Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin
(c) Uwe-Jens Kahl / pixelio.de
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EUGEN ONEGIN
20. April 2013
Versagt und verzichtet
Das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin ringt um seine Existenz. 2012 musste die Stadtverwaltung unter der sozialistischen Oberbürgermeisterin in letzter Minute die Insolvenz abwenden. Das sozialdemokratisch geführte Kultusministerium ist nicht bereit, die Zuschüsse zu erhöhen. Der Minister beruft sich darauf, dass sein Ministerium schon jetzt für die Theater im Lande verhältnismäßig mehr zahle als vergleichsweise das weit besser aufgestellte Bayern. Dennoch ist Generalintendant Joachim Kümmritz nicht bereit, hinsichtlich seines Spielplans Zugeständnisse zu machen. Konsequent spielt er Stücke, von denen nicht vornherein davon auszugehen ist, dass sie unbedingt den Publikumsgeschmack tr4effen. Das gilt auch für Tschaikowskis „Lyrische Szenen“ Eugen Onegin, die Anfang April herauskommen sind. Und eben kein Kassenreißer ist, wie die von uns besuchte zweite Vorstellung am 20. April zeigt. Gut ein Viertel der Plätze im Großen Haus sind an diesem Sonnabend nicht besetzt. Da dementsprechend davon auszugehen ist, dass das Werk beim breiten Opernpublikum wenig bekannt ist, halten wir uns bezüglich der Inhaltsangabe an das, was Haus dazu schreibt:
Als Peter Tschaikowski im Mai 1877 Alexander Puschkins Versroman „Eugen Onegin“ erstmals las, war die Begeisterung so groß, dass er diesen gleich zur Vorlage einer neuen Oper erkor. In nur einer Nacht soll das Szenarium des Komponisten entstanden sein. Er legte bei der Dramatisierung der Verse Puschkins weniger Wert auf einen straffen Handlungsablauf, sondern fokussierte auf die vom Dichter angelegten poetischen Zwischentöne. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch wurde deshalb nicht die Bezeichnung ‚Oper’, sondern der Untertitel ‚Lyrische Szenen’ gewählt.
Im Zentrum der Handlung steht Tatjana, eine schwärmerische, zur Melancholie neigende junge Frau, die sich in den dandyhaften und erklärten Zyniker Eugen Onegin verliebt. Er weist sie zurück – er tauge nicht zur Ehe. Der Rausch der Vergnügungen vermag Onegin auf Dauer aber nicht zu befriedigen. Die Erschütterung, die Onegin erleidet als er seinen Freund Lenski in einem aus nichtigem Grund angezettelten Duell tötet und die Erlebnisse seiner Reisen durch Russland verändern ihn. Auf einem Ball in St. Petersburg treffen sich Onegin und Tatjana wieder. Inzwischen ist die attraktive und selbstsichere Frau mit Fürst Gremin verheiratet. Onegin verliebt sich in die einst zurückgewiesene, die ihm gegenüber nun eingesteht, dass sie ihn nie aufgehört habe zu lieben. Trotzdem bekennt sie sich zu ihrer Ehe und lässt Onegin zerstört zurück.
Der Regisseur Georg Rootering inszeniert zum ersten Mal am Mecklenburgischen Staatstheater. Er begann seine Theaterlaufbahn am Opernhaus Zürich und bei den Salzburger Festspielen wo er unter .anderem . mit Herbert von Karajan, Götz Friedrich, Nikolaus Lehnhoff und Otto Schenk zusammenarbeitete. 1981 gab er sein Regie-Debüt mit Verdis „Rigoletto“ in Bremerhaven. Feste Engagements führten ihn an die Bayerische Staatsoper München, die Wiener Staatsoper, das Aalto Theater Essen, das Stadttheater Würzburg sowie an das Theater am Kirchplatz in Schaan (Liechtenstein). Neben Gastprofessuren u.a. in Helsinki und München ist er als freischaffender Regisseur für Musiktheater und Schauspiel europaweit tätig. In Schwerin steht ihm die schweizerische Bühnen- und Kostümbildnerin Romaine Fauchère zur Seite, die Choreographie übernimmt Ballettdirektor Sergej Gordienko.
Wie schon die Bezeichnung „Lyrische Szenen“ sagt, kommt der lange Abend – fast drei Stunden – nur recht mühevoll in Schwung. Dazu trägt auch der Umstand bei, dass es sich noch nicht bis Schwerin herum gesprochen hat, dass heute üblicherweise zum besseren Verständnis des Publikums auch Deutsch gesungene Opern übertitelt werden. Anders herum muss man natürlich auch fragen, wieso das Werk nicht in der Originalsprache gegeben wird. Sollte es an Sprachproblemen liegen?`
Statmatia Gerothanasi (Tatjana) gibt diese Rolle hinreißend. Eine wohlklingende volle Stimme, die Lust am Spiel zeigt. Die Künstlerin ist über 180 Minuten hinweg ungeheuer präsent. Ihr gegenüber der Eugen Onegin des Remo Tobiaz – schon äußerlich eine eindrucksvolle Gestalt, die auch sängerisch überzeugt. Ingo Storozhenko bekommt als Fürst Gremin mit der Arie, die herkömmlich „Ein jeder kennt die Lieb auf Eden“ heißt, als einziger an diesem Abend Szenenbeifall. Kerem Kurk ist als Lenski eine tragische Gestalt. Auch die weiblichen Rollen sind mit Frauke Willimczik, Constanze Heller und Itziar Lesaka gut besetzt. In dem minimalistischen Bühnenbild bietet der verstärkte Chor – Einstudierung Ulrich Barthel – farbenprächtige Bilder. Die, in diesem Mai 450 Jahre bestehende, Mecklenburgische Staatskapelle unter Leitung des „amtierenden“ Generalmusikdirektors Daniel Hupppert gefällt durch eindrucksvolle Klangbilder. Die Aufführung wird stürmisch gefeiert.
Horst Schinzel Fotos Silke Winkler
COSÌ FAN TUTTE
Vorstellung am 24.04.2011 (Premiere am 08.04.2011)
Vielschichtige Produktion hinter der Buffa-Fassade
Die Aufführungszahlen von„Così fan tutte“ befinden sich derzeit auf der Überholspur und das zu Recht, wie gerade die grandiose Interpretation dieses (inhaltlich nicht ganz einfachen) Werks am Staatstheater in Schwerin beweist. Die Aufführung findet in deutscher Sprache statt. Die Übersetzung von Kurt Honolka liegt sehr nahe am Original, so dass es ihr hier und da an Poesie abging und sie sich auch schon mal an der Musik reibt. Da bei den Rezitativen eine 100 %ige Textverständlichkeit gegeben war und auch große Teile der Arien, Ensembles und Chöre gut verständlich waren, konnte dem Publikum die Ablenkung durch Übertitelung erspart werden. Zudem war das Geschehen so zuschauerfreundlich in Szene gesetzt, dass man jederzeit wusste, wer gerade wer ist und der Blick in die Abgründe dieser Oper weit geöffnet wurde.
Mathias Rümmler hat für die Inszenierung ein geniales Bühnenbild gebaut. Man sieht zuerst in einem Garten mit einigen Zypressen (Sperrholz) die Fassade eines zweistöckigen Hauses aus dem Beginn der neuen Sachlichkeit. Hinten rechts wird ein Anbau aus der Jetztzeit sichtbar mit Balkon, unter dem eine DIN-Mülltonne steht. Die Drehbühne zeigt alsbald die Rückseite des Gebäudes wie ein offenes Puppenhaus: Im Stil der Gegenwart Keller, Küche und kleiner Salon, gerade bezugsfertig; die Umzugskartons stehen noch herum. Mit dieser Anordnung werden für die verschiedenen Szenen jeweils in wenigen Augenblicken die geeigneten Räume geschaffen.
Ferrando und Guglielmo in Freizeitkleidung spielen im Keller Pfeilewerfen und trinken dazu Bier aus der Flasche – entnommen einem Kasten einer bekannten Marke aus MeckPomm. Don Alfonso in schön gestiltem hellen Anzug mit Weste und hellem Hut, in der Übersetzung als „Zyniker“ (hier ist „vecchio filosofo“ sehr frei übersetzt) bezeichnet, zeigt hier etwas mehr Stil und trinkt Rotwein aus einem richtigen Weinglas. Fiordiligi (in Blau) und Dorabella (in Rot) tragen jeweils geblümte Röcke und Uni-Blusen; Despina kommt als freche ewig kaugummikauende Göre in sehr knappem Jeans-Rock und einem ebenso knappen Top und gelben Plastik-Stiefeln daher. So wird die Handlung in einem modernen Kontext folgerichtig entwickelt. Die beiden Damen „gehobenen Standes“ (d.h. sie nehmen am Wertschöpfungsprozess nicht teil) zwischen Langeweile und Liebelei; Despina etwas überzeichnet in der Weise, wie sie die Situationen arrangiert. Zur Abreise kleiden sich die beiden Herren in Uniformhose, weißes Hemd und Marineoffizier-Mütze. Das Chorvolk wird von Despina im Auftrage Alfonsos bestochen. Um das In-See-Stechen zu persiflieren, wird hinten ein Schiffsmodell hochgehalten. Keiner hat was gemerkt! Die beiden Helden kehren alsbald ziemlich prollig zwischen Bauarbeiter und Hippie (Doris Dörrie lässt grüßen!) zurück und trampeln mit ihren Schuhen auch auf die hübsche lindgrüne Couch im Salon. (Kostüme: Mathias Rümmler)
Die Regie verzichtet auf vordergründig Komödiantisches und jeglichen Klamauk. Im ersten Akt ist alles Spiel, Naivität, Leichtfertigkeit. Aber er endet schon in einem Gewitter, bei welchem sogar eine Wandscheibe aus dem Haus fällt; die Idylle ist spürbar vorüber! Im zweiten Akt geht es zur Sache; es werden glaubwürdig Emotionen entwickelt: eingeleitet von einer Pantomime: Despina füllt in der Küche einen großen Picknickkorb, den sie dann hinten am Seil in den Garten hinunterlässt. Aus einem Küchenradio ertönt „Besame mucho!“ Despina stellt das Radio ab; das Cembalo spielt eine Überleitung zum ersten Secco. Es kann weitergehen: die Regie entwickelt nun die stärksten Szenen. Despina als Schlangensymbol verteilt Äpfel, den ersten verzehrt Dorabella: die paradiesischen Zustände sind spürbar beendet. Die Liebhaber müssen sich als Verführer beweisen, die Damen weichen, erst die eine, dann die andere. Verführung, Liebe Eifersucht: die letzte Anstrengung des Ferrando, es dem Guglielmo und „seiner“ Dorabella“ heimzuzahlen. Die Männer sind die eigentlich Düpierten. Die Bestrafung durch Hochzeit mit jubelndem Chorvolk folgt hier ungekürzt. Bei der Hochzeitsszene sind sie alles andere als glücklich: sie haben sich ja selbst betrogen. Das geht ziemlich unter die Haut! Despina wird gezeigt, wie sie mit Alfonso alles manipuliert und schließlich selbst auch eine Betrogene ist. Sie tritt als Pseudo-Notarin auf: eine Karrierefrau mit schwarzem Kostüm, weißer Bluse und schwarzer Krawatte über hohen Absätzen und schwarzen Nylons mit hochgesteckten blonden Haaren; dann bibbert sie aber im Bierkeller vor Angst, dass alles entdeckt werden könnte, was sie selbst noch nicht ganz verstanden hat. Und ob dann die Versöhnung nachhaltig sein wird, muss wohl bezweifelt werden.
In dieser Inszenierung mit perfekter Personenführung und stark musikeinfühlsamen Bewegungen gibt es nicht eine Sekunde Langeweile. Die Abgründe dieses Werks werden hier auch dem weniger erfahrenen Così-Zuschauer eröffnet, der vielleicht noch im vorletzten Opernführer gelesen hat, wie schön die Musik und wie albern die Handlung ist. Es gibt unendlich viel zu entdecken in dieser Regiearbeit: Hingehen!
Die musikalische Darbietung blieb dahinter nur in Kleinigkeiten zurück. Judith Kubitz leitete die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin mit großer Umsicht bei nicht zu schnellen Tempi. Sogar den einfachen Begleitungsfiguren wusste sie Inspiration zu verleihen. Besonders positionierte sie ein ums andere Mal die Holzbläser und gab der Partitur Farbe. Dazu kamen prägnante Accompagnati und präzise Ausbrüche. Dass gerade bei Fiordiligis ergreifendem Rondò “Per Pieta“ die Hörner gleich mehrfach patzten, war dagegen bedauerlich. Der Chor in modernen volkstümlichen Kostümen war präzise einstudiert und war in allen Szenen hervorragend geführt.
Das auf hohem homogenem Niveau agierende junge Sängerensemble rundete die Vorstellung ab. Die eindringlichste Partie sang Hynju Park als Fiordiligi. Nach anfänglicher Anspannung kam sie mit der Arie „Come scoglio“ und deren mörderischen Tonsprüngen ganz groß heraus, sang höhen- und intonationssicher und musste bloß bei den ganz tiefen Stellen hörbar kämpfen. Katrin Hüber sang die Despina mit glasklarer, gut geführter Stimme mit sehr hellem Timbre. Ihren „15 Jahren“ nahm man ihre despektierlichen altklugen Sprüche nicht unbedingt ab. Itziar Lesaka kam als opulente Dorabella besonders schön in der Mittellage einher. Stefan Heibach als Ferrando war erkältet angekündigt, was am Anfang aber dann noch mehr am Ende der Vorstellung deutlich hörbar war, bravourös, wie er durchhielt. Den Guglielmo gab Markus Vollberg sehr klangschön mit kultiviertem Bariton und überzeugendem Spiel. Andreas Lettowsky gab den Alfonso mit kühler Überlegenheit. Die von ihm selbst eingangs besungene Erfahrung der grauen Haare des alten Philosophen stellte sich mit seiner vollen dunkelbrünetten Frisur nicht so richtig dar: sehr jugendlich für die Rolle.
Die Zuschauer im bei weitem nicht vollen Saal des Staatstheaters bedankten sich für die Vorstellung mit begeistertem Applaus
Manfred Langer