DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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TOSCA

(Premiere 2007)

 

TOSCA – das ist Sex and Crime...

 

...ein Thriller, bei dem von Puccini keine Note zu viel oder zu wenig gesetzt wurde,  ein atemberaubender Ritt durch knapp 24 Stunden – von den Schöpfern komprimiert auf zwei - , der am Ende drei Menschenleben fordert. Die Regisseurin der Wiesbadener Produktion (Premier war 2007), Sandra Leupold, schreibt denn auch im Programmheft, dass TOSCA nicht zu nobel daherkommen solle, um die Brutalität des Geschehens nicht abzumildern. Da hat sie natürlich recht. Doch trotzdem schafft sie durch die Inszenierung im ziemlich hässlichen Einheitsbühnenbild von Tom Musch eine unnötige Distanz zwischen Aufführung und Publikum. Wir sehen also eine Art Theaterfoyer im Betonbunker-Look, viele Ausgänge, aber nur einen Eingang in der Mitte, Fenster, hinter denen sich Marienstatuen befinden, im größten Fenster der Gekreuzigte. Für den zweiten Akt werden diese Fenster durch rote Samtvorhänge verhüllt, der Gekreuzigte bleibt aber sichtbar (Toscas Kantate bei der Königin wird davor aufgeführt, und später wird Cavaradossi da auch gefoltert, mit goldener Dornenkrone – das ist dann ein wenig gar dick aufgetragen, man kann ein Libretto auch zu wörtlich nehmen).

Besonders störend sind die grün flackernden Neonröhren an der Decke. Angesiedelt haben die Regisseurin und die Kostümbildnerin Marie-Luise Strandt die Handlung etwa zur Entstehungszeit der Oper, das kann man gut machen, wobei die Erwähnung Bonapartes dann natürlich etwas deplatziert wirkt, ist aber von der politischen Konstellation her durchaus passabel und kann man so durchgehen lassen... . Allerdings sind die Kostüme von Tosca nun keineswegs weniger nobel geraten, als in konventionellen Inszenierungen, von daher ist dann die Inszenierung kaum mutiger, als viele andere des Werks auch. Und wie gesagt, der oft etwas arg strapazierte Kniff vom Theater auf dem Theater schafft eine kühle Distanzierung, welche gerade bei TOSCA nicht notwendig ist. Selbstverständlich kann Tosca hier am Ende nicht von der Engelsburg springen (ist schwierig vom Bunker aus). Sie schnappt sich Spolettas Pistole, mit der er zuvor Cavaradossi erschossen hatte, und richtet sich so selbst. Interessant ist jedoch der Einfall, den Klerus und die Politiker bei der fingierten Scheinhinrichtung anwesend sein zu lassen. Auch dass sich die Schergen wie Buben auf die Hinrichtung freuen und gar mittels Münzenwurf den Schützen auslosen, ist eine ausgezeichnete Idee. Überhaupt, das muss man der Spielleiterin Silvia Gatto zugute halten (die Produktion ist ja angekündigt als „Inszenierung nach Sandra Leupold“), überzeugt die starke Personenführung und Charakterzeichnung dermaßen, dass man die wenig Atmosphäre ausstrahlende Bühne dann doch schnell vergisst und so trotzdem in den soghaften Strudel der Handlung eintauchen kann. Das liegt natürlich auch und vor allem an den exzellenten Sängerdarstellern. Adina Aaron bringt alles mit, was die Tosca braucht: Eine mühelos ansprechende Stimme für alle Lagen, ein warmes, erotisch-dunkles Timbre, Koketterie, Dramatik, Eifersucht und die starke Liebe, die sie zur Mörderin macht! Ganz wunderbar interpretiert sie die diversen komplexen Gefühlswelten von Tosca, kulminierend im innig und zart vorgetragenen Gebet Vissi d’arte im zweiten Akt. Rodriga Porras Garulo singt den Cavaradossi mit herrlich strahlendem Tenor, wunderbarer Phrasierung – ein Stimme, der man gespannt folgt, die ohne Schluchzer und Drücker auskommt, frisch, unverbraucht, eine wahre Wonne! Daneben verfügt er aber auch über unforcierte Kraft für die beeindruckenden Vittoria! – Ausrufe im zweiten Akt nach der Folterszene und für rührende Innigkeit bei E lucevan le stelle im dritten Akt. Von Morgenstimmung ist da allerdings nichts zu sehen, die genau komponierten Glockenklänge Puccinis verhallen im Orchester ohne Entsprechung im Beton-Theater-Foyer auf der Bühne.

Nur der Hirte (Stella An) tritt im Rokoko-Kostüm auf und verbreitet etwas (gerade hier aber unnötiges) Kolorit. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, dem Orchester genau zuzuhören, denn Christoph Stiller und das Hessische Staatsorchester Wiesbaden spielen einen unerhört feinnervigen, wunderbar auf die wechselnden Stimmungen ausgehorchten Puccini. Weich, transparent fließend, sehr schön gerundet und trotzdem die Modernität der Instrumentierung nicht vernachlässigend. Großartig! Die wenigen Klangballungen sind präzise gesetzt und gerade im Te Deum äußerst effektvoll aufgebaut, unterstützt vom klangprächtigen Chor und Extrachor des Hessischen Staatstheaters (einstudiert von Albert Horne) und der Kinderkantorei der Ev. Singakademie Wiesbaden. Dieses Te Deum verfehlt seine Wirkung nicht, denn Kammersänger Thomas de Vries als Polizeichef Scarpia stimmt mit seinem fantastisch subtil geführten Bariton in den Kirchengesang ein, verleiht ihm die unterschwellig bedrohliche Note. Überhaupt ist seine Zeichnung des Bösewichts Scarpia überaus differenziert gehalten. Er zeigt das Fiese, das Durchtriebene und die Geilheit durchaus auch mit Charme und faszinierendem Sarkasmus, eine sehr intelligente Charakterzeichnung. Gelungen auch die Interpretation des Mesners von Benjamin Russell, eine unterwürfige, scheinheilige Naschkatze. Den Schergen des Polizeichefs, Spoletta und Sciarrone, verleihen Erik Biegel und Daniel Carison starkes Profil. Der Flüchtling Angelotti, der das ganze Drama eigentlich auslöst, wird von Young Doo Park mit wohlklingendem Bass interpretiert. Viel verdienter Applaus für alle Ausführenden im nicht ganz voll besetzten Haus!

 

Kaspar Sannemann 7.12.2019

Bilder (c) Martin Kaufhold

 

 

DIE ZAUBERFLÖTE

Wiederaufnahme am 20. September 2019 (Premiere 14. Oktober 2016)

In festspielwürdiger Besetzung

Vielleicht ist dies überhaupt das größte Kompliment, welches man einer Opernaufführung machen kann: daß man am Ende mit einem seligen Lächeln den Zuschauerraum verläßt und erkannt hat, was für ein wundervolles Werk gerade aufgeführt wurde, wie herrlich die Musik ist und wie kurzweilig die Handlung. So erging es dem Kritiker bei der Wiederaufnahme der Zauberflöte am Staatstheater Wiesbaden - ausgerechnet bei einem landauf, landab geradezu todgespielten Werk, von dem man nach der gefühlt einhundertsten Inszenierung glaubte, man könne es nun wirklich nicht mehr hören. Doch schon bei der Ouvertüre weicht die Skepsis. Konrad Junghänel hat als Spezialist für historisch informierte Aufführungspraxis in Wiesbaden mit dem Opernorchester in den vergangenen Jahren sämtliche großen Mozart-Opern von Idomeneo bis Titus erarbeitet. Man merkt, daß die Musiker seinen Stil inzwischen vollständig verinnerlicht haben. Vom vibratolosen Spiel der Streicher, der sprechenden Phrasierung bis hin zu den knackigen Akzenten der mit harten Schlägeln traktierten Pauke ist hier ein farbiger und transparenter Mozart-Sound zu hören, der eine mühelose Selbstverständlichkeit ausstrahlt, wie man sie sonst nur von Spezialensembles gewohnt ist. Auffällig ist, daß sich Junghänels Musizierhaltung seit dem Beginn seiner Wiesbadener Arbeit entspannt hat. Vor einigen Jahren noch schien es so, als führe der Dirigent das Orchester an der kurzen Leine, müsse noch stark auf die Musiker einwirken, um seine Vorstellungen umzusetzen. Nun erlebt man das Ergebnis eines Reifungsprozesses. Orchester und Dirigent scheinen geradezu symbiotisch verbunden. Die Musik fließt mit großer Selbstverständlichkeit, die Interpretation hat an Flexibilität gewonnen.

 

Auf diesem prächtigen Klangteppich kann sich eine Besetzung der Hauptpartien entfalten, der man geradezu Festspielqualitäten bescheinigen darf. Eine Entdeckung ist der junge Tenor Martin Piskorski als Tamino. Seine Stimme besitzt eine attraktive dunkle Färbung mit einer beinahe baritonalen Grundierung. Von der Anlage erinnert sie (ein großer, aber nicht unangebrachter Vergleich) an Jonas Kaufmann (in dessen besseren Tagen). Bei seinen ersten Rufen am Beginn (Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren) hat man noch die Befürchtung, die Stimme könne bereits zu groß für diese Partie sein, zu sehr ins Heldische greifen. Bald aber zeigt sich, daß Piskorski sein reiches Material gut im Griff hat. Er ist zu einem tragenden Piano ebenso fähig wie zu glühender Emphase. Wo hell timbrierte, lyrische Tenöre in der Tiefenlage immer dünn und gepreßt klingen, kann Piskorski saftig aussingen. Er strahlt dabei eine jugendliche Virilität aus, die fabelhaft zu der Rolle paßt. In einem Besetzungscoup hat die Wiesbadener Intendanz ihm Johannes Martin Kränzle als Papageno zur Seite gestellt. Kränzle gehört inzwischen vor allem mit Wagners Charakterrollen von Beckmesser über Alberich bis hin zum Klingsor zu den international begehrten Spitzensängern. Daß sein Bariton durch den Einsatz im schweren Fach nicht gelitten hat, kann man nun wieder bewundern. Er trifft perfekt den oft volksliedhaften Ton des Vogelfängers. Ganz entscheidend aber ist, daß er die vielen Sprechpassagen charmant und mit unangestrengter Lockerheit serviert. Viele Aufführungen der Zauberflöte kranken daran, daß die Sänger radebrechend durch die Texte holpern oder sie mit peinlicher Gestelztheit deklamieren. In der aktuellen Wiesbadener Inszenierung ist zu erleben, wie wunderbar die Sprechdialoge funktionieren, wenn Muttersprachler sie mit Intelligenz und Geschmack gestalten. Hier stehen sich Kränzle und Piskorski in nichts nach. Als Dritter im Bunde erweist sich dabei Thomas de Vries. Da die Regie seine wichtige, aber kleine Rolle des Sprechers durch Zusammenlegung mit den Partien des Zweiten Priesters und des Zweiten Geharnischten aufgewertet hat, ist er auf der Bühne oft präsent und setzt immer wieder durch nuancierte Gestaltung der Sprechtexte Akzente. Musikalisch gehört er mit seinem Kavaliersbariton seit Jahren zu den tragenden Säulen des Wiesbadener Ensembles und führt einmal mehr seine noble Gesangskultur vor.

Große Freude bereitet auch die Pamina von Anna El-Khashem. Die junge Sängerin verfügt über einen geradezu idealen Mozart-Sopran, schlank, frisch und mit großer Leuchtkraft. Ihren Arien fügt sie immer wieder geschmackvolle Auszierungen bei. Das berühmte Ach, ich fühl’s gestaltet sie mit ruhiger Eindringlichkeit, wird dabei vom Orchester mit einem unsentimentalen Trauerton getragen und webt so einen derart ans Herz rührenden Klagegesang, daß das Publikum dabei kaum zu atmen wagt. Aleksandra Olczyk verfügt für die Königin der Nacht über die nötige geläufige Gurgel und schleudert die artistischen Spitzentöne in der berühmten Rachearie bombensicher und effektvoll in den Zuschauerraum. Young Doo Park ist seit der Premiere vor drei Jahren der Sarastro vom Dienst. Sein dunkler und vibratoreicher Baß klingt sonor und strahlt rollenadäquate Würde aus. Daß er trotz seiner Erfahrung mit der Partie in den Dialogen immer noch mit der deutschen Sprache kämpft, trübt den Gesamteindruck ein wenig. Großes Glück hatte das Besetzungsbüro mit den Drei Knaben Eric Aklender, Kristian Brill und Siegfried Berg, die ein homogenes Trio mit klaren Stimmen und guter Artikulation abgeben und auch den darstellerischen Anforderungen souverän gewachsen sind. Weniger glücklich ist man mit den Drei Damen, die insgesamt eine derart verwaschene Aussprache an den Tag legen, daß weite Teile ihres Textes unverständlich bleiben. Den durchgängig sehr starken musikalischen Eindruck rundet der von Albert Horne vorbereitete Chor mit saftigem und homogenem Klang ab.

Regisseur Carsten Kochan hat mit seinem Ausstattungsteam die Inszenierung seit der Premiere vollständig überarbeitet. Vom überambitionierten Ursprungskonzept ist so wenig übrig geblieben wie vom Bühnenbild. Wo man 2016 ein unausgegorenes Amalgam zweier kaum verbundener Deutungsansätze präsentiert bekam, wird nun kaum noch etwas gedeutet. Schlichte Kulissen dienen als Projektionsfläche für wechselnde Bilder. Mal ist ein Phantasiewald mit üppiger Vegetation zu sehen, mal eine barocke Bibliothek, immer wieder Ansichten unterschiedlicher Säulenhallen. Die Bilder sind gut auf die jeweilige Szene abgestimmt und für sich genommen durchaus wirkungsvoll, bleiben jedoch zueinander beziehungslos. Dadurch, daß lediglich die Rückprojektionen wechseln, wird ein fließender Übergang der Szenen ohne Umbaupausen ermöglicht. Das Ganze wirkt wie ein begehbares Bilderbuch, in dem fortlaufend neue Seiten aufgeblättert werden. Immerhin hat Kochan seine ursprüngliche Personenregie beibehalten und lediglich leicht dem neuen Bühnenbild angepaßt. Da alle Darsteller des Abends in großer Spiellaune sind, gelingt eine kurzweilige, mit dezentem Humor gewürzte und schnörkellose Präsentation des Handlungsverlaufs. Lediglich für das Ende hätte man sich ein wenig mehr an Deutung gewünscht. Die zuvor verstoßene Königin der Nacht (Hinab mit den Weibern zur Hölle!) taucht unversehens zum Schlußchor wieder auf. Die überraschende Versöhnung mit Sarastro stammt noch aus dem ursprünglichen Inszenierungskonzept und wird in der aktuellen Fassung in keiner Weise szenisch vorbereitet.

Insgesamt zeigt dieser Abend, daß mit einer starken musikalischen Besetzung und mit auch bei der Gestaltung der Sprechtexte begabten Darstellern die Zauberflöte nahezu ein Selbstläufer ist, dessen Ausnahmerang sich auch oder gerade ohne überambitioniertes Regietheater in beglückender Weise entfalten kann.

 

Michael Demel, 26. September 2019

© der Bilder: Andreas J. Etter (Produktionsphotos), Agentur (Porträtphoto Piskorski)

 

 

 

 

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