STAATSOPER BERLIN - WIEDERAUFNAHMEN
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ELEKTRA
10. Aufführung am 6.6.2022 (Premiere am 23.10.2016)
Repertoire-Kleinod
Bereits über drei weitere Bühnen nach der Premiere in Aix- en- Provence im Jahre 2013 war Patrice Chereaus Inszenierung von Strauss‘ Elektra gezogen, ehe sie 2016, und da war der Regisseur bereits verstorben, im Berliner Schillertheater zum wohl größten Erfolg der Ära Flimm an der Staatsoper wurde, ohne jeden Widerspruch vom Publikum frenetisch bejubelt und vom Feuilleton unwidersprochen zum Meisterwerk erklärt. Betreut worden war die Inszenierung von den beiden Regieassistenten des großen Regisseurs, das Bühnenbild stammt von Richard Peduzzi, der auch das für den Jahrhundert-Ring in Bayreuth schuf, die Besetzung war sensationell bis in die kleinste Rolle hinein, so mit einem McIntyre als Altem Diener oder der Mozart-Sängerin Roberta Alexander als Fünfte Magd. Die inzwischen nun zehnte Aufführung der Produktion wurde wiederum von Vincent Huguet verantwortet, anstelle von Daniel Barenboim stand nun Thomas Guggeis am Dirigentenpult, und das nicht unwidersprochen, wie einige Buhrufe bei seinem Solovorhang vermuten lassen. Von monumentaler oder besser archaischer Größe ist die Bühne, was den Königspalast betrifft, an dessen Seite sich zwei bescheidenere Gebäude anlehnen.
Die beste Regie scheint diejenige zu sein, die man nicht als solche konstatiert, wenn man annimmt, so müsse es laufen und nicht anders, und so lief es sowohl bei der Premiere als auch bei der Wiederaufnahme. Dabei war sowohl die Interaktion zwischen den Mägden wie die zwischen den Solisten von allerhöchster natürlicher Raffinesse wie raffinierter Natürlichkeit und zutiefst berührend das Wiedersehen zwischen Elektra und Orest. Da einige kleinere Striche aufgemacht worden waren, dauerte die Vorstellung etwas länger als die sonstigen 100 Minuten, abweichend von sonstigen Aufführungen wird Aegisth auf offener Bühne gemeuchelt, der Leichnam Klytämnestras auf dieselbe gefahren, was alles weder zu überraschenden neuen Einsichten führt, noch dass es stört.
Ungewöhnlich, vergleicht man sie mit den Heroinen der Vergangenheit wie Astrid Varnay, Martha Mödl oder Christa Ludwig, ist die optisch schlichte wie vokal zurückhaltende Klytämnestra der Waltraud Meier in farblich gedämpftem Gewand ohne den von Rollenvorgängerinnen gewohnten Aufwand an kostbarem Schmuck und auch einmal in Sprechgesang verfallend, ansonsten eher der Gesangskultur als besonderer Expressivität verpflichtet. Weder übertriebener Luxus noch Zeichen des körperlichen oder seelischen Verfalls sind zu bemerken, da steht eher eine schlicht-moderne, ihrer selbst sichere Frau auf der Bühne als das sonst auf ihr anzutreffende körperliche und seelische Wrack. Den Eindruck des auch vokal Zurückhaltenden hatte die Sängerin bereits vor Jahren auch in der Philharmonie unter Christian Thielemann in der Partie gemacht. Durch und durch bewundernswert ist die Leistung von Ricarda Merbeth in der Titelpartie, die ihrer Vorgängerin Evelyn Herlitzius an dramatischer Intensität in nichts nachsteht, die über eine urgesunde, kraftvolle Sopranstimme wie von dunklem Gold verfügt, nie schrill wird und die außergewöhnlich agogikreich die schwierige Partie durchmisst. Nie hat man den Eindruck, dass sie an der Grenze ihrer stimmlichen Möglichkeiten angelangt ist, trotz allen Fanatismus‘, den sie überzeugend verkörpert, verliert sie nie die Sympathie des Zuschauenden, und ihre „Orest“s müssen einfach zu Herzen gehen.
Einen frischen, strapazierfähigen und höhensicheren Sopran setzt Vida Mikneviciute für die Chrysothemis ein, silbrig und damit in schönem Kontrast zur älteren Schwester klingend, auch an und ab im verzweifelten Kampf um ein „Weiberschicksal“ schrille Töne nicht scheuend. Bei René Pape fasziniert immer wieder die absolute Textverständlichkeit, die in allen Registern einheitliche Farbe der Ausnahmestimme. Gerhard Siegel ist mit durchdringendem, luxuriösem Charaktertenor ein vorzüglicher Aegisth. Große Namen tauchen in kleinen Rollen auf, so der von Renate Behle als Vertraute und Aufseherin, von Olaf Bär als Alter Diener, Roberta Alexander als ungewohnt reife, aber überzeugende Fünfte Magd. Ansonsten das Erste Fach singen Katharina Kammerloher, hier die Dritte Magd, und Anna Samuil nun als Vierte Magd.
Für mich nicht nachvollziehbar waren die Buhrufe für den Dirigenten, der rücksichtsvoll gegenüber den Sängern war, ohne die archaisch wirkende Gewalt der expressiven Musik unangemessen zu bändigen und damit ihre Wirkung zu beeinträchtigen. Es gibt noch vier weitere Vorstellungen. Unbedingt hingehen!
Ingrid Wanja / 6.6.2022
Fotos: Monika Rittershaus
Carmen
in neuer Besetzung
10. 3. 2020
Als letzte Aufführung vor der vorläufigen Schließung der Opernhäuser präsentierte die Staatsoper am 10. 3. Martin Kusejs bekannte Inszenierung von Bizets Carmen aus dem Jahre 2004, die mit der Exekution von Don José beginnt und das Stück quasi als Rückblende erzählt. Wie bei der Premiere stand Daniel Barenboim am Pult der Staatskapelle Berlin, setzte schon mit der stürmischen Attacke des Prélude ein Signal für eine spannungsreiche und Tempo betonte Lesart. Aber es gab auch Passagen von subtiler Lyrik, wie die von einem Streicherteppich behutsam grundierte Air des Cartes Carmens. Markant waren die verschiedenen Motive herausgearbeitet und der rasant gepeitschte Entr’acte vor dem letzten Bild war ein Moment von hinreißender Wirkung.
Seit ihrem Scala-Debüt ist Anita Rachvelishvili eine international gebuchte Interpretin der Titelrolle. Schon mit der raffiniert ausgekosteten, gurrenden Havanaise zog sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Faszinierend das Spektrum im Chanson mit dem „Tra la la la“ von zärtlich lallend bis sinnlich verrucht. Ähnlich differenziert gestaltet war die Séguedille, die sie wie beiläufig begann und zur gerissenen Verführungsszene steigerte. Die Georgierin besitzt eine Stimme von Ausnahmeformat – von ungewöhnlichem Volumen, satter Fülle in der Tiefe, enormer Durchschlagskraft in der Höhe und reichem Ausdrucksspektrum. Ihr Mezzo kann locken, flüstern, streicheln und fluchen. „Les tringles des sistres tintaient“ zu Beginn des 2. Aktes sang sie tatsächlich wie ein Chanson – begann es delikat, steigerte es dann mit mächtigem Nachdruck und setzte schließlich auch bewusst ordinäre Töne ein. Bei der Air des Cartes überraschte dagegen der ganz zurückgenommene, geheimnisvoll-dunkle Klang. Die Schlussszene war erfüllt von der fatalistischen Haltung dieser Frau, deren Konsequenz bis zum Tod geht.
Neben ihr behauptete sich Christiane Karg mit einer superben und sehr persönlichen Gestaltung der Micaëla. Die Sängerin mit ihrem feinen lyrischen Sopran hatte schon auf der CD Parfum ihre Affinität zum französischen Repertoire bewiesen, bot eine delikate Phrasierung, aufblühenden Klang in der Höhe und immer wieder zu Herzen gehende Töne. Michael Fabiano war der neue Don José mit männlich-sinnlich timbriertem Tenor und emphatischem stimmlichem Einsatz. Eigenwillig war die Dynamik seines Vortrages mit zuweilen bis zur Unhörbarkeit zurückgenommener Stimme. Geschickt umschiffte er die Klippen in der Air de la Fleur, konnte freilich forcierte und gefährdete Spitzentöne nicht ganz vermeiden. Für das Duo Final sammelte er noch einmal alle Reserven und vermochte vor allem mit seinem Ausdruck von existentieller Verzweiflung zu berühren. Lucio Gallo war ein Escamillo von stattlicher Erscheinung. Die Stimme klang in der Mittellage verquollen und in der Tiefe matt, trumpfte aber mit markanten Spitzentönen auf. Glänzend besetzt waren Mercédès mit Serena Sáenz und Frasquita mit Alyona Abramova; präsent der Zuniga von Jan Martiník. Nach dem Jubel des Publikums wandte sich Daniel Barenboim angesichts der neuen Virus-Situation an die Zuschauer und bekundete das Bemühen der Intendanz um neue Aufführungsmöglichkeiten.
Bernd Hoppe, 12.3.2020
FALSTAFF
12. Vorstellung am 14.2.2020
Premiere am 25.3.2018
Alternativbesetzung für Falstaff
Hoch erfreut über die schöne Optik hatte sich Maestro Zubin Mehta auf der Pressekonferenz kurz vor der Premiere von „Der Rosenkavalier“ in der Regie von André Heller gezeigt, wo doch ansonsten auf deutschen Opernbühnen Schlimmes zu sehen sei. Ob er damit die Inszenierung des „Falstaff“ durch Mario Martone gemeint hatte, die er parallel zur Strauss-Oper dirigierte? Das ist nicht unwahrscheinlich, ist doch der letzte Akt anstelle im Park von Windsor rund um einen baufälligen Turm, der den Mittelpunkt einer Sado-Maso-Szene bildet, angesiedelt. Ansonsten gibt es durchaus Angenehmes zu sehen mit Bikinischönheiten am Swimmingpool mit echtem Wasser (!), des Faulenzens pflegenden Jünglingen im weißen Bademantel, mit leicht und lässig bekleideten Kreuzberger Kiezmädchen und für den, dem es gefällt, die Andeutung eines Quickie mit Mrs. Quickly.
Der italienische Regisseur , der in Italien, unter anderem an der Scala mit einem Andrea Chénier, durchaus Werkgetreues auf die Bühne gebracht hatte, meinte wohl, in Deutschland müsse man, dem German Trash verpflichtet, ein Stück in Jetztzeit und Hierort ansiedeln und damit den Grundkonflikt zwischen verarmtem, aber adelsstolzem Möchtegern-Verführer Falstaff und wohlsituiertem, aber noch seine gesellschaftliche Position suchendem Bürgertum im elisabethanischem England nach Kreuzberg und Schlachtensee verlegen. Und für den letzten Akt wäre der Görlitzer Park durchaus eine Alternative gewesen. Da ist man hin- und hergerissen zwischen dem Ärger ob der Entschärfung des tatsächlich bereits im Libretto vorhandenen gesellschaftlichen Konflikts zugunsten einer unwahrscheinlichen Konfrontation Penner-Wohlstandsbürger und der Bewunderung einer perfekten Umsetzung zumindest in Bühnenbild (Margherita Palli) und Kostümen (Ursula Patzak).
Die erste Serie hatte von der Spielfreudigkeit von Michael Völle profitiert und unter seiner eher am deutschen Fach geschulten vokalen Darbietung gelitten. Nun war mit Lucio Gallo ein italienischer Sänger verpflichtet worden, aber doch eher ein Ford als ein Falstaff und eher ein Paolo als ein Simone. Gallos Bariton fehlt das Süffige, das Sinnliche einer Falstaffstimme à la Giuseppe Taddei, die seine klingt eher, und das ist wohl zum Teil auch der Länge der bisherigen Karriere geschuldet, dumpf und hohl, weiß nicht die feinsinnigen kompositorischen Einfälle Verdis in „L’Onore“ oder in der Schlussfuge umzusetzen, und so ist es kein Wunder, dass der herzhafteste Lacher aus dem Publikum kommt, wenn Fenton in voller Montur in den Swimmingpool fällt. Gewachsen in der Partie des Ford ist Alfredo Daza, dessen Bariton farbig und beweglich ist und in der Höhe aufblühen kann, der auch an darstellerischer Präsenz ständig zunimmt. Recht spröde klang an diesem Abend der Tenor von Francesco Demuro (Fenton), wandlungsfähig wie stets zeigte sich Stephan Rügamer als Bardolfo, an Basssubstanz gewann im Verlauf des Abends Jan Martinik als Pistola, Jürgen Sacher nutzte seinen langen Auftritt zu Beginn zur Profilierung des Dr. Cajus.
Barbara Frittolis Sopran strahlte in der Rolle der Alice wie bereits bei der Premiere, hat in der Mittellage sogar noch an Substanz gewonnen. Daniela Barcellona hat für „Reverenza“ und „povera donna“ noch nicht das profunde Orgeln einer Feodora Barbieri, Cristina Damian ist mit jugendlich klingendem Mezzo als Neubesetzung der Meg ein Gewinn für die Produktion. Nadine Sierra wächst allmählich aus dem Fach einer Sophie, die sie auch singt, und dem der Nanetta heraus und entwickelt sich vom soprano leggero zum soprano lirico. Ihr Feenlied war neben dem Monolog des Ford der musikalische Höhepunkt des Abends.
Der Chor (Martin Wright) schlug sich wacker trotz der irritierenden Szene im letzten Akt, Altmeister Zubin Mehta betonte die lyrische Durchsichtigkeit, die kammermusikalischen Qualitäten der altersweisen Komposition Verdis.
Wenn man relativ versöhnt mit der Produktion aus dem Haus ging, lag das auch daran, dass man inzwischen weiß, dass es schlimmer („Die lustigen Weiber von Windsor“ von Otto Nicolai) kommen kann und tatsächlich kam.
Fotos (c) Matthias Baus
Ingrid Wanja, 15.2.2020
LA TRAVIATA
25. Vorstellung am 16.1.2020
Premiere am 19.12.2015
Und er singt doch
Nur das lächerliche Gendersternchen gemeinsam haben die Verlautbarungen der Intendanz der Berliner Staatsoper und der selbsternannten Sittlichkeitsaktivisten von Pro Quote, denen es eigentlich, so hieß es 2012 recht zweideutig in der taz, „um Hosen runter von den Chefsesseln-Röcke rauf“, d.h. die Hälfte aller Führungspositionen im kulturellen Leben für Frauen, ging, die aber nun gegen das Engagement Plácido Domingos in zwei Traviata-Vorstellungen polemisierten und die Intendanz zum Vertragsbruch aufforderten. Nach, wie es in einer Pressemitteilung hieß, gründlicher Beratung mit den entsprechenden Gremien des Hauses wies Intendant Matthias Schulz dieses Ansinnen zurück, bot aber Gespräche mit den kämpferischen Damen an, die offensichtlich über weit weniger Humor verfügen als die direkt betroffene Brigitte Fassbaender unlängst in ihren Memoiren. In Deutschland scheinen immer häufiger nicht durch demokratische Wahlen legitimierte Gruppen, Aktivisten und Verbände den Gerichten oder den beiden anderen Gewalten vorgreifen und vor juristischen Klärungen Urteile vollstrecken zu wollen.
Am Abend standen dann vor der Staatsoper drei verloren wirkende, weil unbeachtet bleibende Gestalten mit Transparenten- und das Publikum strömte unbeeindruckt und frohen Mutes in die ausverkaufte Staatsoper, die Berliner lassen sich halt nicht gern vorschreiben, wer sie in ihren Opernhäusern singen darf.
Zusätzliche Sympathiepunkte konnte Plácido Domingo dann noch verbuchen, als der Intendant dem Publikum verkündete, der Sänger habe sich trotz einer Erkältung dazu bereit erklärt, den Giorgio Germont zu singen, bitte aber um Nachsicht. Diese hatte er eigentlich nicht nötig, denn zur allgemeinen Überraschung klang die Stimme farbenreicher als in den letzten Jahren, war die Kurzatmigkeit, die den Nun-Bariton an einer großzügigen Phrasierung gehindert hatte, weniger ausgeprägt, war das sich von einer Sitzgelegenheit zur nächsten Hangeln durchaus noch als rollengerecht einzustufen, und „Di provenza il mar“ erinnerte zwar nicht an eines von Bruson oder Cappuccilli, konnte aber noch als besonders von innerer Ergriffenheit bestimmtes durchgehen. Die Cabaletta danach konnte man allerdings an diesem ansonsten auch für Domingo triumphalen Abend nicht hören. Die besondere Attraktion sollte an diesem Abend eigentlich der französische Tenor Benjamin Bernheim als Alfredo sein, dessen erstes Recital vor kurzem erschienen ist und dessen Stimme durch ein besonders apartes Timbre Aufmerksamkeit erregt hatte. Dieses konnte er auch live zur Schau stellen, daneben aber auch eine an den jüngeren Jonas Kaufmann erinnernde Schwäche, eine reiche Agogik mit einem farbloser Werden der Stimme in der mezza voce und im Piano zu erkaufen. Sein Tenor scheint dem Alfredo bereits entwachsen zu sein, ist nicht die leichte, helle, geschmeidige Stimme, die man in dieser Partie gewohnt ist-wohl aber die interessantere und mit einer unangefochten strahlenden Höhe begabte. Die Cabaletta wird nach unten gesungen, „Parigi, o cara“ intonationssicher und in feinem Piano beginnend.
Eine neue Violetta stellte sich mit Zuzana Marková vor, eine große, schlanke Gestalt mit hüftlangem Haar, die auch noch in der Eintönigkeit von schwarzem Unterrock, silbernem Abendkleid und Morgenmantel attraktiv wirkte, hingebungsvoll und offensichtlich auch im Unterschied zu ihren beiden Partnern von der Regie gut beraten agierte und mit einem wunderbar leicht ansprechenden Sopran, im Pianissimo so farbenreich bleibend wie im Forte, nur in der Extremhöhe von „Sempe libera“ spitzig werdend, viele großartige Momente hatte, so im überaus zärtlich anschwellenden „lui“, im Crescendo des „Dite alla giovane“, wunderbaren Schmerzenslauten am Schluss des zweiten Akts oder einem feinfühlig aus dem Piano entwickelten „Addio del passato“. Lediglich im „Amami, Alfredo“ wollte der Sopran nicht ganz den Intentionen seiner Besitzerin folgen. Von den vielen kleinen Rollen ist besonders der Grenvil von Jan Martinik mit balsamischem Bass erwähnenswert.
Bei ihm setzt allerdings auch die Kritik an der Optik der Produktion (Bühne Joanna Piestrzynska) ein, in der Regisseur Dieter Dorn den mitleidsvollen Arzt zu einem übel gekleideten Deppen macht, dem man sogar sein Arztköfferchen entwenden darf. Schlimmer noch ist die Einarbeitung symbolischer und surrealer Effekte in das Stück, so ein Sandsack, aus dem unaufhaltsam der Inhalt tröpfelt, ein aus in weiße Ganzkörperkondome eingeschweißte Tänzer gebildeten Totenkopf in einem Spiegelrahmen, wenn der Spiegel nicht hochsymbolisch zerbrochen ist. Und wenn Padre Germont angesichts einer schäbigen Matratze und zweier ebensolcher Stühle von „tanto lusso“ faselt, dann ist das ebenso ärgerlich wie der Mischmasch von Kostümen (Moidele Bickel), deren Träger sich auf einer ovalen Plattform gegenseitig auf die Füße treten und mit denen die Regie absolut nichts anzustellen weiß. Wenigstens ist das Stück in seiner Kernaussage nicht entstellt und wird in die Musik nicht eingegriffen (wie unlängst an der Komischen Oper), so dass alles noch tolerierbar, weil schlimmer vorstellbar, ist. Auch aus dem Orchestergraben, wo Thomas Guggeis durchaus Italianità, allerdings nicht zu verwechseln mit plötzlichem, unerwartetem Beschleunigen des Tempos , vernehmen ließ, drang so Angenehmes, dass der Abend mit triumphalem Applaus für die Mitwirkenden und ohne jeden Missklang sein Ende fand.
Fotos Bernd Uhlig
17.1.2020 Ingrid Wanja