TEL AVIV
Gesher-Theater Tel Aviv
Der Goldene Drache
Israelische Erstaufführung als Eröffnung zum Jaffa- Festival
am 29 Mai 2019
TRAILER
Nach der letztjährigen ersten erfolgreichen Zusammenarbeit des Jaffa-Festivals mit dem Musiker-Ensemble der Israelian Contemporary Players für eine szenische Aufführung von Josef Tal‘s Kammeroper Hommage an Else mit dem international gefragten Regisseur Bruno Berge-Gorski inszenierte dieses Jahr dasselbe Team zur Eröffnung die israelische Erstaufführung von Golden Dragon von Peter Eötvös in der Englischen Fassung.
Das politisch hoch aktuelle Werk basiert auf Roland Schimmelpfennig’s berühmtes Theaterstück. Es wurde bisher auf deutsch in Frankfurt und Bremerhaven inszeniert und in der englischen Neufassung bei den Operafestivals in Wales und Buxton.
Mit einer minimalistischen Bühnenausstattung, die nur aus einem Tisch und Bierkisten mit Matrazen bestand, lässt Berger-Gorski durch geschickte Lichtwechsel (großartige Lichtdesignerin von Dania Zemer) im fast ausverkauften Gesher-Theater die verschiedenen Spielorte wie Küche, Restaurant, Strassenstrich etc entstehen.
In der Dachbude eines Proleten-Paares verlässt ein junger Mann seine geschwängerte Frau. How Could this Happen? bedrängt der junge dramatische Helden-Tenor Dan Norman die berührend spielende und rund singende ungarische Mezzo und verlässt sie , um brutal eine chinesische Geflüchtete zu schlagen. Die ungarische Sopranistin Andrea Melath hat schon bei 6 Ur-Aufführungen von Peter Eötvös mitgewirkt und meistert auch in diesem Golden Dragon meisterhaft die blitzschnell wechselnden Rollen in Geschlechtern und Alter; eine anspruchsvolle Aufgabe.
Das hochmotivierte Sänger-Ensemble bewältigte in vorgeschrieben komponierter Zeit die erforderlichen Rollenwechsel und schlüpfte durch minimale Kostüm-Wechsel (Dramaturgie/Kostüme von Sandra Broeske/Berger-Gorski) nicht nur in verschiedene Rollen, sondern auch in verschiedene Geschlechter, die auch durch veränderte Stimmfärbungen genau von Dirigent Nagy Szolt ausgearbeitet waren. Der Maestro gilt international zu Recht als Spezialist für zeitgenössische Musik und lebt in Karlsruhe. Besonders berührte Andrew McKenzie-Wicks, der wie alle fünf Darsteller auch fünf Rollen darstellen musste, als Grille und zeigte den Verfall der chinesischen Schwester der Hauptrolle The Little Boy. Der chinesische Flüchtling The Little Boy war ideal besetzt mit der israelischen Intensiv-Darstellerin Einat Aronstein, die mit ihrem leuchtenden und fast metallisch durchdringendem Koloratursopran schon in Bonn und Trier auf sich aufmerksam machte.
Der englische Tenor Andrew McKenzie-Wicks überzeugte besonders durch sein zuerst komisch wirkendes und dann sich tragischer entwickelndes Spiel als Chinesische Schwester ohne Papiere im reichen Westen. Er stellte als Criquet / Heuschrecke zuerst eine freie Drag-Queen-Künstlerin dar, die vor der reichen Ameise (Andrea Melath) bettelnd auf der Straße Geige spielt und dann als verkaufte Chinesische Protistuierte im Kapitalismus auf dem Strich endet, während ihr Bruder Einat Aronstein mit ihrer fast tonal klingenden Schluss-Arie das Publikum durch ihre Stimme und Darstellung gleichermaßen fesselnd in den Bann zog und an einer Zahnoperation ohne Arzt verstorben über dem Wasserweg zurück nach China gelangt.
Dem erfahrenen Regisseur gelingt ein spannendes Wechsel-Spiel zwischen Komik und Tragik und das permanent wechselnde Stück reizte immer wieder zu Lachsalven: besonders die zwei Stewardess-Drag-Szenen mit den komödiantisch begabten Musiktheater Darstellern Kornel Mikecz (vielversprechender Bariton) und Dan Norman mit witzigen Damen-Handtaschen und Häubchen herrlich gezeichnet .
Am Ende lang anhaltender Beifall und einen and einen anregenden Diskussionsabend über das aktuelle Werk, dass zur Zeit auch in England immer wieder für Diskussionen sorgt. Provokant, der im Foyer inszenierte afrikanische Flüchtling mit der Aufschrift suche Arzt ohne Papiere - zurück nach Afrika? stellte sich als echter Flüchtling heraus, der in Israel ein ähnliches Schicksal wie The Little One‘erleben muss.
Warum dieses politisch brisante Werk als einzige Oper des genialen Peter Eötvös bisher nicht in Orban‘s Ungarn gezeigt wurde, kann man sich denken...
Umso erfreulicher, dass diese packende und in jeder Hinsicht überzeugende Produktion diesen Sommer aus Israel mit dem Musikalischen Spezialisten-Ensemble für Neue Musik in der sehr detailliert erarbeiteten Interpretation von Nagy Zsolt zum Miskolc-Festival nach Ungarn als Ungarische Erst-Aufführung eingeladen wird.
Am 16 Juni findet endlich die ungarische Erst- Aufführung im Geburtsort von Peter Eötvös statt.
Amos Freiberg, Tel Aviv 2.6.2019
Bilder (c) Gersher Theater / DerOpernfreund
Center of the Performing Arts
(c) Der Opernfreund / Billand
Mieczyslaw Weinberg
THE PASSENGER
am 2. Mai 2019
Eine Auschwitz-Oper in Israel
Am 30. April erlebte in der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo die Oper „The Passenger“ von Mieczyslaw Weinberg ihre israelische Erstaufführung mit einer teilweise internationalen Besetzung in den Hauptrollen. In dieser zweiten Aufführung erlebte ich eine komplett israelische Besetzung ausgezeichneter Qualität, alle mit ihren Rollendebuts. Der Generaldirektor der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo, Zach Granit, hatte die ebenso mutige wie großartige Idee, das Stück, welches mit dem Holocaust bekanntlich das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte thematisiert, in Israel aufzuführen.
Dazu holte man die komplette Produktion der Bregenzer Festspiele aus dem Jahre 2010 von David Pountney mit den imposanten Bühnenbildern von Johan Engels, den Kostümen von Marie-Jeanne Lucca, dem Lichtdesgin von Fabrice Kevour und erlebte nach den ersten beiden Abenden enormen Zuspruch des israelischen Publikums im sehr gut besetzten Saal, den auch in der Pause fast niemand verließ. Revival Director ist Bob Kearly und Revival Light designer für die riesige Bühne in Tel Aviv Christoph Forey.
Man hatte eine landesweite Vorbereitungskampagne für Gymnasialschüler von 16 bis 18 Jahren durchgeführt und in jede Aufführung zwischen 200 und 250 eingeladen. Granit wollte mit diesem Werk in einer Zeit des zunehmenden Populismus‘, in der es immer schneller und leichter möglich wird, einzelne oder ganze Gruppen zu stigmatisieren und zu verfolgen, am Beispiel des gerade für Israel so bedeutsamen Holocaust zeigen, wie gefährlich eine solche Entwicklung ist, wie schnell sie aus dem Ruder laufen kann und wie sehr man also aufpassen muss, dass so etwas nie wieder passieren kann. Die Demokratie sei deshalb die beste Regierungsform, solche Entwicklungen zu verhindern, da sie dazu über die besten Mittel verfügt. (In einem Interview mit Zach Granit, das in Kürze folgen wird, werde ich näher darauf eingehen).
Das Bühnenbild ist in zwei Teile gebrochen. Oben die vermeintlich heile und schneeweiße Welt des Ozeandampfers - auch in schneeweißen Kostümen manifest - der nach Brasilien fährt. An Deck, aber auch auf dem Dach des Frauenlagers (!) versichert sich Walter bei Lisa seiner jungen Liebe, bis das Auftauchen von Martha hier erste stark inszenierte Konflikte schafft und die Bedeutung des Folgenden erahnen lässt. Unten taucht dann auf den berühmten Gleisen mit Prellbock - der immer ein Ende bedeutet - die an Ausschwitz erinnern und immer erinnern werden, aus dem Dunkel das Frauenlager des KZs auf. Mit starker Personenführung inszeniert Pountney hier die Ängste der Frauen, ihre traurigen Erinnerungen an die Vergangenheit und Hoffnungen auf eine bessere, aber illusorische Zukunft. Auf der anderen Seite erlebt man den grausamen Zynismus und die Gräueltaten der Nazis auf unglaublich authentische Art und Weise, die niemanden unberührt lassen kann. Und man sieht auch, wie arrogant und ganz im Sinne der „Befehlsausführung“ Lisa als SS-Aufseherin vorgegangen ist. Nach nazistischer Gutsherrenart gewährt sie der Liebe zwischen Martha und Tadeusz eine gewisse Freiheit, aber natürlich im Wissen, das beide ohnehin im Todesblock enden werden. Sehr emotional ist die Szene, in der Tadeusz dem Lagerkommandanten und seiner Entourage statt dessen kitschigen Lieblingswalzers Bachs Chaconne aus der Partita d-Moll spielt. Seine Geige wird ihm entrissen, und er wird gewaltsam gleich in den Todesblock gezerrt.
Edit Zamir sang die Lisa mit einem bestens intonierenden, schön timbrierten Mezzo und konnte insbesondere durch ihr beeindruckendes Wechselspiel zwischen der mit schlechtem Gewissen versehenen Ehefrau Walters und ehemaliger SS-Aufseherin darstellerisch überzeugen. Peter Marsh spielte einen nervösen und sich selbst unsicher zu sein scheinenden Walter mit einem hell timbrierten, kräftigen Tenor als naiv auf eine großartige Zukunft mit seiner jung vermählten Frau hoffender deutscher Diplomat. Ira Bertman, eine Meitar Opera Studio Alumni, gestaltete eine facettenreiche und ausdrucksstarke Martha mit äußerst klangvollem Sopran und hoher sängerischer Intensität in ihren Monologen.
Oded Reich (Meitar Opera Studio Alumni) war ein bedauernswerter Tadeusz, der authentisch den vermeintlich großzügigen Angeboten der SS-Aufseherin Lisa trotzte, weitere Treffen mit seiner geliebten Martha zuzulassen. Unter den vielen kleineren, aber ebenfalls sehr wichtigen Rollen sei stellvertretend, aber auch aufgrund einer bestechenden schauspielerischen wie sängerischen Leistung Moran Abouloff als Yvette hervorgehoben. Aber auch alle anderen waren gut und sollen hier genannt sein: Larissa Tetuev als Alte Frau; Daniela Skorka (Meitar Opera Studio Alumni) als Vlasta; Anat Czarny (dto.) als Krystina; Zlata Khershberg (dto.) als Bronka; Shay Bloch (dto.) als Hanna; Alla Vasilevitsky (dto.) als Katya; Yair Polishook (dto.) als Lagerkommandant, Älterer Passagier und Steward; Gabriela Borschmann als SS-Oberaufseherin; Noah Briger, Vladimir Braun und Daniel Bates als 1., 2., und 3. SS-Offizier. Dotan Tal spielte die Geige für Tadeusz. Mit dräuender Finsterkeit sang der Israeli Opera Chorus die immer wiederkehrenden Verse zur „Black Wall“, eben dem Todesblock, in dem alle früher oder später enden würden. Man sang auf Deutsch, Polnisch, Tschechisch, Russisch, Französisch, Englisch, Jiddisch und Hebräisch!
Nir Cohen Shalit dirigierte das Israeli Symphony Orchestra Rishon LeZion, was nach nur vierwöchiger Probenzeit bestens mit der komplexen Partitur Weinbergs zurechtkam, die für jeden Klangkörper eine große Herausforderung darstellt. Weinbergs Musik changiert zwischen großer Dramatik, auch unter starkem Einsatz des Schlagwerks, expressiver Ausdruckskraft und einem lyrischen Duktus, vor allem in den Szenen des Frauenlagers und Marthas Monologen, sowie Tanzrhythmen, die an Weils "Wozzeck" oder Kreneks "Jonny spielt auf" erinnern, aber auch Elementen der Volksmusik. All das war an diesem Abend in Tel Aviv in eindrucksvoller Weise zu hören.
Das vielfach junge und teilweise auch sehr alte Publikum applaudierte begeistert. Die Vorhänge der Solisten wurden mit rhythmischem Klatschen begleitet. Zach Granit traf mit seiner Entscheidung, diese Oper nach Israel zu holen, ins Schwarze!
Fotos (c) Karl Forster / Schlußapplaus Billand
Klaus Billand 6.5.2019
SALOME
Premiere am 8. und 1. Reprise am 9. Januar 2019
Grandiose Lichtdramaturgie
Anfang Januar erlebte das Meisterwerk des großen Garmischers Richard Strauss an der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo eine emotional und optisch überaus beeindruckende Premiere in der Regie des Israeli Itay Tiran unter der musikalischen Leitung von Dan Ettinger. Es wurde ein dramatisches Ereignis der großen Dimensionen, und zwar was die Leistung des 95-köpfigen Orchesters, aber auch die enorme Bühnengröße und -optik betrifft. Den überwältigendsten Eindruck hinterließ The Israeli Symphony Orchestra, welches hier als Opernorchester fungiert, wohl ähnlich wie die Wiener Philharmoniker auch das Orchester der Wiener Staatsoper stellen. Das Ensemble sitzt in Tel Aviv aber in einem riesigen Orchestergraben, der weit zum Publikum geöffnet ist und damit einen besonders plastischen und dynamischen Klang entwickelt. Dan Ettinger brachte diesen mit der gegebenen Dramatik optimal zur Entfaltung, wobei auch die lyrischen und subtilen Momente nie zu kurz kamen.
Es gelang nicht nur musikalisch, sondern auch optisch und dramaturgisch mit einigen Überraschungen eine packende Salome. Der Bühnenbildner Eran Atzmon ließ über der schwarzen Bühne mit der kreisrunden erleuchteten Zisterne in der Mitte einen riesigen Spiegel nach vorn aufsteigen, mit einer großen runden Öffnung, die oben die Gesellschaft des Herodes sowie die sich langweilende Salome mit einer Sonnenblume zeigt und unten das Geschehen um die Zisterne. Das Riesenloch suggeriert mit den nach unten gehenden intensiven Lichtstrahlen aber auch die Assoziation, dass sich hier alles bereits in der Zisterne abspielt. Auf dieser rotiert eine große Kugel in Anlehnung an den Mond - das schwangere Weib - die zunächst jedoch wie ein erloschener Stern, wie ein schwarzes Loch aussieht, bei den Reden des Jochanaan darunter aber von bläulichem - göttlichem? - Licht durchzogen wird, um am Ende immer roter zu werden und schließlich zu einer blutigen Kugel mutiert - phantasievolle Videos von Yoav Cohen - wenn darunter Salome begehrlich den abgeschlagenen Kopf des Jochanan küsst und mit ihm spielt.
Zuvor hatte sie Narraboth mit der Übergabe der Sonnenblume umgestimmt, wie einst Carmen Don José mit la fleur que tu m’avais jetée. Er stirbt, nachdem er Blütenblatt für Blütenblatt abgezupft hat und sein Traum unverwirklicht bleibt, in Robert Wilsonscher Manier in Zeitlupe. Der Page drückt sein Mitgefühl mit unverändertem Gesichtsausdruck ebenfalls so aus. Vordergründige Emotionen sind allen Herodes-Angestellten offenbar verboten.
Aber auch die pantomimenhafte Ästhetik hat ihre Wirkung. Jochanan kommt in einem abgerissenen, verkalkten Kostüm und mit verfilzten Haaren aus der Zisterne, während Orna Smorgonsky den Wachen, Narraboth, dem Kappadozier und dem Pagen futuristisch anmutende schwarze Lederkostüme mit Leuchtdioden verleiht und die Nazarener und Juden mit modistisch wirkender, religiös gestylter Tracht versieht. Das alles passt perfekt in das Bühnenbild, in dem dunkle Töne in Schwarz, Grün und Blau bis zum Rot gegen Ende dramaturgisch passend dominieren. Überhaupt spielt die starke Akzente setzende Lichtregie von Avi Yona Bueno (Bambi) in dieser Inszenierung eine regelrecht dramaturgische Rolle. Davon hätte sich Sven-Eric Bechtolf bei seinem langweiligen Wiener „Ring“ eine gehörige Scheibe abschneiden können. Vielleicht sollte man diesen Beleuchter einmal nach Wien einladen.
Völlig aus der Reihe, aber interessant und aufregend, fiel die Aufmachung des Herodes, der als völlig dekadenter, ja degenerierter und mit von Geschwüren übersätem Fettwanst und Glatze von einigen spärlich bekleideten Slaven herumgetragen wurde, da er selbst kaum noch gehen kann - ganz offenbar dem Ende nahe. (Gute Choreographie: Renana Raz). Und so kam es auch: Als Salome mit ihrer Forderung nicht lockerlässt, laufen die Slaven bei jeder wiederholten Forderung nach dem Kopf des Jochanaan nach und nach zu ihr über und lassen den schließlich hilflosen Tetrarchen am Boden liegen. Der König ist tot, es lebe der/ie neue König/in, die nun getragen wird! Tanzen muss die Prinzessin zur Erfüllung ihres Wahnsinnswunsches allerdings nicht. Das erledigen die sieben Sklaven mit langen Tuchbahnen, während sie in ihrer Mitte thront. Zum Schluss wirkt das wie eine Varieté-Nummer. Salome erkennt aber die Verwerflichkeit ihrer Tat und schneidet sich die Kehle durch, während die Sklaven dem alten König beim Dunkelwerden mit ihren Messern ein Ende setzen. Hier durfte keiner überleben, das konnte das leading team auch mit einer exzellenten Personenregie klar dokumentieren.
Die Schwedin Elisabet Strid spielt eine als Kindfrau aufgemachte Salome in Unschuldsweiß mit freilich umso effektvoller wirkenden Blutflecken am Schluss und mit silbrigem Bubikopf. Strid offenbart einmal mehr ihr beachtliches darstellerisches Format und einen leuchtenden Sopran, der in allen Lagen perfekt anspricht und bei den Fortestellen stets noch über dem großen Orchesterapparat zu hören ist. Edna Prochnik singt mit dramatischem Mezzo und guter Tiefe eine boshafte und von ihrem Leben völlig gelangweilte Herodias, die es offenbar schon mit dem Henker getrieben hat. Chris Merritt, ein alter Hase des Operngesangs, passt genau deswegen zur Rolle des Herodes, wie Tiran sie hier (über-)zeichnet - ein altgewordener Herrscher mit immer noch gutem Aplomb und Spitzentönen. Robert McPherson spielt einen wohl so gewollten, völlig unengagierten Narraboth und singt ihn mit einem verblüffenden, ja fast trompetenhaften Tenor. Eitan Drori sang einen sehr guten Kapitän der Wachen, Vladimir Braun einen ansprechenden Ersten Soldaten und Noah Bieger einen kräftigen Zweiten. Oshri Segev gab den Sklaven.
Allein Daniel Sumegi konnte als Jochanaan nicht überzeugen. Darstellerisch vermochte er wie auch in seinen anderen Rollen wie dem Hagen, dem Jochanaan alle relevanten Facetten zu verleihen. Die Rolle verlangt aber einen Bariton, und Sumegi ist Bass. Und er scheint mit der Tessitura des Jochanaan einfach überfordert. Die Höhen kommen gequält, und die Stimme klingt bei nicht gerade guter Diktion oft nasal und kopflastig und hat damit auch zu wenig Resonanz. Sumegi wurde so zum einzigen stimmlichen Manko und hatte noch das Pech, dass seine Anklagen aus der Zisterne technisch unbefriedigend verstärkt wurden und dabei ein Nachhall entstand. Das hätte doch nicht sein müssen. Der Page von Shay Bloch, einer Alumni des Meitar Opera Studios, sowie die weiteren Nebenrollen waren gut bis ansprechend besetzt. Die Juden (Joseph Aridan, Christian Sturm, Anthony Webb, Alaisdair Elliott und Yair Polishook) hätten etwas intensiver um die ihrer jeweiligen Meinung nach gültige Lehre streiten können. Auch der Erste (Yuri Kissin, auch Kappadozier) und Zweite Nazarener (Adrian Dwyer) blieben an Stimmvolumen etwas hinter entsprechenden Erwartungen zurück. In jedem Falle war dies eine große Premiere zum Jahresaftakt der von Zach Granit geleiteten Israel Opera. Starker Beifall.
1. Reprise/Alternativbesetzung
am 9.1.2019
Mit der zweiten Besetzung in den wichtigsten Rollen war der Saal der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo mit über 1.500 Plätzen wieder nahezu vollbesetzt. Es wurde der Abend des Sebastian Holecek als Jochanaan. Mit klarer Diktion, die sogar seine Anklagen zu Beginn in der Zisterne trotz des - sicher unnötigen - Verstärkungsnachalls noch verständlich machte, sang er den Propheten mit einem klangvollen und ausdrucksstarken Heldenbariton bei gleichwohl gutem Bassfundament und eindrucksvoller Resonanz, der auch in den Spitzentönen bestens ansprach. Dennoch fand Holecek zu berührender Lyrik mit seinem offenbar auch von emotionalen Faktoren bestimmten balsamischen Timbre, als es zu der Galiläa-Erzählung kam – sozusagen das „Waldweben“ des Jochanaan. Hier zeigte sich der Facettenreichtum einer Stimme mit hoher Qualität. Es ist zumindest verwunderlich, warum Sebastian Holecek nicht die Premiere sang. Und was seinen Heimatort Wien betrifft, so muss man angesichts dieses prächtigen Jochanaan mit Bedauern feststellen, dass der Prophet im eigenen Lande wieder einmal nichts zu gelten scheint…
Die Israelin Merav Barnea war schon aufgrund ihres Alters nicht die Kindfrau wie Elisabet Strid, vermochte aber nach gewissen stimmlichen Anlaufschwierigkeiten die Rolle schauspielerisch überzeugend auszufüllen. Mit einem deutlich tiefer gelegenen Sopran konnte sie einigen Momenten in der Auseinandersetzung mit Jochanaan eine besondere Note verleihen. Allerdings wurde zunehmend ein starkes Tremolo hörbar.
Hubert Francis sang einen jüngeren, aber ebenso dekadenten Herodes als Chris Merritt am Vorabend, mit einem kraftbetonten Tenor bei etwas geringerem tenoralen Aplomb. Er wusste der Figur darstellerisch starkes Profil zu verleihen. Diesmal konnte man in der letzten Sekunde sogar noch das Einstechen der Sklaven sowie das gleichzeitige Ausholen des hinter ihm stehenden Henkers mit der Machete auf ihn sehen… Herodias war nun Edit Zamir mit einer großartigen schauspielerischen Leistung und einem zur Rolle gut passenden Mezzo. Eitan Drori sang einen jüngeren Narraboth mit einem prägnanten, aber nicht so trompetenhaften Tenor wie Robert McPherson in der Premiere. Diesmal trat auch das leading team vor das Publikum und bekam einhelligen Applaus, zusammen mit Dan Ettinger und dem Israel Symphony Orchestra. Nach der Premiere war das Erscheinen des Leading team aus logistischen Gründen nicht möglich gewesen.
Es gab wieder fast zehn Minuten starken Applaus für diese wahrlich sehens- und hörenswerte „Salome“ im Heiligen Land, was dem Erlebnis dieser Produktion in Tel Aviv eine zusätzliche, ganz besondere Note verlieh. Die Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo sollte diese wunderbare Produktion, die kaum jener von Romeo Castelucci in Salzburg nachstand, nach Europa ausleihen.
Fotos (c) Yossi Zwecker-Ora Lapidot; Yoel Levy
Klaus Billand / 4.2.2019