DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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OBERAMMERGAU

 

Fanfaren gibt‘s auch in Oberammergau. Nur werden sie eingespielt, nicht live vom Balkon geblasen – aber die Sitze sind genau so unbequem wie in Bayreuth, wenn man länger als zwei Stunden auf ihnen sitzt und sich kein Kissen mitgenommen hat.

Also Oberammergau: das Passionsspiel 2022, oder besser: das Passionsspiel, das in seiner äußeren Ausdehnung mit fünf Stunden reiner Spieldauer und einer dreistündigen Pause zwischen den beiden Teilen den Parsifal um eine Stunde schlägt – und hier wie dort ist der Anteil der Chöre gewaltig. Wer nach Oberammergau geht, hört, das ist auch das Schöne für einen Musikfreund, über weite Strecken eine große Musik, die den Standard von 1815 verbürgt. Rochus Dedler, Oberammergauer Schullehrer und gleichzeitig Chorregent (was sonst?), schuf damals eine Musik, die die Nähe zum jüngst verstorbenen Haydn, aber auch zum Neutöner Beethoven nicht verbergen kann, dabei auch schon ein bisschen wie Einiges aus Mendelssohns Oratorien klingt, ja: Wer nach Oberammergau fährt, erlebt auch ein musikalisch nicht überkomplexes, aber anspruchsvolles musikdramatisches Werk. Umso erstaunlicher, dass auch die 57, den Zuschauern unsichtbaren Spieler des Symphonieorchesters im tiefen Graben und die gut 60 Sängerinnen und Sänger keine Profis, sondern, wie all die anderen Spieler, aus dem Passionsspieldorf und der Umgebung rekrutiert worden sind.

 

 

Sie kommen, ein bisschen an die Amish People erinnernd, als zeitlos Trauernde in noblem Schwarzweiß mit dem ersten Takt auf die Bühne – und sie füllen sie aus. Die zahlreichen Auftritte, in denen sie die Lebenden Bilder begleiten und gleichzeitig auf das christliche Geschehen verweisen, gehören zu jenen Höhepunkten des Nachmittags und Abends, den Markus Zwink, der seit den Spielen 1990 zusammen mit Christian Stückl das Werk in die Moderne brachte, mit eigenen Akzenten versah. Zwink hat, wie in einer Werkstatt, einem work in progress gleich, vor allem 2010 das Passionsspiel musikalisch erweitert – und mit einer theologisch-historischen Bedeutung aufgeladen, die unserem heutigen Kenntnisstand und unserer Mentalität weit mehr entspricht als die Bühnenfassungen, die bis dato in Oberammergau zu hören waren. Das Schma Israel, intoniert von den Jungen, den Mittleren und den Alten, gehört 2022 zu den emotionalen Höhepunkten eines Spiels, in dem die Fußwaschungsszene mit einer sensitiven Musik begleitet wird (während Maria Magdalenas Fußeinölung erklingt übrigens, als wär‘s ein Stück von Wagner, auch eine leise Pauke), die zugleich den konkreten und den symbolischen Vorgang akustisch ausmalt. Wie nennt man das? Bewegend. Und bewegend ist es auch, die vier Solisten des erstklassigen Chors – wie gesagt: allesamt sog. Laien – bei der Arbeit zu hören, wenn sie ihre Soli anstimmen: die Sopranistin Katharina Osterhammer, die Altistin Caroline Fischer-Zwink, den Tenor Michael Pfaffenzeller und den Bass Anton Sonntag. Nebenbei: schon die Auftritte des Chors wurden geradlinig-grandios inszeniert: in kunstvoller Einfachheit, fast wie zufällig positioniert. Chapeau!

Sich vorzustellen, wie die Passion ohne die Musik klingen würde, die keine Folge von Einlagen, sondern integraler Bestandteil des Spiels ist, ohne dass sie allzu oft das Spiel selbst begleiten würde, liefe darauf hinaus, die Gleichzeitigkeit von Gestern und Heute, Mythos und Moderne zu leugnen – denn die eigentümliche Spannung zwischen dem seit Hunderten von Jahren erzählten und theatralisierten Geschehen und unserer Welt entspricht der Diskrepanz zwischen Dedlers und Zwinks Musik. In Oberammergau aber hat man es geschafft, der „klassischen“ eine gemäßigt moderne Musik an die Seite zu setzen, die selbst dort mit der traditionellen Musik zusammenpasst, wo sie etwas Neues bringt. Das Schma Israel gehört, wie gesagt, zu den Höhepunkten dieser Passion; mit ihm wird die Musikgeschichte Oberammergaus bedeutend weitergeschrieben. Doch schade, dass einzelne Spieler, etwa die Soloklarinette, nicht auf dem Besetzungszettel des Tages genannt werden; sie hätten es verdient, und dies nicht allein deshalb, weil der Einzug in Jerusalem, mit dem die Handlung beginnt, als Oberammergauer „Nationalhymne“ prachtvoll erklingt.

 

 

Mit dem Rhythmus kennt sich auch der Spielleiter Stückl gut aus. Wie er die Szenen mit den zum Teil Hunderten von Spielern auf der von Stefan Hageiner eingerichteten Bühne räumlich gliedert (beispielhaft: die Turba-Chöre der Gegner und Freunde Jesus‘), wie er die gewaltigen Cinemascope-Dimensionen der Passionsbühne bespielen und seine gerade sprechenden Theatersolistinnen und -solisten so agieren lässt, dass sie noch im Gewühl kenntlich werden: das hat Klasse. Wie im Nu ein Zelt über Jesus und den Jüngern errichtet wird, die dort ihr letztes Abendmahl feiern werden: das ist, mit einfachsten Mitteln, großes Theater. Genannt werden müssen: Frederik Mayet als einringlich-ruhiger Jesus, Martin Schuster als revolutionär gestimmter Judas Iskariot, Andreas Richter als politisch agierender und doch auf seine Weise ehrlicher Kaiphas, Walter Rutz als glutvoller Joseph von Arimathäa, Peter Stückl als Eiferer Annas, Carsten Lück als zynischer Pilatus, Eva Reiser als liebevolle Maria undundund…

 

Laientheater? Ja – aber ein über weite Strecken sprachlich genaues. Stückl und seine Mitstreiter haben es geschafft, aus dem einst theologisch vorschriftsmäßigen play ein tief ernsthaftes Theaterstück zu machen, das in weiten Strecken ein Politdrama ist, in dem es eher um Machtfragen im Jerusalem des ersten Jahrhunderts als um geistlich-geistige Fragen geht. Dass das eine das andere nicht ausschließt, sondern meist bedingt, gehört zu den Eigentümlichkeiten der Geschichte des Jesus Christus. Die Passionsspiele aber zeigen, wie ein in der Tradition wurzelndes, doch nach vorn weisendes, mit indirekt-direkten Hinweisen auf die Gegenwart ausgestattetes Stück heute aussehen kann. Dass die äußerst umfangreiche Musik mit ihren vielen Chor- und Solosätzen in diesem Gesamtkunstwerk ganz eigener Prägung so hineingehört, als könnte es nicht anders sein: auch dies macht die Oberammergauer Passionsspiele in ihrer künstlerischen Dignität zu einer Einzigartigkeit, die den 2014 verliehenen Titel des Immateriellen Weltkulturerbes voll verdient hat. Nur in Einem, aber wirklich nur in Einem muss man den Veranstaltern widersprechen: Richard Wagner war, auch wenn‘s auf der Homepage steht, nie in Oberammergau. Gut möglich aber, dass hier einmal der Parsifal inszeniert wird; der Fliegende Holländer war ja auch schon auf der Passionsspielbühne zu erleben. Hier wie dort wie auch im Passionsspiel geht es bekanntlich um die sog. Erlösung – wäre das nichts für den unermüdlichen Christian Stückl?

 

P.s.:

Am 9. September 1852 schrieb Wagner einen Brief an seinen einstigen Dresdner Dramaturgiekollegen Eduard Devrient, der sich gerade anschickte, die Karlsruher Intendanz zu übernehmen: "Durch die Leitung eines Theaters nützen Sie mehr, als durch alle Versuche, das Alte wieder lebendig zu machen, oder doch ihm zu einer unnatürlichen Fortentwickelung so zu verhelfen, wie Sie dies vor einiger Zeit dem Oberammergauer Passionsspiele zu tun versuchten! (Verzeihen Sie, lieber Freund, die vorgeschlagenen Wiederauffrischungsversuche des evangelisch-religiösen Geistes erinnerten mich etwas an die ehrbaren Pfleger des Oberammergauer Passionsspieles, die Herren Patres Jesuiten!)." Devrient hatte im Vorjahr eine kleine, 43 Seiten umfassende Schrift vorgelegt: Das Passionsschauspiel in Oberammergau und seine Bedeutung für die neuere Zeit. Devrient plädierte dafür, das "größte Geschichtsdrama", das mit "wirklich künstlerischem Geschick componirt" werden müsste, von einer Schar auserwählter Künstler neu bearbeiten zu lassen und in Szene zu setzen, damit in "zweimal drei Stunden" ein wahres Volkstheater auf die Bühne käme. "Das "Erhabenste der Kunst" jener Männer sollte also dafür sorgen, dem alten Spiel wieder ein Leben zu verleihen, das der Gegenwart angemessen sei. Eben dies ist um 2000 geschehen - und der Weg geht weiter. Für Wagner war das alles kalter Kaffee. Er zog es schließlich vor, ein neues Passionsspiel mit einer neuen Jesus-Variante zu schreiben, das seit 1882 - nicht alle zehn Jahre, sondern wesentlich öfter - die Massen anzieht. Gleich aber blieb der latente Kult-Charakter des (Musik-)Theater-Stücks, der auch in Oberammergau, nicht zuletzt durch die Bearbeitung des Passionsspiels durch Christian Stückl, inzwischen schwächer geworden ist - was der Ernsthaftigkeit und Hochstimmung des gesamten Unternehmens keinen Abbruch tut.

 

Die Spiele laufen übrigens noch bis 2. Oktober. Ich kann nur jedem, der an großem, durchaus etwas anderem Theater (und sehr guter Musik von 1815 und der Gegenwart) interessiert ist, sich auf zu machen in die bayerische Voralpenlandschaft. Es lohnt sich. Und erinnert das Festspielhaus mit seiner grandiosen Einfachheit nicht ein wenig an das Bayreuther

 

Frank Piontek, 20.9. 2022

 

Fotos: ©Passionsspiele Oberammergau / Birgit Gudjonsdottir und Arno Declair

 

 

 

 

 

PASSIONSSPIEL OBERAMMERGAU:

EIN QUICKLEBENDIGES FOSSIL DES MUSIKTHEATERS

Aufführung am 15.07.2022

Alles hier oben ist über alle Beschreibung schön

Als sich die Florentiner Camerata, eine Vereinigung von Musikern, Dichtern, Philosophen und Gelehrten in Florenz um das Jahr 1600 zusammengefunden hat, um im Geist der Renaissance das antike Drama wiederzubeleben, und damit eine neue Kunstgattung namens Drama per musica, geschaffen hat, geschah dies nicht aus dem Nichts heraus.

Von Gesang und Musik begleitete Aufführungen zur Passion und zur Weihnachtszeit waren seit dem Mittelalter verbreitet. Die Bibel war noch nicht ins Deutsche übersetzt, der Großteil der Bevölkerung konnte nicht lesen, und die Gottesdienste wurden auf Latein gehalten. Somit waren solche Kirchenspiele eine ideale Möglichkeit, dem Volk die Grundlagen der christlichen Religion anschaulich zu vermitteln.

In deutschen Handschriften des 13. Jahrhunderts sind zwei Passionsspiele bruchstückweise erhalten, eins davon ganz in deutscher Sprache.

Als die Oberammergauer zu Pfingsten im Jahre 1634 auf dem Friedhof über den Gräbern der Pesttoten eine Bühne aufschlugen, und erstmals das Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus zur Erfüllung ihres Gelübdes aus dem Vorjahr aufführten, haben sie sehr wahrscheinlich an eine vorbekannte musiktheatralische Tradition angeknüpft.
Pfarrer Joseph A. Daisenberger (1799 - 1883) schreibt in seiner Chronik: Wahrscheinlich ist schon vor dem Jahre 1600 die Leidensgeschichte des Herrn auch zu Oberammergau öfters, etwa in der Fastenzeit, als ein Akt religiöser Erbauung vorgestellt worden. Mir wenigstens scheint es, dass das Gelübde der Gemeinde vom Jahre 1633 nicht einen neuen, früher in der Gemeinde unbekannten Gebrauch einführen, sondern vielmehr einen uralten Brauch durch das bestimmte Versprechen regelmäßiger Übung für alle Zeiten festhalten wollte.

Aus einer Rechnung des Jahres 1674 geht hervor, dass es eine musikalische Umrahmung der Passionsspiele gegeben hat, da man den Herren Trompetern von Ettal  2 Gulden für ihre Mitwirkung bezahlt hat.

Für die Jahre 1600–1650 sind im bayerisch-österreichischen Raum ca. 40 Passionsspielorte belegt, über 250 für die Zeit von 1650 bis 1800.

Im 30-jährigen Krieg (1618-1648) bleiben die Oberammergauer zunächst von der Pest verschont, bis ein Mann, Kaspar Schisler, die Quarantäne umgeht, sich heimschleicht zu Frau und Kind und damit die Pandemie nach Oberammergau bringt. 84 Menschen sterben im Dorf an der Pest, worauf die Oberammergauer ein Gelübde ablegen: würden sie ab sofort von der Pest verschont, so geloben sie, künftig alle 10 Jahre die Passion aufzuführen. Und ab da, so heißt es, ist keiner mehr gestorben.

Diesem Umstand verdanken wir, ein regelrechtes musiktheatralisches Fossil auch heute noch erleben zu können, dessen strenge Regularien sich größtenteils in den fast 400 Jahren ihres Bestehens unverändert erhalten haben.

So sieht der Bart- und Haarerlass vor, dass alle Männer, außer jenen, die einen Römer verkörpern, von Aschermittwoch des Vorjahres an verpflichtet sind, ihre Haare und Bärte wachsen zu lassen, um beim Spiel echter zu wirken. Die Einschränkung, dass nur unverheiratete Frauen unter 35 Jahren mitspielen dürfen, ist in den 1980er Jahren gerichtlich aufgehoben worden. Auch die Mitgliedschaft zum katholischen Glauben ist inzwischen nicht mehr verpflichtend. Jeder der rund 5400 Einwohner darf mitspielen - die erwachsenen Darsteller müssen aber seit mindestens 20 Jahren in Oberammergau leben. Alle Rollen werden doppelt besetzt. Somit steht etwa die Hälfte des Dorfes auf der Bühne, darunter fast 500 Kinder. Manchmal sind – einschließlich Chor und Orchester – 800 Leute zugleich auf, hinter und unter der Bühne.

Auch der Chor, das Orchester und die Gesangssolisten kommen aus den Reihen der Dorfbewohner. In den spielfreien Jahren wird die Gesangstradition mit 3 Chören fortgeführt. Jedes Kind, dass ein Musikinstrument erlernen will, bekommt dieses Instrument kostenlos zur Verfügung gestellt, so dass auf diesem Wege auch der Fortbestand des Orchesters gesichert wird.

Die fünfstündige Aufführung beginnt nachmittags mit dem Einzug in Jerusalem und erzählt die Passionsgeschichte über das Abendmahl bis hin zur Kreuzigung. Sie endet in den Abendstunden mit der Auferstehung. Vom 14. Mai bis 2. Oktober gibt es 103 Vorstellungen. Nur montags und mittwochs ist spielfrei.

Das für die Passion errichtete Schauspielhaus ist 120 Jahre alt und fasst knapp 5000 Besucher. Es steht - wegen seiner besonderen Konstruktion und Technik - unter Denkmalschutz, auch aufgrund seiner historischen Bedeutung für das Volks- und Laientheater.

Das Passionsspiel selbst wurde 2014 von der Weltkulturorganisation UNESCO in die Liste des Immateriellen Erbes der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen.

Der musikalische Anteil am Passionsspiel umfasst mehr als 4000 Takte. Die gespielte Musik geht zurück auf den Oberammergauer Lehrer und Komponisten Rochus Dedler (1779–1822) und erklang erstmals bei den Aufführungen 1810. In ihr nahm er Anregungen aus der damals zeitgenössischen Opern- und Schauspielmusik auf.

Noch 1850 bestand der Chor aus nur 14 Personen. Im weiteren Verlauf des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es immer wieder kleinere und größere Veränderungen an der musikalischen Gestaltung. Zur Passion 1950 folgte eine grundlegende Überarbeitung durch den Komponisten und Dirigenten Eugen Papst. Seine Fassung wurde bis 1990 unverändert gespielt.

Für die Neuinszenierungen von 2000 und 2010 schuf der musikalische Leiter Markus Zwink (* 1956) Chöre, Ensembles und Arien für neu eingefügte und ausgetauschte Lebende Bilder (eine aus dem 18. Jahrhundert beibehaltene Besonderheit: Tableaux vivants) sowie atmosphärische Begleitmusik zu einzelnen Szenen der eigentlichen Handlung. Ebenso komponierte er im Zuge einer stärkeren Betonung des Jüdischen im Jesu Leben für die Szene der Vertreibung der Händler aus dem Tempel eine Vertonung des Schma Jisrael, das vom ganzen Volk gesungen wird. Mit Ausnahme dieses Stückes, für das er auf traditionelle jüdische Melodieformen zurückgreift, orientiert sich Zwink an der Musiksprache der Frühromantik.

Auch im Jahr 2022 basiert die Musik zum Passionsspiel in großem Umfang auf den Kompositionen von Rochus Dedler.

Im Laufe der Zeit erfuhr Dedlers Musik immer wieder Umarbeitungen und Erweiterungen. Auch die ursprünglich eher kammermusikalische Besetzung wurde dem großen Rahmen der jetzigen Passionsbühne angepasst. Im aktuellen Passionsspiel stehen im Normalfall 4 Gesangssolisten und 44 Choristen auf der Bühne, bei einigen Szenen sind es insgesamt 64 Sänger.

Im Orchestergraben sitzen 55 Instrumentalisten. Die Besetzung des Orchesters umfasst das klassische Holzbläserregister, neun Blechbläser, Pauken und Streicher.

Die Musik des Passionsspiels geht weit über die übliche Funktion herkömmlicher Bühnenmusik hinaus. Rein zeitlich gesehen, nehmen die musikalischen Auftritte zusammen mit der Präsentation der Lebenden Bilder etwa ein Drittel des gesamten Spielgeschehens ein.
In Arien, Solisten-Ensembles, dramatischen und kontemplativen Chornummern wird das Leidensgeschehen reflektiert und in Bezug zur Thematik der alttestamentarischen Lebenden Bilder gesetzt.

Das Passionsspiel ist in der aktuellen Fassung in elf Akte, Vorstellung genannt, unterteilt. Davon bildeten die Vorstellungen 1 bis 5 den ersten Teil, der um 14.30 Uhr beginnt. Nach einer dreistündigen Pause folgten von 20.00 Uhr an die Vorstellungen 6 bis 11. Das Ende der Aufführung ist gegen 23.00 Uhr. Dabei wechselten gesprochene Einleitungen, dramatisches Spiel und die Besonderheit der Lebenden Bilder einander ab. Die lebenden Bilder werden zu betrachtend-deutenden, vom Orchester begleiteten Chorstücken präsentiert und stellen in der Regel am Anfang eines Aktes einen typologischen Bezug zum Alten Testament her.

Im Jahre 1820 wurde das Passionsspiel zum letzen mal auf dem Friedhof an der Pfarrkirche aufgeführt. Mit diesem Jahr habe eine erstaunliche Popularität der Passionsspiele begonnen, berichtet die Chronik. nig Ludwigs I. Forderung, die Bühne nicht mehr auf dem Friedhof zu errichten, wird entsprochen und die Spielstätte an den Nordrand des Dorfes verlegt.

1851 veröffentlichte Eduard Devrient eine kleine Schrift über Das Passionsspiel in Oberammergau.

Unter den Gästen der folgenden Jahre finden sich zahlreiche bekannte Namen. Neben gekrönten Häuptern waren es auch immer wieder Musikschaffende, die die Aufführungen besucht haben. So war Anton Bruckner am 22./23. August 1880 zu Besuch bei den Passionsspielen in Oberammergau. 1900 waren die Opernsängerin Adelina Patti und der Dirigent Felix Mottl zu Gast. In der Folgespielzeit kam der Dirigent und Komponist Richard Strauss.

Im 31. Spieljahr (kriegsbedingt erst 1922) hat der italienische Komponist Giacomo Puccini die Passion besucht. Puccini arbeitete in dieser Zeit an seiner Turandot, und es lässt sich spekulieren, ob die Eindrücke aus Oberammergau in die Massenszenen dieser Oper mit eingeflossen sind.

In den 1960er-Jahren gab es Bestrebungen, die stark antisemitische Daisenberger-Version gegen eine älteren Text von Rosner auszutauschen. Der Komponist Carl Orff erklärte sich bereit, das Werk von Rosner zu vertonen. Jedoch kam aufgrund verschiedener Querelen 1970 doch wieder die Daisenberger-Version zur Aufführung.

Als belegt kann gelten, dass der Komponist Franz List im Jahr 1870 vor Ort war. Die Spiele wurden jedoch kriegsbedingt unterbrochen und ein Jahr später fortgeführt.

Unter dem Titel Richard Wagner und Oberammergau informierten die Passionsspiele, die mit dem Fliegenden Holländer 2017 erstmals ein Werk Richard  Wagners auf dem Spielplan der passionsfreien Zeit hatten, die Leser ihrer Homepage und im Programmheft wie folgt:

1871 kam Richard Wagner – auf Anregung von Franz Liszt – nach Oberammergau und angeblich soll er hier zu seinen Bayreuther Festspielen inspiriert worden sein. Auf jeden Fall schrieb er damals in sein Tagebuch, dass hier alles „über jede Beschreibung hinaus schön“ ist. Ob ihm das Oberammergauer Passionsspiel wirklich gefallen hat, lässt sich nicht mehr herausfinden.

Ein Aufschrei ging durch die Wagner-Welt! Wagner bei den Passionsspielen? Oberammergau als Vorlage für die Bayreuther Festspiele??? - Mit einem Wagnerianer mag man Manches machen können, aber bestimmt nicht alles!!!

Weder in seinen Tagebüchern, noch in den Aufzeichnungen Cosimas fänden sich entsprechende Einträge! Wagners Beziehung zu seinem Schwiegervater Franz List sei zu diesem Zeitpunkt bereits so abgekühlt gewesen, dass man nicht mehr miteinander gesprochen habe! Bis 1870 im schweitzer Exil in Triebschen siedelte Wagner 1871 nach Bayreuth, um dort seine Festspiele zu schaffen. Somit habe er andere Dinge zu tun gehabt, als nach Oberammergau zu reisen!

Auch sei der Festspielgedanke zu dieser Zeit bereits 20 Jahre alt gewesen, so dass die katholische Passion gar nicht als Vorlage in Frage käme! Und seinen berühmten Satz: Alles hier oben ist über alle Beschreibung schön habe er mitnichten über Oberammergau, sondern während seines längeren Aufenthalts in König Ludwigs II. Jagdhütte auf dem Hochkopf am Walchensee in sein Tagebuch geschrieben! Und dass Richard Wagner, dessen Leben von zahlreichen Biografen dokumentiert wurde, unbemerkt die Spiele besucht habe, schließe sich wohl aus!

Der oben zitierte Absatz Richard Wagner und Oberammergau wurde daher als in allen Teilen widerlegt betrachtet.

Uns jedoch scheint die Sache noch nicht endgültig geklärt.

Richard Wagner und Eduard Devrient kannten sich persönlich und haben miteinander korrespondiert. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass Wagner Devrients Text aus dem Jahr 1851 über das Passionsspiel in Oberammergau kannte und dass er durch diese Schilderung zu seinen eigenen Festspielplänen angeregt worden ist, ist ebenfalls möglich.

Wir dürfen die Passionsspiele am 15.07.2022 besuchen und wollen versuchen, dieser Frage auf den Grund zu gehen.

Schon am Ortseingang treffen wir morgens auf einen vollbärtigen und langhaarigen Mann, der auf Nachfrage gerne berichtet, einer der Schauspieler zu sein, die am Nachmittag auf der Bühne stünden. Er wäre Teil des Volkes und würde so eine Art von Volksverführer darstellen.

Ob Richard Wagner wirklich in Oberammergau gewesen sei, wisse er nicht genau. Aber wir sollten den Christian Stückl fragen. Das sei der Spielleiter. Und wenn der Stückl sagt, dass Wagner in Oberammergau gewesen sei, dann würde das auch stimmen. Weil, wenn das nicht stimmen würde, dann würde der Stückl das auch nicht sagen!

Er gab uns noch mit auf den Weg, dass die Oberammergauer Passion nichts katholisches sei, was man unschwer daran erkennen könne, dass man in Oberammergau von DER Passion spräche. Denn wenn es etwas katholisches sei, dann müsste man ja DIE Passion sagen! Darüber sollten wir einmal nachdenken - was wir dann auch versprachen.

Und abschließend schickt er uns noch zum „Dedlerhaus“ gegenüber der Kirche, in dem Rochus Dedler, der die Passionsmusik komponiert habe, 1779 geboren worden sei. Dieses Haus sei später ein Gasthaus gewesen und habe „Zum weißen Lamm“ geheißen. Und dort habe Richard Wagner bei seinem Besuch in Oberammergau gewohnt.

Wir finden das Dedlerhaus und sprechen mit dem jetzigen Inhaber, der dort einen Souvenir- und Krimskrams-Laden betreibt. Ob es noch alte Gästebücher oder sonstige Aufzeichnungen gäbe, aus denen man erkennen könne, dass Richard Wagner im Ort gewesen sei. Unsere Hoffnung wurde enttäuscht. Im Hause gäbe es nichts entsprechendes, aber auch im Stadtarchiv sei nichts derartiges vorhanden. Aber möglich sei es schon, dass er vor Ort gewesen sei. Es seien ja so viele verschiedene Berühmtheiten im Dorf gewesen, da könnte der Wagner schon auch dabei gewesen sein.

Unsere letzte Hoffnung ist nun Christian Stückl. Christian Stückl (*1961) wurde 1987 Spielleiter der Passionsspiele in Oberammergau, die er 2022 bereits zum vierten Mal leitet. Nach der Einführungsveranstaltung zur Passion gelingt es uns, ihn persönlich zu sprechen. Wie es denn 1871 mit dem Aufenthalt von Richard Wagner in Oberammergau stehe; war er da und gibt es dafür Belege? Belege gäbe es keine, erfahren wir. In Bezug auf Wagner will Stückl sich jedoch nicht festlegen. Ob er wirklich hier gewesen sei, könne er nicht sagen. Spitzbübig fügt er hinzu: Aber wenn er hier war, dann weiß ich, wo er übernachtet hat!

Das Passionstheater ist auch an diesem Tag wieder ausverkauft. Über die Bühne des halboffenen Theaters schauen wir auf die Gebirgslandschaft. Trotz der großen Menschenmenge hat man bei dem leicht wehenden Wind nicht das Gefühl, sich einer Corona-Gefahr auszusetzen. Der Besuch der Oberammergauer Passion ist ein Lebensereignis. Viele Besucher warten Jahrzehnte, bis dass sie die Gelegenheit finden, eine Vorstellung besuchen zu können. Aus der ganzen Welt reisen die Menschen an. Mit dem Einsetzen der Bühnenmusik flüstert meine Sitznachbarin ihrem Ehemann zu: Ich bekomme richtig Gänsehaut!

Wir erleben etwas Erhabenes: Das Leben, Sterben und die Auferstehung Jesu Christi.

Welche Belastung jeder Einzelne der Darsteller in einem solchen Passionsjahr mit den Proben und Aufführungen neben den fortlaufenden Lebensaufgaben hat, erkennen wir, als eine der Chorsängerinnen in der ersten Viertelstunde kollabiert und geschwind und unauffällig von ihren Kollegen von der Bühne getragen wird. Es wird keinerlei Aufhebens darum gemacht; das Spiel geht weiter. Möglicherweise kommt so etwas ja auch öfter einmal vor. Es sind alles nur Menschen.

Gesprochenen Szenen, aktive Handlungen, die lebenden Bilder, Solisten und der Chor. Die ersten zweienhalb Stunden vergehen im Fluge. Um uns nach der langen Sitzerei etwas zu bewegen, beschließen wir, die Kreuzigungsgruppe zu besuchen, die nig Ludwig II. der Gemeinde aus Dank für die von ihm besuchte Sondervorstellung hat errichten lassen. Nach 30 Minuten Fußweg erreichen wir den etwas auf der Höhe gelegen Ort, von dem man einen wunderbaren Ausblick auf den Ort und das Passionstheater hat.

Eine Tafel erläutert: Am 25. September 1871 besuchte König Ludwig II. in einer Separatvorstellung das Oberammergauer Passionsspiel. Von der Darstellung des Leidens und Sterbens Christi war er so gerührt und erschüttert, dass er den Oberammergauer Passionsspielen zur bleibenden Erinnerung die monumentale Kreuzigungsgruppe stiftete…

Am 25. September 1871 besucht König Ludwig II. in einer Separat-Vorstellung das Passionsspiel. Nur vier Begleiter saßen mit ihm im sonst leeren Zuschauerraum, ist auf der Internetseite der Passionsspiele zu lesen. Einer dieser Begleiter sei der Prinz Ludwig von Hessen gewesen, recherchiere ich im Internet. Aber wer waren die drei anderen Begleiter? Ich wende mich an den Verband der Königstreuen um weitere Informationen zu bekommen. Der Vorsitzende meldet sich umgehend bei mir, und ist gerne bereit, mich in meinem Anliegen zu unterstützen. Die Namen der Begleiter des Königs kenne er auch nicht, würde aber, wenn gewünscht, den Kontakt zu König-Ludwig-Kennern herstellen.

Wir haben eine Idee: Uns beschäftigt immer noch die Frage, ob nicht doch Richard Wagner 1871 zu Besuch in Oberammergau gewesen sein könnte. Zu dieser Zeit hatte er mit seiner Arbeit am Parsifal begonnen, dessen Uraufführung zum Bruch zwischen ihm und Friedrich Nietzsche geführt hatte. Er habe einen Kniefall vor dem Katholizismus gemacht, hatte dieser ihm vorgeworfen. Hatte Wagner die Passion in Oberammergau erlebt und hatten diese Eindrücke ihn vielleicht sogar stärker beeinflusst, als er sich selbst zugestanden hatte? Ist der Parsifal vom Geist der Passion geprägt?

Dass sich ein Ehrenmann wie Richard Wagner unerkannt in Oberammergau aufgehalten habe, ist so gut wie ausgeschlossen.

Was aber, wenn sein Anliegen eher unehrenhaft gewesen wäre?

Wäre es nicht naheliegend, dass Ludwig II. den berühmten Theatermenschen und Musikdramatiker, den er bewunderte und den er für seinen Freund hielt, als Begleitung zu diesem Ausflug gewünscht hatte. Hätte Wagner seinem Gönner und Nennfreud eine solche Bitte abschlagen können? Es hätte Wagners Lebensart entsprochen, servil und stets zu Diensten zu sein, wenn er ihm dadurch gelänge, den König gnädig für weitere Geldzuwendungen für seine großen Projekte in Bayreuth zu stimmen. Alle hätten nur Augen für den König gehabt, so dass ein kleiner Mann mit einem Seidenbarett auf dem Kopf sich problemlos in seinem Schatten in der Apanage hätte verstecken können. Schließlich gab es schon genug Gerede über all das Geld, dass der König ihm hatte zukommen lassen. Spätestens Cosimas Geschichtsklitterungen und Vertuschungen hätten dann dafür gesorgt, dass nichts über diesen Ausflug bekannt geworden wäre.

Ob es wirklich so gewesen ist, ist ein Fall für die Musikwissenschaft.

Aber WENN Richard Wagner wirklich in Oberammergau war, dann weiß Christian Stückl, wo er geschlafen hat. Und wir wissen, wann es nur gewesen sein kann: am 25. September 1871.

Um 20:00 Uhr beginnt der zweite Teil der Vorstellung. Ein Pausenschwund der Besucher ist nicht feststellbar. Es handelt sich ja nicht um irgend ein Theaterstück, sondern um die Passion. Und vom Kreuz steigt man eben nicht herab; man geht den Weg bis zum Ende. Lediglich ein Mann ganz in unserer Nähe ist nicht wieder erschienen. Es wurde geflüstert, er habe in der Pause ein kleines Schlagerl gehabt, und sei inzwischen schon im Krankenhaus.

Mit der einsetzenden Dunkelheit und der entsprechenden Bühnenbeleuchtung wird die Darbietung nur noch eindringlicher. Die Darstellung der Kreuzigung geht unter die Haut; die anschließende Auferstehung berührt. Im Hinausgehen fasse ich den Vorsatz, in der nächsten Passion wieder herzukommen. Falls Wagner den Satz hier nicht gesprochen hat, dann spreche ich ihn jetzt: "Alles hier oben ist über alle Beschreibung schön"

Ingo Hamacher

Bilder: Birgit Gudjonsdottir

 

 

Zum Zweiten

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

16. Juli 2017

Gelungener Wagner im Passionsspielhaus

Oberammergau – da denkt man doch an die alle zehn Jahre statt findenden Passionsspiele! Zum ersten Mal hat man aber den langen zeitlichen Zwischenraum schon im Jahre 2015 genutzt, um auf der Riesenbühne des Passionsspielhauses eine Oper aufzuführen, und zwar „Nabucco“ von G. Verdi. Eine zentrale Rolle spielt dabei der auch in Oberammergau geborene Christian Stückl, der seit 1987 Spielleiter der Passionsspiele Oberammergau ist und sie 2020 bereits zum vierten Mal leiten wird. Seit 2002 ist Stückl auch Intendant des Münchner Volkstheaters. Er ist mittlerweile auch ein weithin bekannter Opernregisseur und u.a. 2005 mit „Fidelio“ in Köln, 2009 mit „Palestrina“ an der Bayrischen Staatsoper München und in der Spielzeit 2011/12 an der Staatsoper Hamburg mit „Ariadne auf Naxos“ hervor getreten. In Salzburg konnte man seine Regiekunst beim letzten „Jedermann“ kennen lernen. So war es naheliegend, dass Stückl nach dem „Nabucco“ auch die Regie für Richard Wagners „Fliegenden Holländer“ in diesem Sommer übernahm. Wohl niemand kennt die speziellen Verhältnisse in Oberammergau und im Besonderen des Passionsspielhauses, welches ja zwischen Publikumsraum und Bühne nach oben hin offen ist, so gut wie er. Nicht zuletzt deshalb und wohl auch wegen der großen Höhe und Tiefe des Zuschauerraumes werden alle Stimmen verstärkt. Dass viel Herzblut in diese Inszenierung geflossen ist, bewies Christian Stückl mit einem kurzen emotionalen Auftritt vor Beginn der Oper, in dem er sich an das Publikum zur Entstehung der Idee dieses Wagnerschen Werkes für das Passionsspielhaus wandte. Ja, nach „Nabucco“ sollte es nicht wieder Verdi sein, aber in jedem Falle eine Oper mit bedeutendem Chor, die nicht allzu lang ist. Und Wagner ist ja immer etwas Besonderes…

Immerhin 2.700 Zuschauer und -hörer bei einer Kapazität von 3.100 waren an diesem Abend im Passionsspielhaus und erlebten eine sehr gelungene Aufführung des „Fliegenden Holländer“. Der Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier, der schon seit langen Jahren mit Christian Stückl zusammen arbeitet, wusste die breite Oberammergauer Bühne sehr gut auf das Geschehen der Oper zu fokussieren. In der Mitte der ganz in hellblau gehaltenen Bühne zwischen zwei seitlichen Wänden mit Öffnungen für Auf- und Abtritte rotiert fast ständig eine Drehbühne, die einen breiten Zylinder trägt, der bei fortwährender Rotation stürmische Fluten zeigt und so die Präsenz des alles beherrschenden Meeres suggeriert. Die Handlung dramaturgisch akzentuierend öffnet sich dieser Zylinder einige Male und gibt so gegen Ende des Holländer-Monologs dessen Schiff frei, eine eindrucksvolle Dreimast-Kogge unter vollen Segeln. Ein Norwegerschiff ist nicht zu sehen. Im 2. und 3. Akt zeigt der Zylinder die Brücke am Heck des Holländer-Schiffes, in dem auch die in einem Gefängnisartgen Verschlag sitzenden und wie aus einer anderen Welt anmutenden Matrosen des Holländers sichtbar werden. Stefan Hageneiers Kostüme sind weitgehend schlichter Seemannsästhetik verpflichtet. Allein der Holländer sticht mit einem befremdlich wirkenden weißen Bärenfellkostüm kontrastreich hervor. Die den Umständen entsprechend spießig wirkenden Spinnerinnen inkl. Mary tragen biedere Hausmannskleidung - fast alle haben eine Brille.

Der große Bühnenraum ist natürlich wie geschaffen für den enormen Chor des Passionstheaters Oberammergau, der 2015 für die Produktion des „Nabucco“ neu gegründet wurde. Er setzt sich zusammen aus dem Ammergauer Motettenchor und vielen Sängerinnen und Sängern aus Oberammergau und der Region, mit einer Gesamtstärke von 180 Mitwirkenden! Natürlich ist dieser riesige Chor das bestimmende dramaturgische Element der Inszenierung und fast ständig auf der Bühne. Interessanterweise singen dieselben Choristen sowohl die Norweger als auch die Holländer, womit auch für den kleineren Holländerchor eine beachtliche stimmliche Intensität erreicht wird. Unter der Leitung des Oberammergauers Markus Zwink singen die Damen und Herren mit kräftigen Stimmen und werden auch bestens choreografiert. Ein starkes Bild entsteht beispielsweise, wenn der Holländerchor sich bei seinem Horrorgesang langsam aber sicher wie ein Krake unter die Norweger schleicht…

Schon zur Ouvertüre erleben wir, worum es geht: Ein „Knabe“, dargestellt von Suleman Hashimi und „hinzugedichtet“ vom Regieteam, wirkt wie ein Beobachter den ganzen Abend über und kommt mit dem berühmten Bild des Holländers auf die Bühne. Es wird umgehend mit größtem Misstrauen von Mary ergriffen, die mit ihren Spinnerinnen bereits auf der Bühne ist. Senta kommt herein, reißt das Konterfei mit Inbrunst an sich und läuft damit fort. Hier deutet sich bereits an, was dieser „Holländer“ später zu werden scheint, wenn sie den Angebeteten nach dem Duett des 2. Aktes herzlich umarmt: Eine Liebesgeschichte. Die Holländerin Iris van Wijnen ist eine ausdrucksvolle und dominante Mary, die weit mehr aus der Rolle macht als man normalerweise erlebt. Sie überzeugt durch einen kräftigen und wortdeutlichen Mezzo, den sie technisch gut führt. Liene Kinca, die bereits 2011 und 2013 zur besten lettischen Sängerin gekürt wurde, gibt eine zunächst etwas verhaltene Senta mit viel Emotion. Ihr Sopran ist eher dunkel gefärbt und wartet mit warmen Tönen in der Mittellage sowie einer guten Tiefe auf. Bei der ansonsten eindrucksvoll interpretierten Ballade und dem Finale klingen die Spitzentöne allerdings etwas angestrengt.

Die gute und die Akteure oft lebhaft agieren lassende Personenregie zeigt sich bereits beim kurzweiligen Handel zwischen Holländer und Daland im 1. Akt. Guido Jentjens mit seinem profunden Bass merkt man die lange Erfahrung mit dem Daland an. Er singt die Rolle klangvoll und souverän. Der Ungar Gábor Bretz weiß schon im großen Monolog mit einem voluminösen und weit ausschwingenden Heldenbariton sowie souveränem Gebaren zu überzeugen. Er singt die Titelpartie mit ausgezeichneter Diktion. Man merkt diesem Holländer den ganzen Abend über die Qualen seines Schicksals an, gerade auch im Duett mit Senta im 2. Akt und im Finale. David Danholt ist ein nachdrücklicher Erik, der sein Beharren in der Liaison mit Senta nicht nur darstellerisch sondern auch mit einem kräftigen Tenor, der gelegentlich in den Höhen etwas abgedeckt klingt, zu untermauern weiß. Denzil Delaere singt einen engagierten Steuermann mit gut geführtem Tenor. Als der Holländer mitten unter den Norwegern auftaucht und der Steuermann seine Strophe noch weiter singt, wird er kurzerhand vom Ahasver mit einem Druck auf die Augen in Schlaf versenkt… So fallen dem Regieteam immer wieder kleine Kniffe für Aktionen ein, die ansonsten ohne die Präsenz des Chores auf der Bühne stattfinden. Denn auch wenn man wollte, dieser große Chor ist so mir nichts Dir nichts kaum von der Bühne zu bringen. Der „Fliegende Holländer“ wird in Oberammergau im wahrsten Sinne des Wortes neben einer Liebesgeschichte auch zu einer „Choroper“.

Der Lette Ainars Rubikis, Preisträger des Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerbs der Bamberger Symphoniker 2010 und Träger des Nestlé Young Conductors Award der Salzburger Festspiele 2011, leitete nach dem „Nabucco“ nun auch den „Fliegenden Holländer“ mit der Neuen Philharmonie München. Dieses bemerkenswerte Orchester hat sich seit seiner Gründung 2005 zu einem der meistbeachteten jungen Orchester aus der Region München heraus entwickelt. Es setzt sich aus Musikerinnen und Musikern zwischen 18 und 30 Jahren deutscher und internationaler Herkunft zusammen, die projektbezogen zusammen kommen und mit der Neuen Philharmonie an den Beruf des Orchestermusikers herangeführt werden. Ainars Rubikis verstand es, trotz der nicht idealen akustischen Verhältnisse eine hohe musikalische Qualität mit diesem Jugendorchester zu verwirklichen. Der etwas breite Klang, wahrscheinlich auch der Öffnung ins Freie über der Bühne geschuldet, stand jederzeit in guter Balance mit dem Bühnengeschehen und konnte den weit nach hinten ausladenden hohen Zuschauerraum des Passionsspielhauses mit guten „Holländer“-Klängen durchdringen. Insgesamt ein bemerkenswerter Wagner-Abend im Passionsspielhaus! Starker und langer Applaus.

Klaus Billand 24.7.2017

Bilder siehe unten Erstbesprechung!

 

 

 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Premiere am 30.6.

Flirrendes Gesamtkunstwerk

TRAILER

Der Oberammergauer „Holländer“ überrascht mit musikalischer Präzision und einer fast überwältigenden Klangfülle. Christian Stückl, der Intendant des Münchner Volkstheaters, scheint ein Faible zu haben für betont dramatische Stücke. Der mit Kulturpreisen überhäufte Regisseur brachte mit „Nabucco“ 2015 zum ersten Mal eine Oper auf die Oberammergauer Bühne. Bis 2020 wieder – wie alle zehn Jahre – die Passionsgeschichte Besitz ergreifen wird von dem kleinen, feinen Ort in den Alpen, offeriert Stückl alljährlich eine gelungene Melange aus einheimischen Laiensängern und -schauspielern sowie professionellen Schauspielern. Dazu zelebriert das für den „Holländer“ engagierte Studentenorchester der Münchener Philharmoniker eine Ode an die musikalische Freude: Ein satter Klangteppich durchwebt das vorne offene Schauspielhaus, auf dem der lebensmüde Seemann schlussendlich in den Hafen der Ewigkeit rudern darf.

Rettung durch die selbstlose Liebe einer Frau

Turmhohe Wellen schlägt das raffiniert-einfache Bühnenbild, vor und in dem Stefan Hageneier den Hauptdarsteller von Richard Wagners 1841 vollendeter Oper in See stechen lässt. Wagners Holländer ist dazu verflucht, immerdar die Weltmeere zu durchkreuzen. Und auf diesem unaufhaltsamen Weg so lange Furcht und Schrecken zu verbreiten, bis sich eine Frau dazu bereit erklärt, diesen Haudegen auf immer zu lieben. Dummerweise erhält der Holländer auch diese Gelegenheit nur alle sieben Jahre, und so sinkt seine Hoffnung auf Erlösung bis auf den Grund des Meers, das er befährt: „Die Frist ist um – und abermals verstrichen sind sieben Jahr. Voll Überdruss wirft mich das Meer an Land“, klagt der wider Willen Unsterbliche. Bei diesem Landgang trifft er auf Kapitän Daland, dessen Schiff soeben in einen schweren Sturm geraten ist. Der Kapitän sucht mit seiner Mannschaft Zuflucht in einer Bucht, wo ihn der Holländer antrifft. Geblendet vom reichen Gold, das ihm der Fremde vor Augen hält, verspricht Daland ihm die Hand seiner Tochter Senta. Obwohl die junge Frau bereits mit Erik verlobt ist, rührt sie das Schicksal des Holländers. Mutig stürzt sie sich in die Wogen und beide sind im Tod vereint.

Eine Meisterleistung des Laien-Chors

Gábor Bretz, dem Oberammergauer „Holländer“, nimmt man gerne ab, dass er den Kampf mit den Elementen nicht scheut. Wie einen riesigen Keil rammt der Budapester Bass-Solist und siebenfache Vater seinen Körper zwischen die 180 Mitwirkenden des Chors - angesichts deren Perfektion man kaum glauben mag, dass es sich dabei durchwegs um Laiensänger handelt. „Good job!“ muss man an dieser Stelle den Einheimischen Markus Zwink loben, der seine zwitschernde, jubelnde, raunende Truppe monatelang zu dieser Leistung angespornt hat. Dazwischen brillierte die lettische Sopranistin Liene Kinca etwa bei der Ballade der Senta, in welcher sie in bewegten Worten vom Schicksal des verfluchten Seemanns erzählt. Kinca gelingt es scheinbar mühelos, die anspruchsvollsten Passagen in Wagners Partitur zu meistern. Kein Wunder, dass sie 2011 und 2013 in ihrer Heimat jeweils zur besten Sängerin des Landes gewählt wurde. Auch dem dänischen Tenor David Danholt nimmt man ab, dass er für seine Verlobte Senta wahre Leidenschaft empfindet. Flankiert werden beide von Guido Jentjens, dem Bassbariton und Daland dieser Aufführung.

Langanhaltender Applaus und stehende Ovationen

Auch was die Regie betrifft, gibt es hier wenig zu meckern: In seiner Inszenierung gelingt es dem sympathischen Christian Stückl, das Tempo und die Leidenschaft immer weiter voranzutreiben: Bis das Festspielhaus zu einem einzigen, wogenden (Noten-)Meer geworden ist, in dem sich das Publikum selig und hingerissen mittreiben lässt. Ein gelungener „Holländer“, wozu die farblich bestens aufeinander abgepassten Kostüme sowie Anas Rubikis als Dirigent der Münchener Philharmoniker den letzten Schliff geben. Das Publikum dankte es den Mitwirkenden mit stehenden Ovationen, welche Stückl hoffentlich den Mut geben werden, sich bald an die nächste Oper in Oberammergau heranzuwagen.

 

Bilder (c) Arno Declair / Andy Stückl

Daniela Egert 4.7.2017

 

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