DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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 PHILHARMONIE ESSEN

(c) Der Opernfreund / Bil

 

 

Essener Philharmoniker & Rory Macdonald

Flöte: Susanne Wohlmacher

 

Igor Strawinsky Apollon Musagète

Leonard Bernstein Halil - für Flöte und Kammerorchester

Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 15

 

Konzert am Donnerstag, dem 21.11.2019

 

Der Dirigent Rory Macdonald - bitte merken Sie sich den Namen - ist ein sympathischer Bursche und toller Kapellmeister. Mit seinen 39 Jahren hat er sich bereits einen internationalen Ruf erworben. 2003 war er Assistent von Ivan Fischer und Mark Elder. Dann später Mitglied des Young Artists Programme of Royal Opera House Covent Garden / Antonio Pappano. Er stand am Pult von vielen berühmten Orchestern, wie dem BBC Symphony, Royal Philharmonic, Bergen Philharmonic, Wiener KammerOrchester, Orchestre National du Capitole de Toulouse, Copenhagen Philharmonic, West Australian Symphony, Concertgebouw Orchestra, London Philharmonic u.v.a. MacDonald ist auch ein gefragter Operndirigent. Wer ist prädestinierter also für die fachkundige Einführung, mit der ja in Essen dankenswerter Weise alle Philharmoniekonzerte schon um 19 30 h beginnen...

Dass nur 2/3 der Konzert-Besucher bei diesem Raritätenkonzert diese Möglichkeit wahrnahmen ist betrüblich. Noch betrüblicher, daß zwar um 19 30 die Türen zum Konzertsaal geschlossen werden, aber unter lauten Quietschen doch diese Einführung dauernd von später Kommenden gestört wird. So etwas geht überhaupt nicht! Wer nicht um 19 30 h da ist, hat bis 19 55 h zu warten! So gehört es sich. Ich verstehe überhaupt nicht, daß die Leitung der Philharmonie so etwas zu lässt. Das ist nicht nur unhöflich gegenüber den Künstlern, sondern auch grob rücksichtslos der Mehrheit des interessierten Publikum gegenüber.

Apollon Musagète klingt eigentlich für den Neutöner und Modernisten Strawinsky - vor allem im Vergleich mit seinem Sacre - ungewöhnlich friedlich. Ein im neoklassischen Stil daherkommendes Ballett-Libretto. George Balanchine verfasste 1928 die dazugehörige Choreografie. Von den Essener so harmlos und heimelig gespielt, wie es konzipiert ist, als wärs ein Stück von Mozart. Versatzstücke aus Barock und Vorklassik, gehüllt in einen transparenten Streicherklang erzeugen ein friedfertiges Klang-Bild. Die hohe Qualität des Essener Orchesters und das luftige Dirigat von Macdonald, verhinderte, daß es langweilig wurde.

Das Flötenkonzert Halil ist eine Megararität. Man hört es fast nie im Konzert, obwohl es nur knapp 15 Minuten dauert. Es beschäftigt aber immerhin eine Menge Musiker, darunter 8 Percussionisten, die allerdings im Vergleich zum späteren Schostakowitsch sehr einfühlsam eingesetzt werden. Es ist entstand im Gedenken an den Flötisten Yadin Tanenbaum, der während des Jom-Kippur-Krieges ermordet wurde. Leonard Bernstein prangert hier die Schrecken des Krieges an und setzt den dramatischen Ausbrüchen immer wieder lyrische und tonale Passagen entgegen; ein mehr als hochinteressantes, spannendes Stück, welches die Soloflötistin der Essener, die großartige Susanne Wohlmacher, blendend interpretierte. Großer und verdienter Beifall auch von ihren Kollegen.

Die 15. Sinfonie ist besonders für Musikkenner ein sprudelndes Zitatenhorn. Schostakowitsch zitiert aus Giacchino Rossinis Guillaume Tell sowie aus Richard Wagners Opern, aber auch Themen aus eigenen, früheren Werken. Insgesamt gestaltet er das sinfonische Geschehen sowohl mit heiteren als auch mit traurigen Momenten. Man könnte sagen, daß diese Sinfonie das Resumée seines schwierigen Lebens ist. Der erste Satz zitiert eine gleich die aus der Werbung bekannte Prinzenrollen-Fanfare. Im zweiten Satz stellt der Bläsersatz eine Reminiszenz an einen Trauermarsch dar. Der vierte Satz zeichnet sich vor allem durch polyrhythmische Elemente und perkussive Instrumentation aus, und verarbeitet das Todesverkündungsmotiv aus Die Walküre sowie Zitate aus Tristan und Isolde. Am Ende - nachdem wir vorher die Schrecken der Kriege und der Diktatur Stalins durchlebt haben - erheben sich die Streicher sich zu einem verklärenden A-Dur-Akkord auf. Eine wunderbare Schlußsequenz dieses grandiosen Raritäten-Abends.

Und ein Beweis, wie großartig doch dieses Essener Orchester auch ein ungewöhnliches Programm mit einem tollen Gastdirigenten, den wir gerne noch öfter in Essen hören würden, bewältigt. Mal wieder ein Beweis für hervorragende und verantwortungsvolle Programmplanung bzw. Vielfalt außerhalb des allseits Üblichen Immergleichen. Ganz im Gegensatz zur Oper im Aalto ist die Essener Philharmonie weiterhin jeden Besuch wert.

 

Peter Bilsing 25.11.2019

Fotos (c) / Philharmonie Essen / Der Opernfrteund

 

 

 

LSO unter Simon Rattle

Donnerstag 21. Februar 2019

 

Béla Bartók         Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta
Anton Bruckner   Sinfonie Nr. 6 A-Dur, WAB 106

Vom Mikrokosmos zum Makrokosmos

Einmal London hin und zurück geht die kurze Europatournee - von Hamburg kommend heute Essen, morgen Frankfurt, dann wieder back to Old England. Wenn Sir Simon Rattle mit seinem Hausorchester, dem London Symphony Orchestra, einlädt, dann sind die Säle voll. Dann kann man auch mal ein etwas alternatives Programm bieten - noch dazu mit knapp 1,5 Stunden. Bartok dauerte 30 Min und mit Bruckner schaffte es Rattle unter 60. Wobei sich Bartoks Musik für Saiteninstrumente - also keine Bläser ! - Schlagzeug und Celesta eigentlich ja schon im klassischen Repertoire der Konzertsäle eingebürgert hat, wenn was Anständigeshinterher kommt, erträgt der deutsche Konzert-Michel das mittlerweile klaglos. Doch holla, das Anständige ist heute Bruckner 6. Und da wird es schon schwierig, denn die Sinfonie ist nicht gerade der Traum-Bruckner, den wir kennen und mögen; eher eine Rarität recht selten gespielt.

Daß die 6. nur ein Präludium zur beliebten 7. ist - was  immer wieder  Argwöhner behaupten - kann man nicht sagen, denn Bruckner hat die Sechste selber ja nie komplett im Konzert gehört. Es war Gustav Mahler, der die Sinfonie 1899 mit einigen Änderungen aufführte. Erst 1935 wurde in Dresden die Urfassung zum ersten Mal gespielt; paßt zum UA-Datum der Bartok Sinfonie von 1936.

Rattle zelebrierte mit seinen Musikern Bruckners 6. Symphonie, die als seine leichteste und heiterste gilt - erwartungsgemäß auf hohem Niveau. Die Interpretation erwies sich in den Grundentscheidungen als genau durchdacht und wurde von den brillanten Musikern technisch perfekt realisiert.

Allein, es wollte sich keine Spannung einstellen. Interessant: Rattle wählte eine klassische deutsche Orchesteraufstellung, bei der sich die ersten und zweiten Geigen gegenübersaßen, statt wie bei der amerikanischen Aufstellung nebeneinander zu sitzen. Die Kontrabässe waren an der Rückfront aufgereiht. Dadurch erhielt der dichte Streicherklang bei aller Fülle eine gute Durchhörbarkeit. Die nahezu perfekte Akustik in der Essener Philharmonie - Hallo Musikfreunde, Ihr müsst wirklich nicht nach Hamburg fahren; das Gute liegt so nahe! - tat ihr Übriges.

Angenehm fiel auf, daß anders als üblich die Blechbläser bei ihren Einsätzen nicht den restlichen Orchesterapparat übertönten, sondern wunderbar eingebettet in den Gesamtklang waren. So weit so gut. Leider wurden aber gerade dadurch die Schwächen von Rattles Zugang zu Bruckner überdeutlich, die man in der Vergangenheit auch immer wieder exemplarisch bei seinen Aufführungen von Symphonien des österreichischen Meisters mit den Berliner Philharmonikern bemerken konnte: Rattle konzentriert sich auf den schönen Moment, nicht auf die Großform. Immer wieder geriet der Fluss der Musik ins Stocken. Der zweite Satz zerfaserte regelrecht. Die Proportionen wurden durch dieser Präsentation von Episoden geradezu unkenntlich gemacht. Zugleich fehlten der Interpretation jener Hauch von Transzendenz und jene Momente der Überwältigung, wie sie sich selbst bei unbekannteren Dirigenten und schlechteren Orchestern immer noch regelmäßig einstellen.

Alles lief mit der Perfektion eines Synthesizers ab: makellos, aber blutleer. Nicht nur beim Rezensenten kam dabei immer wieder sonst unbekannte Langeweile auf. Man blickt trotz nur einer knappen Stunde Spielzeit - Celibidache brauchte regelmäßig mindestens 70 Minuten - öfter zur Uhr. Gänsehautfeeling null. Emotion neutral. Auch im Publikum ringsum konnte man zahlreiche Besucher beim lustlosen Blättern im Programmheft während der Darbietung beobachten. Spannung ist anders. Der Applaus nach dem Schlussakkord war zwar stark, aber fern von jedem Enthusiasmus, den sich sonst in der Essener Philharmonie hörte.

Ganz anders dagegen der Bartok. Da knistert es von Anfang an, da stellen sich nicht nur die berüchtigten Nackenhaare auf, nein da gruselt es immer öfter, wie zu guter Musik eines Horrofilms. Was für ein Werk - was für eine 5-Sterne-Interpretation. Wir fiebern mit. Das ist Weltmusik in nur knappe 30 Minuten eingepackt. Trotz modern anmutender Klangbilder verarbeitete Bartok doch auch traditionelle Vorbilder wie Bach, Beethoven oder Strauß und Debussy verbunden mit Strawinskys Rhythmik, Schönbergs Atonalität und seiner ureigens gesammelten Volks- und Bauernmusik.

Das bringen die Londoner einfach genial. Im Publikum kann man eine Stecknadel fallen hören, die meisten Zuschauer sitzen auf der Vorderkante ihres bequemen Philharmonie-Gestühls und dankenswerter Weise gibt Rattle nach jedem Satz dem hörbar verschnupften Publikum eine gute Minute Zeit sich abzuhusten. Danach immer wieder Stille und Spannungsvolles Lauschen.

So ein Abend ist ein Erlebnis, daß sich einbrennt ins Gedächtnis. Die Interpretation Rattles ist hier wirklich das sprichwörtliche Maß der Dinge - 5 Sterne sind eigentlich zu wenig. Und ich habe selten bei diesem Meisterwerk ein so begeistert applaudierendes Publikum gehört. Hoch leben die verständnisvoll zuhören könnenden empathischen Essener Musikfreunde!

 

Peter Bilsing 24. Februar 2019

Leider keine Bilder

 

 

 

WALZERLAWEIA

am 1. Januar 2019

 

Essener Philharmoniker, Tomás Netopil

 

Emil Nikolaus von Reznicek: Ouvertüre zu "Donna Diana"

Josef Strauß: "Brennende Liebe", op. 129

Johann Strauß: Ouvertüre zu "Waldmeister"

Josef Strauß: "Buchstaben", op. 252

Josef Strauß: "Ohne Sorgen", op. 271

Johann Strauß: "Kaiserwalzer", op. 437

Johann Strauß: "Pizzikato-Polka", op. 234

Johann Strauß: "Freikugeln", op. 326

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Johann Strauß: "Frühlingsstimmen-Walzer", op. 410

Johann Strauß: "Im Krapfenwaldl", op. 336

Johann Strauß; "Tritsch-Tratsch-Polka", op. 214

Johann Strauß: "Freut euch des Lebens", Walzer, op. 340

Johann Strauß: "Seufzer-Galopp", op. 9

Josef Strauß: "Die tanzende Muse", op. 226

Johann Strauß: "Furiosa Polka", op. 260 RV 260

Johann Strauß: "Vergnügungszug", op. 28

Johann Strauß: "Unter Donner und Blitz", op. 324

 

Zugaben: "An der schönen blauen Donau"

"Radetzky-Marsch" als Publikums-Mitklatscher und Rauswerfer

 

Dankenswerter Weise mußte man in Essen nicht Beethovens unbekannte 9. Sinfonie zum hundertsten Male hören. Stattdessen boten Tomas Netopil und seine Essener Musici dem Publikum ihre Wiener Ode an die Freude mit sagenhaften 20 Strauß-Preziosen inklusive kleinen netten humorvollen Neujahrs-Einlagen.

Auch die Zuschauer durften mitmachen. Bei Josef Strauß' Buchstaben Polka wurden sie geradezu animiert, laut deklamierend ihre Kenntnisse des deutschen Alphabets zu zeigen: Was für eine Gaudi, wenn auch nicht so schön, wie bei Don Schulze und Kermit in der Sesamstraße.

Richtig lärmend wurde es zur Radetzky-Marsch-Zugabe am Ende - nun wurde geklatscht, daß man es vermutlich noch bis nach Wien hören konnte. Das neue Jahr 2019 wurde mit schon fast tannhäuserischer Inbrunst im Herzen begrüßt, und die vorher meist noch recht trüben Gesichter des überwiegend auf Opergala konfektionierten Edelpublikums hellten sich - finallement - doch merklich auf.

Dabei hatte es völlig straußfrei angefangen mit der Titelmusik zu einer der schönsten TV-Rate-Sendungen der 60-er Jahre mit dem Titel Erkennen Sie die Melodie - Emil Nikolaus von Rezniceks Ouvertüre zu Donna Diana. Was waren das damals noch für wunderbare Fernsehzeiten, als das Publikum im Studio zu einem kurzen, extra gedrehten Opernfilmchen raten musste:

a) Um was für eine Oper handelt es sich hier den Noten nach ?

b) Welche Inszenierung zeigt dieser kurze Filmstreifen tatsächlich ?

Natürlich stimmten a) und b) nicht überein; das war ja der Witz. Die kurzen Streifen waren echte Kleinodien. Köstlich, wenn etwa der Holländer auf seinem Schiff holde Aida sang. Reliquien gibt es noch auf Youtube.

Man stelle sich bitte so etwas heute vor:

Gezeigt wird ein Schrottplatz mit Wohnwagen, oben eine riesige Autobahnbrücke - Szene aus Wagners Siegfried natürlich. Wir erkennen es sofort. Und unten singt ein Marsmensch mit Maschinengewehr Auf in den Kampf aus Bizets Carmen.

Zurück zum Konzert: Maestro Netopil erwies sich als humorvoller Sachwalter der Musik. Sehr lustig, als er sich zur Pizzikato-Polka von einem Geiger aus der hinteren Reihe dessen Instrument auslieh und in guter alter André-Rieu-Manier am Dirigentenpult vorweg zupfte. Merke: Für viele Stücke braucht es keinen Dirigenten, sondern nur Taktschläger bzw. Taktzupfer! Das Orchester folgte ihm willig, frei und genüßlich, ohne sich zu verspielen...

Als extrem authentisch empfand ich die Seufzer der Musiker in Johann Strauß' Seufzer-Galopp op. 9.  Hier durften sie alles rauslassen, was sie so menschlich und arbeitsmäßig quälte. Das war keine Realsatire. Das war das pure Leben, denn Musiker ist ein Streß-Beruf. Viele, wahrscheinlich die meisten, Besucher projizieren ihre Entspannung - jenes schöne Gefühl, im Konzert zu sein - fälschlicher Weise auch auf die Musiker.

Die Vorstellung von spielen hat oft wenig mit der Realität im Orchester zu tun, denn Musiker arbeiten. Und sie arbeiten hart und streßreich. Die falsch gespielte Note hört das Publikum nicht unbedingt - aber die Kollegen und der Dirigent schon. Außerdem sitzen sie bei ihrer Arbeit immer auf dem Präsentierteller einer 360-Grad-Beobachtung - auch gestern war die Choristen-Galerie voll belegt mit Publikum. Dann gibt es da noch die bösen Kritiker, die geradezu auf klappernde Einsätze, Hornverblaser oder andere Spielfehler warten... .

Ungeachtet der Abschweifungen des Rezensenten - man muß eben auch mal eine Lanze für die Musiker brechen ;-) - kann man einen gelungenen Abend attestieren. Einfach schön war es. Herr Thielemann in Wien hat mich im TV nicht derart überzeugt. Möge es in der neuen Konzertsaison so weiter gehen!

 

Hojottoho           Ihr Peter Bilsing  4.1.2019

 

 

 

Ein Traumabend mit WAGNER & MAHLER

Mariinsky Orchestra & Valery Gergiev -

Anja Kampe, Mikhail Vekua, Mikhail Petrenko

Richard Wagner

1. Akt aus "Die Walküre"

Gustav Mahler

Sinfonie Nr. 6 a-Moll "Tragische"

 

Konzert am 16.9.2018 Philharmonie Essen

 

 

Liebe Opernfreunde, unterbreiten Sie einmal einem deutschen Orchester den Vorschlag Richard Wagners kompletten Ersten Akt der WALKÜRE im Konzert zu spielen - immerhin gut 75 Minuten. Weltstars als Solisten vorausgesetzt, wie jetzt in Essen, kämen dann noch 25 Minuten frenetischer Beifall dazu, denn Wagnerianer sind - wenn musikalisch euphorisiert - schnell außer Rand und Band und bravieren nicht enden wollend. Man wird begeistert sein und sich freuen zeitig wieder ins traute Heim zu kommen...

Danach kommen Sie zur eigentlichen Sache, nämlich Mahlers 6. mit rund 85 Minuten Spielzeit - ich nehme mal das mittlere Tempo zwischen Abbado (90 Min.) und Boulez (80 Min.). Auch hier werden Sie als Disponent ebenfalls Begeisterung bei jedem guten deutschen Orchester vorfinden, denn das ist ebenso kurzweilig abendfüllend und eben nicht der längste Mahler.

Und mit dem Satz "Das beides spielen wir aber demnächst in der Essener Philharmonie am 16. September 2018 an einem Abend" würden Sie sofort zum meistgehassten Menschen dieses fiktiven deutschen Orchesters erklärt. Wetten dass? Der Orchestervorstand käme sofort mit tariflichen Dienst-Regelungen, welche so etwas nicht zuließen. Es sei denn, das würde als quasi zwei Dienste bezahlt; also pekuniäre bekäme man für diesen Abend genau soviel, als wenn man zwei separate Konzerte musiziert hätte. Außerdem würden sicherlich Bedenken geltend gemacht wegen der ungeheuren Schwierigkeit beider Stücke, die den meisten Musikern kaum Atempausen böten...

Schon von daher hätte die Philharmonie eigentlich ausverkauft sein müssen, denn wann bekommt man noch einmal so ein begnadetes Programm geboten. Valery Gergiev, den ich persönlich neben Mariss Janson, für den aktuell besten Dirigenten unseres Erdenrunds halte, dabei sind mir seine persönlichen Wert- und Politikvorstellungen wurscht, immerhin hat er sich ja nicht an junge Knäbleins rangemacht. Hinzu kommt noch eines der weltbesten Orchester, die ich sofort unter den WORLDs TOP TEN platzierend würde; gäbe es eine Hitparade. So hätte ich gedacht, daß es doch bei Preisen von maximal 80 Euro (Dank an die Sparkassen Stiftung) zu einem Kartenansturm sondergleichen geführt hätte. Leider nein... Freunde, in Baden Baden zahlt ihr das vierfache!

Leider war die Philharmonie nur zu zwei Dritteln verkauft. Unfassbar, denn was an diesem Abend geboten wurde - Gratulation und Glückwunsch wer dabei war - ist nur mit einem Wort, nämlich "Weltklasse", zu bewerten. Besser geht es einfach nicht mehr!

Und so war es kein Wunder, daß schon Wagners perfekter WALKÜREN-Akt mit nicht enden wollenden Bravi goutiert wurde, als wären wir im Bayreuth der 80er Jahre. Bei MAHLER 6 musste der große Gergiev nach zehnmaligem Hervorrufen weit nach 22 h (Konzertbeginn 19 h) freundlich abwinken, sonst hätten wir wahrscheinlich noch bis Mitternacht dort gestanden und braviert.

Gergiev musiziert einen modernen lebendigen Wagner, ohne dabei die große Linie zu verlieren oder im pseudo-orgastischem Zelebrieren des Schönklangs zu versinken. Jeder Wagner Kenner weiß, wen ich meine ;-) Dabei setzt der Maestro durchaus auch Akzente, wie ein Georg Solti, gerät aber nie allzu sehr ins schwärmerische Abseits der Wagner-Droge. Goldenes Blech, perfekte Holzbläser, traumhaftes Streichermeer. Ein Orchester, welches so stürmisch freudig, wie lyrisch ans Herz gehend begleitet ist ein "Träumchen". Präzision wie bei Georg Szell korreliert mit der Transparenz eines Pierre Boulez, ohne, daß es je kammermusikalisch wirkt. Was für ein schon fast vergessener Wagner! Es klingt wie einst bei Hans Swarowsky.

Über Größen wie Anja Kampe (Sieglinde) oder Mikhail Petrenko (Hunding), braucht man keine Worte zu verlieren - hier sang die Crème de la Crème des Wagner Faches. Daß man bei Gergiev - nicht nur dem Entdecker der Netrebko, sondern auch anderer angehender Weltstars - auch für die Partie des Siegmund keine Sorge zu haben brauchte, auch wenn Mikhail Vekua (Siegmund) als überwiegender Konzertsänger noch nicht ganz so bekannt ist, erwies sich als richtig. Von Statur und Stimme wäre er auch fürs Musiktheater der perfekte Alberich/Mime. Doch seine Stimme geht vom Volumen weit weit darüber hinaus und so sang er den Siegmund mit einer Wucht, Kraft und Vehemenz, wie man diese Rolle seit John Vickers nicht mehr gehört hat; technisch brillant und auch mit genügend lyrischem Aplomp.

Die Übertitelung am Fuß der großen Orgel hätte man sich bei allen drei Künstlern sparen können, denn die Textverständlichkeit war nicht nur vorbildlich, sondern grandios perfekt.

Schade, daß einige Wagner-Freaks dann schon in der Pause gingen - so wurde es leider noch leerer - denn der beste Teil des Abends kam noch, nämlich Gustav Mahlers sechste Sinfonie.

Nicht nur, daß Maestro Mahler selber die Uraufführung dieser Sinfonie 1906 im Saalbau noch dirigierte (Sic!); wir haben in den letzten Jahren wirklich viele gute Interpretationen gehört. Dabei brillierten in meinem Kurzzeitgedächtnis nicht nur das Hausorchester die Essener Philharmoniker, auch die benachbarten Bochumer unter Steven Sloane setzten Maßstäbe, wie gerade erst noch Simon Rattle mit den Berlinern, aber was Gergiev mit den Mariinsky Orchestra hervorzauberte war der pure Mahler-Wahnsinn.

Schon nach den ersten Takten bildet sich diese Gänsehaut, welche Gustav Mahler zu diesem außergewöhnlichen Ereignis werden lässt, wenn ein Dirigent auch die subkutane Ebene der Musik erfasst und nicht nur schön runterspielt wie z.B. Abbado. Das ist es! Da jubiliert nicht nur die Seele des Musikkritikers, sondern auch das Herz Publikum wird erfasst. Man sitzt quasi an der vorderen Stuhlkante der bequemen Philharmonie Sessel. Solch Interpretation ergreift den Zuhörer, packt unser Herz und lässt es erst nach 84 Minuten wieder los. Die Spannung ist geradezu atemberaubend und löst sich auch nur temporär, wenn die Musik in den beiden Hammerschlägen eskaliert und wieder zusammensinkt. Wir zittern dem Ende entgegen. Wie in einem Horrorfilm bleibt die Spannung und die Gänsehaut erhalten. Da ist kein Ruhepunkt. Am scheinbaren Ende weiß man: irgendwo lauert noch etwas. Und wenn es dann im furiosen Schlusscrescendo explodiert, sind wir, dem Herzkasperl nahe, schweißgebadet. "Es sollte klingen, als wenn an die Wurzel eines Baumes die Axt gelegt wird" schrieb Mahler später in die Partitur. Und so klang es unter Gergiev mit diesem Traumorchester.

Was für ein Abend! Man fährt euphorisiert nach Hause unter dem Eindruck einer Musik, die so begeistert wie erschüttert und freut sich jenes sprichwörtliche "Maß der Dinge" mal wieder erlebt, durchlebt und gehört, quasi mitgefiebert zu haben. Da werden dann die Probleme und Ärgernisse des Alltags zu banalen Nebensächlichkeiten - zumindest für ein Weilchen ;-)))

Bilder (c) Hamza Saad

Peter Bilsing 20.9.2018

 

 

PRO ARTE KONZERT

Edo de Waart & Königliche Philharmonie Flandern

featuring ALICE SARA OTT

Wolfgang Amadeus Mozart Konzert C-Dur für Klavier und Orchester, KV 467

Gustav Mahler Sinfonie Nr. 5 cis-Moll

Mozart Glück und Mahler Perfektion

Edo de Waart (* 1. Juni 1941 in Amsterdam) ist nach Bernhard Haitink der international bekannteste niederländischer Dirigent. Zu Unrecht steht er in der Reihe der noch lebenden Giganten immer noch in der "zweiten Reihe".

Immerhin kann der jetzt 77-Jährige eine große Vergangenheit vorweisen. Nicht nur war er einst Assistent von Leonard Bernstein bei den New Yorker Philharmonikern. Schon 1967 wurde er Chefdirigent der Rotterdamer Philharmoniker, denen er außerdem von 1973 bis 1979 als musikalischer Direktor diente. Nennen wir das San Francisco Symphony Orchestra ab 1975 Gastdirigent und von 1977 bis 1985 der musikalische Direktor. 1986 bis 1995 war er Chefdirigent des Minnesota Orchestra. Von 1989 bis 2004 war de Waart musikalischer Direktor des Philharmonischen Radioorchesters Holland; Chefdirigent und künstlerischer Berater des Sydney Symphony Orchestra von 1995 bis 2004. Von 1999 bis 2004 immerhin Chefdirigent der Nederlandse Opera. Seit 2004 ist er musikalischer Leiter und Chefdirigent des Hong Kong Philharmonic Orchestra. Na wenn das kein Gigant ist? De Waart dirigierte die Premieren der meisten Werke von John Adams und machte Plattenaufnahmen von Kompositionen Adams als auch von Steve Reich

Daß ein solcher Maestro mit Mahlers 5. keine Schwierigkeiten haben würde - immerhin hat er mit dem Netherlands Radio Philharmonic schon eine Gesamtedition heraus gebracht - war voraus zu sehen, aber das es ein so brillanter Abend wurde ist ein Glücksfall für die Besucher gewesen und eine Sternstunde für Mahler-Fans weit und breit. Dabei kann sich seine Interpretation und die großartige Leistung der Königlichen Philharmonie Flandern durchaus mit den Größten messen und ich würde sie persönlich in eine Reihe mit Abbado, Bernstein und Chailly setzen. Eine fulminante Darbietung, wobei das wunderbare Adagietto wirklich zu Tränen rührt. Anmerkung für unsere jüngeren Freunde "Dieses Stück ist keine Filmmusik (Tod in Venedig, 1971) und nicht von Visconti geschrieben worden - aber kongenial in seinem Jahrhundertfilm eingebaut!"

Daß man im ersten Teil das allseits beliebte und vielgespielte Konzert C-Dur für Klavier und Orchester immerhin mit dem Shooting Star Alice Sara Ott quasi als friedvolles Präludium eingeplant hatte, ist sicherlich nicht nur der relativen Kürze des Mahler Opus von "nur" 70 Minuten geschuldet, sondern zeigte eine Weltklasse Künstlerin mit bescheidener Bodenständigkeit bezaubert. Ihre Natürlichkeit geht soweit, daß sie (lt. Interview) am liebsten immer statt in High Heels barfuss spielen würde. Daß sie immerhin mit 22 schon den ECHO Preis gewonnen hat, sagt heute - auch nachdem dieser so in Misskredit geraten ist - doch noch Einiges aus.

Ein Kollege sprach einst von "feinster artikulatorischer Nuancierungskunst" und "Mozart als pures Glück". Dem würde ich mich klaglos anschließen. Im aktuellen Rahmen der kurzröckig blitzenden Showbiz Klaviersternchen eine Ausnahmeerscheinung par excellence. Eine wirklich tolle Künstlerin.

Bilder (c) Pro Arte Konzerte / Theater Essen

Peter Bilsing 17.5.2018

 

 

Leonard Bernstein zum 100. Geburtstag

9. Sinfoniekonzert der Essener Philharmoniker

 

12. April 2018 - Beginn 19 30 h

"Die Kunst des Hörens" Einführung mit Orchester

Leonard Bernstein - Divertimento für Orchester

Gustav Mahler - Sinfonie Nr. 9 D-Dur

Liebe zu dieser Erde

Ein tolles Angebot bieten mittlerweile die Essener Philharmoniker in ihren Abo-Konzerten, nämlich eine Einführung durch GMD Tomás Netopil, mit dem ganzen Orchester - eine halbe Stunde bevor das eigentliche Konzert beginnt.

Ein Offerte, welches nicht hoch genug einzuschätzen ist, denn ich kenne nur wenig A-Orchester, die sich auf so etwas einlassen, ohne gleich einen zweiten Dienst an Bezahlung zu fordern. Da ich solche publikumsfreundlichen Dinge seit bald einem halben Jahrhundert immer wieder ansprechend fordere, würden Sie, verehrte Leser, kaum glauben, was ich so im Laufe der Zeit da für Antworten bekam, obwohl die meisten Dirigenten solchen Dingen immer positiv gegenüber standen. Was für die New Yorker Philharmoniker unter Leonard Bernstein einst eine Selbstverständlichkeit war, ist es für deutsche Orchesterkollektive noch lange nicht. Bravo Essen!

Umso mehr verwundert es, daß nicht alle Besucher des Konzerts so eine fabelhafte Offerte wahrnehmen, denn ich denke, daß 98 Prozent vom Bernsteinschen "Divertimento" so gut wie nichts wissen, auch weil das Stück höchst selten aufgeführt wird. Sogar die Welterbe-Schatztruhe YOUTUBE hat von diesem superben Stück gerade drei Versionen auf Lager.

Bernsteins geniale Vielseitigkeit zeigt sich beispielhaft in diesem Divertimento, das aus acht recht kurzen Sätzen besteht. Die einzelnen Sätze spielen mit einer Vielzahl von Stilrichtungen und zitieren nicht nur klassische Elemente amerikanische Musik von Copland bis Ives, sondern beziehen in ihr Kaleidoskop auch amerikanischer Unterhaltungsmusik von Porter bis Bernstein Selbstzitaten (West Side Story) ein.

Ein Stück geniale Musik, welches so wunderbar, wie viel zu kurz ist und man möchte nach den knappen 20 Minuten eigentlich sofort "Da capo!" rufen - auch weil die Essener diesen Bernstein einfach brillant und begeistert spielen. Man merkte den Musikern an, daß dieser Bernstein Spaß macht.

Ich hoffe doch, daß die CD-Aufnahme, für die an diesem Abend überall Mikrofone aufgebaut waren, einer Bernstein CD gilt - die wunderbaren Essener spielen ja im 100. Geburtsjahr diverse Stücke von ihm ein (während man benachbarten Opernhaus dieses Jubiläum schnöde ignoriert!) - denn zu den gefühlten 276 Mahler Aufnahmen braucht das Schallplatten-Repertoire wahrlich keine Ergänzung mehr, obwohl die Essener Musici diese neunte Sinfonie hervorragend spielten.

Zur neunten Sinfonie ist nicht mehr zu sagen, als der große persönlich enge Freund und geniale Komponist Alban Berg einst trefflich schrieb: "Und wieder, zum letzten Mal, wendet sich Mahler der Erde zu ... Er will fern von allem Ungemach, in freier dünner Luft des Semmerings, sich ein Heim schaffen, um die Luft, diese reinste Erdenluft, mit immer tieferen Atemzügen, daß sich das Herz, dieses herrlichste Herz, das je unter Menschen geschlagen hat, sich weitet - immer mehr sich weitet - bevor es hier zu schlagen aufhören muss." Eine Sinfonie über den Tod.

Und wenn man beim Adagio - dem vielleicht schönsten und tragischsten Stück Weltmusik (neben Isoldes Liebestod) - dann doch immer wieder feuchte Augen bekommt, zeigt es wie intensiv sich diese Musiker mit dem Stück auseinandersetzen und wie es sich bei Tomas Netopil zu einer tiefen Herzenssache im Verlauf des Dirigats entwickelt. Die Musik schwingt in der Seele nach in den über 20 Sekunden der ruhigen Besinnung nach den letzten gehauchten Tönen des Finales, bevor der Dirigent den Stab senkt. Was für eine ergreifende Interpretation von großer Tiefe.

Die Programmgestaltung der Essener Sinfoniekonzerte (auch in der nächsten Saison) gehören zum Interessantesten, was man in Deutschland finden kann, an Vielfalt, Originalität und Wertschätzung des breiten Spektrums der Musik. Gott sei Dank folgt man nicht dem sonst üblichen Credo der klassischen Hitparadennummern des Immergleichen, sondern bietet ein Programm für das es sich wirklich lohnt in die Philharmonie zu diesen Konzerten gehen.

Wenn man schon soviel Qualität bietet, dann sollten die Gestalter einmal darüber nachdenken ob es sich nicht lohnen würde die unsäglichen zwei Wochentags-Termine (Do/Frei) für die Städtischen Konzerte auf Sonntag/Montag zu verlegen oder sogar auf drei Abende zu erweitern, denn wer so hochklassig aufspielt, hat auch eine ansehnlichere Terminierung verdient.

Bilder (c) Philharmonie Essen / Hamza Saad / Deutsche Grammophon

Peter Bilsing 16.4.2018

 

P.S.1 Bernstein über Mahler 9.

Bitte hören Sie sich unbedingt an, was der große Genius Leonard Bernstein zur neunten Sinfonie von Mahler einst Bewegendes und Erschütterndes in 23 Minuten frei aus der Seele heraus zu sagen hatte. Man könnte dern Eindruck gewinnen als habe er dieses Endzeitwerk selber komponiert.

 

P.S.2 Ein schönes Video über die Essener Philharmoniker

 

P.S.3 Unser Opernfreund-Plattentipp

Zuschlagen: aktuell nur 5 Euro !

 

 

 

 

 

 

Doppelbesprechung

Andrés Orozco-Estrada & Houston Symphony

featuring: Hilary Hahn

Konzert am Sonntag 4. März 2018 - Beginn 20 h

Leonard Bernstein zum 100. Geburtstag

Prelude (Beginn 19 30 h) "Die Kunst des Hörens"

eine Konzerteinführung durch Andrés Orozco-Estrada mit Orchester

Leonard Bernstein "Prologue" zu "West Side Story"

Leonard Bernstein Serenade nach Platons "Symposium" für Violine, Streicher, Harfe und Schlagzeug

Antonín Dvorák Sinfonie Nr. 7 d-Moll, op. 70

 

Tomás Netopil & Essener Philharmoniker

featuring: Violine Daniel Bell

Konzert am Freitag 16. März 2018

8. Sinfoniekonzert der Essener Philharmoniker

Ralph Vaughan Williams Fantasie über ein Thema von Thomas Tallis

Ralph Vaughan Williams "The Lark ascending" - Romanze für Violine & Orchester

Charles Ives "The unanswered Question"

Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 5 c-Moll, op. 67

 

 

Manchmal macht es durchaus Sinn die Besprechung zweier Konzerte völlig unterschiedlichen Inhalts in einer Kritik zu verbinden. Denn beide Konzerte haben eines gemeinsam: der erste Teil ist wirklich sensationell sowohl in der Programmauswahl (Raritäten der besonderen Art) als auch in der Qualität der Darbietung. Aber in beiden Konzerten ist der zweite Teil eine Art Zugeständnis an das Publikum, sozusagen etwas Bekanntes aus der Klassik-Hitparade des überall gespielten Üblichen.

Wobei die Essener Musici natürlich mit Beethovens Fünfter, die schon Schobert und Black in den 60ern zum Bardenhit umstilisierten oder die Band Ekseption auf Platz Eins der internationalen Hitparade brachte, einen Volltreffer landeten.

Dvoraks Siebte (einige hatten wohl gedacht, es wäre die "Aus der Neuen Welt" - nein liebe Freunde, das ist die Neunte !) hinterließda schon eher lange Gesichter, denn ein Burner, wie man heute modern sagt, ist das Werk nicht gerade. Immerhin hatte Andrés Orozco-Estrada in seiner Einführung passende Worte gefunden, indem er Struktur und Noten gerade dieser Sinfonie als die eines "Suchenden" bezeichnete.

Leonard Bernstein

Allein für diesen Komponisten lohnt sich jedes Konzert, wobei Bernstein sicherlich bei uns den erheblich höheren Bekanntheits- und Beliebheitsgrad hat.

Und was fällt Ihnen, verehrte Leserschaft sofort zu Leonard Bernstein ein? Genau! West Side Story. Man darf keinen Bernstein spielen ohne wenigsten den Prolog (6,35 Minuten) mit einzubinden.

Ist der Dirigent ein Netter, dann lässt er das Publikum (nach kurzer vorheriger Probe bei der Einführung) auch das laute "Mambo" mitgrölen, was sonst meist nur den Musikern vorbehalten bleibt. Der Prolog ist übrigens identisch mit der Film-Ouvertüre.

Von dem dann folgenden halbstündigen Mega-Highlight Bernsteins, nämlich der Serenade nach Platons Symposium haben Sie bestimmt noch nie gehört. Es gibt davon auch nur zwei Aufnahmen, obwohl sogar Anne-Sophie Mutter das Stück gelegentlich im Konzert ganz hinreißend spielte.

Hilary Hahn

Ist für das Bernstein-Opus eine adäquate Violinistin allerersten Ranges. Und wer die hoch schwierigsten Stücke von Paganini mit der Leichtigkeit des Seins bzw. der Hitparaden-Lockerheit eines André Rieu auf´s Parkett legen kann, dem bereitet auch dieser tolle und anspruchsvolle Bernstein keine Schwierigkeiten.

Das schöne an einem Superstar wie Hahn ist die Tatsache, daß sie bei allem entrückt und überirdischem Musizieren noch bodenständig geblieben ist. Als "Ein Wunder der Natürlichkeit" wurde sie öfter bezeichnet. Immerhin wurde Hilary Hahn 2012 in Essen mit dem Jahrespreis 2012 der Deutschen Schallplattenkritik für ihre Aufnahme der Violinsonaten von Charles Ives ausgezeichnet. Oh wie göttlich wäre es gewesen, wenn sie diese im zweiten Konzertteil gespielt hätte! Die zweite Sensation wäre gleichzeitig gewesen, daß dann endlich, endlich, endlich einmal ein amerikanisches Top-Orchester nur Musik aus dem Heimatland präsentiert hätte. Wunschträume eines Kritikers. Aber wer wäre da, außer mir noch gekommen? (Achtung Ironie !)

Interessant ist die Tatsache, daß der große Isaac Stern dieses Stück nicht nur uraufgeführt hat, sondern es auch immer wieder in seine Konzerte einbrachte. Geschrieben wurde das wunderschöne aber nicht leichte Stück als Auftragswerk der Koussevitzky-Stiftung in Memoriam an den großen Serge Koussevitzky 1951.

Man muß sich schon weit in die griechische Geschichte der großen Philosophen hineinwagen und sich auskennen, um zu begreifen was der große Lenny Bernstein mit diesem Stück sagen wollte. Das Symposium um das es hier geht, ist Platons erdichtete Rekonstruktion der Reden während eines Gastmahls, zu dem der Philosoph Sokrates und seine Athener Freunde zusammengekommen waren. Andrés Orozco-Estrada schaffte es bei seiner begnadeten Einführung jenes elitäre Konstrukt, welches vermutlich gerade einmal zwei Anwesende von den 2000 Besuchern überhaupt kannten, mit einfachen verständlichen Worte zu erläutern: "Es geht eigentlich nur um die Liebe! Die kleinen Stücke sind Lobpreisungen der Liebe." Klingt übrigens auch in dem Wort "Serenade" (Bernstein verwendet bewusst nicht den Titel Violinkonzert) schon an, denn (Italienisch sera) das waren Liebeslieder, die unter den Fenstern und Balkonen edler und unedler - jedenfalls angebeteter - Damen intoniert wurden. Der große Biograph Humphrey Burton schrieb dazu "Bernstein wollte uns sicherlich zu verstehen geben, daß eben diese Serenade alle seine liebevollen Gefühle für all seine Mitmenschen zum Ausdruck bringen sollte."

Ralph Vaughan Williams

Daß einer der schönsten Melodienschreiber (Spätromantik pur!) bei uns so wenig gespielt wird, ist ein Rätsel. Ich gebe unumwunden zu ein großer Vaughan Williams Fan zu sein. Der englische Komponist, Dirigent und Filmmusik-Schreiber (1872-1958) hat so viele wunderbare Werke geschrieben, daß es wirklich eine Schande ist, dass man ihn so wenig im deutschen Konzertleben beachtet. Gerade seine Sea Symphony (Nr.1 von 9 Sinfonien) ist ein geniales Werk, welches sich nicht nur in Besetzung und Länge (über 70 Minuten mit Solisten und großem Chor) durchaus mit z.B. Mahlers 2. messen kann. Ganz tolle Musik! Bitte hören Sie einmal rein - die grandiosen Stellen liegen schon in den ersten fünf Minuten (soviel Zeit muß sein!)

Die Englische Post bachte sogar eine Ehrenmarke für ihn heraus.

Die im Konzert gespielten Stücke (Fantasie über ein Thema von Thomas Tallis und The Lark ascending) ich sag es einmal mit ironischen Duktus: sind schöne "Filmmusiken" und würden auch zur Untermalung zum Herrn der Ringe sich noch grandios anhören. Howard Shore möge mir verzeihen.

Vaughan Williams ließ sich bei The Lark ascending (Musikbeispiel mit Hilary Hahn!) vom gleichnamigen 122-zeiligen Gedicht von George Meredith über eine Lerche inspirieren. Durchaus Programm-Musik, die den Aufstieg einer Lerche in den Himmel symbolisiert. Und wer die Augen schließt, kann sich das im Konzert leicht vorstellen. Ein ganz wunderbares Stück Klassik, welches mit einem superben Violinisten -

wie hier Daniel Bell - wirklich in himmlische Gefilde entführt. Kann Musik schöner sein? Das von Vaughan Williams in der Fantasia verarbeitete Thema hatte Thomas Tallis (1505 - 1585) - immerhin einer der großen Meister der elisabethanischen Blütezeit englischer Renaissance-Musik - 1567 für ein Psalter-Gesangsbuch des anglikanischen Erzbischofs von Canterbury geschrieben. Zu dieser 17-minütigen Fantasia ist nicht viel zu sagen, außer: Es ist eines der schönsten Stücke für Streichorchester. Man muß einfach die Augen schließen und es genießen.

Charles Yves

The unanswered Question (Musikbeispiel mit Andrés Orozco-Estrada - bitte unbedingt reinhören!) ist eines der bekanntesten Kurzstücke des großen amerikanischen Komponisten, denn es eignet sich vorzüglich als Auftakt zu einem folgenden größeren Werk z.B. einer Mahler-Sinfonie oder wie hier Beethovens Fünfter. Dabei wird es nicht selten nahtlos angebunden.

Es gehört zu jenen Ives-Musiken, die nicht gleich wegen der Atonalität oder komplexer Notenspiele verschrecken oder den Zuhörer irritieren. Immerhin ist es mit sechs Minuten sehr kurz und hat eine auch für Beethovenianer durchaus anhörbare, tonale Struktur, weshalb man es gerne als modernes Feigenblatt in alle möglichen Konzertprogramme einbaut.

Ansonsten fristet die geniale Musik von Charles Ives bei uns immer noch ein Mauerblümchen-Dasein. Hier geht es um musikalisch formulierte Fragen der Orchestergruppe der Blechbläser und die Antworten, die durch die Holzbläser zwar anklingen, aber nicht richtig gegeben werden. Sollte sie dieser Text nun irritieren, dann hören Sie, verehrter Musikfreund, doch einfach mal rein. Vielleicht finden Sie die Antwort ;-). Nur Mut, es ist ein eigentlich ganz wunderbares kurzes Stück.

Last but not least die Würdigung zweier toller Dirigenten und Klangkörper. Das Houston Symphony Orchestra gehört zwar nicht offiziell zu den TOP FIVE, aber auf dem sechsten Platz steht es auf jeden Fall; und mit dem superben Dirigenten und charmanten Plauderer (noch nie hat eine Einführung soviel Spass gemacht) Andrés Orozco-Estrada ist der Begriff Weltklasse nicht zu hoch gegriffen.

Tomás Netopil und seine Essener Philharmoniker beweisen gerade und nachdrücklich in dieser Konzertsaison, daß sie auch Ausgefallenes, Seltenes und Hochschwieriges ganz großartig in ihr Repertoire integriert haben. Bravi!

Die Programmauswahl der Saison 2017/18 ist mehr als vorbildlich, denn neben Populärem standen mit bisher mit Martinu, Vasks, Milhaud, Antheil, Gruber, Poulenc, um nur einige zu nennen, fantastische Komponisten auf dem Spielplan.

Daß wir demnächst auch noch Korngold, Weill und Copland auf dem Schedule haben und filmmusikalische Kleinodien von Leonard Bernstein, Max Steiner und Miklós Rózsa, ist eine ganz wunderbare Sache und spricht für intelligente, vielseitige und künstlerisch anspruchsvolle Abo-Konzert-Planung jenseits des altbacken und tradiert üblichen Allbekannten. "Gut goahn!" ruft der Kritiker aus dem Kohlenpott.

 

Peter Bilsing 21.3.2018

Bilder (c) Philharmonie Essen / Susanne Diesner / Faber & Faber / sony classic / new world records / Essen Tourismus / Hamza Saad

 

 

 

Diana Damrau & Jonas Kaufmann

Hugo Wolf "Italienisches Liederbuch"

Premiere am 18.2.2018

Einmalig schön und lebensnah erfrischend sympathisch

In meiner Kritik zum Kaufmann-Konzert am 6.4.2017 am selben Haus schrieb ich als Fazit "Man macht sich weiterhin Sorgen, daß er nicht ein ähnliches Schicksal wie sein einstiger ebenfalls großer vielversprechender Kollege Rolando Villazon, erleidet. Zuviel des Guten - bei Kaufmann muß man schon sagen zuviel des Sehr Guten! Das singen der großen Kawenzmänner kostet Substanz und zehrt an der Stimme. Ein "weiter so" würde mich als erfahrenen langjährigen Kritiker und Beobachter bedenklich und traurig stimmen..." (*Unter "Kawenzmännern"* verstehen sich die großen Tenorpartien bei Puccini, Wagner, Korngold und - tödlich für so eine wunderbare Stimme ! - letzten Endes Verdi.)

Gott sei Dank ist Jonas Kaufmann nicht nur ein netter, sondern auch ein intelligenter und durchaus selbst-kritischer Künstler. So sind die Liederabende, die er jetzt einlegt, eine höchst sinnvolle Beruhigung und Erholung seiner damals doch sehr angeschlagenen Stimme und wichtigste Stimmpflege, wenn man noch weitere 30 Jahre singen möchte.

Hinzu kommt, daß die Erfahrung des Liedersingens - besonders wenn man einen so ungemein grandiosen und einfühlsamen Klavierpartner hat, wie Helmut Deutsch und eine mit superben Grandezza ausgestattete erfahrene Sängerin, wie Diana Damrau als Partnerin - unbezahlbar ist.

Nach Hamburg, Berlin, München, Baden Baden und Frankfurt ist die Tournee nun in Essen angekommen. Daß man die unvermeidliche CD gerade hier aufnimmt spricht Bände für den Essener Konzertsaal. Über das treue tolle Publikum, welches die Philharmonie bis in den letzten Winkel (es saßen sogar ca. 150 Besucher auf der Orchester-Plattform) füllte, braucht man keine weiteren Worte zu verlieren; auch deshalb mein Lob, weil die Konzerte anderorts - nicht ohne Grund gelten Liederabende als Kassengift - unverständlicher Weise nicht immer ausverkauft waren.

Das „Italienische Liederbuch“ beinhaltet 46 Lieder für eine Singstimme und Klavier, Texte italienischer Volkspoesie in Nachdichtung von Paul Heyse und in zwei Schüben 1890/91 und 1896 von Hugo Wolf vertont. Sie sind in der Abfolge nicht stringent vorgegeben, was jede Aufführung zu einer neuen, ganz eigenen Premiere macht. Ganz wunderbar der von der Technik zwingend vorgegebene Aspekt, daß zwischen den Gesangsblöcken wegen der Aufnahme nicht geklatscht werden durfte, was diesen Abend zu einem Ausnahmeabend machte. Warum eigentlich nicht immer so? Genießen und erstmal schweigen...

Inwieweit die Bezeichnung "Traumpaar" Realität wurde zeigte sich gerade in Essen daran, daß diese beiden Künstler nicht nur perfekt harmonierten, brillant sangen, sondern sich wohl auch menschlich durchaus zugetan waren. Womit ich die musiktheatralisch natürliche Gestik meine, die 50 Prozent dieses Erlebnisses ausmachte. Ich erlaube mir sogar die ketzerisch gemeinte Frage Wer will das auf CD hören, wenn man diese wunderbaren Ausnahmekünstler nicht sehen kann? Zwischen den teils sehr kurzen Liedern spielten sich emotional alle Facetten des Lebens ab, so daß zur Versilberung einzig eine DVD Sinn gemacht hätte.

Damrau und Kaufmann sind charmante Weltstars, die bodenständig geblieben sind, was man an solchen Abenden besonders herzlich spürte und dankbar aufnahm. Hier bewegten sich alle Elemente, die ein großer Liederabend haben muß im 5-Sterne-Bereich: die Atmosphäre, der Gesang und das Piano. Was für ein Konzert!

Als Duett-Zugaben: Schumanns „Unterm Fenster“ und (als Werbebotschaft von Apple mit Tablet als demonstrativ hochgehaltene Notenvorlage) Mendelssohns „Gruß“ ;-)

 

Peter Bilsing 20.2.2018

Dank für die tollen Abend-Livebilder an (c) Sven Lorenz

 

 

 

 

"Jazz Symphony"

3. Sinfoniekonzert der Essener Philharmoniker am 28.10.2017

in der Reihe "NOW! Grenzgänger"

Phänomenal !!

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Frank Dupree, Klavier

Essener Philharmoniker

HK Gruber, Dirigent

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HK Gruber "Charivari"

Darius Milhaud "Le boeuf sur le toit", op. 58

George Antheil "A Jazz Symphony"

Dmitri Schostakowitsch Suite Nr. 2 für Jazz-Orchester

George Gershwin "Concerto in F" für Klavier und Orchester

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19:30 Uhr "Die Kunst des Hörens" - Konzerteinführung durch HK Gruber zusammen mit dem Orchester - Offizieller Konzertbeginn 20 h

 

Liebe Essener Konzertfreunde,

zu berichten ist über ein wirklich einmaliges Sinfoniekonzert mit geradezu vorbildlicher inhaltlicher Zusammenstellung. Alles paßt, und thematisch ist dieser "Jazz" ein immer noch viel zu selten gespieltes Leitmotiv in der Klassik.

Da reist man gerne aus der Nachbarstadt Düsseldorf an - wo sich vermutlich höchsten 200 Leute bei so einem Konzertinhalt versammelt hätten. Man ist als oft geplagter Rezensent über alle Maßen erfreut, daß und wie so ein Konzert der absolut tollen Raritäten von den Essenern angenommen wird. Die Philharmonie präsentiert sich fast ausverkauft, und das auch am zweiten Abend. Hab Dank, liebes Essener Publikum, daß Du Dich auf solch teilweise unbekanntes und kaum gespieltes Terrain führen läßt und bereit bist, so offenherzig auf das neue Unbekannte einzugehen!

Der große HK Gruber ist ein "Universalgenie": Dirigent, Musiker, Komponist, Entertainer und Sänger - ja Sie lesen richtig "Sänger", denn er sieht sich selber auch als "Chansonnier"...

Foto (c) Philharmonie Essen - Neujahrskonzert 2008 - dank an OMM

Er ließ es sich natürlich nicht nehmen, schon eine halbe Stunde vor Konzertbeginn quasi zum Entrée zu bitten, wo er in seiner höchst eigenen charmanten Art (mit augenzwinkernd verstecktem Wiener Schmäh, versteht sich) die Werke erklärte. Dies tat er mit dem kompletten Essener Orchester - wie einst der legendäre Lenny Bernstein in seinen abendfüllenden Young Peoples Concerts.

Verständlich, daß Gruber über sein eigenes Werk "Charivari" viel zu sagen hatte, aber auch über die anderen Stück gab es interessante und wichtige Informationen.

HK ist ein charmanter Plauderer, dem man gerne zuhört und dem man auch noch stundenlang zuhören könnte. Dieser große Künstler hat viel zu erzählen. Das Publikum lauschte gebannt und war begeistert.

Am meisten allerdings, und das brachte den ohnehin enthusiasmierten Saal am Ende förmlich zum Überkochen, als er zusammen mit dem fabelhaften jungen Pianisten Frank Dupree als Zugabe lustvoll den „Song of the Rheinland“ von Kurt Weill sang. Stimmlich wirklich schrecklich, aber mit soviel Herzblut und Engagement vorgetragen, daß man einfach nur begeistert aufspringen mußte. Hier waren die mittlerweile zur Allerweltsgestik degenerierten "Standing Ovations" endlich (!) einmal angebracht. Unerschöpflicher Jubel, dem sich auch der Rezensent lauthals anschloß.

Grubers "Charivari" (Untertitel: Ein österreichisches Journal) ist ein "anarchischer Schabernack"; trefflicher kann man seine Komposition - bitte hören Sie in den verlinkten Ausschnitt mal hinein - kaum beschreiben. Alles fängt an wie die originale Perpetuum-Mobile-Polka von Johann Strauß. Zumindest zwei Minuten lang, dann bricht der musikalische Schabernack los. Themen werden konterkariert, überall lauern Blechbläser mit plötzlich einbrechenden Attacken, und diverse musikalische Zitate werden köstlich in dieses "Monster"-werk mit eingezwängt. Gerard Hoffnung läßt grüßen! Sogar das weltbekannte und populäre Glockenmotiv von "Big Ben" taucht gegen Ende auf. Man möchte das viel zu kurze Werk eigentlich sofort noch einmal hören.

Darius Milhaud "Le boeuf sur le toit", op. 58

(Der Opernfreund empfiehlt diese - Bild unten - immer noch bei Amazon erhältliche EMI Aufnahme >>>)

erinnert dann schon eher an Jazz bzw. Varieté-Musik. Es erklingen fast an Popmusik erinnernde Melodien, irgendwie klingt auch Bernsteins "Candide" an. Reminiszenzen an Tango, Samba und den portugiesischen Fado erklingen in bunter Reihenfolge. Beste Volksmusik auf grandiosem Niveau und in superber Verarbeitung. Die zwanzig Minuten vergehen wie im Flug, und die Essener Philharmoniker tragen ihren Milhaud - von dem man gerne öfter mehr hören würde in städtischen Konzerten - geradezu auf Flügeln.

George Antheil "A Jazz Symphony" beschließt den ersten Teil. Der sogenannte  "Bad Boy of Music", der neben seinen vielen Kompositionen - darunter immerhin auch sechs Opern, von denen TRANSATLANTIK vor 20 Jahren sogar mit großem Erfolg in Bielefeld lief - auch das Patent zum ersten funkgesteuerten Torpedo anmeldete, war einer der größten und interessantesten amerikanischen Komponisten. Ein Filou und hochintelligenter Bursche.

Sein BALLET MECANIQUE umfaßt neben der sinfonischen Großbesetzung sagenhafte 16 mit Lochstreifen selbstspielende Klaviere, Feuerwehrsirenen, elektrische Klingeln und einen Flugzeugmotor.

Bei seinen Konzerten in Europa wurden die Türen von eigens angestellten Bodyguards von innen verriegelt. Antheil legte dann zu Konzertbeginn demonstrativ stets seinen 45er Smith-and-Wesson-Colt auf das Klavier, mit den Worten: "Achtung! Ich bin bewaffnet!" - was allerdings tumultartige Ausschreitungen u.a. in Paris kaum verhinderte. Es lohnt sich unbedingt, sich einmal mit seiner hochinteressanten Biografie zu beschäftigen.

Natürlich ist die Jazz Sinfonie ein ganz wunderbar friedliches und easy zu rezipierendes Werk.

Nach der Pause dann Schostakowitschs Zweite Suite für Jazz-Orchester.

(Der Opernfreund empfiehlt eine Aufnahme, die wir für perfekt halten, siehe unten)

Sie ist ein geradezu begnadetes Stück für die jährlichen Silvesterkonzerte oder die "Last Night of the Proms". Das Oeuvre klingt anfangs wie Marschmusik (Sousa lässt grüßen), fulminant, laut, martialisch und kriegt dann die Kurve zum schön Melodischen, wobei Schostakowitschs Walzerseligkeit schon ziemlich doppelbödig daherkommt und nicht unbedingt als Anbiederung an die Aufforderung Stalins, er möge doch mal was richtig Volkstümliches komponieren, verstanden werden darf.

Im Gegenteil, jenes eingeforderte scheinbar Volkstümliche wird ziemlich rüde entblößt und desavouiert. Ein Stück von hohem Unterhaltungswert, aber dennoch hört man zwischen den Zeilen, was den Komponisten eigentlich bewegte. Er hatte stete Todesangst; seine Koffer waren für Sibirien gepackt ... . Über viele Jahre rechnete er damit, jederzeit von den stalinistischen Mordbrennern umgebracht oder deportiert zu werden. Lesen Sie sein Buch "Zeugenaussage", welches auch von Tony Parker verfilmt wurde.

George Gershwin "Concerto in F für Klavier und Orchester" ist ein Klassiker und wurde vom jungen Frank Dupree ganz wunderbar ausgeleuchtet. Die Essener Philharmoniker verschmolzen zu einer Einheit mit dem Pianisten.

Schön, daß er sich auch nicht allzu sehr in den Vordergrund spielte, sondern Gershwins romantisierende Noten mit unvergleichlicher Empathie, Luft- und Leichtigkeit aus dem Steinway perlen ließ.

Gerade hier zeigte sich wieder die traumhafte Akustik der Essener Philharmonie, welche sowohl zarte Pianotöne, als auch Orchester-Fortissimos problemlos wiedergibt.

 

Fazit:Für ein städtisches Sinfoniekonzert war dieser Abend eine geradezu unglaubliche Präsentation auf allerhöchstem Niveau. Und man merkte bei jedem Stück, wie es auch den Musikern unendlich viel Spaß machte, aus dem üblichen Alltagseinerlei auszubrechen und wie sich jeder einzelne hier hochmotiviert für diese Art von Klassik einbrachte.

Daß der Dirigent HK Gruber am Ende sogar vor dem Orchester niederkniete, war ebenso beeindruckend wie berechtig. Keine Show, sondern ehrliche Anerkennung.

 

Peter Bilsing 1.11.2017

Bisher gibt es leider keine offiziellen Bilder (Sparmaßnahmen!) aus der Philharmonie von diesem Ausnahmeabend, daher mußten wir auf andere Bilder zurückgreifen.

 

 

 

Im siebten Beethoven-Rachmaninow-Himmel

Denis Matsuev, Klavier / Münchner Philharmoniker & Valery Gergiev

22. Oktober 2017

Berauschend gespielt

Ludwig van Beethoven: Ouvertüre "Leonore" Nr. 3 C-Dur, op. 72

Sergej Rachmaninow: Konzert Nr. 4 g-Moll für Klavier und Orchester, op. 40

Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5 c-Moll, op. 67

 

In einem 5-Sterne-Hotel fühlt sich der Gast, üblicher Weise, recht wohl. Dann gibt es auch 6-Sterne-Hotels, wie z.B. das Riz Carlton. Die Krönung im Leben von nicht nur Hoteltestern sind allerdings die ganz ganz wenigen 7-Sterne-Hotels auf dieser Welt - z.b. Das Burj Al Arab in Dubai. Wer dort logiert ist König für eine Nacht.

Ähnlich fühlte sich der Rezensent beim gestrigen Beethoven-Rachmaninow-Konzert in der Essener Philharmonie, wo wir ja in den letzten Jahren absolut alles an Spitzenorchestern hören konnten, welche unseren Erdenrund mit einer Musikinterpretation erfreuen, die man ohne Einschränkungen als "Maß der Dinge" bezeichnen kann. Essen als Nabel der Konzertwelt.

Die Münchner Philharmoniker waren einst unter Sergiu Celibidache eine Legende; auch wenn sein Repertoire - ganz im Gegenteil zu Valerie Gergiev - sehr schmal war. Die Musiker vergötterten ihn regelrecht und waren sogar bereit, als er sein Millionensalär (durch geradezu unverschämte Forderungen an die Stadt München) einst in bis dato nur aus dem Fußball bekannte Höhen schraubte, diesen teil ggf. selber zu bezahlen. Ja wo gibt es so etwas noch? Stellen Sie sich vor, die Spieler des FC Bayern München sprechen sich für einen Trainer aus, wo sie einen Teil des Millionengehalt notfalls aus eigener Tasche bezahlen würden...

Doch zurück zum jetzt und heute. Nach der Münchner Gasteig Philharmonie (zwei Abende) und der Alten Oper in Frankfurt kommt das Orchester nun am vierten Tag hintereinander in Essen zu Gehör. Man muß wirklich einen Traumabend bescheinigen. Das Auditorium befand sich in einem quasi Beethoven-Rausch. Selbst die "abgelutschte" und überall rauf und runter gespielte deutsche Volkssinfonie, Beethoven Fünfte, erstrahlte neu in einer Wucht und Opulenz - ohne je erdrückend zu wirken - wie man sie auch auf den gefühlt 3451 Schallplatten selten zu hören bekommt. Dabei ist es nicht nur das, vor allem durch die groß besetzten Geigen, Celli und Kontrabässe evozierte Klangbild des Rauschhaften, sondern auch die schon unheimliche rhythmische Präzision mit dennoch gut durchhörbarer Transparenz, welche den Zuhörer so beeindruckt. Ein solcher Beethoven ist nicht langweilend, sondern hinreißend.

Und eine solch fulminante Leonoren Nr.3 wird man niemals in der Oper zu hören können. Vor allem nicht so einen begnadeten Trompetensolisten, der aus den ätherischen Höhen der Essener Philharmonie das Befreiungsmotiv geradezu göttlich, oder besser "engelsgleich" intonierte. Wie auch immer, es schien aus einer anderen Welt zu kommen.

Wie Denis Matsuev sich mit dem höllenschweren, unbeliebten sehr undankbaren letzten der großen Klavierkonzerte Rachmaninows auseinandersetzte war schlicht gigantisch. Er donnert es nicht nur mit äußerster technischer Sicherheit herunter, wie manch andere sogenannte Paino-Forte-Virtuosen; nein, er durchlebt dieses Werk und korrespondiert in geradezu idealer Weise mit dem Maestro und dem Orchester, auch in den ruhigeren Passagen. Wann hört man so ein selten gespieltes Stück sonst im Konzert? Bravo! Zugabe: Anatoly Lyadov „The Music Box“

Fazit: Ein begnadeter Konzertabend

Bilder (c) Hamza Saad

Peter Bilsing 23.10.2017

 

P.S. Konzerteinführung für Kinder an diesem Abend -Bravissimo !!!

Was für eine tolle Idee! Kinder ab 10 Jahren werden während der ersten Konzerthälfte auf die Werke der zweiten Hälfte vorbereitet. Die Eltern können das ganze Konzert genießen, die Kinder kommen nach der Pause dazu. Konzerteinführung für Kinder plus Konzertkarte kosten dabei nur 16,60 Euro für einen Erwachsenen und ein Kind. Ein weiterer Erwachsener zahlt 10 Euro, ein weiteres Kind 6,60 Euro. Kartenreservierung ist unbedingt erforderlich.

Daß die Kinder danach das Werk in Weltklassequalität hören können (wie einst bei den legendären Young Peoples Concerts in NY bei Leonard Bernstein) ist mit Lobesworten eigentlich gar nicht zu erfassen. Wow! Was bietet Ihr da wirklich Vorbildliches an Jugendarbeit in der Essener Philharmonie! Dafür gibt es einen Opernfreund-Stern. Besser und lebendig überzeugender kann man den so dringend benötigten Nachwuchs an Konzertbesuchern kaum je requirieren. Ansprechpartner: Merja Dworczak - education@philharmonie-essen.de - T 02 01 81 22-826

 

 

 

Philharmonie Essen proudly presents:

ESSENS FIRST NIGHT OF THE PROMS - VERY BRITISH!

Samstag 1. Juli 2017

It was wonderful! It was marvellous!! It was GREAT !!!

"Land of Hope and Glory, Mother of the Free

How shall we extol thee, Who are born of thee?

Wider still and wider, Shall thy bounds be set

God, who made thee mighty, Make thee mightier yet.!"

Kann man einen schöneren, einen überzeugenderen - ja einen geradezu herzergreifenderen Saisonabschluß der Konzert-Saison 2016/17 finden, als mit solch einem in jeder Hinsicht gelungenem fröhlichem Konzertabend? Ich glaube nicht. Und wer gestern in der Philharmonie bei diesem prächtigen Spektakel dabei war, wird es nicht vergessen und wahrscheinlich sofort seine Karten für das nächste Jahr bestellen. Und alle machten mit...

Was für ein tolles Publikum! Da man sich nicht so ganz sicher war, ob sich "seriöse" Konzertbesucher wirklich trauen, mit Fahnen, Tröten, Ratschen, Bannern und Wimpel zu kommen, hatte sicherheitshalber das Einlasspersonal noch hunderte von Union-Jack-Fähnchen als Zuschauerpräsent parat. Eine schöne Geste, aber fast überflüssig, denn - wer hätte das gedacht?! - die Mehrzahl der Besucher wusste worum es ging und hatte nicht nur den offiziell freigegeben Dress-Code (Motto: "je schräger, desto besser") vorbildlich wie der Rezensent erfüllt, sondern war perfekt - nicht nur fahnenmässig ausstaffiert - erschienen.

Und als wenn der Wettergott ein Einsehen gehabt hätte (leider gab es ja keine Opern-Air-Übertragung wie in England, obwohl das herrliche Wiesengelände zwischen Aalto-Oper und Philharmonie geradezu dafür prädestiniert wäre ;-) kam um 19 h die Sonne heraus. Der englische Nieselregen löste sich wundersam plötzlich auf. Kann es ein besseres Omen geben?

Und so startete ESSENS FIRST NIGHT OF THE PROMS sowohl wetter- als auch stimmungsmäßig vortrefflich. Vorbildlich war die Planung, Drehbuch und Dramaturgie der Veranstaltung, wobei man sich (GsD !) ziemlich ans Londoner Original hielt und keinen deutschen Karnevalsklamauk daraus gemacht hatte.

Im seriösen ersten Teil zeigten sich Chor und Musiker noch im klassischen Outfit. Man gab - versteht sich - natürlich die bekannten Englischen Klassiker "Halleluja" (Händel), "Christmas Dance & Greensleaves" (Vaughan Williams) sowie die Madrigale "April is my Mistress Face" (Morley) und "The Shower" (Elgar). Einen Vorgeschmack auf den zweiten Teil des Abend boten die „Vier Cellisten“ der Essener Philharmoniker - sihe Bild unten - mit "Yesterday" (McCartney); später ließen sie den Saal mit "Smoke on the water (Deep Purple) im Lederoutfit regelrecht rocken...

Den Abend quasi moderierend gaben sich als geschwätzig klassisch-englische "Aunties" die beiden Aalto-Künstlerinnen Christina Clark (Miss Betterknower) und Marie-Helen Joel (Fräulein Vorlaut) im köstlichen Zwiegespräch mit Publikum und Musikern. Das war nicht nur very british, sondern auch beglückend unterhaltsam, ohne nervig oder aufgesetzt zu wirken. Die beiden Künstlerinnen müssen für diese Kultveranstaltung, die sicherlich in Essen ab sofort zur Philharmonie-Tradition werden wird, sofort mindestens einen 10-Jahres-Vertrag bekommen! Trefflicher und überzeugender kann man kaum durch einen solchen Abend führen. Brava, bravi! Dass dabei auch noch Interessantes über Tee, die Williams, die Historie der Proms und viel durchaus Lehrreiches über Great Britain zu erfahren war, spricht für ein erstklassiges Moderations-Drehbuch; wer auch immer dieses geschrieben hat, erhält dafür unseren OPERNFREUND STERN.

Der zweite Teil des Abends war wurde dann für das Publikum, das sich anfangs noch etwas schwer tat mit dem Viertelkniebeugen im Zwei-Sekunden-Rhythmus, zum actionreichen Erlebnis. Kam der Chor der 2000 zu "God Save the Queen" noch etwas zurückhaltend, kochte bei "Land of Hope and Glory" stimmungsmäßig der Saal über.

Da man dankenswerter weise hier die Übertitelungsanlage mitlaufen ließ, blieb kaum ein Mund geschlossen und kein Auge trocken. Das grandiose englische Gänsehaut-Feeling im Fahnenmeer und Gesang eines gigantischen Zuschauer-Kollektivs ließ den Chor von Mahlers Achter (Sinfonie der Tausend) als geradezu kammermusikalisches Scharmützel erscheinen. Und es war natürlich eine Selbstverständlichkeit, dass "Pomp and Circumstance" von Elgar, der ja nicht nur bei den Engländern als die wahre Nationalhymne gilt, in voller siebenminütiger Länge als Zugabe, wie es auch in der Albert-Hall in London Tradition ist, wiederholt wurde.

Was für ein schöner und eindrucksvoller Abend! Was für ein überwältigendes Erlebnis! Wer hätte gedacht, dass so etwas in Deutschland möglich ist. Die Essener Organisatoren haben Großes geleistet und die tragenden Chöre (am Ende sogar ergänzt von Schülerinnen und Schülern der S-Klasse der Folkwang Musikschule) zusammen mit den exzellenten Essener Musikern - Bild unten ! -

unter der vorzüglichen Gesamtleitung vom GMD Yannis Pouspourikas, nicht zu vergessen Patrick Jaskolka (Chöre - Einstudierung & Leitung), machten diese hoffentlich nicht letzte ESSENS LAST NIGHT OF THE PROMS zu einem nachhaltigen Erlebnis für alle, wobei (auch wg. der gigantischen Kartennachfrage) zu überlegen wäre, diese aufwendige Veranstaltung im nächsten Jahr doch bitte mindestens einmal noch zu wiederholen.

God save the queen ;-) & Schöne Konzertferien

wünascht Ihr

Peter Bilsing 2.7.2017

Bilder (c) DER OPERNFREUND

und besonderen Dank an Saad Hamza für die Profibilder

 

 

 

Gala-Konzert in der Essener Philharmonie am 4. Juni 2017

GRAND OPERA - BELCANTO DRAMMATICO

Diana Damrau, Sopran & Nicolas Testé, Bassbariton

PKF – Prague Philharmonia & Emmanuel Villaume, Dirigent

 

Ouvertüre zu "Les Huguenots" (Meyerbeer)

"Nobles seigneurs, salut!" Arie des Urbain "Les Huguenots" (Meyerbeer)

"Ombre légère" Arie der Dinorah aus "Dinorah" (Meyerbeer)

Ouvertüre zu "Romeo und Julia" (Gounod)

"Épouse quelque brave fille" Arie des Grieux aus "Manon" Massenet)

"Sulla rupe, triste, sola" Arie der Emma "Emma di Resburgo" (Meyerbeer)

"Lebewohl, geliebte Schwester" Arie der Vielka "Ein Feldlager in Schlesien"

"Mögst Du, mein Kind" Daland aus "Der fliegende Holländer" (Wagner)

"Tanz der Stunden" aus "La Gioconda" (Ponchielli)

 "Sì, morir ella dè" Arie des Alvise Badoero aus "La Gioconda" (Ponchielli)

"Mercè dilette amiche" Arie der Elena aus "I vespri siciliani"(Verdi)

"Bess, you is my woman now" Duett "Porgy and Bess" (Gershwin)

 

Jakob Liebmann Meyerbeer, einer der bekanntesten Komponisten des 19. Jahrhunderts, war Deutscher; geboren in Tasdorf, dem damaligen Kurfürstentum Mark Brandenburg. Daher finden sich in seinem Repertoire auch richtig urdeutsche Opern. Grand Opèras waren das zwar noch nicht, aber immerhin schöne Singspiele. Man sucht das Werk "Ein Feldlager in Schlesien" auf unseren hochsubventionierten Opernbühnen weiterhin vergeblich, daher war es wunderbar, daß Diana Damrau die Kernarie "Lebewohl, geliebte Schwester" auf ihrer neuen CD präsentiert und natürlich auch im "Werbe"-Konzert für diese Silberscheibe mit Meyerbeer-Arien.

Die hochsympathische Künstlerin spricht oft über die Ohrwurmqualität von Meyerbeer. "Er schreibt unglaublich schöne Melodien..." Wer das fabelhafte Konzert gestern verpasst hat, sollte sich unbedingt die CD zulegen. Und wer sich ein Bild von diesem tollen und dabei völlig natürlich gebliebenen Weltstar machen möchte, dem sei das WDR-Interview empfohlen, wo sie ausgiebig über ihre Liebe zum großen Komponisten Meyerbeer spricht.

Daß sie, auch im Konzert in Essen, Werke vorstellt, die nicht unbedingt im Mainstream liegen, wie "Emma di Resburgo" oder "Dinorah", ist ein besonderer Verdienst und kann nicht hoch genug gelobt werden. Beeindruckend ist ihre unglaubliche Bühnenpräsenz, wobei sie - ganz im Gegensatz zu z.B. der Bartoli - bei aller Wirbelei in Bewegung, Mimik und Gestik immer natürlich wirkt und nichts affektiert rüber kommt. So ist sie halt. Sie kann nicht still stehen bei fröhlicher Musik; da ist sie ganz die Musiktheaterdarstellerin, wie wir sie alle lieben.

Das ist keine Pausenclown-Artistik, sondern kommt aus der Seele. Und wenn sie einen langen Ton hält und dabei gleich mehrfache Pirouetten dreht, dann zeigt sie sich als echte Bravour-Künstlerin allererster Güte.

Über ihre einmalige Sopranstimme, die nicht nur von besonderer Ausdruckskraft und Virtuosität ist, sondern die auch geradezu artistische Kehlkopfakrobatik beinhaltet und hochschwierige Partien mit scheinbar göttlicher Leichtigkeit bewältigt, braucht man keine weiteren Worte zu verlieren. Typisch für ihre hohe Gesangskultur ist die Zugabe aus der Oper Robert le Diable "toi que j'aime", die - wie sie erläutert - ihr eine besondere Herzensangelegenheit ist und sie sich immer besonders freut diese noch als Zugabe präsentieren zu dürfen, da das Stück häufig auf der Opernbühne (Anmerkung der Redaktion: Wenn es überhaupt noch aufgeführt wird!) gestrichen würde. Hören Sie, verehrte Opernfreunde mal herein, dann wissen Sie warum ;-)...

Last but not least sollte auch ihre Ehemann

Nicolas Testé nicht unerwähnt bleiben, der trotz Indisposition (man hatte daher den Programmablauf komplett geändert) noch bewies, daß er nicht nur als Ehemann des Weltstars zu beachten ist, sondern selber zu dieser Kategorie gezählt werden muß. Ihm wäre ein separater Gala-Abend zu gönnen.

 

Emmanuel Villaume leitet die Prague Philharmonia sängerfreundlich bei den Arien, in den Konzerstücken dagegen dominierte überwiegend Fortissimo; immerhin gelingt ihm mit dem Orchester im "Tanz der Stunden" doch eine gewisse Straussche Polka-Seligkeit, so daß sich das Orchester unbedingt für ein Silvesterkonzert durchaus anbieten würde. Wie man auf dem unteren Foto sieht, eine durchaus fröhliche Truppe mit Temperament.

Die obligate Autogrammstunde nach Konzerten dieser Art versteht sich von selbst und sorgte immerhin dafür, daß man nicht nur im Ohr schöne Musik mit auf den Heimweg nahm, sondern im Auto die große Diana Damrau noch eine Weile weiterhören konnte.

Bilder (c) nicolasteste.com / www.pkf.cz / www.emmanuelvillaume.com/

Peter Bilsing 6.6.2017

Die CD haben wir auf unserer Plattenseite besprochen

 

 

 

Konzert am 2.6.2017 in der Essener Philharmonie

Star Wars - Sternenmusik-Gala

Scott Lawton, Dirigent

Knut Elstermann, Moderation

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Gustav Holst "Mars" aus der Suite "Die Planeten"

James Horner - "Apollo 13"

Trevor Rabin - "Armageddon"

Tyler Bates - "Guardians of the Galaxy"

Daniel Elfman - "Men in Black"

David Arnold - "Independance Day"

Peter Thomas - "Raumschiff Orion"

John Williams - "E.T.- Der Außerirdische"

Richard Strauss - "Also sprach Zarathustra"

Jerry Goldsmith -"Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt"

Jerry Goldsmith - "Star Trek - Der Film"

David Arnold - "Stargate"

Stu Phillips - "Battleship Galactica"

John Williams - "Die Unheimliche Begegnung der dritten Art"

John Williams - Musik-Collage aus "Star Wars"

 

Das Deutsche Filmorchester Babelsberg gehört mit seinen 100 Jahren zu den ältesten Orchestern Deutschland. In seinen Kindertagen untermalte das 1918 gegründete UFA Sinfonieorchester schon Stummfilme wie Fritz Langs "Metropolis" (1926), Robert Wienes "Das Kabinett des Dr. Caligari" (1920) oder Walter Ruttmanns "Berlin - Die Sinfonie der Großstadt" (1927) musikalisch. Filme, die heute noch in diversen Konzertsälen regelmäßig mit Live-Orchestern aufgeführt werden.

Nach der deutschen Wiedervereinigung gingen 1993 das DEFA-Sinfonieorchester und das Radio Berlin Tanzorchester unter Klaus Peter Beyer zusammen im – unter dem heutigen Namen Deutsches Filmorchester Babelsberg (DFOB) firmierenden. 2007 bezog das Orchester neue Räumlichkeiten für Proben und Verwaltung sowie Studios für Aufnahmen auf dem historischen Filmgelände des Studio Babelsberg. Heute firmiert es nach einer wechselvollen Geschichte als Deutsches Filmorchester Babelsberg (DFOB) und ist nicht nur in zahllosen Kino- und Fernsehproduktionen zu hören, sondern auch mit diversen Konzertprojekten regelmäßig auf Tournee. Man spielt sinfonische Konzerte, Opernprojekte und Crossover-Programme. Im Bereich Film und Fernsehen wurden über 220 Filmmusikproduktionen wie Die Apothekerin, Solo für Klarinette, Otto – Der Katastrophenfilm, Der Tanz mit dem Teufel, The Musketeer, Lauras Stern, 7 Zwerge – Männer allein im Wald oder Der Clown – Payday in den eigenen Studios produziert und eingespielt. 

Mit Knuth Elstermann hatte man einen hochkompetenten Fachmann und Moderator zur Hand, der mit Witz, Charme und Wissen durch den Abend führte und der die bald 2000 Zuhörer in der ausverkauften Philharmonie Essen blendend in die Filme und ihre Musik einführte, daß er sich dabei selber als großer John Williams Fan outete ("Williams war quasi der Gott der Filmmusik") ehrt ihn besonders; ich würde da gerne noch Howard Shore, Bernhard Herrmann, Hans Zimmer, Elmer Bernstein, Alex North, Nino Rota und Miklos Rosa hinzu fügen, aber die haben natürlich kaum Musik zu berühmten Sci-Fi-Filmen geschrieben; und Henry Mancini oder Ennio Morricone erst recht nicht...

Die didaktische Planung und Präsentation war perfekt. So wohl der erste Teil, als auch nach der Pause startet man mit einem originalen Klassiker. Immerhin schon 1915 gab es die Planeten-Suite von Gustav Holst. Der Satz Mars - der Kriegbringer wurde dabei zur Basis fast aller neueren Science Fiction Filme. Fast notengetreu flossen die Noten z.B. in den Star Wars Marsch ein. Aber auch andere klassische Komponisten, wie u.a. Wagner oder Strauß waren Vorbilder für die späteren Filmmusikklassiker. Mit der Fanfare aus Also sprach Zarathustra begann folgerichtig auch der zweite Teil des Abends; ihn hatte Stanley Kubrick als Kernthema für seinen Klassiker "2001" immerhin originalgetreu übernommen.

Hinter dem Orchester war eine riesige Filmleinwand aufgespannt, wo man zu jedem Stück erst immer das Filmposter und dann 2-3 Original Szenenbilder projizierte. Eine perfekte und aussagekräftige Auswahl, sehr schön gemacht. Hier hatte sich jemand wirklich Gedanken gemacht und so untermalte diese reduzierte Bebilderung die einzelnen Filmmusiken auf Feinste.

Wenn ein großes Orchester mit 16-facher Bläserbesetzung auftritt, dann toppt das nicht nur manch alte Karajan-Aufnahme aus den 60-ern, sondern lässt auch die oft fanfarenartig gestalteten hehren Leitmotive geradezu himmlisch golden erstrahlen. Was für ein Klangbild!

Scott Lawton, der seit 2004 das Orchester leitet, nahm man das Dirigat als eine echte fröhliche Herzensangelegenheit ab. Seine fulminanten Einsätze puschten das Orchester regelrecht vorwärts; hohe tempi ohne Qualitätseinbußen. Trotz enormer Lautstärke blieb aber immer noch das KLangbild der einzelnen Solisten durchhörbar. Da keine Sänger vorhanden, konnte man sie auch nicht musikalisch erschlagen.

Die Begeisterung der Zuschauer kannte, wie schon bei einem ähnlichen Filmmusikkonzert sechs Wochen vorher ebenfalls in der Philharmonie mit den Gelsenkirchnern unter Baumann (Der Opernfreund berichteten ausführlich), keine Grenzen. Auch dienen solche Konzerte natürlich ganz hervorragend dazu junge Menschen, die bisher mit Klassik wenig am Hut hatten, nicht nur in dieses Genre leichtfüßig einzuführen, sondern auch eventuell lebenslang zu begeistern.

Mir - als alten Gruftie von Filmmusikfan - jedenfalls ging das Herz auf bei diesem grandiosen Konzert, vor allem bei Peter Thomas Raumpatrouillen-Thema (auch ohne Hammond Orgel ;-). Immerhin hatte der Rezensent 1966 diese erste deutsche Science-Fiction Serie noch als 13-Jähriger mit gigantischem Herzklopfen und ungemein beeindruckender Hochspannung im damaligen schwarz-weiss-TV (es nur zwei Programme) erlebt. Neben den Krimiserien von Fancis Durbridge war diese Staffel in sieben Teilen ein regelrechter Straßenfeger; und wenn man heute die simple Machart - mit Bügeleisen, Vorhängen und Duschutensilien - sieht, wirkt das augesprochen komisch, aber es ist Kult und gemahnt den heutigen Filmkenner an urige historische Beispiele wie Plan 9 from outer Space vom grottigsten Filmemacher aller Zeiten Ed Wood.

Fazit dieses Wahnsinns-Abends: Bitte, bitte demnächst unbedingt mehr! Ein Essener Publikum jedweden Alters und mit großem Herzen, ist jedenfalls nachweislich und lautstark vorhanden. Dank an alle Beteiligten!

Bilder (c) DFOB / Defa-Stiftung.de

Peter Bilsing 6.6.2017

 

 

Toronto Symphony Orchestra

Dirigent: Peter Oundjian / Solist: Jan Lisiecky

Pro Arte Konzert in der Essener Philharmonie am 21. Mai 2017

 

Morawetz - Carnival Overture

Schumann - Klavierkonzert a-moll

Rimski-Korsakoffs - Scheherazade

Zugaben:

Valse Triste (Sibelius)

Enigma Variationen - Nr. 9 Nimrod (Elgar)

 

Hand aufs Herz, verehrte Konzertgänger, wer von Ihnen kennt Oskar Morawetz?

Immerhin war er einer der führenden und am häufigsten aufgeführten kanadischen Komponisten. Er entstammte einer tschechisch-jüdischen Familie, was sein Schicksal bestimmen sollte. Immerhin wurde er vom großen George Szell, 1936 schon mit gerade einmal 19 Jahren als Kapellmeister an die Staatsoper Prag geholt. Später floh er nach diversen abenteuerlichen Fluchtversuchen von Paris aus nach Kanada.

Ein großer Komponist und ein weiteres Opfer der NS-Diktatur, dessen "verbrannte Noten" unseliger Weise bei uns immer noch höchst selten gespielt werden. Daher erst einmal großes Lob und Respekt dem großen Toronto Symphony Orchestra, daß man die Musik eines Landsmannes mitbringt auf Deutschland-Tournee. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man beobachtet, daß französische Spitzenorchester in Deutschland kaum französische Musik spielen, oder die "Big Five" - die ja alle in den letzten Jahren in der Essener Philharmonie zu erleben waren - nicht ein Stück von amerikanischen Komponisten auf dem Programm hatten.

Das Schöne an Morawetz ist, daß er als Komponist ohrengenehm hörbar ist, also auf modernistischen Zwölfton oder unangenehme bis publikumsfeindliche avantgardistische Kompositionsstile des 20. Jahrhunderts fast vollends verzichtet. Seine Musik ist farbenreich, fantasievoll und von angenehm zu rezipierender Vitalität. Von seinen 120 Werken gilt es die meisten noch immer zu entdecken. Da möchte man den Programmplanern der mit Millionen von Steuergeldern subventionierten Städtischen Sinfoniekonzerte zurufen: "Auf, auf und auf...!!" Und dass mit Pro Arte gerade ein privater Konzertveranstalter diesen Komponisten bringt, ist ein nicht hoch genug zu bewertender Verdienst um die Musik. Bravo!

Natürlich muß man auch Publikum anziehen und besondere Stars bieten. Zu denen gehört der kanadische junge sympathisch zurückhaltende Weltstar Jan Lisiecki . Der gerade einmal 32-Jährige gilt als echter Shooting Star der Klavier-Szene. Und was er kann, was letztendlich große Piano Forte Kultur bedeutet, wird gerade im Vergleich mit der in etwas gleichaltrigen Superstar-Klassik-Popikone

Yuja Wang, die eine Woche vorher sich in Essen präsentierte, hör- und erfahrbar. Dort Tastenakrobatik und Cirzensik auf der Klaviatur, heuer bei Lisiecki Tiefgang und große Kunst, auch wenn man mit Schumanns Allerweltkonzert (a-moll) sicherlich das dritt-meistgespielt Klavierkonzert offerierte (Anmerkung: Platz eins und zwei halten immer noch Grieg und Tschaikowsky ;-). Auch schön, daß Lisiecki eine Fangemeinde hat, die nicht nach dem Konzert fluchtartig die Philharmonie verlässt und sich für die weitere Musik keinen Deut mehr interessiert, sondern man blieb noch für die schönste Film-Musik aller Zeiten: Nikolai Rimski-Korsakoffs prachtvolle  "Scheherazade".

Hier zeigte sich, daß eben dieses Toronter Orchester keinen Vergleich mit den absoluten Weltklasse-Orchestern zu scheuen braucht; seien es die Londoner, die schon angesprochenen Amerikaner, die Wiener oder die Berliner - die wir ja alle in den letzten zwei Jahren in Essen auf Stippvisite hatten. Goldene Bläser, betörende Streicher und fabelhafte Holzbläser ließen unter der begnadeten Leitung ihres seit 2004 agierenden Music Directors Peter Oundjian

eine orientalische Welt erblühen, wie man sie sich schöner nicht vorstellen kann. Was für ein musikalischer Märchentraum! Versteht sich, daß man einen Concertmaster (Jonathan Crow) hatte, der seiner Guaneri (oder war es eine Stradivari?) auf ätherischen Höhen geradezu himmlische Töne entlockte. Eine grandiose Interpretation.

Schade, daß um 22 h (Ende des offiziellen Konzerts nach Inhaltsangabe) nicht wenige Zuhörer zu ihren Bussen, Bahnen und Parkhäusern stürmten, denn diese verpassten eigentlich eine weitere Krönung des Abends, nämlich jenen geradezu fabulös gespielten "Valse triste" von Sibelius. Der Jubel des Restpublikums war so groß, daß man noch eine zweite Zugabe offerierte: die Enigma Variation Nr.9 Nimrod von Elgar. Eine Stück Musik, welches nicht nur zu den großen Raritäten, sondern auch zu den Schönsten gezählt werden muß.

Schöner und erfüllender konnte der Saisonabschluß der Pro Arte Konzertreihe in Essen nicht ausfallen. Ein großer Abend und eines der besten Konzerte in der Essener Philharmonie überhaupt in dieser Saison.

Peter Bilsing 30.5.2017

Bilder (c) Pro Arte / www.tso.ca / oscarmorawetz.com

 

P.S. Bitte hören Sie einmal in Oskar Morawetz hinein

Carnival Ouvertüre

Symphony Nr.2

Fantasy in D Minor

 

 

Rossini & Resphighi als Maß der Dinge italienischer konzertanter Klassik

und ein weiblicher Paganini auf dem Piano Forte

Konzert am 13. Mai 2017 in der Essener Philharmonie

 

Sir Antonio Pappano feat. Yuja Wang / Klavier

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia

Sir Antonio Pappano, Dirigent

 

Gioacchino Rossini Ouvertüre zu "Le siège de Corinthe"

Pjotr I. Tschaikowski Konzert Nr. 1 b-Moll für Klavier und Orchester, op. 23

Ottorino Respighi "Fontane di Roma" & "Pini di Roma" – Sinfonische Dichtung

Zugaben: Carmen Variationen für Klavier / Valse Triste / Ouvertüre zu Wilhelm Tell

 

50 Years ago (Vorwort 1)

Gelegentlich muß auch der Musikkritiker einmal etwas ausholen und darf in diesem Fall ausnahmsweise Privates hinzufügen, denn es war vor 50 Jahren, daß ich zu meinem 14. Geburtstag meine erste klassische Platte geschenkt bekam.

"Pini di Roma" von einem, mir damals völlig unbekannten, Komponisten namens

Ottorino Resphighi. Gewünscht hatte ich mir eigentlich "Deep Purple in Rock". Dieses Album wurde mir dann von meiner Mutter aber in Aussicht gestellt, sollte ich es schaffen diese Klassikscheibe dreimal durchzuhören. Um es gleich vorweg zunehmen, ich habe das Stück, zum Leidwesen unserer Nachbarn, schon im ersten Jahr über 100-mal gehört und wurde zum absoluten Resphighi-Fan.

Was für fantastische Musik, was für eine naturalistisch anmutende Bildmalerei, die wie grandiose Filmmusik auf mich einwirkte; und in der Lautstärke übertraf das Finale meine heißgeliebten Deep Purple noch um einiges. Daß ich es heute - endlich! - zu meinem 64. Geburtstag in einer orchestralen Perfektion und Grandezza Wiederhören durfte, die ich nach langer Musikkritiker-Karriere nun das gestrige Konzert als "wirklich maßstabsetzende Interpretation" bezeichnen würde, gehört zu den ganz großen Glücksfällen im Leben.

50 Years ago (Vorwort 2)

Es gibt allerdings noch einen zweiten Grund, warum ich diese 50 Jahre zurückspringe, denn damals wurde ich zum Jerry-Cotton-Fan. Nein, verehrte Opernfreunde, nicht "de bello Gallico" oder "Faust", sondern die wunderbaren Groschenheftchen verschlang ich zum Leidwesen meiner Deutsch- und Lateinlehrer massenhaft und erweiterte damals meinen Wortschatz, zumindest umgangssprachlich, gewaltig. Warum ich das erzähle, liegt am weiblichen Pianostar des gestrigen Abends, deren fabulöse Piano Forte Bearbeitung und

computerexakte, geradezu zirzensisch anmutende Tastenperfektion mich nicht so beeindruckte (im Gegensatz zum Publikum), wie ihr Kleid. Und da zitiere ich am besten Jerry Cotton, wo sich in Band 102 "Der Satan mischt die Karten" folgender Satz findet:

"Sie trug ein schwarzes, quasi Nichts von rückenfreiem Minikleid zu ihren hochhackigen Kothurnen-Schuhen mit furchteinflößenden Stilettos; ein Kleid, dessen Stoffmenge dem eines Paars edler Damenseidenhandschuhe entnommen sein könnte, und welches mehr zeigte als es verbarg. Ich hätte es, in seiner seidigen Luftigkeit, ohne weiteres in meiner linken Faust locker verbergen können."

Jenes mehr als zarte Persönchen, die das Kleid trug, heißt Yuja Wang. Und ihr gelang das Wunder, daß der Rezensent auch das abgefahrendste Concerto Populare - jenes unvermeidliche Erste Klavierkonzert von Pjotr I. Tschaikowski - welches ich grob geschätzt im letzten halben Jahrhundert gefühlte 34567 Mal hören musste, mit herzattackösem Puls und lebensbedrohlichem Blutdruck nervös auf der Stuhlkante sitzend wahr nahm ohne einzuschlafen. Das heute bei jungen Menschen so populäre Wort "Wow", "geil" oder "Bombe" trifft weder ihre Art zu spielen, noch ihre Optik auch nur ansatzweise... ;-))))

13. Mai 2017 - Today

Wie aus einem Manga entsprungen erscheint die 30-jährige Chinesin Yuja Wang, die eher wirkt wie jene 14-Jährige Cho Cho San, die sich Puccini als Heldin seiner Oper Madama Butterfly eigentlich vorgestellt hatte; nämlich zart und unschuldig wie ein Schmetterling. Geboren in Peking und aufgewachsen in Kanada, gewann Wang schon früh viele Preise und spielte bald mit den besten Orchestern dieser Welt - dabei tauchen in ihrer jungen Biografie nicht nur die "Big Five" Amerikas auf, sondern auch die Top Europeans wie LSO, Concertgebouw, die Berliner wie die Münchner und natürlich das Orchestre de Paris. Wer in solchen Orchestern auftritt, arbeitet - quasi zwangsläufig - mit Größen wie Dutoit, Tilson-Thomas, Abbado oder Dudamel. Im Januar 2009 unterzeichnete Wang einen Vertrag mit der Deutschen Grammophon - mit wem sonst bei dieser Optik... Die daraus folgenden Grammy Awards erwähne ich nur der Vollständigkeit halber.

Natürlich gibt es an ihrer absoluten Perfektion nichts zu kritisieren, eher schon an ihrer musikalischen Tiefe und dem künstlerisch Subkutanen. Aus den Untiefen der russischen Seele kam dieser Tschaikowsky nicht daher, sondern man könnte eher von einem luftig leichten, fast italianita-angehauchten Russen sprechen. Egal wie, was und wo - bar aller Empfindungen des bärbeißigen Kritikers und seiner unentwegten Suche nach musikalischer Tiefe - die Fans waren hypertroph begeistert - auch von den Carmen-Zugaben, die von Tempo und Artistik schon beinah außerirdisch wirkten. Ein weiblicher Paganini auf dem Piano Forte. Dem Einwurf meiner Nachbarin, die abschätzig von "Kunstgewerbe" bei dieser populistischen Zugabe sprach, muß ich mit Händen und Füßen widersprechen. Anzumerken wäre noch, daß die Wangs Fans so begeistert waren, daß man schon nach dem ersten Satz dermaßen applaudierten, als sei das Konzert zu Ende. Und nach dem Ende des dritten Satzes (Anmerkung: dem tatsächlichen ! Ende des Klavierstücks!!) mit multiplen Klatschmärschen - eben jene Zugaben einforderten.

Daß eine dermaßene Fanbegeisterung nun darin münden würde, daß wahre Fans und Musikkenner in hehren Scharen schon in der Pause das tolle Konzert verlassen, und somit den Höhepunkt des Abends, nämlich einen geradezu göttlich gespielten Resphighi verpassten, verwundert den Musikfreund nun doch ein wenig. Na immerhin klatsche fortan niemand mehr in den Sätzen rein...

Sir Antonio Pappano

gehört für mich nicht nur zu den besten, sondern auch sympathischsten Dirigenten unserer Zeit. So nahm er sich die Muße, schon eine halbe Stunde vor offiziellem Beginn des Konzertes, das interessierte Publikum einzuladen und mit Konzertbeispielen selber am Klavier und in accompagnata fünfer tolle Solisten eine quasi Einführung ins Werk des leider nicht nur bei uns viel zu wenig gespielten Genius´ Ottorino Resphighi zu geben.

In charmanten Deutsch erläuterte er im Gespräch mit dem Moderator Christoph Vratz die anstehende Musik. Pappano vermittelte eindrucksvoll und mit plausiblen Musikbeispielen, warum ihm gerade Resphighi so am Herzen liege. "In Italien kennt man kaum sinfonischen Konzerte, da gilt es nur und allein der Oper." Er sprach über Resphighis lautmalerische Nähe zur Natur und Roms im Besonderen. Resphighi als ein "italienischer Debussy", aber immer dem Geist des Spätromantik - sogar eines Strauß´ - verpflichtet; doch hört man aber auch moderne Anklänge eines zurückhaltenden Eklektizismus, wie bei Olivier Messiaen. Mitten im Stück der Fontana di Roma erklingt originaler Nachtigallengesang vom Band. Später spürt man regelrecht die römischen Truppen die Via Appia entlang marschieren. Pappano ist nicht nur ein Maestro seines Faches, sondern man merkt, wie ihm gerade die Vermittlung von Wissen über nicht so Bekanntes eine Herzensangelegenheit ist.

Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia

Wenn das seit über 100 Jahren traditionsreichste erste Orchester Italiens sein einziges (!) Deutschlandkonzert in der Essener Philharmonie gibt, dann ist das an sich schon eine Auszeichnung für das Haus. Wenn man dann mit einer schon ans fast Göttliche heranreichenden Interpretation auch noch einen Rossini und den raren Resphighi dermaßen faszinierend glänzen lässt, dann ist das ein Ereignis. Egal ob wir vom goldenen Blech sprechen, den faszinierend perfekten Holzbläsern oder einem Streicher-Corpus, das uns in seiner Italianita förmlich dahin schmelzen lässt. Hier spielt ein Orchester mit einer Perfektion und einer urtümlichen italienischen römischen Seele, daß es wahrscheinlich sowohl Rossini wie Resphighi im Komponistenhimmel - den es ganz bestimmt gibt ;-) - hat frohlocken lassen. Sie werden gejubelt haben über die Präzision, die feurigen Tempi, die begnadeten Einsätze und das Fließen der Musik in einer Vollendung, die überwältigt. Ein Konzertabend, den man in sein Herz sofort und für immer einschließt, und welcher das Seelenheil, nicht nur des Kritikers, in höchsten Gefilden schweben ließ.

Ein Abend, den man nicht vergessen wird. Die KUNST DES HÖRENS wurde in aller, schon fast himmlischer Perfektion, erlebt. Kann man besser große Musik neu erleben? Nein, daher an alle: mille gratie! ;-) !

(c) yujawang.com / Orchestra Santa Cecilia

Peter Bilsing 14.5.2017

 

P.S. Hier gibt es eine wunderbare Bebilderung 

Interpretation Muti & das Philadelphia Orchestra

 

Dazu natürlich unser OPERNFREUND Platten Tipp

 

 

 

NEW YORK PHILHARMONIC & Alan Gilbert

Sonntag 26. März 2017

Guter Bartok und ein seltsam uninspirierter Mahler

Béla Bartók "Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta"
Gustav Mahler Sinfonie Nr. 4 G-Dur

Berauschenden Mahler gab es vor zwei Wochen mit den Berlinern und Simon Rattle  (siehe unserer Kritik weiter unten) - allerdings hier mit Mahlers Sechster. Vielleicht haben dem Rezensenten noch die Ohren geklungen von dieser grandiosen Interpretation, denn richtige Begeisterung hat sich im Gegensatz zum jubilierenden Publikum bei mir nicht entwickeln können, obwohl alles schön brav und exakt lautmalerisch erklang.

Auch an den extrovertierten Hörnen hat es nicht gelegen - die Herren spielen nun einmal perfekt und sauber, wie es sich für ein Orchester der "Big Five" gehört. Aber ist das wirklich alles? Oder liegt es an der Philharmonie, denn ich habe beobachtet, daß immer wenn ein Orchester komplett mit allen Musikern auf einer Ebene des Orchesterpodiums sitzt (keine Gruppe erhöht) - was äußerst selten vorkommt - es irgendwie langweilig klingt - und das ist tödlich bei Mahler.

Keine subkutane Spannung baut Alan Gilbert mit den New Yorker Philharmonikern auf; selbst im zweiten Satz (poco adagio) wo alles immer dichter wird und sich die Mahlerschen Gewalten wenigstens teilweise pastös ergießen, plätschert das "traumhaft Irreale" doch ziemlich spannungslos am emotional erwartungsvollen Zuhörer vorbei.

Da haben wir vor Jahren von den Bochumern unter dem begnadeten Steven Sloane Anderes gehört und vor allem empfunden. Christina Landshammer sang ihren Part aus des Knaben Wunderhorn - "Der Himmel hängt voller Geigen" - ordentlich wenn auch nicht berauschend; wobei leider jede Textverständlichkeit, auch ansatzweise, im Orchesterschwall unterging. Immerhin war der Text, den ja nicht jeder auswendig kennt, wie üblich im Programmheft ausgedruckt und konnte mitgelesen werden.

Daß dann ausgerechnet mitten in den atemlos gehauchten wunderschönen Schlussakkord einige Banausen wie Bauerntölpel hineinapplaudierten und so die ganze Stimmung für die restlichen 99,8 Prozent der Zuhörer kaputt machten, ist gerade in Essen eigentlich unbekannt; zeichnet sich doch das Ruhrmetropolen-Publikum im Vergleich zu anderen Konzerthäusern, immer (!) als sehr fachkundig aus. Dankenswerter Weise kein Klatschmarsch am Ende und auch keine Zugabe.

Ein Konzert bei dem, schon wenn man sich auf den Heimweg macht, nichts emotional mehr hängen bleibt. Und auch am nächsten Tag - wenn der Rezensent sich üblicherweise ans Schreiben macht - nichts außer der Erinnerung an einen sehr guten, aber auch nicht vom Stuhl reißenden Bartok, nachhaltig evoziert werden kann. Mittelmässigkeit trotz brillanter Orchestermusiker... Schade.

Da waren die Berliner Philharmoniker - gut vier Wochen vorher mit eben diesem Werk in der Dortmunder Tonhalle - von ganz anderen Mahler-Dimensionen.

Peter Bilsing 28.3.2017

Bilder (c) Philharmonie Essen / Lorenz

 

 

Yannick Nézet-Séguin / Khatia Buniatishvili

Sonntag 19. März 17 h

Leonard Bernstein ON THE WATERFRONT

George Gershwin RHAPSODY IN BLUE - featuring Khatia Buniatishvili

(Zugabe) Debussys 'Claire de Lune' aus der "Suite Bergamesque"

Sergej Rachmaninow SINFONISCHE TÄNZE

(Zugabe) Bernstein Ouvertüre zu CANDIDE

 

Der 42-jährige Kanadier Yannick Nézet-Séguin gilt als ein absoluter Shooting Star am Dirigentenhimmel, und wer ihn einmal erlebt hat in seiner sympathischen und kenntnisreichen Art, wird ihn lieben; so wie die hoch begeisterten Zuhörer des Essener Konzerts und auch die hoch-attraktive Tastenzauberin Khatia Buniatishvili, die sich sogar mit einem "Küsschen" auf die Lippen vom Maestro verabschiedete ;-). Ein begnadetes Dream-Paar.

Und es war auch wirklich ein Erlebnis, Buniatishvilis fast "explosive Körperlichkeit" bei Gershwin zu erleben - nicht zur zu hören! Der mit Preisen überhäufte einstige Kinder-Superstar (zuletzt erhielt sie 2016 den Echo-Klassik) ist ein Phänomen. Wenn sie spielt, verschmilzt sie oft förmlich mit ihrem Instrument; wenn sie die Haare nach hinten wirft, ist das keine Show, sondern Ausdruck expressiver Emotion. Sie spielt nicht nur Gershwin - sie lebt Gershwin. Dabei baut sich zwischen dem Dirigenten,  den grandiosen Rotterdamer Philharmonikern sowie der Fabel-Pianistin eine fast erotisch zu nennende Hochspannung auf. Explosiver, furioser und mit mehr Feuer und Temperament hat man dieses Stück selten gehört. Vermutlich jubelte George Gershwin im Komponisten-Himmel mit den Worten "Yeah Baby! Genauso hab ich mir vorgestellt - so hab ich es komponiert. Das Mädel hat mich verstanden!! Das ist es ! Das ist meine Musik!!"

Der Fil Rouge des Abends - quasi die Klammer dieses tollen Konzerts war ein Kaleidoskop an exemplarischer amerikanischer Musik. Musik voller Romantik, Leidenschaft und Rhythmik, wie sie nur die Stücke des 20. Jahrhunderts bieten.

Dabei ist die Startnummer, Bernsteins "On the Waterfront" eigentlich pure Filmmusik aus dem Elia Kazan Meisterwerk Die Faust im Nacken (1954 mit Brando, Malden , Lee. J. Cobb...). Lenny machte daraus ein Jahr später eine Konzertsuite; gängige Praxis übrigens bis heute bei vielen großen Filmen/Filmmusiken. Musik und Film portraitieren das harte Hafenarbeiter-Milieu in einem starken beklemmenden Sozialdrama. Die Musik präsentiert vielfältige Klangfarben, mit ruhigen Stimmungen, diversen exotischen Rhythmen und flotten Tempi gipfelt sie in einer stakkatohaft explodierenden Dynamik. Die Schlagwerker sind bis an ihre Grenzen gefordert. Da bebt es in der Philharmonie Essen.

Die Rhapsody in Blue ist nicht nur ein ungewöhnlich kurzes Klavierkonzert mit jazzigen Orchesterfarben im Jazz-Instrumentarium und eingebettet in ein großes Sinfonie-Orchester, sondern auch mit seinem zu Beginn aufsteigenden Klarinettenmotiv eines der berühmtesten und bekanntesten Oeuvres - fast ein Stück Pop-Klassik. In ihm spiegelt sich das Leben im großen Melting Pot New York. Amerikanischere Musik gibt es nicht.

Der große Pianist Denis Matsuev sagt über das Stück "... assoziiere ich mit Amerika. Ich sehe gleich New York, die Freiheitsstatue, Manhattan, Jazzclubs, Birdland, Bluenotes, Jazz. Das ist ein Symbol von New York, von Amerika. Und alle anderen Themen, die es da gibt, sind mit fröhlichen Motiven verbunden. Es ist die Rhapsodie der Freude, die Rhapsodie des Glücks. Sie ist so optimistisch, so lebensbejahend."

Besser kann man es nicht ausdrücken. Daraus wird verständlich, daß Gershwin das Stück ursprünglich auch "American Rhapsody" nennen wollte. Ich denke, gerade heute sollte man Herrn Trump möglichst viele Aufnahmen dieses wunderbaren exemplarischen Stücks amerikanischer Tradition, Toleranz und Geschichte schenken!

Nach der Pause dann: Sergej Rachmaninofs 1940 im amerikanischen Exil komponierte "Sinfonische Tänze". Seguin und die Rotterdamer stürzten sich mit einer Begeisterung auf das Werk, wie man sie selten hört und noch seltener auch körperlich wahrnimmt. Der Spannungsbogen riss bei diesem ja nicht gerade leicht zu rezipierendem Werk - wenn es mittelmäßig gespielt wird - niemals ab.

Besser geht es nicht! Orchester und Dirigent sind seit 2008 ein Herz und eine Seele; das hört man. das reißt den Konzertbesucher am Ende auch förmlich aus den Sitzen.  Wenn dann noch als Optimum einer perfekt gewählten Zugabe Bernsteins fantastische Ouvertüre zur Oper Candide in so grandioser Furiosität zelebriert wird, als stände der junge Lenny  persönlich vor dem Orchester, dann beendet das Ganze einen Konzertabend von erlesener Qualität, Perfektion und unter die Haut gehender Expressivität.  Ein ganz außergewöhnlicher Abend. Eine mehr als tolle Programm- Zusammenstellung. Der Jubel und die Begeisterung eines enthusiasmisierten Publikums kannten keine Grenzen.

Peter Bilsing 24.3.2017

Bilder (c) Der Opernfreund / Phiharmonie Essen

 

 

IN CONCERT

Samstag 18. März 2017 - Jugendkonzert (Eintritt 6 Euro)

Die Philharmonie Essen wurde zur Hall of Fame großer Filmmusikkunst

Frage vorweg an die geneigte Leserschaft und vor allem unsere jungen Freunde: Was haben Filmmusik und "seriöse" Klassik eigentlich gemein? Antwort: ALLES !!!

Viele große Filmkomponisten - pars pro toto: Nino Rota, Erich Korngold, Bernhard Herrman, Ron Goodwin, Krzysztof  Penderecki, John Williams oder Howard Shore haben teilweise auch für den Konzertsaal komponiert bzw. fabelhafte Opern geschrieben.

Und wer aus der Klassik kommt, wird die Verbindungen vieler "Filmmusik-Hits" zu Giganten wie Wagner, Puccini oder Gustav Holst natürlich sofort hören. Schon 1956 z.B. brachte der große Elmer Bernstein für die Filmmusik zu "Die zehn Gebote" ein Mahlerensemble von bald 130 Musikern auf die Studiobühne und diese Musik wurde dann geradezu bahnbrechend nicht nur in Stereo, sondern in famosem 6-Kanal-Ton aufgenommen.

Dies bewies auch gestern Abend die schon geradezu begnadet aufspielende NEUE PHILHARMONIE WESTFALEN unter der fulminanten Leitung ihres Chefdirigenten Rasmus Baumann. Ich muss als alter Opernkritiker zugeben, dass ich dieses Hausorchester des "Musiktheaters im Revier", schon bald ein halbes Jahrhundert kenne und regelmäßig als Kritiker begleite, noch nie so brillant, so engagiert, so rhythmisch sauber und akzentuiert, so blechbläserisch golden und auch holzbläserisch warm und hinreißend habe aufspielen hören. Die Freude an dieser tollen Musik brach sich Bahn vom Musikerpodest in die Reihen der vielen jungen Zuhörer und riss auch die älteren Filmmusikfreunde förmlich von den Sitzen.

Um es bildlich mit der Titelmelodie der Zugabe "Mission Impossible" (Früher: "Kobra, übernehmen Sie") auszudrücken: Die altbekannte Zündschnur brannte und entzündete ein Feuerwerk so atemberaubend, wie schöner und stellenweise auch herrlich sentimentaler Ohrwürmer eines halben Jahrhunderts toller Filmmusik, ohne jemals auch nur eine Sekunde auszuglühen, bis zum fulminanten Ende nach 2,5 Stunden mit furiosen Zugaben. Was für ein Abend! Schöner kann man das Thema Filmmusik nicht repräsentieren. Das war oscar-reif. Bravi!

Toller Auftakt stilgerecht mit der 20. Century Fox Fanfare in nahtloser Überleitung zum "Star Wars" Marsch von John Williams. Schon hier erzitterte der edle Konzertsaal bis in die Fugen und riss die Filmfreunde jedweden Alters mit hochgepuschtem Adrenalinspiegel von den Sitzen.

Howard Shores Orchestersuite seiner "Herr der Ringe" oscargekrönten Musik ging eine Erläuterung des so fachkundigen, wie bestens vorbereiteten Moderators Klaus Kauker zum Thema "Leitmotivik" mit kurzen Orchestereinspielungen voran. Besser und bildhafter könnte man Wagners Ring auch nicht erklären - nur hat dieser halt über 200 Leitmotive ;-). Da schwelgten die jungen Zuhörer natürlich in ihrem Metier und jeder hatte das Auenland, die bösen Orks oder den Ring vor Augen - die traumhaften Kinobilder von Peter Jacksons Jahrhundertfilm erschlossen sich, wenn man die Augen schloss. Ach wie schöööön....

Kaum jemand kennt noch die hochanspruchsvolle Musik von Alan Silvestri zur Filmtrilogie des Robert Zemecki Klassikers "Zurück in die Zukunft" (1980-85).  Eine klassische ausgefeilte Orchestersuite vom Feinsten; konzertwürdig für jedes Sinfoniekonzert und auch noch hoch im Anspruch für alle Gruppen eines großen Orchesters.

Gleiches könnte man sagen über John Williams einfühlsamer Musik zu Spielbergs "Jurassic Park" (1991), die nicht so lautstark, aber umso landschaftmalerisch breitwandiger daherkommt -  - man hat halt nur noch mehr die Erinnerung an die riesigen Dinosaurier noch im Kopf, als diese herrliche Musik. Ein dickes Bravo für diese schon fast Ausgrabung.

Dass mit "Wallace and Gromit"(1989) auch der Humorfaktor des quasi Stummfilm in den Konzertsaal zieht, ist Julian Nott zu verdanken.  Musik, die einfach Freude macht - auch ohne die drolligen Knetmasse-Figuren zu sehen.

Wie traumverloren sich die Töne eines Konzert-Akkordeon und ein E-Chembalos in den akustischen Himmelsdimensionen der Essener Philharmonie verlieren können, wurde aus dem Leitthema der "Miss Marple"-Filme (ab 1961) zum schwelgerischen Erlebnis. Vom wunderbaren Ron Goodwin war ein Ohrwurm komponiert worden, der die meisten auch in der verdienten Pause nicht mehr losließ. Was für ein schöner nostalgischer Abschluss des ersten Konzert-Teils.

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Mit der Konzertsuite von David Arnold aus "Independance Day" (Roland Emmerich, 1996) zeigte sich, daß auch ein ausgesprochen schwacher Film eine richtig gute Musik haben kann, die sich auf einem durchaus anderen Niveau bewegt, als das doch allzu simple Katastrophen-Spektakel - wirklich sehr gelungen ausgesucht!

Und jetzt wurde es mit Nino Rotas Weltmusik-Hit aus "Der Pate" (Francis Ford Coppola, 1973) walzerselig und herzergreifend. Grandios gespielt, schöner geht es einfach nicht. Da hat man auch als hartgesottener Kritiker noch feuchte Augen - ganz großes Jahrhundertkino verbunden mit einer Jahrhundertkomposition. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß dieses Orchester gerade in der letzten Saison (Megamegamega-Rarität!) die köstliche Oper von Rota "Der Florentinerhut" im heimischen Musiktheater im Revier einstudiert hatte. Mein großer Tipp für alle Rota-Fans! (Hier nachzulesen - bitte etwas runterscrollen)

Nur wenige Kino- und Tanzfreunde wissen, daß der Sirtaki kein jahrhunderte alter griechischer Volkstanz ist, sondern eigens für den Filmklassiker "Alexis Sorbas" (Michael Cacoyannis, 1964) erst vom großen Mikis Theodorakis komponiert wurde. Hier gesellten sich natürlich zwei fabelhaft Bouzuki-Spezialisten (im nicht vorhandenen Programmheft - warum eigentlich? - leider unbenannt) zu den Sinfonikern.

Grandios, und für mich eines der Highlights des Abends, war die Kombination der Suite aus "Das Boot" (Wolfgang Peterson, 1981) mit der "Unendlichen Geschichte" (ebenfalls Peterson, 1984)  - Angefangen mit den Plings des Sonars erhebt sich die Melodie langsam, wie jenes U 96 aus den atlantischen Tiefen und geht dann fast nahtlos über in die himmlischen Gefilde in den Flug des Glücksdrachens Atréju; ein brillantes Arrangement.

Das große Finale - jenes mit irrsinnigem Temperament und Tempo gespielte Rocky-Thema (ohne Chor) von Bill Conti (John G. Avildsen, 1974) - wurde allerdings von einer noch fulminanteren "Mission Impossible"- Interpretation (Lalo Schiffrin, 1966-2016) als erste Zugabe noch übertrumpft. Jenes Leit-Motiv der brennenden Lunte - welches wahrscheinlich noch bekannter ist, als das legendäre James-Bond-Motiv - explodierte unter Rasmus Baumanns Dirigat geradezu. Die absolute Krönung des Abends, so befand auch das vollkommen enthusiamisierte Publikum, welches sogar noch eine zweite Zugabe erklatschte, nämlich "Forrest Gump"- auch von Alan Silvestri komponiert.

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Wir verleihen für so ein grandios perfekt nicht nur gestaltetes, sondern auch

gespieltes und pädagogisch sinnvoll begleitetes einmaliges Jugend-Konzert im allerbesten Sinne unseren heißbegehrten Opernfreund-Stern! Schade, daß der omnipräsente und unvermeidbare und mit Zwangs-Steuergeldern so reich beschenkte Regionalkranke WDR so etwas nicht für die Ewigkeit aufzeichnet, denn der Touch der legendären Leonard Bernsteins "Young Peoples Concerts" war hier wahrnehmbar. Dank an alle Beteiligten und auch an den vorzüglichen Moderator

Klaus Kauker, jemand dem man gerne zuhört und der so hochengagiert wie kenntnisreich, so witzig charmant wie jugendgerecht - sogar stimmlich auf der Höhe - durch dieses Konzert führte.

5 Sterne ***** für diesen unvergesslichen Abend! Der große Glanz und Glitter Hollywoods ergoss sich über die gut gelaunten und konzentriert lauschenden jungen Besucher in der Philharmonie Essen. Besser geht´s nicht.

Peter Bilsing 19.3.2017

Bilder (c) Neuer Phiharmonie / Klaus Kauker privat

 

 

 

Gustav Mahler Sinfonie Nr. 6

am 26. Februar 2017

Wenn Hammerschläge das Universum erschüttern

Berliner Philharmoniker & Sir Simon Rattle

György Ligeti: "Atmosphères" für großes Orchester
Richard Wagner: Vorspiel zum 1. Aufzug von "Lohengrin"
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 6 a-Moll "Tragische"

Als eine vorbildliche Zusammenarbeit in der Region kann diese Veranstaltungsreihe gelten. „Vor allem für die Menschen im Ruhrgebiet haben wir die RuhrResidenz ins Leben gerufen“, so Hein Mulders (Geneneralintendant von Essen) "Sie wird ganz sicher aber auch über die Region hinaus ausstrahlen und das Ruhrgebiet mit seinen beiden Konzertsälen in Essen und Dortmund als international bedeutendes Musikzentrum ausweisen. Wichtig ist uns dabei, dass Sir Simon Rattle eigens für diesen Anlass eine besondere Konzertdramaturgie entwickelt hat – mit Werken von Mahler und Ligeti. Ein spannender, inspirierender Mix!“

War am Vortag in Essen und vorher in Dortmund (unser Bericht) schon höchst erfolgreich Ligetis Weltuntergangsepos "Le Grand Macabre" halbszenisch über die Bühne der Philharmonie gegangen, so war der Publikumsansturm heuer gigantisch - Menschen mit Schildern "Karte gesucht" gab es früher mal in Bayreuth und heute nur noch in Salzburg, wenn Anna Netrebko singt, oder Pavarotti demnächst wieder auf die Erde zurück geklont wird. Sogar auf den Stehplätzen trat man sich gestern auf die Füße. Ein Weltkulturereignis von Konzert ;-).

Dabei begann jener spezielle Simon-Rattle-Concerto-Mix diesmal geradezu kongenial mit einem knapp 20-minütigem Präludium aus György Ligetis "Atmosphères" und dem Vorspiel zum ersten Akt von Wagners "Lohengrin". Eine Warmspielphase, nach welcher das Publikum erst einmal in die unverdiente Pause geschickt wurde, bevor das Highlight des Abends, Mahler Nr.6 - welches eigentlich allein schon ein großes Sinfoniekonzert füllt - aus den göttlich goldenen Hörnern erschallte.

Das Rauschen des Kosmos - Stille wird hörbar

Dabei war die Zusammenstellung von Ligetis schon 1956 entstandenem leisem Klangrausch-Opus in nahtloser Verbindung zum schönen Wagnervorspiel (welches ja, im Gegensatz zum fast dröhnenden Lohengrin-Vorspiel Akt 3) erheblich weniger lautes und angenehm zu rezipierendes Klang-Getöse ist, einfach ein wunderbarer Einfall; denn bei Ligetis dominiert der Klangkosmos des Leisen, des fast Unhörbaren.

Wenn die Bläser einfach nur Luft blasen, ohne Noten zu erzeugen, dann klingt das und man empfindet es, wie ein lauer Sommerwind. Hier wird Stille hörbar. Was für ein Klang, wenn Schlagzeuger am Klavier sitzen und die Seiten mit Bürsten bearbeiten. Unerhört! Wir durchleben kosmische Schwingungen und das Publikum lauscht hochkonzentriert diesen Klangmomenten, die in der traumhaften Akustik der Essener Philharmonie sich geradezu bezirzend verteilen und wie Daunenfedern durch den Raum gleiten.

Die "kosmischen Dinge" an die Ligeti beim komponieren gedacht hat, vermitteln sich unmittelbar, ohne daß man an Weltraum denken muß, denn da hört man ja nun einmal gar nichts. Was für ein schönes Vorspiel, welches im Wagner-Crescendo seinen Höhepunkt findet. Ein "Amuse Gueule" sozusagen für den großen zweiten Teil mit Mahler 6.

Hammerschläge und Herdenglocken

In der Orchesterbesetzung geht Mahler hier über alles bisher Dagewesene hinaus, was beispielhaft an den legendären gigantischen Hammerschlägen im Finale zu hören ist; deren es einst drei gab. Auch an Ausdrucksintensität fordert Mahler seinen Interpreten alles ab und hat in den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle das vielleicht weltbeste Mahler-Orchester zur Darbringung einer Interpretation, die am Ende das Publikum förmlich zum Rasen brachte.

Hervorstechendes Merkmal sind viele Momente geradezu roher Gewalt, mit denen Mahler die Brutalität des heraufziehenden 20. Jahrhunderts reflektierte und die vielleicht heute schon wieder bedrohlich über uns hängen - insoweit ein brisantes aktuelles Werk.

Schön, daß bei Rattle, trotz allem Gigantismus, immer alles noch durchhörbar und auch im Fortissimo transparent bleibt. Obwohl er das Werk in seinem Leben schon hunderte Male dirigiert hat, stellt sich bei Simon Rattle nie Routine und Langeweile ein. Er durchforstet und erobert diese Musik jedes mal wieder aufs Neue. Musik die erschüttert ohne zu erschlagen, die berührt ohne allzu rührselig zu werden und die selbst Marschrhythmen noch in grandioser Klassizität zelebriert ohne militärisch zu wirken. Besser kann man Mahler einfach nicht spielen!

Und so ließ es sich dann auch Intendant Mulders nicht nehmen dieses Mal seine Künstler nicht mit dem obligaten kleinen Allerwelts-Sträußchen vom Türpersonal, sondern persönlich mit zwei wunderbaren Rosen-Arrangements respektvoll und würdig zu verabschieden.

Peter Bilsing 28.2.2017

Bilder (c) Philharmonie Essen / Lorenz

 

 

JENNIFER LARMORE

schwimmt in den Wogen der leichten Muse

- und ein wunderbares Orchester

- und ein noch wunderbarerer Dirigent

Sonntag 22. Januar 2017 in der Philharmonie Essen

Freude an der Musik

Es gibt Konzerte, die sind einfach wunderbar, weil die Fröhlichkeit und Spielfreude der Künstler sich sofort dem Publikum mitteilt. Hier gilt es von solch einem herrlichen "Nachmittagskonzert" (17 h) zu berichten. Ich gebe zu, daß mich weniger der Name des Orchesters Orchestre de Chambre Pelléas, welches hierzulande weniger bekannt ist, als der Name einer der größten Sopranistinnen, nämlich Jennifer Larmore, zum Besuch bewegt hat.

Das ware beinahe ein Fehler, denn die fabelhaften Musici dieses tollen Kollektivs wären allein schon die Fahrt nach Essen wert gewesen. Was für ein Orchester! Dies Bild unten sagt wahrlich mehr als Worte.

Musik beflügelt ;-)                                                             Foto:Francois Goisé

Da schauen einem keine bräsigen Beamtenmusiker entgegen, die ich immer wieder so vielerorts erlebe. Endlich einmal keine Finsterbacken, die z.B. in der Oper jede temporäre Nichtspiel-Möglichkeit nutzen, um den Graben zu verlassen; oder das Gegenteil: abgeklärte Spitzenmusiker, die ein Stück zwar professionell sehr gut, aber mit dem Gleichmut des Tausende-Male-Gespielten tonbandmäßig (in Köln klingt es so perfekt und blutlos routiniert, wie in Essen, München oder Kalkutta) ablaufen lassen. Nein, diese jungen Menschen nicken ein freundliches "Hallo" beim Betreten des Podestes in Richtung Publikum und umarmen am Schluss ihre Nebenspieler, sich gegenseitig bedankend auf eine Herzlichkeit, wie man es selten bis nie erlebt. Das rührt an, das erfreut das Seelenheil des Publikums und des Kritikers.

Bitte merken Sie sich den Namen: ORCHESTRE DE CHAMBRE PELLEAS.

Jennifer Larmore sang Klassiker aus dem Bereich der leichten Muse (Bernstein, Loewe, Weill, Gershwin...). Stücke die, nehmen wir Erwin Berlins "What´ll I do" mal heraus, zum Bunten Abend des durchaus Alltäglichen und der ewig währenden Welthits gehören. Daß "La grande dame" Larmore diese trefflich singen können würde, stand außer Frage, doch bleibt eigentlich nichts nachhaltig hängen. Frau Larmore wirkt zwar charmant, aber eben typisch amerikanisch, mit etwas zuviel Affektivität und jenerm "I-wanna-be-everybodys-darling" Charme; zuviel Emotionen für manches Stück und zuviel "It´s-Showtime!" Dauerausdruck.

Dennoch ergeht des Rezensenten großes persönliches Lob, daß sich ein Künstler aus den holden Gefilden der großen Opera-Performance auf solche "niedere" Unterhaltungsebenen begibt. Das dies natürlich beim Publikum blendend ankommt, war vorhersagbar, einfach weil diese Künstlerin eben so vortrefflich singen kann.

Daß man mit Benjamin Levy einen der hochkompetenten, sprachgewandten und humorvollen Dirigenten und Moderatoren dabei hatte, war ein Glücksfall sondergleichen, denn Levy erklärte auch aufs Höchste amüsant und informativ die seltenen Stücke. Wer hat schon einmal von Jacques Iberts Bühnenmusik zum "Chapeau de paille d´italie" gehört? Musik zum Bühnenstück vom großen Eugene Labiche. (Opernfreund-Geheimtipp: Dazu gibt es auch eine Oper namens "Der Florentinerhut" von Nino Rota, die gerade in Gelsenkirchen läuft).

Oder kennen Sie Henri Christinés Ouvertüre zur schwungvollen Operette "Phi-Phi"? Die findet man noch nicht einmal auf YOUTUBE! Gleiches gilt für Albert Roussels Suite Fantaisie aus "Le testament de la tante Caroline" oder die Ouvertüre zu Maurice Yvains "Pas sur la bouche". Das ist Musik, die Freude macht - vieles perlt wie Offenbachscher Champagner. Stichwort "Offenbach": Levy bedankte sich ausdrücklich beim deutschen Publikum, dass es Offenbach nach Frankreich hat ziehen lassen, wo er ja (wie wir wissen) zum Urvater der Operette avancierte.

Was war das für eine grandios schöne Sonntagnachmittags-Unterhaltung! leider brachten es nur gut 350 (lt. Kasse) Musikfreunde übers Herz sich in die Philharmonie zu begeben. Schade... Vielleicht kann man diese tolle Truppe - aber es muss unbedingt Benjamin Levy als Dirigent dabei sein (!), fürs nächste Silvesterkonzert buchen - solch wunderbare Musik hätte wahrhaft mehr Besucher verdient.

Peter Bilsing 28.1.2017

Bilder (c) Der Opernfreund / orchestrepelleas.com

 

Programmablauf:

 

 

Wenn Stille hörbar wird...

Konzert am 24. Januar in der Essener Philharmonie

Schostakowitschs 11. in begnadeter Interpretation

Pjotr I. Tschaikowski Konzert D-Dur für Violine und Orchester, op. 35
Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 11 g-Moll, op. 103 "Das Jahr 1905"

Die 11. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch ist natürlich in gewisser Weise programmatische Musik. Hier zeigt sich wieder die Doppelbödigkeit von Schostakowitschs Werken. Offiziell geht es um die Revolution von 1905; in Wahrheit hatte der sensible, politisch mitdenkende und handelnde Komponist aber noch die russische Aggression in Ungarn blutig vor Augen. Die Sinfonie ist in die sogenannte "Tauwetterperiode" nach Stalins Tod zeitgeschichtlich einzuordnen. Schostakowitsch wurde für diese Sinfonie mit Preisen geradezu überhäuft und kein geringerer als André Cluytens dirigierte die Uraufführung. Dass diese Sinfonie sogar mit dem berühmten "Lenin Orden" ausgezeichnet wurde ist schon ein makabrer Treppenwitz der Geschichte. Und wer Ohren und genug Sensibilität hat, wird schon bei den ersten leisen Tönen diesen Aufschrei spüren. Diese Sinfonie ist eine Anklage; eine stille Mahnung. Es ist Musik, die unter die Haut geht...

Die superben Wiener Philharmoniker unter dem vielleicht zur Zeit besten und intelligentesten Dirigenten Ingo Metzmacher setzten die Zuhörer von der ersten bis zur letzten Sekunde dieses 70-minütigen grandiosen Mammutwerkes unter Strom; eine Spannung, die nie nachließ. Musik die subkutan den Zuhörer angreift, anfangs nur leicht köchelt, dann brodelt und stellenweise auch eruptiv explodiert. Das alles gelang so brillant und selbst für einen Schostakowitsch-Fan wie den Rezensent, dessen Erfahrungserlebnisse mit dieser Musik in den letzten 45 Jahren im dreistelligen Bereich der persönlichen Statistik liegen, einfach unerhört - ungehört! Nie so gehört!! Ich erlaube mir daher, diese Interpretation als ein "Jahrhundertkonzert" zu bezeichnen. Diese mit Worten gar nicht hoch genug zu bewertende Aufführung/Interpretation liegt mir auch zwei Tage später noch erschütternd und beeindruckend auf der Seele.

Im Vorfeld gab es beste Stradivari-Klänge. Wie wunderbar eine 1713 gefertigte "Gibson ex Huberman" klingen kann, stellte der zeitgenössische Paganini unter den Violinisten, Joshua Bell dem, mit offenen Augen, Ohren und stellenweise auch Mund, verblüfft und wenig hustenden Essener Publikum mit Tschaikowskis Violinkonzert in D-Dur furios unter Beweis. Bell meisterte die Hochschwierigkeiten des einst als unspielbar geltenden Konzertes mit Bravour und Souveränität. Dankenswerter Weise gab es keine Zugabe; das wäre bei dem grandiosen Stück einfach stillos gewesen.

Und wieder ein - was ich übrigens schon seit Jahren schreibe - überwältigender Beweis für die sensationelle Akustik der Essener Philharmonie. Dagegen ist die Hamburger Alptraum-Philharmonie (Ole-von-Beust-Steuerverschwendungs-Pyramide), wo man stellenweise Huster lauter hört als den Solisten, ignorabel. Freut Euch, liebe Essener und vielfältig Zureisende, was Ihr hier für ein wirkliches "8. Weltwunder" habt ;-))) !

Fazit: Ein Jahrhundertkonzert, welches der Rezensent tief in seinem Herzen in der Schostakowitsch-Kammer für immer freudvoll und entzückt verschließen wird. Und weinen mögen alle ewiglich, die diesen Abend, für welches es sogar noch einige Karten an der Abendkasse gab, verpasst haben...

Peter Bilsing 26.1.2017

Fotos (c) Philharmonie Essen / Lorenz

 

OPERNFREUND CD-TIPP

Platz 1

Platz 2

 

 

 

 

 

www.pro-arte-konzerte-essen.de/

KLAZZ BROTHERS

13.12.2916

Zwischen Bachata und Beethoven

Die Jazz-Gruppe „Klazz-Brothers“ mischt Klassik und Kubanischen Jazz und ist mit einem neuen Programm auf Tour. Es ist ein Mix von Kunst und Klamauk, auf höchstem musikalischem Niveau. Wie viel Afrokuba pur, wie viel Jazz verträgt ein gesetztes Symphonien-Publikum?

Beim Konzert der der Klazz Brothers im Alfried Krupp Saal in Essen war viel graues Haar zu sehen. Kein Wunder bei Eintrittspreisen bis zu 50 Euro und der Wahl eines der besten und größten Konzerthäuser in NRW.

Dabei hat afrokubanischer Jazz ja eigentlich seine Ursprünge in den Bars, auf der Straße oder gar in den dunklen Räumen der Babalaos, der Priester, bei denen sich Tänzer und Trommler zu ihren religiösen Feiern einfinden.

Doch die fünf Musiker aus zwei Kontinenten kamen gleich mit so viel Feuer daher, dass der gesetzte Rahmen sofort vergessen und der Saal schon beim ersten Stück erobert war. Als Ouvertüre die Habanera aus Carmen, sehr schnell auf dem Klavier gespielt, dazu der typische kubanische Congasound, gleich danach ein Besuch in der „Halle des Bergkönigs“, frei nach Eduard Griegs Peer Gynt.  

Boccherinis Streichquartett-Menuett ist diesmal ein Chachacha. Ein paar Gäste werden auf die Bühne geladen, tanzen mit. Es wird gelacht, geklatscht, gejohlt. Es ist eine Performance mit dem Publikum, phantasiereich, stets voller Überraschungen. Zuhören, brav sitzen bleiben und Beifall zum Schluss? Damit kommt hier keiner davon.

Die Klazz-Brothers sind seit zehn Jahren mit über 500 Konzerten im Geschäft. Die internationale Truppe aus Profimusikern hat sich auf kubanischen Jazz spezialisiert, den sie vor allem mit klassischer Musik kombiniert. Das neue Programm hat an Frische und Witz nichts verloren, die Symbiose aus Barock, Romantik und Rumba wirkt beinahe noch selbstverständlicher als auf den ersten CDs.

Zum Beispiel Beethovens Mondscheinsonate. Vom Bassisten und Moderator Kilian Forster als erstes Bachata-Stück angekündigt. Ach was? Die Bachata käme allerdings erst im schnelle dritten Satz. Der sei vielleicht manchen nicht so geläufig. Deswegen gibt’s erst mal das berühmte Adagio davor. Bruno Böhmer Camacho, Kolumbianer mit klassischer Klavierausbildung an der Essener Folkwangschule legt es voller Seele hin, wie jeder große Pianist. Ein bisschen Bass dazu, ein bisschen Klimpern und Rauschen, das ist hier Crossover genug. Dann der angekündigte dritte Satz, jetzt legen die Jungs richtig los. Das Publikum klatscht den Doppelschlag am Ende jeder Tonfolge mit, bis schließlich alles in verjazzten Harmonien und einer Percussion aufgeht, die tatsächlich ein wenig nach Bachata klingt. Wenn man genau hinhört und ein bisschen Phantasie hat.

Dieser Abend ist ein Spektakel mit immer neuen Wendungen. Man muss es erlebt haben: live ziehen die sympathischen Alleskönner noch viel mehr Register als in jeder Tonaufnahme.

Herrlich etwa ein etwa zehn Minuten langes Triangelsolo, mit unvorstellbar vielen Varianten aus jeder Ecke des kleinen Dreiecks, präsentiert von Alexis Herrara Estevez. Das Piano begleitet immer nur einen Akkord, so ausdauernd, dass der Pianist sich ablösen lässt um ein paar Liegestütze zum Takt zu machen.

Bei allem lebensfrohen Klamauk ist bei dieser Gruppe nichts banal, ihr Mix ist musikalisch vielschichtig und anspruchsvoll.  „E-Musik“ kommt  als „U“ daher, sprich ernste Musik wird unterhaltsam. Und umgekehrt hat Kitsch plötzlich Klasse. „Schneeglöckchen klingelingeling“ wird zum Chachacha in Jazz-Sonanzen."Leise rieselt der Schnee" ist hier ein romanitscher Bolero.

Wer Jazz liebt, die typisch cubanischen Harmonien und Rhythmen mit den handgeschlagenen Congas und der "Kuhglocke" schätzt, kommt hier voll auf seine Kosten. Die Motive aus der klassischen Musik bringen dabei Vertrautes all jenen mit, die sich vielleicht eher bei Mozart und Bizet zuhause fühlen.

Selbst Tangofreunde können hier schwelgen.Nach der Pause spielten die Klazz-Brothers in Essen zwei Stücke von Astor Piazolla, darunter auch den rasanten Libertango. Brilliant und voller Temperament als Gast Alexander Pankov auf dem Bajan, einem Knopf-Akkordeon , das größer als ein Bandoneon ist und das, wenn es sein muss, fast die Power eines Orchesters besitzt. Hier wäre die karibische Untermalung eigentlich gar nicht mehr nötig gewesen. Man hätte sich wie in Buenos Aires gefühlt.

Eine fröhliche Sondereinlage gab in Essen übrigens die Crossover-Gruppe Uwaga, die man gerne wieder erleben möchte.

Gesetzes Publikum? Heute wird nicht nur im Rhythmus geklatscht, sondern sogar zur Musik gerasselt. Mit kleinen Pfefferminz-Schächtelchen, die in der Pause relativ teuer zu erwerben sind: Für 20 Euro. Dabei gibts allerdings gratis eine CD dazu. Verkaufstüchtig sind die Klazz Brothers auch. Zu fünft stehen sie in der Pause am Stand, um dem Ansturm auf ihrer Scheiben gerecht zu werden.

Tipp: Wer mit der Eintrittskarte schon an finanzielle Grenzen gestoßen ist, sollte sich vielleicht ein kleines Schächtelchen Tictac mitbringen.

Angela Hussla 18.12.2016

Bilder (c) Philharmonie Essen / Pro Arte Konzerte / Der Opernfreund

Nächste Konzerte: 26.12. Berlin, 28.12. Köln, 1.1.2017 Salzburg, danach geht es wieder im März 2017 weiter.

 

OPERNFREUND CD TIPP

 

 

 

 

Orchestre Philharmonique Royal de Liège & Emmanuel Ceysson

Philharmonie Essen am 29. November 2016

Vorweihnachtlich Schönes & ein Magier an der Harfe

Engelbert Humperdinck "Hänsel und Gretel" (Auszüge) Ouvertüre, Hexenritt, Traum

Reinhold Moritzewitsch Glière Konzert für Harfe und Orchester, op. 74

Felix Mendelssohn Bartholdy Das Märchen von der schönen Melusine, op. 32

Pjotr I. Tschaikowski Ballett-Suite "Der Nussknacker", op. 71a

 

Eine ganz besonderes, auf diesem Qualitätsniveau höchst selten zu erlebendes, Konzert-Schmankerl gab es am Dienstag in der Philharmonie Essen: Reinhold Glieres "Konzert für Harfe und Orchester", gespielt vom aktuellen Superstar unter den Harfenisten Emmanuel Ceysson; auch "der Mann mit der Zauberharfe" genannt. Ich würde ihn eher den "Paganini der Harfe" taufen.

Ceysson wurde 1984 in Oulins, Frankreich, geboren; Studium am Conservatoire National Régional (CNR) in Lyon, dann am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique (CNSM) bei Isabelle Moretti - Abschluß "summa cum laude" und Erster Preis in Harmonielehre.

Seit 2005 ist er in der internationalen Musikszene wie der Wigmore Hall, der Salle Gaveau, der Carnegie Hall, dem Wiener Konzerthaus und der Berliner Philharmonie vertreten, wo er regelmäßig seine Auftritte im Recital, im Konzertrepertoire und in der Kammermusik gewinnt. 2006 Erster Solo-Harfenist beim Orchester der Pariser Oper, Auftritte unter anderem mit den Dirigenten Philippe Jordan, Valery Gergiev, Michel Plasson, George Prêtre....

Mannigfache internationale Auszeichnungen zieren seine bisherige Kariere: Goldmedaille und Sonderauftrittspreis beim Internationalen Harfenwettbewerb der USA (Bloomington) im Jahr 2004, dem 1. Preis und sechs Sonderpreisen beim New York Young Concert Artist Auditions 2006 und dem ersten Preis bei der renommierten ARD Wettbewerb in München im September 2009. (Video) Im Jahr 2010 wurde Emmanuel Ceysson in der Kategorie "Solo Instrumental Discovery" in den Victoires de la Musique Classique nominiert. Im November 2011 erhielt er einen "Prix d' Encouragement" von der Académie des Beaux-Arts de l'Institut de France.

Bemerkenswert ist seine Gastprofessor an der Royal Academy of Music in London von 2005 bis 2009 und seit 2011 an der Internationalen Sommerakademie in Nizza.

Besondere Aufmerksamkeit erhielt sein Programm “Zehn Monate Schule und Oper”, wo er sich bemüht, seinen Beruf und sein Instrument einem jungen Publikum aus sozial schwachem Milieu zu vermitteln. Ceysson unterrichtet unentgeltlich (!) zwei Wochen pro Jahr eine Masterclass in Kolumbien mit Unterstützung der Französischen Botschaft und der Victor Salvi Foundation. Im Oktober 2015 übernahm Ceysson zusätzlich die Position des Soloharfenisten an der Metropolitan Opera in New York.

Konzerte für Harfe und Orchester gibt es gerade aus dem 20. Jahrhundert ziemlich viele, doch leider setzt sich immer wieder das allbekannte Werk des stalinsystemkonformen Glière durch, dessen Zauber man sich allerdings tatsächlich kaum entziehen kann. Dem ersten in relativ modernen Regionen sich bewegenden Satz, folgen zwei traditionell sich eher an der russischen Volksmusik orientierte Teile. Es fängt toll an, aber endet in volkstümlich Althergebrachtem. Nichts desto Trotz ein Stück welches alle Dimensionen und Hoch-Schwierigkeiten eines der schwierigsten Orchesterinstrumente aufzeigt. Es lässt einen guten Harfenisten publikumsfreundlich ebenso brillieren, wie Tschaikowskys 1. Klavierkonzert den Pianisten.

Dabei kann man sich der ungewöhnlich extrovertierten Ausstrahlung des attraktiven Emmanuelle Ceysson, der schon fast wie ein spanischer Torero auftritt, kaum entziehen. Die schmachtenden Blicke, sowohl einiger Musikerinnen, als auch vieler Damen im Auditorium sprachen Bände. Er hat nicht nur die Ausstrahlung, sondern auch den Charme des aktuell, vor allem bei den Frauen, hochbeliebtesten Tenors Jonas Kaufmann. Und wenn sich äußere Attraktivität und Können dermaßen begnadet zusammen entfalten, dann ist das natürlich jeden Besuch allemal wert.

Als quasi Rahmenprogramm gab das, besonders für ein Opernorchester, beglückend hochqualitativ aufspielende Orchestre Philharmonique Royal de Liège ein vorweihnachtlich höchst passendes und stimmungsvolles Concerto Populare.

Konzertantes aus Deutschlands allüberall zur Weihnachtszeit in fast jedem  Opernhaus zu hörendem Humperdinck "Händel und Gretel"; und aus dem ebenso bzw. ebendort anzusiedelnden "Nussknacker" von Tschaikowsky. Wobei man die Nußknacker-Suite meiner persönlichen Meinung nach - wenn man dann schon so wunderbar und traumhaft in Märchenstimmung versenkt wurde - unbedingt als Zugabestück mit dem Grand pas de deux (einem der schönsten Musikstücke, daß Tschaikowsky je geschrieben hat) hätte krönen müssen. Das wäre eben jenes - lassen Sie es mich mit Loriot sagen: "Zitronencreme-Bällchen auf dem Kosakenzipfel" - gewesen.

Ein schöner Abend im vorweihnachtlichen Essen. Ein musikalisch geschmückter konzertanter Tannenbaum von großem orchestralen Lichterglanz, den der hochsympathische österreichische Maestro Christian Arming blendend und gefühlvoll mit den Lüttichern ganz besonders formvollendet beleuchtete.

Peter Bilsing am 1.12.16

Bilder (c)  / Pro Arte Konzerte / Jean-Christophe Husson

www.emmanuelceysson.com/fr / Der Opernfreund / Loriot (Youtube)

 

 

 

 

 

Wunderbares CONCERTO POPULARE

am 22.11.16 in der schönen Essener Philharmonie

Was verbindet die Liebe normaler Konzertabonnenten mit der Russischen Musik? In erster Linie der Name "Peter Iljitsch Tschaikowsky". Nächste Frage an den verehrten Leser: Und was steht auf der Hitparade ganz oben? Natürlich das erste Klavierkonzert vom selbigen. "Taa taa ta taaaaa...." Auch heute noch ein Ohrwurm ersten Grades, so beliebt und bekannt wie das Schwanensee-Motiv, welches ich persönlich als "Gruftie-Kritiker" immer noch am Schönsten in der Version von Vicky Leandros ("Schau wie die wilden Schwäne ziehen") rezipierbar finde.

Groß-sinfonisch steht sicherlich die 6. Sinfonie (Pathétique) in der Beliebheitsskala auf Platz eins, aber direkt dahinter käme schon die herrliche 4. Sinfonie.

Beim 2. Pro Arte Konzert gestern in der Essener Philharmonie gab es gleich beides zur Freude des lokalen Publikums zu hören, ein Abend des freudvoll entspanntem Zuhören von Bekanntem.

Solist des Abends war Dmitry Masleev (Bild oben beim Tschaikowsky Wettbewerb), geboren in der sibirischen Ulan-Ude Wüste und in Moskau ausgebildet, der beim letztjährigen Tschaikowsky-Wettbewerb, die Gold-Medaille, den Publikumspreis und den Preis für die beste Konzert-Interpretation gewann.

Über ihn schreibt Tatjana Rexroth (MZZ) "Eine geradezu ans Metaphysische reichende Musikalität zeigte sich da und verwandelte den Raum in eine Atmosphäre des Unwirklichen. Das setzte sich in der Finalrunde mit Tschaikowskys b-Moll-Konzert und Prokofjews 3. Klavierkonzert auf anderer ästhetischer und stilistischer Ebene fort. Der Jubel und die Entspannung auf den Gesichtern – vor allem der Juroren – sagten es: Es war ein würdiger erster Preisträger gefunden. Ein Held? Wer weiß…"

Masleev begeisterte nicht nur durch sein wuchtiges Spiel, sondern auch durch seine gefühlvollen, gelegentlich wie Champagnerbläschen perlenden Läufe, das Publikum. Vladimir Spivakov war mit der Russischen Nationalphilharmonie ein braver, liebevoller Begleiter, der allzu Aufbrausendes und Schwelgerisches ganz hinter die Interpretation des Klaviervirtuosen, der sich erkennbar wohl fühlte, zurück steckte.

Nach der Pause dann Sinfonisches. Mittlerweile gibt es rund 22 russische Orchester, die sich international bewegen oder zumindest Aufmerksamkeit bekommen. Die Russische Nationalphilharmonie gibt es seit 2003. Vladimir Spivakov der die Russische Nationalphilharmonie seit Beginn als Generalmusikdirektor leitet ist sehr populär in Russland. Das hat auch außermusikalische Gründe. Die 1994 von ihm gegründete Spivakov-Stiftung (sie finanziert auch lebensrettende Operationen) unterstützt seither unter anderem hunderte von jungen Musiktalenten, von denen Dutzende zu jungen Virtuosen herangereift sind. Die UNESCO zeichnete Vladimir Spivakov 2006 wegen seiner bedeutenden künstlerischen Verdienste und wegen seiner Aktivitäten zur Förderung des Friedens und des Dialogs zwischen den Kulturen als "Künstler des Friedens" aus.

Interessant ist, daß er seine Karriere Anfang der siebziger Jahre als Violinvirtuose mit weltberühmten Orchestern, wie den Philharmonikern aus Wien, Berlin und New York, sowie dem Chicago, London und Amsterdam Philharmonic Ochestra, und so bekannten Dirigenten, wie Leonhard Bernstein, Georg Solti, Lorin Maazel und Claudio Abbado, begann.

Obwohl er die Vierte sicherlich schon hunderte Male mit seinem Orchester gespielt hatte, dirigierte er nicht auswendig. Das ehrt ihn, denn solcher Art oft als "Schaudirigieren" bezeichnetes Wirken, läge dem hochsympathischen Künstler fern. Man hat auch nicht den Eindruck, daß das Werk allzu sehr in Routine erstarrte. Die Sinfonie blieb ebenerdig ohne übertriebenem Bläserglanz oder allzu viel Rubato, was auch der Sitzordnung ein wenig geschuldet war, denn alle 120 Musiker saßen auf gleichem Niveau - eine ungewöhnliche Aufstellung, die aber immerhin dafür sorgte, daß der orchestrale Gesamtklang ohrengenehm auch im Fortissimo rüber kam.

Mit ungewöhnlichen vier Zugaben von Sibelius, Schostakowitsch und Chatschaturjan konnten die Musici ihre große Spielfähigkeit auch außerhalb des altbekanntem unter Beweis stellen, wobei das geradezu begnadet gespielte Intermezzo der Polizeiszene aus "Lady Macbeth von Mzensk" das Publikum doch ziemlich überraschte, während man sich beim Valse Triste oder dem Maskerade-Walzer eher aufgehoben fühlte.

Fazit: ein schönes Konzert, welches ganz vortrefflich in die friedfertige Vorweihnachtzeit passte. Und wenn man mit dem "Ohrwurm" des Hauptthemas des 1. Klavierkonzerts dann summend nach Hause fährt, ist dem Seelenheil doch mehr als genüge getan.

Peter Bilsing 23.11.16

Bilder (c) Tschaikowsky Wettbewerb / Arte Konzerte Essen / Der Opernfreund

 

OPERNFREUND PLATTEN TIPP

 

 

 

 

Krzysztof Pendereckis

LUKAS-PASSION

(Passio et mors Domini nostri Jesu Christi secundum Lucam)

13.11.2016

Ein Groß-Ereignis

"Nicht ich habe die Avantgarde verraten, im Gegenteil: Die Avantgarde hat Verrat an der Musik begangen." (K.P.)

Es ist gerade die LUKAS-PASSION mit der Krzysztof Penderecki, einer der ganz großen Komponisten der Nachkriegs- Avantgarde, weltberühmt wurde, als sie im Rahmen der 700-Jahr-Feier des Münsteraner Domes (Kompositionsauftrag des WDR) am 30. März 1966 mit großem Nachhall uraufgeführt wurde.

"Dieser Sensationserfolg der wohl erstmals nach Alban Bergs WOZZECK suggerierten avancierten Musik sei von der Mehrheit des interessierten Publikums rezipierbar, erklärte sich daraus, daß Penderecki den elfenbeinernen Turm avantgardistischer Eigenbezüglichkeit und musikmaterialer Selbstgenügsamkeit verließ" Besser als Ulrich Schreiber könnte man es kaum formulieren und trefflicher beschreiben, warum so viele Opernfreunde - den Kritiker eingeschlossen - Pendereckis Musik mögen. Ich gebe zu, ein erklärter Fan seiner Opern (DIE TEUFEL VON LOUDUN - UA 1969 in Hamburg, PARADISE LOST - UA 1978 Lyric Opera of Chicago, DIE SCHWARZE MASKE - UA 1984 in Salzburg & UBU REX - UA München 1991) zu sein, die leider im unsisonen Langweiler-Repertoire des Ewiggleichen an unseren hochsubventionierten Opernhäusern kaum auftauchen. Wenn doch, dann fahren Sie bitte unbedingt hin.

Was macht nun neben dem gigantischen Orchesterapparat des großen Mahler-Orchesters und der Applikation von sagenhaften vier Chören (!) die Einmaligkeit dieser grandiosen LUKAS PASSION aus? Es ist seine aufregende Klangsprache, seine aufwühlende, ja erschütternde Kraft. Neben Gregorianik und relativ neuromantischen Klangbildern in der Tradition von Bach, Wagner und Mahler sind Kontrapunktik und Zwölftönigkeit so lebendig frisch und spannend eingebaut, daß die gut 80 Minuten wie im Flug vergehen. Und wenn dem Zuhörer einmal doch die Augen zufallen sollten, bringen Pendereckis fast martialisch zu nennende gut verteilten Fortissimo-Akkordballungen auch dem alltagsgestressten Konzertgänger sofort wieder in die Waagerechte ;-). Der gebannte Zuhörer merkt, empfindet gar körperlich, was der Komponist ausdrücken möchte und ist tief beeindruckt; egal wo das Werk aufgeführt wurde.

"Diese Passion ist die Darstellung des Leidens und Todes Christi, aber gleichzeitig auch des Leidens und Todes in Auschwitz, die tragische Erfahrung der Menschheit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In diesem Sinne soll sie nach meinen Absichten und Gefühlen universellen, humanistischen Charakter haben."

Penderecki hat sich dabei nicht nur an den Passionsvertonungen von Johann Sebastian Bach orientiert, sondern erzählt auch alles auf Latein, was ihm bei seinen zeitgenössischen Kollegen viel Schelte einbrachte. Ja, hochverehrte liebe Opernfreunde, als wahre und anerkannte Moderne gilt immer nur das, was man nicht auf Anhieb versteht, was die Ohren verstört, wo kaum jemand hingeht, oder das Publikum gleich zu Beginn in Panik und Befremden flüchtet. (Vorsicht Ironie!)

Bei Penderecki sind auch traditionelle Hörgewohnheiten gut aufgehoben, denn welcher moderne Komponist hat es jemals geschafft, daß sein Auditorium ihn mehr mit als einer halbe Stunde (Warschau) in Standing Ovations und mit Hoch-Rufen applaudierend feierte? Gestern in der Essener Philharmonie waren es immerhin gut 15 Minuten und das obwohl der Maestro nicht (wie angekündigt) selbst dirigiert, sondern die Leitung seinem langjährigen treuen Mitarbeiter Maciej Tworek überließ - was dieser vorzüglich machte.

Allerhöchstes Lob am Ende nicht nur für die überragenden Solisten (Thomas Büchel / Sprecher, Olga Pasichnyk / Sopran, Bart Driessen / Bass und Jaroslaw Breks / Bariton) sondern auch für die tollen Chöre (Philharmonische KammerChor Essen, Kettwiger Bach-Ensemble, die Kölner Kantorei und der Knabenchor Hannover) und ein bis ins Feinste hochkonzentriert aufspielendes Orchester der Essener Folkwang Universität der Künste.

Wer nicht dabei war, hat ein Ereignis ersten Ranges verpasst, welches sich sicherlich so schnell nicht in Bälde wiederholen wird.

Peter Bilsing 14.11.16

Bilder (c) Der Opernfreund

 

PS - Negatives peinliches Apercu

Leider begann das Konzert erst mit über 20-minütiger Verspätung. Der Grund: Die unfassbare Langsamkeit der Theaterkassen, die es nicht schaffen 50 Anstehende zügig abzufertigen - und das bei einem Einheitspreis von 17 Euro bzw. ohnehin freier Platzwahl - unfassbar! Wobei ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, warum sich der präsente Intendant - der sich immerhin nach 20 Minuten (!) beim Publikum entschuldigte, sich nicht vorher ein Herz fasst und die letzten Wartenden eine Minute vor Konzertbeginn dann zügig umsonst per order mufti in die Philharmonie leitet.

Vorbild hätte der, leider viel zu früh verstorbene, Düsseldorfer Ex-Intendant der Tonhalle Peter Girth, sein können. Ich erinnere mich noch gut: Er verschaffte anno 1986 gut 400 Konzertinteressierten auf diese Weise ohne "wenn und aber" gratis Einlass zur dritten Aufführung des Städtischen Sinfoniekonzerts. Ursache: Die Düsseldorfer hatten ihren lokalen Musikkritiker vertraut; aufgrund der sehr guten Kritik und der extra ausgesprochenen dringenden Empfehlung stürmten sie geradezu in Heerscharen zur dritten Aufführung des Städtischen Sinfoniekonzerts.

 

OPERNFREUND-Platten-Tipp

 

 

 

Riccardo Chailly & die Filarmonica della Scala

Philharmonie Essen am 24.9.16

Ein italienischer Traumabend

Luigi Cherubini - Konzertouvertüre G-Dur

Luigi Cherubini - Sinfonie D-Dur

Giuseppe Verdi - "Die vier Jahreszeiten" aus "Die sizilianische Vesper"

Gioacchino Rossini - Ouvertüre zu "Wilhelm Tell

Zugabe: Verdi Ouvertüre "Die sizilianische Vesper"

Riccardo Chailly, der einstige Chef des Amsterdamer Concertgebouw-Orchesters sowie des Gewandhausorchesters Leipzig und aktueller Musikdirektor des traditionsreichsten großen italienischen Opernhauses a la Scala, brachte einen rein italienischen Abend und - ich nehme es gleich vorweg: Es war wunderbar.

Daß eben nicht die üblichen Konzertreißer, wie  pars pro toto: La Mer, Bilder einer Ausstellung, Aus der Neuen Welt, Bolero oder Beethoven 5. dabei waren, sondern das beste Italienische Orchester unter einem der weltbesten Dirigenten sich nur auf original italienische Musik von Cherubini, Verdi und Rossini beschränkte, fand ich ausgesprochen positiv, denn besser - sagen wir es klarer: exzellenter, virtuoser und eleganter kann man diese Musik nicht präsentieren; kriegt man sie eigentlich selten bis nie zu hören (auch nicht auf CD ;-)

Leider hatte das fehlen des Altbekannten und Üblichen auch Auswirkungen auf das Essener Publikum, die am Samstag gut ein Drittel des Auditoriums frei ließen - schade, liebe von mir eigentlich stets hochgeschätzten Essener Philharmonie-Freunde, da habt Ihr was verpasst.

Umso begeisterter reagieren die anwesenden Musikkenner. Es war ein Italienischer Traum, insbesondere von Cherubini hört man in unseren Breiten nämlich wenig und so waren sowohl Sinfonie, als auch die Konzertouvertüre nicht nur repertoire- und wahrnehmungserweiternd sondern auch Maßstab und Einnordung unseres Gehörsinns für italienische Meisterwerke.

Natürlich haben sowohl Verdis Ballettmusik aus "Les vêpres siciliennes" (Die vier Jahreszeiten), als auch die Ouvertüre zu Rossinis "Guillaume Tell" mehr Substanz und Tiefe, wenn man sie unbedingt suchen möchte, aber Cherubini empfand ich gerade in seiner Leichtigkeit und sprudelnder Frische als angenehmen ersten Akt, wenn man den Abend in zwei Akte mit Pause teilen möchte.

Ein Konzertabend vom Feinsten in stimmig intelligenter und ohrengenehmer Programmabstimmung, wobei Chailly den Concerto Populare Charakter (Stichwort: Prinzenrollen!) aus dem Tell Vorspiel herrlich unprätentiös interpretierte. Riesenjubel beim enthusiasmisierten Essener Publikum.

Ein schöner Abend einfach mal nur zum Genießen...

Peter Bilsing 26.9.16

Bilder (c)

www.filarmonica.it/

Philharmonie Essen / Sven Lorenz

 

 

LUCIA DI LAMMERMOOR

am 29. Mai 2016

Großartige Diana Damrau begeistert das Opernpublikum

Wenn es bereits zur Pause Standing Ovations vom Publikum gibt, darf man gewiss sein, einer ganz besonderen Opernaufführung beizuwohnen. Dies war am gestrigen Abend in der Essener Philharmonie ganz sicher der Fall. Eine mit Ovationen überschüttete DIANA DAMRAU faszinierte das Publikum mit ihrer einzigartigen Darstellung von Donizettis Lucia di Lammermoor aus der gleichnamigen Oper. Zusammen mit dem großartigen Tenor Piero Pretti bildete sie das zentrale Liebespaar in dieser von Melodien überreichen tragisch-schönen Belkantooper

Im Rahmen ihrer Programmreihe „Grosse Stimmen“ präsentierte die Philharmonie Essen am Sonntag, dem 29. Mai 2016, die konzertante Aufführung von Gaetano Donizettis tragischer Oper „LUCIA DI LAMMERMOOR“. Die Titelpartie immer schon eine Paraderolle für die bedeutendsten Koloratursporanistinnen ihrer Zeit.

Mit Diana Damrau in der Titelpartie wartete Essen mit der wohl für sehr viele Opernfans derzeit besten Lucia weltweit auf. Die Erwartungen durften entsprechend hoch sein. Und sie wurden sogar noch übertroffen! Das Publikum im ausverkauften Haus erlebte eine Diana Damrau von atemberaubender Intensität, gesanglich, als auch in ihrer gestischen Darstellung. Schon in ihrer Eingangsarie im ersten Akt ( „Regnava nel silenzio“ ) begeisterte sie das Publikum restlos und wurde mit Bravo-Rufen förmlich überschüttet. Ergreifend dann das folgende Duett der sich heimlich liebenden Lucia und Edgardo ( „Sulla tomba che rinserra“ ). Hinreissend und hochemotional von ihr und ihrem Bühnenpartner, dem Tenor Piero Pretti, gesungen. Und natürlich krönte sie mit ihren ganz besonderen stimmlichen Mitteln auch das geniale Sextett im zweiten Akt ( „Chi mi frena in tal momento“ ) und liess es damit auch zu einem der vielen Höhepunkte dieses konzertanten Opernabends werden.

Diana Damrau (Lucia) und Piero Pretti (Edgardo)

Ihre Koloraturen in der berühmten „Wahnsinnsszene“ , zweiter Akt / 4. Bild, ( „Il dolce suono“) erklangen im Zusammenspiel mit der Glasharmonika kristallklar, fast überirdisch und zutiefst berührend. Ihr abschliessendes dramatisch-verzücktes „Spargi d’amaro pianto“ mit dem überragend gesungenen abschließendem Spitzenton riss das Publikum förmlich von den Sitzen.

Diana Damra, ein Weltstar mit einer Weltklasseleistung!

Viel hat sich Frau Damrau im Vorfeld zur Einstudierung ihrer auf der ganzen Welt gefeierten Lucia-Interpretation vorbereitet. Sie tat dies sogar in der Nervenklinik in ihrer Heimatstadt Günzburg. Es war ihr wichtig zu erfahren, wie Psychiater eine Figur wie die der Lucia medizinisch einschätzen. Nach ihrem ganzen Verhaltensmuster zeigt Lucia für die Mediziner „bipolare Züge“, die bereits in ihrer ersten Arie zutage treten würden, wenn sie dort von einer gespenstischen Vision singt (erzählt). Diese interessante Information aus dem Programmheft der Essener Philharmie zum gestrigen Abend zeigt eindrucksvoll, wie sehr sich die Sängerin mit einer Rolle im Vorfeld beschäftigt. Sie auch psychologisch durchleuchtet, um für sich selbst ein möglichst gesamtes und schlüssiges Bild einer Partie zu erhalten.

Frau Damrau war zwar der groß angekündigte Star des Abends, aber sie war umgeben von einem Team herausragender Opernsänger (-in). Hier an allererster Stelle zu nennen der italienische Tenor Piero Pretti, der besonders im letzten Akt seinen ganz großen Auftritt mit der wundervoll vorgetragenen Arie „Tombe degli avi miei“ hatte, dem er ein zu Herzen gehendes „Tu che a Dio spiegasti l’ali“ am Ende anschloss. Viel Applaus und Bravos für diese Leistung!

Nicolas Testé (Raimondo) und Diana Damrau, im Hintergrund Dirigent Gianandrea Noseda

Als Lucias Bruder Enrico war Gabriele Viviani verpflichtet worden. Der in Lucca/It. geborene Bariton überzeugte das Publikum mit sehr kultiviertem und kraftvollem Gesang. Nicolas Testé als Raimondo und Francesco Marsiglia als Lord Arturo (dem ungewollten Bräutigam der Lucia), sowie Daniela Valdenassi als Alisa und Luca Casalin als Normanno rundeten das durchweg sehr ansprechende Solistenensemble ab.

Der Damen und Herrenchor des Teatro Regio Torino belegte einmal mehr seinen überaus guten internationalen Ruf als Opernchor.

Der vorzügliche Dirigent und musikalische Leiter des Abends, Gianandrea Noseda, wurde ebenfalls zusammen mit seinem Orchester (Orchester Teatro Regio Torino) vom Essener Publikum gefeiert für eine hochemotionale konzertante Donizetti-Opernaufführung allererster Qualität.

Wer an diesem Abend dabei war, wird dieses Opernerlebnis sicher nicht vergessen. Auch für mich gehört es jetzt schon mit zum Besten, was ich in vielen Opernjahren erlebt habe. Diana Damrau, die beim Schlußjubel überaus sympathisch und gar nicht Diva-like herüberkam, hat das Essener Philharmonie-Publikum restlos begeistert. Da hat sich jede, noch so weite, Anreise gelohnt!

Detlef Obens 30.Mai 2016

Bilder (c) Philharmonie Essen / Saad Hamza

 

 

 

WELTKLASSE HOCH DREI

Kristine Opolais / Boston Symphony Orchestra & Andris Nelsons

Am 4.5. 2016 im Alfried Krupp Saal der Philharmonie Essen

Die sogenannten BIG FIVE aus Amerika (Neben den BSO sind das: New York Philharmonic, Chicago Symphony, Philadelphia Ochestra & Cleveland Orchestra)  waren dankenswerter Weise schon alle in Essen zu erleben. Eine objektive Hitparade zu erstellen ist immer schwierig, sind sie doch alle von europäischen Dirigenten maßstabsetzend geprägt worden. NYP (Mahler, Toscanini, Bernstein...), CSO (Kubelik, Martinon, Solti...), PO (Muti, Sawallisch, Eschenbach...) sowie das CO (Szell, Boulez, Welser-Möst...). Meinen Platz Eins aktuell ziert jedenfalls das BSO.

Das BOSTON SYMPHONY ORCHESTRA zeigt sich als geradezu bienenfleißiges Reiseorchester. Spielten sie am Sonntag, dem 1.Mai (in Amerika kein besonderer Feiertag!), noch in ihrer eigenen Symphony Hall in Boston, bewegte man sich flugs zum Dienstag hin schon nach Frankfurt; Donnerstag steht Leipzig auf dem Reiseplan, Freitag: Dresden, Sonntag: München, Montag/Dienstag Wien, Mittwoch: Hamburg und Donnerstag: Luxemburg. "Europe in seven days" könnte man in Anlehnung an einen alten US-Reiseslogan das Ganze ironisch nennen.

Das Essener Programm vom Mittwoch weicht dabei vom sonstigen Mahler 9. ab, was diesen Abend eigentlich besonders für aufgeschlossene Musikfreunde und Raritätensammler interessant machte. Oder kennen Sie, verehrte Opernfreunde, die Suite von Dmitri Schostakowitsch betitelt "Schauspielmusik zu Hamlet" (nach Shakespeare). Und wer kennt schon Sergej Rachmaninows Lied "Zdes hhorosho" (Wie schön dieser Platz - op. 21 Nr. 7)?

Letzteres wurde von Weltstar Kristine Opolais  begnadet und traumhaft schön interpretiert, ebenso wie die folgende Tatjanas Briefszene aus "Eugen Onegin" (Pjotr I. Tschaikowski). Wer Frau Opolais erlebt, begreift schnell warum diese Sängerin zurzeit als die absolute Number One gilt, insbesondere wenn weder Anna Netrebko, noch La Garanca greifbar sind. Ihre unprätentiöse Darbietung schafft feuchte Augen auch bei hartgesotten, bärbeissigen Kritikern ;-). Optik und Klangbrillanz gehen bei ihr Hand in Hand; Ohr in Auge mit einem genügend rubatoreichen Orchester, das geradezu himmlisch mit 120 Stimmen einen gepflegten Tschaikowski intoniert. So einen Abend zu verbringen ist ein Glücksfall und Balsam für das oft hartgeprüfte Seelenheil eines Kritikers. Daß dabei die rund 1800 Zuhörer nun wirklich im 7. Himmel schwebten, braucht man eigentlich nicht zu erwähnen. So far zum ersten, nennen wir ihn, den "russischen" Teil.

Bei soviel Rarität und Anspruch konnte der zweite Teil - nennen wir ihn: den "französischen Teil" - nur unter dem Aspekt eines CONCERTO POPULARE ablaufen. Wenigstens diesmal nicht Mussorgskis Bilder einer Ausstellung oder Dvoraks Neue Welt, sondern Claude Debussy La mer und Maurice Ravel La Valse. 

Eigentlich ein Allerweltsprogramm, welches so, oder in ähnlicher Konstellation - Ravels "Bolero" hätte ich fast vergessen - allüberall offeriert wird. Dennoch muß konzidiert werden: Es hat sich gelohnt. Ich habe Ravels Walzer so ungeheuer fulminant und derart hin- wie mitreißend dramatisch interpretiert, selten gehört. Vom vielgeqälten Filmmusik-Charakter konnte nicht annähern die Rede sein. Auch die Hitparade der Volksmusik rauf- und runtergespielt würde bei diesem 5-Sterne-Orchester neu erstrahlen ;-) Bravi à la bonheur!

Somit schließ ich mit meiner Titelzeile: "Weltklasse hoch drei". Höchste Noten für Dirigent, Solistin und Orchester. Was für ein Konzertabend! Wer nicht dabei war, sollte wenigsten jetzt bitterlich anfangen zu weinen...

Peter Bilsing 7.5.16

Bilder (c) bso.org / Philharmonie Essen

 

 

 

Mutter’s Virtuosi virtuos in Essen

am 10.4.17

Das hat fast symbolische Bedeutung. Nicht endenden wollender Jubel nach dem Konzert von Anne-Sophie Mutter und ihren Virtuosen in der Philharmonie Essen holt sie immer wieder auf die Bühne zurück. Anne-Sophie Mutter ist von der Euphorie des Publikums so angesteckt, dass sie auf die Schleppe ihres eleganten, leuchtend blauen Kleides tritt und sie verlängernd zerreißt. 

Es ist wie ein Bildkommentar zur ihrem Engagement für dieses besondere Konzert. Inmitten der Eleven ihrer Stiftung ist sie La Grande dame du violin, die sich gemeinsam mit dem Kammerorchester Mutter’s Virtuosi für die Musik schier zerfetzt. Der Name Mutter ist Programm im besten Sinne.

Das Konzert d-Moll für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo, BWV 1043 von Johann Sebastian Bach ist dafür beispielhaft, wie sie sich als Dirigentin und Solistin auf Augenhöhe mit den 2. Violinen versteht. Im 1. Satz Vivace spielt Mikhail Ovrutsky mit Anne-Sophie Mutter in absoluter Gleichberechtigung beider Stimmen selbstbewusst und gleichzeitig darauf bedacht, sie miteinander zu einem kontrapunktisch dichten Satz zu verbinden. 

Im berühmten Largo in F-Dur verdichtet Fanny Clamagirand hymnisch Bachs Musik. Im Dialog mit dem stabilen Energiezentrum Mutter hat ihr Spiel etwas Elegisches, Zerbrechliches, als würde ihre ätherisch durchscheinende Jugendlichkeit das Bild zur Musik sein. Das abschließende Allegro gestalten Noa Wildschut und Anne-Sophie Mutter in einem weiblichen, sich aufmunternd zulächelnden Einverständnis. Temperamentvoll antworten die Violinen wechselweise mit kanonischen Energieschüben.

Begonnen hatte das Programm mit dem Nonett für zwei Streichquartette und Kontrabass von André Previn, das Anne-Sophie Mutter gewidmet ist. Uraufgeführt 2015 im Rahmen des Edinburgh International Festivals, überzeugt es in Essen mit orchestraler Klangopulenz. Kontrastreich zwischen Fortefortissimo und Pianissimo piano wechselnd, durchsetzt von Pizzicati-Passagen der Streicher, dialogischen Basslinien sowie Duetten zwischen Solo-Geige und Cello, schafft die Previn-Komposition assoziationsreiche Klangbilder. Von dezidiert gesetzten Generalpausen gerahmt, raunt das Orchester metaphorisch dunkle Wolken herbei. Mit einer Solo-Kadenz setzt Mutter den Schlusspunkt unter eine überzeugende Komposition.

Von Antonio Vivaldis 12 Violinkonzerten Il cimento dell’armonia e dell’inventione op. 8, zwischen 1700 und 1721 entstanden, sind die ersten vier die berühmtesten: Die vier Jahreszeiten – Konzert für Violine, Streicher und Basso continuo. In der 40jährigen Bühnenpräsenz von Anne-Sophie Mutter hat dieses Konzert eine Initialfunktion. Das Bild von Herbert von Karajan mit der kleinen Anne-Sophie auf der Bühne ist inzwischen Teil des kulturellen Gedächtnisses von mehreren Generationen. Wie weit sie sich vom Karajanschen Großorchesterklang entfernt hat, ist in der kammermusikalische Besetzung und Artikulation von Mutter’s Virtuosi an diesem Abend hörbar – und sichtbar. Mit ihr steht eine gereifte Künstlerin als prima inter pares auf der Bühne, um die sich ihre Schülerinnen und Schüler, ihre musikalischen Kinder zu einem eindrucksvollen Musizieren versammeln. Das Blau ihres Kleides und das Dunkelblau der Decke in der Philharmonie korrespondieren als Klammer zwischen ihr und dem Publikum. Ihre gestaltende Rolle ist, farblich konnotiert, eindeutig, so wie das Kostümschwarz ihrer Virtuosi die musikalische Gemeinschaft symbolisiert. Zu hören ist eine nuancenreiche Klangfarbigkeit.

Die von Vivaldi in die Partitur geschriebenen Sonette unbekannter Herkunft machen Die vier Jahreszeiten zu einer Programmmusik, deren Stimmungsbilder jeder Zuhörer für sich ausmalen kann. Man spürt unmittelbar, mit welchem Esprit Mutter Vivaldis Jahreszeiten kammermusikalisch einerseits explodieren lässt, um im nächsten Moment mit einem gedehnten Pianissimo unerhörte Hör-Räume zu schaffen. Von Vogelgezwitscher, durchbrochen von Sommergewittern, bis zum Schlummerlied eines Hirten, beendet durch Hundegebell, bis zum Finale, das mit Allegro. Danza pastorale bezeichnet ist, bringen Mutter’s Virtuosi die Musik prachtvoll zum Klingen.

Weder die zerfetzte Schleppe noch das atemlos staunenden Nachhören des letzten Jahreszeiten-Tons sind dem Publikum Grund genug, Anne-Sophie Mutter und das Kammerorchester ohne Zugaben zu entlassen. Am Ende sind es drei. Mit dem Air aus Bachs 3. Orchestersuite verabschieden sie sich von einem begeisterten Publikum.

Peter E. Rytz 17.04.2016

Fotos (c) Philharmonie Essen / Alfonso Salgueiro

 

 

 

IM SIEBTEN PUCCINI HIMMEL

mit Jonas Kaufmann & der Staatskapelle Weimar

Philharmonie Essen 6.4.16

Nachdem Jonas Kaufmann in diesem Jahr alle großen Termine indisponiert abgesagt hatte, war die Freude beim Essener Publikum natürlich groß, daß der Superstar jetzt wieder einigermaßen präsent war und mit den Hitparadennummern aus Puccinis Werken das Publikum bezauberte. Daß er am Wochenende in der Wiener Staatsoper den von seinen Fans lange erwarteten Cavaradossi singt, sollte auch nach den erkennbaren Anstrengungen des gestrigen Konzerts erwartet werden können. Sagen wir es gleich rundheraus:

Der "Supertenor" gab zwar gestern alles für seine Fans, ist aber sicherlich noch nicht wieder zu 100 Prozent der Alte; wenn man überhaupt erwarten darf. Nach seinem letzten Brillierstück "Nessum dorma...", hätte es jeder verstanden, daß er diesmal nicht noch drei Zugaben singt; aber Fans sind ja leider unbarmherzig und verfügen über wenig Empathie, Wahrnehmung und Einfühlungsvermögen.

Und:

Der sympathische Künstler ist ein zu anständiger Kerl, um sein Publikum zugabenlos zu verlassen. Dabei hätten es sicherlich nicht wenige Musikfreunde durchaus verstanden; immerhin sang er keine sogenannten Kawenzmänner mehr, sondern mit zu Recht und gesund gebremstem Schaum gab er als Extras: Giacomo Puccinis „Recondita armonia", Licinio Refices „Ombra di nube“ und Ernesto di Curtis „Non ti scorda di me". Ein schöner, leichter und glücklicher Ausklang.

Dennoch sollte man sich Sorgen machen, daß er nicht ein ähnliches Schicksal wie sein einstiger ebenfalls großer Kollege Rolando Villazon erleidet. Zuviel des Guten - bei Kaufmann muß man schon sagen zuviel des Sehr Guten! - kostet Substanz und zehrt an der Stimme. Ein "weiter so" würde mich als erfahrenen langjährigen Kritiker und Beobachter bedenklich und traurig stimmen...

Nichts desto trotz war es ein wunderbarer Abend und mir gefielen die weniger bekannten Szenarien aus "Le Villi" und "Edgar" eigentlich am besten; auch brillierte die Staatskapelle Weimar, jenes urdeutsche Orchester mit großer Tradition und Spielkultur (gegründet schon 1491) unter Jochen Rieder mit einem rubatoreichen Puccini-Sound von hoher Qualität. Selten findet man in solchen sogenannten "Starabenden" Orchester, zu denen man auch ohne Weltstar gehen würde, weil sie einfach grandios aufspielen und eben keine Lückenfüller sind. Daher geht mein großes "Bravi!" an dieses wunderbare Orchester - nicht nur weil es aus meiner Heimat- und Geburtsstadt kommt ;-)). Das ist echte Orchesterkultur!

Den Weltstar in irgendeiner Form kritisieren zu wollen, wäre bejammernswürdiges Kritikastertum. Nicht umsonst gehört er zu den weltbesten und weltweit gefragtesten Tenören unserer Zeit. Daß er darüber hinaus wirklich sagenhaft gut aussieht und auch glaubwürdig und herrlich rüberkommt ist ein Glücksfall, wenn ich da so an andere Tenöre denke - ein Frauentyp, den ich mir wäre ich Film-Regisseur durchaus  in der Rolle des neuen James Bond vorstellen könnte; ich glaube alle Bond-Girls wären verzückt...

Man nimmt ihm einfach die Rollenidentifikation auch ohne Kostüm und Inszenierung (wie einst bei der Callas) klaglos ab und versinkt fasziniert in seine Interpretation und Hingabe. Jonas Kaufmanns fabelhaft unprätentiöse Darbietung, wobei er jeden Funken an Emotion, die in Puccinis herzergreifender Musik liegt, aufblitzen lässt, ist einmalig. So etwas bereitet auch dem hartgesottensten Kritiker zuweilen feuchte Augen...

Ach wie himmlisch, traumverloren und schön kann doch dieser Puccini sein, wenn er so ergriffen mit Herz und Schmerz gesungen wird. Ja, wir sterben ergriffen mit ihm, ob als Cavaradossi oder Des Grieux. Und wenn er vom "Blütenreich" Abschied nimmt dann ist das schon fast tränenreicher als der Suizid der Butterfly neben ihrem kleinen Söhnchen -zumindest für viele seiner weiblichen Fans.

Oh wie herzergreifend und berückend kann doch Oper sein...

Peter Bilsing 7.4.16

Bilder (c) Philharmonie / Sven Lorenz

 

 

MAHLER CHAMBER ORCHESTRA

mit DANIEL HARDING

am 19.2. 2016

Beim Leipziger Mahler-Fest vor fünf Jahren hinterließ Daniel Harding mit dem Mahler Chamber Orchestra nicht eben den besten Eindruck: Er ebnete die schroffen Gegensätze, das Verstörende und das Heitere der Vierten Symphonie in einer gekonnt brillanten Darstellung ein. Anders nun in Essen: In der „Auferstehungssymphonie“ in der Philharmonie kam ihm der Blick auf die Einheit der Musik entgegen.

Denn Mahlers Zweite vereinigt zwar die heterogenen Formen der musikalischen Traditionen ihrer Zeit. Rudolf Stephan nennt in seiner Analyse „hohe“ und „niedere“ Musik, Instrumentales und Vokales, Sonate und Volkslied, Choral und Ländler. Aber die Symphonie, und das macht Daniel Harding in seiner schlüssig-geschlossenen Darbietung deutlich, schöpft ihre Wirkung weniger aus grellen Gegensätzen, sondern aus dem Sog, der zum Finale führt: „Aufersteh’n, ja, aufersteh’n wirst du“ verkünden da der mit wundervollem Piano ansetzende Chor der Mahler Chamber Orchestra Academy und der aufblühende Sopran Christiane Kargs.

Allenfalls hätte der Ausbruch des Ekels im dritten Satz greller tönen, radikaler formuliert sein können. Die wundervoll schwebenden Streicher-Pianissimi des Mahler Chamber Orchestra – in riesiger Besetzung –, die elegischen Holzbläser-Soli banden sich eher an den lyrischen zweiten Satz als einen Kontrast zu betonen. Aber sie entsprechen andererseits der „ruhig fließenden Bewegung“, die Mahler für den mittleren seiner fünf Sätze fordert.

So mag die Prater- und Zirkusmusi noch so grinsend stampfen und blasen: Der große Atem, den Harding unverstellt strömen lässt, führt letztendlich zu Liebe, seligem Wissen und Sein, wie Mahler in seinem ursprünglichen „Programm“ schreibt. Dass Harding auch die „Totenfeier“ des ersten Satzes, ursprünglich als „symphonische Dichtung“ gedacht, in diese Bewegung eingebunden sieht, ist nur konsequent.

In seiner klugen Einteilung dynamischer Wirkkräfte hat Harding für die Apotheose des letzten Satzes mit Glocken und Orgel noch Reserven gelassen. Entsprechend monumental stellen das Mahler Chamber Orchestra und der von Alexander Eberle einstudierte Chor diesen Gipfelpunkt aus. AuchBernarda Finks Alt preist mit freiem Ton den Weg vom Tod zum Licht.

Der Schmelz des Mahler Chamber Orchestras lässt keine Schlacken zu: Die Explosionen des Trauermarschs im ersten Satz ereignen sich glühend homogen, die brucknerisch anmutenden Streicher-Idyllen meiden sprödes Kräuseln. Holz und Blech strahlen ganz locker Zaubertöne in den Raum. Und zu Beginn zeigen die Kontrabässe mit entschiedenem Schritt: Bei Mahler geht es um alles andere als um verzärtelte Idyllen. Die sind, wenn sie erscheinen, immer nur Erinnerung an das Ersehnte: Erlösung.

Werner Häußner 26.1.16

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)

 

Bedrich Smetana

MEIN VATERLAND

Mit einer halbstündigen Einführung ("Die Kunst des Hörens"), Moderation Christoph Vratz, sowie mit dem Dirigenten Jakub Hrusa und Mitgliedern des Orchesters.

Philharmonie Essen am 24. Januar 2016

E lucevan le stelle

Welch ein Traumabend mal wieder in der Essener Philharmonie! Und als besonderes Schmankerl dazu eine halbstündige Einführung in das Werk, die der in Essen bewährte Moderator Christoph Vratz (bis auf den kleinen, schnell korrigierten Faux Pas, daß Smetana eben nicht blind, sondern taub war am Ende der Komposition) sehr charmant und eloquent leitete.

Einsam saßen gleich zu Anfang die zwei Harfenvirtuosen des WDR Sinfonieorchesters im leeren Orchesterrund, aber nicht nebeneinander, sondern sich räumlich gegenüber. "Ein wunderbarer Auftakt", so

Jakub Hrusa (hochkompetenter und trotz jungen Jahren schon renommierter Spitzen-Dirigent mit tschechischen Wurzeln, der demnächst GMD der Bamberger wird), denn die ersten zwei Minuten braucht es keinen Dirigenten, da spielen die Harfen alleine.

Wie schön es wirklich und richtig stereophon klingt, ließen die beiden Musiker das (sich eine gute halbe Stunde vor offiziellem Konzertbeginn stattlich schon eingefundene) Essener Publikum darauf erleben. Welch ein toller Klang, wenn sich zwei Harfen  in den ätherischen Höhen der phänomenalen Akustik dieses Traumkonzertsaales verlieren; später inmitten der anderen hundert Musikern klang es dann natürlich etwas gedämpfter.

Jakub Hrusa (Bild unten) betonte, daß er heute zum ersten Mal eine Einführung komplett in Deutsch sprechen würde und man möge seine Worte grammatikalisch nicht ganz so auf die Goldwaage legen. Er brach eine große Lanze für Smetanas Werke, die in Deutschland immer noch - ganz im Gegenteil zu England - nur begrenzt populär wären. Im Prinzip kenne und spiele man hier aus dem großen wunderbaren Zyklus Ma Vlast meist nur den zweiten Satz Die Moldau, während z.B. sein Lieblingsstück eher der dritte Teil Sarka wäre, den er öfter schon einmal mal in Konzerte einbaue.

Schöne informative und überzeugende Worte; man fragt sich tatsächlich, warum von den neun Opern Smetanas eigentlich immer nur die eine, nämlich "Die Verkaufte Braut", gebracht wird. Denn auch im Bereich der Orchesterwerke, der Kammer-, Klavier und Orgelmusik gibt es noch viel Schönes zu entdecken. Daher ist eine so gut gelungene Einführung nur in höchsten Tönen zu loben; man fragt sich, warum es solches nicht öfter gibt, auch außerhalb Essens. Meiner Meinung nach könnte so etwas auch mit einem großen Orchester - ganz in Erinnerung an den großen Lenny Bernstein und seine "Young People`s Concerts" - zur abendfüllenden Veranstaltung werden.

Was soll man noch zur Aufführung sagen außer "Besser geht es kaum!", denn wer könnte den größten Komponisten seiner Heimat besser dirigieren und repräsentieren als ein Genie von erst unglaublichen 35 Jahren, der nicht nur an der Akademie der Musischen Künste in Prag studiert hat, sondern immerhin schon sein Können als ständiger Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie und diverser Weltorchester (u.a. Tokyo MSO, Philharmonia London, Gewandhaus Leipzig, Cleveland Orchestra, Orchestre Philharmonic de France) bisher erfolgreich unter Beweis gestellt hat.

Hinzu kommt, daß mit dem WDR Sinfonieorchester Köln ihm hier ein Weltklasse- Klangkörper mit exorbitanter Leistungsfähigkeit und Klangkultur zur Seite stand, dessen Interpretation auch einem Giganten wie Vaclav Neumann  in seinem diversen Aufnahmen, sei es mit den Pragern oder dem Gewandhaus-Orchester Leipzig (historisch begnadete Aufnahmen!), Paroli bieten kann.

Mal wieder ein Abend auf allerhöchstem internationalen Niveau in der Kulturstadt Essen in seinem akustischen Prachttempel, wo man die 90 Minuten dieses großartigen Zyklus auch in körpergenehmen Sitzgestühl freudvoll und leidenslos überstand. Der Jubel war berechtigter Weise mehr als enthusiastisch für eine Wiedergabe dieses im Gesamtzusammenhang seltenen Werkes, dessen Schönheit ja weit über die altbekannt hausbackene "Moldau" hinaus geht.

Ein großes "Bravo" für alle Beteiligten und die Präsentation in diesem Organisationsrahmen.

Die Sterne leuchteten für Bedrich Smetana an diesem unvergesslichen Abend besonders hell: in und über der Essener Philharmonie.

Peter Bilsing 25.1.16

Bild (c) Philharmonie Essen, WDR

P.S.

Mehr zum Konzert, welches einen Tag vorher auch in Köln (aber ohne Einführung!) statt fand, können Sie bei unserem Kollegen Christoph Zimmermann nachlesen.

 

Opernfreund CD Tipps

a.) erschwinglich und schön Jakub Hrusa

b) Leider gibt es diese tolle Aufnahme mit dem legendären Rafael Kubelik nur noch zu geradezu unverschämten Sammler/Mondpreisen

 

 

 

Anne Schwanewilms & London Philharmonic Orchestra unter Vladimir Jurowski

Konzert am 14.Dezember 2014 in der Essener Philharmonie

Lied ist mein Metier, deshalb bin ich Sängerin geworden

Die ehemalige Floristin aus Gelsenkirchen gehört zu den großen Sängerinnen unserer Tage, denen man gerne nicht nur beim Gesang, sondern auch im Interview zuhört. Stimmlich nahm sie eine bemerkenswerte Entwicklung: Als tiefer Alt angefangen über Mezzo bis heute zum klassischen Sopran mit hellsilbrig schönem Spinto-Klang. In der Philharmonie Essen heuer gab es nicht die großen Strauss Arien oder die überall präsenten "4 letzten Lieder", sondern sie begeisterte ihre Zuhörer und Fans mit den mehr leisen schönen Lieder von Richard Strauss; davon hat sie sich besondere ausgesucht:

“Die heiligen drei Könige”, op. 56 Nr. 6

“Waldseligkeit”, op. 49 Nr. 1

“Morgen”, op. 27 Nr. 4

“Das Rosenband”, op. 36 Nr. 1

“Wiegenlied”, op. 41 Nr. 1

Die Interpretation von "Waldseligkeit" war schlichtweg ein Traum an Schönklang und Sangeskultur, dazu noch in Verbindung mit dem hinreißenden Konzertmeister Pieter Schoenman und seiner Meistergeige. Das waren vier Minuten aus dem Musikhimmel, falls es ihn gibt.

Daß englische Orchester etwas zurückhaltender, sprich "sängerfreundlicher" aufspielen sagte Schwanewilms nicht nur im Interview, sondern es war auch in der brillanten Akustik der Essener Philharmonie genussvoll rezipierbar.

Das London Philharmonic Orchestra gehört zweifellos zu den besten der Welt und hat mit

Vladimir Jurowski den - meiner Meinung nach - auch zur Zeit besten Dirigent der Welt; daher waren die beiden Konzertstücke in Präsentation, Qualität und künstlerischem Feinsinn schlicht das Maß der Dinge an Orchesterwiedergabe.

Im ersten Teil des Abends konnte man die nicht nur in unseren Opernhäusern meistens (vor allem zur Weihnachtszeit) lieblos heruntergenudelte Ouvertüre zur Oper "Hänsel und Gretel" hören. Wobei "hören" eigentlich der falsche Ausdruck ist, denn es war ein Ereignis, welches man aus dem Orchestergraben selten so gehört hatte und wohl auch kaum je hören wird. Was für ein grandioses vielschichtiges und ausdifferenziertes Klanggemälde ist diese Ouvertüre, an der wir oft belanglos als schlecht gespielte Introduktion zum Weihnachts-Hänsel-und-Gretel vorbei gingen, ein großes Orchesterstück durchaus esrten Ranges.

Noch besser war dann aber Jean Sibelius 2.Sinfonie D-Dur; goldenes Blech, seidige Streicher und traumverlorene Holzbläser. Dafür geht man ins Konzert, um seinen Sibelius so wunderbar und einmalig erleben zu dürfen. Obwohl diese Sinfonie ja zu den noch am meisten gespielten vom ansonsten bei uns ja recht raren nordischen Komponisten gezählt werden darf.  Trotz mannigfacher CDs, die meinen Plattenschrank zieren, habe ich eine so treffende Interpretation selten gehört. Was für ein Klang!

Was für ein toller einmaliger Konzertabend!

Doch wo ward Ihr, liebe Essener Konzertfreunde? Gut ein Drittel der Plätze waren leer geblieben. Unfassbar! Da präsentiert die Philharmonie sozusagen das Beste an musikalischer Qualität, was man vielleicht auf dem Erdenrund hören kann - und das ab sagenhaften 15 Euro, also dem preis einer Kinokarte - und viele Plätze bleiben unverkauft. War es der Montag, oder das Programm?

Aber müssen es denn immer nur Beethovens Fünfte, Dvoraks Neue Welt oder die omnipräsenten Bilder einer Ausstellung sein? Das war eines der schönsten Konzerte dieser Saison. Und zufriedener kann man als Kritiker kaum in die verdienten Weihnachtsferien verabschiedet werden.

Bilder (c) Philharmonie Essen / LPO.org.uk

 

OPERNFREUND-CD-Tipp

Nur noch 8 Euro, bitte kaufen! Einfach wunderbar...

Ist etwas teurer, aber immerhin mit dem RPO und einem tollen Dirigenten.

 

CONCERTO POPULARE

Essen am 17.Oktober 2015

Aus den Urtiefen der russischen Seelen

Rachmaninow Klavierkonzert Nr.2

Tschaikowski Sinfonie Nr.6

Zugabe Ouvertüre "Russlan & Ludmilla" Glinka

Ivo Pogorelich / Fabio Luisi & Philharmonia Zürich

Gleich vorweg: wer sich in schönen Klängen dieses Rachmaninow wohlfühlen möchte und wem diese wunderbaren Urklänge aus der russischen Seele am Herzen liegen, sprich: wer so richtig romantisch schwelgen möchte, der sollte sich den mittlerweile erheblich gealterten einstigen (schon damals recht umstrittenen) Mega-Star des Pianoforte nicht antun. Hören Sie sich dann lieber die begnadete Hélène Grimaud an mit ihren geradezu mit himmlischer Leichtigkeit perlenden Anschlägen. Ein zarter Falter über dem Flügel des Klaviers. Dagegen wirkt Pogorelichs, um es nett zu sagen, "ausgesprochen druckvolles Spiel" eher ernüchternd. Irgendwie hat man auch den Eindruck, daß es ihm eigentlich egal ist, wer dieses Stück unter ihm dirigiert. Unabhängig davon ist er sicherlich weiterhin dieser Genius, als den ihn die berühmte Martha Argerich einst bezeichnete. Wo sie sogar wg. unzulänglicher Beurteilung des jungen Klavierlöwen (1980 Warschauer Chopin Concours) ihren Jurorentitel spontan niederlegte. Ich weiß nicht was sie heute sagen würde, aber für mich ist dieser Künstler immer noch ein "Genie" - so ihre damalige Bewertung.

Das letzte Mal - ich gebe es zu - habe ich den Klaviervirtuosen vor über 30 Jahren in der Düsseldorfer Tonhalle noch mit schwarz perlendem Vollhaar erlebt. Damals würdigte er das Publikum mit keinem Blick - trotz des Jubels nur ein einziges Wiederhervorkommen, ein kurzes arrogantes Nicken und weg war er; egal wie lange die Fans noch jubelten. Er strömte aus allen Poren eine manierierte Publikumsverachtung aus, die ich nie vergessen werde. Keiner seiner Fans nahm ihm das übel. Das ist eben ein wahrer Künstler...

Tempus fugit. Immerhin ist heute sein Schritt noch genauso fest und forsch wie damals, sein Haar hat er verloren wie die meisten seiner Fans, aber freundlich blickt er nicht. Und ehrlich gesagt sympathisch, man wird ja im Alter reifer und netter, wirkt er auf mich auch nicht. Egal - Toscanini war auch bei allen unbeliebt, gelegentlich sogar gewalttätig und trotzdem ein ganz Großer, was man Pogorelich in der Tat auch nicht abstreiten kann. Wer sich mit Klavier irgendwie beschäftigt, muß diesen Mann einfach einmal erlebt haben. Ein Gigant ohne Zweifel, der mittlerweile zum Urgestein geriert ist. Immerhin spielt er gegenüber damals außer Chopin fast alles. Das ehrt ihn. Wenngleich ich mir doch ein etwas anderes Programm gewünscht hätte.

Konnte einem der sehr sympathische und mit hochsensibler Gefühlsbalance ausgestattete wahre Maestro Fabio Luisi im ersten Teil noch etwas leidtun, so eroberte er mit dem vorzüglich disponierten Züricher Musici (Philharmonia Zürich), welches ich ohnehin neben den Münchnern für eines der absoluten europäischen Spitzenorchester halte, alle Herzen der Zuhörer und wir verloren uns in den Urtiefen der russischen Seele. Breiter tiefer emotionaler Klang, traumhafte Streicher mit genügend Rubato und himmlische Celli - wobei das Blech golden strahlte als säßen dort die Altmeister des London Symphony Orchesters. Kann man diesen "Hit" schöner, pathetischer und ergreifender spielen? Ich glaube nicht.

Ich denke, daß man auch im Zeitalter der moderneren Interpretationen, wo man Wagner nur noch kammermusikalisch spielt, Mozart mit historischen Instrumenten scheppert oder das, was auch immer damit gemeint ist, rubatofreie Orchester fordert, den schönen alten traumverlorenen Tschaikowsky ganz traditionell spielen sollte, spielen muss. Für mich war es ein Hochgenuss und so ein prachtvolles Orchester ist immer wieder geeignet die Maßstäbe, gerade jetzt wo es zu Weihnachten wieder überall von Nussknackern wimmelt, neu zu Recht zu rücken. Es war, trozt Bedenken, ein echter Sterne-Abend.

Peter Bilsing 22.10.15

Bilder: Philharmonie: Batalla Alfonso / Monika Rittershaus

 

OPERNFREUND-CD-TIP zu Pogorelich

Concerto Populare Stück 3 ;-)

 

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