Bochum Jahrhunderthalle
15. Mai 2021 Livestream
Tristan und Isolde - zweiter Aufzug konzertant

Die Bochumer Symphoniker sind seit ihrer Gründung 1919 als „Städtisches Orchester Bochum“ ein Konzertorchester, die Musikerinnen und Musiker können sich also auf Erarbeitung von Konzertprogrammen für grosses Orchester und für Kammermusik konzentrieren, ohne wie die Kollegen in den umliegenden Städten Aufführungen von Oper, Operette, Ballett oder Musical zu begleiten. Das schätzen häufig auch Dirigenten, sodaß in den letzten Jahren so bekannte Musiker wie etwa Othmar Mága, Gebriel Chmura oder Eberhard Kloke als Generalmusikdirektoren tätig waren. Seit 1994 leitet Steven Sloane das Orchester, so lange wie kein anderer dem Verfasser bekannter Dirigent dasselbe Orchester mit Ausnahme von Daniel Barenboim in Berlin. Das führte nicht nur zu einer grossen Verbundenheit miteinander, die sich in der von Publikum und Presse bewunderten Qualität der Aufführungen zeigte. Zudem gelang es durch beharrliches Drängen bei den zuständigen Behörden und Anwerben sehr grosser und kleinerer Sponsoren, daß das Orchester seit 1916 mit dem „Anneliese Brost Musikforum Ruhr“ über einen zentral gelegenen Konzertsaal einschließlich Kammermusik-Saal verfügt. Vor einigen Jahren wurde Steven Sloane als Professor an die Universität der Künste Berlin berufen.

Trotzdem verläßt er nunmehr Bochum, um Music Director des Jerusalem Symphony Orchestra zu werden, das er schon seit einiger Zeit als Gast dirigiert.
Oper konnte Steven Sloane nur ausserhalb Bochums dirigieren, das wollte er zu seinem Abschied ändern. So war eine halbkonzertante Aufführung des kompletten „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner geplant. Die konnte corona-bedingt nicht stattfinden, als kleiner Ersatz dafür wurde am vergangenen Samstag wiederum corona-bedingt aus der grossen gut belüfteten Bochumer Jahrhunderthalle, einer ehemaligen Gaskraftzentrale, der zweite Aufzug von „Tristan und Isolde“ mit Weltklasse-Solistinnen und -Solisten gestreamt.
Wenn es auch eine rein konzertante Aufführung war, so wurde akustisch doch etwas auf die Handlung eingegangen, indem in der ersten Szene die die angebliche Jagd darstellenden vier Hörner seitlich aufgestellt waren und genau intonierend entfernter also leiser wurden. Ebenso stand Brangäne für die „Habet acht“ Rufe etwas vom Orchester und dem Liebespaar entfernt. Von dort sang Tanja Ariane Baumgartner, die der Verfasser zuletzt in Hamburg als Kundry bewunderte, die langen Legato-Kantilenen über der stimmungsvollen Orchesterbegleitung harmonisch und volltönend. Zudem war sie, auch im Zwiegespräch mit Isolde zu Beginn des Aufzugs, sehr textverständlich.

Dirigent Steven Sloane hatte vorweg angekündigt, den „ganzen zweiten Aufzug“ zu spielen, also auch die manchmal gestrichene Stelle in der ersten Hälfte, wo Tristan und Isolde die Gewühlsverwirrungen des ersten Aufzugs hochdramatisch rekapitulieren. Dies war dramaturgisch sinnvoll, da die Hörer den ersten Aufzug ja nicht erlebt hatten. Es war auch den Sängern passend, da Isolde nicht den anstrengenden ersten Aufzug hinter sich hatte und Tristan sich nicht für den noch anstrengenderen dritten Aufzug schonen mußte.
Spätestens, seit die Aufführung des „Tristan“ von der MET in die angeschlossenen Kinos übertragen wurde, ist bekannt, wie hervorragend Stuart Skelton diese Riesenrolle beherrscht. Dies zeigte sich auch im Auftritt in Bochum. Souverän traf er die Spitzentöne ohne zu forcieren, konnte die Stimme bei tiefer gelegenen und Legato-passagen zurücknehmen bis hin zum eindrucksvollen pp. Christiane Libor als seine geliebte Isolde brauchte einige Zeit, um die von ihr gewohnte stimmliche Klasse zu erreichen – als einzige der Solisten hatte sie die Noten dabei. Im langen Liebesduett war sie dann vom pp „Sink´ hernieder“ bis zum ekstatischen „höchste Liebeslust“ Tristans musikalisch gleichwertige Partnerin.

Eine Klasse für sich war Kwangchul Youn in der eigentlich nicht sehr dankbaren Partie des betrogenen Königs Marke. Vom fast tonlosen „Da kinderlos“ bis zum gewaltigen Ausbruch bei „Warum mir diese Hölle“ sang er über den grossen Tonumfang der Partie hinweg immer ergreifend und auch textverständlich, letzteres wegen der etwas zurückhaltenden Orchesterbegleitung einfacher als für die anderen Sänger. Die in diesem Aufzug kurzen Einwürfe von Kurwenal und Melot sang Heiko Trinsinger in gewohnter stimmlicher Qualität und Präzision – Wagner-Freunden noch in bester Erinnerung als Alberich aus dem „Ring“ im kleinen Mindener Theater.
Sehr zu bewundern war die musikalische Leitung durch Steven Sloane, ohne dass er - bescheiden - häufig im Blickfeld der Stream-Zuschauer zu sehen war. Einleitung und erste Szene nahm er „sehr lebhaft“, wie Wagner vorschreibt. Die riesige dynamische und tempomässige Steigerung beim Liebesduett vom ppp-una corda der Streicher bis zum ekstatischen ff des vollen Orchesters war überlegt aufgebaut und vermittelte dem Zuhörer ein Erlebnis grosser Gefühle, auch durch die überzeugende Hörbarkeit von Wagners genialer Instrumentation. Dazu trugen auch bei die Soli einzelner Instrumente, die die Qualität des Orchesters besonders zeigten.
Als Beispiele seien genannt die Streicher etwa bei Begleitung von Brangänes „Hab acht“ – Rufen, immer wieder die Holzbläser, also Englisch-Horn, Fagott Oboe und Klarinette, die Hörner, wie sie rund und vollklingend p spielten, das pp der Posaunen bei „So stürben wir“ und natürlich vor allem die traurig klingende Baßklarinette zur Begleitung von Markes Klage.
Zur Abrundung des Berichts sei erinnert, dass das erste Konzert des Orchesters im Mai 1919 unter dem damaligen Leiter Rudolf Schulz-Dornburg, der allerdings nach wenigen Jahren nach Münster wechselte, endete mit dem Vorspiel zu „Tristan und Isolde“
Sigi Brockmann 16. Mai 2021
Bilder Probenfotos, da keine Livebilder (c) Bosys
Starlight Express
Jubiläumsgala: 12.06.2018
Große Überarbeitungen zum 30. Geburtstag

Am 12. Juni 1988 hob sich im eigens für dieses Musical errichteten Starlight Express Theater der Vorhang zur deutschen Erstaufführung des bekannten Werkes von Sir Andrew Lloyd Webber. Sicherlich sind auch in den vergangenen 30 Jahren viele Opernfreund-Leser unter den inzwischen über 16 Millionen Besuchern in Bochum gewesen. Kleine Veränderungen waren und sind hierbei untrennbarer Teil der Erfolgsgeschichte des Musicals, doch zum 30. Geburtstag präsentierte sich die Show nun in einer großen Jubiläumsgala auf den Tag genau 30 Jahre später komplett „runderneuert“. Der brandaktuell am vergangen Sonntag in New York mit einem Tony Award für sein Lebenswerk ausgezeichnete Andrew Lloyd Webber erarbeitete hierfür mit dem ursprünglichen Kreativteam innerhalb des letzten Jahres eine Neuninszenierung, die teilweise umfangreiche Veränderungen mit sich bringt.

Insbesondere die „Rolle der Frau“ sollte hierbei gestärkt werden war bereits im Vorfeld zu vernehmen, so dass nun erstmals auch eine weibliche Lokomotive ins Rennen um die Weltmeisterschaft der Züge geht, denn der französische Zug wird fortan von Coco gezogen. Auch die beliebte Rolle des Papa wird nun durch Mama ersetzt. Hierfür konnte die zweifache Broadwayworld-Gewinnerin Reva Rice verpflichtet werden, die bereits 1987 die Rolle der Pearl am New Yorker Broadway verkörperte. Personell gibt es einige weitere Änderungen, so ist zum Beispiel die Zeit des Raucherwagens Ashley nun endgültig abgelaufen, nachdem dieser in den letzten Jahren schon immer als „letzter seiner Art“ vorgestellt wurde. Auch die ursprünglichen Rockies ersetzen nun wieder die Hip-Hopper, große Unterschiede machen diese Änderungen aber allesamt nicht aus, die Rollen wirken allerdings durchaus frischer. Zeitgemäßer wurden auch die Kostüme gestaltet, so dass Pearl nun nicht mehr mit rosa Haaren durch die Gegend fährt und der E-Zug Elektra nun einen sehr schicken silbernen Look bekommen hat, der durch verschiedene Lichteffekte verändert werden kann. Als ganz neues Kostüm schuf John Napier den britischen Zug Brexit, der jedoch selbstverschuldet die falsche Abzweigung wählte und im Rennen um den Titel daher plötzlich wieder ein Platz frei wird. Zum Inhalt muss an dieser Stelle sicherlich nicht viel gesagt werden, geht es doch vor allem um besagte Weltmeisterschaft der Züge. Durch diverse Veränderungen in der deutschen Textfassung (Wolfgang Adenberg / Sabine Grohmann) und in der Regie (Arlene Phillips) ist die Story nun wieder klarer erkennbar und für den Zuschauer leichter verfolgbar. Zudem ist auch die Charakterzeichnung einiger Figuren nun deutlich besser gelungen. Beim Bremswagon Caboose nimmt dies leider etwas die überraschenden Wendungen im Verlaufe des Abends weg, auch ist bei ihm die Kostümanpassung eher nach hinten losgegangen, aber im Großen und Ganzen wirkt der neue Starlight Express nun viel runder.

Die größten Änderungen finden in den ersten ca. 20 Minuten des Stückes statt. Nicht nur, dass die Eingangsequenz etwas angepasst wurde, so ist auch die Vorstellung der Züge nun anders inszeniert, was den Zuschauer auf direktem Wege ins Kinderzimmer führt. Gelungen hierbei auch Pearls Vorstellung in der Art, dass das Kind nun von seinem Taschengeld als Neuzugang den brandneuen 1.-Klasse-Waggon zusammengespart hat. Dies macht Sinn und auch die Anmerkung, dass Rusty seine erste und liebste Lok war wirkt nett erzählt und erinnert irgendwie an „Toy Story“. Allgemein erinnert vieles nun eher an ein Kinderzimmer wo mit den Zügen gespielt wird, da alle Darsteller viel präsenter sind auf der Bühne und überall mal „rumstehen“, als wären sie gerade in dem Moment vom Kind hier hingelegt worden, während es sich um einen anderen Zug kümmert. Auch die Bahnen durch den Zuschauerraum werden nun häufiger benutzt als zuvor.
Neu ist u. a. auch der Song „Ich bin ich“, den Andrew Lloyd Webber extra für diese Show komponiert hat. Hinzu kommen teilweise neu arrangierte Stücke und textliche Veränderungen bei dem ein oder anderen Song. Auch mit den Reprieses hat man etwas gespielt und die Reihenfolge der Lieder geringfügig geändert, was dem Musical sehr zugute kommt. Die Band unter der musikalischen Leitung von Matt Ramplin spielte zwar sehr laut auf, aber dies gehört beim Starlight Express auch irgendwie dazu. Auch technisch wurde etwas aufgerüstet, ein neues Licht- und Soundsystem wird nun durch Projektionen ergänzt, was u. a. eine wunderschöne Bahnhofshalle erscheinen lässt. Für das gelungene Projektionsdesign zeichnet sich Duncan McLean verantwortlich. Für die Schlüsselszene der Starlight Sequenze setzt man nun als erste fest-installierte Show europaweit auf eine neuartige Drohnentechnologie, die durchaus einen sehr gelungenen Effekt auf die Bühne zaubert, insbesondere wenn man recht mittig zur Bühne sitzt. Dennoch hängt des Schreibers Herz doch noch sehr an dem von Lasern durchzogenen Nebelhimmel der alten Version.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die gesamte Cast die neue Show hervorragend einstudiert hat und man den Starlight Express in Bochum selten so „akzentfrei“ genießen durfte. Stellvertretend für die insgesamt 26 Darsteller je Vorstellung seihen hier nur Blake Patrick Anderson (Rusty), Georgina Hagen (Pearl), Ben Carruthers (Greaseball) und Sjoerd van der Meer (Electra) erwähnt. Zum 30. Geburtstag hat man sich mit dieser Überarbeitung selber ein schönes Geschenk gemacht, denn dies war die vielleicht beste Starlight-Inszenierung, die der Schreiber dieses Textes ich in den letzten Jahren besuchen durfte. Man hat es geschafft, das inzwischen aus vielen kleinen Änderungen entstandene Stückwerk neu zusammenzusetzen und hiermit die Weichen auf viele weitere hoffentlich erfolgreiche Jahre stellen können.
Markus Lamers, 14.06.2018
Fotos: © Starlight Express