Genova
BIANCA E FERNANDO
Aufführung am 21.11.21
(Premiere am 19.11.)
Am 7. April 1828 war das Genueser Opernhaus mit dem Werk des zur Zeit seiner Niederschrift 25-jährigen Vincenzo Bellini eröffnet worden. Diese seine zweite Oper war nämlich ursprünglich für Neapel bestimmt, wo es 1826 unter dem Titel „Bianca e Gernando“ zur Uraufführung kam. (Den Titel musste der Komponist ändern, weil sowohl der Vater des regierenden Königs als auch der Kronprinz Ferdinando hießen und jedwede Verbindung mit dem Königshaus vermieden werden sollte).
Nachdem Bellini 1827 mit „Il pirata“ an der Mailänder Scala einen Triumph gefeiert hatte, wurde er von der Leitung des neu zu eröffnenden Hauses mit dem Eröffnungswerk beauftragt (und damit Donizetti und Giovanni Pacini, die sich gleichfalls beworben hatten) vorgezogen. Da nicht viel Zeit zur Verfügung stand, schlug er das Werk unter seinem ursprünglichen Titel vor, was der leitenden Kommission recht war, trug das Haus doch den Namen des Königs Carlo Felice von Sardinien (zu dessen Territorien Piemont und Ligurien gehörten) und passte inhaltlich gut zu den legitimistischen Bestrebungen des Hauses Savoia.
Bellini überarbeitete das Werk gründlich und ließ von seiner ursprünglichen Komposition grosso modo nur eine Arie der Bianca und ein großes Duett Bianca/Fernando im 2. Akt bestehen. Unterstützt wurde er dabei von Felice Romani, der die dramatische Struktur des ursprünglich von Domenico Gilardoni verfassten Textes verbesserte. Allerdings waren die neu komponierten Nummern in verschiedenen Bibliotheken verschwunden und wurden im Lauf der Erarbeitung der kritischen Ausgabe von der Musikologin Graziella Seminara aufgefunden, sodass diese Produktion die erste in moderner Zeit ist.
Die Handlung erzählt von Fernando (Tenor), der als Kind von dem Tyrannen Filippo (Bass), der den Thron usurpiert hatte, in die Verbannung geschickt worden war. Nun ist er in seine Heimat Agrigent zurückgekehrt, um den Usurpator zu stürzen. Zu seinem Entsetzen muss er feststellen, dass seine verwitwete Schwester Bianca (Sopran) Filippo zu heiraten gedenkt. Dazu erfährt er, dass sein Vater Carlo, der rechtmäßige Regent, in einen verborgenen Kerker geworfen wurde. Der zweite Teil ist der Auseinandersetzung zwischen den Geschwistern gewidmet, in der Fernando Bianca die Augen über Filippo öffnet und sich ob ihrer Verzweiflung schließlich dazu durchringt, ihr zu glauben, dass sie nichts vom schändlichen Tun des Tyrannen wusste. Gemeinsam dringen sie zum Vater vor, ein letzter Versuch Filippos, Bianca zu erpressen, indem er droht, ihren kleinen Sohn zu töten, schlägt fehl, und das Werk endet im Jubel über die Befreiung von Carlo.
Für eine solche doch recht einfach gestrickte Geschichte wäre ein realistisches Ambiente nicht am Platz gewesen, und der Regisseur Hugo De Ana als sein eigener Bühnen- und Kostümbildner hatte teilweise abstrakte Bilder entworfen, die aber immer wieder Poesie verströmten und etwa in der Anordnung weinender weibliche Gestalten durchaus auch an Canova erinnerten. Sehr stark war auch die Szene, in der die verzweifelte Bianca vor einem umgestürzten Klavier zusammenbrach. Die „Guten“ waren in Weiß, die „Bösen“ in Schwarz gekleidet. Der Chor stand aus Gründen der Vorsicht gegen Ansteckung auf der Höhe der Beleuchterbrücke.
Am Pult des Orchesters des Hauses erwies sich Donato Renzetti als ausgezeichneter Sachwalter von Bellinis Jugendwerk, denn es gelang ihm, die (vor allem im ersten Teil) schwächeren Momente schwungvoll zu überbrücken und den zweiten Teil (inklusive Anklängen an „Norma“) sehr dramatisch zu gestalten.
Ausgezeichnet auch der von Francesco Aliberti einstudierte Chor des Hauses, der so kraftvoll wie nuanciert sang, obwohl er Masken trug. Die Georgierin Salome Jicia war mit schön timbriertem Sopran eine intensive Bianca, die sich in den dramatischen Ausbrüchen besonders wohl fühlte, aber auch das melancholische Duett mit ihrer Dienerin Aloisa (Carlotta Vichi mit angenehmem, gut geführtem Mezzo) mit schönem Legato gestaltete. Giorgio Messeri ist ein Sänger, der zunächst für seine extreme Wortdeutlichkeit zu loben ist, aber auch einen schön timbrierten Tenor mit sicherer Höhe samt squillo besitzt. Man fragt sich allerdings, warum die philologische Gewissenhaftigkeit so weit gehen muss, dass der Sänger gezwungen ist, über „normale“ sovracuti hinausgehende Töne zu produzieren, die nicht anders als hässlich klingen können. Giovan Battista Rubini und Giovanni David, die den Fernando als Erste sangen, waren Ausnahmekünstler mit einer Technik, über die auch die Besten der heutigen Interpreten nicht mehr verfügen. Als Filippo klang Nicola Ulivieri stimmlich etwas trocken, doch wurde er der Rolle des Bösewichts szenisch gut gerecht. Der sehr spät auftretende Carlo hat eine expressive Klagearie, die von Alessio Cacciamani mit auffallend schönem Bass gesungen wurde. In den kleineren bis Minirollen ergänzten Giovanni Battista Parodi, Elena Belfiore und Antonio Mannarino verlässlich.
Eine interessante Entdeckung, die vom gut besuchten Haus sehr herzlich bedankt wurde.
Eva Pleus 28.11.21
Bilder: Teatro Carlo Felice
Miseria e nobiltà
Teatro Carlo Felice
Aufführung am 27.2.18 (Premiere/Uraufführung am 23.2.)
Die Uraufführung von „La Ciociara“ des Mailänder Komponisten Marco Tutino hatte mich dermaßen beeindruckt (s. „Merker“ Nr. 333/Jänner 2018), dass ich mir auch sein neuestes Werk „Miseria e nobiltà“ anschauen wollte.
Das Libretto basiert auf der gleichnamigen Komödie in neapolitanischem Dialekt (1887) von Eduardo Scarpetta, dem Vater des großen Eduardo De Filippo, die 1954 auch mit Totò und Sophia Loren äußerst erfolgreich verfilmt wurde und damit in Italien noch heute populär ist. Den Titel kann man mit „Armut und Adel“ übersetzen: Es geht um den Zusammenprall der Welten des Hungerleiders Felice Sciosciamocca und des Adeligen Ottavio, Principe di Casador. Gemma, Tochter des reichen Don Gaetano und Ballerina am Teatro San Carlo, und Eugenio, der Sohn des Fürsten, möchten heiraten. Gaetano will den Vater des Bräutigams kennenlernen, ehe er seine Einwilligung zur Hochzeit gibt, wovon Ottavio aber nichts wissen will. Schließlich überreden die Verliebten Felice, den Bräutigamsvater zu mimen, was durch das Eintreffen des echten Fürsten zunichte gemacht wird. Schließlich kommt es doch noch zum Happyend, und Felice erkennt, dass seine Frau Bettina, die Köchin bei Gaetano ist, ihn nicht vorsätzlich betrogen hat (weshalb er sie seinerzeit aus dem Haus gejagt hatte). Zur Freude von Peppiniello, des kleinen Sohnes der beiden, finden die Eltern wieder zusammen.
Das Libretto des Auftragswerks seitens des Genueser Hauses wurde, wie bei der vorangegangenen Oper, wieder in Gemeinschaftsarbeit des Komponisten mit Luca Rossi und Fabio Ceresa erstellt. Rossi ist für den dramaturgischen Aufbau der Bearbeitung des ursprünglichen Textes verantwortlich, Ceresa für den (hier ohne Dialekt auskommenden) Text. Die Autoren verlegten die Handlung auf ein genaues Datum, nämlich den Juni 1946, als sich das italienische Volk in einem Referendum für die Abschaffung der Monarchie entschied. So fliegt der Schwindel Felices auch auf, weil sich der vorgebliche Adelige nicht eines Jubelschreis enthalten kann, als aus dem Radio die Nachricht kommt, dass die Republik gesiegt hat.
Im Programmheft erklärt Tutino, dass er eine leichtfüßige Komödie schreiben wollte, was allerdings nicht ganz gelungen ist, denn vor allem die Szenen des 1. Akts sind eigentlich fast immer dramatisch. Der erste Teil des 2. Akts mit seiner geheuchelten Vornehmheit ist dann unterhaltsam, wird aber schließlich, trotz des Happyends, doch ernsthaft. Wenn man sich aber nicht auf diese Aussage des Komponisten kapriziert, kann man seine eingängige Musik mit ihren ironischen Farbtupfen (etwa durch das Zitieren von 'O sole mio') durchaus genießen.
Ausgesprochen gelungen ist die szenische Umsetzung. Im überaus treffenden Bühnenbild von Tiziano Santi (das im 1. Akt die beengten Wohnverhältnisse im von Bomben getroffenen Neapel der unmittelbaren Nachkriegszeit darstellt, im 2. dann das versucht „bürgerliche“ Wohnzimmer des neureichen Gaetano) und in den für die Zeit und die Zustände charakteristischen Kostümen von Gianluca Falaschi hat Rosetta Cucchi eine atmosphärisch dichte Regie erarbeitet, die auch dem ausgezeichnet singenden Chor des Hauses unter Franco Sebastiani die weidlich genutzte Möglichkeit gab, szenisch zu brillieren. (Ich denke da vor allem an die Szene, wenn sich die hungrigen Menschen endlich auf kostenlos zur Verfügung gestellte Schüsseln voller dampfender Spaghetti stürzen dürfen).
Auch mit der musikalischen Wiedergabe durfte man zufrieden sein. Der noch nicht 40-jährige Francesco Cilluffo leitete das Orchester des Hauses mit großer Sicherheit und ließ die melodiöse Musik in ihrer raffinierten Orchestrierung richtiggehend aufblühen. Alessandro Luongo gab mit kraftvollem Bariton den Felice in glücklicher Symbiose von rauhe Schale-weicher Kern. Als Gemma sah Martina Belli verführerisch aus und ließ einen angenehm samtig klingenden Mezzo hören. Ihren Eugenio sang Fabrizio Paesano, dessen Tenor man sich wohllautender gewünscht hätte. Dem fiesen Principe Ottavio verlieh Andrea Concetti mit seinem Bass zwielichtigen Charme. Die Bettina war bei Valentina Mastrangelo trotz einiger scharfer Höhen ihres Soprans gut aufgehoben. Unbefangen im Spiel und mit überzeugend schönem Mezzo sang Francesca Sartorato die nicht einfache Rolle des kleinen Peppiniello. Don Gaetano erhielt durch die Persönlichkeit und den Bassbariton von Alfonso Antoniozzi starkes Profil. Als Bauer und Kellner ergänzte der Charaktertenor Nicola Pamio.
Da mein Zeitplan es mir nur ermöglichte, an einer nachmittäglichen Schülervorstellung teilzunehmen, hegte ich Befürchtungen, ob sich die 11- bis 12-Jährigen auch entsprechend benehmen würden. Offenbar hat ihnen das Werk gefallen, denn trotz viel Geschreis in der Pause waren sie während der Vorstellung mucksmäuschenstill und feierten am Schluss das Ensemble lautstark. Eva Pleus 1.3.18
Bilder folgen!