Grabbe) zeigen sich schon im Titel und prägen auch den Inhalt der Oper Die Liebe zu den drei Orangen von Sergej Prokofjew auf einen französischen Text des Komponisten nach Carlo Gozzi`s gleichnamigem der Commedia dell'arte nachempfundenen Märchenspiel.

König Treff will abdanken. Als Nachfolgerin lehnt er ab seine ungeliebte Nichte Clarice. Diese wird unterstützt vom Premierminister Leander und der bösen Fee Fata Morgana. Lieber sähe der König seinen Sohn als Nachfolger, dieser wird unterstützt vom Spaßmacher Truffaldino und dem guten Zauberer Celio. Der Prinz ist krank und kann nur durch Lachen geheilt werden. Dafür sorgt ganz ohne Absicht Fata Morgana. Hier könnte die Oper enden, wenn nicht letztere aus Rache den Prinzen dazu verfluchte, drei Orangen zu lieben. Die sie bewachende Köchin wird überlistet. Beim Öffnen der dritten Orange findet der Prinz in ihr seine grosse Liebe Ninetta. Trotz weiterer Intrigen von Fata Morgana kommt es zum happy end, getrübt dadurch, daß Fata Morgana die Bösewichter Prinzessin Clarice, ihre Sklavin Smeraldine und Leander vor dem Galgen retten kann.

Unter der musikalischen Leitung von GMD Golo Berg war am Samstag im Theater Münster Premiere. In der deutschen Übersetzung von Werner Hintze inszenierte Sebastian Ritschel.

Die auch von ihm entworfenen Kostüme sowie das Bühnenbild nach Entwürfen von Pascal Seibicke passten zu einer Art Spielcasino, wie wir es uns etwa im Las-Vegas der Zeit der Uraufführung der Oper 1921 vorstellen. Unangenehm blendete Zuschauer besonders in den ersten Reihen die grosse sich drehende Party-Kugel in den Höllenszenen. War die Bühne verkleinert, bildeten drei Symbolräder eines Spielautomaten den Hintergrund. In diesen tauchten auch die drei Orangen erstmalig auf. Dabei war der König wohl der Casino-Boss (mit mal jammerndem und mal übertrieben würdigem Baß Stephan Klemm).

Da war es auch logisch, daß der Prinz an Spielsucht erkrankt war und nicht etwa daran. was die als Karikaturen ihres Berufes auftretenden Ärzte exakt staccato singend diagnostizierten.

In der Rolle des Prinzen zeigte Garrie Davislim neben rollengemässer Spielfreude erfolgreich den Umfang seiner tenoralen Fähigkeiten, weinerlich als Kranker, (auch wenn er nur Vokalisen sang) exakt in der langen Lachsalve mit von Prokofjew eingebautem Terz-Kopfmotiv aus Beethoven's fünfter Sinfonie. Schließlich karikierte er glanzvoll   heldentenorale Ausbrüche im Liebesduett mit Ninetta (mit entzückendem Sopran Marielle Murphy)

Zusätzlich zur gut geführten Tenorstimme war betreffend spielerischem Einsatz Pascal Herington als spassiger Truffaldino Hauptperson der Aufführung – musikalisch gibt es ja auch fast als einzigem für ihn eine Art Leitmotiv. Im Laufschritt, auch einmal mit Purzelbaum, sauste er akrobatisch über die Bühne und den Steg vor dem Orchestergraben und zeigte mit Körperhaltung und Grimassen witzig seine jeweilige Gemütsstimmung.

Die beiden Zauberer – Christoph Stegemann als Celio und Kristi Anna Isene als Fata Morgana - sorgten für Höhepunkte im Kartenspiel der Höllenszenen des ersten und im Duett des vierten Akts. Celio konnte zudem zu dessen Beginn seine stimmlichen Möglichkeiten in den sich dynamisch und im Tempo steigernden Rufen nach Erscheinen des Windgottes Farfarello zeigen. Fata Morgana verfluchte Kundry-artig mit mächtiger Stimme den Prinzen zur Suche nach den Orangen.

Im Spiel und stimmlich brachte das Publikum zum Lachen Michael Zehe in der Baßpartie der hier mannstollen Köchin Kreonta, die die Orangen bewacht – ebenso überzeugte er vor allem akrobatisch als Windgott Farfarello.

Verführerisch in Erscheinung und Stimme war als böse Prinzessin Clarice Chrysanthi Spitadi – dies besonders im ersten Akt im Duett mit dem auch in der Körperhaltung schleimigen Leander von Gregor Dalal. Erwähnt seien noch Filippo Bettoschi als stimmgewaltiger dem König ergebener Pantalone und Katrin Filip als Smeraldina, schnippische Gehilfin Fata Morganas. Alle weiteren Nebenrollen waren passend besetzt, teilweise mehrere Rollen von einem Sänger.

Grosse Aufgaben bewältigten auch Opernchor und Extrachor in der Einstudierung von Inna Batyuk und Joseph Feigl. Eigentlich waren es fünf Chöre, besonders gefordert, wenn sie im Prolog (statt orchestraler Einleitung) als die Tragischen, die Komischen, die Lyrischen, die Hohlköpfe und die Spötter - einmal auch eine Fuge karikierend - über den Inhalt der aufzuführenden Oper stritten. Auch später mischten sich die Chöre einzeln oder zu mehreren immer wieder in die Handlung ein oder kommentierten diese. Für die kleinen Teufelchen genügte auch ein gesungenes Ih! Ih. Dabei mußten sie Regie-bedingt manchmal im Rhythmus der Musik hin- und her-hüpfen!

Prokofjews Musik war dank des Sinfonieorchesters Münster unter der Leitung von GMD Golo Berg das eigentliche Highlight der Aufführung. Ihre Darstellung der bizarr-komischen, in Instrumentation und Harmonik farbenreichen, rhythmisch akzentuierten und vor allem die Handlung genial begleitenden Theatermusik verlieh der Aufführung besonderen Rang. In dieser Hinsicht war das höllische Kartenspiel  des zweiten Akts mit seinem wilden Orchestersatz und den Sforzato-Schlägen bei Aufdecken der entscheidenden Karte ein musikalischer Höhepunkt. Auch instrumentale Parodien traditioneller Opernklischees konnte man hören. Wie bei grossen Opern üblich waren weitere Höhepunkte die instrumentalen Zwischenspiele, von denen die gleichzeitig auf der Bühne stattfindenden Aktionen kaum ablenkten. Genannt seien etwa das langsame dunkeltönende Vorspiel zum dritten Akt oder in demselben Akt ganz gegenteilig das schnelle Zwischenspiel, das die Fahrt von Prinz und Truffaldino zur bösen Köchin darstellt – als deren Charakterisierung sei die Tuba auch stellvertretend für die vielen anderen instrumentalen Soli besonders gelobt.

Nachdem die Aufführung mit dem beleuchteten Schriftzug Jackpot oben rechts auf der Bühne als Zeichen des glücklichen Ausgangs endete, gab es grossen Beifall mit Bravos für die Hauptdarsteller, den Dirigenten und das Orchester, dann auch für das weitere Leitungsteam. Fraglich erscheint, ob es eine gute Idee war, den ohrwurmartigen Marsch der Oper als Klatschmarsch für den Beifall zu verwenden, besonders, da   im Programmheft erwähnt wird, Prokofjew hätte dessen losgelöste Schlagerexistenz später bitter beklagt!!

 

Sigi Brockmann 7. April 2019

Fotos Oliver Berg

 

 

 

 

 

Kurt Weill

Street Scene  

Premiere 22. Dezember 2018 - besuchte Aufführung 31. Januar 2019

 

Als amerikanische Oper bezeichnete der 1935 in die USA emigrierte Kurt Weill seine musikalische Mischung aus europäischer Oper und Broadway-Musical namens Street Scene auf einen Text von Elmer Rice.  Bei uns eher selten aufgeführt, ist Street Scene jetzt am Theater Münster unter der musikalischen Leitung von Stefan Veselka in der Inszenierung von Hendrik Müller zu erleben. Die gesprochenen Texte hörte man in einer teils vulgären deutschen Übertragung von Stefan Troßbach, die von Langston Hughes gedichteten Songs bis auf ganz wenige Ausnahmen trotz Übertiteln ebenfalls auf Deutsch, da wäre die Original-Sprache passender gewesen.

Amerikanisch ist gleich der Schauplatz beider Akte, die Strasse vor einem Multi-Kulti Mietshaus in Manhattan an einem heissen Sommerabend, der folgenden Nacht und dem nächsten Tag. Die Hitze beklagte dann auch gleich zu Beginn ein Ensemble mehrerer Klatschweiber – bei jetzigem Wetter in Münster kaum nachzuvollziehen, wohl auch nicht am Tag der Uraufführung, nämlich im Januar 1947 in einem Broadway-Theater in New York.

Die Bühne von Rifail Ajdarpasic wurde begrenzt links durch einen Verkaufswagen, rechts durch eine Bushaltestelle mit der beleuchteten Überschrift NOTHING - solche überflüssigen geschriebenen Belehrungen des Publikums sind ja heute üblich. Ihren ganz besonderen Reiz erhielt die Aufführung durch den Bühnenhintergrund. Die Fassade des Mietshauses lag auf dem Bühnenboden und wurde durch einen riesigen Spiegel auf die Rückseite projeziert. Wenn Mitwirkende sich jetzt auf den Stegen über dem Bühnenboden oder auf diesem bewegten, erhielt der Zuschauer den Eindruck, sie hingen, kletterten oder tanzten an der Fassade auf und ab und hin und her. Ein bemerkenswerter Blickfang, an den man sich allerdings nach der Pause etwas gewöhnt hatte.

Grosse Gefühle in europäischer Operntradition zeigten in diesem Rahmen die Schicksale der Familie Maurrant, Vater Frank, seiner Frau Anna, ihrer Tochter Rose und deren Verehrer Sam Kaplan. Deshalb gab es für diese im ersten Akt jeweils eine Art Auftrittsarie.

Mit fast schon hochdramatischem Sopran beklagte Kristi Anna Isene als Anna Maurrant ihr trauriges Leben mit ihrem gefühllosen Mann und das Scheitern alle ihrer Jugendträume. Versuch eines Ausbruchs aus diesem tristen Leben war ihr Verhältnis zum Milchmann Sankey, (stumme Rolle Jörn Dummann) über das die Klatschweiber sich mokierten und das ihr brutaler häufig besoffener Ehemann Frank wohl ahnte. Ganz gegensätzlich weich und gefühlvoll klang ihre Stimme, als sie vom Stolz auf ihren jüngeren Sohn Willie (Philipp van Bebber) sang.

Mit gewohnt grosser Bariton-Stimme, aber vielleicht etwas zu wenig Schärfe darin, schilderte Gregor Dalal dessen Lebensauffassung, alles solle wieder wie früher werden, es der fehle der heutigen Jugend an Ordnung und Disziplin, bekannte Behauptungen! Im zweiten Akt ertappte er seine Frau mit dem Milchmann und erschoß sie.auf der Strasse vor dem Haus, wegen des nur projezierten Mietshauses konnte man dieses ja nicht betreten. Ganz entgegengesetzt zu seinem früheren Verhalten bedauerte Frank später in jetzt sehr gefühvollem mitleidigem Legato den Tod seiner Frau, die er doch auf seine Art geliebt hatte.

Mit lyrischem leuchtendem Sopran, wenn passend sehr legato und auch zurückgenommen zum p, träumte Kathrin Filip als Tochter Rose vom besseren Leben und grosser Liebe. Diese erwartete sie zu Recht nicht von ihrem geilen Chef, der ihr gegen die bekannten Gefälligkeiten eine Karriere im Show-Business versprach - den sang mit schleimigem Timbre und spanischem Akzent Juan Sebastián Hurtado Ramirez.

Rose wird verehrt vom Sam Kaplan. Insbesondere mit zarten p- und langen Tenorkantilenen beklagte in dieser Rolle Garrie Davislim als Bücher lesender Aussenseiter seine Einsamkeit inmitten der vielen Nachbarn, als sich diese zur Nacht zurückgezogen hatten.  Für seine geliebte Rose ließ er sich von einem anderen ihrer Verehrer sogar verprügeln. Rose tröstete ihn und im Schlußduett des ersten Aktes gestanden sich beide in einem Puccini-ähnlichen Duett ihre Liebe. In einem ähnlichen Duett im zweiten Akt – einem musikalischen Höhepunkt der Aufführung - träumten sie, gemeinsam dem tristen Leben zu entfliehen.

Leider drängte die Regie diese leidenschaftliche Opern-Handlung etwas in den Hintergrund gegenüber den darin verwobenen vielen kurzen heiteren Szenen in amerikanischer Broadway- und Musical – Manier. Dazu trugen alle Bewohner des Hauses und entsprechend viele Mitwirkende bei – ausser den genannten grossen Partien wirkten über zwanzig Sängerinnen und Sänger mit, erstaunlich, daß Münsters Theater die alle aus dem Ensemble besetzen konnte.

Als Beispiele seien genannt etwa der Hausmeister (Filippo Bettoschi), der zwar seinen Auftrittssong auf englisch singen durfte - I got a marble and a star - aber für die Rolle ganz unpassend als Conférencier, etwa ähnlich wie in Cabaret, kostümiert war (Kostüme Katharina Weissenborn).

Der Italiener Lippo Fiorentino spendierte bei der Hitze willkommene italienische Eishörnchen (mit karikiertem italienischem Tenor Pascal Herington), was die Beschenkten zu einem kunstvollem Sextett zum Lob des Speiseeises veranlaßte. Als aufgeregter Ehemann Daniel Buchanan, dessen Frau im Haus gerade eine Tochter gebar, besang Youn-Seong Shim als Clown gekleidet die Nöte des werdenden Vaters. Clownesk gekleidet mit entsprechender Frisur war auch Suzanne McLeod als Schwedin Olga Olsen, die mit mit umgehängtem gewickelten Baby im Trippelschritt über die Bühne tänzelte.

Grossen Eindruck beim Publikum hinterliessen die Musical-Darsteller Kara Kemeny und Jendrik Sigwart als Mae Jones und ihr Freund Dick, die nicht nur englisch singen durften - Moon-faced, starry eyed - sondern auch unglaublich akrobatisch auf der schwierigen Bühne einen schnellen jitterbug  unterbrochen durch einen langsamen Blues tanzten. (Choreografie Andrea Danae Kingston) Nach Anna Maurrants Ermordung suchten zwei Kindermädchen mit ihrem Kinderwagen klatschsüchtig nach dem Unglückshaus und sangen für ihr Baby Schlaf Kindchen schlaf unterbrochen von höhnischen Bemerkungen über Ehe- und Familienleben (Melanie Spitau und Christina Holzinger)

Willkommene Abwechslung bereitete der Auftritt des Kinderchors gedrängt hinten auf der Bühne (Einstudierung Claudia Runde),  der gegen die herrschende Hoffnungslosigkeit ansang. Wegen Platzmangels auf der engen Bühne mußte der Opernchor einstudiert von Inna Batyuk seitlich im dritten   Rang platziert singen, insbesondere einen Trauergesang für Anna Maurrant.

Jetzt wieder ernst machte zum Schluß Rose ihrem geliebten Sam klar, sie müsse nach dem Tod ihrer Mutter und der wahrscheinlichen Hinrichtung ihres Vaters als Mörder ihren weiteren Lebensweg ohne ihn suchen, ließ aber etwas Hoffnung auf besseres Leben durchhören - ergreifendes p - Aber nicht damit endete die Oper, sondern mit dem Klagen der Klatschweiber über die Hitze vom Beginn; alles beim alten im Mietshaus!

Dirigent Stefan Veselka leitete überlegen und umsichtig das musikalische Geschehen und hielt erfolgreich den Kontakt zwischen dem grossen Ensemble auf der Bühne und dem Orchester. Zu Beginn noch etwas zögerlich klingend steigerte es sich sowohl zu Puccini-ähnlichen rauschhaften Klänge als auch teils schräg-jazzig klingenden Tanzrhytmen. Vom Orchesterklang her war das Zwischenspiel zwischen der ersten und zweiten Szene des zweiten Aktes ein musikalischer Höhepunkt. Stellvertretend für andere Soli soll das der ersten Violine gelobt werden. Für die vom Orchester teils melodramatisch begleiteten Dialoge mag die Ausrüstung der Darsteller mit Microports nützlich gewesen sein.

Die für einen verschneiten Winterabend recht zahlreichen Besucher spendeten Zwischenbeifall nach Solo-Arien, nach der grossen Tanzeinlage und Schlußbeifall mit einzelnen Bravos bis zum Schliessen des Vorhangs für diese sowohl Tragik als auch Komik darstellende Aufführung.

 

Sigi Brockmann 1. Februar 2019

Fotos (c) Oliver Berg

 

 

 

 

Händel 

SAUL

Premiere 27. Oktober 2018

Macht verdirbt Charakter

Eigentlich, so sollte man meinen, gibt es genügend - auch nicht so bekannte - Opern, an denen mehr oder weniger waghalsige Regiekonzepte ausprobiert werden können .Trotzdem wurden dazu in den letzten Jahren vermehrt Oratorien szenisch aufgeführt. Dafür eignet sich anscheinend besonders Saul von Georg Friedrich Händel auf den Text von Charles Jennens nach Erzählungen in den Büchern Samuel aus dem Alten Testament. Es gab davon zahlreiche Aufführungen, zuletzt im vergangenen Jahr in Glyndebourne oder vor einigen Jahren in Dortmund. Jetzt hatte eine szenische, ziemlich gekürzte (wieder mal) spezielle Münsteraner Fassung Premiere am Theater unter der musikalischen Leitung von Michael Hofstetter in der Inszenierung von Susanne Knapp.

Mehr Emotionen als dieses Oratorium kann auch eine Oper nicht enthalten:

Zunächst erfreut über den Sieg seines Feldherrn David vor allem über den Riesen Goliath ergreifen Neid und Eifersucht den König Saul, als Israels Frauen den Fehler begehen, David mehr zu preisen als den König. Obwohl als Hirte von niedriger Geburt liebt David gleichzeitig den Sohn Jonathan und die Tochter Michal seines Königs und wird von beiden Geschwistern wiedergeliebt. Zudem spielt er verführerisch auf der Harfe. Um das zu zeigen, trat er in Münster in Begleitung zweier Statisten mit je einem Bären- und Löwenkopf auf, wilde Tiere, die er vorher musikalisch gezähmt hatte. Panik über den befürchteten Machtverlust läßt Saul selbst vor Mordversuchen an David und seinem Sohn nicht zurückschrecken. Nach und nach nach fallen Familie und Volk von ihm ab. Sogar vom Gott verlassen sucht Saul auf Vermittlung der Hexe von Endor Rat beim verstorbenen Propheten Samuel. Dieser prophezeit ihm militärische Niederlage, seines und seines Sohnes Tod in der kommenden Schlacht und David als seinen Nachfolger, was auch so geschieht.

Diese Handlung wurde dargestellt in einem Einheitsbühnenbild (Christopher Melching) sängerfreundlich nach hinten durch einen Rundhorizont begrenzt. Bis in den Bühnenhimmel aufragendes Merkmal war ein riesiger Thron. Der Thronsessel für den jeweiligen König, erst Saul dann David, befand sich auf halber Höhe, darüber herrschte Gott allein, wie bereits in der ersten Strophe des gewaltigen Eingangschors besungen Above all heavn`s .. thou set thy glorious throne (Über alle Himmel strahlt Dein Thron). Vorne gab es ein viereckiges Bassin, in dem im ersten Akt David wohl zwecks Reinigung nach Kampf und Sieg von den Frauen mit viel Schaum eingeseift und danach abgetrocknet wurde – wie witzig?

Wie heute üblich waren König und Sohn in Uniformen etwa zum Beginn des vorigen Jahrhunderts passend gekleidet (Kostüme ebenfalls Christopher Melching) Hingegen sah man David und die jüngere Tochter Michal nach Eheversprechen mit David beide in weissem Kostüm.. Die ältere der beiden Töchter Sauls, Merab, trug eine festliche dunkelrote Robe, wohl weil sie zunächst in bissigen aber exakt gesungenen Koloraturen (Kathrin Filip) eine Ehe mit dem niedrig geborenen David ablehnte. Später bat sie ganz entgegengesetzt in lyrischen Legatobögen Gott um Seelenfrieden für ihren gemütskranken Vater.

Die Münsteraner Fassung begann mit dem bekanntesten Musikstück des Oratoriums, dem Trauermarsch aus dem dritten Akt. Dabei kletterte Saul langsam auf seinen Thron. Vielleicht sollte damit angedeutet werden, daß er ursprünglich zur Annahme der Königskrone von Gott und dem Volk gedrängt werden mußte (1. Samuel 20-24) Wie vor Jahren in Dortmund auch, benutzte die Hexe von Endor ihren Besen zu Reinigungsarbeiten. Ihre kurze Arie, mit der sie Samuel  hervorruft (Infernal spirits – Geister des Abgrunds) wurde von Christian- Kai Sander mit wohlklingendem textverständlichem Tenor gesungen. Samuels düstere Prophezeiung sang als Gespenst auf den Bühnenhintergrund projeziert mit tiefem Bass Christoph Stegemann

Ein ganz kleiner Hinweis auf die Barockzeit bestand darin, daß bei der festlichen Symphony zur Eröffnung des Neumondfestes Tänzer in weissen Barockkostümen auftraten (Choreographie Jason Franklin)

Zum Schluß flegelte sich David als neuer König auf dem Thron herum. Den Amalekiter, der berichtete, wie er Saul in der Schlacht den Gnadenstoß versetzte (mit hellem Tenor Juan Sebastián Hurtado) ließ er grausam hinrichten. Die blutige Leiche blieb bis zum Ende in dem erwähnten jetzt leeren Bassin liegen. Unabhängig von ihrer Herkunft ist den Mächtigen zum Machterhalt jedes Mittel recht, sollte das wohl bedeuten. Deshalb endete der Abend abrupt mit dem Klagesang Mourn, Israel mourn (Klag Israel) – der aufmunternde Schlußchor war gestrichen.

Den David sang Michael Taylor  mit ausdrucksvoller Countertenor-Stimme alle musikalischen Facetten und Feinheiten der Partie beherrschend und sehr textverständlich. Das zeigte gleich die erste Arie, in der er sich beim König für dessen Lob bedankt, aber Gott den Sieg zuweist.Ganz entgegengesetzt konnte er zum Schluß stimmlich Wut ausdrücken, als er die Hinrichtung des Amalekiters befahl (Impious wretch – verfluchter Mann) Ein Höhepunkt wurde die Arie, mit der er auf Bitten von seiner Braut Michal (ausdrucksvoll gesungen von Marielle Murphy)  Gott um Heilung des kranken Gemüts von Saul bittet (O Lord whose mercies..). Das Liebesduett der beiden wurde ebenfalls zum musikalischen Höhepunkt.

In der Titelpartie zeigte Gregor Dalal schauspielerisch eindrucksvoll seinen aus Neid und Panik vor dem Ende der Herrschaft herrührenden psychischen Niedergang. Wenn auch vielleicht nicht immer mit der nötigen Basstiefe brachte er gekonnt stimmlich Wut zum Ausdruck bei A serpent in my bosom (eine Schlange in meiner Brust), wonach er Davids Laute zerbrach. Stimmlich stärker zeigte er im dritten Akt bittere Selbsterkenntnis vor Anrufung der Hexe mit Wretch that I am (Ich Unglücklicher)

Höhensicher und legato sang Youn-Seong Shim Saul`s Sohn Jonathan etwa im ersten Akt mit der Arie Birth and Fortune I despise, in der er unabhängig von Standesdünkel seine spätere Liebe zu David ankündigt – leider war sein Englisch besonders in den Rezitativen nicht sehr verständlich.

Wie in allen Oratorien Händels zeichnen auch hier die Chöre musikalisch äusserst eindrucksvoll die Stimmung des Volks. Auch weil wenig Bewegung von ihnen verlangt wurde, konnten Chor und Extrachor in der Einstudierung von Inna Batyuk  musikalische Höhepunkte

singen. Genannt seien neben dem festlichen Eingangschor die Damen beim Lob Davids mit Begleitung durch das Glockenspiel oder zu Beginn des zweiten Akts der vielstimmige Chor bei Beschreibung des Neids als aus der Hölle geborenes Unheil. (Envy! eldest born of hell),oder später der fugierte Chor, in der Sauls Raserei geschildert wird (O fatal consequence) Ganz p gelang abschliessend das ergreifende Mourn Israel.

Hauptträger der musikalischen Handlung war das höher platzierte Sinfonieorchester Münster. Die musikalische Leitung hatte Michael Hofstetter übernommen – ein Spezialist für historisch-informierte Aufführungspraxis. Musikfreunde aus NRW werden sich erinnern, daß er 2000 in Dortmund einen kammermusikalisch durchhörbaren aber doch emotional ergreifenden Tristan dirigiert hat.

Beim Saul in Münster nahm er manchmal rasche Tempi, auch für die festlichen Klänge, sorgte für scharfe Akzente etwa bei Begleitung von Sauls Szene bei der Hexe von Endor. Problemlos gelang das Zusammenspiel zwischen Orchester und Solisten und Chören auf der Bühne.

Die grosse Teile des Orchestersatzes bestimmenden Streicher spielten mit Barockbögen. Zusammen mit den Bläsern - hier seien die Fagotte beim Erscheinen Samuels besonders erwähnt – freute man sich über farbigen abwechslungsreichen Klang. Das galt auch und besonders für die Begleitung der Rezitative durch die verhältnismässig groß besetzte Continuo-Gruppe, in der neben Orgel, Cembalo, Cello und Baß auch Laute, Theorbe, Fagott und das sogar das tiefe Kontrafagott mitwirkten

Trotz des abrupten Endes ohne festlichen Ausklang reagierte das Publikum im sehr gut besuchten Theater nach einem Moment der Besinnung mit lang anhaltendem Beifall und Bravos vor allem für die Darsteller der Hauptpartien, besonders David, für Chor, Orchester, besonders den Dirigenten, aber auch für das Leitungsteam.

Sigi Brockmann 28. Oktober 2018

Fotos (c) Jörg Landsberg

 

 

 

MADAMA BUTTERFLY

Premiere 15. September 2018 - besuchte Vorstellung 23. September 2018

Kaum Japan - viel Tragödie

Seit einiger Zeit ist bei „fortschrittlichen“ Regisseuren eine Mode zu beobachten, nämlich, daß sie eine Bühnenhandlung verbessern oder umdeuten wollen, indem sie zusätzliche von den Autoren nicht vorgesehene Personen auftreten lassen. So war es auch bei der Aufführung von Giacomo Puccini´s „Madama Butterfly“ auf den Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica am Theater Münster. Hier zeigte Regisseur Hans Walter Richter bereits vor Beginn der eigentlichen Handlung im Schattenriß, wie Butterfly´s Vater als stumme Person rituellen Selbstmord begeht. Dieses fernöstliche Ritual geschah musikalisch ganz unpassend zur kurzen Ouvertüre in Form einer schulmeisterlichen Fuge, die doch westlicher Tradition entspricht. Das grausames Schicksal des Vaters wird allerdings im ersten Akt von Butterfly selbst angedeutet, als sie von der plötzlichen Armut ihrer adeligen Eltern und vom Tod des Vaters erzählt. Der Heiratsvermittler Goro ( anbiedernd und hämisch gespielt aber pointenreich und treffsicher gesungen von Christopher Diffey als Gast aus Mannheim) erzählt  Pinkerton, der Mikado habe den Vater durch Übersendung eines Dolches zum rituellen Selbstmord aufgefordert und dieser gehorchte. So konnte das Publikum durch Gesang und Übertitel ausreichend über die Vorgeschichte der Tragödie der Butterfly erfahren, ohne daß die Darstellung auf der Bühne dazu notwendig gewesen wäre.

Weiter entstand im Publikum die Frage, ob Butterfly zwei Söhne gehabt habe, die man auf der Bühne sah. Wie das Programmheft belehrte, trat der einzige Sohn wie in der Oper als Kind und dann - wieder von der Regie hinzuerfunden - gleichzeitig als Heranwachsender auf, jetzt allerdings nicht mehr blondhaarig. Es sollte dadurch die traumatische Erfahrung des Selbstmords seiner Mutter für das spätere Leben des Sohnes dem Publikum noch deutlicher werden. Das sind nicht die besten Inszenierungen, deren Sinn man nur aus dem Programmheft versteht!

Auch ansonsten versuchte die Inszenierung, der als „japanische Tragödie“ bezeichneten Oper soweit eben möglich fernöstlichen Reiz auszutreiben, wohl um bei den Zuschauern möglichst wenig sentimentale Regungen zu begründen. 

Das begann beim Bühnenbild:.(Bernhard Niechotz) Das von Pinkerton so bezeichnete „Häuschen“ mit „Liebesnest“(nido nuzial) war ein Wohncontainer mit der Aufschrift „home sweet home“, der als Hochzeitsgeschenk für Butterfly mit einer Schleife versehen von oben abgeseilt wurde. Über steile Leitern mußten Mitwirkende nicht nur auf dessen Dach sondern auch an den Wänden rauf- und runterklettern. Vor dem Container bereitete Butterfly picknickartig auf dem Boden das Hochzeitsmahl vor. Für die Gäste standen Gartenstühle und -tische bereit, die, wie kann es heute anders sein, umgeworfen wurden, hier wohl passend beim fluchtartigen Aufbruch der Hochzeitsgesellschaft nach dem Fluch durch Onkel Bonze (mit drohendem Baß Christoph Stegemann) wegen des Übertritts von Butterfly zum Glauben ihres Geliebten. Zum etwas kitschigen „Blumenduett“ des zweiten Aktes fielen zunächst Kirschblüten vom Bühnenhimmel, dann wurden lediglich gemalte und an die Wände geklebte Blumen.besungen.

Wie.auch heute vielfach üblich, entsprachen bis auf das von Suzuki die langweiligen Kostüme (auch Bernhard Niechotz)  jetziger Gegenwart, solche werden ja inzwischen als passend für jede Zeit zwischen Altertum und Heute verwendet. Butterfly trug zur Hochzeit westlich-bräutliches Weiß, Pinkerton mußte sich, obwohl Leutnant, im ersten Akt mit einer schäbigen Khakiuniform begnügen. Es sollte wohl gezeigt werden, daß die Heirat mit Butterfly für ihn nur unterhaltsames Vorspiel für gewünschtes Freizeitvergnügen mit ihr war. Um zum traurigen Schluß seinen Sohn abzuholen, kam er dann etwas unverständlich in Zivil.

Musikalisch war die Aufführung hingegen rundum gelungen. Wegen Erkrankung der Sängerin der Premiere, die auch auf den Fotos zu sehen ist, war ganz kurzfristig als Butterfly Hye-Sung Na vom Theater Heidelberg  eingesprungen, die diese Rolle schon an mehreren Bühnen erfolgreich gesungen hat. Auch vom Aussehen her für diese Rolle passend spielte sie überzeugend sowohl die bedingungslos liebende als auch die maßlos verzweifelte junge Frau und fügte sich völlig in die Inszenierung ein. Stimmlich traf sie über das Orchester hinweg unangestrengt fast hochdramatisch die Spitzentöne, sang gefühlvolle Kantilenen, vermochte auch bei Darstellung einer Scheidungsverhandlung in den USA erheiternd die Beteiligten stimmlich unterschiedlich darzustellen. In ganz berührendem p sang sie sowohl das „dolce notte“ (süsse Nacht) im ersten Akt wie auch das Wiegenlied für ihren Sohn im dritten Akt oder vor allem etwa zum Schluß ihr verhauchendes „Tutto finito“ (Alles zu Ende)

Die wenig sympathische Rolle des Pinkerton erfüllte Garrie Davislim mit helltimbrierten tenoralen Glanz. In seinem von Konsul Sharpless so genannten „leichten Evangelium“ (facile vangelo), in dem er geniesserisch das abwechslungsreiche Dasein eines US-Marineleutnants preist, traf er die mehrmaligen hohen b, am ausdrucksvollsten bei dem Wunsch einer späteren Ehe mit einer Amerikanerin, dies wie auch vorher beim „America forever“ zum Thema der US-Nationalhymne im Orchester. Sein kurzes reuevolles Arioso im letzten Akt gelang ebenfalls, ein musikalischer Höhepunkt des Abends wurde so das lange Liebesduett der beiden zum Ende des ersten Aktes mit triumphalem hohem C schliessend.

Den Konsul Sharpless sang mit wohlklingendem Bariton Filippo Bettoschi. Man hörte kantables Mitleid mit Butterfly´s Schicksal und sein Italienisch war textverständlich.

Erfreut über ein Wiedersehen und -hören von Judith Gennrich waren langjährige Opernbesucher, die sich vor allem gern an ihren „Octavian“ im „Rosenkavalier“ erinnerten. Jetzt erlebten wir sie in der Rolle der Dienerin Suzuki. Sie vermittelte mit ihrem wohlklingenden Mezzo stimmlich grosses Mitgefühl mit ihrer Herrin Butterfly.

Alle anderen kleineren Rollen waren musikalisch passend besetzt,

Wie immer gut einstudiert durch Inna Batyuk  erfüllten Opernchor und Extrachor alle musikalischen Wünsche, besonders auch solistisch geteilt während der Hochzeitszeremonie. Stimmlich eindringlich gelangten Sopranen und Tenören auch der stimmungsvolle Summ-Chor zum Ende des zweiten Aktes, leider dabei geisterhaft vermummt kostümiert.

Überlegen leitete GMD Golo Berg die musikalisch gelungene Aufführung. Verhältnismässig rasches Tempo wählte er zu Recht für die leichteren Konversationsszenen, ließ beim Liebesduett, bei der grossen Arie der Butterfly im zweiten Akt und zum grausamen Schluß den Sängern genügend Raum zum Atmen. Mit dem Sinfonieorchester Münster machte er die vielen thematischen Verbindungen innerhalb der Oper, etwa des wiederkehrenden markanten Fluch-Motivs, deutlich, und erfreute die Zuhörer mit der sensiblen Darstellung der feinnervigen Instrumentation, sowohl bei üppigem westlichen Orchesterklang als auch bei japanisch nachempfundenen durch Verwendung der Ganztonleitern sich ergebenden übermässigen Akkorden .Ein orchestraler Höhepunkt wurde so das Vorspiel des dritten Aktes. Besonders hervorzuheben sind das Violin-Solo gegen Ende des ersten Aktes oder die gespenstischen Bläser-Akkorde gegen Ende des dritten Aktes.

Da die Oper nach dem grausamen Selbstmord Butterfly´s mit einem wuchtigen unaufgelösten Sextakkord endet, brauchte es einige Zeit, bis Applaus einsetzte. Es war auch kein übliches zahlendes Publikum, sondern Parkett und ersten Rang füllten vom Oberbürgermeister eingeladene Honoratioren aus Münster und Umgebung, die letzterer mit einer üblichen Rede begrüßte. Nach der Pause gab es leere Plätze, da die Oper vielen wohl vorher nicht bekannt war und, wie man in der Pause hörte, das „Happy End“ doch schon im ersten Akt erfolgte. Das zeigte sich etwa auch daran, daß nach der von Hye-Sung Na ganz großartig gesungenen Arie „Un bel di“ (Eines Tages), in dem sie traumhaft die Rückkehr Linkertons besingt, trotz der von Puccini dafür vorgesehenen Pause sich keine Hand zum Beifall rührte. Dafür wurde nachher umso mehr, auch stehend, applaudiert mit verdienten Bravos vor allem für die eingesprungene Butterfly, die anderen Hauptpersonen und das Orchester mit seinem Dirigenten.

Bilder (c) Theater Münster

Siegfried Brockmann 24. September 2018

Fotos mit einer anderen Darstellern der Titelpartie und des Goro Oliver Berg

 

 

 

Don Giovanni

Premiere 26. Mai 2018

leichtfüssig und zweisprachig

Bekanntlich bezeichneten Wolfgang Amadè Mozart und sein Textdichter Lorenzo Da Ponte ihren „Don Giovanni“ als „dramma giocoso“ also in etwa „heiteres Bühnenstück“. Dabei gehören bei dieser Mischform vor allem die die Gefühle der einzelnen Personen so genial darstellenden Solo-Arien und Duette in den Bereich der „opera seria“ (ernste Oper), während viele Ensembles, die Verkleidungs- und Prügelszene der „opera buffa“ (heitere Oper) entsprechen, ebenso wie die gesamte Rolle des Dieners Leporello, der deshalb in Münster als Harlekin, gleichsam entsprungen der „commedia dell'arte“, kostümiert war. Überhaupt waren die schrillen dem Barock nachempfundenen Kostüme mit überdimensionierten Perücken (Sara Mittenbühler) der erste Eindruck der Aufführung, da sich alle Mitwirkenden vor und während (leider heute üblich) der Ouvertüre (musikalische Leitung GMD Golo Berg) auf einem Steg vor dem Orchestergraben aufreihten, überflüssige Hampeleien vollführten, um dann bis zum Beginn der eigentlichen Handlung wieder abzutreten - übrigens ganz ähnlich wie vor einigen Jahren am Opernhaus Dortmund.

Dies und die erste Szene spielten vor einem Vorhang, der Giorgiones „Venus“-Gemälde zeigte. Nach dessen Öffnen sah man während der gesamten Vorstellung ein Einheitsbühnenbild ähnelnd einer beweglichen grossen Fotolinse mit seitlichem Lilienschmuck (Lukas Noll). Davor gaben zwei ovale Laufstege den Mitwirkenden Gelegenheit, zur Verdeutlichung der Handlung hin- und her und rauf und runter zu rennen.

Überhaupt verlangte die Regie von Christian von Götz von allen Beteiligten ungewöhnlichen körperlichen buffonesken Einsatz. Was auch immer darin passiert oder nicht passiert war, entstiegen Donna Anna und Don Giovanni vor ihrem ersten Auftritt einer Holzkiste mit der Aufschrift „Finger weg“, in der später auch die Leiche des Komturs entsorgt wurde. Er kroch dann aus der Kiste heraus mit einem Schild „tot“. Zerlina, Masetto und der Chor betraten beim ersten Auftritt sackhüpfend die Bühne, wohl um anzudeuten, daß sie gerade erst dem Kindesalter entwachsen waren. Das erleichterte nicht das Singen im raschen Allegro-Tempo, es gelang dem Chor aber trotzdem (Einstudierung Inna Batyuk) Don Giovanni schwebte vor dem Finale des ersten Akts zusammen mit Zerlina an einem Seil aus dem Bühnenhimmel herab, um dann auf demselben Wege seinen Verfolgern zu entkommen. Vielleicht gab es hier und da einen Gag zu viel in der Aufführung – es wurde zu häufig getreten und geprügelt.

Ganz im Gegensatz dazu wurde das schwierige Finale des ersten Aktes fast konzertant aufgeführt, das erleichterte vielleicht die exakte musikalische Darbietung. Die Solisten sangen vorn auf Stühlen sitzend, im Hintergrund wurde getanzt. So mußten die drei Verschwörer Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio ihr wunderbares Adagio „“Protegga il giusto cielo“ (Der gerechte Himmel bewahre) nicht etwa allein, sondern in Anwesenheit der anderen Solisten stehend singen. Im Hintergrund waren später die drei auf Don Giovannis Fest rhythmisch verschiedene Tänze spielenden Orchester deutlicher als manchmal bei anderen Aufführungen zu hören und zu sehen.

Dagegen wurde im zweiten Akt der Auftritt des „steinernen“ Komturs in der Friedhofsszene - ein Zwischenvorhang mit C.D. Friedrich nachempfundenem Herbst-Gemälde - auch auf der Bühne mit der Musik entsprechendem Ernst dargestellt. Das galt auch für Donna Elviras Auftritt bei Giovannis letzter Mahlzeit, dem posaunenbegleiteten Eindringen des Komturs und Giovannis selbstzerstörerischem Ende.

Eine Besonderheit der Aufführung bestand darin, daß zwar Arien und Ensembles wie inzwischen üblich auf italienisch mit deutschen Übertiteln gesungen wurden, die Rezitative aber auf deutsch in einer Übertragung von Walter Felsenstein, zuverlässig und teils geistreich begleitet von Boris Cepeda auf dem Hammerklavier. Daß dies durchaus passend war, wurde durch spontane Reaktionen des Publikums etwa auf witzige Dialoge bestätigt. Bei italienischen parlando können die Übertitel ja häufig dem Tempo des Textes gar nicht folgen und es gehen Pointen verloren.. Auf der anderen Seite war es manchmal durchaus schwierig, immer in dem notwendigen Tempo akzentfreies Deutsch zu singen.

Gesanglich konnte sich die Aufführung gut hören lassen. In der Titelpartie verfügte Filippo Bettoschi   über verführerischesTimbre beim Duettino mit Zerlina „La ci darem la mano“ (Reich mir die Hand) Dabei mußte er zusätzlich letztere noch auf Händen tragen.In der „Champagner-Arie“ hörte man überschäumende Lebenslust, aber auch technisch gekonnt atemlose Angst etwas zu verpassen. Ganz besonders gelang ihm das „Ständchen aller Ständchen“ Vieni al fenestra“ an Donna Elviras Zofe, die zusätzlich die gesamte Aufführung tanzend begleitete (Verena Hierholzer).

Die charakterlich interessanteste Frauenpartie der Oper bereitete Kristi Anna Isene - immer rachelüstern mit Gewehr bewaffnet - beim ersten Terzett mit Don Giovanni und Leporello Schwierigkeiten mit den Oktavsprüngen von etwas schrillen hohen Tönen bis in tiefe Lagen. Dafür gelangen ihr im zweiten Akt ganz großartig die Händel nachempfundenen Koloraturen und Spitzentöne ihrer grossen Arie, in der sie sich gestehen muß, daß sie Don Giovanni trotz allem noch liebt.

Gegensätzliche Gefühlsregungen machte Nina Koufochristou als Donna Anna stimmlich deutlich. Die fast hochdramatischen Ausbrüche ihrer ersten Arie, als sie in Don Giovanni den Mörder ihres Vaters erkennt, gelangen ebenso wie versöhnliche p-Töne und glänzende Koloraturen von Rezitativ, Larghetto und Arie „Crudele“ (Ich grausam?) im zweiten Akt.

Keck spielte und sang Kathrin Filip die Zerlina. Sogar mit Masetto im „Hüpfsack“ gelang ihr tongenau das mit „Andante grazioso“ bezeichnete „Vedrai carino“ (Wenn du fein fromm bist) Für den Masetto hatte Christoph Stegemann besonders die aufrührerische Stimmfärbung bei „Ho capito“ (Hab's verstanden)

Beim Publikum am beliebtesten ist wegen seiner spitzbübischen heiteren Rolle der Diener Leporello, Gregor Dalal erfüllte alle Erwartungen an die Partie und erntete natürlich schon nach der „Registerarie“ grossen Szenenapplaus.

Als kleine Konzertnummer auf einem Podium inszeniert glänzte Youn-Seong Shim als Don Ottavio mit kräftigem Tenor und exakten Koloraturen bei seiner Arie im zweiten Akt „Il mio tesoro“ Dem Komtur verlieh Stephan Klemm die würdige auch drohende Baßstimme.

Golo Berg leitete überlegen das musikalische Geschehen und nahm erfreulicherweise keine übereilten Tempi. Kleinere Wackler waren wohl der Premierenatmosphäre geschuldet. Das Orchester saß nicht wie heute bei Aufführungen von Mozart üblich hochgefahren auf halber Höhe. Durch die Platzierung - wahrscheinlich regiebedingt - ganz tief im Graben ging vielleicht manche musikalische Feinheit verloren, dämonisch klangen die Bläser trotzdem. Gelobt sei das Solo-Cello bei Begleitung von Zerlinas Arie im ersten Akt vertretend für andere Instrumentalsoli..

Eine sehr passende Idee der Regie war es, Don Giovanni in derselben Kiste zur Hölle fahren zu lassen, in der mit ihm und Donna Anna die Oper begann – so rundete sich der Abend, war aber auch damit zu Ende. Musikalisch mit dem Wechsel nach Dur beim letzten Akkord und auch der Inszenierung entsprechend wäre nach der Höllenfahrt das „Finale ultimo“ mit dem Schluß-Sextett passend gewesen – ein kurzer Auftritt der Überlebenden reichte da nicht.

Das Publikum störte das nicht. Nach dem unterhaltsamen Opernereignis klatschte es über mehrere Vorhänge andauernd Beifall mit vielen Bravos für die Hauptdarsteller und das Orchester. So hat die Aufführung alle Chancen auf grossen Besucherandrang.

 

Fotos Jörg Landsberg

Sigi Brockmann 27. Mai 2018

 

 

 

 

 

Massenet

CENDRILLON

Premiere 14. April 2018 - besuchte Vorstellung 8. Mai 2018

 

Vor der Aufführung von Jules Massenet´s „Cendrillon“ (Aschenputtel) auf das Libretto von Henri Cain angeregt durch ein Märchen von Charles Perrault war in der Presse von einer „Münster-Fassung“ die Rede. Da kam Erinnerung auf an die Saisoneröffnung, wo in Verdis „Don Carlo“ Musik von Alfred Schnittke eingefügt wurde.

Ohne solche musikalischen Einschübe versuchte Regisseur Roman Hovenbitzer in seiner „Fassung“ Analogien aufzuzeigen zwischen dem mehrfachem Wechsel des Schauplatzes der Oper von rauer Wirklichkeit des Elternhauses in die märchenhafte Traumwelt der Feen   zur auch oft die Realität verklärenden Traumwelt des Kinos.

 Etwas weit hergeholt war Anlaß dazu die Aufführung eines Stummfilms „Cendrillon“ im Jahre der Uraufführung der Oper 1899. So begann der Abend auf der ein Kino darstellenden Bühne (Bernhard Niechotz) mit einer Schwarz-Weiß –Aufführung des Happy-Ends eben dieses Stummfilms. (Video Oliver Berg) Während der Barockmusik nachempfundenen „Introduction“ des Orchesters stellte dann ein „Conférencier“ (Grégory Moulin) die im Kino anwesenden Hauptdarsteller vor.  Von diesen sah man auf der Bühne ganz überflüssig Pappmaché-Figuren während der ganzen Vorstellung. Kinobetreiber war Vater Pandolphe, der „Prince charmant“ - hier „Märchenprinz“genannt - war der Leinwandheld und Aschenputtel mußte das Kino putzen, während Stiefmutter Madame de la Haltière mit Töchtern die Premierenfeier zwecks näherer Bekanntschaft mit dem Hauptdarsteller besuchen durften. Diese Premierenfeier fand statt im Restaurant „Belle Époque“  Durch entsprechende Lichteffekte konnte dies auch in die Zauberwelt der Feen verwandelt werden.  Verbindung zwischen den Schauplätzen fand durch die Kinoleinwand statt, also etwa Fee durch die Leinwand ins Kino, Fee mit Aschenputtel zurück durch die Leinwand zur Premierenfeier – angeregt wohl durch ähnliche Zaubereien in Woody Allens Film„The purple rose of Cairo“.

Die verschiedenen Handlungsebenen wurden auch durch die Kostüme (auch Bernhard Niechotz) deutlich – die Feen in kitschigen weissen Lichterkleidern, Prinz und Aschenputtel beim Ball ebenfalls in weiß, dagegen Stiefmutter Mme de la Haltière mit Töchtern in ganz überkandidelten Frisuren und Kleidern aus der Entstehungszeit der Oper. Ebenso witzig (opéra comique) war auch der Aufzug der Heiratskandidatinnen zur Ballettmusik im II. Akt (Choreographie Tomasz Zwozniak) und insbesondere der „Marsch der Prinzessinnen“ im IV. Akt, wo man in einem Video sah, wie die Damen vergeblich versuchten, ihre Füsse der Grösse des magischen Pantoffels zwecks Heirat mit dem Prinzen anzupassen. Ansonsten wirkten die häufig auf einen Gazevorhang projezierten Videoclips eher störend.

Von ihrer jugendlichen Erscheinung her und stimmlich beeindruckte Henrike Jacob in der Titelpartie. Resignierende Bescheidenheit ihrer Arie im ersten Akt vermochte sie stimmlich ebenso auszudrücken wie die späteren Koloraturen vor dem ersehnten Aufbruch zur Feier. Das   Legato für „Vous êtes mon prince charmant“ klang passend sentimental. Ganz grossartig gelang die anscheinend atemlose Schilderung ihrer unheimlichen Flucht vom Ball nach Hause zu Beginn des III. Aktes.

Ihr „Märchenprinz“ wurde nicht, wie von Massenet als Hosenrolle zwischen Cherubino und Rosenkavalier beabsichtigt und kürzlich in der Aufführung der MET auch befolgt, von einer Mezzosopranistin sondern vom Tenor Youn-Seong Shim dargestellt.. Obwohl oben vom Kronleuchter her sang er legato und melancholisch p vom „Herzen ohne Liebe“ (Coeur sans amour) Bei den Liebesszenen konnte er auch dramatisch bis zum hohen Spitzenton„wagnern“ Höhepunkt war das verzweifelte Duett der beiden im III. Akt, wo sie sich hören aber nicht sehen konnten, eigentlich getrennt durch eine Blumenhecke, hier von den Feen mit verbundenen Augen herumgeschubst.

Die Rolle der Fee mit Koloraturen und Trillern über den gesamten grossen Stimmumfang von drei Oktaven ist für jeden Koloratursopran eine riesige Herausforderung. Kathrin Filip meisterte die Koloraturen, bis hin zu den etwas forcierten Spitzentönen, etwas mehr Leichtigkeit in der Stimmführung, besonders im p, kommen sicher noch. Die dankbare Rolle des hier sympathischen, um seine Tochter Cendrillon besorgten aber gegenüber der beherrschenden Ehefrau machtlosen Vaters Pandolphe erfüllte Gregor Dalal in Spiel und Stimme sehr gelungen. Beim Duett mit Cendrillon, in dem beide beschliessen zu fliehen, gelangen ihm innige Kantilenen, sodaß dies Duett auch ein Höhepunkt des Abends war. Idealbesetzung in Spiel und Stimme für die überhebliche Stiefmutter Mme de la Haltière war Suzanne McLeod. Erwähnt seien das Menuett im I. Akt, wo sie ihren Töchtern Ratschläge für das Fest gibt, oder die Darstellung ihres Stammbaums im III. Akt. Auch das folgende schnelle Ensemble mit den Töchtern (Kristi Anna Isene und Christina Holzinger) gelang exakt Die vielen kleineren Partie waren passend besetzt, wobei Stefan Klemm als König mit mächtiger Baßstimme auffiel und die sechs Geister harmonisch den Gesang der Fee begleiteten.

Opernchor und Extrachor einstudiert von Inna Batyuk sangen mächtig in den Massenszenen, als unsichtbarer Chor verfügten sie im zweiten Teil des III. Aktes über geheimnisvolles ppp.

Für die fast immer reibungslose Übereinstimmung zwischen Bühne und Orchester sorgte umsichtig und überlegen die musikalische Leitung von Stefan Veselka. Besonders in den impressionistisch klingenden Feenmusiken, etwa in der ersten Szene des zweiten Teils des III. Aktes, konnte das Sinfonieorchester Münster sein musikalisches Können zeigen. Von den Solisten seien neben Streichersoli erwähnt die delikaten Klänge von Laute, Viola d'amore und Flöte als Musik für den melancholischen Prinzen. Ganz besonders zu bewundern war das Oboen-Solo zum Gesang von Cendrillon im IV. Akt

Zum Schluß der „Münster-Fassung“ sah man dann Prinz und Cendrillon allein wieder im Kino, zweifelhaft, ob es ein wirkliches oder wieder nur geträumtes Happy-End war

Das Publikum im trotz Kirchentag gut besuchten Theater applaudierte dem gesamten grossen Ensemble, besonders natürlich den drei Hauptpersonen, aber auch Vater Pandolphe, Mme de la Haltière und vor allem Orchester und Dirigenten.

Sigi Brockmann 9. Mai 2018

Fotos (c) Oliver Berg

 

 

 

 

 

Musica sacra-Abschlußkonzert

3. April 2018

Werke von Pärt, Mozart und Bruckner

Nach dem Eröffnungskonzert im Dom fanden an jedem Tag der Karwoche und den Ostertagen jeweils in einer der vielen Kirchen Münsters Konzerte im Rahmen des Musica-sacra-Festivals für geistliche Musik statt. Besonderer Höhepunkt vom Werk und der Aufführung her war am Ostersonntag die der „Grossen Messe in h-moll“ von Johann Sebastian Bach durch die Gaechinger Cantorey – entstanden aus dem früheren Bach-Collegium und der damaligen Gächinger Kantorei Stuttgart – unter Leitung von Hans Christoph Rademann. Durchsichtiger Gesamtklang wurde erreicht durch die kleine Besetzung des Chors – jeweils fünf Sänger für jede Stimmlage – und barocke Aufführungspraxis unter Verwendung von Barockinstrumenten. Letzteres zeigte sich auch optisch etwa durch die drei langen Trompeten, das Jagdhorn (corno da caccia) zur Begleitung der Baßarie „Quoniam tu solus sanctus“ und vor allem durch die Truhenorgel, einem originalen Nachbau aus der Orgelwerkstatt Gottfried Silbermanns.

Dieses Konzert fand nicht in einer Kirche statt, sondern im Theater Münster, ebenso wie das Abschlußkonzert am 3. April 2018, wie das Eröffnungskonzert ausgeführt durch das Sinfonieorchester Münster unter Leitung von GMD Golo Berg.

Es begann mit einem „Mein Weg“ genannten Werk des estnischen Komponisten Arvo Pärt für vierzehn Streicher (Geigen Bratschen,Celli, Kontrabässe) und Schlagzeug, der Umarbeitung eines früheren Orgelwerks. Durch das bei Pärt übliche akustische An- und Abschwellen erreicht durch Wechsel von Lautstärke und Einsatz der einzelnen Streichinstrumente sollte ein wellenförmiger Lebensweg dargestellt werden. Für sakrales Flair sorgte dabei die bei Pärt auch häufige Verwendung von Glockentönen des Schlagzeugs.

Da freute man sich, daß es lebhafter wurde mit der folgenden zum Lob der Jungfrau Maria komponierten Motette „Exsultate, jubilate“ KV 165 von Wolfgang Amadè Mozart. Golo Berg wählte passende Tempi für die drei Sätze, es wurde das mittlere „Larghetto“ nicht zerdehnt und das abschliessende „Alleluja“ nicht übereilt - „Allegro non troppo“ schreibt Mozart vor. Die Sopranistin Kathrin Filip verfügte mit hellem Sopran über die für die Koloraturen notwendige stimmliche Geläufigkeit, besonders in den Kadenzen und deutlich hörbaren Trillern der Ecksätze. Auch die über bis zu eineinhalb Oktaven bis in tiefe Lagen reichenden Stimmsprünge gelangen – die Motette war nämlich 1773 ursprünglich für den Kastraten geschrieben., der die Hauptpartie in Mozarts „Lucio Silla“ sang. Im „Alleluja“ erfreute die Sopranistin zum Schluß mit einem strahlenden hohen C.  

Hauptwerk des Abends war dann Anton Bruckner´s populäre VII. Symphonie in E-Dur. Gewidmet König Ludwig II, von Bayern und im zweiten Satz eine Trauermusik für Richard Wagner paßte sie nicht unbedingt in den Rahmen von „musica sacra“, aber irgendwie sind ja alle Werke Bruckners „dem lieben Gott zugeeignet“, wie er es für seine unvollendete IX. Symphonie verfügte.

Golo Berg dirigierte das Riesenwerk auswendig weder besonders schnell noch übermässig langsam wie etwa Celibidache. Mit 21 Minuten für den ersten und 24 Minuten für den zweiten Satz und einer Gesamtdauer von etwas über einer Stunde bewegte er sich etwa im Rahmen der Aufnahme von Eugen Jochum.

Schon innerhalb des ersten Satzes wurden die dynamischen Unterschiede etwa zwischen dem ersten Themenkomplex mit dem zuerst vom Solo-Horn mit Celli-Begleitung gespielten „heldischen“ Hauptthema und den beiden ruhigeren zweiten und dritten Themen deutlich, die dann in der Durchführung deutlich hörbar miteinander und gegeneinander erklangen. Bei letzterer und Übergang zur Reprise gebührt der Solo-Flötistin besonderes Lob.

Höhepunkt der Symphonie ist bekanntlich das Adagio – sehr feierlich und sehr langsam – eine Trauermusik für den sterbenden und während der Komposition verstorbenen Richard Wagner. Ganz sonor erklangen das Wagner-Tuben-Thema und von den Geigen ausdrucksvoll auf der G-Saite gespielt das Thema aus Bruckners „Te deum“ zu den Worten „Non confundar“ (Ich werde nicht untergehen) Klug disponierte Golo Berg die gewaltige Steigerung, ließ in den Violinen die „Wagner-Sextolen“ deutlich gegen die Bläser hörbar werden, verweigerte dem Publikum aber beim Super-Höhepunkt den Schlag von Becken und Triangel. Ganz ergreifend geriet der Schluß mit dem Gesang der ersten Violinen und dem fast nur gehauchten pp bzw. ppp von Hörnern und Tuben.

Schroff erklang der Beginn des „Scherzo“ mit dem markanten Rhythmus der Streicher und dem signalartigen Solo der 1. Trompete. Da Bruckner als Tempo „sehr schnell“ angibt, hätte vielleicht noch rascher gespielt werden können. Der Kontrast dazu, der Gesang der Streicher im Trio – vorbereitet durch das pp- Paukensolo – gelang dann entspannt lyrisch. Das für Bruckner recht kurze Finale bestach durch exaktes Spielen des immer wiederkehrenden durch alle Instrumentengruppen sich bewegenden punktierten Rhythmus, bis das wiederkehrende Hauptthema des ersten Satzes für den feierlichen Schluß sorgte.

Das Publikum im fast ausverkauften Theater begann direkt nach dem letzten fff-Akkord mit grossem Applaus, auch mit Bravos. Allerdings schien es ebenfalls erschöpft, der Beifall hätte nach dieser monumentalen Symphonie eigentlich etwas länger dauern können...

Bilder (c) Der Opernfreund

Sigi Brockmann 4. April 2018

 

 

 

DIE CSARDASFÜRSTIN

Premiere 2. Dezember 2017

Glücklich ist, wer vergißt...

Die Csárdásfürstin (quer4)
Regietheaterliche Konzepte wählten in letzter Zeit mehrfach teilweise oder ganz  medizinische Einrichtungen als Spielorte. Beispielhaft für viele seien genannt Sanatorium (etwa „Rosenkavalier“ in Frankfurt), Hospital (etwa „Titus“ in Salzburg), psychotherapeutische Behandlung (etwa „Carmen“ in Aix-en_Provence) oder  medizinisches Labor (Webers „Oberon“ in München).

Seit der provokativen Inszenierung von Peter Konwitschny in Dresden im Jahre 2000 wird in Emmerich Kálmán`s Operette „Die Csárdásfürstin“ auf einen Text von Leo Stein und Béla Jenbach der erste Weltkrieg auf der Bühne sichtbar, wohl wegen der Uraufführung im Jahre 1915 – „Zeit: Gegenwart“ heißt es im Libretto. Zudem lassen sich einige der populären Gesangsnummern als Verdrängung von Angst vor drohender Katastrophe interpretieren.  Andere machten es ähnlich, wenn auch  diskreter,  wie vor einigen Jahren am Opernhaus Dortmund. (Dagegen vermied man am Theater Rostock, wo das Stück einen Tag vor Münster Premiere hatte, das Thema Krieg ganz.)

Beide genannten Regiekonzepte versuchte Mareike Zimmermann bei ihrer Inszenierung in Münster zusammenzuführen, indem sie die „Csárdásfürstin“ als Einheitsbühnenbild in einem während des ersten Weltkriegs  zum Lazarett umfunktionierten  prächtigen Theatersaal   spielen ließ (Bühne Bernd Franke). Der stellte  hier das frühere „Orpheum“, den Spielort des ersten Aktes dar.

1512134522_img_3918_klein

Als Truppenbetreuerin durch die Kriegslazarette tingelnd traf Sylva Varescu am Klavier begleitet vom früheren Freund Feri  im Jahre 1917 dort auf ihren alten Bekannten Graf Boni, der  wegen eines Armbruchs sich im Lazarett aufhielt. So sang Sylva ihr Auftrittslied auf der Bühne des Theaters, die ersten Gesangsnummern mit den „Mädis vom Chantant“ erklangen dann im Lazarettsaal begleitet  und getanzt vom Chor der Krankenschwestern und Verwundeten, letztere mit Krücken, Verbänden oder bettlägerig. (Choreografie Tomasz Zwozniak) Der Feststellung darin, die „Liebe nicht so tragisch“ zu nehmen, erinnerte ganz im Gegensatz dazu Sylva an ihre frühere „dumme Liebe“ zu Edwin. Als Rückblende spielte sich dann die folgende bekannte Handlung im zum Ballsaal verwandelten Lazarett ab unterbrochen von Szenen im ursprünglichen Lazarettsaal. Das wurde zum einen durch Wechsel der Beleuchtung erreicht, zum anderen durch schlagartiges Umklappen der Lazarettkleidung von Chor und Solisten in Ballkleider und Uniformen (Kostüme Isabel Graf).  Edwin auf einem Holzpferd sitzend im Frack mit Blumenstrauss im Arm erschien der Sylva zuerst auf der Empore als eine Art „Phantom in der Operette“, bevor er dann im Laufe der Handlung seine bekannte Rolle als als wankelmütiger Liebender spielte.

Auf den Ausbruch des ersten Weltkriegs wurde dazwischen gleich doppelt und in Art der Holzhammer-Methode verwiesen, indem General von Rohnsdorff (Sprechrolle Dirk Schäfer) sowohl die erste Meldung vom Mord am Thronfolger und seiner Gattin in Sarajewo als auch das  Manifest Kaiser Franz-Josephs „An meine Völker“ in voller Länge vorlas.

Die Titelpartie hatte die in Münster beliebte Henrike Jacob übernommen. Wenn auch weitgehend textunverständlich gesungen steigerte sie sich stimmlich im Laufe des Abends, traf sowohl hohe schnelle Töne, etwa beim „Teufelsweib“,  als auch die tiefen Lagen der Partie, etwa im Duett mit Edwin beim langsamen Walzerlied in c-moll „Weißt du es noch“ das ein musikalischer Höhepunkt   des Abends wurde. Seinen wankelmütigen Charakter – abends verlobt er sich mit Sylva, morgens folgt er elterlicher adeliger Forderung nach Heirat mit Komtesse Stasi, dann doch wieder Sylva dann wieder nicht -. macht Edwin normalerweise durch eine strahlende Tenorstimme wett. Das gelang Garrie Davislim nur in höherer Stimmlage.Auch er war weitgehend textunverständlich und man vermißte etwas operettentenoralen Schmelz. Alle Wünsche an eine Operettensängerin erfüllte Kathrin Filip,, als Komtesse Stasi. Gut aussehend, keck  beweglich in Spiel und Stimme war sie sehr textverständlich.  Das zeigte sie besonders im „Schwalbenduett“ mit Edwin im schnelleren Beginn als auch im Legato des langsamen Walzers, bewundernswert im leisen ppp „Sie zieht nach dem Süden hin“ Nicht ganz so textverständlich, aber mit gekonntem Wiener Akzent, war Erwin Belakowitsch“ als Graf Boni. Spielen mußte er den etwas degenerierten Adeligen passend zu seinen „Hits“ wie z.B. der „Chose“, die ohne Weiber nicht geht. Stimmlich sang er tongenau, die ihm zugemuteten teils läppischen Witzchen hätte man ihm ersparen können, etwa: Schtasi ist für manche verschieden von Stasi als Kurzform von Anastasia, oder, er hatte sich den Arm gebrochen.als er vom Pferd fiel, deshalb war er ja im Lazarett. Das Publikum lachte kaum als Reaktion darauf – „diskret komisch“ empfiehlt Kálmán einmal im Text! Gar nicht diskret sondern drastisch tanzten  Stasi  und er beim Walzer von „Mutzi und Putzi“ und „Mopsi mit dem Hopsi“

Mit grosser Stimme und textverständlich sang Gregor Dalal den Feri. Erwähnt sei besonders das fast schon verzweifelt klingende „Nimm Zigeuner deine Geige“ Vom  folgenden für diese Inszenierung besonders wichtigen Marschlied „Jaj Mamám“sangen je eine Strophe auch Christoph Stegemann als Fürst Lippert-Weylersheim und Suzanne McLeod als sein Frau Anhilte- sonst fast nur Sprechrollen.

Trotz der Behinderungen durch Krücken, Verbände, stehend oder liegend, immer wieder tanzend und durch häufiges Kostümwenden sang der Opernchor einstudiert von Inna Batyuk die ihm anvertrauten populären Schlager präzise und schmissig.

Letzteres und der Erfolg des Abends waren wohl vor allem zu verdanken der musikalischen Leitung von Stefan Veselka.  Vom Maestoso-Beginn des Vorspiels an gelangen ihm und dem Sinfonieorchester Münster die schmissigen, melancholischen  auch pathetischen Klänge der genialen Musik Kálmáns begeisternd und mitreissend. Tempobeschleunigungen und Ritardandi wählte er passend, Walzer-,  Marsch- und Csárdásrhythmen bis hin zum „Furioso Presto“  erklangen exakt. Von den vielen instrumentalen Soli erfreute gleich im Vorspiel und später das der Solovioline,  vor dem Duett von Sylva und Edwin etwa das Solo des Cellos. Deutlich hörte man auch die in die Melodik eingefügten musikalischen Figuren von Flöten und Holzbläsern, Harfenglissandi und immer wieder die silbrig klingende Celesta.

Ein happy-end konnte es bei dieser Inszenierung nicht geben, Sylva wollte weiter durch die Lazarette tingeln, Edwin blieb wie bei seinem ersten Erscheinen als Phantom auf der Tribüne. Da konnte es musikalisch nicht mit den „tausend Englein singen“ enden, es mußte die „dumme Liebe“ weiter das Schicksal der Csárdásfürstin bestimmen.

Trotz trister Lazarett- und Weltuntergangsstimmung auf der Bühne  gab es wohl vor allem wegen der genialen und eingängigen Musik im gut besuchten Haus Applaus für alle Mitwirkenden, er war allerdings mit den Worten eines berühmten Kritikers „endenwollend“

Sigi Brockmann 8.12.2017

Fotos (c) Oliver Berg

 


HÄNSEL UND GRETEL

Premiere 17. Oktober 2015 /  Wiederaufnahme 29. Oktober 2017

besuchte Vorstellung am 25. November 2017

Freude bei alt und jung- so sollte es sein ;-)))

Eigentlich paßt eine Aufführung von Engelbert Humperdinck`s „Hänsel und Gretel“ auf den Text von Adelheid Wette „nicht nur zur Weihnachtszeit“ - um Heinrich Böll zum hundertsten Geburtstag zu zitieren. Zwar fand eher zufällig weil mehrfach verschoben die Uraufführung am 23. Dezember 1893 (unter Leitung von Richard Strauss) statt, oder Gretel singt einmal „Hier lieg ich unterm Tannenbaum“. Die Erlebnisse der beiden Kinder im Wald, wie das Pflücken der kleinen Walderdbeeren (Erbeln), die Übernachtung im Wald oder der Gesang von Kuckuck und Lerche sind wohl nur im Sommer möglich. Auch Lebkuchen gibt es inzwischen das ganze Jahr über. Wollen Eltern und Kinder aber zur Weihnachtszeit oder zu anderer Zeit eine „richtige“ Oper mit verständlicher Handlung, volksliedhaft klingenden Melodien und romantischer Orchesterpracht erleben, scheint dieses „Märchenspiel in drei Bildern“ doch weitaus anregender als manches „normale“ Weihnachtsmärchen.

Letzteres zeigte die Wiederaufnahme aus dem Jahre 2015 schon optisch mit den wunderschön-märchenhaften Bühnenbildern, besonders des zweiten und dritten Bildes, von Christian Floeren (auch für die konventionellen Kostüme verantwortlich) und den magischen Videos von Daniël Veder. Letztere beeindruckten wieder - besonders auch dank der Drehbühne - beim „Hexenritt“ zum Ortswechsel vom elterlichen Wohnzimmer zum Wald. Letzterer bestand aus scherenschnittartigen Tannen, die dann später sich zu geisterhaften Nebelfrauen mit Irrlichtern verwandelten. Überhaupt spielte der Wald eine noch grössere Rolle als gewohnt. Statt der Engel beschützten Tannen und Pilze beim „Abendsegen“ die Kinder im Schlaf, in diese Waldbewohner und nicht zu Lebkuchen hatte die Hexe die Kinder verwandelt.

In diesem Rahmen erzählte Regisseur Andreas Beuermann die Handlung ohne eigensinnige Regiemätzchen, aber mit kleinen Korrekturen gegenüber den ersten Aufführungen. Zwar konnte auch er es nicht lassen, das Vorspiel zu bebildern, wohl auch, um die Geduld der jüngeren Zuschauer nicht zu sehr zu strapazieren. Nach der Tempobezeichnung „Munter“ sah man bei ihrem ersten Motiv die Hexe, dann tanzten Vater, Mutter und die beiden noch ganz kleinen Kinder im Rhythmus der Musik. Ein Gemälde vom Ilsenstein hing an der Wand, das sich zu Ende des ersten Bildes mit einem kleinen „Feuerzauber“ auflöste – das war neu! Damit sollte wohl begründet werden, daß der Vater (im Walzertakt) von der Knusperhexe erzählen konnte, von deren Existenz offenbar er allein wußte.

Die Titelpartien wurden dargestellt von zwei in Münster beliebten Sängerinnen, die nicht mehr zum Ensemble gehören. Bei den Duetten der beiden hörte man, wie gut sie aufeinander eingespielt waren. Burschikos und jungenhaft munter spielte Lisa Wedekind den Hänsel und sang dabei tongenau und textverständlich bis hin zu den tiefen Tönen der Partie. Gretel spielte Eva Bauchmüller rollengemäß erst keck, dann schüchtern, zum Schluß mutig. Sie sang ebenfalls sehr tongenau, „tirelierte“ nach dem Aufwachen im dritten Bild die Tonleiter herauf und herunter und ließ zum Schluß ohne zu forcieren Triller und Spitzenton strahlen. Allerdings konnte sie sich nicht immer stimmlich gegenüber dem grossen Orchester behaupten. Diese Schwierigkeiten hatten die beiden Eltern nicht, die schon vor zwei Jahren diese Partien dargestellt hatten. Suzanne McLeod überzeugte jeweils mit wechselnder Stimmfärbung als erst keifende, dann verzweifelte Mutter Gertrud. Sie beherrschte den grossen Tonumfang ihrer Partie vom markanten hohen („hau ich euch“) bis zum fast nur gehauchten tiefen h („wirf Geld herab“) Mit mächtiger Stimme und textverständlich stellte Gregor Dalal Vater Peter dar – ein gute Laune verbreitendes Rollenporträt.. Beim Auftrittslied vom „Hunger als dem besten Koch“ kam er aus dem Zuschauerraum und mußte die Besucher der ersten Reihe belästigen – ohne solches geht es wohl heute nicht mehr!

Sand- und Taumännchen, wurden beide dargestellt von Katarzyna Grabosz. Sie traf die Spitzentöne beim Taumännchen, hatte in tieferer Lage des Sandmännchens Schwierigkeiten und war textlich kaum zu verstehen. Dafür sorgte sie wie ein Regisseur für den Schutz der Kinder.

Die Knusperhexe wird heute häufig von einem Tenor gespielt – hier war es Stephan Boving, langjährigen westfälischen Opernbesuchern noch von seiner Zeit aus Dortmund in der Ära Mielitz in bester Erinnerung. Er spielte die dankbare Partie transvestitisch gekonnt und gab seiner Stimme je nach Situation gehässige oder schmeichelnde Färbung.

Der Damenchor einstudiert von Inna Batyuk sei gelobt für das Echo auf die zaghaften Rufe von Hänsel und Gretel im zweiten Bild. Zum gelungenen Schluß trugen bei – passend zum Singen aufgestellt – die Kinderchöre des Gymnasium Paulinum und der Westfälischen Schule für Musik erfolgreich einstudiert von Rita Stork-Herbst und Jörg von Wensierski. Das Wedeln mit den Armen hätte Choreograph Erik Constantin ihnen ersparen können.

Für den reibungslosen und exakten Zusammenklang dieser vielen Mitwirkenden sorgte die musikalische Leitung von Stefan Veselka. Er inspirierte zudem die Musiker des Sinfonieorchesters Münster zu einer begeisternden Wiedergabe der so melodienreichen farbig instrumentierten und rhythmisch akzentuierten Musik, letzteres etwa beim „Hexenritt“ zwischen erstem und zweitem Bild. Die Walzer, etwa der „Knusperwalzer“, gelangen ebenso wie die „Parsifal“ - Ankänge des „Abendsegens“. Humperdinck schreibt betreffend Tempo an einigen Stellen Metronomangaben vor, hier glaubte man manchmal schnelleres Tempo zu hören, was kein Fehler war. Zum deutschen Wald gehören Klänge von Hörnern. Vom Vorspiel an bis zum Schluß klangen diese rund und weich. Viele Soli einzelner Instrumente erfreuten die Ohren, als Beispiele seien genannt das Cello-Solo vor „Ein Männlein steht im Walde“ die mehreren Violin-Soli oder auch das unheimlich klingende Englisch-Horn oder die Baßklarinette für die Untermalung des unheimlichen Waldes.

Im Programmheft weist Dirigent Veselka auf die Schwierigkeit hin, die Balance zwischen Transparenz und „orchestraler Wucht“ so zu beherrschen, daß die Sänger nicht zugedeckt würden. Da wären besonders für jüngere Zuschauer Übertitel hilfreich gewesen.

Trotzdem wurde von diesen und allen Besuchern im sehr gut besuchten Theater lange und auch rhythmisch applaudiert, so lange, daß der schon geschlossenen Vorhang noch einmal hochgezogen werden mußte.

Sigi Brockmann 26. November 2017

Fotos (c)  Oliver Berg

 

 

 

 

DON CARLO

Premiere am 7. Oktober 2017

Verdi mit Schnittke-Verschnitt

Bei einer Aufführung von Giuseppe Verdi's Oper „Don Carlo“ auf das Libretto von Joseph Méry und C. Du Locle nach Schillers „Don Karlos“ fragt der Opernbesucher  als erstes, welche Fassung gespielt wird, ob fünf oder vier Akte, ob auf Französisch oder Italienisch. Obwohl für das Verständnis des Hauptkonflikts der bei Fontainebleau spielende erste Akt der fünfaktigen Fassung eigentlich unverzichtbar ist (z.Zt. in Braunschweig), wird heute meistens die vieraktige italienische (Mailänder-) Fassung (z.Zt.in Leipzig) aufgeführt, die auch für den Sänger der Titelpartie weniger anstrengend ist. Manchmal hat man den Eindruck, daß jedes Theater sich - natürlich unter Bewahrung der „Highlights“ - eine eigene Fassung zusammenbastelt.

In Münster hatten der neue GMD Golo Berg und der inszenierende Intendant Ulrich Peters  einen zusätzlichen Einfall. Sie integrierten in die weiter gekürzte vieraktige italienische Fassung acht Sätze des Requiems von Alfred Schnittke, einer teilweisen Vertonung der katholischen lateinischen Totenmesse mit zusätzlichem kurzen Credo für Soli, Chor und Kammerensemble (Schlagzeug, Gitarren Tasteninstrumente, Trompete und Posaune) Dieses Requiem schrieb der 1998 verstorbene russisch-deutsche Komponist als Teil einer Bühnenmusik zu einer Aufführung des „Don Karlos“ von Schiller.. Auf diese Art der Verknüpfung von verschiedener Musik, die in zeitlichem Abstand von mehr als 100 Jahren entstanden und nur durch den Bezug auf Schillers „dramatisches Gedicht“ verbunden ist, soll, weil ganz ungewohnt, zuerst eingegangen werden.

So begann die Aufführung mit dem ersten Teil von Schnittkes Reqiem, eben dem „Requiem aerternam“ (ewige Ruhe). Da es sich nach einleitenden Glockentönen um ein grosses Crescendo und Decrescendo des Chors erinnernd an Gregorianik handelte, ersetzte es durchaus passend Verdis Gesang der Mönche an dieser Stelle. Im weiteren Verlauf begleiteten ein Wechsel zu irrealer blauer Beleuchtung und ein Erstarren der Handlung die Einfügungen durch Schnittkes Musik. Dabei wurde deren stilistische Bandbreite deutlich. So erinnerte das „Sanctus“, das nach der Verbannung der Gräfin d'Aremberg ertönte, wiederum an gregorianischen 'Choral. An anderer Stelle klang es wie Orffs „Carmina burana“. Schnittkes mehrstimmiges „Dies irae“ (Tag es Zorns) mit starken Schlagzeug -Rhythmen erklang an Stelle des Schlusses des Autodafé. Ein ätherisches „Hostias“ folgte dem Duett zwischen König und Großinquisitor. Nach dem Tod Posas und hier auch der Gräfin Eboli folgte das kurze durch Trompete und Posaune charakterisierte „Credo“.

Die eigentliche Handlung spielte dann in einem Einheitsbühnenbild (Rifail Ajdarpasic), das ein düsteres Mausoleum mit je nach Handlung verschiebbaren Wänden darstellte. Darin sollten herbstlich-braune Blätter auf dem Boden und vom Bühnenhimmel herabfallend sowie kahle Baumstümpfe Sinnbild für morbide Dekadenz sein. Die Kostüme von Ariane Isabell Unfried paßten entfernt in die Zeit der Handlung, dabei sehr viel schwarz, Elisabeth dagegen in unschuldigem Weiß, die flandrischen Gesandten waren als Holländer zu erkennen. Dauernde Todesnähe sollte wohl auch ein häufig auf der Bühne zu sehender Sarg vermitteln, von dem man allerdings nicht wußte, wer darin ruhte oder ruhen sollte, vielleicht der König, nach seinem Tod „nell'avello dell Escurial“(In der Gruft des Escorial) .

Wie auch in Verdis Musik stellte Ulrich Peters das Schicksal König Philipps in den Mittelpunkt seiner Inszenierung – Herrscher mit Krone und grossem Schwert Macht demonstrierend, aber untertan seiner eigenen Staats- bzw. Kirchenraison, der er Liebe zu Sohn und Königin, körperliche Beziehung zur Gräfin Eboli und Freundschaft zu Posa opfern muß..Seine Ohnmacht versuchte er durch Gesten bei den Einschüben von Schnittkes Musik anzudeuten.

Wegen letzter hielt man wohl weitere Kürzungen für notwendig, was dem Verständnis nicht immer diente. Wenn z.B. im zweiten Akt nicht gezeigt wurde, wie die Königin und Eboli die Kleider tauschten, wurde die folgende Szene zwischen Carlos und Eboli unverständlich für jemanden, der die Handlung nicht ohnehin kannte. Das „Dies irae“ als Abschluß des Autodafés verschenkte zum grossen Teil die gewaltige Wirkung dieser Massenszene.

Auch stimmlich war König Philipp, gesungen von Stephan Klemm, Mittelpunkt der Handlung. Mit mächtigem Bass konnte er Orchester und Chor übertönen, beherrschte scheinbar ohne Schwierigkeiten den grossen Stimmumfang der Partie, konnte der Stimme je nach Situation eine andere Klangfarbe geben und war zu einem zurückhaltendem p vor allem natürlich in der grossen Arie „Ella giammai m'amò“ fähig. Das folgende Duett mit dem Großinquisitor – ebenfalls mit mächtigem Baß Christoph Stegemann – wurde so zu einem musikalischen Höhepunkt, Allerdings war der Großinqusitor weder blind noch neunzigjährig, sondern schritt auch nicht als Miglied des Klerus kostümiert auf der Bühne hin und her, was die Wirkung der Rolle als nur seinem Fanatismus lebenden Greis minderte.

Nach dem König hat die faszinierendste Rolle Gräfin Eboli. Dies zeigte Monika Walerowicz schauspielerisch und sängerisch in allen Facetten. Triller und Koloraturen des „Schleierliedes“ sang sie treffsicher mit verführerischer Klangfarbe, leider gönnte man ihr nur eine Strophe davon. Bewundernswert gelang dann die grosse Szene über ihre Schönheit als „don fatale“ (verhängnisvolles Geschenk) mit den verzweifelten Ausbrüchen, dem   bis in tiefe Tiefen „cantabile“ und fast schon zärtlich gesungenen „O mia regina“ (meine Königin) und dem wilden Entschluß zur Rettung von Carlos bis hin zum hohen b.

Den ebenso grossen Stimmumfang ihrer Partie beherrschte auch Kristi Anne Isene als Königin Elisabeth, wobei ihre Spitzentöne manchmal etwas gepreßt klangen, dafür gelangen die p- Legato – Bögen ihrer Romanze beim Abschied von der Gräfin d'Aremberg (auch nur eine Strophe) und der grossen Szene im letzten Akt „S´ancor se piange in cielo“ (Gibt es im Himmel Tränen) ganz ergreifend.

Ausdrucksvolle Legato-Bögen hörte man auch von Filippo Bettoschi in der Idealrolle des Rodrigo von Posa, vor allem in der ergreifenden Sterbeszene, übrigens der einzige Sänger einer grösseren Partie, der auch in der vorigen Spielzeit schon in Münster engagiert war. In der Titelpartie glänzte Garrie Davislim mit helltimbrierten bis zum Spitzentönen starkem Tenor, war aber auch zu zrückhaltendem p fähig.

Erfolgreich mit stilistisch so unterschiedlichen Aufgaben wie Verdi und Schnittke gebührt Opernhor und Extrachor in der Einstudierung von Inna Batyuk besondere Hochachtung. Chorsolisten übernahmen im Autodafé auch die Rollen von Mönchen und der flandrischen Gesandten. Nur beim letzteren und dem Aufstand des Volks stand der Chor auf der Bühne, sonst blieb er unsichtbar.

Die stilistischen Unterschiede zwischen Verdi und Schnittke machten Golo Berg und das Sinfonieorchester Münster deutlich. Souverän leitete Berg das musikalische Geschehen und ließ Verdis melodische Einfälle, harmonische Spannungen und farbenreiche wenn auch meist düstere Instrumentierung hörbar werden, als Beispiel etwa die Einleitung des letzten Aktes. Dafür sorgten auch die zahlreichen Orchestersoli, erwähnt seien als Beispiele das Englisch-Horn vor der Romanze der Elisabeth oder das Cello vor der grossen Arie des Königs.

In dieser Aufführung mußten auch Elisabeth und Carlos zum Schluß sterben, der König macht eine Geste, mit seinem Schwert den Großinquisitor zu töten, schreckt aber zurück und geht zu den Klängen des Requiems von Schnittke, mit der die Aufführung begann, gebrochen nach hinten ab. Allerdings war dies auch eine der wenigen eindringlich gespielten Szenen, sonst gab es wenig Aktion, mit althergebrachten Operngesten wurde.häufig an der Rampe stehend gesungen .

Das versuchte wohl auch das Premierenpublikum im gut verkauften Haus auszudrücken. Am meisten Applaus erhielten König Philipp und Gräfin Eboli, danach alle anderen etwa gleichmässig. Grossen Applaus gab es verdientermassen auch für den Dirigenten und das Orchester, während das Regieteam herbe Buhrufe ertragen mußte.

Sicherlich war die Einfügung des Requiems von Schnittke in Verdis Oper interessant, ob es eine Bereicherung der letzteren war, muß dem Geschmack des Besuchers überlassen bleiben.

Sigi Brockmann 8. Oktober 2017

Fotos (c) Oliver Berg

 

 

 

 

 

Vorschau Musiktheater Spielzeit 2017/2018

Besonders spannend bei den Produktionen des Musiktheaters in Münster für die kommende Spielzeit ist die Frage, wie nach dem Ausscheiden von Fabrizio Ventura sein Nachfolger GMD Golo Berg die erfolgreiche Arbeit fortsetzt aber auch neue Akzente setzt. Golo Berg stammt aus Weimar und war zuletzt musikalischer Leiter am Theater Vorpommern, dem Zusammenschluß der Theater von Stralsund und Greifswald, die auch das Theater Putbus auf Rügen bespielen.

Als bekennender Verdi-Fan beginnt er gleich recht anspruchsvoll mit „Don Carlo“ in der vieraktigen italienischen Fassung. (Premiere 7.10.17) Als Zusammenarbeit der beiden „Generäle“ inszeniert Generalintendant Ulrich Peters, der ansonsten in dieser Spielzeit nur die Regie von „König Drosselbart“ übernimmt.

Mit neuem GMD kommen auch neue Sänger: Die Titelpartie übernimmt Garrie Davislim, bisher eher als Mozart-Sänger (Tito, Belmonte) bekannt,  König Filippo ist Stephan Klemm, durch seine Mitwirkung im „Ring“ von Dessau bekannt geworden und Monika Walerowicz von der Staatsoper Hannover wird die Eboli. 

Es folgt unter der musikalischen Leitung von Stefan Veselka und inszeniert von Mareike Zimmermann die Csárdásfürstin. (Premiere 2.12.17). Edwin singt nach dem „Carlo“ Garrie Davislim, Graf Boni der beliebte Boris Leisenheimer. Freuen kann man sich auf Gregor Dalal als Feri.

Danach wird es wild mit einem „Rock Mystery Everyman“  (Premiere 13.1.2018) Für eine Fassung des „Jedermann“ für Metal Band und Orchester ist Thorsten Schmid-Kapfenburg der passende Dirigent, inszenieren wird Johannes Reitmeier vom Tiroler Landestheater Innsbruck.

Auf englisch und neuzeitlich geht es weiter mit der Oper „Angels in America“ (Engel in Amerika) von Peter Eötvös basierend auf Tony Kushners Broadway-Erfolg, der auch verfilmt wurde.  (Premiere 24.2.18) Die musikalische Leitung hat GMD Golo Berg , inszenieren wird dieses Stück über die Ausgrenzung eines schwulen Aids-Kranken zur schlimmen Zeit des bösen Ronald Reagan Carlos Wagner, der gerade den „Freischütz“ inszeniert hat.

Danach wird es märchenhafter mit Jules Massenet`s Cendrillon“ (Aschenputtel).(Premiere 14.4.18) Für französische musikalische Eleganz sorgt Stefan Veselka, inszenieren wird Roman Hovenbitzer..

Zum Schluß folgt dann nochmal ganz ganz grosse Oper, nämlich „Don Giovanni“ (Premiere 26.5.18) Natürlich dirigiert GMD Golo Berg, Regie führt Christian von Götz. Publikumsliebling Gregor Dalal wird sicher ein hinreissender Leporello.

Meistbeschäftigt sind drei Soprane, einmal Henrike Jacob, schon bisher Mädchen für alles zwischen Händel und Hindemith, gleich in drei Hauptrollen. Sie singt die Titelpartien in „Csárdásfürstin“ und „Cendrillon“ sowie Donna Anna in „Don Giovanni“ Ähnliches gilt für Kristi Anna Isene als Elisabetta in „Don Carlo“, Harper Pitt in „Angels in America“, eine der beiden bösen Schwestern in „Cendrillon“ und Donna Elvira in „Don Giovanni“ Kathrin Filip singt eine kleinere Partie in „Don Carlo“ Komtesse Stasi in „Csárdásfürstin“ den Engel in „Angels in America“ die wohltätige „Fée“ in „Cendrillon“ und Zerlina in „Don Giovanni“

Ihr männliches Gegenstück ist einmal der Bariton Filippo Bettoschi mit Posa in „Don Carlo“, Joseph Pitt in „Angels in America“, einer kleineren Rolle in „Cendrillon“ und ganz großer Rolle als Don Giovanni. Christoph Stegemann kehrt als Opernsänger an seinen Studienort Münster zurück mit dem Großinquisitor in „Don Carlo“, Fürst Leopold in „Csárdásfürstin“ Roy Cohn in „Angels in America“, einer kleinen Rolle in „Cendrillon“ und Masetto in „Don Giovanni“

Für Sänger ist die Möglichkeit, musikalisch und charakterlich so unterschiedliche Rollen gestalten zu können, Schutz vor zu früher Spezialisierung, für das Publikum die Freude, deren Wandlungsfähigkeit in verschiedensten Rollen zu erleben – ein Lob dem Ensemble-Theater!

 Wiederaufgenommen wird ab 29.10.17 „Hänsel und Gretel“ in der beliebten Inszenierung von Andreas Beuermann, dirigieren wird wieder Stefan Veselka.

Sigi Brockmann 12. Mai 2017

 

 

 

DER FREISCHÜTZ 

Premiere 25. März 2017 - besuchte 2. Aufführung 7. April 2017

Mit seiner Oper in drei Aufzügen„Der Freischütz“ auf ein Libretto von Friedrich Kind, das wiederum von alten Volksmärchen inspiriert wurde, erfand Carl Maria von Weber trotz einiger Vorläufer den Typus der „romantischen Oper“. Romantisch bedeutete wohl, daß die Natur - hier in Form das böhmischen Waldes - menschliche Gefühlsregungen maßgeblich formte. In ihm wirkten dämonische Mächte, spielte sich aber auch das volkstümliche abwechselnd fromme und ausgelassene Leben seiner Bewohner ab.

Für die Aufführung in Münster unter der musikalischen Leitung von Stefan Veselka  stellte die Inszenierung von Carlos Wagner gruselige Wolfsschluchts-Atmosphäre wenn auch teils ironisch verfremdet, in den Vordergrund. Dafür ließ sich Bühnenbildner Christophe Ouvrard von der ATeLIERWERKSTATT – Katja Byhan einen riesigen entwurzelten Baum auf die drehbare Bühne bauen, dessen aufragende Wurzeln in gespenstisch-dunkler Beleuchtung richtig schaurig wirken konnten, so wie ähnlich auch schon im Libretto der Oper für die Wolfsschlucht gefordert.. Dieser Baumstumpf ragte bis in Agathes   Wohnstube herein und zerriß sie in zwei Teile, sodaß auch dort für naive Wohlfühl – Romantik kein Platz war. Für die Wolfsschluchtsszene wurde diese Wohnstube auf den Kopf gestellt, so daß etwa die Glühbirnen der Deckenlampe für die Herstellung der Freikugeln genutzt werden konnte. Letztere spuckte Max nach Einnahme eines Zaubertranks unter grossen Schmerzen aus. Um den frommen Schlußchor schrecklich zu konterkarierern, wurde der Bösewicht Kaspar zum Schluß verbrannt.

Dagegen gab es heitere Akzente durch eine die ganze Bühne ausfüllende Projektion eines Hirsches als Ziel männlichen Jagdvergnügens schon beim Samiel-Motiv der Ouvertüre und zu Beginn des letzten Aktes, ebenso wie durch einen langsam erstarrenden Schuhplattler als Tanz der Landleute im I. Akt. Der Teufel ist bekanntlich ein gefallener Engel, so sollten Samiel und der fromme Eremit von demselben Sänger dargestellt werden. .

Bedingt durch Krankheit des Sängers konnte dies nicht gezeigt werden. Der Eremit wurde seitlich am Bühnenrand gesungen vom Bassisten Lukas Schmid, gespielt wurden Samiel und Eremit von der Regieassistentin Pia Kemper, für den Zuschauer als Notlösung erkennbar, rettete aber den Abend.

Auch der Darsteller des Max mußte krankheitsbedingt ganz kurzfristig durch einen Gast ersetzt werden, nämlich durch Tilman Unger vom Staatstheater Nürnberg. Opernfreunden aus Münster ist er aus dem Jahr 2013 in Erinnerung, wo er in Hindemiths „Neues vom Tage“ den „schönen Herrn Hermann“ sang und seiner Stimme vom Verfasser dieses Artikels schon damals „Heldentenorqualität“ bescheinigt wurde. Diese zeigte er trotz der kurzfristigen Übernahme der Partie jetzt noch mehr als Max, den er kürzlich in Dresden sang.. In der grossen Szene „Durch die Wälder..“ beeindruckte er mit Verzweiflung darstellender Stimmkraft in den Rezitativen und kantablen Legatobögen in der Arie. Ganz großartig im p ohne Orchesterbegleitung gelang ihm im Terzett des II. Aktes die wehmütige Frage „und hast du auch vergeben“

Stimmlich mit innigen, schlichten p-Kantilenen und leuchtenden Spitzentönen beeindruckte Sara Rossi Daldoss als Agathe. In ihrer grossen Arie im II. Akt gelang das „leise leise fromme Weise“ mit ebenso Unschuld darstellender Stimmfärbung wie die Kavatine im III. Akt, Unschuld jetzt auch im weissen Brautkleid unterstreichend (Kostüme auch Christophe Ouvrard)   Den heiteren Kontrast zeigte mit keckem Spiel und Gesang Eva Bauchmüller als Ännchen. Besonders in der Ariette „Kommt ein schlanker Bursch..“ sang sie perfekt Koloraturen, Triller und traf spielend die hohen Spitzentöne, spielend auch insofern, als sie dabei noch Schießübungen zu absolvieren hatte.

Gregor Dalal ist neben seinem Erfolg als „Falstaff“ geübt in Rollen von Bösewichtern. Das zeigte er einmal mehr als Kaspar. Seine Beethovens Pizarro nachempfundene Rache-Arie zum Schluß des I. Aktes und auch die abgehackten kurzen Sätze in der Wolfsschlucht zeigten bis zu genau getroffenen tiefen Tönen seine stimmliche Kraft und Ausdrucksmöglichkeiten. Als einziger überzeugte er auch in den bis auf ein Minimum gekürzten Dialogen mit sprachlichem Können. So konnte er glaubhaft machen, daß Kaspar aus Todesangst zum Bösewicht geworden ist.   

Die übrigen kleineren Partien waren rollendeckend besetzt. Boris Leisenheimer sang und spielte gekonnt den arroganten Kilian, Plamen Hidjov war Erbförster Kuno , Filippo Bettoschi , zuerst mit Hirschgeweih als Kopfbedeckung, fand sich nach anfänglichen Schwierigkeiten auch stimmlich in die Rolle des Fürsten Ottokar.

Chor und Extrachor in der Einstudierung von Inna Batyuk sangen rhythmisch und stimmlich genau. Das höhnische „hehehe“ der Damen im I. Akt hätte man sich noch gehässiger gewünscht. Die Herren sangen den Jägerchor wie er denn so gesungen wird. Das abschliessende „Joho Tralalala“ könnte wohl noch mehr als Karikatur klingen. Sehr schön gelang der mehrstimmige Schlußchor.

Als musikalischer Leiter wählte Stefan Veselka durchgängig rasche Tempi, das grosse Crescendo im Adagio zu Beginn der Ouvertüre hätte vielleicht noch eindrucksvoller dargestellt werden können. Den „Jungfernkranz“ nahm er auch verhältnismässig rasch, die geisterhafte Wirkung, die er bei langsamerem Tempo (Andante quasi allegretto) bewirken kann, stellte sich hier nur durch die matronenhaften Kostüme der „Brautjungfern“ ein.

Zur Jagd gehören Hörner. Deren Soli wurden im Laufe des Abends immer schöner, Tonmalerisch hörte man von ihnen und den Holzbläsern etwa auch das Flügelschlagen der Nachtvögel oder das Bellen der Hunde in Wolfsschlucht-Szene. Von instrumentalen Soli seien erwähnt die von Weber so geliebte Klarinette, die „teuflischen Triller“ der Piccolo-Flöten bei Kaspars Lied vom „irdischen Jammertal“ die Solo-Oboe bei Ännchens Ariette, die Solobratsche bei ihrer „Romanze“ oder das Solo-Cello zur Begleitung von Agathens Gesang.

Zwischenapplaus des Publikums im gut verkauften Theater blieb nach Maxens grosser Arie ganz unverdient völlig aus und klang später etwas müde. Umso lebhafter war der Schlußapplaus bis zum Schliessen des Vorhangs.

Sigi Brockmann 8. April 2017

Probenfotos zum Teil mit anderen Sängern von Oliver Berg

 

 

ALCINA

Premiere 14. Januar 2017

Liebeszauber im Eispalast

Das Versepos aus dem 16. Jhdt. „Orlando furioso“ (Der rasende Roland) von Ludovico Ariosto wird heute vor allem erwähnt, weil Episoden daraus von Georg Friedrich Händel und anderen Komponisten zu Opernhandlungen verwendet wurden. So verhält es sich auch mit Händels dramma per musica „Alcina“   Dies hatte am Theater Münster als Höhepunkt der „Tage der Barockmusik“ unter der musikalischen Leitung von Attilio Cremonesi und in der Inszenierung von Sebastian Ritschel am letzten Samstag Premiere.

Im Gegensatz zu höfischen Intrigen in der vor zwei Jahren aufgeführten „Ariodante“ handelt es sich bei „Alcina“ um eine Zauberoper, die Liebesglück und Liebesleid in für die jeweilige Gefühlslage charakteristischen Da-capo-Arien begleitet von abwechslungsreicher Instrumentation darstellt.

Um Männer anzulocken zauberte Zauberin Alcina in ihren Eispalast - ein erjagter Eisbär hängt unter der Decke – Sehnsuchts - Räume, Vorläufer von Baudelaires „paradis artificiels“ (künstliche Paradiese). Diese machten in Münster einen etwas sparsamen Eindruck - einmal ein grüner Garten und einmal eine Sektbar , jeweils seitlich auf die Bühne geschoben (Bühne Markus Meyer) Ihre früheren ausgelaugten Liebhaber verwandelte Alcina in geschlechts- und seelenlose Zombies, die herumwankten, sie bedienten, aber auch als vergeblich angerufene Geister sehr beweglich waren. So wurden die manchmal langen Da-capo-Arien optisch aufgelockert (acht Statisten). Beim letzten von ihrem Liebeszauber verführten Mann, Ruggiero , klappte das so nicht mehr. Seine frühere Braut Bradamante kam als Mann verkleidet mit ihrem Erzieher Melisso im Schneesturm auf die Insel und durch eines der drei Tore in ihren Palast. Nach wechselhaften Gefühlswirren erkannte Ruggiero, von Alcinas Zauber geheilt, in Bradamante seine wahre Liebe und konnte mit ihr die Insel verlassen.

Alcinas Zauberkünste versagten nämlich, weil sie Ruggiero nicht nur als zeitweiliges Sexobjekt betrachtet hatte, sondern ihn aufrichtig liebte. Es gibt dann noch eine Nebenhandlung, wie sich Alcinas flatterhafte Schwester Morgana in die als Mann verkleidete Bradamante verliebte. Als sie den Irrtum bemerkte, kehrte sich flugs zu ihrem früheren Liebhaber Oronte zurück. Nachdem Ruggiero Alcinas Reich mit einer Axt zerstört hatte, erstarrten die verwandelten Liebhaber zusammen mit Alcina in der trostlosen Eislandschaft, mit der das Stück begann. Den dankbaren Schlußchor stimmten alle Sänger ausser Alcina an. Als Abschluß folgte leise und langsam verklingend ein Teil von Händels Ballettmusik – eben dramma per musica!

Die Kostüme, ebenfalls von Sebastian Ritschel, waren wie bei Händel heute üblich gemässigt modern mit wechselnden Abendroben für Alcina und den dargestellten Temperaturen entsprechend mit viel Pelz. Letzteren trugen auch die „Zombies“ zu ihrer spärlichen Unterbekleidung.

Gelungen war insgesamt die musikalische Seite der Aufführung. Für die Titelpartie schien das Timbre des Soprans von Henrike Jacob in der ersten grossen Arie über die Liebe zu Ruggiero etwas wenig verzaubernd. Sie steigerte sich aber im Laufe des Abends, besonders in den Arien von Trauer und Verzweiflung. Ein Höhepunkt war vor der Pause die Arie „A! mio cor!“ (O mein Herz du bist verachtet), wo sie bemerkt, daß Ruggiero eine andere liebt. Verzweiflung wurde im p dargestellt, die Rachegefühle im Mittelteil fielen schnell in sich zusammen zum fragenden „Perché?“ (warum). Ausgerechnet zum verklingenden Schluß rauschte laut und störend Regen auf sie herab, da fragt sich auch der Besucher „Perché? Koloraturen und Spitzentöne der Arie „Ombre pallide“, in der sie merkt, daß ihre Zauberkünste versagen (wiederum perché), wurden gut getroffen. Schon fast vor Kälte erstarrt sang sie wieder ganz verhalten die letzte (Tränen-)Arie „Mi restano le lagrime“

Lisa Wedekind als Münsters Spezialistin für Hosenrollen spielte überzeugend und glänzte mit ihrem in allen Lagen ansprechenden substanzreichen Mezzo in der Partie des Ruggiero. Die Koloraturen der   liebestrunkenen ersten Arie gelangen ebenso wie die tiefen Töne der Eifersucht, als er glaubt, Alcina liebe die als Mann verkleidete Bradamante und wie der gefühlvolle Stimmausdruck, als er zu seiner Liebe zu Bradamante zurückfindet. Einen seiner Hits „Verdi prati“, wo er bedauert, daß er die gezauberte grüne Natur wird zerstören müssen, wurde ziemlich gekürzt, es war ja auch nicht viel davon auf der Bühne zu sehen. Bekannt vom Theater Bonn konnte man als Ruggieros geliebte Bradamante Charlotte Quadt bewundern. Erwähnt werden soll als Beispiel ihre „Rachearie“, wo sie glaubte, daß Ruggiero sie aus Liebe zu Alcina nicht erkennen will (Vorrei vendicarmi).

Nach so vielen Arien erfreute besonders das Terzett der drei kurz vor Ende „Non è amor“ (Nicht Liebe oder Neid, sondern Mitleid)

Koloraturen im etwas italienischen Stil beherrschte Eva Bauchmüller als schnell ihre Liebe wechselnde Morgana „Amar e disamar“ singt sie (Ich liebe und liebe nicht mehr, so wie ich möchte) Ihre Arien wurden gekonnt von hohen instrumentalen Soli begleitet, einmal der Violine (Midori Goto) und einmal des Cello. (auch im Continuo Shengzi Guo). Echtes Gefühl zeigte sie erst, als sie zu Oronte zurückkehren wollte (Crede al mio dolore – glaub an meinen Schmerz). Letzteren sang mit kräftigem Tenor Youn-Seong Shim. Besonders gefiel seine koloraturenreiche Arie über die untreuen Frauen „Semplicetto a donna credi?“ fast schon an „Cosi fan tutte“ erinnernd. Gleichzeitig spielte er etwas übertriebene Eifersucht. Filippo Bettoschi ergänzte in der Bariton Partie als Bradamantes Vertrauter Melisso überzeugend das Ensemble.

Grosses Lob gebührt dem wie immer bei solchen Gelegenheiten höher platzierten Sinfonieorchester Münster, das für die „Tage der Barockmusik“ von Attilio Cremonesi als „artist in residence“ geleitet wurde. Hörbar hatte er das Orchester informiert, wie man „historisch in- formiert“ spielt, wenn viele es nicht schon vorher konnten.. Er setzte kräftige musikalische Akzente, etwa der Streicher bei Begleitung von Ruggieros Arie „La bocca vaga“ (das süsse Mündchen)   teilweise in durchaus raschem Tempo, etwa zu Bradamantes Rachearie. Gleichzeitig sorgte er für einfühlsame Begleitung der Sänger. Aus dem Orchester sei als Beispiel hervorgehoben die Begleitung durch die Hörner von Ruggieros letzter heroischer Arie über Alcinas Verhalten als nun machtlose Tigerin. Ausser dem Dirigenten selbst spielte Andrea Marchiol Cembalo – auch mit einem Solo. Michael Emig am Kontrabass ergänzte die Continuo-Gruppe.

Beim Publikum im ausverkauften Haus erweckte die Aufführung Begeisterung, manchmal schon mit Zwischenapplaus und zum Schluß auch mit Bravos für die Sänger, Orchester und den temperamentvollen Dirigenten, auch für das Leitungsteam. Froh konnten man sein, daß nach der Vorstellung im Vergleich zum vielen Schnee auf der Bühne es in Münster kaum schneite.

Sigi Brockmann 15. Januar 2017

Fotos (c) Theater Münster / Oliver Berg

 

 

 

 

FALSTAFF

Premiere am 5. November 2016

Die „Lustigen Weiber von Windsor“ sind eine eher schwächere Komödie von Shakespeare. Das meinte der durch seine umfangreiche „Theatergeschichte“ bekannt gewordene Günther Erken in seinem Beitrag innerhalb einer Vortragsreihe über Shakespeare im Theater Münster („Gelehrte im Theater“ – Initiator Pressesprecher Wolfgang Türk). Deren Inhalt sei, fuhr er fort, mit der Musik Giuseppe Verdis auf den Text von Arrigo Boito (unter Verwendung einiger Passagen aus „Heinrich IV“) als lyrische Komödie „Falstaff“ zum grossen Welttheater, auch wegen der Schlußfuge, gesteigert worden.

Dies zeigte nun wieder einmal die Aufführung in Münster, die am vergangenen Samstag Premiere hatte. Die musikalische Leitung lag bei GMD Fabrizio Ventura. Insgesamt handelte es sich um eine Wiederbelebung der Inszenierung, mit der Münsters heutiger Generalintendant Dr. Ulrich Peters sich von seiner vorigen Stellung als Staatsintendant des Münchener Theaters am Gärtnerplatz verabschiedet hatte. Damals – vor ungefähr fünf Jahren - wurde sie aufgeführt wegen der bis heute nicht abgeschlossenen Sanierung in der dafür so passenden Ausweichspielstätte Prinzregententheater.

Die Handlung sollte dargestellt werden als Theater auf dem Theater mit den von Falstaff angezettelten Intrigen als Mittelpunkt des turbulenten Geschehens. So spielten die ersten Teile der drei Akte vor einem Theatervorhang, es gab an einer Tür rechts den Hinweis „Stage door“ und es wurden Kleiderständer mit Kostümen herein- und herausgeschoben - alle Mitwirkenden waren übertrieben britisch gekleidet passend zur Zeit der Entstehung der Oper (Bühne und Kostüme Christian Floeren) Durch Öffnen dieses Vorhangs konnte dann schnell gewechselt werden zu den anderen Schauplätzen wie Platz vor Fords Haus und das Innere seines Hauses - hier mit einer Hochhausarchtitektur im Hintergrund. Zum „mythischen“ Schlußbild sah man vor einer Projektion des Waldes von Windsor dann richtig schön kitschig eine Eiche im fahlen Mondschein.

Schon in München als Darsteller der Titelpartie gelobt verkörperte Gregor Dalal auch jetzt  stimmlich und schauspielerisch bewundernswert alle Facetten des alten Schwerenöters. Mit seiner wandlungsfähigen und treffsicheren Baßstimme besang er ironisch die Nutzlosigkeit der „Ehre“, klang   eitel mit seinen vermeintlichen Erfolgen als Möchte-gern Don Juan und in seiner Jugenderinnerung als Page gegenüber Alice. Ihre Stimme nachahmend sang er auch im Falsett. Melancholischer Höhepunkt war sein Monolog nach dem unfreiwilligen Bad in der Themse mit „Mondo ladro“ (undankbare Welt) und der fast schon tragischen Aufforderung an sich selbst „Va vecchio John“ (Geh immer weiter bis ans Ende)

Sein eigentlicher Gegenspieler Ford wurde wie schon in München gesungen mit grossem Verdi-Bariton von Gary Martin. Sein Pseudo-Madrigal schloß er gekonnt mit Koloraturen. Der Monolog im zweiten Akt „È sogno“ erinnerte mit seinem überzeugend gespielten Ausbrüchen unbegründeter Eifersucht an Verdis „Otello“

 

Mit perlendem staccato scheinbar ganz spielerisch Spitzentöne treffend glänzte Sara Rossi Daldoss als schöne Strippenzieherin Alice. Zärtliche erwachende Liebe gestalteten stimmlich Eva Bauchmüller als Nanetta und Youn-Seong Shim als Fenton. Letzterer verströmte tenoralen Wohlklang in der einzigen richtigen „Arie“ der Oper zu Beginn des zweiten Teils des dritten Aufzugs. ebenso „dolcissimo“ beginnend wie später Nanetta als Elfenkönigin. Suzanne McLeod glänzte mit der bei ihr gewohnten stimmlichen und schauspielerischen Bühnenwirkung als intrigante Mrs. Quickly. Mit wohlklingendem Mezzo ergänzte Lisa Wedekind das Quartett der „lustigen Weiber“. Cameron Becker als Bardolfo und Plamen Hidjov als Pistola sangen und spielten passend, mußten auch dann Hans-Wurst-artig über die Bühne torkeln, wenn ihr Auftritt im Libretto nicht vorgesehen war.

Hans Kittelmann sang mit treffsicherem Tenor den Dr. Cajus, als juristisches Markenzeichen stets eine Aktentasche tragend.

 

Grosse Begeisterung weckt die Oper vor allem durch ihre für alle Sänger schwierigen Ensembles. Da konnte Fabrizio Ventura sein dirigentisches Können beweisen. Im „Nonett“ des ersten Finales wo die fünf Herren in schnellen Achteln vor sich hin plappern (auch mit der Vorschrift pppp) und die vier Damen den Plan zu Falstaffs Täuschung besingen, war er noch vorsichtig. Das Finale des zweiten Aufzugs, wo sich auch stimmlich neben den vier Hauptbeteiligten noch der Herrenchor (Choreinstudierung Inna Batyuk) an der Suche nach Falstaff beteiligt, die Damen sich über diesen im Wäschekorb lustig machen und Nanetta und Fenton über allem Liebeskantilenen singen, klappte prima. Die bis heute immer wieder zutreffende Schlußfuge „Tutto nel mondo è burla“ (Alles ist Narrheit auf Erden) wurde dann ohne Wackler zu schnellem Tempo gesteigert.

In ganz wenigen Opern ist der Orchesterpart thematisch und instrumental so geistreich komponiert wie im „Falstaff“ (vielleicht Teile der „Meistersinger“) Das konnte der Zuhörer weitgehendst geniessen. Die häufige Klangmischung von Streichern und (Holz)-bläsern klang delikat. Englisch-Horn, Oboe, Flöte und Harfe glänzten in ihren kurzen Soli. Als Falstaff den „Wahnsinn des Trillers“ besang, trillerten diese alle mit. Das schwierige „molto staccato“ der Kontrabässe zu Beginn des dritten Aktes ging leider dadurch etwas unter, daß Falstaff aufgetaucht aus der Themse mit einem riesigen Rettungsring die Bühne betrat – letzterer eigentlich überflüssig, denn er freut sich ja darüber, daß sein Bauch ihn über Wasser hielt. Sehr schön klang die klagende Begleitung der Bläser zu seinem folgenden Monolog. Zu Beginn des dritten Aktes erzeugten das Solo-Horn hinter der Bühne den passenden nächtlich-unheimlichen Klang.

Vor neun Jahren tauchte in einer Inszenierung der „Aida“ in Münster ein Schauspieler geschminkt als Giuseppe Verdi auf der Bühne auf, damals genau so überflüssig wie jetzt, wo er gespielt von Wolfgang Ueffing immer mal beobachtend durch das Bühnenbild schritt oder, da wenigstens passend, zu Beginn des dritten Aufzuges Falstaff den Glühwein reichte.

Wie schon in anderen Opernhäusern geschehen gaben die Übertitel nicht eine Übersetzung des italienischen Textes, sondern interpretierten und banalisierten diesen. Etwa wurde im Brief Falstaffs an die Damen aus „Sei heitere Gefährtin, heiterer Begleiter bin ich“ „Ich sei die Majo auf deinen Pommes“ oder so ähnlich – ha ha, wie witzig! Da hat das Publikum was zum Lachen!

Das wäre dazu gar nicht notwendig gewesen, das Publikum im sehr gut besetzten Theater folgte auch so amüsiert und aufmerksam dem Geschehen. Zum Schluß gab es Bravos und Applaus bis zum „eisernen Vorhang“ - auch stehend – wenn einige aufstanden, mußten die andern mitmachen!

Sigi Brockmann 6. November 2016

Fotos Oliver Berg

 

 

 

 

DIE ZAUBERFLÖTE  

Premiere am 30. November 2013

Wiederaufnahme am 1. Oktober 2016

Drei Lichtjahre später

TRAILER

Bei einem kleinen Theater wie dem in Münster erwecken Wiederaufnahmen häufig wenig Interesse beim Publikum. Das war und ist ganz anders mit der Inszenierung von 2013 der „Grossen Oper“ von Wolfgang Amadè Mozart „ Die Zauberflöte“ auf den Text von Emanuel Schikaneder, die seit der Premiere ununterbrochen auf dem Spielplan stand. Jetzt wurde sie unter der musikalischen Leitung von GMD Fabrizio Ventura wieder aufgenommen. Bei Regisseur Kobie van Rensburg und Bühnenbildnerin (neben Kobie van Rensburg) Kerstin Bayer  spielte die Handlung im Ambiente von star-wars und „Raumschiff Enterprise“ Ein Lauftext über den Sonnenkreis als Streitobjekt zwischen Sarastro und der Königin der Nacht erzählte eine Vorgeschichte. Ganz unabhängig, ob es sich um die Adagio- oder Allegro-Teile der Ouvertüre handelte, sie war Begleitmusik zu einem Video der Fahrt Taminos in seinem Raumschiff durchs Weltall zum Ort der Handlung, auf dem er mit einem Fallschirm landete. Auch später war der Text den Erfordernissen des Spielortes ein wenig angepaßt. Freudige Erinnerung kam besonders bei jüngeren Besuchern wieder auf, wenn sie etwa bei der Königin der Nacht einen Darth-Vader-Kopfschmuck sahen, Jedi-Ritter und Ewoks auftraten, der kleine Roboter R2D2 Zauberflöte und Glockenspiel brachte oder der erste Priester mit Mr.-Spock-Ohren („faszinierend“) auftrat ( Kostüme Dorothee Schumacher und Lutz Kemper)  Als mit seinem Glockenspiel (Celesta Sergio Fundaró) Papageno den bösen Monostatos und die Projektionen der Jedi-Ritter zum Tanzen verleitete, gab es Applaus nur für dieses Bild, sehr selten heute! Dies alles wurde bereits im Bericht von der Premiere vom 2. 12. 2013 ausführlich beschrieben.

Zwei der Hauptdarsteller traten auch schon vor drei Jahren in diesen Rollen auf:

Noch gesteigert hat sich Youn-Seong Shim als Tamino. Die Stimme klang, durch alle Lagen hindurch kerniger, die Spitzentöne schienen unangestrengt, sein Legato auch im p war besonders in der Bildnisarie vorbildlich.

Als Pamina war ihm Henrike Jacob eine ebenbürtige Partnerin. Besonders gelang ihr die verzweiflungsvolle Arie „Ach ich fühls“ mit den expressiven Koloraturen bis hin zum hohen b. Wenn nötig fand sie auch dramatischeren Stimmausdruck..

Neu   gegenüber der Premiere war Antje Bitterlich als Königin der Nacht. Exakt sang sie die schwierigen Koloraturen ihrer beiden grossen Arien bis hin zu genau getroffenen Spitzentönen. Weniger lag ihr der klagende Teil ihrer ersten Arie „Zum Leiden bin ich auserkoren“.

Neu war auch Sebastian Campione als Sarastro. Der salbungsvolle Ton dieser Partie geriet ihm gut bis zu den extrem tiefen Tönen, die er alle gut hörbar traf. Dabei wurde seine Stimme zum Schluß kräftiger, sodaß die „heiligen Hallen“ ein Höhepunkt wurden.

Eine der sympathischsten Rollen der Opernliteratur hatte Gabriel Urrutia mit dem Papageno übernommen. Zur Begeisterung besonders der jüngeren Zuschauer spielte er ihn bis in die kleinste Gebärde überzeugend und sprach deutlich und gut verständlich seinen Text. Stimmlich steigerte er sich im zweiten Akt, besonders beim „Mädchen oder Weibchen“ Auch seine spätere Verzweiflung klang echt, leider stand er vor der ersten Zuschauerreihe, während die Projektion des Baums, an dem er sich aufhängen wollte, hinten auf der Bühne zu sehen war. Wieder war Eva Bauchmüller seine zuerst schräpige alte dann kecke junge Papagena.

 Den Monostatos im Darth-Maul-Kostüm sang jetzt Boris Leisenheimer, sonst eher für Operetten zuständig, besonders in seiner Arie „Alles fühlt“ im geforderten schnellen Tempo beweglich und rhythmisch exakt.

Neu war von den drei Knaben Annabel Schirrmeister. Sie sowie Laura Goblirsch und Naomi Schicht sangen auch aus der grossen Höhe ihres vom Luftschiff getragenen Korbes herab in den etwas unbequemen Kostümen künftiger Jedi-Ritter exakt und fehlerfrei, selbst im raschen vom Dirigenten geforderten Tempo des letzten Allegros. Ihre Szene mit Pamina geriet zu einem Höhepunkt des Abends.

Stimmlich gekonnt sangen sich im Rhythmus der Musik bewegend wiederum Sara Rossi Daldoss, Lisa Wedekind und Suzanne McLeod  die drei Damen.

Alle anderen Partien waren wie in der Premiere besetzt, wobei Gregor Dalal auffiel, wie er etwas gekonnt übertrieben einen selbstbewußten Sprecher und 1. Priester darstellte, auch mit der etwas abgeänderten Frage an Sarastro betreffend Tamino „Wenn nun sein Geist ihn verliesse und er dem harten Kampf unterläge? - Er ist Tenor“! und Sarastro wie vorgeschrieben antwortete „Noch mehr – er ist Mensch“

GMD Fabrizio Ventura wählte wie schon erwähnt teils sehr schnelle Tempi. Man staunte, daß etwa im abschliessenden Presto des I. Aufzugs Solisten, Chor und Extrachor in der Einstudierung von Inna Batyuk da fehlerfrei mithalten konnten. Besonders bei Ritardandi des Dirigenten gab es hier und da kleine Unstimmigkeiten zwischen Orchester und Bühne, die bei folgenden Aufführungen sicher verschwinden werden.

Das für Mozart höher gesetzte Sinfonieorchester Münster spielte wieder klangschön und etwa im wiederum rasch gespielten Fugato der Ouvertüre thematisch durchhörbar. Prima gelangen die Soli, vor allem die der namensgebenden Flöte, aber auch von Fagott, Oboe und Klarinette. Rund und voll klangen die berühmten Bläserakkorde.

Das Publikum im fast ausverkauften Haus mit vielen jüngeren und sehr jungen Besuchern applaudierte schon während er Aufführung nach jeder Arie. Zum Schluß gab es Riesenapplaus mit begeisternden Pfiffen bis sich der eiserne Vorhang senkte, nicht schlecht für eine Oper, die ziemlich genau vor 225 Jahren uraufgeführt wurde – nämlich am 30. September 1791 unter Leitung des Komponisten.

Sigi Brockmann 4. Oktober 2016

Fotos (c) Theater Münster / Oliver Berg

 

 

 

FAUST

Premiere 10. September 2016 

besuchte Vorstellung 25. September 2016

Anklänge an Goethe

Über gleich „zwei Fäuste für Westfalen“ kann sich der dortige Opernfreund freuen. Aufgeführt wird nämlich parallel im Theater Münster und im Opernhaus Dortmund die Oper „Faust“ von Charles Gounod. Aus Handlungselementen (Studierstube, Gretchen-Tragödie) von Goethes „Faust“ entstand seine „opéra lyrique“ oder mit eingefügtem Ballett (Walpurgisnacht) sogar „grand opéra“ im französischen Stil des 19. Jahrhunderts.

Urkundlich erwähnt wird der Aufenthalt des historischen Johann Faust im Jahre 1535 während der Herrschaft der Wiedertäufer in Münster. Das bezog Regisseur Aron Stiehl nicht in seine Inszenierung der Oper von Gounod ein, die unter der musikalischen Leitung von Stefan Veselka kürzlich am Theater Münster Premiere feierte.

Vielmehr gab es Anklänge an Goethe, wenn etwa noch vor Beginn der Introduktion ein „Vorspiel auf dem Theater“ stattfand, wo Méphistophélès als Conférencier kostümiert ein kleines Theater auf dem Theater enthüllte, in dem dann ein grosser Teil der Handlung spielte. Im ersten Akt beklagte darin der alte Faust fast begraben zwischen riesigen Büchern sein vergebliches Leben. Später stand darin ein kleines Haus für Marguerite und ein dürrer Baum, beides diente zum Schluß verschneit und nach vorn vergittert als Marguerites Gefängnis. (Bühne und Kostüme Dietlind Konold). Allerdings wurde für einzelne Chorszenen auch der Platz vor dem Häuschen sowie für Soloauftritte auch ein Steg vor dem Orchestergraben bespielt, seit dem legendären „Ring“ eine Tradition in Münster.

Entstanden ist Gounods Oper nach dem Boulevardstück „Faust et Marguerite“ von Michel Carré, der zusammen mit Jules Barbier auch das Libretto geschrieben hat. In Münster hätte es ebenso passend „Méphistophélès et Marguerite“ heissen können. Ersterer steuerte die gesamte Handlung. Um Faust willenlos sich unterzuordnen, hatte er ihn mit dem Verjüngungstrank drogenabhängig gemacht und sorgte bei Bedarf für Nachschub. Im „Rondo vom goldenen Kalb“ regnete es nicht nur Geldscheine, sondern er verteilte Goldstücke wie Hostien bei einer Kommunion aus einem Kelch. Er legte Marguerite den gefundenen Schmuck und einen prächtigen Pelz an, sorgte für rechtzeitige Auftritte von Valentin und Marthe, ließ Sterne für die Liebenden aufleuchten und trat in der Kirchenszene als grausam-höhnischer Kardinal auf, der Marguerite dazu verleitete, ihr Baby auf offener Bühne zu ermorden.. Deshalb hatte man den Eindruck, daß es ihm mehr darum ging, die unschuldige Marguerite – diese deshalb zuerst ganz in weiß gekleidet – ins Unglück zu stürzen als Fausts Seele in die Hölle zu befördern.

Dies Konzept für die Rolle des Méphistophélès konnte nur gelingen, weil Gregor Dalal es optimal umsetzte. In immer wechselnden Kostümen spielte er den eleganten grausamen Zyniker, etwa, wenn er beim grossen Liebesduett von Faust und Marguerite genußvoll und hörbar in einen Apfel biß. Stimmlich gelangen ihm in verschiedenen Stimmfärbungen alle Facetten der Partie bis zu ihren ganz tiefen Tönen hin einschließlich Koloraturen großartig, mächtig aufdrehend beim „Rondo vom goldenen Kalb“ genüßlich schadenfroh in der Sérénade. Dazu war er weitgehend textverständlich.

Dies konnte man soweit bei einem Sopran möglich auch bei der Marguerite von Henrike Jacob feststellen. Ihr helles Stimmtimbre paßte gut zur unerfahrenen jungen Frau, wie sie etwa angetan mit dem gefundenen Schmuck in schüchterner Eitelkeit sich an ihrem eigenen Anblick erfreute. Dabei gelangen ihr Triller und Koloraturen der „Juwelenarie“ beweglich und bis zu den Spitzentönen tongenau. Verzweiflung zeigte sie auch stimmlich in der Kirchenszene und behielt genügend Stimmkraft für den hymnischen Schluß. Musikalischer Höhepunkt war ihr Liebesduett mit Faust.

Dieser, dargestellt von Paul O'Neill, erreichte stimmlich scheinbar ohne Anstrengungen die Spitzentöne seiner Partie, das galt nicht für deren tiefere Töne. Sehr schön legato auch im p gelang sein Hit, die Kavatine „Salut! Demeure chaste et pure“ (Sie gegrüßt keuscher und reiner Raum)

Eine Entdeckung des Abends war Filippo Bettoschi als besonders bei der Verfluchung Marguerites stimmgewaltiger Valentin. Bei seinem schon in der Introduktion vom Orchester angestimmten Gebet vor dem Aufbruch zum Krieg „Avant de quitter ces lieux“ beeindruckte er mit langen gut gehaltenen Legatobögen.

Lisa Wedekind sang die Hosenrolle von Marguerites hoffnungslosem Verehrer Siébel, darunter insbesondere mit beweglicher Stimme seine an die abwesende Geliebte gesungene „Blumen-Arie“ (Faites lui mes aveux)

Ein kleines Kabinettstückchen machte Suzanne McLeod aus der Partie der heiratswütigen Marthe. Plamen Hidjov war Wagner.

Opern- und Extrachor in der Einstudierung von Inna Batyuk waren beim größten Teil ihrer Auftritte nur mit Oberkörpern und nur dann sichtbar, wenn sie aus der Wand rechts und links neben der kleinen Bühne in zwei Etagen übereinander angebrachte viereckige Öffnungen aufklappten. Nach beendetem Gesang wurden die Klappen wieder geschlossen. Nur eine Sängerin schloß ihre Klappe nicht, sondern strickte an einem immer länger werdenden Schal – vielleicht eine Anspielung auf Goethe, wo ein Geist im I. Akt von wechselndem Weben und glühendem Leben spricht.

Die gesamte Strassenszene mit dem Soldatenchor – normalerweise im IV. Akt - war bis zum Auftreten Valentins gestrichen, also weniger Gesang für die Männer. Dafür gab es für den Chor eine Andeutung von Walpurgisnacht, während dahinter Marguerite mit dem Sarg ihres Kindes im zugeschneiten Kerker schmachtete. In der Tanzszene zu Beginn hörte man kleine Ungenauigkeiten, seine ganze stimmliche Kraft zeigte der Chor in der Kirchenszene, der geistliche Schlußhymnus kam aus dem Off. Dabei schritt Marguerite ins Erlösung verheissende Licht, während Mephisto – nicht nach Gounod, aber nach Goethe – mit einem Fingerzeig Faust andeutete, daß es weiterginge zur „Tragödie zweiter Teil“.

Stefan Veselka fand mit dem Sinfonieorchester Münster sowohl tragische langsame Töne, schon in der Introduktion, wie auch beschwingte Walzerrhythmen und vor allem auch durch kleine aber passende Ritardandi französisch-sentimentale Stimmung, ohne in Kitsch zu abzurutschen. Hervorzuheben waren instrumentale Soli, schon der Bläser in der Introduktion, dann von Klarinette, Flöten und Oboe, das Violinsolo zu Fausts Kavatine und die Harfen besonders zum Schluß.

Das Publikum bestand im Gegensatz zu sonst aus vom Oberbürgermeister eingeladenen Gästen aus der Politik und anderen für wichtig gehaltenen Personen. Diese sogenannte „festliche Spielzeiteröffnung“ ist eine langjährige Tradition in Münster. So waren nicht viele regelmässige Besucher im Theater. Trotzdem spendeten sie langanhaltenden Applaus für den „abwechslungsreichen Abend“ (so ein Zuschauer) mit Hervorhebung der Darsteller von Méphistophélès und Marguerite sowie des Dirigenten.

Sigi Brockmann 27. September 2016

Fotos (c) Theater Münster / Oliver Berg

 


 

 

 

MAHAGONNY

Premiere 9. April 2016 

besuchte zweite Aufführung 21. April 2016

Damit hatte Marcel Reich-Ranicki wohl recht, wenn er meinte, von Bertolt Brechts Stücken   würden vor allem die weiterhin aufgeführt werden, zu denen Kurt Weill Musik komponiert hat. Nur belehrende Kapitalismus-Kritik und karikierende Bibelzitate vermögen heute nicht mehr aufzuregen, eher schon die Darstellung einer nach immer gesteigerten „Kicks“ gierenden Freizeitgesellschaft. Zusammen mit Weills unterhaltsamer Musik hat deshalb neben der unverwüstlichen „Dreigroschenoper“ Erfolg vor allem die fast durchkomponierte Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ - aus Brechts „epischem Theater“ wurde ein „musikalischer Bilderbogen“ (Weill). Das zeigte eine Aufführung im Theater Münster in Koproduktion mit dem Landestheater Innsbruck unter der musikalischen Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg in der Inszenierung des „Hausherrn“ Ulrich Peters

Die bunten abwechslungsreichen Kostüme von Thomas Dörfler im Stil der Entstehungszeit der Oper waren wenig spektakulär, auch nicht, als für die Gerichtsverhandlung die Hauptbeteiligten Richterroben anlegten.

Das Orchester war hinten auf der Bühne platziert. Da davor in der Mitte der VW Bulli fahruntüchtig stehenblieb, was für den Gründungsort Mahagonnys ursächlich war, und rechts und links Palmen standen, blieb wenig Spielfläche übrig. (Bühne Thomas Dörfler)  Das wurde ausgeglichen dadurch, daß der nicht benutzte Orchestergraben für Auf- und Abgänge diente und aus ihm Spielorte wie der Tisch fürs grosse Fressen oder der Boxring hoch- und heruntergefahren wurden.

In diesem Rahmen ließ der Regisseur die Handlung zunächst ohne Überraschungen wie von den Autoren beabsichtigt ablaufen. Projektionen auf einem Gazevorhang zwischen Bühne und Orchester zeigten Großstadtkulisse und auch den herankommenden Hurrikan. Als dieser Mahagonny verschonte, und die grosse Losung „Du darfst alles“ ausgegeben war, wurde auch dies wie durch den Text angekündigt dargestellt. Erst wurde gefressen, an zu viel Spaghettigenuß krepierte Jack, dabei mit edlem Tenor gesungen von Youn-Seong Shim, delikat begleitet von Zither und Akkordeon. Danach wurde gevögelt, wie hieß doch der Spruch in unserer Jugend „Nach dem Essen ….“ -(Rauchen ist ja gefährlich).

Da viele Herren zu den Nutten wollten, mußten sie Schlange stehen und wurden von Witwe Begbick mit den notwendigen Kleinigkeiten versorgt. Dann kam Sportschau – hier ein Boxkampf, wobei der schmächtige Alaskawolfjoe (Plamen Hidjov) krepierte, was solls, alle (zahlenden) Zuschauer fanden es spannend, „fast wie ein Krimi“ Zum Saufen gabs dann Freibier von Jim Mahoney.

Da er dies nicht bezahlen konnte und auch das Gericht nicht bestechen konnte, wurde er bekanntlich zum Tode verurteilt. Hier fand Ulrich Peters zum ersten Mal an diesem Abend ein ungewohntes eindringliches Bild – Jim wurde auf der Bühne gekreuzigt und der Leichnam seiner Jenny wie einer Pieta in die Arme gelegt.

Mit diesem Jim Mahoney erlebte man Wolfgang Schwaninger in einer seiner Paraderollen. Sein Tenor verfügte über genügend Stärke gegenüber Chor und Orchester. Operetten-ähnlich glänzend besang er seine Erlebnisse in Alaska. Ganz eindringlich gelang mit heldischen Spitzentönen vor seiner Hinrichtung die sogenannte „Gethsemane“ - Szene. Zu den Höhepunkten des Abends zählten seine wenigen aber als einzige echte Gefühle darstellenden Szenen mit seiner geliebten Jenny.

Für diese hatte Henrike Jacob die passende Figur und Stimme. Die Töne genau treffend hörte man den leicht lasziven Unterton der erfahrenen Hure in ihrer Stimme, etwa bei Schilderung ihres Lebenslaufes, aber auch echt empfundene Zuneigung zu Jim. Als die drei Gründer von Mahagonny spielten Boris Leisenheimer als Prokurist Fatty, mit mächtigem Bariton Gregor Dalal  als Dreieinigkeitsmoses und als Herrgott sowie Suzanne McLeod  als Begbick überzeugend ihre Rollen. Letztere fand   nachdenkliche Töne für ihre vergangene Liebe, ordinäre als Wirtin und Puffmutter und scharfe als Richterin. Lobend zu erwähnen ist auch Birger Radde  als Sparbüchsen-Bill, der letzte Überlebende der Holzfäller aus Alaska.

An Stelle der von Brecht so pädagogisch vorgeschriebenen Schrifttafeln erläuterte als salbungsvoller Sprecher Oliver Bode den Gang der Handlung.

Gelungen war auch der Einsatz von Chor und Extrachor, die Damen als Nutten, zahlenmässig imposanter die Herren als gieriges Mannsvolk, in der Einstudierung von Inna Batyuk.  Mehrstimmig exakt in den Ensembles und mächtig in den „Hits“ aus der ursprünglichen Song- Fassung, den nachempfundenen Chorälen und Hymnen trugen sie wesentlich zum Gelingen des Abends bei.

Den größten Eindruck hinterließ das Sinfonieorchester Münster unter der Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg. Seine Platzierung hinten auf der Bühne erschwerte den Kontakt mit der Bühne (nur über Monitor) – das merkte man nicht. Manchmal erschwerte sie aber auch das Textverständnis der Sänger – da wären Übertitel passend gewesen. Auf der anderen Seite begeisterte so ganz direkt die Musik Weills mit   z.B.verfremdeten Bach-Chorälen, Passionsmusik und Fugen – Weill war ja Schüler von Busoni, der Klavierspielern durch seine Bach-Bearbeitungen bekannt ist. Ebenso hörte man u.a. Karikierung von Webers „Jungfernkranz“ und eines kitschigen „Gebets einer Jungfrau“ aus dem 19. Jahrhundert bis hin zu Tanzformen wie Ländler, Blues Tango. Exquisite Instrumentation wie etwa beim Herannahen des Hurrikans, Solos etwa von Streichern, Harfe, Holzbläsern waren genau zu hören, Saxophon, Zither und Akkordeon konnten sogar sichtbar auf der Bühne gespielt werden – eine Musik für Kenner, die auch weniger erfahrenene Zuhörer begeistern kann.

Als mit der Mahler ähnlichen Marschmusik der gewaltige Schlußchor ertönte mit dem Refrain „Können einem toten Mann nicht helfen“ war der Kontrast zum gestorbenen Jesus im Arm Jennys im Hintergrund deutlich genug, denn der wollte ja alle Menschen erlösen. Da hätte es einer Projektion Hitlers nicht zusätzlich gebraucht

Im Publikum gab es viel Jugend (Theaterjugendring) Einer meinte nachher, die Musik sei toll gewesen, aber die Handlung für zweieinhalb Stunden etwas dürftig. Da hatte er Recht, man hätte etwa die eingebildete Rückfahrt Jims nach Alaska, das Ensemble über eventuelle Fahrt nach Benares oder sogar das Erscheinen Gottes in Mahagonny auslassen können, ohne der eigentlichen Handlung Gewalt anzutun.

Trotzdem gab langandauernden Beifall mit Bravos auch und gerade von den Jugendlichen für die Hauptdarsteller und besonders das Orchester.

Sigi Brockmann 22. April 2016

Fotos Oliver Berg

PS: Jim-Darsteller Wolfgang Schwaninger kann man nach seinem „Peter Grimes“ vor einigen Jahren in Münster am 3. Juni 2016 als Lohengrin in Osnabrück erleben

 

 

 

 

DER OPERNFREUND  | opera@e.mail.de