Die Zwickauer Opernspielstätte ist das Gewandhaus am Hauptmarkt mit dem Schumann-Denkmal.
Fotos: Theater Plauen-Chemnitz
http://www.theater-plauen-zwickau.de/
LUISA MILLER
Vorstellung am 6. 12.2015
Warum diese Oper, trotz einiger Wiederbelebungsversuche in jüngerer Zeit, derart selten auf unseren Bühnen anzutreffen ist, gehört zu den Geheimnissen deutschsprachigen Theateralltags. Nicht einmal die von Dresden ausgehende, in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts anzusiedelnde Verdi-Renaissance schuf hier nachhaltige Abhilfe, sieht man von Inszenierungen in Berlin 1927, Wien 1930 oder Zürich 1938 ab. Dabei besitzt das Werk doch alles, was das Herz des Opernfreundes höher schlagen lässt – eine plausible, wenn auch im Vergleich mit Schillers Drama von der Zensur einigermaßen zurechtgestutzte Fabel, die Verdi mit einem wahren Füllhorn ebenso berührender wie menschliche Abgründe aufzeigender Melodien in Töne gefasst hat. Desto mehr schmerzt die eingangs beklagte Absenz. Glücklicherweise entschied sich das Theater Zwickau nunmehr für eine Erstaufführung (!), die auch auf der mit ihm verbundenen Bühne von Plauen zu sehen sein wird.
Thilo Reinhardt, der den Rezensenten vor einigen Jahren am selben Haus mit einem arg verquasten „Maskenball“ malträtierte und hernach mit dem wunderbar gelungenen „Joseph Süß“ versöhnte, verkündete im Vorfeld der Ìnszenierung, „Luisa Miller“ in die Anfangsjahre der Bundesrepublik zu verlegen. Man war demnach gewarnt und ward aufs Schönste enttäuscht. Und obschon Bühnenbild und Kostüme (Luisa Lange) Reinhardts Fingerzeig genügen und eingangs die Bettszene der ziemlich entblätterten Luisa Arges vermuten lässt, vermeidet der Regisseur im weiteren Verlauf Dekonstruktives und imponiert dank einer durchweg fesselnden und konsequenten Sicht. Wenngleich ich der grassierenden Sucht, Ouvertüren zu bebildern, stets skeptisch begegne, besaß der hier gezeigte Gang der beiden Väter zu den Gräbern ihrer Kinder durchaus emotionale, keinesfalls aufgesetzte Wirkung.
Reinhardt erarbeitet mit allen Beteiligten, einschließlich der vonFriedemann Schulz einstudierten Damen und Herren des Chores, individuelle Porträts der jeweiligen Charaktere, von ihren Gefühlen bestimmte Menschen aus Fleisch und Blut, die in einer unüberwindbaren Gegensätzen ausgelieferten Welt aufeinanderprallen. Da verzeiht man auch die zweifellos überzogene Reaktion Federicas auf Rodolfos Korb. Dass Wurm am Leben bleibt, ändert ohnehin nichts am tragischen Ausgang der Geschichte und dürfte als Hinweis auf das unausrottbar Böse zu verstehen sein. Luisa Lange steht den Intentionen der Regie kräftig zur Seite. So zeigt das beengte und beengende Anwesen Millers das (klein)bürgerliche Milieu der Bewohner, schroff kontrastiert vom gewaltigen, bühnenhohen Tor des gräflichen Palastes, in dessen Zentrum sich eine für kräftige szenische Aktionen genutzte, überdimensionale Festtafel befindet. Einen beide Elemente vereinenden, das Himmelsgewölbe verdeutlichenden Rundhorizont versteht die Szenographin als „Be- und Entgrenzung.“
Unter der Leitung von Lutz de Veer wartete das Philharmonische Orchester Plauen-Zwickau mit einer höchst anerkennenswerten klangschönen und von Verdischer Glut durchdrungenen Leistung auf, die, eingedenk der hier vorrangig geforderten Begleitfunktion, den Sängern zuverlässig sekundierte, aber darüber hinaus darauf bedacht war, eigenständige Akzente zu setzen. In der Titelpartie beeindruckte Sonja Westermanns technisch perfekt geführter Sopran, der die entsprechenden Koloraturen gewandt meisterte. Leider strahlt die Stimme eine gewisse Kühle aus, die es der Künstlerin erschwert, unmittelbar emotional zu berühren. Nach der Pause verflüchtigte sich dieser Eindruck allmählich.
Als Luises Rivalin nahm Johanna Brault in jeder Hinsicht für sich ein. Leider ist der Aktionsradius dieser Rolle von vornherein wenig optimal. Einen sowohl seine bedingungslose Liebe zu Luisa als auch die rasende Verzweiflung über den vermeintlichen Verrat des Mädchens glaubwürdig gestaltenden Rodolfo steuerte Jason Kim bei, der mit einem weiteren Quentchen Höhenglanz und vokal abgestufterem Vortrag dieser vorzüglichen Gestaltung das I-Tüpfelchen aufsetzen könnte. In dieser Beziehung bot Shin Taniguchi wiederum Fabelhaftes und reihte seinen Miller damit ohne Abstriche in die Phalanx seiner das Musiktheater von Plauen und Zwickau auf hohem Niveau bereichernden Interpretationen ein. Da sei immerhin die Frage erlaubt, ob es künstlerisch verantwortungsvoll ist, das wertvolle vokale Material dieses Künstlers an fachfremde Partien (Cabaret-Conferencier oder Blaubart-Bobèche) zu vergeuden. Das gediegene, belkantesken Feinschliffs bedürfende Fundament seines Basses nutzte Karsten Schröter für eine imposante Zeichnung des Grafen Walter. Igor Levitan (Wurm) musste allerdings wider eine ihn vornherein in Bezug auf Maske und Kostüm denunzierende Lösung ankämpfen, gegen die er stimmlich durchaus opponierte.
Im schütter besetzten Haus belegte der anhaltende Beifall der jenigen, die den Verlockungen des vorm Eingang des Theaters platzierten Weihnachtsmarktes widerstanden, dass die Theaterleitung mit dieser „Luisa Miller“ eine gute Wahl getroffen hatte.
Joachim Weise 8.12.15
Besonderer Dank an MERKER-online (Wien)
Bilder: Theater Plauen / Chemnitz