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Konzerthaus Dortmund

 Konzerthaus-Dortmund.de

 

 

 

Dortmund Konzerthaus Klangvokal Musikfestival

Bellini il pirata

konzertante Aufzeichnung am 13. Juni 2021 im Stream ab 25. Juni 2021

 

Hart getroffen durch die Pandemie ist das jährlich in Dortmund stattfindende Klangvokal Musikfestival, da hier im Sommer sehr viel Chormusik aufgeführt wurde. Der Höhepunkt, das Fest der Chöre, bei dem mehr als hundert Liebhaber-Chöre aus allen Teilen Dortmunds und Umgebung an verschiedenen Orten der Stadt auftraten, mußte nun schon zum zweiten Mal abgesagt werden.

Stattfinden konnte in diesem Jahr die übliche konzertante Aufführung einer weitgehend unbekannten Oper, wieder unter der musikalischen Leitung von Friedrich Haider. Nach den doch häufiger aufgeführten „Perlenfischern“ von Bizet vor zwei Jahren folgte in diesem Jahr das Melodramma in zwei Akten „il pirata“ von Vincenzo Bellini, 1827 an der Mailänder Scala uraufgeführt, also ein frühes Werk Bellinis. Für ihn schrieb zum ersten Mal – fast alle anderen Opern Bellinis sollten folgen – Felice Romani das Libretto, hier nach einem Roman von Charles Robert Maturin.  

Wieder Pandemie-bedingt wurde die Aufführung am 13. Juni 2021 in einer etwas gekürzten konzertanten Version im Konzerthaus Dortmund ohne Zuschauer aufgezeichnet und ist ab 25. Juni 2021 als Video-Stream zu erleben.

Il pirata gilt als stilbildend für die italienische Oper im 19. Jahrhundert, auch betreffend das übliche Dreiecksverhältnis der Protagonisten:

Die Sopranistin namens Imogene liebt unglücklich den Tenor namens Gualtiero, der sie leidenschaftlich liebt, aber nach verlorenem Krieg fliehen mußte und nun als Anführer von Piraten ins heimatliche Sizilien zurückkehrt. Um ihren Vater vor grausamem Tod zu retten, mußte sie aber Gualtieros Todfeind heiraten, den bösen Bariton Fürst Ernesto, von dem sie ein Kind hat. Imogene und Gualtiero gestehen sich erneut ihre Liebe, was Ernesto natürlich herausfindet. In leidenschaftlicher Wut erschlägt Gualtiero den Ernesto und wird dafür zum Tode verurteilt. Dieses Leid treibt Imogene in den Wahnsinn, der hier wohl erstmalig in einer Oper auskomponiert wird.

Typisch für die italienische Oper des 19, Jahrhunderts ist auch der etwas schematische Aufbau der Gesangszenen. Beginnend mit einem Rezitativ folgt ein langsamerer Teil, häufig ein „cantabile“,nach dem manchmal schon zu früher Applaus ertönt. Als Zwischenstück kommt ein „tempo di mezzo“ vor dem schnellen Schluß, meist einer „cabaletta“ oder „stretta“ . Das gibt den Sängern Gelegenheit, ihre Gefühle durch Gesangskunst sowohl im erregten Sprechgesang, im Legato als auch in schnellen Koloraturen zu zeigen.

Starke Gefühlsschwankungen zeigt vor allem die weibliche Hauptfigur, sodaß die Oper eigentlich „Imogene“ heissen müßte. So konnte Maria Pia Piscitelli mit etwas dunkel timbrierten Sopran stimmlich sehr passend darstellen ihre Sehnsucht nach dem geliebten Gualtiero, mußte dessen Vorwürfe wegen ihrer Ehe mit dem ungeliebten Ernesto ertragen, warnte letzteren vor Gualtieros Mordabsichten, lehnte dessen Vorschlag einer gemeinsamen Flucht übers Meer hinweg (cerchiam per mari) ab und erlebte dann, dass Ernesto durch Gualtiero umgebracht wurde und dieser zum Tode verurteilt wurde. Hierzu verfügte sie über ergreifendes Legato, perlende Koloraturen, genau getroffene Spitzentöne, ordnete sich passend in die Duette mit dem Geliebten, dem ungeliebten Ehemann oder beiden ein, überstrahlte im grossen Finale des ersten Aktes alle Solisten, Chor und Orchester. Höhepunkt war die abschliesssende Wahnsinnsszene passend im Rezitativ begonnen mit s´io potessi dissipar le nubi (könnte ich die Wolken vertreiben). Legato freute sie sich, dass ihr kleiner Sohn gerettet wurde und beklagte nach einem grossen Orchesterschlag (suono ferale) den Tod des ungeliebten Ernesto und die Hinrichtung des geliebten Gualtiero, dies alles im grossen Stimmumfang von ganz tiefen Tönen, etwa bei tenebre oscure, bis hin zu verzweifelten Spitzentönen, die aber immer rund und nie spitz klangen.

Ihren geliebten Gualtiero sang ganz großartig Dmitry Korchak, den man schon in einer ebenfalls konzertanten Aufführung in Moskau bewundern konnte (auch bei Youtube) Er verfügte über phänomenal getroffene Spitzentöne, besonders bei wütenden Racheschwüren, hatte Atem für lange Kantilenen, konnte die Stimme dabei bis ins p zurücknehmen. Seine ergreifendste Szene war der Abschiedsgesang vor seiner Hinrichtung, wo er beklagte, dass an seinem Grab niemand trauern würde und hoffte, nicht für immer verhaßt zu sein (non fia sempre odiata)  Das wirkte wie eine Vorwegnahme der Edgardo-Szene im letzten Akt von „Lucia di Lammermoor:

Mit bis in tiefe Töne mächtigem Bariton und treffsicheren Koloraturen gestaltete Franco Vassallo den Fürsten Ernesto, dessen Siegesfreude, dessen Sarkasmus gegenüber den falschen Beteuerungen Imogenes betreffend Rettung der Piraten und dessen Wut beim Treffen mit Gualtiero. So wurde das Terzett der drei im zweiten Akt mit den ganz konträren Gefühlsdarstellungen zu einem musikalischen Höhepunkt.

Passend besetzt waren die kleineren Partien mit Baurzhan Anderzhanov als weiser Eremit, Sungho Kim als Gefolgsmann Gualtieros und Liliana de Sousa als Imogenes Begleiterin Adele, die zu Beginn des zweiten Aktes ein kleines Solo zusammen mit dem Damenchor mit gefühlvollem Sopran sang.

Als gesamter Chor – Damen und Herren – war der Opernchor am Theater Dortmund einstudiert von Fabio Mancini  auch wieder Pandemie-bedingt im Zuschauer-Parkett und im ersten Rang verteilt und sang trotz des grossen Abstands zwischen den einzelnen Sängern, etwa Dankgesänge der Piraten für die Rettung oder Siegeshymnen für Fürst Ernesto.

Die Orchesterbegleitung hatte die Neue Philharmonie Westfalen übernommen, wieder Pandemie-bedingt mit Masken für die Streicher und Plastikwänden zwischen den Bläsern. Unter der umsichtigen und exakten Leitung von Friedrich Haider gelang trotzdem schon die einleitende „Sinfonia“ rhythmisch sehr genau, farbig klingend, und mit mitreissendem Schluß. Zu loben sind die Soli einzelner Instrumente, genannt seien hier Hörner und Flöten und insbesondere im Vorspiel der Wahnsinnsszene wiederum die Hörner und besonders das Zusammenspiel von Harfe und Englisch-Horn.

Wäre Publikum dabei gewesen, wäre viel Applaus für einzelne Gesangsnummern und grosser Schlußapplaus sicher gewesen, obwohl ohne Untertitel trotz so weit wie möglich guter Textverständlichkeit der Sänger die Verfolgung der Handlung nicht immer einfach war. So schloß die Aufführung ohne erkennbare Reaktionen - solche gab es vielleicht in den begleitenden Chats. Sie kann aber noch über das Klangvokal Musikfestival auf You Tube über sechs Monate lang erlebt werden.

 

Sigi Brockmann 26. Juni 2021

 

Fotos: Gesamtansicht Céline Spitzner, Solisten Sandra Spitzner

 

 

 

 

 

Dortmund Konzerthaus 7. Juni 2020

Erstes Konzert seit langem mit Publikum

Konzerte aus dem Konzerthaus Dortmund wurden wie viele andere auch als Geister-Konzerte im Live-stream übertagen, insbesondere über takt1.

Gestern war es endlich wieder anders ! Dank ausgeklügeltem Hygienekonzept, so wurde eine Vertikalbelüftung des Zuschauerraums installiert, fand erstmalig seit der Corona-bedingten Schliessung wieder ein Konzert vor wenn auch nur kleinem Publikum statt. Für Musikfreunde, die keinen Platz erhielten, wurde es auch als Live-stream übertragen.

Auf dem grossen Podium des Konzerthauses war auch unter Einhaltung der Abstandsregeln genügend Raum für das gewählte Programm des in nicht grosser Besetzung auftretenden Konzerthausorchesters Berlin. Die Leitung übernahm die in der abgebrochenen Spielzeit exclusiv für Dortmund ausgewählte Leiterin des City of Birmingham Symphony-Orchestras Mirga Gražinytė-Tyla. - dies, obwohl wie sie im Februar mitteilte, sie sich auf ihr zweites Kind freut.

Als Hommage an die Heimat der Dirigentin begann das Konzert mit einem De profundis für Streichorchester der litauischen Komponistin Raminta Šerkšnytė. Dem Titel gemäß hörte man ein tiefgründiges etwas pathetisches Werk in bester baltisch-musikalischer Tradition - leise beginnend und nach mehreren Steigerungen ebenso leise und zurückgenommen endend. Es folgte das erst 1961 in Prag wiederentdeckte erste frühe Konzert für Cello und Orchester in C-Dur von Joseph Haydn, wohl für den ersten Cellisten der Esterházy-Hofkapelle geschrieben. Hier spielte es der junge iranische Cellist Kian Soltani – als junger Wilder dem Konzerthaus Dortmund verbunden. In den beiden Ecksätzen zeigte er im eher spätbarocken Wechsel zwischen Solo-Partien und Orchester schwungvolle Geläufigkeit – im sensiblen Adagio melodisches Können.

Zum Schluß erklang Beethoven´s vierte Symphonie in B-Dur op. 60 – als eher heiteres Werk auch wegen der etwas kleineren Besetzung der Freude über die Wiedereröffnung des Konzerthauses angemessen. Dabei verstand es die Dirigentin großartig, das Orchester die langsame Adagio-Einleitung fast impressionistisch spielen zu lassen, wodurch der Übergang zum sehr zügig gespielten ersten Satz umso spannungsreicher wurde. Im wunderbar melodischen Adagio – der Klarinette sei besonders gedankt - wurde der gegensätzliche dauernd pochende Rhythmus sehr deutlich. Menuett und Finale machten im passenden zügigen Tempo nur noch Freude für die Zuhörer. Diese zeigte sich dann auch im Schlußapplaus und Bravos, die sich viel stärker anhörten, als es die geringe Besucherzahl erwarten ließ

 

Sigi Brockmann 8. Juni 2020

Fotos Pascal Amos Rest

 

 

Frau ohne Schatten konzertant

20. Februar 2020

 

Zuletzt war die Oper Die Frau ohne Schatten – Dichtung von Hugo von Hofmannsthal - Musik von Richard Strauss - in Dortmund in der Spielzeit 1975/76 zu erleben. (Premiere 27.09.75) In Erinnerung blieben bis heute die musikalische Leitung des damaligen GMD Marek Janowski und die farbigen, märchenhaften, dem Jugendstil nachempfundenen Bühnenbilder und Zwischenvorhänge von Hans Schavernoch.

Wenn für vergangenen Donnerstag diese Oper im Konzerthaus konzertant angekündigt war, ergab sich vorweg doch die Frage, ob diese in einem sagenhaften fernöstlichen Inselreich spielende Handlung vom Schatten als Symbol weiblicher Fruchtbarkeit mit den vielen Zauberspukereien und häufigen Ortswechseln (allein fünf im zweiten Aufzug) ohne Bühne und Theaterspiel nachvollziehbar werden könnte.

 Angestachelt durch ihre tückische Amme will die Kaiserin zur Rettung des Kaisers vor der Versteinerung , beide ein märchenhaft-übermenschliches Paar, einen Schatten kaufen von der Frau zum Schaden ihres Mannes, des Färbers Barak, ein menschliches Paar. Nach bestandener Läuterung beider Paare durch Selbstüberwindung gibt es insofern ein happy end, daß beide einen Schatten werfen und die irgendwo schon wartenden Ungeborenen nun durch den Liebesakt der Paare ins körperliche Leben gelangen können, weshalb dieser nicht nur Vergnügen sein darf. Diese strenge Sexualmoral fordert von seiner Tochter, der Kaiserin, und ihrem Kaiser der mächtige Geisterfürst Keikobad.

Dieser betritt aber gar nicht die Bühne, sondern wird vor Beginn der Handlung und immer wieder durch ein seinem Namen nachempfundenen düsteres Motiv der Tuben und dunklen Akkorden der Bläser angekündigt, ähnlich wie Agamemnon in der Elektra.

Die Bühne betraten und verliessen entsprechend der Handlung vor dem riesig besetzten Rotterdam Philharmonic Orchestra unter Leitung von Yannick Nézet-Séguin  dafür Sängerinnen und Sänger, wie sie etwa für die fünf Hauptpartien passender kaum zu finden sind. 

Da ist zunächst zu nennen Michaela Schuster in der Rolle der Amme. Nicht nur meisterte sie die gesanglichen Herausforderungen der stimmlich irrlichternden Partie technisch perfekt, sogar bis hin zum tiefen zu Stein, sondern sie machte auch stimmlich ihr tückisches Wesen deutlich zwischen Ankündigungen kommenden Unheils gegenüber der Kaiserin, Schmeicheleien gegenüber der Färberin und schließlich Verzweiflung über ihre endgültige Verbannung zu den Menschen - eine alte schwarz und weiß gefleckte Schlange, wie die Kaiserin ihre Amme zu Recht nennt. Dabei war sie soweit möglich textverständlich und machte durch Gestik und Körpersprache mehr als alle anderen Mitwirkenden auch szenische Andeutungen, selbst dann, wenn sie selbst nicht sang.

Die für die Handlung entscheidende Partie der Frau, also als Menschenfrau des Färbers Barak, also der Färberin, gestaltete mit hochdramatischem Sopran Lise Lindstrom. Dabei gab sie stimmlichen Ausdruck sowohl der frustrierten Ehefrau in dem wie sie glaubt engen Lebensraum im Färberhaus, der hysterischen Reaktion auf die angeblichen Stimmen der ungeborenen Kinder wie auch die mit triumphierenden Spitzentönen dargestellte Phantasie, Barak betrogen zu haben, den sie doch immer noch liebt. Dies erkennt sie erst, als er sie als Reaktion bestrafen will und so gab sie auch diesem Sinneswandel mit langen Spitzentönen Ausdruck. Da fragte man sich, wo sie die Kraft zu solch dramatischem Gesang hernahm, traf doch fast auf sie zu der Ausspruch der Amme von der Schlankheit des ganz jungen Palmbaums.

Die Partie der Kaiserin ist stimmlich lyrischer angelegt, aber ihr Stimmungswandel ebenso dramatisch. Dies wußte Elza van den Heever mit vielen passenden stimmlichen Nuancen zwischen Koloraturen, Legatopassagen und zurückgenommenem p, etwa bei ihrem Monolog im ersten Aufzug,  auszudrücken. Höhepunkt war im zweiten Akt, wo sie erkennt, daß sie durch ihr Verhalten Schuld auf sich geladen hat sowohl gegenüber dem liebenswerten Barak, dem sie seine Frau zwecks Erlangung ihres Schattens entfremdete, als auch dem Kaiser gegenüber, den sie durch die Kinderlosigkeit versteinern ließ. Da traf sie die hohen Spitzentöne, auch ohne Orchesterbegleitung, da gelang im dritten Akt der stimmliche Sprung über zwei Oktaven bei Schwelle des Todes, Sprechgesang beim Anblick des versteinerten Kaisers und schließlich auch ohne Orchester ihr gewaltiger stimmlicher Schrei Ich will nicht, mit dem sie den Kaiser rettet.

Dieser wurde gesungen von Stephan Gould mit gegenüber dem grossen Orchester gewohnt mächtigem Heldentenor, grossen Legatobögen und wo nötig zurückgenommenem p. Seine beiden grösseren Monologe sang er ohne Noten. Zu seinem Hit wurde  Falke du wiedergefundener, wo er die Untreue der Kaiserin – ihren Weg zu Menschen – bemerkt und es nicht über sich bringt, sie zu töten.

Dem sympathischsten Charakter der Oper und dem einzigen, der als Barak  namentlich genannt wird, verlieh Michael Volle seinen edlen Bariton. Glück strahlte er stimmlich aus, wenn er arbeiten und für andere sorgen konnte – eben auch für seine künftigen Kinder und deren Mutter, und so wurde sein Hit Mir anvertraut, daß ich sie hege, zu einem Höhepunkt. Daß er zu Beginn des dritten Aktes zwar mit der Färberin im Duett sang, die beiden aber nicht voneinander wissen durften und sich nicht hören sollten, war natürlich bei der konzertanten Aufführung nicht darzustellen.

Alle weiteren kleinen Gesangspartien waren passend besetzt, so auch die stets mehrstimmig singenden Brüder Baraks mit Andreas Conrad, Michael Wilmering und Nathan Berg.

Die hymnischen Sentenzen der Wächter zum Ende des ersten Aufzugs übernahmen die Herren, die Stimmen der Dienerinnen die Damen und die der Menschen der gesamte Rotterdam Symphony Chorus, der auf der Tribüne hinter dem Orchester platziert war. In gleicher Höhe rechts neben dem Orchester erfreute der WDR Kinderchor Dortmund mit den Stimmen der Ungeborenen, dies besonders zum versöhnlichen Schluß im Zusammenklang mit allen Gesangssolisten.

Diese mußten manchmal alle ihre Stimmkraft vielleicht mehr als gewohnt nutzen, da das grosse Orchester nicht unter ihnen im Graben, sondern hinter ihnen platziert war. Für den Zuhörer ergab sich daraus die Gelegenheit, besser als sonst das Geflecht der mehr als dreissig Motive und die raffinierte und einprägsame Instrumentierung von Richard Strauss, sogar etwa auch unter Einsatz des chinesischen Gongs, zu bewundern. Dies galt vor allem für die Zwischenspiele, etwa im ersten Aufzug zum Wechsel vom Geisterreich zum Färberhaus oder bei den vielen Ortswechseln im zweiten Aufzug. Besonders eingängig zu hören waren etwa die Motive von Er wird zu Stein oder die hohen Töne mit Vorhalt der Flöten als Rufe des Falken, der auch einige Male von links oben mit menschlicher Stimme sang (Katrien Baerts)   Als Zeichen der gewaltigen Macht Keikobads waren zusätzlich sechs Posaunen auf der Empore neben dem Chor eingesetzt, wenn er etwa als Richter fungierte. Diesen gewaltigen Apparat von Mitwirkenden leitete Yannick Nézet-Séguin überlegen mit sorgfältig sich bis zu grossen Tempo steigernder Dynamik und exakten Bewegungen, wie man sie ja im Orchestergraben nicht so hätte verfolgen können. Auch viele instrumentale Soli waren besser zu hören, etwa das Solofagott zu Beginn des dritten Aufzugs oder der wunderbare Gesang des Solocellos beim wiedergefundenen Falken des Kaisers. Für die   Soli der ersten Violine, besonders im dritten Aufzug vor dem Monolog der Kaiserin, war die erste Konzertmeisterin, Marieke Blankestijn, besonders zu bewundern.

Nach dem p-Schluß der Oper brauchte es nur ganz kurze Zeit, bis im praktisch ausverkauften Haus, wie auch schon nach den ersten beiden Aufzügen, begeisterter Jubel, Bravi, Beifall des Publikums erschollen, so ungefähr nach dem Motto Baraks Nun will ich jubeln wie keiner gejubelt.

 

Sigi Brockmann 22. Februar 2020

Fotos Petra Coddington

 

PS Am nächsten Sonntag kann das ganze nachmittags in Rotterdam im Konzertsaal de Doelen nochmals gehört werden

 

 

 

 

 

 

19. Januar 2020

Mozart-Matinée - ein wenig Mozart dafür Tschaikowski und Beethoven

Württembergische Philharmonie Leitung   F. Haimor - J. Moog Klavier

Mit einem wenn auch kurzen Werk des Namensgebers der Veranstalterin eröffnete die Württembergische Philharmonie Reutlingen unter Leitung ihres seit 2017 in dieser Position tätigen amerikanischen Dirigenten Fawzi Haimor die Mozart-Matinée am vergangenen Sonntag im bis zum obersten Rang ausverkauften Konzerthaus Dortmund. In grosser Orchesterbesetzung wurde die Ouvertüre zu Don Giovanni gespielt. Kräftig erklangen die Anfangsakkorde, deutlich wurde das Crescendo der chromatisch ansteigenden und abrupt ins p zurückgenommenen Moll-Tonleitern. Das folgende Allegro wurde zügig aber nicht zu hastig gespielt.

Mozart´s Don Giovanni bezeichnete Peter Iljitsch Tschaikowski als die größte alle Opern. Das merkt man nicht unbedingt in seinem im Konzertprogramm folgenden populären ersten Konzert für Klavier und Orchester in b-moll op. 23. Während das wichtigste Ziel der Mozart-Matinéen in der Nachwuchsförderung besteht, indem junge Stipendiaten die Möglichkeit erhalten, solistisch mit professionellen Orchestern aufzutreten, wurde jetzt mit Joseph Moog ein früherer Stipendiat (2008) engagiert, der inzwischen eine erfolgreiche Karriere absolviert hat. Das hörte man gleich an der Wucht, mit der er die einleitenden Des-Dur Akkorde des ersten Satzes begleitet durch das volle Orchester spielte, auch im Tempo passend zur Satzbezeichnung molto maestoso.

Danach gelangen ihm donnernde Oktavketten, perlende Läufe und behende die Klaviatur herauf- und heruntergespielte gebrochene Akkorde. Geheimnisvoll bereiteten die Bläser das auf den letzten beiden von drei Triolentönen springende Thema vor – angeblich das Lied eines russischen Bettlers. Daß er auch ausdrucksvoll lyrisch spielen konnte, zeigte - wieder nach Bläservorbereitung - das zweite Thema dolce e molto espressivo. Beide pianistischen Fähigkeiten konnte er dann in der grossen Kadenz zu Ende des ersten Satzes verbinden. Auch der zweite Satz beginnt ja gesanglich. Zu den sordino-pizzikato spielenden Streichern blies die erste Flötistin ausdrucksvoll das melodiöse Hauptthema, bevor das Klavier dieses fast ebenso melodiös übernahm, wie es später auch zu getupften Akkorden des Klaviers von zwei Solocellisten gespielt wurde. Im prestissimo – Mittelteil, angeblich über ein französisches Volkslied, konnte der Pianist dann wieder sein technisches Können vorführen. Dies galt natürlich auch oder noch mehr für den letzten Satz, der fast mehr Presto con fuoco als wie vorgeschrieben Allegro con fuoco erklang.Trotzdem klappte wie schon vorher das Zusammenspiel zwischen Pianist und Orchester, auch dank häufigen Blickkontakts zwischen den beiden. Das häufig wiederkehrende Thema dieses Satzes soll an russische Tänze erinnern. In Zwischenspielen nutzte der Pianist die Möglichkeit, brillant durch die auf den Tasten tanzenden Finger tänzerische Klänge darzustellen. Nach dem pompösen Schluß – fff für das Klavier – gab es natürlich riesigen Beifall, für den sich Joseph Moog mit einer étude tableau von S. Rachmaninoff bedankte, dies, obwohl er noch am selben Tage im Konzerttheater Coesfeld ein Solo-Konzert immerhin mit u.a. Liszt´s h-moll Sonate und Ravel´s Gaspard de la nuit vor sich hatte.

Mit einer vom Vater unser abgeleiteten für 2020 geltenden ironischen Bitte um unseren täglichen Beethoven begann die Wiener Zeitung das Neue Jahr. Beim gestrigen Konzert war es dessen dritte Sinfonie in Es-Dur op. 55 die Eroica, die dem Orchester in einer ausgefeilten Darstellung gut gelang, dies, ohne durch interpretatorische Mätzchen oder aussermusikalische Einflüsse wie etwa durch wechselnde Beleuchtung auffallen zu wollen. Nach den wuchtigen zwei Orchesterschlägen zu Beginn erklang die Dreiklangsmelodie des ersten Satzes beschwingt – er steht ja im Dreivierteltakt – aber nicht überhastet. So konnte dann nach dem ruhigeren zweiten Thema die grosse Steigerung zu den vielen rhythmisch exakt gespielten sf-akkorden zum dramatischen Höhepunkt werden. Dank sei den Hörnern, daß man deren von Beethoven komponierten  zu frühen Einsatz des Hauptthemas vor der eigentlichen Reprise deutlich hörte. Nach den abschliessenden Tutti-schlägen des Orchesters brauchte es eine Pause, bis die Violinen mit ganz zurückgenommenem pp das erste Thema des berühmte Trauermarsches spielten, das dann von der Oboe so ausdrucksvoll aufgenommen wurde.

Das Tempo war so gewählt, daß man sich langsames Schreiten vorstellen konnte. Die fanfarenartigen Höhepunkte und der dem Beginn entsprechende pp-Schluß beeindruckte offenbar das Publikum sehr, man vernahm überhaupt kein Husten. Zu Beginn des dritten Satzes – Scherzo – dauerte es einige Takte, bis sich die Streicher zum pp-staccato zusammenfanden, aber dann klappte es umso besser. Wieder waren es die Holzbläser, die die rasche Bewegung thematisch ergänzten. Dagegen konnte im Trio das Hörnerterzett mit wohltönenden Jagddreiklängen überzeugen. Im Finale beeindruckte zunächst der dynamische Gegensatz zwischen p-pizzicato der Streicher und ff-Schlägen des ganzen Orchesters. Genau zu hören waren später die polyphonen und Fugato-ähnlichen Entwicklungen des Hauptthemas. Beeindruckend gelang dann der Übergang zum langsameren Abschnitt, wo wiederum die Holzbläser das verbreiterte Thema ausdrucksvoll hören liessen. Nachdem im abschliessenden Presto dieses Thema triumphal und hymnisch die Sinfonie beendete, setzte spontaner starker Beifall des Publikums ein, berechtigter Dank an Orchester und Dirigent für diese die Vorlieben vor allem des älteren Publikums erfüllende Matinée.

 

Sigi Brockmann 20. Januar 2020

Fotos Melanie Graas Fotodesign

 

 

Mozart-Matinée

3. November 2019

Novosibirsk Philharmonic Orchestra - Thomas Sanderling – Laura Boschkor Violine

Fast in der südlichen Mitte Rußlands am Fluß Ob und der transsibirischen Eisenbahn gelegen ist Novosibirsk mit immerhin fast 1,5 Million Einwohnern nach Moskau und Petersburg die drittgrößte Stadt des Landes. Neben anderen kulturellen Einrichtungen gibt es ein Opernhaus und seit mehr als sechzig Jahren das Novosibirsk Philharmonic Orchestra. Unter Leitung des international renommierten Dirigenten Thomas Sanderling – inzwischen ebenso berühmt wie sein 2011 mit 98 Jahren verstorbener Vater Kurt Sanderling – gastierten sie im Rahmen der Mozart-Matinée am Sonntag im Konzerthaus Dortmund in grosser Streicherbesetzung mit z.B. acht Celli und fünf Kontrabässen.

Begonnen wurde mit der Ouvertüre zu Collin´s Schauspiel Coriolan  op. 62 von Ludwig van Beethoven. Nach den eröffnenden langgezogenen Streicherunisoni hätte man sich die folgenden Tutti-Akkorde vielleicht noch entschiedener gewünscht, wobei insgesamt für das Allegro con brio ein verhältnismässig langsames Tempo gewählt wurde. Als Kontrast erklang dafür das elegische Es-dur Seitenthema umso kantabler, wobei die Einsätze von Klarinette und der dann folgenden Holzbläser hervorgehoben werden müssen .Ergreifend gelangen die abschliessenden pp-pizzicato Töne als Zeichen des Scheiterns.

Eine der Aufgaben der Mozart-Gesellschaft Dortmund ist bekanntlich, durch Stipendien musikalischen Nachwuchs zu fördern und diesen Stipendiaten in den Matinéen die Möglichkeit eines Auftritts mit grossen Orchestern zu ermöglichen. Hier war es die erst zwanzigjährige aber schon mit vielen Preisen ausgezeichnete Geigerin Lara Boschkor, der als Belohnung für einen dieser Preise eine Violine von C. A. Testore zur Verfügung gestellt wurde. Damit spielte sie eines der Hits unter den Violinkonzerten, nämlich das in e-moll op. 64 von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Das kantable Anfangsthema des ersten Satzes gelang ebenso wie die schnelle Triolenbegleitung, wenn das Orchester die Themen übernahm, ebenso die grossen Oktavprünge, auch der Riesensprung zum pp hin. Lange Triller gelangen zusätzlich in der Kadenz, die bekanntlich in diesem Konzert mitten in den ersten Satz platziert ist. Im zweiten langsamen Satz bestaunte man ihre Doppelgriffe. Im letzten Satz zeigte sie sehr virtuos, auch mit langen Trillern und Doppelgriffen leggiero gespielt die Eleganz, die diesen Satz so einmalig macht. Das Orchester begleitete zuverlässig, wobei es nur selten zu einem Blickkontakt des Dirigenten zur Solistin kam. Hervorzuheben sind wiederum die Holzbläser, so das Solo-Fagott in der Überleitung vom ersten zum zweiten Satz, Klarinetten und Fagotte im zweiten Satz und natürlich die virtuosen Flöten und Holzbläser im letzten Satz. Insbesondere die von der Solistin und dem Orchester effektvoll gestaltete Koda des letzten Satzes regte das Publikum zu starkem Applaus und Bravos an.

Nach der Pause standen Musikstücke des Namensgebers der Gesellschaft , Wolfgang Amadè Mozarts, auf dem Programm. Die Zahl der Streicher war unverändert groß, trotzdem stimmte die akustische Balance zu den zahlenmässig so sehr unterlegenen Bläsern.

Spritzig und aufmüpfig erklang zuerst die Ouvertüre zu Figaros Hochzeit, es folgte die 36. Sinfonie in C-Dur KV 425, die sogenannte Linzer Sinfonie. Der Beiname stammt bekanntlich daher, daß Mozart für ein Konzert in Linz ganz schnell eine neue Sinfonie schreiben mußte. Im Gegensatz zu heute wollten die Konzertbesucher damals vor allem neue und keine älteren Werke hören!

Trotz dieser kurzen Kompositionszeit wurde es ein Meisterwerk, gegenüber vielen anderen Sinfonien Mozarts schon dadurch besonders, daß dem ersten Satz in der Tradition Haydns ein langsames Adagio vorangestellt wurde. Hier konnten wiederum die Holzbläser ihr Können beweisen. Im schnellen Teil wurden die ungewöhnlichen Wechsel zwischen strahlenden Dur- und etwas abgedunkelten Moll – Teilen deutlich. Ausserdem wurde recht eindringlich das fünftönige rhythmische Motiv herausgehoben, das zuerst als Begleitfigur erscheint, dann aber fast den gesamten Schluß beherrscht. Den im 6/8 Siciliano-Takt singenden zweiten Satz kann man vielleicht etwas rascher nehmen, dafür klagen die hier ungewöhnlichen Trompeten umso eindrücklicher. Für das folgende Menuett wurde das passende etwas derb-klingen Tempo gewählt. In seinem Trio konzertierten Oboe und Fagott ganz intim zusammen mit der Melodie der Violinen.

Im letzten Satz bedauerte man vor allem an einer Stelle, daß das Orchester in der sog. amerikanischen Aufstellung spielte, also erste Violinen links, dann zweite Violinen und rechts Bratschen und Celli. Mozart fügt dort nämlich ein kurzes Fugato ein. Wenn erste und zweite Violinen in der sog. deutschen Aufstellung vorne links und rechts platziert wären, hätte man dieses kurze Fugato besser von ersten zu zweiten Geigen akustisch verfolgen können. Trotzdem wurde insgesamt dieser Satz so brillant gespielt, auch etwa mit Betonung der sforzati auf eigentlich unbetonten Taktteilen und der abschliessenden Verbreiterung des Hauptthemas, daß das Publikum wiederum dem Dirigenten, einzelnen Solisten und dem gesamten grossen Orchester so lange Beifall klatschte, daß als Zugabe das Menuett wiederholt wurde

Bezeichnend für die Anspannung im heutigen Musikbetrieb ist die Tatsache, daß das Violinkonzert mit derselben Solistin und demselben Orchester abends in Quakenbrück im Eröffnungskonzert der Quakenbrücker Musiktage nochmals aufgeführt wurde.

 

Sigi Brockmann 4. November 2019

Fotos Mozart-Gesellschaft Dortmund

 

 

Gustav Mahler Sinfonie Nr. 9

Aufführung am 2. Juli 2019

 

Vor ziemlich genau einem Jahr wurde im Konzerthaus Dortmund mit dem geforderten riesigen Aufwand die 8. Sinfonie (Sinfonie der Tausend) von Gustav Mahler aufgeführt. .

Wie ganz ähnlich Richard Strauss nach Elektra und Arnold Schönberg nach den Gurre-Liedern wurde es danach auch Mahler deutlich, daß durch weitere Vergrösserung des orchestralen und stimmlichen Apparates keine zusätzliche Steigerung der musikalischen Aussage möglich war,. So ließ er mit einem Orchester, das er im spätromantischen Sinne wohl für normal groß ansah, auf die 8. das Lied von der Erde und als letztes von ihm vollendetes Werk (Fluch der Nummernbezeichnung?) die 9. Sinfonie folgen. Diese wurde am vergangenen Dienstag aufgeführt wieder von den Dortmunder Philharmonikern unter Leitung von GMD Gabriel Feltz.

Für eine Sinfonie ist schon stilistisch ganz ungewohnt , daß alle vier Sätze in verschiedenen Tonarten komponiert wurden,.

Gleich zu Beginn des ersten Satzes Andante comodo in D-Dur spielten die Hörner bewundernswert weich zusammen mit den zweiten Violinen die bestimmenden Themen dieses Satzes. Verglich man das mit den grellen Tönen, die von denselben Hörnern, und auch den Posaunen, im Laufe des Satzes gepresst klangen, zeigte sich die Bandbreite, mit der sie ihre Instrumente beherrschten. Zweimal steigert sich das auftrumpfende zweite Thema zu grossen dynamischen Aufschwüngen, zu denen der Dirigent mit gewohnt präziser Zeichengebung die Massen des Orchesters anstachelte. Dies galt besonders für den zweiten Höhepunkt, wo Mahler für alle Instrumente einschließlich Tamtam-Schlag mit höchster Gewalt vorschreibt, da bebte das Konzerthaus. Der Gegensatz dazu durch den folgenden Trauermarsch (ein schwerer Kondukt schreibt Mahler) wurde durch zurückgenommenes Tempo, auch etwa dank des rhythmischen Schlags der Pauke und tiefen Glocken, umso deutlicher. Wo Mahler danach misterioso vorschreibt, war das Duett zwischen Soloflöte und Solohorn sehr gelungen.

Im folgenden zweiten Satz hörte man den Ländler wohl gemächlich,, aber doch einigermassen rasch, was den Gegensatz zu später verstärkte, wo derselbe Ländler ganz langsam gespielt wurde..   Dazwischen und kurz vor Schluß erklang recht schwungvoll Walzerrhythmus, der dann diesen übertreibend zu einer Karikatur des Walzers entartete, bevor auch dieser Satz zu den Resten des beginnenden Ländlers hoffnungslos in sich zusammenfiel.

Knifflig für Orchester und Dirigent ist der dritte Satz – u.a. sehr trotzig überschrieben, der wiederum recht zügig erklang. Das auftaktige Trompeten-Anfangsthema war rhythmisch exakt immer durchzuhören., schwieriger war es manchmal, in den folgenden Fugato-Abschnitten die einzelnen Stimmen zu unterscheiden. Der idyllische Mittelteil war dann auch im Tempo und dynamisch ganz gegensätzlich, wodurch das für den letzten Satz so bedeutsame entfernt an einen Doppelschlag-Triller erinnernde Thema in seinen verschiedenen instrumentalen und harmonischen Veränderungen bis zur hymnischen Steigerung ergreifend erklang. Einmal wurde dieses Thema gespielt von der Solo-Bratsche, hier hatte der nach mehr als 40-jähriger Tätigkeit mit dieser Spielzeit aus dem Orchester ausscheidende Roman Nowicki nochmals einen besonderen Auftritt. Sehr gelungen war der allmähliche Übergang von dieser Idylle zur burlesken Musik des Satzanfangs, die dann in einem rasanten grotesken Presto den Satz beendete.

Das folgende Adagio – einen Halbton tiefer als der erste Satz in Des-Dur geschrieben – war zu Beginn ein wahrer musikalischer Ohrenschmaus, weil zunächst die Streichinstrumente das Thema aus dem dritten Satz und ein neues Thema klanglich prägten, vom Platz des Verfassers aus klangen die sechs Kontrabässe besonders sonor. Ganz beeindruckend gelang die Stelle, wo das Kontrafagott für einige Takte mit den Celli konzertierte. Zum Höhepunkt hin zelebrierten Dirigent und Orchester förmlich das Hauptthema. Danach folgte Wechsel zu melancholischer Abschiedsstimmung ähnlich dem letzten Teil des Lieds von der Erde.  Beherrschend für diesen einzigartig traurigen Schlußsatz blieb aber dessen schmerzliches Ende, in dem sich die Musik langsam ins Nichts auflöst. Die Violinen spielten wie schon im dritten Satz die ganz langen ganz hohen Töne im ppp gut gehalten und ergreifend. Als mit den letzten drei Bratschentönen im Zusammenklang mit Geigen und Celli die Sinfonie ersterbend schloß, - passend zum vom Veranstalter ausgesuchten Titel dieses Konzerts Ewige Heimkehr - dauerte es dank der Wirkung dieses Schlusses einige Zeit, bis Beifall im fast ausverkauften Konzerthaus einsetzte, der dann immer stärker wurde, als der Dirigent diesen entgegennahm und die einzelnen Solisten und Instrumentengruppen hervorhob.

 

Sigi Brockmann 3. Juli 2019

Photo (c) Dortmunder Philharmoniker

 

 

Die Perlenfischer

Klangvokal Musikfestival   - Konzerthaus 31. Mai 2019

 

Bei Ihrer Oper Die Perlenfischer (les pêcheurs de perles) hatten Georges Bizet und seine Textdichter Michel Carré und Eugène Cormon wohl kaum an ein sozialkritisches Drama gedacht, in dem Ausbeutung von Bewohnern der Welt angeklagt wird. (Nur einmal, im langsamen Teil des Eingangschors, singen die Männer vom Kampf gegen den Tod (braver la mort) Auch waren nicht beabsichtigt Erinnerungen von Senioren im Heim, vielleicht passt noch eher eine TV.-Serien nachempfundene Aufbereitung.

Dies alles haben uns kreative Regisseure in letzter Zeit mit Hilfe dieser Oper darstellen wollen.

Im Gegensatz zum Titel, der ja eigentlich heissen  müßte Perlentaucher, wird nämlich kaum das Schicksal einer Berufsgruppe dargestellt, sondern doch eher eine konventionelle (Opern-)Handlung – die Oper sollte auch erst Léïla heissen. Quasi als Dekoration spielt sie wegen der Begeisterung des damaligen Publikums für den Exotismus auf Ceylon in einem pseudo-hinduistischen Ambiente. Obwohl befreundet lieben nämlich Tenor (Nadir - Jäger) und Bariton (Zurga - Perlenfischer) dieselbe Sopranistin (Léïla - jungfräuliche Tempelpriesterin) Darunter soll die Männerfreundschaft trotzdem nicht leiden, was natürlich mißlingt. Großmütig verzichtet der Bariton und ermöglicht unter Opferung des eigenen Lebens das Liebesglück von Sopran und Tenor.

Daß Bizet dafür bereits zwölf Jahre vor Carmen publikumswirksame Arien und Ensembles angelehnt an italienische Vorbilder sowie mächtige Chorszenen zu teils schon individuellen Harmonien komponieren konnte, zeigte jetzt eine konzertante Aufführung der Oper als einer der Höhepunkte des Klangvokal Musikfestivals in Dortmund. Friedrich Haider leitete die Aufführung mit dem WDR Funkhausorchester und dem WDR Rundfunkchor einstudiert von Robert Blank.

Unter den Gesangssolisten hinterliess den nachhaltigsten Eindruck Ekaterina Bakanova mit ihrem für französische Oper passenden helltimbriertem Koloratursopran als Léïla. Schon beim Auftrittslied mit Chor (dieser fast im Walzertakt singend) bewunderte man Koloraturen und Triller. Dies galt noch mehr in Rezitativ und Kavatine im zweiten Akt wo sie alleingelassen schon die Nähe des geliebten Nadir ahnt (Me voila seule dans la nuit -allein in der Nacht) mit langen Legato-bögen im p, genau getroffenen Spitzentönen sowie Koloratur und Triller zum Schluß – einem der Hits der Oper. Insgesamt merkte man ihr an, daß sie die Rolle gerade szenisch in Barcelona dargestellt hat.

Die Rolle ihres geliebten Nadir hatte wegen Erkrankung des ursprünglich vorgesehenen Tenors kurzfristig Sergey Romanovsky  übernommen, der die Partie szenisch kürzlich in Zürich gesungen hat. Schon in seiner ersten Romance in der er sich an die Stimme der geliebten Léïla erinnert, (jc crois entendre encore (ich glaube noch zu hören) - auch ein Hit der Oper - hörte man in italienischem Gesangsstil artikulierte Legato-Bögen, und er schaffte es, zum Schluß die hohen Spitzentöne wie vorgeschrieben pp – smorzando zu singen. Das galt auch für den leisen (aus der Ferne) Solo-Beginn des Duetts des Wiedersehens mit seiner Geliebten, in dessen Verlauf beiden gleichzeitig aufeinander abgestimmte Spitzentöne gelangen, um dann gemeinsam sehr leise zu schliessen mit doux moment (süsser Augenblick).

Auch für die Partie des Zurga mußte kurzfristig ein Ersatz gefunden werden – diese Aufgabe übernahm mit mächtigem Bariton und mehr textverständlich als die anderen Sänger David Bisic.   

Im grossen Duett mit Nadir über die Erneuerung ihres Freundschaftsschwurs (Jurons de rester amis) – fast der bekannteste Hit der Oper -  paßte er sich stimmlich seinem Partner an. Bei der folgenden Ankündigung des Erscheinen Léïlas hatte er etwas Schwierigkeiten mit den hier geforderten tiefen Tönen. Auch hätte man sich die Stimme flexibler vorstellen können, etwa mit unterschiedlichem Timbre zwischen Freundschaftsschwur und Rachegelüsten. 

Wie in vielen Opern des 19. Jahrhunderts stiftet ein Priester Unheil. Hier ist es Nourabad, Großpriester des Brahma, gesungen von Luc Bertin-Hugault. Seinen tiefen Bass hätte er allerdings manchmal mit mehr mächtig-drohendem Ausdruck versehen können, wenn er etwa das Liebespaar überrascht oder den Chor gegen dieses aufhetzt.

Der WDR Rundfunkchor, war in grosser Besetzung hinter dem Orchester platziert. Wenn es nur um die Perlenfischer ging, war natürlich der Herrenchor gefordert, etwa wenn sie Zurga zu ihrem Anführer wählen. Diese Wahl ist eingebettet in einen getanzten Damen- und Herrenchor (Choeur dansé), sogar begleitet von Kastagnetten, wo er mit dem rasanten Tempo des Dirigenten kaum Schritt hielt. Ansonsten klang er mal mächtig zum Lobe Brahmas – da wurde die Saalbeleuchtung heller. Zeigen konnte er sein Können besonders beim Racheschwur gegen das verräterische Liebespaar (Allegro feroce - auch eigentlich ein getanzter Chor) und mehrstimmig bei Aufzug des Gewitters als Reaktion des Gottes auf die verbotene Liebe (Ô nuit d´épouvante - - O Nacht des Grauens)

Das WDR Funkhausorchester und alle beteiligten Sänger trieb Dirigent Friedrich Haider zu teils rasanten Tempi an, was manchmal zu kleinen Ungenauigkeiten führte. Auch Ruhepunkte wie gleich die einleitende Introduction kamen zu ihrem Recht. Bei den grossen Ensembles waren Orchester und Chor manchmal zu laut, sodaß die Solisten kaum zu hören waren – vielleicht mit Ausnahme dess Soprans.

Die Qualität des Orchesters zeigte sich an den zahlreichen Soli einzelner Instrumente. etwa des Horns bei Begleitung von Léïla´s Kavatine, einem Solo-Streichquartett beim Auftritt der eigentlich verschleiert sein sollenden Léïla. Soli von Cello und einzelnen Holzbläsern seien ebenfalls erwähnt. 

Nach dem grandiosen Schlußterzett(Zurga legt Feuer, ermöglicht dadurch die Flucht der Liebenden) und dem aus der Ferne ertönenden Schlußduett der Liebenden applaudierte das Publikum im fast ausverkauften Konzerthaus den Solisten, dem Chor mit seinem Leiter, Orchester und Dirigenten lang anhaltend mit Bravos und, wie heute üblich, auch stehend.

 

Sigi Brockmann 1. Juni 2019

 

 

Arielle die Meerjungfrau – Live in Concert

Aufführung im Konzerthaus Dortmund: 20.04.2019

Ein musikalischer Traum „unter dem Meer“

Wer kennt ihn nicht, den großen Disney Filmerfolg „Arielle die Meerjungfrau“ mit dem die Disney Studios im Jahr 1989 große Erfolge feiern konnten. Gleichzeitig war der Film, der auf dem Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ von Hans Christian Andersen basiert, der Wiederbeginn des klassischen Musicalstils bei den großen abendfüllenden Disneyfilmen. Zudem war es der erste Disney-Film mit der Musik von Alan Menken, viele weitere Filme, acht Oscars und diverse weitere wichtige Preise sollten folgen. Auch Produzent Howard Ashman wirkte am musikalischen Gelingen des Films mit. Neben den vielfach bekannten Songs aus dem Film, fällt bei diesem Konzert besonders auf, das der Film bis auf wenige Minuten komplett musikalisch unterlegt ist. Daher eignet er sich auch besonders gut, ihn zum 30. Geburtstag erstmals auf Großbildleinwand in die Konzertsäle zu bringen, wo die wunderbare Musik live von einem großen Orchester gespielt wird.

Diese Aufgabe übernahm das Deutsche Filmorchester Babelsberg unter der musikalischen Leitung von Christian Schumann bravourös. Welchen Klangteppich die über 60 Musiker hier über rund 2 x 45 Minuten erzeugen ist absolut beeindruckend. Besonders die großen Szenen im Meer oder die großen Stürme entwickeln in der Kombination von den Filmbilder mit dem großen Orchester einen ganz besonderen Moment. Nicht weniger beeindruckend ist es, wie dem Orchester über den gesamten Abend diese absolute Übereinstimmung von Ton und Bild gelingt. Unterstützt wird Christian Schumann bei seinem Dirigat hier durch einen Monitor vor dem Notenpult, auf dem der Film zu sehen ist in Verbindung mit Hinweisen auf die jeweils folgenden Einsätze. Sicherlich auch keine leichte Aufgabe hier den Blick zwischen dem Monitor und dem Notenmaterial entsprechend aufzuteilen.

Verwendet wird übrigens die ursprüngliche deutsche Synchronisation, welche von einem Großteil der Disney-Fans als deutlich besser als die 1998 entstandene Neusynchronisation eingestuft wird, bei der aus dem beliebten „Unter dem Meer“ u. a. ein „Unten im Meer“ wurde und das Lied „Küss sie doch“ einen komplett neuen Text erhielt. Weitere Pluspunkt der alten Version ist der unvergessene Edgar Ott als Arielles Vater König Triton. Mit Edgar Ott sind ganze Generationen hierzulande im Kinderzimmer aufgewachsen, sprach er doch u. a. von 1977 bis 1994 die Rolle des Benjamin Blümchen auf diversen Hörspiel-Kassetten bzw. später Hörspiel-CDs. Die Lieder der Arielle werden in der verwendeten Erstsynchronisation zudem von Ute Lemper gesungen. Will man eine Kleinigkeit kritisieren, ist es vielleicht der im Vergleich zur Musik etwas leise geratene Ton bei der Einspielung der Sprechtexte, allerdings geht es hier ja in erster Linie auch um die wunderbare Musik, die an diesem Nachmittag besonders zur Geltung kommt.

Und zu verstehen sind die Sprechtexte ja auch noch gerade eben, für alle Zuschauer, die den Film bei dieser Art von Aufführung vielleicht wirklich zum ersten Mal sehen sollten. Das Deutsche Filmorchester Babelsberg schafft es, hier eine bleibende Erinnerung zu schaffen, die die sicherlich teilweise auch recht ordentlichen Eintrittspreise bei dieser Disney-Concerts-Aufführung rechtfertigt.

Markus Lamers, 21.04.2019
Bilder: © Disney

 

 

ELEKTRA

am 17. März 2019

Grandioses Opernerlebnis

In seiner Elektra folgte Textdichter Hugo von Hofmannsthal weitgehend klassisch-griechischen Vorbildern, etwa Sophokles, darin, daß die Bühne oft nur eine Fassade oder einen Innenhof etwa eines Palastes darstellt und die dramatische Handlung wie Kampf, Hysterie und Mord nicht auf der Bühne dargestellt sondern zum grossen Teil in Monologen und Zwiegesprächen erzählt wird. Dadurch eignet sich diese Tragödie in einem Aufzuge  gut für eine konzertante Aufführung, in der abstruse Regiemätzchen nicht die grausame schauerliche Handlung verfälschen oder abmildern können.

Auf der anderen Seite wird insbesondere für die Sängerinnen die Aufgabe noch schwieriger, gegen das auf der Bühne platzierte Riesenorchester ansingen zu müssen. Erfand doch bekanntlich Richard Strauss anstelle des bei Sophokles die Handlung kommentierenden Chores einen gewaltigen Orchestersatz mit mehr aus vierzig dann noch variierten Motiven, das alles in kühnster Instrumentation und Harmonik. Weiter erschwerend kam vor allem für die drei grossen Frauen- Gesangspartien hinzu, daß gerade zwei Tage zuvor in derselben Besetzung auch mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada Elektra in der Alten Oper Frankfurt - vom Hessischen Rundfunk übertragen - aufgeführt worden war.Trotzdem geriet die Aufführung vor allem dank dieser drei zu einem grandiosen Opernerlebnis.

Für die Titelpartie verfügte Elena Pankratova  über die Riesenstimme, wie Strauss sie sich wohl für die allerhochdramatischste Sängerin vorgestellt hat. Ohne Schärfe und falsches Vibrato überstrahlten ihre Spitzentöne das Riesenorchester - hier sei als Beispiel das hohe c im ersten Monolog bei königliche Siegestänze genannt – begleitet auch von entsprechender Gestik. Im Rahmen des grossen Stimmumfangs ihrer Partie traf sie auch die tiefen Töne und war soweit überhaupt möglich textverständlich. Dazu gelang es ihr, die Stimmfärbung der jeweiligen Gefühlslage anzupassen etwa Ironie auszudrücken beim Gespräch mit ihrer Mutter oder Aegisth. Sie konnte die Stimme auf kantable Legatobögen zurücknehmen, etwa, als sie ihrer Schwester Hilfe beim Eheglück versprach, oder bei den Orest-Rufen der Wiedererkennungsszene endend mit deutlichem Crescendo beim dritten Mal – zum Weinen schön!.

Wie man nur mit stimmlichen und gestischen Mitteln ganz ohne Bühne einen hier psychisch abartigen Charakter vollendet darstellen kann, zeigte Michaela Schuster als Klytämnestra. Notengenau, textverständlich und in ausgereiftem Spiel besang sie ihre geistige Zerrüttung, ihre verzweifelte Suche nach Linderung auch durch die verhaßte Tochter, ihren psychischen Zusammenbruch bei Ankündigung der Rache durch Orest und schließlich den Triumph bei Nachricht von dessen vermeintlichem Tod.. Als Bespiele seien genannt der lange p-Ton bei   was ist denn ein Hauch? oder ihr verzweifeltes zerfallen wachen Sinnes wie ein Kleid zerfressen von den Motten?

Wohl eher kurzfristig übernahm Allison Oakes - darin MET-erfahren – die sympathische Rolle von Elektra´s Schwester Chrysothemis. Da in dieser Aufführung das Orchester manchmal zu laut für ihre Stimme tönte, mußte sie dann forcieren. Sehr schön geriet ihr bei Darstellung der Freuden des normalen Frauenlebens die Vokalise auf Weiberschicksal.

Für den Orest war Michael Volle eine Luxusbesetzung. Völlig textverständlich brachte er mit klangvollem Bariton die Ergriffenheit beim Wiedersehen mit Elektra, die Entschlossenheit zum und auch den Schauder vor dem Muttermord zum Ausdruck. Sein Duett mit Elektra geriet so zu einem Höhepunkt des Abends.

Luxusbesetzung war auch Michael Schade in der kurzen Rolle des Aegisth. Mit helltimbriertem Tenor machte er stimmlich und auch darstellerisch den selbstverliebten eingebildeten Charakter der Figur deutlich.

Die vielen Nebenrollen wurden passend gesungen, wobei unter den Mägden Mandy Fredrich als fünfte und Elektra in Schutz nehmende Magd mit langem g auf königlich besonders punkten konnte. Alle Sängerinnen und Sänger der Nebenrollen wirkten hinter der Bühne bei den Orest-Rufen als Schlußchor mit.

Wenn in der Werbung für die Veranstaltung zu lesen war, für Andrés Orozco-Estrada und sein - ?HR-Sinfonieorchester sei es ein besonderes Vergnügen, sich mit einer konzertanten Oper austoben zu dürfen, war man betreffend Lautstärke des Orchesters etwas skeptisch.  Das war zum grossen Teil unnötig, denn Dirigent und Orchester versuchten soweit bei der Partitur überhaupt möglich insbesondere die Stimmen der Sängerinnen nicht übermässig zu strapazieren. Dabei half, was man sonst kaum hört, aber bei einer konzertanten Aufführung zu sehen war, daß Richard Strauss etwa die 24 Geigen und 18 Bratschen in drei Gruppen eingeteilt hat, von denen teils nur eine oder zwei Gruppen spielen. In den Zwischenspielen konnten dann Instrumente solistisch und das Orchester insgesamt ihr Können zeigen, also hier sich austoben! Das galt für die lautmalerischen Abschnitte etwa mit dem Klang der Rute in der Szene der Mägde, dem Klirren der Talismane am Kleid Klytämnestras oder Elektras Graben nach dem Beil. Motivisch war die Vorherrschaft des Agamemmnon-Motivs immer deutlich und dann ganz schneidend zum Schluß zu hören. In der Erkennungsszene klangen Wagner-Tuben zu Orests erstem Auftritt und später die Trompeten mit dem Erkennungsthema wunderbar rund und kantabel.

Richard Strauss schreibt die Tempoangaben häufig auf Deutsch, italienisch und als Metronom-Zahl. Soweit zu hören war hielt sich Andrés Orozco-Estrada in etwa daran. Beim grossen Schlußduett zwischen Elektra und Chrysothemis steigerte er Tempo und mit weniger Rücksicht auf die Sängerinnen die Lautstärke enorm. Elektras ekstatischer Schlußtanz war dann rhythmisch exakt  - marcatissimo  schreibt Strauss - nochmals eine gewaltige Steigerung bis hin zu den beiden fff-Schlußakkorden.

Darauf konnte das Publikum nur mit fast schon hysterischem Applaus und Bravogeschrei reagieren, besonders natürlich für die Darstellerinnen der Hauptrollen, den Dirigenten und das Orchester.

 

Sigi Brockmann 18. März 2019

Fotos (c) Pascal Amos Rest

 

 

 

Mozart-Matinée

10. Februar 2019

 

Werke von Mozart und Beethoven

 

Musikalischen Großeinsatz leisteten die Dortmunder Philharmoniker und ihr Dirigent GMD Gabriel Feltz am vergangenen Wochenende.

Am Samstag spielten sie im Opernhaus hinreissend im melodischen Zusammenspiel sowie in allen Soli der farbigen, harmonisch und rhythmisch anspruchsvollen Instrumentation den Orchesterpart in der Premiere von Giocomo Puccini`s lyrischem Drama (dramma lirico) Turandot. Schon am folgenden Sonntagmorgen bestritten sie die Matinée der Mozart-Gesellschaft Dortmund mit Werken von Mozart und Beethoven.

Im ersten Teil umrahmten zwei Kompositionen von Wolfgang Amadè Mozart aus den Jahren 1785 und 1786 eines seiner Frühwerke.

Zu Beginn erklang die Maurerische Trauermusik c-moll KV 477, die Mozart zum Tode zweier Logenbrüder komponiert hat. Trotz der verhältnismässig grossen Streicherbesetzung, die besonders für die Hörbarkeit der manchmal begleitenden punktierten 16teln der Violinen günstig war, vermittelten die Bläser den elegischen klanglichen Eindruck des Stücks, hier insbesondere die Oboen zu Beginn und die beiden Bassetthörner. Elegisch klang besonders der Mittelteil mit dem choralartigen Zitat entnommen den gregorianischen Klagegesängen des Jeremias. Deutlich erklang als Abschluß der für die Zeit ganz ungewöhnliche Schwellton, jetzt in C-Dur.

Ziel der Mozart-Matinéen ist bekanntlich, junge Nachwuchskünstler als Stipendiaten dadurch zu fördern, daß sie Gelegenheit erhalten, mit grossen Orchestern zu konzertieren.

So folgte nun die ganz frühe – Mozart war fünfzehn Jahre alt – Motette Regina coeli für vierstimmigen Chor und Sopran in C-Dur KV 108 – die erste von drei solcher Motetten Mozarts zum Lob der Himmelskönigin. Insbesondere in den Alleluja-Ecksätzen glänzte stimmlich der etwa 50 Sängerinnen und Sänger umfassende Jugendkonzertchor der Chorakademie Dortmund einstudiert von Felix Heitmann auch dann, wenn nur einzelne Stimmgruppen sangen oder die Orchesterbegleitung aussetzte. Die beiden Sopran-Solosätze sang die Stipendiatin Sophie-Magdalena Reuter mit besonders in der Höhe perlenden Koloraturen und Trillern im schnelleren Quia quem meruisti (den du zu tragen würdig warst) und langer Kantilene im Ora pro nobis, hier besonders in tieferer Lage ganz einfühlsam unterstützt und begleitet von Gabriel Feltz und dem Orchester.

Es gibt Musikstücke, die wegen ihrer ausgefallenen Besetzung nur selten aufgeführt werden können. Dazu gehört von Mozart die grosse Konzertszene mit Rezitativ und Rondo Ch'io mi scordi di te? ES-dur KV 505 über Verzweiflung und Treue in der Liebe für Sopran, Klavier und Orchester..Mozart schrieb sie zum Abschied der Sängerin Nancy Storace (der ersten Susanna im Figaro ) und den Klavierpart für sich selbst. Kürzlich erklang sie in einer Matinée der Mozartwoche in Salzburg, Jetzt musizierten sie als Sopran wieder   Sophie-Magdalena Reuter und die schon länger von der Mozart-Gesellschaft auch durch Herausgabe einer CD geförderte Pianistin Magdalena Müllerperth – immer noch betreut durch Prof. Klaus Hellwig aus Berlin. Zu der anspruchsvollen Sopranpartie – wechselnd zwischen dramatischem Rezitaiv und melodischen Kantilenen - spielte die Pianistin die Singstimme teils kontrastierend teils begleitend den Klavierpart. Dank ihrer pianistischen Fähigkeiten wurde es zusammen mit dem Orchester fast ein kleines Klavierkonzert in Mozarts spätem Stil. Als Zugabe erfreuten die beiden Stipendiaten mit dem Vergeblichen Ständchen von Brahms.

Im zweiten Teil der Matinée glänzten das Orchester und der auswendig dirigierende Gabriel Feltz mit einer ausgefeilten, durchdachten und sorgfältig einstudierten Aufführung der 7. Sinfonie A-Dur op. 92 von Ludwig van Beethoven. Dies zeigte sich auch an den spannenden Übergängen zwischen verschiedenen Teilen innerhalb eines Satzes, etwa in ersten Satz zwischen der langsamen Poco sostenuto – Einleitung und dem punktierten 6/8 Rhythmus des folgenden Vivace – Flöten und Oboen sei gedankt . Dabei hörte sich dieses Vivace vielleicht etwas langsamer an als sonst schon einmal, dafür aber groß und mächtig. Der fast-Stillstand beim Übergang zur Coda wurde dadurch besonders dramatisch. Im direkt folgenden Allegretto des zweiten Satzes gelangen sehr gut die melodischen Teile einschließlich des kleinen Fugato als Gegensatz zum bohrenden Hauptrhythmus. Der dritte Satz war dann so sehr Presto, daß man sich wunderte, daß die Holzbläser ein so schnelles Staccato überhaupt spielen konnten. Wieder folgten direkt die mächtigen aber immer exakten Anfangsakkorde des abschliessenden Allegro con brio. Auch hier kam wieder besondere Spannung auf durch einen Fast-Stillstand durch den zweimaligen verzögerten Sprung zum sf vor erneutem Einsatz des ersten Themas. Danach versetzte die dynamische Steigerung bis zum fff-Höhepunkt  der Coda das Publikum im fast ausverkauften Konzerthaus offenbar in eine Art Rauschzustand, so stark waren Beifall und Bravorufe.

 

Sigi Brockmann 11. Februar 2019

Fotos (c) Stephan Lucka

 

 

Mozart-Matinée

am 11. November 2018

Teils wiederentdeckte teils neugestaltete Musik des 18. Jahrhunderts aus Österreich - Ungarn

Mehrere Konzerte für Violoncello und Orchester sind uns von Josef Haydn überliefert, von denen besonders das in D-Dur Hob. VII:2 sehr beliebt ist und häufig aufgeführt wird. Da ergibt sich die Frage, warum von Haydn's ebenso beliebtem Violinkonzert in G-Dur Hob. VIIA.4 eine Version für Cello und Orchester angefertigt werden mußte. Das nennt man dann heute Cello reimagined , auf Deutsch vielleicht für Cello neugestaltet. Im Rahmen der Mozart-Matinée spielte diese Umarbeitung die Cellistin Anastasia Kobekina - Stipendiatin der Mozart Gesellschaft Dortmund seit 2015. und inzwischen erfolgreiche Solistin. Begleitet wurde sie vom Kammerorchester - in diesem Konzert nur Streichorchester - l'arte del mondo unter Leitung seines Gründers Werner Erhardt – Konzertfreunden aus NRW bekannt durch seine Auftritte im Bayer-Kulturhaus Leverkusen und der Bagno-Konzertgalerie in Burgsteinfurt. Virtuos gekonnt, auch im p, spielte sie den ersten Satz, gefühlvolle Kantilenen erfreuten im zweiten Satz. Aber insbesondere im ebenfalls sehr virtuosen und beliebten dritten Satz mit dem markanten Hauptthema vermißte man doch den glanzvolleren Klang der Violine, zu dem Haydn ja auch die Instrumentation angepaßt hatte.

Passend erschien deshalb die Absicht der Solistin, entgegen der Ankündigung im Programm Haydn's für Cello umgearbeitetes Violinkonzert vor und nicht nach dem genauso umgearbeiteten Flötenkonzert von Mozart zu spielen. Im Gegensatz etwa zu Haydn hat Wolfgang Amadè Mozart bekanntlich kein Konzert für Cello und Orchester geschrieben. Andererseits war die Flöte von ihm wohl nicht besonders geliebt – ein Instrument, das ich nicht leiden kann – schrieb er einmal an den Vater. Trotzdem verwendete er dem Titel gemäß die Flöte in der Zauberflöte und schrieb für einen Auftraggeber zwei Flötenkonzerte. Davon war das zweite in D-Dur KV 314 aus Gründen der Zeitersparnis wohl eine Umarbeitung eines Oboenkonzertes in C-Dur, das er einen Ton höher transponierte. Auch dies wurde neugestaltet für Violoncello und Orchester in der Mozart-Matinée von Anastasia Kobekina und dem jetzt in grösserer Besetzung spielenden Orchester l'arte del mondo aufgeführt. Ursprünglich für den etwa tieferen Klang der Oboe konzipiert fand hier das Cello den passenden Orchesterrahmen. Neben der Darstellung ihres virtuosen Könnens meisterte die Cellistin die im Vergleich zu Haydn schwierigere Rhythmik hier im perfekten Zusammenspiel mit dem Orchester. Kantables Legato, auch und gerade im p, bewunderte man im Mittelsatz. Keck klangen im rasch gespielten Rondo-Schlußsatz die Anklänge an Blondchens Arie Welche Wonne welche Lust aus Mozarts Entführung aus dem Serail. Die Kadenzen für beide Konzerte hatte sich die Solistin aus vorhandenen Vorbildern und eigenen Ideen selbst zusammengestellt, was besonders bei Mozart eindrucksvoll klang. Diese und der heitere Schluß veranlaßte das Publikum im gut besuchten Konzerthaus – auch hinter dem Podium waren die Reihen gefüllt – zu langem herzlichem Applaus.

Eingerahmt wurden diese beiden Cello-Adaptionen von je einer Sinfonie unbekannter oder fast unbekannter Komponisten der Zeit von Haydn und Mozart.

Einleitend und auch wohl deshalb mit kleinen Unstimmigkeiten mit dem Orchester dirigierte Werner Erhardt eine Sinfonie in B-Dur – eine von ungefähr siebzig – des im 18. Jahrhundert in Wien angestellten Beamten und aufgrund seines Adelstitels nur im Nebenberuf komponierenden Karl von Ordóñez. Die Sinfonie entsprach wohl den Vorstellungen der Zuhörer zur Zeit der Komposition, dies recht gelungen. Im ersten Satz Allegro Moderato fielen die kurzen wiederkehrenden Einschübe der beiden Hörner auf. Im dritten Satz, einem Menuetto zeigte er im Mittelteil, einem solistischen Quartetto der Solo - Streichinstrumente, daß er auch Fugato komponieren konnte. Danach beendete ein recht unterhaltsames Presto die Sinfonie.

Beendet wurde die Matinée mit einer Sinfonie in e-moll von Anton Zimmermann, Ende des 18. Jahrhunderts Leiter der Hofkapelle des Kardinals Battyàny im ungarischen Preßburg, also immer noch innerhalb der Donaumonarchie tätig. Hier hörte man Streicher und Hörner im für Liebhaber der Musik dieser Zeit unterhaltsamen abwechslungsreichen Wechselspiel markanter Themen. Das Menuet mit eingebautem Trio klang recht ungarisch und erinnerte an Haydn. Überraschend war, daß der recht bewegte Finalsatz unerwartet immer leiser werdend mit einem p-Akkord schloß. So mußte der Dirigent erst durch Zeichengebung zum Publikum hin deutlich machen, daß der verdiente Applaus beginnen konnte.

Sigi Brockmann 13. November 2018

 

Fotos:

Evgeny Evtyukhov für Frau Kobekina und peuserdesign für l'arte del mondo

 

Alle aufgeführten Stücke sind Teil von drei CDs, die Werner Erhardt, Daniel Müller-Schott und l'arte del mondo aufgenommen haben und im Handel erhältlich sind.

 

 

 

 

 

 

 

Wir haben diesmal gleich 2 Kritiken, weils so wunderschön war

La Traviata

18. Oktober 2018

Konzertant mit dem Solistenensemble, MusicAeterna Orchester und Chor Leitung T. Currentzis

Bericht von Sigi Brockmann:

 

In Köln vor etwa einer Woche ließ er sich noch aus persönlichen Gründen entschuldigen. Diese lagen offenbar jetzt nicht mehr vor. So leitete Teodor Currentzis  selbst die von ihm wie üblich von der Oper im russischen Perm mitgebrachten Solisten, das MusicAeterna Orchester und den dazu gehörigen MusicAeternaChor. Nach La Bohème vor etwa einem Jahr wurde konzertant jetzt wieder eine Oper über Leben und Tod einer in Paris lebenden jungen an Schwindsucht leidenden Dame aufgeführt, dieses Mal La traviata von Giuseppe Verdi auf einen Text von Francesco Maria Piave.

Wie von seinen früheren Operndirigaten bekannt akzentuierte Currentzis in seiner schlaksigen aber einfühlsamen Art des Dirigierens abwechslungsreich Fermaten, Ritardandi und Generalpausen. Extrem kostete er auch wieder Gegensätze in Tempo und Lautstärke aus.

Letztere wurde ermöglicht durch das sehr gross besetzte MusicAeterna Orchester mit 16 ersten Geigen, 10 Celli und sechs Kontrabässen - die Streicher der Geigen und Bratschen spielten stehend. Unter den Blasinstrumenten fiel besonders auf das Cimbasso, eine Art Ventilposaune, die von Verdi der Baßtuba vorgezogen wurde. So ließ er es besonders in den grossen Ensemblestellen mit Chor auch dank der akzentuiert rhythmisch klingenden Schlaginstrumente richtig krachen – ganz kleine Ungenauigkeiten störten da nicht. Walzermusik im ersten Akt und Karnevalschor im dritten – letzterer nicht ganz exakt – erklangen von ausserhalb des Saals.

Ansonsten wurde im Gegensatz zu La Bohème vor einem Jahr auf jegliche szenische Andeutung verzichtet. Immerhin durfte Alfredo im dritten Akt Violetta etwas umarmen. Passend zu Verdis Absichten verliehen nicht die grossen Szenen der Aufführung besonderen Rang, sondern die leisen Töne. Dies zeigte gleich das Vorspiel zum ersten Akt mit den fast aus dem Nichts beginnenden geteilten Geigen und den dann hervorgehobenen Nebenstimmen von Bratschen und Celli. Noch mehr gedehnt erschien das Vorspiel des dritten Aktes schliessend mit dem langen verklingenden Streichertremolo ppp-morendo wie Verdi vorschreibt.

Aber nicht nur das Orchester ließ ergreifende p-Kultur hören, sondern – viel wichtiger – auch die Gesangssolisten. Dies galt nach der gelungenen Musetta im letzten Jahr vor allem für Nadezhda Pavlova jetzt in der Titelpartie der Violetta. In ihrer grossen Arie im ersten Akt sang sie ganz zurückgenommen von ihrer Einsamkeit  - Ah me fanciulla... - gab dann beim Sempre libera mit Trillern und perlenden Koloraturen bis hin zum abschliessenden über das grosse Orchester strahlenden Spitzenton ihrem verzweifelten Wunsch nach Ablenkung durch dauerndes Vergnügen Ausdruck.

Höhepunkt war dann im zweiten Akt ihr ganz cantabile verhalten gesungenes Dite alle giovine, in dem sie auf Alfredo´s Liebe verzichtet, um seiner Schwester ihr eigenes Schicksal zu ersparen. Ebenso ergreifend gelang im dritten Akt ihr Abschied von Schmuck und ihrem Leben Addio del passato mit den ausdrucksvollen Trillern auf tutto fini endend mit dem ganz zurückgenommenen Spitzenton – ein Ton dünn wie ein Faden eben - un fil de voce - aber das erschütternd im ganzen Konzerthaus zu hören. Für diese Traviata lohnte schon der Besuch der Aufführung!

Als ihr geliebter Alfredo verfügte mit hell timbriertem Tenor auch Airam Hernández beim Trinklied im ersten Akt Libiamo jeweils im zweiten Vers über pp-Töne. Dies gelang auch bei der grossen Arie im zweiten Akt der Wechsel vom hohen ff-Ton zum ppp bei io vivo casi in ciel . Allerdings vermißte man bei ihm etwas den Ausdruck jugendlicher Leidenschaft, den man für diese Partie erwarten kann.

Als Don Giovanni noch in bester Erinnerung sang Dimitris Tiliakos jetzt den Vater Germont. Stimmlich machte er deutlich zunächst herrische Überheblichkeit gegenüber der vermeintlichen Sünderin, um dann ganz kantabel und warmherzig Violetta um den Verzicht auf Alfred zu beschwören. Auch die einzelnen getrennten Töne bei Un di gelangen eindrucksvoll. Sein Duett mit Violetta zu Ende des zweiten Aktes war ein weiterer Höhepunkt des Abends.

Neben den beiden Damen Natalia Liaskova als Flora und besonders Elena Iurchenko als treue und einfühlsame Vertraute Violettas wurden die Partien der adeligen Herren passend gesungen – das galt auch für Vladimir Taisaev als mitleidigem Doktor Grenvil.

Der sehr grosse MusicAeterna Chor war im ersten und zweiten Akt auf der Bühne hinter dem Orchester aufgestellt. Schwungvoll sang er im ersten Akt den Walzer und mit rhythmischem Stakkato besang er dann das Ende des Ballabends. Das grosse Finale des zweiten Aktes mit Solisten und Chor führte Currentzis dauernd das Tempo steigernd zu einer gewaltigen Stretta - velocissime wie Verdi schreibt-.

Die Qualität des Orchesters zeigte sich auch und vor allem in den Soli einzelner Instrumente. Als Beispiele seien genannt Flöte, Oboe und Klarinette bei Violettas grosser Arie im ersten Akt, die Klarinette, als Violetta im zweiten Akt den verhängnisvollen Brief an Alfredo schreibt oder die Oboe bei Violettas Addio del passato oder natürlich die Solo-Violine mit dem Zitat des Liebesmotivs im dritten Akt. Etwas leiser hätte man sich vom Orchester die Trauermarsch-artige Begleitung des letzten Duetts von Violetta und Alfredo durch Bläser und Schlagzeug gewünscht – ppp schreibt Verdi vor.

Das Publikum im ausverkauften Konzerthaus konnte sich erstaunlicherweise trotz der nicht übermässig langen drei Akte in zwei Pausen erholen. Es folgte der Aufführung aufmerksam ohne Störung durch Husten o.ä. Auf den wiederum recht knalligen Schlußakkord folgte nach einer verständlichen Besinnungspause lang anhaltender Beifall stehend mit Bravos vor allem für die Darsteller von Violetta und Vater Germont, noch mehr für den Dirigenten, wegen dessen Starkult ja viele die Aufführung besucht hatten.

 

Fotos © Pascal Amos Rest

Sigi Brockmann 19. Oktober 2018

 

 

Bericht von Detlef Obens

 

Am gestrigen Abend hatte ich immer wieder den gleichen Gedanken im Kopf: so kann man das auch musizieren?! So schön, so ergreifend, so berührend! Und offenbar war ich mit meiner Meinung nicht allein im vollbesetzten Dortmunder Konzerthaus. Denn der Jubel, der nach den letzten Tönen der Oper La Traviata einsetzte, war groß und einhellig. Im Mittelpunkt der Ovationen die großartige Sopranistin Nadezhda Pavlova als Violetta und, wie sollte es auch anders sein, der Dirigent und Star des Abends war Teodor Currentzis.

Was zuerst auffällt, ist das Orchester. Teodor Currentzis lässt die Streicher stehend musizieren. Bietet ihnen somit viel Freiraum in verschiedenster Hinsicht. Und das wird für das Publikum spürbar, ja hörbar. Viel zu selten kann beobachtet werden, wie Orchestermusiker selbst mit der Musik mitfühlen und das auch körperlich vermitteln. Auch das war ein Opernerlebnis der besonderen Art. Das Musicaeterna Orchester der Oper Perm soll daher hier an vorderster Stelle genannt werden. Sie haben Verdis großartige Musik in höchstem Maße eindrucksvoll interpretiert. Da war alles stimmig, alles wie feingesponnen, aber auch voll dramatischer Wucht, wenn es die Partitur verlangt. So klingt Verdi!

Aber auch mit den Solisten des Abends bereitete Currentzis den Opern-und Konzertfreunden in der Ruhrgebietsmetropole ein wahres Fest. La Traviata, am gestrigen Abend im Konzerthaus konzertant aufgeführt, hat die fehlende Regie und Inszenierung nicht einen Moment vermissen lassen. Wenn konzertante Oper dermaßen aus der Musik heraus lebt, wiedergegeben und gelebt wird, wenn man, wie es Currentzis macht, den Solisten so viel Raum für ihre Kunst gibt, kann das nur ein Genuss erster Güte werden. Und das war es dann auch! So wurde es auch am Ende eine der berührendsten Traviata-Aufführungen, die ich in den letzten Jahren live erleben durfte. Und da waren einige, über die es zu berichten gelohnt hat, dabei.

Doch im einzelnen nun zu den Sängerinnen und Sängern des Abends: Hier sei zunächst der Chor der Oper Perm besonders lobend genannt, die im ersten und im zweiten Akt ihre großen Auftritte hatten und bestens einstudiert nach Dortmund angereist sind. In der Finalszene war der Chor - Karnevalsgesänge in Paris - durch eine geöffnete Tür vom oberen Rang des Konzerthauses zu hören.

In den kleineren Partien, die alle durchweg glänzend besetzt waren, Elena Iurchenko als Annina, Nikolai Fedorov als Gaston, Viktor Shapovalov als Baron Douphol, Aleksei Svetov als Marquis, Vladimir Taisaev als Doktor Grenvil, Konstantin Pogrebovskii als Diener, Timofei Suchkov als Hausdiener und Arsenii Atlantov als Bote.

Der griechische Bariton Dimitris Tiliakos sang die Partie des Giorgio Germont, des zunächst unerbittlichen Vaters von Alfredo, mit starker stimmlicher Präsenz. In dem großen und für den Verlauf des Dramas so entscheidenden Duett mit Violetta im zweiten Bild liess er, nicht nur stimmlich, das Publikum an seinen inneren Wandlungen und Zweifeln teilhaben und hatte dann in der fast schon beklemmend-schön gesungenen Arie di Provenza il mare, il suol  seinen wohl eindrucksvollsten Auftritt des Abends. Viel Applaus vom Publikum für diese Leistung!

Die Partie des Alfredo Germont wurde von Airam Hernández, dem auf der Kanarischen Insel Teneriffa geborenen Tenor, gesungen und gespielt. Und wie! Hernández konnte die Erwartungen, die an diese Rolle gestellt sind in vollem Umfang erfüllen. Wundervoll gesungen sein Duett im ersten Akt mit Violetta Un dì, felice, eterea, voller tenoraler Kraft dann sein de’ miei bollenti spiriti  mit der dann anschließenden Cabaletta oh mio rimorso!… Oh infamia im zweiten Akt, und natürlich seine großen gesanglichen Höhepunkte im Verlauf des zweiten und dann wieder im dritten Akt. Hier besonders das zutiefst emotional gesungene Duett mit Violetta parigi, o cara... Sicher einer der Highlights des gesamten Abends! Stets höhensicher und mit Schmelz und Strahlkraft in der Stimme begeisterte er das Dortmunder Publikum, dass ihn dafür feierte.

Bereits nach ihrer ersten großen Szene, Arie und Cabaletta der Violetta im ersten Akt è strano!… sempre libera degg’i, brandete der Jubel des Konzerthauspublikums auf. Nadezhda Pavlova, die Sopranistin, die zur Zeit unter anderem an der Oper in Perm engagiert ist, wurde zum unumstrittenen Mittelpunkt der gestrigen konzertanten La Traviata-Aufführung. Wie sie diese schwierige Partie gesanglich meisterte, ist fast nicht in Worte zu fassen. Da war so viel an Schönheit, Anmut, und Emotionen in ihrem Gesang, der aber auch gleichzeitig alle Schwierigkeiten geradezu mühelos wirkend, mit einschloss. Immer wieder sang sie in berückendem Piano, und ihre Stimme erreichte dennoch den letzten Winkel des Konzerthauses. Umso mehr beeindruckte sie dann mit den dramatischen, mit großer Stimme, gesungenen Momenten der Oper. Eine Welle der Begeisterung schwappte durch das Konzerthaus Dortmund, als Nadezhda Pavlova zum Schlussapplaus auf die Bühne kam. Hoch verdient für eine fast sprachlos machende künstlerische Leistung!

Wird den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne der Raum zur Entfaltung gegeben, dann nutzen sie ihn auch. Und dann kommt oftmals Großes dabei heraus. Dies setzt aber voraus, dass vor allem einer, oder eine, allem vorsteht, der das fördert, das zulässt und mit(er)lebt. Und das ist bei dem griechisch-russischem Dirigenten Teodor Currentzis offensichtlich der eingetretene Fall. Der einem an so vielen Stellen der Oper das Gefühl vermittelt, altbekanntes auf eine fast neue, aber zumindest sehr besondere, Weise zu hören. Der die großen Emotionen, die nun mal in dieser Oper in Fülle vorhanden sind, herausarbeitet und sie mit seinem Orchester und seinen Solisten dem Publikum spürbar werden lässt.

Der das Vorspielund das Vorspiel zum dritten Akt zu wahren Musikperlen formt, der so sehr zart und zurückgenommen musizieren und singen lässt und der aber auch den vollen Orchesterklang mit all seiner Wucht und Stärke dem Publikum schenkt. Und ihn dabei selbst zu beobachten, wie er jede Note, jede Gesangslinie miterlebt, die Gesangssolisten so eindrucksvoll begleitet, ist schon begeisternd. Jubelchöre für diesen Ausnahmekünstler, den Dortmund nicht zum letzten Mal erleben durfte. Seine vielen, teilweise von weiter her angereisten, Fans wirds freuen.

Ein weiterer bedeutender und mitreißender Opernabend im Dortmunder Konzerthaus, dass bekannt ist für seine sehr gute Akustik, aber auch dafür, immer wieder seinem Publikum großartige Veranstaltungen anzubieten.

 

Foto © Pascal Amos Rest

Detlef Obens  20.10.2018

 

 

 

 

Mozart-Matinée

7. Oktober 2018

mit den Heidelberger Sinfonikern und einem jungen Trompeten-Solisten

Neben dem bereits bestehenden Philharmonischen Orchester gründeten sich in Heidelberg aus einem auf „alte Musik“ spezialisierten Kammerorchester zwecks Aufführung grösserer Werke im Jahre 1994 die Heidelberger Sinfoniker, die sich auf Werke der Wiener Klassik und frühen Romantik spezialisiert haben und nach historisch-orientierter Aufführungspraxis  spielen. Beim Gastspiel im Rahmen der von der Mozart-Gesellschaft Dortmund veranstalteten ersten von sechs Mozart-Matinéen dieser Saison übernahm Johannes Klumpp die musikalische Leitung. Musikfreunden aus NRW ist er bekannt durch seine frühere Tätigkeit beim Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen und als Chefdirigent des Folkwang Kammerorchesters Essen.

Gleich beim ersten Werk des Abends, der Sinfonie Nr. 35 in D-Dur KV 385, der sogenannten Haffner Sinfonie, von Wolfgang Amadè Mozart wurde mit dem über zwei Oktaven herauf- und herabspringende Thema und dem nachfolgenden Triller sehr energisch und pointiert begonnen mit starkem Gegensatz zum kurzen p-Intermezzo.. Durchhörbar ließ sich das einzige wirkliche Thema des Satzes mit seinen musikalischen Abspaltungen verfolgen. Im Gegensatz dazu hörte man vom Orchester im langsamen Andante intime Serenadenklänge . Beim knappen Menuett freute man sich über das nachdrückliche Ritardando der Akkorde nach dem ersten Aufschwung-Motiv, beim noch knapperem Trio in der Mitte am Zusammenspiel von Oboen, Fagott und Geige. Wie von Mozart vorgeschrieben wählte der Dirigent ganz rasches Tempo für das an die „Figaro“-Ouvertüre und sogar „Osmin“ -Motive aus der „Entführung“ erinnernde finale Presto.

Zweck der Mozart-Matinéen ist aber nicht nur, schöne Musik aufzuführen, sondern vor allem jungen Nachwuchs-Künstlern das Zusammenspiel mit „richtigen“ Sinfonieorchestern zu ermöglichen.

Hier hatte der in Kasachstan geborene und in Hamburg studierende Trompeter Zhassulan Abdykalykov die Chance, mit den Heidelberger Sinfonikern eines der wichtigen Solokonzerte seines Instruments, das Trompetenkonzert in Es-Dur von Johann Nepomuk Hummel spielen zu können, komponiert 1803 für denselben Trompeter, für den auch Haydn sein Trompetenkonzert schrieb. Wenngleich der Dirigent in einer launigen Einführung mit gesungener Darstellung der Themen das Konzert als „Mozart unter gezuckerter Sahne“ bezeichnete, gibt es doch dem Interpreten Gelegenheit, sein Können mit allen klanglichen Möglichkeiten des Instruments vorzuführen. Dies gelang dem 26-jährigen Trompeter vortrefflich. Die jedem Musikfreund bekannten Fanfarenklänge beim ersten Einsatz der Trompete und der folgenden thematischen Durchführungen zeigten durch gekonntes Spiel ihre Wirkung. Im langsamen Andante bewunderte man die langen Kantilenen mit exakt geblasenen Trillern. Der letzte Satz mit dem ebenfalls bekannten Rondo-Thema zeigte in unheimlich raschem Tempo das grosse virtuose Können des jungen Trompeters. Das Zusammenspiel mit dem Orchester klappte bei allen drei Sätzen reibungslos. Zu Recht dankte das Publikum mit langem Beifall und Bravos.

Nach der Pause folgte vom damals fünfzehnjährigen Felix Mendelssohn Bartholdy dessen erste Sinfonie, erste insofern, als sie nach den noch jugendlicheren Streichersinfonien die erste war, in dem er zusätzlich Bläser einsetzte, also für ein volles Orchester schrieb. Daß sie in c-moll geschrieben wurde, mag mit Verehrung von Beethoven zu begründen sein, entspringt aber vielleicht auch etwas jugendlichem Leichtsinn. Vielmehr kann man sie eher als „Sturm und Drang“ charakterisieren, insbesondere im wilden ersten Satz „Allegro di molto“ - dieser doch mit Anklängen an Beethovens Coriolan-Ouvertüre, die ja auch in c-moll steht. Im langsamen Andante konnten insbesondere die Holzbläser des Orchesters in harmonischen Klängen schwelgen. Das Menuett zeigte zwar Anklängen an Mozart, wurde aber fast wie ein Scherzo Beethovenscher Prägung gespielt. Der letzte Satz hat vielleicht noch am meisten wilden c-moll Charakter, den das Orchester durchaus betonte. Der junge Mendelssohn probiert hier vieles aus. So spielte der Klarinettist ganz kantabel zu einer pizzicato-Begleitung der Streicher. Mendelssohn zeigte, daß er auch ein Fugato komponieren konnte, das vom Orchester gut hörbar gespielt wurde. Zum Schluß gab es eine sich zu ganz schnellem Tempo steigernde pompöse Coda, die das Publikum natürlich zu langem Beifall und Bravos anregte. Das Orchester bedankte sich mit Mozart´s „Figaro“ - Ouvertüre, die daran erinnerte, daß dessen zu Anfang erklungene Sinfonie das kompositorisch gelungenste Werk des Abends war.

 

Sigi Brockmann 9. Oktober 2018

Foto Monika Lawrenz

 

 

Mahler Symphonie Nr. 8

„Symphonie der Tausend“

 

Aufführung am 3. Juli 2018

 

Gerne nutzen Orchesterleiter die Gelegenheit, das Publikum zu überwältigen und es von der eigenen Dirigierkunst zu überzeugen, indem sie sinfonische Werke mit riesiger Anzahl von Mitwirkenden aufführen..Da gibt es von Berlioz das „Requiem“, von Schönberg die „Gurre-Lieder“, die beide schon im Konzerthaus Dortmund zu erleben waren. Im Rahmen der Aufführung von Symphonien Gustav Mahlers leitete GMD Gabriel Feltz am vergangenen Dienstag zum Abschluß der Saison eine Aufführung von dessen 8. Symphonie in Es-Dur in zwei Sätzen für grosses Orchester (einschließlich u.a. Glocken, Celesta, Klavier Harmonium Orgel) mit zusätzlichen Trompeten und Posaunen eines Fernorchesters, acht Gesangssolisten, zwei grosse gemischte Chöre und Knabenchor.

Bekanntlich nutzte Mahler diese riesige Anzahl Mitwirkender, die dem Werk den Beinamen „Symphonie der Tausend“ eintrug - soviel waren es in Dortmund nicht - , um zwei im Abstand von ungefähr 1.000 Jahren entstandene bedeutende Texte abendländischer Dichtung zu vereinen, die anscheinend wenig gemeinsam haben. Es handelt sich um den mittelalterlichen Hymnus „Veni creator spiritus“ (Komm Schöpfer Geist) des Mainzer Erzbischofs Hrabanus Maurus und die Schlußszene von Goethe´s „Faust – der Tragödie zweiter Teil“, die nach Mephistos endgültigem Scheitern die Reinigung und den Aufstieg von Fausts Seele in immer höhere Himmelsregionen darstellt. Dieser Aufstieg zu reiner, göttlicher, allumfassender Liebe nach Anrufung des Heiligen Geistes kann dann doch als inhaltliche Verbindung der beiden Teile betrachtet werden, Diese ist viel deutlicher in Themenverwandschaften zu hören auch bei den gewaltigen Schlußchören - Lob Gott-Vaters im ersten sowie „Chorus mysticus“ im zweiten Teil – lebenbejahend wie selten bei Mahler.

Bereits der Einzug der Mitwirkenden war sehr beeindruckend. Die Dortmunder Philharmoniker  passten in ihrer grossen Zahl von 120 Mitwirkenden gerade so auf das Podium, daß noch Platz für den Dirigenten und die Solisten blieb. Die Chöre waren auf den Emporen platziert, hinter dem Orchester in der Mitte rot gekleidet der Knabenchor der Chorakademie Dortmund, einstudiert von Jost Salm. Die beiden gemischten Chöre waren aus Osteuropa angereist, nämlich der Tschechische Philharmonische Chor Brünn (Einstudierung Petr Fiala ) sowie der Slowakische Philharmonische Chor Bratislava (Einstudierung Jozef Chabroň) Die Damen stellten sich spiegelbildlich rechts und links neben dem Knabenchor hinter dem Orchester auf, die Herren ebenfalls spiegelbildlich rechts und links auf den seitlichen vorderen ersten Rängen – insgesamt waren es so ungefähr 300 Sängerinnen und Sänger.

Begeisternd erklang zu Beginn das markante Hauptthema des gewaltigen„Veni creator spitirus“.Im ersten Teil der Symphonie singen die Solisten vorwiegend gemeinsam, so bei der auf den Eingangschor folgenden Bitte um Gnade. Hier klangen die Stimmen von Emily Newton und Michaela Kaune, Sopran, Iris Vermillion und Mihoko Fujimura, Alt, Brenden Patrick Gunnnell, Tenor, Markus Eiche, Bariton sowie Karl-Heinz Lehner. Bass, wie eine gesangliche Erweiterung der Orchesterstimmen. Die gute Akustik des Saals zeigte sich daran, wie deutlich das virtuose Solo der ersten Geige (Shinkyung Kim) beim „Infirma nostri corporis“ (Schwäche unseres Körpers) zu hören war, das galt natürlich auch für die entsprechenden Geigen-Soli im zweiten Teil. Zum Vibrieren kam der Saal beim weiteren akustischen Höhepunkt dem „Accende lumen sensibus“ (zünde den Sinnen das Licht – gemeint ist der Liebe – an). In rasantem Tempo sangen alle Chöre und alle Solisten unisono, wobei Mahler in der Partitur ausdrücklich untersagt, daß die Solostimmen sich hier „schonen“ - das taten sie nicht, man hörte sie auch in der folgenden einer Doppelfuge ähnlichen musikalischen Entwicklung deutlich über die Chor- und Orchestermassen hinweg, wobei man bei Emily Newton fast zu viel des Guten vernahm.. Beim abschliessenden mächtigen „Gloria“ war besonders der Knabenchor zu bewundern, der stimmlich lupenrein und auswendig singend sich mit einer Art „Cantus firmus“ gegen die mehrstimmigen Chöre und Orchester behaupten konnte.

Überzeugend und die gute Akustik des Saals beweisend geriet auch die rein instrumentale Einleitung des zweiten Teils beginnend mit dem pizzicato der acht Kontrabässe und zehn Celli. Bei den choralartigen folgenden Passagen konnten die weich und rund klingenden Bläser bewundert werden. Nach einer grossen Steigerung folgte, was man Mahlers einzige Oper, dann aber gleich ein „Bühnenweihfestspiel“. nennen könnte. Er hat ja auch alle Szenenanweisungen Goethes beibehalten. Zu Beginn wirkte beim thematisch dem„Macbeth“ nachempfundenen pp-Beginn der Männerchöre „Waldung sie schwankt heran“ die Aufstellung rechts und links vom Orchester ebenfalls theatralisch, da Chor und Echochor nach etwas ungenauem Beginn deutlich hörbar zu unterscheiden waren. Auch die Singstimmen werden fast opernhaft behandelt. Ganz textverständlich und dynamisch abgestuft bis zur Steigerung auf „ewiger Liebe Kern“ glänzte Markus Eiche als „Pater Ecstaticus“ Mit gewohnt mächtigem Baß sang Karl-Heinz Lehner den „Pater profundus“ Wie schon vor einem Jahr als „Gerontius“ von Elgar versah Brenden Patrick Gunnell die Partie des „Doctor Marianus“ mit heldentenoraler Kraft gipfelnd im mächtigen „Blicket auf“ ,dem Pendant zum „Accende lumen“ des ersten Teils,. So traf er nach der sich steigernden Bezeichnung Marias als „Jungfrau, Mutter, Königin, Göttin“ bei „Bleibe gnädig“ mühelos den Spitzenton. Emily Newton als „Magna Peccatrtix“, Iris Vermillion als „Mulier samaritana“ und Mihoko Fujimura als „Maria Aegyptiaca“ bereiteten einzeln und mit ihrem Terzett, wieder begleitet von der Solo-Violine, einen musikalischen Höhepunkt des Abends. Die Mandoline (Christian Kiefer) leitete dann über zur Arie des früheren „Gretchen“ (Una poenitentiorum), die Michaela Kaune eindringlich, dynamisch abgestuft und weitmöglichst textverständlich interpretierte mit grosser Steigerung bis hin zum jubelnden „Er kommt zurück“ und zum lang gehaltenen Spitzenton bei bei „der neue Tag“ Aus der Höhe sang Ashley Thouret die kurze Partie der „Mater gloriosa“ und erfreute mit lang gehaltenem leisen hohen Tönen.

Auch um zweiten Teil glänzte stimmlich sehr beweglich der Knabenchor als „selige Knaben“ - wieder auswendig singend.

Gabriel Feltz dirigierte zum Teil durchaus rasche Tempi mit passenden ritardandi. was manchmal zu kaum bemerkbaren Unstimmigkeiten führte.Viele Soli einzelner Instrumente zeigten die Qualität des Orchesters Eindrucksvoll geriet der Übergang von Harfen, Klavier, Celesta, Harmonium und den pp-Flöten zum Beginn des „chorus myticus. Hier konnten die Chöre mit „Alles Vergängliche..“ ihre Kunst des ganz leisen Singens - „wie ein Hauch“ schreibt Mahler. - beweisen. Umso stärker geriet dann dynamisch und akustisch die Steigerung aller Chöre und des Orchesters   bis zum fff- „Hinan“ . Nachdem wie zum Ende des ersten Teils von oben hinter dem Publikum Trompeten und Posaunen die Es-Dur-Schlußakkorde des Orchesters verstärkten, brauchte das überwältigte Publikum im ausverkauften Haus erst eine kurze Pause der Besinnung, bevor Beifall und Bravos, schon bald stehend, alle Mitwirkenden, Sänger, Chöre, hier zu Recht wieder besonders den Knabenchor, das riesige Orchester und den Leiter der Aufführung feierten.

Sigi Brockmann 4. Juli 2018

(c) Dortmunder Philharmoniker

 

PS

Rheinländer dürfen diese - von Adorno so bezeichnete„Riesenschwarte“ - am Wochenende und am Montag in der Tonhalle Düsseldorf erleben, aber mit Chören aus der Region, insoweit sie Karten haben, denn die drei städtischen Sinfoniekonzerte sind seit über einem halben Jahr bereits ausverkauft.

 

 

 

 

 

DIE SCHÖPFUNG

2. Februar 2018

Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble , Dirigent Thomas Hengelbrock

 

Auf jeder Note des Oratoriums „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn auf den Text des Baron van Swieten nach dem englischen „Paradise lost“ (Paradies verloren) von John Milton lagere bei einer heutigen Aufführung Ironie, meinte schon 2001 im Festspielhaus Baden-Baden der Dirigent Enoch zu Guttenberg. Dargestellt werde die Schöpfung der Welt vor dem Sündenfall, wie in der Genesis beschrieben, aber den eigentlichen Sündenfall an der Natur hätten doch Menschen heutiger Generationen mit Zerstörung von Umwelt und Artenvielfalt begangen,

Das kann aber nicht bedeuten, daß das Oratorium nicht immer wieder aufgeführt werden sollte, vielleicht als eine Art Rückbesinnung oder Utopie von göttlicher Weltordnung und Naturidylle, vor allem aber aus Freude an Haydns „schönster, herzlichster und redlichster Musik“ (auch zu Guttenberg) Dies wurde jetzt wieder am vergangenen Freitag bewiesen im Konzerthaus Dortmund, wo das Werk durch großartige Solisten, Balthasar-Neumann-Chor und – Ensemble unter Leitung von Thomas Hengelbrock als Beginn einer Tournee durch fünf Städte einschließlich Baden-Baden eindringlich aufgeführt wurde.

Vorwiegend wird Joseph Haydn für seine Instrumentalmusik bis heute bewundert. So prägt der Orchesterpart vor allem den Hörgenuß der „Schöpfung“. Das Balthasar-Neumann-Ensemble von ungefähr fünfzig Musikern spielte „historisch informiert“ teils auf historischen Instrumenten, besonders fielen die Naturhörner und Trompeten auch sichtbar auf. Ihr besonderer Klang zeigte sich gleich in der Einleitung des ersten Teils, der Darstellung des „Chaos“ beim ersten ff-.Akkord nach dem ganz p aber gut hörbar gespielten Beginn durch die Streicher. Die abschliessende , dem„Tristan“-Akkord ähnliche Tonfolge erinnerte an Wagner-Aufführungen des Ensembles, etwa den „Ruhr-Parsifal“ Das machtvolle C-Dur von „und es ward Licht“ ließ dann den Saal beben. In der Folge erklangen in teils raschen Tempi die Episoden der einzelnen Schöpfungstage, meistens musikalisch lautmalerisch sehr erkennbar vorweggenommen, bevor die Solisten das entsprechende Ereignis besangen. So hörte man Donner rollen, Regen und Schnee fallen. Den festlichen „Sonnenaufgang“ verstärkten die Bläser dadurch, daß sie die Akkorde stehend spielten. Soli einzelner Instrumente liessen den Vogelgesang ertönen, so die Klarinette den der Lerche, Fagotte und Violinen das Gurren der Tauben und natürlich die Flöte den der Nachtigall.Schneidend klang das Kontrafagott, um die Last der Tiere, die den Boden drücken, zu begleiten. Hörner und Holzbläser klangen idyllisch verhalten in der Einleitung des Dritten Teils.

Vom Hammerklavier (Jory Vinikour), nicht vom Cembalo, wurden zusammen mit dem Solocello die Rezitative der Gesangssolisten begleitet. Sie standen hinter dem Orchester und vor dem Chor. Von ihnen hat der Sänger des „Raphael“ die umfangreichsten Aufgaben. Tareq Nazmi sang ganz zurückhaltend die ersten Worte überhaupt „Im Anfang“ Mit mächtigem Baß besang er später die „schäumenden Wellen“ und traf in seiner „zoologischen Arie“ die ganz tiefen Töne beim „am Boden kriechenden Gewürm“

Mit ausdrucksvollem und dynamisch wandlungsfähigem Tenor, etwa beim Gegensatz zwischen der „glänzenden Sonne“ und dem „sanften Schimmer“ des Mondes und auch bis in die Tiefen der „ewigen Nacht“ sang Lothar Odinius den Uriel . Zuletzt hörten wir ihn in Dortmund als Loge im „Rheingold“. - wirklich eine vielfache Stimmbegabung!

Als weiblicher Erzengel Gabriel glänzte Camilla Tilling mit Koloraturen und Trillern bis in hohe Höhen, etwa beim Besingen der Heilkraft der Kräuter oder der Nachahmung der Vogelstimmen, naürlich besonders der Nachtigall. Allerdings hatte sie Schwierigkeiten, sich stimmlich gegen Chor und Orchester durchzusetzen.

Für Adam und Eva waren zusätzlich André Morsch und Katharina Konradi ( mit leuchtendem koloratusicherem Sopran) eingesetzt, die aus dem langen Duett im dritten Teil eine Art Opernszene über idyllische Ehe von anno-dazumal gestalteten.

Die Krönung der Aufführung, und das merkte man an der Reaktion der Zuhörer, waren die Chorszenen mit dem etwa fünfzig Sänger umfassenden Balthasar-Neumann-Chor. Zusammen mit dem Orchester regte Dirigent Hengelbrock mit schwungvollen Bewegungen die Darstellung der Chorszenen in ihrer gesamten dynamischen Bandbreite an. Das zeigte gleich der Anfang vom „sotto voce“ gesungenen „Und der Geist Gottes“ zur riesigen Steigerung „Es ward Licht“ Alle mehrstimmigen Chöre gelangen mitreissend, für vieleBesucher als Höhepunkt „Die Himmel erzählen“ In fugierten Teilen waren die einzelnen Stimmen, auch Tenöre und Mezzosoprane, hörbar nachzuvollziehen. Zur Doppelfuge des Schlußchors wirkten neben den Sängern von Adam, Eva und Uriel eine Mezzosopranistin aus dem Chor mit, sodaß diese mit dem erst koloraturenreich von den Solisten dann mächtig vom Chor gesungenen „Amen“ krönender Abschluß wurde.

Das regte das Publikum im ausverkauften Konzerthaus zu grossem Beifall und Bravos an. Das belohnten Thomas Hengelbrock und Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble mit dem Doppelquartett-Chor „Denn er hat seinen Engeln befohlen“ aus Mendelssohn-Bartholdy's „Elias“, erinnernd an die Aufführung vor einigen Jahren in Dortmund.. Danach erscholl natürlich wiederum grosser Beifall, sodaß sich der Chor mit Rheinbergers „Abendlied“ aus den 1870-er Jahren trotz des Textes „Bleibt bei uns“ endgültig verabschiedete.

Sigi Brockmann 4.2.18

Fotos (c) Pascal Amos 'Rest

 

 

 

 

LA BOHEME

5. November 2017

Konzertante Aufführung

 

Inzwischen ist Teodor Currentzis ziemlich bekannt dafür geworden, daß er Angaben der Komponisten in den von ihm dirigierten Werken - bewundert etwa bei Mozart-Aufführungen im Konzerthaus Dortmund - betreffend Rhythmik, Dynamik, Tempo oder Lautstärke gern extrem verdeutlicht sowie daß er Fermaten , Generalpausen und Ritardandi auskostet und einzelne Akkorde bewußt akzentuiert. Da mag es ihn gereizt haben, Puccinis „La Bohème“ auf das Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach Szenen aus Henri Murgers „Vie de Bohème“ als erste Oper aus dem (ganz späten) 19. Jahrhundert einzustudieren. Eher kleinteilige Themen verknüpft Puccini neben den längeren „Hits“ zu einem musikalischen Ganzen. Dies ist auch darin begründet, daß hier musikalisch überhöht übertriebene Tollheiten, grosse Gefühle bei sogenannten „kleinen Leuten“, melancholische und tragische Szenen ziemlich abrupt aufeinander folgen oder sogar gleichzeitig sich ereignen wie zum Schluß des dritten Bildes.

Konzertant führte Currentzis sie am vergangenen Sonntag auf wie üblich mit dem MusicAeterna Chor und Orchester und mit bei uns kaum bekannten Solisten, viele aus seinem Heimat-Opernhaus Perm mitgebracht. Am 10. und 12. November folgen dann szenische Aufführungen im Festspielhaus Baden-Baden - dort angekündigt als Kooperation mit dem

 Opernhaus Perm.

Etwas Theater war dann doch im Konzerthaus. Die Herren waren z.B. Bohème-haft gekleidet und deuteten szenische Handlungen an, zum „Zapfenstreich“ gegen Ende des zweiten Bildes marschierte eine grosse Militärkapelle vor der Bühne von rechts nach links, die Stimmen der Zöllner, Strassenkehrer und Marktfrauen zum Beginn des dritten Bildes ertönten hinter der Bühne, auch die Beleuchtung wurde zur Unterstürzung der Handlung eingesetzt.

Einige Sänger, die in Dortmund sangen, treten nicht in Baden-Baden auf, so Davide Giusti als Rodolfo. Schon bei der „gelida mannina“- mit Zwischenapplaus - aber besonders nach der Pause ließ er seinen helltimbrierten Tenor mit grossen Legaro-Bögen ohne falsches Vibrato bis zu den Spitzentönen hin strahlen, verfügte aber auch über fast nur gehauchte leise bei p-Orchesterbegleitung trotzdem immer hörbare Töne.

In Baden-Baden dabei als Mimi ist Zarina Abaeva . Ihre Leistung war in alle Facetten bewundernswert. Schon in ihrer ersten Arie gelangen ihr grosser expressiver Stimmausdruck, dann mit unterschiedlicher Stimmfärbung die schnelleren Parlando-Stellen. Ganz anrührend war dann die Wiederholung derselben Stelle im letzten Bild wie ein verklärtes Echo oder danach die auf einem Ton gesungene Klage über ihre niemals wieder warmen Hände. Für sie gab es zu Recht zweimal Zwischenapplaus. Auch die tiefen Töne ihrer Partie bereiteten keine Schwierigkeiten.

Nur in Dortmund zu bewundern war Nadezhda Pavlova in der dankbaren Rolle der Musetta. Keck und treffsicher bis zum hohen h gelang ihr mit grosser Stimme der Walzer im zweiten Bild – wenn sie auch für den Spaziergang durchs weihnachtliche Paris etwas spärlich bekleidet war. Übermut zeigte sie stimmlich in den Duetten mit Alcindoro und Marcello.. Ganz zurückgenommen hingegen wirklich fast nur murmelnd (mormorato) sang sie wie gefordert fast nur auf demselben Ton das kurze Gebet an die Jungfrau kurz vor Mimis Tod.

Ihren Geliebten und Streitpartner Marcello sang mit ganz grosser Stimme stets tongenau Konstantin Suchkov. So wurde das Quartett der vier zum Schluß des dritten Bildes zu einem Höhepunkt des Abends.

Wie er sind alle anderen Solisten auch in Baden-Baden dabei. Edwin Crossley-Mercer gefiel stimmlich und übertrieben komisch spielend bei der Erzählung vom sterbenden Papagei im ersten Bild. Nahuel di Pierro bedauerte ergreifend bis zum tiefen Schlußton die Trennung von seinem alten Mantel. Damit er als solcher zu erkennen war, trug Sergey Vlasov als Spielzeugverkäufer Parpignol drei rote Luftballons mit sich.

Gary Agadzhanyan als genasführter Vermieter Benoît und später als spleeniger Staatsrat Alcindoro hatte Schwierigkeiten, sich gegen das Orchester stimmlich durchzusetzen.

Dies war allerdings abgesehen von den beiden Damen und dem Darsteller des Marcello für alle schwierig, weil auf der Bühne das MusicAeterna Orchester in ganz grosser Besetzung spielte. Wie dessen Mitglieder unter Leitung von Currentzis Puccini interpretieren würden, wurde mit Spannung erwartet. Zunächst schreibt Puccini betreffend Tempo Metronomangaben vor, macht aber durch zahlreiche Zwischenangaben Flexibilität möglich.. Das nutzte der Dirigent wie erwartet aus, Die fanfarenartigen Anfänge des ersten und zweiten Bildes ließ er mit Tempo und Wucht erklingen. Schnelles Tempo hielt er auch in den heiteren Parlando-Szenen in der ersten Hälfte des ersten und letzten Bildes durch. Umso eindringlicher langsam erklang dagegen etwa das Thema Mimis im ersten Bild, wobei das Tempo der Wiederholung im letzten Bild eher noch langsamer wurde, quasi als verklärende Erinnerung des ersten Treffens der beiden Liebenden. Zahlreiche Ritardandi wurden zusammen mit den Sängern immer an passenden Stellen intensiv ausdirigiert. Größten Eindruck hinterließ das Orchester an leisen Stellen, so z.B. die lautmalerische Beschreibung des Wintermorgens zu Beginn des dritten Bildes. Um ihr Thema deutlich hörbar werden zu lassen, erhoben sich zweimal die Holzbläser von ihren Sitzen, , etwa vor dem letzten Duett der Liebenden. Die Qualität des Orchesters zeigte sich natürlich auch bei einzelnen Solisten. Hier sei etwa die günstig platzierte und sehr viel beschäftigte Harfe - auch im Zusammenspiel mit Flöten - erwähnt, die man aus dem Orchestergraben sonst viel weniger hört. Ausdrucksvoll spielte die Oboe zu Beginn der Szene zwischen Rodolfo und Mimi im ersten Bild, einfühlsam begleitete das Violinsolo Mimis Schicksal, zum Schluß sogar zwei Solo-Violinen pppp!

Bei szenischen Aufführungen gibt es bei den Massen im zweiten Bild oft ein Durcheinander, wo die Chöre einschließlich Kinder und keifender Mütter mit den Solisten zusammen singen. Das war hier alles sehr schnell und exakt gespielt, auch weil der MusicAeterna Chor und der vortreffliche WDR Kinderchor Dortmund hinter dem Orchester auf der Bühne platziert waren und sich so ganz suf das Singen konzentrieren konnten.

Nach den beschliessenden Grave-Schlußakkorden vom ff diminuendo zum pppp gab im ganz ausverkauften Konzerthaus eine Schweigeminute, bevor langer starker Beifall, natürlich stehend, und Bravos für alle Mitwirkenden gespendet wurde. Durch ein paar Schläge der Pauke konnte er zeitweise sogar rhythmisiert werden. Es hätte ruhig noch länger applaudiert werden können, denn in einem nahegelegenen Parkhaus war der Kassenautomat ausgefallen und die Schranken mußten einzeln von Hand bedient werden.

Sigi Brockmann 6. November 2017

Fotos (c) Pascal Amos Rest

 

 

DAS RHEINGOLD

29. Mai 2017 

konzertant

„Das Rheingold“, der Vorabend zu Richard Wagners Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“, stellt bekanntlich als Anbahnung und Grundlage der späteren Konflikte viel Handlung auf die Bühne im Vergleich zu den folgenden „drei Tagen“, bietet dafür weniger emotionale oder psychologische Tiefe. Auch bedingt durch die thematisierte Kritik am Frühkapitalismus verleitet das Regisseure und wegen der ungewöhnlichen Spielorte (u.a. auf dem Grunde des Rheins oder unterirdische Kluft) auch Bühnenbildner zu mehr oder weniger verständlichen Lösungen.

Durch solches nicht abgelenkt ermöglichte volle Konzentration auf Musik und Text eine konzertante Aufführung, wie sie jetzt nach Hamburg und vor Baden-Baden stattfand im Konzerthaus Dortmund – auch folgend der langen Tradition von konzertanten Opernaufführungen. Es spielte das NDR Elbphilharmonie Orchester anstelle von Thomas Hengelbrock unter Leitung von Marek Janowski – in Dortmund als Wagner-Dirigent erstmals 1975, in Berlin mit seinen konzertanten Wagner-Aufführungen noch mehr bewundert und zuletzt „Bayreuth-erprobt“, wie es im Programm der Aufführung in Hamburg heißt.

Auch fast alle Sängerinnen und Sänger waren „Wagner-erfahren“

Weil er im „Rheingold“ die handlungsbestimmende Hauptrolle verkörpert, soll zunächst Johannes Martin Kränzle für seine stimmlich in jeder Facette glaubhafte Darstellung des Alberich gewürdigt werden. Obwohl wie fast alle Sänger hinter dem Orchester stehend war er textverständlich, nuancierte seine Stimmfarbe je nach Situation, geil zu Beginn, aber schon eindringlich bei „o Schmerz“ mächtig beim Liebesfluch ganz p beim Befehl an die Nibelungen „zaudert wohl gar?“ironisch zu Wotan „auf wonnigen Höhn“. Höhepunkt war dann natürlich die selbst die Zuhörer erschreckende Verfluchung des Rings.

Wotan kommt einem zumindest bis hin zu Erdas Warnung als eine Art Traumtänzer vor. Ihn sang Michael Volle ebenfalls textverständlich mit grosser raumgreifender Stimme. Gleich zu Beginn geriet der grosse Sprung bei „hehrer herrlicher Bau“ stolz und überheblich, er traf gegen Ende den tiefen Ton bei „es naht die Nacht“ und verfügte bis zum Einzug in Walhall über genügend Stimmreserven. Zusätzlich verdeutlichte er vieles durch angedeutetes Spiel.

Das gelang auch großartig Daniel Behle mit herrlich nuancierendem Tenor als Loge, kein früherer Heldentenor, wie manchmal erlebt, sondern zwar zynisch aber immer unangestrengt hohe und tiefe Töne treffend. Katarina Karnéus war als Fricka keine keifende Ehefrau, sondern stellte mit teils lyrischem Legato Sorge um das Schicksal der Götter stimmlich dar. Luxusbesetzung für die Partien waren die beiden Riesen, Christof Fischesser als Fasolt und Lars Woldt als Fafner, mit jeweils mächtigem tiefen Bass, der Unterschied zwischen dem eher liebenden Fasolt und dem machtgierigen Fafner wurde stimmlich deutlich. Bekannt aus der Aufführung des „Rheingold“ in der Jahrhunderthalle in Bochum vor einigen Jahren wiederholte Elmar Gilbertsson seinen damalige stimmlich so eindrucksvolle Leistung als gequälter. Mime. Mit tiefem Bass aber auch textverständlich sang Markus Eiche den Donner. Um den Blitz vorzubereiten, hatte er sogar einen kleinen Hammer mitgebracht. Eine gute Idee war es, Froh von dem eher als Konzertsänger bekannten Lothar Odinius (auch in Bayreuth!) singen zu lassen. So konnte er mit lyrischen tenoralen Schmelz die „leidlos ewige Jugend“ besingen als auch „die Brücke zur Burg“ führen. Gabriele Scherer sang eine lyrische Freia, verschluckte aber manchmal einzelne Silben. Ganz mochte man auf theatralische Momente nicht verzichten, die Rheintöchter Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Simone Schröder sangen links oben aus dem Rang, wobei erstere die hohen Spitzentöne bis zum c traf. Mit volltönendem Mezzo und langen Legatobögen warnte aus dem Rang rechts heraus Nadine Weissmann als Erda vor dem drohenden Ende der Götter.

Wie bei einem Orchester wie dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung eines Marek Janowki nicht anders zu erwarten war, wurden Vorspiel und Zwischenspiele zu Höhepunkten des Abends. Wenn man nicht nur hörte, sondern zusätzlich den ersten Einsatz der Kontrabässe, dann der Fagotte dann der Hörner auch noch sah, war die Wirkung eindringlicher, als wenn es nur aus dem Orchestergraben ertönt. Dasselbe galt für den Übergang vom ersten zur zweiten Szene mit dem sorgfältig vorbereiteten ersten Erklingen des Walhall-Motivs, ganz wunderbar weich gespielt von Tuben und Posaunen. Beim Abstieg nach Nibelheim sorgten hinter dem Orchester im ersten Rang neun Schlagzeuger für die rhythmisch genauen Amboßschläge, wie überhaupt rhythmische Feinheiten, etwa beim wuchtigen Auftritt der Riesen, genauer zu hören waren, als wenn sie aus dem Graben her tönen. Zu loben sind die Soli der ersten Violine etwa schon in der Rheintöchterszene oder sogar in Nibelheim. Was man sonst kaum hört, hier sah man, wenn die Violinen in mehrere Gruppen geteilt spielten. Stellvertretend für Holzbläser seien die Fagotte gewürdigt, alle Holzbläser bei Darstellung von „Freias Äpfeln“ Ganz p   aber tongenau spielten die Hörner das schwierige Begleitmotiv zum Tarnhelm. Selten hörte man so pompös den Einzug der Götter in Walhall, auch deutlich zu hören die sechs Harfen.

Überlegen leitete Marek Janowski das musikalische Geschehen, er differenzierte das Tempo zwischen recht schnell bei Begleitung von rezitativ-ähnlichen Stellen und etwas langsamer bei für den Fortgang der Handlung wichtigen Motiven oder Themen. Mit einer Dauer von ungefähr zwei Stunden 25 Minuten lag er ganz passend etwa bei derselben Zeit, die nach Bayreuther Überlieferung ungefähr auch Siegfried Wagner gebraucht haben soll.

Schon vor Beginn der Vorstellung wurde er vom treuen Dortmunder Publikum begeistert begrüßt. Nach der Vorstellung gab es langen herzlichen Beifall mit Bravos für alle Mitwirkende dieser eindrucksvollen konzertanten Aufführung.

Sigi Brockmann 30. Mai 2017

Fotos Pascal Amos Rest

 

PS: Im Rahmen der Pfingstfestspiele ist die Aufführung am 3. Juni 2017 um 18 Uhr

im Festspielhaus Badcn-Baden nochmals zu erleben

 

 

 

 

 

 

Berlioz

REQUIEM

am 19. Mai 2017

gewaltig und innig

Für seine Vertonung des „Requiem“, der lateinischen Totenmesse, brauchte Hector Berlioz eine riesige Anzahl Mitwirkender, darum heißt sein op. 5 auch „Grande Messe des Morts“ (Grosse Totenmesse). Neben dem ganz grossen „Hauptorchester“ mit viel Schlagzeug, immerhin u.a. acht Fagotten und entsprechend vielen Streichern, Holz- und Blechbläsern schreibt er noch vier Fernorchester bestehend aus Blechbläserchören in den vier Himmelsrichtungen vor, dazu einen gemischten Chor von mindestens 210 Stimmen, als Solisten aber nur einen Tenor.

Wenn dieses Riesenwerk im eher nüchtern wirkenden Konzerthaus Dortmund aufgeführt wurde, dann fehlte zunächst die Atmosphäre des sakralen Raums wie etwa des „Dôme des Invalides“ in Paris für die Uraufführung 1837 als Trauerfeier für einen verstorbenen General bestimmt oder wie auch kürzlich des Doms zu Münster oder des Kölner Doms. Von der Aufführung im letzteren waren die Mitwirkenden nach Dortmund ins Konzerthaus gekommen. Dafür hörte der Musikfreund betreffend Instrumentation und Polyphonie der Chorsätze manches, was im Kirchenraum vielleicht nicht so deutlich wurde.

Kaum faßte das Podium die grosse Zahl der Mitglieder des WDR Sinfonieorchesters Köln. Die mehr als zehn Pauken waren hinter dem Orchester im Halbkreis aufgestellt, auf jeder Seite davor zwischen den Bläsern je eine grosse Trommel (gran cassa), die mehr als fünf Beckenpaare links und die Tuben hinten rechts. Die Bläserchöre der Fernorchester wirkten ganz von oben rechts, links und in der Mitte des obersten Rangs sowie hinter den Zuschauern.

Die vereinten Chöre des WDR Rundfunkchor Köln und des Tschechischen Philharmonischen Chores Brünn standen auf den ansteigenden Plätzen hinter dem Orchester.

Gleich nach dem ersten Einsatzzeichen von Dirigent Jukka-Pekka Saraste  zum chromatisch aufsteigenden Anfangsmotiv des Introitus zeigte sich durch das deutlich zu hörende Crescendo zum sf auf einem Ton der Vorteil einer Aufführung in einem Raum mit der Akustik des Konzerthauses. Auch waren im folgenden „Requiem“ wie auch später bei mehrstimmigen Sätzen die einzelnen Stimmen akustisch gut verfolgbar. Dies galt auch wenn etwa ein Teil des Chores choralartige Melodien sang, der andere dazu sich wie Tropfen anhörende durch kleine Pausen getrennte Achtel sang.

Das „Dies irae“ begannen Celli und Bässe choralartig, bevor verhalten der Chor einsetzte. Das war die Ruhe vor dem Sturm zur Einleitung des „Turba mirum“ (die Posaune erklingt),wo das gesamte grosse Orchester mit allem Schlagzeug sowie alle Fernorchester – rhythmisch sehr präzise - die Schrecken des Jüngsten Gerichts ankündigten. Der folgende gewaltige Einsatz der Bässe des Herrenchores liessen dann das Konzerthaus erbeben, gelungen der Gegensatz zum p „Mors stupebit“ (der Tod erschauert). Beim späteren „Judex ergo cum sedebit“ (der Richter setzt sich) waren dann allerdings die Orchestermassen so laut, daß man vom Platz im Parkett die Chöre kaum noch hören konnte.

Die farbige Instrumentation hörte man dann wieder deutlich in der Einleitung und den „Seufzern“ des „Quid sum miser“ (Was soll ich Unglücklicher sagen) durch Englisch Hörner und die acht Fagotte. 

Beim „Rex tremendae“ (König schrecklichere Majestät) war wieder eindrucksvoll zu hören der Gegensatz der Klangfülle aller Orchester bis zum „voca me“ (rufe mich), dann - nach einer Generalpause für den hier fehlenden Nachhall - folgend „sotto voce“ von den Bässen ohne Probleme bis in ganz tiefe Tiefen gesungen „de profundo lacu“ (aus der tiefen Unterwelt)

Grosses Lob gebührt den Chören für das folgende ohne Orchester zu singende mehrstimmige „Quaerens me“ (Mich suchend) – man hatte den Eindruck eines nachempfundenen mittelalterlichen Madrigals.

Mittelpunkt des Werks ist das „Lacrymosa“ (jener tränenreiche Tag). Beim tänzerischen 9/8-Takt liessen sich die mehrstimmigen Chöre durch die dazwischen fahrenden sich immer steigernden Akkorde aller Orchester auf unbetonten Taktteilen nicht aus dem Rhythmus bringen, sodaß der Eindruck eines Totentanzes deutlich wurde, der dann im gewaltigen einstimmigen Schlußakkord gipfelte.

Nach dieser Anstrengung durften die Chöre im „Offertorium“ das immer wiederholte Motiv des „Domine“ (Herr Jesus Christus“) - angeblich die Seelen im Fegefeuer - sitzend singen. Sehr farbig kam sich steigernd der Orchestersatz zur Geltung.

Beim einstimmigen „Hostias“ (Opfergaben) des Herrenchors bewunderte man die delikate akkordische Begleitung durch drei Flöten des Hauptorchesters mit Posaunen zweier Fernorchester – das ist akustisch in solch einem Konzertsaal optimal nachzuvollziehen.

Das gilt auch für das Flötensolo mit vier Solo-Geigen im „Sanctus“ Zart begleitet vom Damenchor sang mit schlanker Stimme und scheinbar ganz unangestrengt das hohe b erreichend  Andrew Staples  vorne links vom ersten Rang her wie von einer Kanzel sein Solo.– hier fehlte ein wenig der Nachhall des Kirchenraums. Kraftvollen Kontrast bot dann wieder ganz durchhörbar vom gesamten Chor gesungen die allen Regeln der Kunst entsprechende Fuge des „Hosanna in excelsis“, immerhin von einem Komponisten, der Bach nicht besonders mochte. Bewundern mußte man bei der Wiederholung des „Sanctus“ wie sanft die sonst so lauten Becken als Begleitung geschlagen wurden.

 Das abschliessende „Agnus dei“ begann mit abwechselnden p-Akkorden der Holzbläser und der Bratschen, weshalb diese wohl vorne rechts platziert waren. Beim „Amen“ beeindruckte zu den langsamen Arpeggien der Streicher der Wechsel zwischen leisen Akkorden aller Bläserchöre und den verklingenden Schlägen der Pauken, die mit zusammen mit einem Pizzikato-Akkord der Streicher das Werk beenden.

Da war es nur passend, daß erst nach einer Schweigeminute starker Applaus einsetzte mit Bravorufen – natürlich irgendwann stehend – für den Dirigenten, der die Aufführung so überlegen, einfühlsam aber doch präzise und ohne besondere Schaueffekte geleitet hatte. Ebenso applaudiert wurde dem Tenorsolisten, den Chören und dem Orchester und den durch Scheinwerfer hervorgehobenen Fernorchestern.

Sigi Brockmann 20. Mai 2017

Fotos (c) Petra Coddington

 

PS: Die Aufführung mit denselben Mitwirkenden aus dem Kölner Dom wird am nächsten Samstag, dem 27. Mai 2017, auf 3-sat übertragen.

 

 

 

Ligeti „Le Grand Macabre“ halbszenisch

23. Februar 2017 RuhrResidenz der Berliner Philharmoniker

Manches paßt zum Karneval in der Oper in zwei Akten „Le Grand Macabre“ von György Ligeti auf einen Text von Ligeti selbst und Michael Meschke ganz frei nachempfunden dem Schauspiel „La Balade du Grand Macabre“ aus dem Jahre 1934 des flämisch-französischen Dichters Michel de Ghelderode“ So kann man den Schlußvers „ Und wenn er (der Tod) kommt, dann ist's soweit ,,,Lebt wohl so lang in Heiterkeit“ geradezu als ein Motiv für den Karneval interpretieren. Auch etwa   Satiren von einer unbefriedigten Ehefrau mit SM-Vorliebe, von zwei korrupten Ministern, die ihren kindischen Fürsten „wie einen Punchingball“ hin- und herwerfen, oder der Komik vom grossen Besäufnis passen dahin.

Nach Stationen in London (mit anderem Orchester) und Berlin wurde in Dortmund am Tage von Weiberfastnacht diese Oper durch die Berliner Philharmoniker  unter der musikalischen Leitung von Sir Simon Rattle - als Teil ihrer „RuhrResidenz“ - sowie in der Regie von Peter Sellars halbszenisch aufgeführt.

Letzterer stellte in seiner Inszenierung mehr die ernste Seite dieser doppelgesichtigen Oper in den Vordergrund. Der Handlungsort „Breughelland“ verweist doch auf Bilder der Malerfamilie Breughel zwischen Darstellung von derbem Fressen und Saufen und groteskem Weltuntergang. Beginnend mit dem Hinweis auf einen fiktiven „Saubere-Nurklear-Energie-Kongress interpretierte der Regisseur - wie vor 20 Jahren schon einmal in Salzburg -   den angekündigten aber nicht durchgeführten Weltuntergang einseitig als nukleare Katastrophe. So standen Atomfässer auf der Bühne herum. Fast alle Mitwirkenden einschließlich der Mitglieder der Gepopo (geheime politische Polizei) oder der Einwohner von Breughelland traten zeitweise in weissen Kitteln oder Schutzanzügen auf. Dazu paßten Farbspiele der Saalbeleuchtung. Da die Bühne vom Riesenorchester besetzt war, sah man auf einer Videoleinwand Bilder von Tschernobyl nach der Katastrophe, von Niederschlagung einer Anti-Atom-Demo oder von Atompilzen. Daß der todbringende Komet gar nicht einschlug, statt der Katastrophe nur ein Riesenbesäufnis mit anschliessendem Riesenkater stattfand, wurde nicht so deutlich bebildert. Unerwartete Aktualität erhielt dies durch die angekündigte Vergrösserung des US-Atomwaffen-Potentials durch President Trump. Für das junge Liebespaar gab es Blumen auf der Videoleinwand. Passender war es, wenn man dort die Gesichter einzelner Mitwirkender in Großaufnahme sah und so ihre teils groteske Mimik bewundern konnte.

Unvergesslich wurde der Abend durch die Ausführung von Ligetis Musik. Im Interview betonte ein Mitglied der Berliner Philharmoniker; die Musik sei extrem ausdrucksvoll und extrem schwierig. Das galt vor auch für die Sänger, die alle bis an die Grenzen ihres Stimmfachs reichenden Anforderungen eindrucksvoll bewältigten. In der Titelpartie des „Grand Macabre“ auftretend unter dem Namen Nekrotzar sang Pavlo Hunka mit prophetisch biblischen Bariton die Ankündigungen des von ihm dann verschlafenen Weltuntergangs, traf die extrem tiefen Töne auch bei Koloraturen und stellte stimmlich gekonnt den Übergang dar, wie er zuerst glaubte, statt Wein Blut (!) seiner Opfer zu trinken. Dann mußte er gekonnt den Betrunkenen darstellend mehrfach Anlauf nehmen, etwa die Namen die von ihm früher getöteten Cleopatra oder Dschings Khan auszusprechen. Trunkenheit, aber dauernd, stellte mit ganz hohem Tenor Peter Hoare als „Weinabschmecker“ Piet vom Faß dar. Wie er im ersten Akt beim mehrfachen Versuch, den Namen „Breughelland“ auszusprechen auf dem „la“ lange Koloraturen bis hin zum p sang, war bewundernswert. Auch er traf gekonnt manche für seine Stimmlage tiefe Töne. Stimmlich und mit in der Vergrösserung gut sichtbaren Mimik überzeugte mit tiefem Baß Frode Olsen als gedemütigter Ehemann und Astronom Astradamors. Die ihn so demütigte, aber hier nur durch hörbare Schläge auf der Tablet-Tastatur, war seine Frau Mescalina, mit grosser Wagner-Stimme gesungen von Heidi Melton. Auch ihre starke Mimik erreichte über die Vergrösserung direkt den Zuschauer. Eine ganz aussergewöhnliche Leistung zeigte die Sopranistin Audrey Luna in der bis in höchste Töne reichenden Koloratur-Partie des Chefs der Gepopo. Singend lag sie verstrahlt und sterbend auf einem Krankenbett. Wiederum vergrössert zu sehen waren ihr Gesicht und ihr Körper zuckend im Rhythmus der vielfach nur aus gesungenen Lauten bestehenden halsbrecherischen Koloraturen. Das vergißt man so schnell nicht! Nebenbei hatte sie auch die kleine Partie der Venus übernommen.

Dem Fürsten Gogo verlieh mit hohem Countertenor Anthony Roth Constanzo  auch stimmlich kindische Unbedarftheit. Als weisser und schwarzer Minister beschimpften sich und vertrugen sich je nach politischer Lage Joshua Bloom und Peter Tantsits. Die beiden schönsten Partien der Oper sind das junge Liebespaar Amando und Amanda (früher geheissen Spermando und Clitoria) Um sich zu lieben ziehen sie sich zu Beginn der Oper zurück, lieben sich während des vermeintlichen Weltendes und kehren sich liebend nachher zurück - „ganz uns selbst gegeben der Liebe nur zu leben“. Anrührend klar und zart sangen das Ronnita Miller und Anna Prohaska letztere vor allem mit lyrisch- langen Soprantönen.

Der Rundfunkchor Berlin in der Einstudierung von Gijs Leenaars, sang ätherisch als Frauen-Begleitchor der Venus, unheimlich als Geister hinter der Bühne, flehend und stimmkräftig anklagend, auch aus dem Saal, als Einwohner von Breughelland.

Ligeti bezeichnete sein Werk als „Anti-anti-Oper“ Doppelte Verneinung ergibt verstärkte Bejahung. So meinte er vielleicht auch mit dieser Bezeichnung, daß er in der Nachfolge Alban Bergs frühere Musikformen nachempfand und Zitate aus allen Musikepochen von Gregorianik bis Cluster verwendete. Dies hörte man unübertrefflich durch die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle .Markant erklang gleich zum Beginn die Anfangs-Toccata aus Monteverdis „Orfeo“, aber jetzt gespielt von Autohupen. Weitere orchestrale Höhepunkte waren die grandiose Chaconne beim Einzug von Nekrotzar samt Gefolge zum Hof des Fürsten Go-go oder vor allem der Übergang von der gewaltigen Weltuntergangsstimmung im dritten zur ganz zarten Eröffnung des vierten Bildes, wo sich Piet und Astradarmors schon im Paradies wähnen, es aber nur der Kater nach dem Besäufnis ist. Ebenso eindrucksvoll geriet die Fuge, als Nekrotzar sein Versagen beim Weltuntergang einsieht und „in Nichts vergeht“ Die Positionierung einzelner Bläser und Sänger auf den Rängen vermittelte Raumwirkung. Insgesamt verstand es Simon Rattle, aus den so verschiedenen gewaltigen Rhythmen, den teils ganz zarten - auch Soli einzelner Instrumente - teils sehr kompakten Klangfarben des Orchesters und den schnellen Ensembles der Sänger eine durch die ganze Oper sich steigernde mitreissende Wirkung auf den Zuhörer aufzubauen.

Als zur abschliessenden Passacaglia der jungen Liebenden und zum folgenden Schlußhymnus aller Sänger, natürlich ausser Nektrotzar,   auf der Videoleinwand Kühe vor der Ruine von Tschernobyl mit dem Schwanz wedelten, sollte das wohl ausdrücken, was sonst im Rheinland so gesagt wird „Et hätt noch immer jot jejange“

Das Publikum im ausverkauften Konzerthaus klatschte nach einer Schweigeminute begeistert Beifall, auch im Stehen, auch Bravos waren zu hören. Aber nach diesem ausserordentlichen Abend wäre längerer Applaus mehr als verdient gewesen.

Sigi Brockmann 24. Februar 2017

Fotos (c) Monika Rittershaus

 

 

 

 

MAREK JANOWSKI

dirigiert wieder die Philharmoniker

14. Februar 2017

Beethoven und Schubert – zweimal die Achte

Vor Beginn seiner internationalen Karriere war Marek Janowski von 1975 bis 1979 Generalmusikdirektor am Opernhaus Dortmund, wo damals auch die Konzerte der Dortmunder Philharmoniker stattfanden. Obwohl er seinen Vertrag vorzeitig löste, bleibt vielen Musikfreunden sein Wirken unvergessen. Als Nachfolger von Wilhelm Schüchter setzte er als „junger Mann“ im Konzertbereich dessen Schwerpunkt zwischen Mozart - gleich in seinem ersten Konzert - über die deutsche Klassik und Romantik bis zu Gustav Mahler fort, führte aber auch damals ganz moderne Kompositionen wie etwa von Ligeti oder Charles Ives auf. Opernfreunden unvergessen sind seine Opern- Dirigate, schon damals besonders von Wagner, genannt sei die Fortsetzung und Vollendung des von Wilhelm Schüchter begonnenen „Rings“, der „Meistersinger“ und des „Parsifal“ - hier sang Waltraud Meier nach meiner Erinnerung ihre erste Kundry. Höhepunkt war für den Verfasser die Aufführung der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss hinreissend musiziert und gesungen in den wunderbar poetischen Bühnenbildern von Hans Schavernoch. Seitdem wurde diese Oper in Dortmund nicht mehr aufgeführt!

Beide diese eher heiter-beschwingten oder sogar festlichen Sinfonien dirigierte Marek Janowski auswendig. Umso umsichtiger konnte er dadurch mit teils knapper, immer exakter Zeichengebung das musikalische Geschehen leiten. Dynamische Höhepunkte und passende Ritardandi steuerte er dann mit ausführlicheren Bewegungen an, ohne in effektheischendes Herumhampeln zu verfallen. Das hat ein meisterlicher Dirigent alter Schule nicht nötig!

Das zeigte sich gleich bei der 8. Sinfonie in F-Dur op.93 von Ludwig van Beethoven. Zu Beginn des ersten Satzes wurden die grossen dynamischen Unterschiede deutlich, die Violinen spielten bei der Überleitung zum zweiten Thema exakt die punktierten Sechzehntel. In der Durchführung hob er die starken Akkorde auf den normalerweise unbetonten Taktteilen kontrastierend hervor. Zu Beginn der Coda wurde das kurze Klarinetten-Solo vollendet gespielt vom Solo-Klarinettisten Wilfried Roth-Schmidt, der schon in Janowskis Dortmunder GMD – Zeit Mitglied des Orchesters wurde. Ebenso spielten von damals bis heute Roman Nowicki am ersten und Lore Militzer am weiteren Bratschen-Pult mit. Von seinen CD-Aufnahmen und zuletzt vom „Ring“ in Bayreuth wissen wir, daß Marek Janowski manchmal schnelle Tempi liebt, das zeigte er hier im zweiten Satz „Allegretto scherzando“ mit dem an das Ticken einer Uhr erinnernden   Staccato der Bläser und dem kecken Motiv der ersten Geigen. Der Satz schnurrte ganz humorvoll vorbei. Das nach dem Muster   klassischer Vorbilder (Josef Haydn) gestaltete „Tempo di Menuetto“ (an Stelle des sonst bei Beethoven üblichen Scherzos) kam humorvoll-grimmig daher, besonders wegen der wiederum stark betonten Akzente auf unbetonten Taktteilen. Im lyrisch-tänzerischen Mittelteil gestalteten Solo-Klarinette und Hörner zarte Romantik. Diese Idyll wurde durch die deutlich hörbare Begleitung durch Celli mit Staccato-Achtel-Triolen relativiert. Mit ganz schnellem Tempo und starken dynamischen Gegensätzen in den Akkord-Ballungen wurde trotz des ruhigeren zweiten Themas der fast etwas derbe Charakter des letzten Satzes deutlich.

Die „grosse“ Symphonie in C-Dur von Franz Schubert, nach heutiger Zählung seine achte, ist nun ganz verschieden von der knappen, konzentrierten Schreibweise Beethovens. Hier konnte Janowski die harmonischen Kühnheiten und dynamischen Entwicklungen, mit denen Schubert seine gesanglichen Themen begleitet, weiträumig disponieren – man erinnert sich an seine Bruckner-Aufnahmen. So nahm er etwa im ersten Satz bei der Wiederholung der Reprise ein etwas schnelleres Tempo als am Anfang oder ließ das einleitende so romantisch geblasene Hornmotiv zum festlichen Schluß besonders nachdrücklich erklingen. Im zweiten Satz erfreute die Solo-Oboistin Birgit Welpmann mit dem gesanglichen Tanzthema. Ganz großartig gelang der Übergang vom fff-Akkord zum pp vor dem ruhigeren Mitteilteil. Ebenso ging es im Scherzo vom schnell gespielten stampfenden Hauptmotiv zum erfreulicherweise in passendem Walzer-Tempo gespielten Mittelteil. Auch im Schlußsatz wurde gleich nach dem fanfarenartigen Beginn der abrupte Übergang zum Staccato-Streicher-Thema dynamisch herausgehoben. Im Verlauf dieses wiederum sehr rasch gespielten „Allegro vivace“ sorgten die Streicher, besonders die Violinen, mit dem exakt gespielten sich ewig wiederholenden Vier-Achtel-Motiv und den punktierten Sechzehnteln sehr hörbar für Gegensatz zu den gewaltigen Bläser-Melodien.

Nach der nochmals grossen Steigerung zum strahlenden C-Dur-Schluß reagierten die Zuhörer im ausverkauften Konzerthaus erwartungsgemäß mit grossem Applaus und vielen Bravos. Dem Augenschein nach zu urteilen waren auch darunter viele, die Marek Janowski noch als Dortmunder GMD hatten-.

Vom Programm her nicht ganz verständlich wurde das Konzert unter das Motto „schaffens_kraft“ gestellt. Die ist Marek Janowski für seine nächsten grossen Pläne, so wieder den diesjährigen „Ring“ in Bayreuth, zu wünschen..

Sigi Brockmann 15. Februar 2017

Fotos (c) A. Schürer/Dortmunder Philharmoniker

 

 

 

 

 

Matinée der Mozart-Gesellschaft Dortmund

Konzerthaus am 22. Januar 2017 

Mozart - zwei, eins, drei – Klaviere mit Orchester

In ihren Matinéen bietet die Mozart Gesellschaft von ihr geförderten Stipendiaten Gelegenheit, ihr Können mit professionellen Orchestern vor einem grösseren Publikum zu beweisen. Gleichzeitig ist es in diesem Rahmen möglich, aus Mozarts riesigem Werk Stücke aufzuführen, die nicht dem gängigen Repertoire angehören.

Beides zeigte exemplarisch die Matinée am vergangenen Sonntagmorgen.

Als hochrangiges Orchester trat auf das Deutsche Kammerorchester Berlin von der ersten Geige her geleitet von Gabriel Adorjan – alle im Stehen spielend, natürlich mit Ausnahme der Celli.

Begonnen wurde mit dem anspruchsvollsten Werk des Morgens, dem Konzert für zwei Klaviere und Orchester in Es-Dur KV 365 – verständlich, wenn man bedenkt, daß Mozart es für sich und seine Schwester Nannerl komponiert hatte. Es wurde gespielt von zwei jungen Stipendiatinnen. Wie Severin von Eckardstein, der vor kurzem in einer Mozart-Matinée auftrat, studierte auch Magdalena Müllerperth  zuletzt bei Professor Klaus Hellwig an der Universität der Künste Berlin. Auch Annika Treutler wurde zeitweise von ihm musikalisch betreut

Die beiden schafften es erfolgreich, sich sowohl dem Spiel des fürsorglich begleitenden Orchester einzuordnen als auch sich gegenseitig abzustimmen. Das zeigte gleich der energische von beiden gespielte Triller, mit dem nach der Orchestereinleitung die Solopartien des ersten Satzes begannen. Wenn sie sich auch häufig vor allem in der Durchführung im Spiel abwechselten oder gegenseitig begleiteten, gab es doch immer virtuose Läufe für beide gleichzeitig, die ihnen exakt unisono gelangen. Dies galt auch für punktierte Akkorde, etwa im langsamen Satz. Dort umspielten sie einfühlsam mit girlandenartig - arpeggierten Akkorden die Melodien der Holzbläser, vor allem der Oboe. Höhepunkte waren die Kadenzen, besonders im dritten Satz, wo sie Virtuosität im Zusammenspiel beweisen konnten, oder auch zum Schluß, wo die „normalen“ Achtel der Melodie von Triolen-Achteln begleitet wurden.

Das folgende Konzert für ein Klavier und Orchester in A-Dur KV 414 wurde mit Matthias Kirschnereit zwar auch von einem früheren Stipendiaten der Mozart-Gesellschaft gespielt, aber einem, der inzwischen weltweit Karriere gemacht hat (Stipendiat 1987) Da er Mozarts Klavierkonzerte auch auf CD veröffentlicht hat, erklangen jeder Ton, jeder Triller und jeder perlende Lauf brillant und kontrolliert dynamisch abgestimmt. In der Exposition des ersten Satzes spielte er vor Beginn seiner Solo-Partie einige Orchesterakkorde mit und schien auch manchmal mitdirigieren zu wollen. Im langsamen Satz, der dadurch bekannt ist, daß er mit einem Motiv von Johann Christian Bach beginnt, spielte er äusserst kantabel, besonders im p. Das Thema aus dem ersten Satz, das auch das abschliessende Rondo beherrscht, vergißt man ohnehin nicht, wenn man es einmal gehört hat. Dies nahm er pointiert, spielte virtuos die Kadenz und sorgte für Überraschung, als er kurz vor Schluß die ersten Takte des „Alla Turca“ aus Mozarts Klaviersonate KV 331 einfügte..

Abschliessend spielten alle drei Pianisten mit dem Orchester Mozarts Konzert für drei Klaviere und Orchester in F-Dur KV 242. Hier übernahm Matthias Kirschnereit bescheiden das dritte Klavier, dessen Partie Mozart technisch einfacher gestaltet hat. Ältere Konzertbesucher – dazu zählte die Mehrzahl – erinnerten sich wohl, daß es deshalb in den 80-er Jahren Kanzler Schmidt (dafür grosse Hochachtung!)zusammen mit Christoph Eschenbach, Justus Frantz und dem London Symphony Orchestra einspielen konnte. Auch in den beiden anderen Solo-Partien waren die Anforderungen nicht so groß wie im Konzert für zwei Klaviere.. Da Magdalena Müllerperth am ersten und Annika Treutler am zweiten Klavier jetzt auch sichtlich und hörbar gelöster wirkten, erfreute man sich am munteren abwechselnden Spiel im ersten Satz, dem etwas lyrischeren zweiten und dem tänzerischen Menuett - Tempo im dritten Satz.

Während üblicherweise ein Orchesterstück gespielt wird, trat hier das Deutsche Kammerorchester Berlin (nur?) als Begleitung der Solisten auf. Da alle Werke für Mozarts Zeit groß besetzt waren, bewunderte man neben den Streichern auch das Spiel der Hörner und Holzbläser.

Das Publikum im ausverkauften Konzerthaus spendete herzlich und lange Beifall für die Mitwirkenden aber auch wohl dafür, daß ihr Namenspatron kaum besser gefeiert werden konnte als mit einem solchen Programm. Die drei Pianisten spielten als Zugabe tatsächlich ein Stück für sechs Hände an einem Klavier, die Romance von Sergei Rachmaninoff.

Schon am Montag begleitet das Orchester die beiden Damen mit Mozart im Kieler Schloß, Magdalena Müllerperth spielt das jetzt von M. Kirschnereit gespielte A-Dur Konzert, Annika Treutler das sog. „Jeunehomme“ - Konzert.

Sigi Brockmann 23. Januar 2017

Fotos Matthias Oertel

 

 

 

 

DIE ERSTE WALPURGISNACHT

11. Juni 2016 Chorkonzert

heidnisch-Deutsch dann geistlich-Latein

Felix Mendelssohn Bartholdy – Die erste Walpurgisnacht

Daniel Friedrich Eduard Wilsing - De Profundis (Aus der Tiefe)

Anfang des 19. Jahrhunderts war in Berlin Ludwig Berger der bekannteste Musiklehrer. Zu seinen Schülern zählten unter anderen zwei im Jahre 1809 geborene Komponisten, Felix Mendelssohn Bartholdy aus Hamburg und Daniel Friedrich Eduard Wilsing aus Hörde – heute ein Stadtteil Dortmunds, bekannt durch den Phönixsee. Der eine wurde erfolgreich und ist es bis jetzt trotz Unterdrückung seiner Werke in der Zeit des Nationalsozialismus wieder geworden.. Der andere hatte zu Lebzeiten ebenfalls Erfolg, wurde u.a. von Robert Schumann gewürdigt und später völlig vergessen.

Am vergangenen Samstag wurden im Konzerthaus Dortmund von beiden je ein grosses Werk für Solisten, Chor oder sogar mehrere Chöre und Orchester aufgeführt. Vielleicht kann der Vergleich Gründe für den unterschiedlich Nachruhm andeuten.

Goethe schrieb eine Ballade mit dem Titel „Die erste Walpurgisnacht“ über eine kultische Frühlingsfeier von Heiden (Druiden?), die damit dem bereits übermächtigen Christenglauben trotzen. Diese hatte er zum Komponieren für Carl Friedrich Zelter bestimmt, der schaffte es nicht, wohl aber Felix Mendelssohn und das ganz großartig, wie die Aufführung in Dortmund wieder bewies.

Bereits den ersten Teil der Ouvertüre „das schlechte Wetter“ spielten die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz furios mit starken Akzenten und stürmischen Läufen der Streicher, wie sie Wagner später im „Fliegenden Holländer“ nachempfunden hat. Ganz wunderbar romantisch klangen die beiden Hörner beim „Übergang zum Frühling“ Hier wie später auch in den Zwischenspielen konnten die Holzbläser irrlichternd ihre Virtuosität beweisen.

In den Solo-Gesangspartien glänzte Roman Payer mit hellem Tenor bis zum hohen a als „Druide“.und dann als ängstlicher fliehender christlicher Priester. Textverständlich und mit warmen tiefen Alt warnte Natascha Valentin vor den vermeintlichen Verbrechen der „strengen Überwinder“, also der Christen. Ebenfalls sehr textverständlich mit mächtigem Bass sang Luke Stoker den „Wächter der Druiden“ Für den Priester der „Druiden“ hatte Gerardo Garciacano die passenden auch langen Bariton – Töne parat.

Als Chöre sangen der Kammerchor der TU Dortmund einstudiert von Ulrich Lindtner und der Klangfarben-Konzertchor Dortmund einstudiert von Johannes Knecht.  Wenn fast einstimmig gesungen, klangen die Chöre mächtig und hymnisch besonders zum Schluß zur Verehrung „Allvaters“. Ganz vielstimmig waren Höhepunkte der Chor der Wächter der Druiden mit höhnischem Spott „Kommt mit Zacken und mit Gabeln“ begleitet von wildem Schlagzeug und Piccoloflöten im Orchester und der ängstliche Chor der „christlichen Wächter“ pp dann crescendo ansteigend„Ach es kommt die ganze Hölle“ begleitet von chromatisch aufsteigenden Triolen im Orchester, alles exakt und mit Körpereinsatz geleitet von GMD Gabriel Feltz.

Nach der Pause begrüßte das Publikum mit Applaus die auftretenden Chöre und der Applaus mußte lange andauern, bis 320 Sänger auf der Empore und hinter dem jetzt auf der ganzen Breite des Podiums aufgestellten Orchester ihre Plätze eingenommen hatten. Holzbläser sassen ganz links, Blechbläser ganz rechts und Pauken sowohl rechts als auch links Dies alles, um nach über 150 Jahren erstmals wieder von Daniel Friedrich Eduard Wilsing die Vertonung von Teilen des Psalms „De profundis clamavi ad te“ (Aus der Tiefe rufe ich Herr zu Dir) aufzuführen. (in der Vulgata der 129. bei Luther der 130.Psalm) Zu den bereits genannten Chören traten hinzu der Philharmonische Chor des Dortmunder Musikvereins unter Leitung des langjährigen Direktors des Dortmunder Müller, der Dortmunder Oratorienchor einstudiert von Heiko Waldhans und aus der nächsten Opernchors Granville Walker, der Dortmunder Bachchor in der Einstudierung von Klaus Eldert Nachbarschaft der Bach-Chor-Hagen einstudiert von Johannes Krutmann. Diese Chöre zusammen bildeten die von Wilsing geforderten vier getrennten Chöre. Sie standen aber nicht getrennt, sodaß für den Zuhörer ein einziger riesiger Chor sang mit bis zu 16 Stimmen, da alle Chöre vierstimmig geschrieben waren. Für die Vergangenheit erinnerte das an Palestrina und J. S. Bach, später schrieb Gustav Mahler ähnlich vielstimmige Chöre von grösserem Orchester begleitet. Mit Bach verglich auch Robert Schumann in seinem lobenden Brief das Werk von Wilsing. Das lag auch nah, da Wilsing aus einer evangelischen Kantorenfamilie stammte – trotzdem vertonte der den Psalm auf Latein - Es sollte wohl eine Wiederbelebung früherer Kompositionstechniken mit den stimmlichen und orchestralen Mitteln der Zeit angestrebt werden. So gab es fugierte Teile, gab es riesige Steigerungen von p einzelner Stimmen einzelner Chöre bis zum ff aller Chöre, etwa bei „Exaudi me“ oder„Speravit anima mea“ (Meine Seele hofft auf Dich) Aus der Masse der Chöre traten zwei Solisten heraus, hier von Sängern des Opernhauses gesungen. Mit leuchtendem Sopran sang Ashley Thouret bei „Speravi in te“ ein längeres Solo, wiederum war Gerardo Garciacano für das Bariton-Solo zuständig. Die Orchestrierung Wilsings entsprach den Erwartungen an eine Komposition aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, wohl nicht ganz so abwechslungsreich und aufregend wie bei Mendelssohn. Es erklangen auch Zwischenspiele für das Orchester, etwa vor „Et me salvabis“ (Du wirst mich retten). Das Werk endete auch nicht mit dem von allen Chören ff gesungenen „Amen“ sondern mit zwei Akkorden des Orchesters. Ganz bewundernswert war, wie es den gut einstudierten Sängerinnen und Sängern und dem Orchester dank der exakten Zeichengebung von Gabriel Feltz gelang, das gewaltige Werk aufzuführen ohne daß beim erstmaligen Hören Fehler oder Ungenauigkeiten festzustellen waren. Da bedauert man, daß dieser riesige Aufwand für nur eine einzige Aufführung betrieben wurde.

Finanziell ermöglichte dies die Dortmunder Reinoldi-Gilde, eine Vereinigung von Dortmunder Bürgern, die sich dem Wohl ihrer Heimatstadt auch finanziell verpflichtet fühlt. Aber diesen mußte eine solche Aufführung erst als förderungswürdig dargestellt werden. Dafür wurde zu Recht gelobt Thomas Rink , selbst ausübender Musiker, neben vielen anderen Aufgaben als Kulturmanager für Dortmunds Theater und Orchester tätig.

Das Publikum im ausverkauften Konzerthaus spendete allen reichlich verdienten langen Applaus auch stehend, für diese grossen Einsatz aller Beteiligten.

Sigi Brockmann 12. Juni 2016

Fotos Anneliese Schürer

 

 

 

EDGAR

Oper von Puccini

Aufführung am 29. Mai 2016

Vom Publikum begeistert gefeiert

Dem KLANGVOKAL MUSIKFESTIVAL DORTMUND ist zu danken, in diesem Jahr seinem Publikum ein solch besonderes Opernjuwel präsentiert zu haben. Wer als Opernliebhaber der gestrigen konzertanten EDGAR-Aufführung im Dortmunder Konzerthaus beiwohnte, darf sich glücklich schätzen. Puccini at his best, große Stimmen, ein hochkarätiges WDR Funkhausorchester Köln und alles unter der souveränen musikalischen Leitung von Alexander Joel, einem großartigen Operndirigenten

Lange galt der vierte Akt der Puccini-Oper EDGAR als verschollen. Bis er 2007 im Nachlaß einer Enkelin des Meisters in New York aufgetaucht ist. 2008 gab es in Turin endlich eine Aufführung des gesamten Werkes. Gestern nun dann die deutsche Erstaufführung dieser zu unrecht in Vergessenheit geratenen Oper EDGAR. Die immerwährend spannende und glutvolle Operngeschichte eines Mannes der zwischen zwei völlig unterschiedlichen Frauen steht. Auf der einen Seite die lebenslustige und oberflächliche Schönheit Tigrana und auf der anderen Seite das bescheidene Dorfmädchen Fidelia für die sich am Ende, und dann aber zu spät, der Titelheld EDGAR entscheidet. Stoff für einen Komponisten vom Range eines Puccini, daraus eine glühende, emotionale und mitreißende Oper zu erschaffen.

Eine Oper, die alles besitzt, was ein Meisterwerk besitzen muss: hinreißende Solopartien, mächtige Chöre, großes Orchester und musikalische Höhepunkte von Beginn bis zum ergreifenden Ende des Werkes. Die Solisten wurden von Puccini durchweg höchst anspruchsvoll mit glanzvollen Partien bedacht. Bei der gestrigen deutschen Uraufführung glänzten sie alle. Zusammen mit dem WDR Rundfunkchor Köln und dem Kinderchor der Chorakademie Dortmund wurde diese Aufführung zu einem gesanglichen Erlebnis. Es wird Zeit, dass diese Puccini-Oper nun endlich ihren Weg macht und in möglichst vielen Opernhäusern, nicht nur in Deutschland, inszeniert wird. EDGAR hat nun wirklich alles, was einen italienischen Opernabend in all seiner Faszination ausmacht. Und davon in Fülle!

Die große Partie der Fidelia sang in Dortmund die international gefragte Sopranistin Latonia Moore mit eindrucksvoller Stimme und fein gezeichneten Piani. Die Gefühlsausbrüche der unglücklich verliebten Fidelia gestalte sie ebenso eindrucksvoll wie die zarten Momente ihrer Partie. Und immer war genügend Kraft für diese großartige Künstlerin vorhanden, um auch in den verschiedenen großen Ensembles zu glänzen und krönende Spitzentöne zu präsentieren. Dies gelang auch der Sopranistin Rachele Stanisci als Tigrana, die Puccini’s große ,für einen Mezzosopran geschriebene, Partie so überzeugend sang, dass auch sie immer wieder zu begeistern wusste. Die italienische Sängerin war von Beginn bis zum Ende der Oper stimmlich äußerst präsent.

Der argentinische Tenor Gustavo Porta bringt alles mit, was einen wirklich guten Puccini-Tenor ausmacht. Langer Atem, große Stimme, Schmelz und die scheinbar spielerische Leichtigkeit der hohen Töne. Auch er völlig zu recht im Zentrum des einhelligen Publikumsjubel.

Evez Abdulla sang Frank, den Bruder der Fidelia. Der aus Aserbeidschan stammende Bariton verfügt, wie alle seine gestrigen Kolleginnen und Kollegen, über eine große internationale Erfahrung. Dies war deutlich spürbar. Sehr präsent im Gesang, viel Gefühl und kraftvoll da, wo Puccini es wollte. Dies gilt ebenso für den rumänischen Bassist Bogdan Taloş , der den Gualtiero sang, den Vater der Fidelia. Talos rundete das erstklassige Sängerensemble auf der Bühne mit seinem noblen Gesang hervorragend ab.

Der WDR-Rundfunkchor war durch Robert Blank vorzüglich einstudiert, ebenso der Dortmunder Kinderchor (Chorakademie Dortmund) durch seine Leiterin Bianca Kloda.

Die musikalische Leitung des Abends lag bei dem in Wien ausgebildeten Dirigenten Alexander Joel in allerbesten Händen. Einem Dirigenten, dem es absolut anzumerken war, dass ihm diese Partitur ganz besonders am Herzen liegt. Er dirigierte einen Puccini allererster Güte und konnte sich, neben den Solisten und den Chören, auf ein erstklassiges WDR Funkhausorchester Köln (an der Orgel Ann-Katrin Stöcker) verlassen.

Am Ende gab es für alle Beteiligten großen Jubel, Standing Ovations und einhellige Begeisterung. Beigeisterung auch für ein lange verschollen geglaubtes Opernwerk, welches Dank dem Dortmunder Klangvokal Musikfestival am gestrigen Abend völlig verdient in die Musikwelt zurückgeholt wurde. Dieser glanzvollen konzertanten Aufführung sollten ganz schnell szenische folgen.

Detlef Obens 30.5.16

Foto (c) DAS OPERNMAGAZIN / Basia Kuznik

 

 

Jubiläumskonzert 60 Jahre Mozart Gesellschaft

Dortmund Konzerthaus - 22. Mai 2016

Langjährigen Opernfreunden sind sicher noch bekannt die Sänger Günter von Kannen u.a. als Alberich in Bayreuth und anderswo oder Frieder Lang als lyrischer Tenor u.a.in Hamburg und heute Gesangsprofessor in München oder Peter Schöne zeitweise am Theater Hagen. Eins haben diese mit Instrumentalsolisten gemeinsam, etwas willkürlich aus der grossen Anzahl herausgegriffen, mit den Geigern R.J.Koeckert, und N. Koeckert, Mirijam Contzen oder Vilde Frang, dem Cellisten Gustav Rivinius, der Trompeterin Thine Thing Helseth, den Pianisten Christian Zacharias, Matthias Kirschnereit, Ingolf Wunder, Nicolai Tokarev, Herbert Schuch, Khatia Buniatishvili oder Lisa de la Salle oder auch Ensembles wie dem Cherubini-Quartett oder dem Ensemble Amarcord. Sie alle und viele andere - insgesamt bisher 119! - waren Stipendiaten der Mozart Gesellschaft Dortmund. Ein solches Stipendium ist verbunden mit vielfältiger Unterstützung wie planvoller Ausbildung, Möglichkeit der Teilnahme an Wettbewerben, Begleitung bei Verhandlungen mit Konzertagenturen bis hin zu teilweiser Übernahme der Kosten von CD-produktionen. seit 2010 auch mit Förderpreisen für einzelne Stipendiaten in Höhe von EUR 5.000 durch Unternehmen der Region (Kulturhauptstadt-Jahr) Ein Höhepunkt ist dann ein Auftritt bei den jährlich fünf Mozart-Matinéen im Konzerthaus Dortmund. Bei der Gelegenheit zeigen die jungen Talente ihr Können im Zusammenspiel mit professionellen Orchestern und erfolgreichen Dirigenten.

In diesen immer ausverkauften Mozart-Matinéen werden nicht nur Werke des Namensgebers Mozart aufgeführt, und von ihm häufig auch weniger bekannte und seltener aufgeführte, sodaß auch die Verbreitung des unglaublich umfangreichen Schaffen Mozarts Zweck der Gesellschaft ist. Finanziert wird das alles nur durch privates Engagement, öffentliche Mittel werden nicht in Anspruch genommen – da kann auch kein auf Kosten der Kultur sparwütiger Politiker hereinreden.

Gegründet wurde diese Gesellschaft 1956 u.a. von dem Chefarzt einer Dortmunder Klinik und dem damaligen GMD in der Folge eines Konzerts zum Mozarts 200. Geburtstag, in dem der dem Verfasser noch gut bekannte Pianist Detlev Kraus mitwirkte.

So war es jetzt Zeit, das 60-jährige Jubiläum mit einem Festkonzert im Dortmunder Konzerthaus zu begehen. Begrüssung erfolgte durch den Vorstandssprecher Dr. Eiteneyer. Es folgte eine präzise und erfreulich kurze Festansprache durch Matthias Schulz, seit kurzem nicht mehr Geschäftsführer der Stiftung Mozarteum in Salzburg und bald Nachfolger von Jürgen Flimm als recht jugendlich wirkender Intendant der Staatsoper unter den Linden in Berlin. Er stellte die Frage, wie Mozart wohl mit 60 komponiert hätte, erinnerte an die Zusammenarbeit der Mozart Gesellschaft Dortmund mit der Stiftung Mozarteum, erwähnte, daß die „Zauberflöte“ an der Linden-Oper noch immer erfolgreich in der Inszenierung von August Everding und dem Bühnenbild nach Schinkel gespielt wird und zitierte seinen baldigen Chefdirigenten Barenboim mit den Worten, Mozart schaffe es, „gleichzeitig zum Weinen und zum Lachen“ zu verführen.

Drei frühere Stipendiaten, die danach erfolgreich Karriere gemacht haben, wurden zum Jubiläum für ein Solokonzert auf ihrem Instrument eingeladen. Leider war kein Pianist dabei, obwohl das Klavier wohl Mozarts Lieblingsinstrument war und die größte Anzahl unter den Stipendiaten Pianisten waren.

Die charmante Geschäftsführerin der Mozart Gesellschaft, Karen Ann Bode, stellte jeweils die einzelnen Solisten und ihre Karriere vor.

Mozarts Klarinettenkonzert in A-Dur KV 622 spielte Sebastian Manz, als 1. Preisträger beim ARD - Musikwettbewerb und nach zwei Echo-Klassik-Auszeichnungen heute Soloklarinettist des SWR – Sinfonieorchesters Stuttgart. Er verfügte anscheinend mühelos über die geforderte Virtuosität, spielte die grossen Intervalle bis zu den ganz tiefen Tönen mit leuchtendem Ton, wußte diesen zum p meisterhaft zurückzunehmen, sodaß das kantable Adagio zum Höhepunkt wurde.

Mozarts drittes Hornkonzert KV 447 – wie alle in Es-Dur – spielte der noch junge Marc Gruber, nach vielen Auszeichnungen heute mit 22 Jahren jüngster Solohornist im Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks. Auch er verfügte über die technische Sicherheit, spielte virtuos bis in tiefe Lagen seines Instruments, dies besonders in der Kadenz. Wunderschön weich klang das Larghetto, beim Zuhören fühlte man, warum Mozart es als „Romance“ bezeichnet hat.

Wenn nach den Bläserkonzerten ein Violinkonzert gespielt werden sollte, virtuos anspruchsvoller als die von Mozart, aber seiner Art der Komposition ähnlich,   konnte es nur das in e-moll op. 64 von Felix Mendelssohn Bartholdy sein. Diese Virtuosität zeigte ganz erfolgreich das Spiel von Susanna Yoko Henkel, auch Echo-Klassik Preisträgerin und heute Professorin an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln – Mozarts Violinkonzerte hat sie mit dem Litauischen Kammerorchester als Solistin und Dirigentin aufgenommen. Die scheinbare Leichtigkeit und Heiterkeit in Mendelssohns Konzert mit der Kadenz schon vor der Reprise im ersten Satz vermittelte sie auf ihrer Stradivari „Ex Leslie Tate“dem Zuhörer beeindruckend. Zart und innig folgte die Gesangsmelodie des Andante. Den Schlußsatz bewältigte sie trotz der schwierigen Doppelgriffe, Triller und Staccati mit mühelos erscheinender Eleganz bis hin zur zu ganz raschem Tempo gesteigerten Schluß-Stretta.

Bei Begleitung der Solisten war es genau umgekehrt wie in den „normalen“ Matinéen. Dort wird ein Nachwuchskünstler von einem professionellen Orchester begleitet, hier wurden arrivierte Solisten von den in Ausbildung befindlichen Musikern des Orchesterzentrums NRW aus Dortmund begleitet. Der Duisburger GMD Giordano Bellincampi hatte Einstudierung und Leitung übernommen.   Am besten gelang noch die Begleitung des Mendelssohns – Konzerts – man freute sich über die Überleitung vom ersten zum zweiten Satz durch das Fagott oder die glitzernden nach „Sommernachtstraum“ klingenden Holzbläser im letzten Satz.

Nach dem virtuos – heiteren Schluß hatte das Publikum im wiederum ausverkauften Konzerthaus allen Grund, die Solistin und den Dirigenten durch langanhaltenden Applaus ausgiebig zu feiern.

Sigi Brockmann 23. Mai 2016

Fotos (c) Matthias Oertel

 

 

 

Mozarts Da-Ponte-Opern konzertant

MusicAeterna – Teodor Currentzis

DON GIOVANNI

am 17. November 2015

Es wurde völlig dunkel im Konzerthaus Dortmund, mit Einschalten der Beleuchtung ertönte wuchtig der erste d-moll-Akkord der Ouvertüre des „dramma giocoso“ von Wolfgang Amadè Mozart „Don Giovanni“. So begann am Dienstag die letzte der drei einmalig-eindrucksvollen Aufführungen von Opern Mozarts auf Texte von Lorenzo da Ponte durch das Orchester MusicAeterna unter seinem Leiter Teodor Currentzis,   für „Don Giovanni“ extra im Anzug mit weisser Nelke im Knopfloch. In der ganzen Ouvertüre bewunderte man den Gegensatz zwischen den gewaltigen scharfen Tutti-Akkorden mit dem exakt gespielten punktierten Rhythmus des Andante und dann dem energischen Allegro. Nicht abgelenkt durch irgendwelche Bebilderung konnte der Zuhörer dieser intensiven Vorwegnahme des Finales folgen.

Vorweg muß auch die Wirkung eines über die musikalische Gestaltung hinausgehenden Einfalls gewürdigt werden. Als Don Giovanni gegen Ende des ersten Aktes seine maskierten Gegenspieler zum Ball einlädt, stimmt er ein Lob der Freiheit an - „viva la liberta“ , das von allen Solisten und Chor wiederholt wird. Gestern trat der Chor in Alltagskleidern durch das Publikum auf die Bühne und entfaltete während des Gesangs ein Transparent „Viva la liberta“ Wir haben auch die Freiheit, eine der bedeutendsten Opern überhaupt aufzuführen über den Mythos des nicht bereuenden Verführers unzähliger offenbar mitwirkender Frauen. Diese Freiheit gilt es zu verteidigen!.

Dabei mußte ausgerechnet der ursprünglich als Don Giovanni vorgesehene Andrè Schuen wie schon bei „Cosi fan tutte“ aus gesundheitlichen Gründen absagen. Für ihn sprang ein der weltweit auftretende Dimitris Tiliakos. Das war eine glückliche Wahl. Mit nur wenigen Blicken in die Noten zeigte er mitreissend alle stimmlichen und mit wenigen Andeutungen auch spielerischen Facetten des Titelhelden. Verführerisch klang seine Stimme mit zartem p im Duettino mit Zerlina und im Ständchen an Elviras Zofe. Überschäumende Lebensfreude zeigte er im irrsinnig schnellen Presto der „Champagner-Arie“. Mit grosser Stimme sang er stolz und ungebeugt im Finale seinem Untergang entgegen. Perfekt beherrschte er das schnelle Parlando. Das bewunderte man auch wieder bei Vito Priante, diesmal als Leporello. Bei der ganz exakt gesungenen „Registerarie“ gab er der Stimme eine zynische Färbung. Überhaupt kann man nur bewundern, wie er in fünf Tagen drei Hauptrollen in Mozart-Opern bestens bewältigen konnte..

Über dramatische Attacke im Orchester - Rezitativ und der folgenden Arie „Or sai chi l'onore“ verfügte Myrtò Papatanasiu mit exakt gesungenen Intervallen und strahlenden Spitzentönen. Letztere waren auch beim ganz weichen Legato und glockenreinen Koloraturen im „Rondo – Larghetto“ „Non mi dir“ im zweiten Akt zu bewundern. Ebenso bewundernswert klangen die langen Legato-Bögen, die unangestrengten Spitzentöne und das ergreifende p von Kenneth Tarver in beiden Arien des Don Ottavio. So gesungen wird keiner behaupten, Ottavio sei ein schwacher Charakter. Geläufige Koloraturen beherrschte auch Karina Gauvin als Donna Elvira, allerdings klebte sie ziemlich an ihren Noten und ließ die geforderte Tiefe manchmal vermissen. Entzückend mit kecken Trillern sang Christina Gansch die Zerlina, verführerisch gegenüber Masetto in ihrer ersten Arie und ganz tröstlich klingend im zweiten Aufzug. Ihr allmähliches Nachgeben im Duettino „La ci darem la mano“ mit den im Rhythmus der Herzschlags gesungenen kleinen Intervallen wird man so schnell nicht vergessen. Dagegen mimte mit kräftigem Baß Guido Loconsolo als Masetto den etwas einfältigen Bauernburschen..

Mit mächtigem Bass forderte Mika Kares als Commendatore den Don Giovanni zur Busse und Rückkehr auf, Besuchern der diesjährigen Ruhrtriennale wird er als gefeierter Wotan im „Rheingold“ in Erinnerung sein.

Wiederum erledigte der Chor seine Auftritte exakt und stimmgewaltig.

Letztlich waren es aber wieder die Mitglieder von MusicAeterna und Teodor Currentzis, die die Aufführung zu einem unvergesslichen Erlebnis machten, wieder mit Instrumenten und Stimmung nach Art der Mozart-Zeit. Jedes Ritardando und jedes sforzato wurde so natürlich gespielt, daß man merkte, so muß es sein. Äusserst exakte rhythmische Genauigkeit und tänzerischer Schwung, etwa auch bei den gegenläufigen Tanzrhythmen im ersten Finale, sorgten für die Lebendigkeit der Aufführung. Einer der schönsten Augenblicke war vorher in demselben Akt der plötzliche Wechsel vom heiteren Menuett gesungen von Leporello und den drei Masken zum folgenden ernsten Adagio „Protegga“ wo die drei vorher maskierten dann mitten im Orchester sangen. In passenden Tempi wieder mitreissend und umsichtig leitend wechselte der Dirigent je nach Erfordernis zwischen Sängern und Dirigierpult hin und her. Geistreich war wieder die Begleitung der Rezitative durch Maxim Emelyanchev am Hammerklavier und seine Continuo-Gruppe. Instrumentale Soli wurden dadurch auch sichtbar, daß die Spieler vor dem Orchester Platz nahmen, so etwa die beiden Gamben, der Cellist bei Begleitung der ersten Arie der Zerlina, die Spielerin der Mandoline zu den gezupften Streichern bei Begleitung der „Mutter aller Ständchen“ „Deh vieni“ im zweiten Akt.

Wiederum war das Publikum im vollbesetzten Konzerthaus vor Begeisterung „ganz aus dem Häuschen“, wie man so sagt, es gab riesigen Beifall Bravos, Pfiffe und alles was dazu gehört.

Kurz vor seinem Tod lebte Librettist da Ponte in New York und und sorgte dort 1825 für die erste Aufführung des „Don Giovanni“ in den USA, mit der Malibran als Zerlina! Ein Besucher, der sonst während Opern immer einschlief, sagte ihm, wie da Ponte in seinen Memoiren schreibt: „Bei einem solchen Stück... ist man derart ergriffen, daß man die ganze Nacht wach bleiben sollte“

Noch viel länger wird die Ergriffenheit andauern über die Mozart-Aufführungen im Konzerthaus Dortmund durch MusicAeterna und Teodor Currentzis.

Sigi Brockmann 18. November 2015

 

Foto aus „Cosi fan tutte“ Pascal Amos Rest

Die Aufführung wurde vom ZDF aufgenommen und wird irgendwann gesendet. Ebenso wird im Herbst 2016 die CD der Aufführung erscheinen.

 

 

 

 

 

(c) Peter Klier

 

FIGAROS HOCHZEIT

MusicAeterna – Teodor Currentzis

am 15. November 2015

Als östlichste Stadt Europas ist die Millionenstadt Perm, ein Verkehrsknotenpunkt

am schiffbaren Fluß Kama und der Transsibirischen Eisenbahn gelegen, vielen unbekannt. Lange Zeit war sie   unter dem Stadtnamen „Molotov“ wegen ihrer Rüstungsindustrie für westliche Besucher „verbotene Stadt“. Opernfreunden war auch lange Zeit unbekannt, daß es dort ein Opern- und Ballett-Theater gibt, bis der Grieche  Teodor Currentzis 2011 zu seinem musikalischen Leiter berufen wurde und die Möglichkeit erhielt, sein eigenes Orchester mitzubringen, von ihm gewünschte Sänger zu engagieren und sehr intensiv einzustudieren.. Damit sorgte er dann zunächst wegen seiner Aufführungen und Einspielungen von Opern Mozarts sehr schnell für weltweites Aufsehen. Dessen Berechtigung konnten er und sein Orchester MusicAeterna jetzt im Konzerthaus Dortmund beweisen mit konzertanten Aufführungen der drei Opern, die Mozart auf Texte Lorenzo da Pontes komponiert hat.

Nach „Cosi fan tutte“ wurde am vergangenen Sonntag „Figaros Hochzeit“ („Le Nozze di figaro“) aufgeführt. Wie bei den anderen Mozart-Opern auch spielte das Orchester nach historischem Vorbild, die Violinen mit Darmsaiten, Hörner und Trompeten ohne Ventile und Traversflöten aus Holz, alle gestimmt auf 451 hz. Ebenso wie bei den Singstimmen gab es natürlich kein Vibrato. Das ergab einen etwas abgedunkelten Orchesterklang, dafür waren trotz für Mozart verhältnismässig grosser Streicherbesetzung alle Stimmen und Nebenstimmen sehr gut hörbar. Geiger und Bläser spielten im Stehen, nur bei den Rezitativen durften sie sitzen, das erhöhte die Aufmerksamkeit des Spiels, war aber sicher auch anstrengend, besonders bei langen Finalszenen.

Bei einer handlungsreichen Oper wie „Figaros Hochzeit“ mit Verstecken und Verkleiden wirken konzertante Aufführungen häufig lang, das war hier nicht der Fall. Alle hatten die Oper schon im Theater gespielt und sangen zum größten Teil ohne Noten. Deshalb konnten sie trotz fehlendem Bühnenbild die Handlung szenisch glaubhaft darstellen. So vermaß etwa Figaro beim ersten Duett das Dirigentenpult und Hammerklavier statt des Raums, Cherubino versteckte sich später vor dem Grafen im Orchester, es wurde geküßt und geohrfeigt wie vorgesehen. Der Notar Don Curzio stotterte wie üblich (Danis Khuzin), Gärtner Antonio (Harry Aghajanian) war vor lauter Saufen dauernd heiser, Sergey Vlasov war mit helltrimbrierten Tenor als schmieriger Intrigant ein Don Basilio wie man sich ihn vorstellt. Auch Beleuchtung wurde verwendet, bei Barbarinas „Nadel“ - Cavatine (frisch und keck Eleni Lydia Stamellou) wurde sogar die Instrumentenbeleuchtung gelöscht, sodaß die gedämpften Violinen und die gezupften Bässe fast im Dunkeln gespielt werden mußten – ein eindrucksvoller Beginn für den turbulenten letzten Akt.

Als resolute Strippenzieherin der Handlung ist Susanna fast dauernd auf der Bühne, in den meisten Ensembles wirkt sie mit. Stimmlich sich immer steigernd und lebhaft im Spiel war Fanie Antonelou eine Spitzenbesetzung, bis hin zur großartig gesungenen Arie „O säume nicht“ (Deh vieni) mit zartem p bis in tiefe Lagen hin zum hier sehr deutlich hörbaren, fast getanzten Siciliano-Rhythmus des Orchesters. Absolute Spitzenbesetzung war Vito Priante für den Figaro. Seine wandlungsfähige Stimme konnte alle Gefühlslagen deutlich machen, als gebürtiger Italiener lag ihm das schnelle Parlando am besten vor allen. Über einen wunderbar lyrischen gleichzeitig in allen Lagen tragfähigen Sopran verfügte Natalia Kirillova als jugendliche schlanke Gräfin. Ihre langen p-Töne beim „Dove sono“ waren hinreissend, das Duett mit Susanna über die „sanften Abendwinde“ war reinster Musikgenuß. Jugendlich wirkte auch Konstantin Shushakov , allerdings fehlte der Stimme besonders in der grossen Arie „Der Prozess schon gewonnen“ etwas der stolze Biß des Macho-Typs. Hinreissend war auch Paula Murrihy als Cherubin mit schlanker überzeugend geführter Stimme in ihren beiden Arien. Die unbekümmerte Jugendlichkeit dieser vielleicht schönsten Rolle in Mozarts Opern gestaltete sie verführerisch. Typischen Mezzo-Glanz in der Stimme hörte man von Maria Forsström als auch noch jugendliche Marcelline. So war es passend, daß sie auch ihre Kunst des Koloraturen-Singens in der Arie im letzten Akt zeigen konnte. Nikolai Loskutkin steuerte als Bartolo die ganz tiefen Töne bei. Der Chor sang seine kleinen Partien exakt.

Ein so großartiges Erlebnis wurde der Abend aber vor allem durch die musikalische Leitung von

Teodor Currentzis. Tänzelnd Einsätze gebend, den Rhythmus manchmal stampfend, wobei er die ohnehin deutliche Pauke noch verstärkte, mit beweglicher Zeichengebung ohne Taktstock waren seine Tempi teils sehr schnell. Im ersten Unisono-Presto Teil der Ouvertüre fürchtete man fast, so schnell könnten die Geigen gar nicht spielen, aber sie konnten es. Das ganz kurze Duettino im zweiten Akt zwischen Susanna und Cherubino hat man kaum so schnell gehört, aber sie waren zusammen. Ritardandi setzte er ohne Übertreibung an den passenden Stellen ein. Die Balance zwischen Streichern und Bläsern gelang bei der guten Akustik des Konzerthauses optimal. Statt Wohlfühl-Atmosphäre klangen Tanzrhythmen und Dramatik in Mozarts Musik überwältigend. Gefühlvoll begleitete der die Sänger, dafür verließ er das Podium, um ihnen Einsätze zu geben. Besonderes Lob verdienten Maxim Emelyanychev am stilgerechten Hammerklavier und seine Continuo-Gruppe für die geistreiche Begleitung der Rezitative,

Nach dem abschliessenden fast hymnischen „sotto voce“ „Ah tutti contenti“ folgte die schwungvolle Schlußsteigerung mit Chor und allen Solisten. Das Publikum im ausverkauften Konzerthaus reagierte danach mit einem Bravo-Geheul, das man den meist älteren Besuchern kaum zugetraut hätte. .Solch ein Abend erweckte beim Opernfreund höchstes Glücksgefühl. Morgen folgt „Don Giovanni“

Sigi Brockmann 16. November 2015

Fotos Pacal Amos Rest

 

PS: Bei Sony ist „Figaros Hochzeit“ mit MusicAeterna unter der Leitung von Currentzis auf CD erschienen, die Sängerinnen der Susanna und Marcelina sind dieselben wie gestern in Dortmund

 

 

 

 

 

SIEGFRIED MUSIK

am 2. Juni 2015

„helden_gesänge“ war das Motto dieser Saison der Dortmunder Philharmoniker. (Bindestrich unten und Kleinschreibung vom Veranstalter gewünscht!) „Helden“ läßt Richard Wagner in seinen Bühnenwerken meistens scheitern, gut wenn eine

opferwillige Frau dann für den versöhnlichen Schluß sorgt! Das ist auch der Fall mit „Siegfried“. Aber hier erstrecken sich Aufstieg und Fall über zwei Tage des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ Im Teil „Siegfried“ selbst gelingt diesem fast alles, was Machtpolitiker Wotan für ihn gepla

nt hat, im dritten Aufzug sogar noch mehr, nämlich, daß er Wotan selbst entmachtet.. Nach Vollendung von „Tristan“ und „Meistersinger“ zählen Instrumentation, Harmonik und besonders motivische Verarbeitung zu den musikalischen Höhepunkten in Wagners Schaffen, sodaß eine konzertante Aufführung dem Opern- und Musikfreund Freude bereitet.

Reine Freude bereitete zuvor das „Siegfried-Idyll“, ein intimes Konzertstück von Wagner zum Geburtstag von 'Cosima geschrieben. Nicht ganz so intim wurde es hier mit verhältnismässig grosser Streicherbesetzung aufgeführt – wie in Dortmund üblich mit den Celli ganz rechts, die Balance zwischen Streichern und den wirklich idyllisch klingenden Bläsern blieb aber gewahrt. Dirigent Gabriel Feltz hob dynamische Höhepunkte   bis zum vorgeschriebenen ff hervor, sodaß es fast einer „sinfonischen Dichtung“ nahe kam. Ganz intim klang wieder dann der pp verklingende Schluß.

Nach der Pause kamen dann die Orchestermassen für den III. Aufzug „Siegfried“ auf die Bühne, wenn auch mit „nur“ vier Harfen. Für den Sänger des „Wanderer“ ist die erste Szene dieses Aktes mit Erda auch dann eine stimmliche Strapaze, wenn das Orchester tief unten im Graben sitzt. Da bei dieser konzertanten Aufführung ohne grosse Zurückhaltung bei der Lautstärke musiziert wurde, blieb für Olafur Sigurdarson nur übrig, soviel zu forcieren wie nur möglich, um überhaupt stimmlich bestehen zu können. Differenzierter sang er dann beim Zwiegespräch mit Siegfried.

Bis zu den tiefen Tönen ihrer Alt – Partie – etwa bis zum tiefen gis - gestaltete Ewa Wolak den kurzen Auftritt der Erda wohlklingend mit langen Tönen ohne falsches Vibrato, dabei soweit möglich textverständlich. Eindrucksvoll gelang die Entzauberung Wotans bis hin zum grossen Sprung vom hohen As bis tiefem d bei „ herrscht durch Meineid“

Spätestens seit seinem „Tristan“ in Minden vor fast drei Jahren kennt man Andreas Schager als einen ganz bedeutenden Wagner-Tenor, wobei sympathisch wirkt, daß er sich nicht auf Wagner beschränkt, erinnert sei an seinen „Apollo“ in Richard Strauss konzertanter`“Daphne“ oder „Menelas“ in dessen „Ägyptischer Helena“. Für den jungen Siegfried hatte sein heller Tenor die passende Stimmfärbung. Stimmlich überstrahlte er besonders bei Spitzentönen das hinter ihm kräftig spielende Riesenorchester. Bei schnellem Parlando etwa in der Szene mit Wotan war er weitgehend textverständlich. Anrührend klang sein p vor der Erweckung Brünnhildes, etwa legato und – für einen Heldentenor schwierig – p ohne Orchesterbegleitung z. B. bei „Im Schlafe liegt eine Frau“Auch sah man, daß er gewohnt ist, die Partie szenisch zu gestalten.

Noch als Mezzo erlebte der Verfasser Petra Lang 1994 in Dortmund als Octavian und Waltraute. Über letztere schrieb damals Konrad Schmidt in den „Ruhr-Nachrichten“ … „das war gesanglich der Höhepunkt! Petra Lang als Waltraute, schade, daß die Partie so klein ist“ Inzwischen singt sie ganz grosse Partien als hochdramatischer Sopran auch von Wagner etwa im „Ring“! Da ist die Brünnhilde im „Siegfried“ nicht einmal besonders lang. Petra Lang begann strahlend singend wie die angerufene Sonne mit kräftig lang angehaltenen Tönen. Auch später klang bei Spitzentönen, aber auch dank früherer Mezzo-Lage bei tiefen Tönen, ihre Stimme immer kontrolliert, nie scharf oder mit falschem Vibrato. Dabei gestaltete sie stimmlich und soweit möglich textverständlich den Wechsel der Emotionen Brünnhildes. Zart tönte das „Ewig war ich“ später dann mit der Wagnerschen Aufforderung „feurig doch zart“ bei „O Siegfried“ Im ersten Duett mit Siegfried sangen beide den langen Triller - fast schon erwartet beschloß Brünnhilde das leidenschaftliche Schlußduett mit einem strahlenden hohen C.

Für den „Ring“ verbannte Wagner bekanntlich in Bayreuth das Orchester unsichtbar in den tiefen Abgrund, um die Handlung hervorzuheben, den Klang der Instrumente zu verschmelzen und den Singstimmen zu helfen. Für diese ist selbst bei zurückhaltender Lautstärke des Orchesters und möglichem Blick in die Noten eine konzertante Aufführung schwierig. Trotzdem war es für die Besucher ein Erlebnis, zu hören, und auch zu sehen, wie insbesondere die raffinierten Mischklänge sich aus verschiedenen Instrumenten oder Instrumentengruppen zusammensetzten. Hier zeigten die Dortmunder Philharmoniker ihre Wagner-Erfahrung, nach Dirigaten von Hans Wallat und Arthur Fagen spielten sie nach der Jahrtausendwende jetzt zum dritten Mal aus dem „Ring“

Zu ganz grosser Klangwucht steigerte Gabriel Feltz die Musik zum Szenenwechsel durch das Feuer hin zum „ Brünnhildenstein“, nahm teils sehr schnelle Tempi. Sauber intoniert klangen die folgende lange Kantilene der ersten Geigen, wie auch alle   Streicher harmonisch im „Streichquartett“ bei „Ewig war ich“. Zart und weich intonierten die Hörner das erste „Walhall-Motiv“, markant klangen die Trompeten, neckisch spielten Flöten das Waldvöglein. Zu loben waren alle Holzbläser, z.B. die für Wagner so typische Baßklarinette, auch im Zusammenspiel mit den „normalen“ Klarinetten, natürlich auch die Harfen.

 Das Publikum im nicht ausverkauften Konzerthaus zeigte sich begeistert, klatschte Beifall, rief „Bravo“, besonders für die beiden Hauptpersonen, auch, wie man aus Gesprächen hörte, froh, daß die emotionsgeladene Musik Wagners nicht durch Aktionen auf der Bühne relativiert oder „gegen den Strich gebürstet“ wurde.

Sigi Brockmann 4. Juni 2015

Foto (c) Christoph Müller-Girod  / Karikaturen von Peter Klier (c) Opernfreund

 

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