DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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MAGYAR ÀLLAMI OPERHÀZ /  Ungarische Staatsoper Budapest

http://www.opera.hu/en

 

GÖTTERDÄMMERUNG

15.5. Premiere                                                     

Szilvia Rálik – eine Weltklasse Brünnhilde!

 

Fünf Jahre war die Budapester Staatsoper auf Grund von notwendig gewordenen Renovierungsarbeiten geschlossen. Der geplante Ring blieb ein Torso: Auf das Rheingold am 21.3.2015, folgte knapp ein Jahr später die Walküre am 6.3.2016 und wiederum im Abstand von einem Jahr Siegfried am 19.3.2017. Zeit genug für den ungarischen Filmregisseur und Béla Balázs-Preisträger Géza M. Tóth gemeinsam mit seiner bewährten Dramaturgin Eszter Orbán sein visuelles Konzept für den Abschluss der Tetralogie weiterzuentwickeln. Für die auf Leitmotiven aufgebaute Musik Wagners hat das Animations Studio KEDD (KEDD Vizuális Mühely) wiederum die passenden visuellen Einblendungen basierend auf dem Konzept des Regisseurs entworfen, um so nicht nur ein jüngeres, mit anderen Sehgewohnheiten aufgewachsenes Publikum, sondern auch die ältere Generation zu überzeugen, überkommene Vorstellungen wie etwas sein sollte beiseitezulegen, um sich voller Spannung und mit großem Interesse neuen Sichtweisen zu öffnen. 

 

 

Im Vorspiel kommen die drei Nornen von der Unterbühne herauf, um nach ihrem Gesang und nachdem das durch Laserstrahlen angedeutete Seil riss, wieder hinab zu ihrer Mutter Erda zu sinken. Aus der Edda erfahren wir auch die Namen dieser drei Nornen, die im Personal der Götterdämmerung nur durchnummeriert wurden. Es handelt sich um Urð, Verðandi und Skuld, deren Namen auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft verweisen und im Vorspiel erzählen sie auch, was bisher geschah und noch geschieht. Die dritte Norn schließlich erschaut dann das Ende der Götter im brennenden Walhall. Doch die Visionen verschwimmen und das Seil reißt, womit ewiges Wissen für immer endet! Sie tragen bodenlange schwarze Kleider mit einem gelben Cape und lange weiße aufgesteckte Haarsträhnen zu beiden Seiten ihres Kopfes (Kostüme: Íbolya Bárdosi). Der Wechsel zum zweiten Bild zeigt uns Brünnhilde auf einem Tisch liegend, während das Bühnenbild eine vom französischen Postimpressionisten Henry Julien Félix Rousseau inspirierte wilde Landschaft zeigt, in der sich auch einige Vögel und andere Tiere blicken lassen (Choreografie: Marianna Venekei). Das Ganze wirkt wie ein Garten Eden auf Island (Bühnenbild: Gergely Z. Zöldy). Siegfried trägt eine lange wilde Mähne, Stiefel und einen pinkfarbenen Kampfanzug, während Brünnhilde in einem eleganten weißen Ensemble mit Capri Hose und weißem Haar erscheint. Aber nicht nur Wotan kann den umtriebigen Inzestknaben nicht aufhalten, nein, auch Brünnhilde muss ihn zu den am Rhein lebenden Gibichungen ziehen lassen. Popart bestimmt die Kleidung der Geschwister Gunther und Gutrune, beide haben knallig gelbe Frisuren und tragen einen Kunststoff Brustschild als äußeres Zeichen des Gibichungen Clans. Lediglich Hagen, der Halbbruder Gunthers, trägt als Heerführer elegantes Grau mit einer weinroten Schärpe. Waltraute tritt in einem futuristisch wirkendem eleganten Kostüm mit Armstulpen und Schulterpölstern auf. Ebenso wie Brünnhilde ist ihr Haar völlig weiß. Zu Beginn des zweiten Aktes sehen wir Hagen in einer Art von halboffenem Käfig vor sich hinbrüten und wie er widerwillig den Einflüsterung seines Vaters Alberich zuhört. Die bebrillten Mannen wiederum erscheinen in unterschiedlicher soldatischer Kleidung teilweise mit angedeuteten tattooübersähten Oberkörpern und Schirmkappen. Siegfried tritt nun bereits völlig assimiliert als Gibichung mit einem weißen eleganten Anzug samt blauem Brustpanzer und Stehkragen und einer brünetten Haartolle, der typischen Façon einer Frisur aus den 1950er Jahren. Im ersten Bild des dritten Aktes trifft Siegfried in grüner Jagdkleidung auf die drei Rheinnixen in ausladenden Rokokokostümen und pompösen Perücken in den Farben Blau, Pink und Gelb. Der Hintergrund wird von einer wilden Waldlandschaft beherrscht. Von Hagens Speer tödlich getroffen sinkt der sterbende Held in den Schoß der herbei geeilten Brünnhilde, seiner ewigen Braut. Trauermarsch leitete dann auf Grund technischer Umbauprobleme ungewollte in eine etwa zehnminütige Pause über. Das Publikum wurde aber damit belohnt, dass der wunderbare Trauermarsch noch einmal gespielt wurde. Danke! Danach wird Siegfried auf einem Tisch aufgebahrt und Brünnhilde entfacht schlussendlich mit einer Fackel den Weltenbrand. In zwei Öffnungen am oberen hinteren Bühnenrand sieht man die Götter versammelt, die ihr Ende schweigend erwarten. Als Apotheose erscheint dann noch zum Schluss ein junges Liebespaar, die Hoffnung der Menschheit auf eine bessere und friedvolle Zukunft.

 

 

Allen voran muss die sängerische wie darstellerische Leistung von Szilvia Rálik als Brünnhilde herausgestrichen werden. In habe in meinem Leben vielleicht 70 verschiedene Brünnhilden erlebt, aber keine kam dieser Ausnahmekünstlerin nahe. Jede Phrase ein Genuss. Mit ihrer voluminösen Mitte konnte sie alle Höhen schier problemlos meistern. Sie hat unzweifelhaft das Potential einer Birgit Nilssen. Sie durchläuft auch alle Situationen einer betrogenen Ehefrau und überzeugt in ihren extremen Gefühlsausbrüchen, die sie in das Mordkomplett von Hagen und Gunther einwilligen lässt. Wer eine sensationelle Brünnhilde erleben möchte, ab nach Budapest: Im November wird der gesamte Ring in Budapest aufgeführt, wobei Szilvia Rálik die Brünnhilde in der Walküre und in der Götterdämmerung singen wird! István Kovácsházi war ihr zur Seite ein würdiger Siegfried mit noblem Heldentenor. Innerhalb von nur knapp zwei Monaten hat er an der ungarischen Staatsoper den Kaiser, Parsifal und nun Siegfried in der Götterdämmerung gesungen. Die Inszenierung des neuen Parsifal kann vom Livestream der Premiere auf youtube angesehen werden (https://www.youtube.com/watch?v=j5O17S4uHZ0&ab_channel=OperaVision). Sie erinnert in ihrem Konzept der Rückschau des alternden Parsifal auf seine Jugenderlebnisse an den umstrittenen Wiener Parsifal. Mit seiner tadellosen Diktion erklomm er mühelos alle gefürchteten Höhen im dritten Akt und wirkte dabei niemals angestrengt oder ermüdet. Mit seinem eher hellen Tenor musste er auch bei Zitierung der Verkündigungen des Waldvogels an ihn auch nicht im Falsett singen.

 

 

Der 1972 in Székesfehérvár geborene ungarische Bass Géza Gábor stattete den Hagen mit einer dämonischen, alles durchdringenden Stimme aus. Sein Vater Alberich wurde von dem ungarischen Bariton Zoltán Kelemen, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Bassbariton (1926-1979), mit einwandfreier Diktion wortdeutlich gesungen und hervorragend in der versuchten Manipulation seines Sohnes dargestellt. Zu erwähnen noch Andrea Szántó als Waltraute mit gut geführtem Mezzo und ausdrucksstarkem Spiel. Sie überzeugte zuletzt auch vollends als verführerische Kundry im neuen Parsifal in Budapest. Die Gibichungen Geschwister Gunther und Gutrune waren bei Tenor Károly Szemerédy und Sopran Lilla Horti, ausgebildet von Éva Marton, gesanglich und darstellerisch bestens aufgehoben. Von den drei Nornen überzeugten Bernadett Wiemann mit tiefer Altstimme und Andrea Ulbrich mit tragfähigem Mezzo als erste und zweite Norn, während die dritte Norn von Sopran Zsuzsanna Ádám für mich an manchen Stellen etwas verquollen klang. Ausgewogen das Terzett der Rheintöchter mit Zita Váradi als Woglinde, Natália Tuznik als Wellgunde und Viktória Mester als Flosshilde. Der Chor war von Gábor Csiki wie immer exzellent einstudiert. Generalmusikdirektor Balázs Kocsár leitete das Orchester der ungarischen Staatsoper umsichtig und viele bewegende Momente entstiegen dem Graben und breiteten sich voluminös im umgebauten Opernhaus mit seiner fantastischen Akustik aus. Die Vorstellung war unerwarteter Weise nicht ausverkauft. Grund dafür könnte wohl der an diesem Abend ausgestrahlte Europäische Song Contest 2022 gewesen sein. Das anwesende Publikum zollte allen Mitwirkenden frenetischen Applaus, der sich bei Szilvia Rálik zu einem tosen Orkan mit vielen Brava-Rufen steigerte! Unbedingt hinfahren und ansehen, wenn man eine außergewöhnliche Sängerin, die der Ruf der Wiener Staatsoper vielleicht auch einmal erreichen wird, erleben möchte!

Harald Lacina, 17.5.

Fotocredits: ©Péter Rákossy / Hungarian State Opera

 

 

Ferenc Erkel

HUNYADI LÁSZLÓ

Aufführung am 27.3.

(Premiere am 13.3.2022)        

Gelungene Wiederbelebung eines musikalischen Juwels aus Ungarn

 

Der Begründer der ungarischen Nationaloper, Ferenc Erkel (1810-93), verband in seinen insgesamt neun Opern den italienischen Stil Rossinis mit ungarischen Volkstänzen. Musikalische Einflüsse von Beethoven, Donizetti, Halévy, Meyerbeer und Spontini lassen sich aber ebenso wenig verleugnen. Leider befinden sich im Repertoire der ungarischen Staatsoper nur Hunyadi László und Bánk Bán. Dauerhaften Erfolg erzielte Erkel jedoch mit seinem „Himnusz“, der Melodie zur ungarischen Nationalhymne. Béni Egressy (1814-51), ein ungarischer Komponist, Librettist, Übersetzer und Schauspieler, verfasste das Libretto zu dieser dreiaktigen romantischen Oper Hunyadi László nach dem Schauspiel „Két László“ (Zwei Lászlós) von Lőrinc Tóth (1814-1903). Der Titel setzt nach dem ungarischen Sprachgebrauch stets den Familiennamen vor den Vornamen und wäre nach deutscher Sprachkonvention mit Ladislaus Hunyadi zu übersetzen. Die Oper spielt in den Jahren 1456/57 und konzentriert sich auf die Rivalität zwischen dem ungarischen Adelsgeschlecht der Hunyadis und dem erst sechzehnjährigen Habsburger König Ladislaus V., genannt Ladislaus Postumus, ungarisch V. László.

 

 

Die Uraufführung der Oper fand am 27. Januar 1844 im Pesti Nemzeti Magyar Szinház statt. Die Hauptcharaktere der Oper László, Erzsébet und Mária gleichen jenen eines Passionsspieles, indem Erzsébet als mater dolorosa und Mária als mater gloriosa Hunyadi László als unschuldig-schuldiges Opfer bei seinem Heldentod begleiten. In der Oper „Hunyadi László“ aber geht es im Wesentlichen um seinen jüngeren Bruder Mátyás Hunyadi (Matthias Corvinus 1443-90), den letzten großen ungarischen König. Für die gegenwärtige Aufführung hat Intendant Szilveszter Ókovács veraltete Phrasen im Originaltext von Béni Egressy überarbeitet und als Partitur eine von der Abteilung für ungarische Musikgeschichte des Instituts für Musikwissenschaft des Geisteswissenschaftlichen Forschungszentrum hergestellte kritische Fassung verwendet, weshalb der Intendant sie auch als Eröffnungspremiere des Opernhauses am 13.3.2022 angesetzt hatte.

 

 

Zur Handlung: Die Anhänger des soeben verstorbenen ungarischen Reichsverwesers János Hunyadi erwarten König Ladislaus V. auf der Burg Nándorfehérvár in Belgrad. Sie fürchten die Intrigen von dessen Berater Ulrik Cillei. Der König wird sodann von László Hunyadi mit allen Ehren empfangen, aber die Ungarn verwehren den deutschen Söldnern des Königs den Einlass in die Burg, worauf der König seinem Berater Cillei Vollmacht erteilt, die Hunyadis zu verhaften. Als Cillei den unbewaffneten László angreift wird der Despot von dessen Anhängern getötet. In der Familienburg der Hunyadis in Temesvar erwarten die Hofdamen von Erzsébet Szilágyi, der Mutter der beiden Hunyadis, mit Spannung die Ankunft des Königs. Doch die verwitwete Mutter wird von düsteren Vorahnungen geplagt und sieht in einer Vision die Hinrichtung ihres älteren Sohnes und bricht zusammen. Der König erscheint und ist sofort von den Liebreizen von Mária Gara, der Braut László Hunyadis angetan. Der Palatin Miklós Gara, ihr Vater, aber sieht nun seine Zeit reif, um den verhassten König zu stürzen und selbst die Macht zu übernehmen. Er behauptet, die Hunyadis wollten den König töten, verspricht dem Souverän die Hand seiner Tochter Mária und erhält die Erlaubnis, László gefangen zu nehmen. Die Intrige gelingt. László wird mit einem Trauermarsch zum Schafott geführt. Erzsébet fleht um Gnade für ihren Sohn. Dreimal schlägt der Henker vergeblich zu, doch das Haupt wird nicht abgetrennt. Erzsébet glaubt darin den Willen Gottes zu erkennen, doch der König winkt dem Henker noch einmal zu und beim vierten Mal fällt Lászlós Haupt schließlich zu Boden.

 

 

Regisseur und Intendant Szilveszter Ókovács gelang es dem Publikum die komplizierte Handlung in nachvollziehbaren spannenden Bildern vorzuführen. Wie bereits in der letzten Inszenierung dieser Oper wurde auch dieses Mal die Rolle des jungen Mátyás aufgeteilt. Auf der Bühne agierte Jonatán Bernát Emri als 13.-jähriger Mátyás, während sein Part von der für die erkrankte Gabriella Balga eingesprungene Melinda Heiter am Bühnenrand stehend vom Blatt gesungen wurde. Tamás Solymosi verantwortete die stimmige Choreografie der, ungarisches Flair beschwörenden, Hochzeitstänze im dritten Akt. Die farbenprächtige historisierende Ausstattung besorgte Krisztina Lisztopád. Sensibel beleuchtet wurden die einzelnen Akte von Tamás Pillinger. In musikalischer Hinsicht gelang es Balázs Kocsár als Dirigent am Pult des Orchesters der ungarischen Staatsoper die farbige Pracht dieser Bel Canto lastigen und von ungarischer Volksmusik durchzogenen Oper in allen Nuancen funkelnd erstrahlen zu lassen. Und auch der Chor der ungarischen Staatsoper sang bei dieser Nationaloper unter der verdienten Leitung von Gábor Csiki auf höchstem Niveau.

 

 

Klára Kolonits bot ein tränenerschütterndes Erlebnis als Erzsébet Szilágyi. Spielerisch bewältigte sie die mit halsbrecherischen Koloraturen überreich ausgestattete Partie. Sie hielt auch eine beeindruckende Balance in der Darstellung der besorgten Mutter und ihrer Würde als Witwe des letzten ungarischen Reichsverwesers. Erika Miklósa als Mária Gara, der Verlobten von Hunyadi László, hatte zwar etwas weniger zu singen, aber ihre Cabaletta bei der Hochzeitsfeier, gleichfalls mit äußerst anspruchsvollen Koloraturen gespickt, erinnerte an ihre großen Zeiten als Oscar im Maskenball. Szabolcs Brickner gefiel in der Titelrolle und er sang über weite Strecken ohne Kraftanstrengung auf Linie. Dániel Pataky konnte seine Habsburger Herkunft in der Rolle von König Ladislaus V. dadurch zum Ausdruck bringen, dass er an einigen Stellen Deutsch zu singen hatte.

 

 

Mit viel Gefühl trug er seine lyrische Cabaletta „Tündér, te bájos, szép Máriám!“ (du liebliche Elfe, meine schöne Maria!) vor. András Palerdi gefiel als intriganter Höfling Ulrik Cillei mit markigem Bass. Gábor Bretz als Palatin Miklós Gara war der Bösewicht der Oper par excellence mit seinem dunklen und eindringlichen Bassbariton. In dieser Fassung wurde die Rolle von Mihály Szilágyi, des Bruders von Erzsébet, gestrichen. Rollengerecht ergänzte noch der junge Attila Erdős als Rozgonyi, Offizier und Freund Hunyadi Lászlós mit noblem Bariton. Das begeisterte Publikum schenkte den verdienten Interpreten dieser Nationaloper, deren Beginn um 11 Uhr vormittags war, zu einer Zeit also, in der Sänger oft noch nicht in Topform sind, begeisterten Beifall, dem sich der Rezensent mit Freuden anschließen konnte. Bravo!

 

                                                                                           

Harald Lacina, 30.3.                                       

Fotocredits: © Attila Nagy / Hungarian State Opera

 

                                                                             

DIE FRAU OHNE SCHATTEN

25.3.2022 (Premiere am 25.5.2014)             

Gelungene Wiederaufführung in einer Spitzenbesetzung

 

 

Fünf Jahre war die Budapester Staatsoper, das ehrwürdige Ybl-Haus in der Andrássy út 22, wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Erneuert wurde die Bühnentechnik und die Sitzplätze im Parterre, die nunmehr gepolstert sind und durchgehend verlaufen mit Zugängen zu beiden Seiten. Das im ersten Rang befindliche Büffet, das zuletzt zentral in der Mitte positioniert und von allen Seiten zugänglich war, wurde nun in Richtung der begehbaren Terrasse gedrängt. Erneuert und großzügig ausgestattet wurden sowohl die Toiletten als auch die Künstlergarderoben, die nunmehr alle über ein eigenes Badezimmer mit Dusche und Waschtisch verfügen, während das Künstlerbüffet vollkommen entfernt wurde und derzeit nur mehr einen Getränkeautomaten aufweist. Dem „Frosch“, wie diese Oper liebevoll vom Publikum oft genannt wird, haftete lange Zeit das Etikett an, „spröde zu sein“. Es ist aber Leonie Rysanek, die sich zeitlebens für diese Oper stark gemacht hatte, zu verdanken, dass „Die Frau ohne Schatten“ nunmehr zum festen Bestandteil des Repertoires jeden größeren Opernhauses zählt.

 

 

Und auch die ungarische Staatsoper hat den „Frosch“ wieder nach der langen Schließung des Opernhauses in ihr Repertoire mit einer stark umjubelten Wiederaufnahme integriert. Der literarisch vielseitig belesene Librettist Hugo von Hofmannsthal bediente sich für dieses Opus Magnum bei Goethe (Das Märchen), Hauff (Das kalte Herz), seinem eigenen Drama „Der Kaiser und die Hexe“ sowie aus den Geschichten aus tausendundeiner Nacht. Darüber ist das Libretto auch von den Erkenntnissen über das Unterbewusstsein, das Unbewusste und die Traumtheorien von Siegmund Freud und Carl Gustav Jung beeinflusst. Diese Mischung ergab dann eine äußerst komplexe und komplizierte Märchenoper mit dem Hauptthema des Segens der Liebe durch Geburt von Kindern. Der Schatten als Symbol der Mutterschaft, fehlt aber der Kaiserin, denn als Geisterwesen durchdringt sie das Licht wie Glas. Wer aber keinen Schatten wirft, der steht auch im Verdacht, im Spiel mit bösen Mächten zu sein, in dieser Oper personifiziert durch die Amme, die schließlich von der Kaiserin auch verstoßen wird. In der gelungenen Wiederaufnahme der „Frau ohne Schatten“ wurden die vier Hauptpartien, Kaiser und Kaiserin, Färberin und Amme wieder den bewährtesten Kräften des Hauses überantwortet, die diese Partien bereits bei der Premiere 2014 gesungen hatten.

 

 

Eszter Sümegi konnte das Publikum als Kaiserin sowohl gesanglich als auch darstellerisch erneut in ihren Bann ziehen. Ihre Stimme ist in der Mittellage etwas voluminöser geworden, wodurch sie auch dank ihrer stupenden Technik sowohl das hohe D im ersten Akt als auch das hohe Des im zweiten Akt, ohne zu forcieren, noch immer problemlos erreichte. Mit dem samtenen Timbre ihrer Stimme konnte sie jegliche Schärfe im Forte vermeiden.  Für mich war jener Augenblick im dritten Akt, als sie nach starkem innerem Kampf vor dem versteinerten Kaiser mit markerschütterndem Schrei: „Ich - will - nicht“ das Wasser des Lebens zurückweist. Atemlose Stille herrschte da im Auditorium, bis die Musik nach einer gewaltigen Generalpause wieder langsam anhob. Der gutgeführte Heldentenor von István Kovácsházi als Kaiser hat seit der Premiere vor acht Jahren nichts an seiner Strahlkraft eingebüßt. Als Wesen der Traumwelt, wie die Kaiserin, darf er gleichfalls menschliche Gefühle zeigen, wenn er seine Gattin der Untreue ob ihres Besuches bei den Menschen zeiht. Szilvia Rálik, bewährt als Salome und Elektra, aber auch erprobt als Norma, Abigaille und Turandot, bewältigte die längste Partie dieser Oper wieder mit Aplomb. Für die Rolle der Färberin wurde sie auch 2017 vom Musiktheater Linz engagiert.

 

 

Sonnenbebrillt mit rosa Hut und behängt mit Ketten und rauchend, darf sie Hüfte- und Handtasche schwingend, über die Bühne tänzeln, was das Geschehen humorvoll auflockerte. Mit der Rolle der Färberin hatte Hofmannsthal Pauline, der Gattin des Komponisten ein poetisches Denkmal gesetzt, denn auch sie wollte zu Beginn der Ehe nicht auf ihre Karriere verzichten und versagte sich daher beharrlich dem Kinderwunsch ihres Gatten Richard. Ildikó Komlósi gestaltete wiederum die Amme mit ihrem ausdrucksstarken, höhensicheren Mezzosopran. Ihr umfangreiches Repertoire hat sie klug überlegt sowohl aus Mezzo- wie auch aus Sopranpartien zusammengestellt. Mit ihrer Gestaltung dieser menschenverachtenden Amme, Verführerin mit mephistophelischen Zügen, gelang ihr eine beeindruckende Rollengestaltung, wofür sie am Ende der Vorstellung vom Publikum auch mit ausgiebigen Bravorufen bedankt wurde. Beeindruckend auch ihr hohes B im zweiten Akt. Für die Rolle des Färbers Barak gewann man als Gastsänger den dramatischen schwedischen Bariton John Otto Lundgren. Trotz seiner imposanten Statur wirkte er neben seiner dominanten Frau eher bemitleidenswert. Oberhand gewinnt er erst in dem Moment, als die Färberin seine wahre Liebe erkennt und ihm anbietet, sie zu töten.

 

 

Aber wie in Mozarts Zauberflöte finden auch hier die doppelten Paare am Ende zueinander. In Carlo Gozzis (1720-1806) Drama „Turandot“ erscheint ebenfalls ein „Barak“ als Mentor von Prinz Kalaf und ein König Kaikobad, in dessen Diensten sich Kalaf als Gärtner verdient gemacht hatte. Der Kaiser ähnelte in den Kostümen von Kati Zoób einem russischen Zaren, während die Kaiserin in ihren orientalischen Pumphosen und einer helmförmigen Kappe wie eine fernöstliche Norma gekleidet auftrat. Die Amme trug die meiste Zeit über ein elegantes schwarzes Abendkleid. In der Menschenwelt aber trugen Amme wie Kaiserin fantasievolle, um die Hüfte weit ausladende Mäntel. Schlicht und einfach ist der Färber Barak und seine drei behinderten Brüder gekleidet. Sie sind Handwerker und zugleich von den Menschen abgeschieden, da es ihr Beruf als Färber mit sich bringt, mit streng riechenden Essenzen hantieren zu müssen. In dieser unglücklichen Beziehung hat die Färberin nicht nur „symbolisch“ die Hosen an. Sie trägt Stiefel und weist das Liebeswerben Baraks und seinen Wunsch nach Kindern zurück, weigert sich ihn zu bekochen, raucht selbst bewusst Zigaretten und demonstriert auf diese Weise Emanzipation und Selbstverwirklichung.

 

 

Der Geisterbote, der Wächter der Pforte und der Falke sind in ihren Kostümen als abstrakte Schemen gekleidet. Ebenso treten noch zwei Statisten als Engel mit riesigen roten Flügeln und einem feurigen Schwert auf.  Der symbolträchtige „Schatten“ ist ein schwarzes Cape, das die Amme vom Rücken der Färberin löst und welches am Ende, für meinen Begriff szenisch verfehlt, als lange Schleppe von den noch ungeborenen Kindern um die beiden Paare und schließlich um mehrere im Hintergrund einander umarmende Paare geschlungen wird. Diese Paare kehren einander am Ende der Oper den Rücken zu und die Männer tragen ihre Frauen, wie mit einer schweren Last beladen, nach dem Bühnenhintergrund.  Der eindringliche Falke, in dessen Gesang Arnold Schönbergs „Lied der Waldtaube“ aus den „Gurre-Liedern“ ihren Niederschlag gefunden hatte, wurde dieses Mal von Anikó Bakonyi gesungen. Der resolute Geisterbote von Attila Dobák und die „Hüterin“ der Schwelle des Tempels wurden von Eszter Zemlényi ausdrucksstark dargebracht. Stimmlich bestens disponiert und darstellerisch intensiv spielend waren auch die drei körperbehinderten Brüder von Barak:  Lajos Geiger als der Einäugige, Ferenc Cserhalmi als der Einarmige und István Horváth als der Bucklige, die ihre Stimmen auch gemeinsam mit Attila Dobák den vier Wächtern der Stadt verliehen. 

 

 

Die sechs Kinderstimmen wurden von Ágnes Molnár, Zsófia Kálnay, Bori Keszei, Anikó Bakonyi, Eszter Zemlényi und Bernadett Fodor, wobei die ersten drei auch die Rollen der drei Dienerinnen interpretierten. Péter Balczó trat noch in schwarzem Lederharness und Stiefeln als Erscheinung eines jungen Mannes auf. Regisseur János Szikora hat 1989 für die ungarische Staatsoper Budapest seine erste Strauss-Oper „Salome“ in einem Jugendstil-Ambiente in Szene gesetzt. Für die Frau ohne Schatten kreierte er gemeinsam mit Bühnenbildner Balázs Horesnyi eine aus zwei konzentrischen Kreisscheiben bestehende Bühne, eine am Boden und eine in der Mitte geöffnete oben. Dieses kreisförmige „Weltdach“ öffnete sich in Richtung des Zuschauerraumes und wird von zwei Säulen getragen. Oberhalb der Bühne befand sich eine breite Leinwand, die dreigeteilt ist und Nahaufnahmen der Sänger mittels live übertragener Videoprojektionen zeigte. Und es wurde auch eine dahineilende Gazelle gezeigt, die der jagende Kaiser verfolgte und die sich schließlich in die Kaiserin transformierte, die sich seit dieser Zeit nicht mehr zurück verwandeln kann. Und immer wieder werden die narrativen Elemente der Oper filmisch unterstrichen, so etwa, wenn der Falke auftritt, oder wenn Barak im ersten Akt den Geruch von Fischen preist, dann sehen wir diese, wie sie noch zappelnd auf einem ausgebreiteten Tuch ihr Leben lassen. Die Erscheinung des Jünglings erscheint gedoppelt.

 

 

Auf der Bühne verharrt der Darsteller mit nacktem Oberkörper, während in der filmischen Auflösung ein nackter Mann die Färberin bedrängt und mit ihr ringt und die Sängerin auf der Bühne lediglich ein Phantombild dieses Jünglings umarmt. Fallweise wird auch das Reich der fernöstlichen Inseln mit den sieben Mondbergen in einer Videoeinspielung gezeigt. Vermutlich handelt es sich dabei um die Inselwelt im Golf von Thailand?  Kurze Ausschnitte aus Walther Ruttmanns (1887-1941) Stummfilm „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ (1927), und aus Balázs Kovaliks Inszenierung von Boitos Mefistofele, wurden ebenfalls eingeblendet. Unter dem umsichtigen Dirigenten Stefan Soltész am Pult des Orchesters der ungarischen Staatsoper gelang es die hochdramatische Musik Strauss‘, der zur Psychologisierung und individuellen Charakterisierung einzelner Figuren und Schlüsselszenen sogar eine Glasharmonika und fünf chinesische Gongs zum Einsatz brachte, mit großer Wirkung auszubreiten. Die atonal wirkende Harmonik wechselte geschickt mit Passagen voller inniger Lyrik. Alle mitwirkenden Künstler und der Dirigent erhielten ausgiebigen Applaus und das Damentrio frenetische Bravorufe. Im Zuschauerraum, den man ohne Maske betreten durfte, und auch in den zwei Pausen, konnte ich zahlreiche deutschsprachige Besucher vernehmen. Am Ende der Vorstellung würdigte Direktor Szilveszter Ókovács noch alle Mitwirkenden auf der Bühne im privaten Rahmen bei Sekt. Weitere Vorstellungen am 2., 7. und 9. April können nur empfohlen werden. Bravo!

                                                                                           

Harald Lacina, 30.03.22                                   

Fotocredits © Valter Berecz / Hungarian State Opera

 

COSÌ FAN TUTTE

23.2. (Premiere am 21.4.1979)                                  

Verstaubte szenische Nostalgie…

 

 

 

Die Ungarische Staatsoper Budapest hat ihre Pforten bis voraussichtlich 2019 geschlossen. Der Grund liegt darin, dass die Drehbühne erneuert werden muss. Als Ausweichquartier fungiert nun das größere Erkel Theater, das zu diesem Zweck nun auch eine zweisprachige Übertitelung – Englisch und Ungarisch – eingeführt. Die Anlage wird von der ehemaligen dramatischen Koloratursopranistin Veronika Fekete, zu deren wichtigsten Rollen die Königin der Nacht, Erzsébet Szilágyi (Hunyadi László), Turandot, Abigaille, Amelia und Lady Macbeth zählten, bedient. Etwas verstaubt wirkt die Ausstattung zu dieser Così nach 38 Jahren schon. Gábor Forray begnügte sich damit zwei geschwungene Hollywoodtreppen auf die Bühne zu stellen, die zueinander gedreht werden können, sowie zwei ebenso halbkreisförmige filigrane Bänke.

 

 

Dann gibt es Paravents, hinter denen man sich verstecken kann und Schabrackenvorhänge, die immer wieder herabgelassen werden sowie berühmte Frauenporträts von Nofretete über Mona Lisa bis zu Amedeo Modigliani, die den ironischen Titel der Oper unterstreichen sollen. Die Kostüme von Judit Schäffer verweisen in die Zeit des Biedermeier. Die beiden Kavaliere rufen nach ihrer Abreise dann die Hippiekultur der 6oer Jahre in Erinnerung und erscheinen dementsprechend mit Jeans und geblümten Jacken bekleidet, die Frisuren im Afrolook und mit Bart und intellektuellen Brillen. Regisseur Miklós Szinetár, ein Altmeister der Personenführung, hat nichts dem Zufall überlassen. Da erfolgt so viel Interaktion zwischen den einzelnen Paaren mit Liebe zum Detail, dass man die antiquierte Ausstattung bald nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Was aber weniger gelungen ist, war die Einbindung zweier Tänzer und einer Tänzerin, die wie Figuren der Commedia dell arte, die Szene beleben sollen. Csaba Sebestyén kreierte die Choreographie, die man getrost weglassen könnte. Die Sängerdarsteller bildeten stimmlich ein wohl ausgewogenes und aufeinander gut abgestimmtes Team und punkteten auch darstellerisch durch engagiertes Spiel im Mimik und Gestik.

 

Trotzdem gab es eine gewisse Abstufung. Bei den Damen war Klára Kolonits als Fiordiligi mit untadelig geführtem Sopran knapp vor der Dorabella von Mezzosopran Viktória Mester . Etwas weniger gefiel mir die Despina von Orsolya Sáfár , deren eher dünner aber dennoch schön anzuhörender Sopran nur durch ihr hervorragendes Spiel mit der sichtlichen Freude an kleineren Übertreibungen aufgewogen werden konnte. Bei den Herren war die Sache umgekehrt. Hier führte für meinen Geschmack eindeutig Zoltán Nagy als Guglielmo, dicht gefolgt von Bass Péter Kálmán als sonorer philosophierender Don Alfonso. Für Tenor Zoltán Megyesi war die Rolle des Ferrando hörbar zu hoch notiert und er musste daher des Öfteren stark forcieren. Seine Stimme passt auch eher zu einem Charakter- als einem Mozarttenor. Zu erwähnen wäre noch der Chor der Ungarischen Staatsoper unter seinem neuen Leiter Gábor Csiki, der wieder einmal bewies, dass er wohl zu den weltbesten gezählt werden muss. Dirigent Péter Halász gelang es am Pult des Orchesters der Ungarischen Staatsoper einen geradezu beschwingten kammermusikalischen Ton zu treffen, der das Sängerensemble auf Händen trug und so zu einigen respektablen gesanglichen Höchstleistungen animierte.

 

 

as die Budapester Oper von so manchen großen Opernhäusern der Welt auf angenehme Weise unterscheidet ist, dass es hier noch eine Ensemblekultur gibt, wo die großen Stimmen die kleineren mittragen und zu einer guten bis sehr guten Leistung animieren können, was in unserer schnelllebigen Zeit leider heute nur mehr selten anzutreffen ist. Ein langanhaltender und verdienter Applaus wusste diese Gesamtleistung aller Mitwirkenden entsprechend zu würdigen.                                                                                 

Harald Lacina, 25.2.                                                                                    Fotocredits: Péter Rákossy

 

 

 

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