MADRID Teatro Real
(c) Gabi Eder / pixelio.de
GÖTTERDÄMMERUNG
23. Februar 2022
Militarismus versus Umweltverschmutzung
Nach einer knapp achtstündigen Flugreise von Dubai nach Madrid in eine noch am selben Abend in der spanischen Metropole stattfindende „Götterdämmerung“ von Richard Wagner zu gehen, ist wohl auch nicht jedermanns Sache. Aber damit ging unter der musikalischen Leitung von Pablo Heras-Casado im Teatro Real vor dem spanischen Königspalast der über vier Spielzeiten aufgeführte „Ring des Nibelungen“ in der altbekannten Inszenierung von Robert Carsen und den Bühnenbildern und Kostümen von Patrick Kinmonth zu Ende. Der extra effort lohnte sich aber, denn es war eine gute Aufführung, insbesondere aufgrund der musikalischen und sängerischen Leistungen. Wie schon im „Siegfried“ vor einem Jahr vermochte Heras-Casado das Orquesta Titular del Teatro Real zu einer Höchstleistung anzuspornen, mit großer Dynamik im mit 104 Musikern relativ nah an die Originalbesetzung herankommenden Klangkörper. Dabei saßen - wegen Corona - die (sonst in der Regel gar nicht möglichen) sechs Harfen in den linken Proszeniumslogen und die Trompeten, Posaunen und Basstuba in den rechten Proszeniumslogen. Das brachte allerdings Nachteile in der Klangbalance mit sich, wenn man auf der rechten Seite zu nah am schweren Blech saß. Wenn auch das Zwischenspiel zur Waltraute-Szene im 1. Aufzug recht langatmig ausfiel, so gelang Heras-Casado mit dem Orchester ein wunderbarer und emotional einnehmender Trauermarsch sowie ein großartiges Finale.
Andreas Schager war als Siegfried wieder der Liebling des Abends und bekam den meisten Applaus. Er ist in der Tat ein Sängerdarsteller mit außerordentlich großem Charisma und entsprechender schauspielerischer Intensität und Intelligenz. Auch stimmlich meisterte er die Rolle mit seinem stabilen Heldentenor sehr gut, natürlich zumeist die kraftvolle Linie verfolgend - wie man ihn halt kennt. Besonders schön seine lang gehaltenen Bögen. Ricarda Merbeth sang auch am dritten Abend des „Ring“ von Madrid wieder die Brünnhilde. Wenngleich sie die Herausforderungen der Rolle durchgehend erfüllte, stand die stimmliche Produktion zu sehr im Vordergrund, sodass die darstellerische Komponente - gerade mit diesem agilen Partner - nicht ganz zum erwünschten Recht kam. Da fehlte es signifikant an glaubhafter Empathie und Emotion. Auch verfällt Merbeth in der unteren Mittelage und Tiefe allzu oft in eine Art Sprechgesang. Ich halte sie nach wie vor nicht für eine klassische Hochdramatische.
Stephen Milling war ein finsterer und absolut souveräner, sichtbar alle Fäden ziehender Hagen mit gewaltigem Bass, den er nicht nur bei den Mannenrufen eindrucksvoll einsetzte. Joachim Goltz war als Gunther eingesprungen und sang ihn mit einem gut geführten und der Rolle bestens entsprechenden Bariton. Amanda Majeski war vokal eine etwas zu leichte Gutrune, spielte die Rolle dafür aber sehr ansprechend und engagiert. Schnell war sie nach anfänglichen Bedenken gegen den Trank, mit dem Siegfried Brünnhilde vergessen sollte, von Hagens Rat überzeugt. Martin Winkler interpretierte wieder seinen altbewährten Alberich. Seine nächtliche Szene mit Hagen geriet zu einem der stärksten Momente des Abends. Michaela Schuster überzeugte ebenso routiniert als Waltraute. Sie ist immer eine beeindruckende Persönlichkeit auf der Bühne. Die Nornen und Rheintöchter waren auf Augenhöhe mit diesem erstklassigen Protagonisten-Ensemble besetzt. Insbesondere konnte Claudia Huckle mit ihrem klangvollen Mezzo als 1. Norn und Flosshilde überzeugen. Kai Rüütel sang die Zweite Norn und Amanda Majeski die Dritte. Elisabeth Bailey war als Woglinde und Maria Miró als Wellgunde zu erleben. Der von Andrés Máspero einstudierte Coro del Teatro Real sang stimmstark und bewegte sich auch dramaturgisch sehr geschickt, womit er dazu beitrug, dass der 2. Aufzug der beste der Aufführung wurde.
Die von Oliver Kloeter für das Teatro Real überarbeitete Produktion wirkte, zumal mit dem ebenfalls neueinstudierten Lichtdesign von Guido Petzold, nach ihren immerhin um die 20 Jahre erstaunlich frisch und lebendig. Ob alles unbedingt in militärischer Ästhetik und immer wiederkehrenden Müllansammlungen und Nornen als Putzfrauen stattfinden muss, steht auf einem anderen Blatt. Robert Carsen sagte in einem Interview mit dem Teatro Real zwar, dass man bei jeder Wiederaufnahme, wie in den letzten drei Jahren in Madrid, an der Inszenierung arbeite. Da ich sie aber in Köln bei ihrer Entstehung von 2000 bis 2003 und 2011 in Schanghai erlebt habe, konnte ich keine wesentlichen Änderungen feststellen.
Der Prolog beginnt damit, dass die Nornen dasselbe Schicksal wie ihre Mutter Erda im „Siegfried“ erleiden, nämlich gelangweilt als Putzfrauen mit den berufsüblichen, aber etwas aus der Mode gekommenen Wasserkübeln den Bühnenboden, um das wirr aufeinander gestapelte und schon verpackte Mobiliar von Walhall zu schrubben. Das ist einfach unerträglich, und wenn man etwas hätte ändern wollen, dann doch wenigstens das bitte! Was spricht denn dagegen, dass die allein aufgrund ihrer Verbindung zur Urmutter Erda, die den ganzen „Ring“ bekanntlich überleben wird, wenn auch schlafend, die „Götterdämmerung“ eröffnenden Nornen als souveräne Figuren vor dem visualisierten Verfall Walhalls ihre so bedeutsamen Zukunftsbeschwörungen abgeben?!
Auf die Nerven geht auch der militärische Kommiss in der Gibichungen-Szene des 1. Aufzugs. Hier werden durch militärisch gedrillte Assistenten dem Chef der Militärbürokratie Gunther an dessen riesigem Schreibtisch in steifestmöglicher Form Akten vorgelegt und nach Unterschrift schnurstracks wieder ins Off befördert. Kurz davor waren Brünnhilde und Siegfried im Vorspiel noch auf einer öden, mit Stroh bedeckten Spielfläche zu erleben, auf der man altes Gerümpel, die Steuerstufe einer Bombe, Militäruniformen, Gewehre und Stahlhelme verblichener Soldaten bewundern konnte. Ebenfalls nicht unbedingt das reizvollste Ambiente, in dem die Treueschwüre der beiden postuliert werden.
Was aber viel wesentlicher ist als die optische Problematik: Die bis zum letzten Exzess mit der - in dem Moment wirklich überraschenden - Militäruniform Siegfrieds mit Schiebermütze als Bräutigam im 2. Aufzug betriebene Militarisierung der „Götterdämmerung“ lenkt signifikant vom eigentlichen Anliegen des Regieteams um Carsen und seines eigentlichen Regiekonzepts ab, der Zerstörung der Umwelt durch den Menschen. Das ist das eigentliche Thema dieses „Ring“, das im „Rheingold“ und damit in der Exposition noch klar im Vordergrund stand. Im Finale dieser Interpretation der Tetralogie hat man den Eindruck, dass es dem Regisseur eher um eine kriegerische Auseinandersetzung eines Clans um die Macht geht, der die Herrschaft über den Rheinabschnitt von Arnheim im Norden und Worms im Süden (dokumentiert durch zwei große Landkarten an der Wand seines Befehlsstandes) innehat. Dagegen verliert sich dann auch etwas das Thema der ewigen Liebe zwischen Siegfried und Brünnhilde, die nach dem Schlussgesang entrückt die Bühne nach hinten verlässt, über die nur leicht zündelnden Flammen des untergehenden, aber nie sichtbaren Walhalls hinweg. Vom Rhein war eh nichts mehr zu sehen…
Eine Sorge jedoch scheint das Teatro Real nicht mehr zu haben, zumindest bei Wagner. Das Haus war fast vollbesetzt, insbesondere das Parkett. Und dabei war es bereits die achte von neun Aufführungen der Serie. In Spanien ist man offenbar anders als in Wien wieder ganz in die Oper zurückgekehrt. Noch nie sah ich lange Schlangen vor dem Einlass des Real…
Aus aktuellem Anlass noch ein Detail am Schluss. In der Dernière am 27. Februar bedeckte man die Leiche Siegfrieds nicht mit der roten imaginären Gibichungen-Flagge, sondern mit dem der Ukraine, als Ausdruck der Solidarität für das Land in diesen Tagen…
Fotos: Javier del Real
Klaus Billand/1.3.2022
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„Flamenco Real“
am 4. März 2021
Disziplin und Technik mit künstlerischer Phantasie und Emotion - das ist Flamenco!
Während der normalen Saison gibt das Teatro Real manchmal Sondervostellungen mit dem Titel „Flamenco Real“ in einem seiner Festsäle. Dazu wird dann auch ein edler Imbiss sowie Wein („È vin di Spagna.“ - man denkt sofort an Scarpia…) gereicht, eher eine Angelegenheit guter Unterhaltung. Aber eben in der spanischen Metropole auch von ganz besonderer Qualität. Denn die Leute, die hier mit Flamenco-Darbietungen auftreten, gehören zu den besten des Landes und der ganzen Welt. Das schien auch dem Nicht-Kenner an diesem Abend so zu sein.
Eine Gruppe von Flamenco-Künstlern spielte den sogenannten „Flamenco de Raíz“, eine Show, die aus eigenen Choreografien der Maestros Manolete und Juan Andrés Maya zusammengestellt ist. Dabei vereinen sich zwei Generationen des Tanzes und Gesangs, wobei Granada und die Basis des Flamenco, der mythische Stadtteil Sacromonte, der argumentative rote Faden ist. Es handelt sich um eine emotionale Show mit vielen Facetten, in der sich die Künstler an die Meister erinnern, die ihre Karriere im Laufe der Zeit geprägt haben.
Am eindrucksvollsten erschienen mir Iván Vargas als Tänzer, Kiki Morente als Sänger und Luis Mariano als Gitarrist. Vargas wurde 1986 im Stadtteil Sacromonte in Granada geboren, im sogenannten „Rocío“, der Heimstatt einer der großen Flamenco-Dynastien, der Maya. Er absolvierte sein Flamenco-Studium im Centre de Artes Escénicas „Mario Maya“. Schon mit acht Jahren begann an der Seite großer Meister Flamenco zu tanzen und hat sich über die Jahre Wissen, Technik und Disziplin angeeignet, die ihm heute einen hochprofessionellen und auch ganz persönlichen Tanz-Stil ermöglichen. Er trat bei der Biennale von Sevilla 1992 auf und arbeitete mit der berühmten katalanischen Künstlertruppe La Fura dels Baus beim Stück „Muerte en Granada“ zusammen. Vargas hat auch eine eigene Flamenco-Kompagnie.
Er tanzte zum Gesang des eingeladenen Sängers Kiki Morente, ebenfalls aus Granada, wo auch er, 1989 geboren, aus einer mit dem Flamenco befassten Familie stammt. Der Vater war ebenfalls Sänger und die Mutter Tänzerin. Morente tritt weltweit auf Flamenco-Festivals auf und entwickelt seit 2010 eine Solokarriere. Wie die beiden miteinander an diesem Abend harmonierten, das war einzigartig sind die beste Beschreibung dessen, was Vargas an Tanzschritten und wahren Schritt-Kaskaden in bisweilen rasendem Tempo auf den Punkt genau mit knallhart den Ton angebenden Absätzen auf die Bühne zaubert. Und das in perfekter harmonischer Abstimmung mit dem herrlichen Gesang Morentes. Dieser Flamenco wirkte auf mich wie ein intensiver Ausdruckstanz, mit dem etwas gesagt werden will, wie in der Oper der Sänger mit dem Orchester etwas ausdrückt. Hier herrschen Rhythmus, Dynamik, Mimik und Körpergefühl vor, und der Gesang ist von bestechender Intensität durch seine dezidierte Betonung einzelner Phrasen und die Zurücknahme anderer.
Aber es gehörte noch ein Akteur zum künstlerischen Gesamteindruck dieser beiden. Und das war der ganz bescheiden und unscheinbar, ja fast introvertiert auf einem Stuhl am Bühnenhintergrund sitzende Gitarrist Luis Mariano. Er stammt, wie sollte es anders sein, ebenfalls aus Granada und ist wie die anderen im dichten Dunst der Flamenco-Besessenheit der jungen Gitarristen Granadas groß geworden. Mariano gewann auch zwei nationale Preise im Gitarrenspielen, den Ersten Preis „Uva de Oro“ für den besten Gitarristen des Jahres 2006 und eine spezielle Erwähnung in einem anderen Wettbewerb. Er feuerte mit seinen Rhythmen den Tänzer Vargas an und begleitete mit bisweilen sublimen Tönen den Gesang Kiki Morentes, zu dem sich später noch Joni Cortés als weiterer Sänger gesellte. Miguel Rodriguez Hernández sorgte für die entsprechende Perkussion. Beiden stammen ebenfalls aus Granada, Joni aus einer Flamenco-Familie, in der er schon mit 15 seine ersten Auftritte hatte.
Natürlich gaben alle auch Solo-Auftritte, wobei Luis Mariano mit seiner bis ins Extreme und sich fast überschlagender Rhythmik gespielten Gitarre das ohnehin emotional von Beginn an mitgehende und überwiegend junge Publikum fast von den Sitzen riss. Aber auch die Tanz-Soli von Iván Vargas hatten es in sich. Sie waren im Prinzip der Kern der Show, deren Chef er auch war, und machten die Abwesenheit der aus den Touristenshows gewohnten Damen mit ihren bunten Kostümen fast vergessen. Das Publikum forderte und bekam mehrere Zugaben. Ein Abend der besonderen Art mit einem einzigen Makel: In Andalusien mag es noch hitziger und authentischer zugehen. Auf nach Granada!
Fotos: Juanlu Vela
Klaus Billand /6.4.2021
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SIEGFRIED
5. März 2021
"Siegfried" in Madrid: Ständig ausverkauft!
Vom 13. Februar bis zum 14. März wurde der „Siegfried“ in der Kölner Alt-Inszenierung von Robert Carsen zu Beginn der 2000er Jahre am Teatro Real gegeben, in Weiterführung der gesamten Tetralogie seit der Saison 2018/19. Und auch die 6. Aufführung war noch bis auf den letzten Platz ausverkauft! Nun ist Madrid eine große Metropole, aber die Wagner-Begeisterung scheint doch auch hier eine ganz besondere zu sein, was die Direktion vielleicht einmal darüber nachdenken lassen könnte, nach dem „Lohengrin“ von Lukas Hemleb aus dem Jahre 2014, der noch auf die künstlerische Direktion von Gérard Mortier zurückging, wieder mal eine eigene Produktion in Angriff zu nehmen. Wie wäre es mit „Tristan und Isolde“ oder „Parsifal“? Das würde nach dem eingekauften „Ring“ sicher gut passen.
Da ich die spanische Premiere dieses „Siegfried“ ausführlich kommentiert habe (siehe unten), möchte ich mich hier nur einigen Aspekten der Inszenierung und natürlich den Sängern widmen. Wie gesagt, folgt diese „Ring“-Inszenierung zwei wesentlichen Themen bzw. Handlungs-Strängen. Einmal geht es um die Verschmutzung, ja die völlig skrupellose Vergewaltigung der Natur durch den Menschen, was man im „Siegfried“ besonders an den wahllos auf Augenhöhe abgeholzten Bäumen des eigentlichen „Waldes“ im 2. Aufzug sieht - aber auch an der maschinellen Darstellung des Riesen Fafner als Baggerklaue. Also ein Ausdruck der Crash-and-Trash-Tradition vieler „Ring“-Konzepte der letzten drei Jahrzehnte. Zum zweiten erleben wir den unerbittlich und gnadenlos geführten Kampf zwischen Wotan und Alberich - infolge des Mega-Versagens Wotans - im Streben nach Weltherrschaft und Machterhalt wider besseren Wissens durch den Versuch der Wiedergewinnung des Rings.
Was einem zunächst auffällt, ist der ausgediente Wohnwagen, in dem Mime mit Siegfried vegetiert, umgeben von allerlei Zivilisations-Gerümpel, wie alten Maschinenteilen, natürlich den leeren Munitionskisten aus der „Walküre“, aber auch einer alten und offenbar schon ausgebrannten Raketenstufe, deren Flug und sicher begrenztes Zerstörungspotential aber nie zu sehen waren… Der Wohnwagen, ja, man könnte ihn als den Vater aller Mime-Wohnwagen bezeichnen, die danach zu sehen waren und das eingeschränkte Phantasiepotential der jeweiligen Regisseure dokumentierten. Mir zumindest bekannt und erlebt sind der fast gleich, wie ausgeliehen wirkende Wohnwagen im sog. US-amerikanischen „Ring“ von Francesca Zambello in San Francisco 2011, die offenbar auch gleich den billigen Metall-Gartenstuhl davor mitkopiert hat, sowie der ominöse Blechwohnwagen der Bayreuther Produktion von Frank Castorf 2013, der fast ständig auf der Drehbühne erschien und schließlich auch noch zur Behausung von Siegfried und Brünnhilde wurde, eine zumindest praktische und wirtschaftliche Lösung. Carsen hat mit dieser Mime-Behausung also „Ring“-Geschichte geschrieben! Vielleicht erklärt das auch zum Teil ihre Langlebigkeit.
Ein anderer Aspekt, der mir besonders in Madrid musikalisch negativ auffiel, ist das auch in den meisten anderen „Ring“-Produktionen übliche nur krachmachende Herumhämmern auf dem Schwert oder dem Amboss, der in der Schreinerei meist aus Holz, Fiberglas oder Plastik gefertigt wurde. Das Ergebnis ist ein den musikalischen Genuss aus Musik und Gesang empfindlich störendes Schlaggeräusch. Ich habe nie begriffen, wie die „Ring“-Dirigenten so etwas zulassen. Warum gönnt man sich nicht einmal den kleinen Luxus, zumindest die Aufschlagfläche für den Hammer aus einem wohlklingenden Metall zu fertigen, das man sogar auch noch stimmen kann?! Dann würden die Schmiedeszenen eine ganz andere musikalische Note bekommen. Man höre sich die Aufnahme des legendären Solti-„Ring“ aus den Wiener Sofien-Sälen von 1964 an. Dann wird sofort klar, was ich meine.
Ein starkes Bild ist hingegen die 1. Szene des 3. Aufzugs, als der Wanderer zum Vorspiel sinnierend vor einem riesigen Ölgemälde aus der „Ring“-Historie sitzt und offenbar und nachvollziehbar mit der Vergangenheit hadert. Hier erhält die Inszenierung Carsens die Fallhöhe, die sie durch allzu viel Klein-Klein so oft vermissen lässt. Dazu gehört auch Wotans Spazier-„Stöckchen“, dass er allerdings nach dessen Zerbrechen in den Wohnzimmer-Kamin zum vorzeitigen Verbrennen legt und dann von dannen zieht. Ganz nachvollziehbar ist auch nicht die Zeichnung Alberichs als heruntergekommenem Alkoholiker mit drei (weitgehend leeren) Flaschen Whisky vor Neidhöhle, was der Figur jede Schärfe und Größe nimmt. Möglicherweise hat Carsen nicht daran gedacht, das gerade der Schwarzalbe Alberich im Gegensatz zum Lichtalben Wotan am Ende der „Götterdämmerung“ einer der wenigen Überlebenden sein wird…
Und, last but not least, ist die Erweckungsszene Brünnhildes bei allem Respekt für künstlerische Phantasie nicht wirklich nachvollziehbar, denn Siegfried sieht von Beginn an Brünnhilde mit offenem Gesicht vor sich liegen. Dass sie kein Mann ist, begreift er bekanntlich „nach Plan“ erst, als er den letzten Schleier gelichtet hat, der sogar noch aus Metall bestehen sollte. Was will Carsen damit sagen?! Siegfried noch naiver darstellen als er ohnehin schon ist?! Warum hört er nicht auch einmal auf die Musik Richard Wagners?!
Nun ja, lassen wir es dabei. Diese Produktion ist gewissermaßen schon zur Geschichte oder gar zum Mythos ihrer selbst geworden. Und nach so vielen Jahren trotz aller - und nur allzu oft im Stile einer Selbstzverzwergung eingebrachten - Unzulänglichkeiten ein Erfolgs-Modell!
Die Sänger habe ich in der Rezension der spanischen Premiere des Carsen-„Siegfried“ schon ausführlicher besprochen. Auch an diesem Abend begeisterte Andreas Schager in der Titelrolle das spanische Publikum wieder durch seine engagierte und charismatische Darstellung des Siegfried. Man nimmt ihm wirklich jede Geste ab, so natürlich entwickelt sie sich - manchmal möchte man meinen, ganz spontan - aus der jeweiligen Situation, und aus dem Verhältnis zu seinem jeweiligen Partner. Allein, wie er die Rolle singt, entspricht auch in etwa dieser Art der Schauspielerei - immer am Anschlag, immer on the go. Die Stimme kommt viel zu oft mit zu viel Kraftbetonung, gerät dann in den heldischen Spitzentönen auch an ihre physischen Grenzen. Es fehlt Schager eine solide tenorale Mittellage, eine stabile Gesangs- und damit auch eine gute Legato-Kultur, wie sie ein René Kolle hatte oder ein Stephen Gould immer noch hat - der nur leider den Siegfried nicht mehr singen will, es aber ohne weiteres könnte. Ich habe den Eindruck, dass die Stimme nicht wirklich in sich ruht und dies mit dem intensiven darstellerischen Engagement bis zu einem gewissen Grad übertüncht wird. Nur, im Moment befinden wir uns in einem regelrechten „Siegfried-Vakuum“. Von wirklich internationalem Standard fällt mir nur noch Stefan Vinke ein, nachdem einige andere Kollegen die Rolle in jüngerer Vergangenheit zurückgelegt haben. Vinke soll die Rolle auch in Brisbane im Herbst singen, in einer interessanten chinesischen Neuinszenierung auf australischem Boden.
Ricarda Merbeth ist bei der „Siegfried“-Brünnhilde zwar weitaus besser aufgehoben als bei der „Walküre“ oder der Isolde (Stichwort Brüssel 2019). Aber sie singt mit diesen Rollen, auch mit der Elektra, über Fach. Ständig geht das Bestreben um die erforderliche Tonproduktion zu Lasten der Diktion, ja sogar der Darstellung. Ganz anders dagegen die Mezzosopranistin Okka von der Damerau als Erda. Herrlich ihre Gesangskultur mit feinen Facetten und stets vorhandenem stimmlichem Ausdruck. Auch Andres Conrad hat mit der im Prinzip immer etwas undankbaren Rolle des Mime keine Probleme und meistert ihre Tücken mit großer tenoraler Gestaltungskraft, bisweilen sogar Andreas Schager Konkurrenz machend.
Thomasz Konieczny kommt scheinbar nie über die immer wieder hörbaren Vokalverfälschungen hinweg, ebenso wie über eine zu monotone Tongebung. Das fällt einem umso mehr auf, wenn man seine Passagen einmal mit den entsprechenden von James Morris, Theo Adam oder gar George London vergleicht. Darstellerisch ist er jedoch ein ansprechender Wanderer, allerdings etwas zu jung, was man ändern könnte in der Maske. Meines Erachtens liegt ihm der Alberich viel mehr. Martin Winkler hat zwar einen kraftvollen Bariton, aber er neigt zu ständigem Forcieren, womit es dann keine so wünschenswerten Zwischentöne gibt. Jongmin Park ist auch an diesem Abend wieder ein ganz ausgezeichneter Fafner mit einem profunden und warmen Bass. Leonor Bonilla singt einen etwas zu kräftigen Waldvogel, vor allem angesichts der bedauerlichen Tatsache, das Carsen ihn als bereits verstorben auf Siegfrieds Rucksack platziert. Aber eine kräftige Waldvogel-Stimme passt wohl auch am besten zu dieser Inszenierung. Die Rucksäcke in diesem „Siegfried“ mögen im Übrigen ähnlich wie der Wohnwagen für viele Folge-Inszenierungen Pate gestanden haben.
Auch in dieser 5. Aufführung des „Siegfried“ in Madrid konnte das Orquesta Titular del Teatro Real unter der engagierten Leitung von Pablo Heras-Casado wieder voll begeistern. Wieder strahlten die Harfen, deren sechs - wie von Wagner vorgeschrieben - in den fünf ersten Parterrelogen saßen, wieder einen ganz besonderen musikalischen Charme aus. Mit ihnen wurde die große Verwandlungsmusik zum Brünnhilde-Felsen im 3. Aufzug ein ganz besonderes, so selten zu hörenden Erlebnis, auch optisch. Auch die Blechbläser, die bis auf die Hörner und Wagnertuben in den rechten Parterrerlogen platziert waren, setzten markantere musikalische Akzente als es sonst üblich ist, wenn das gesamte Orchester im Graben sitzt. Dort hatten die Streicher und Holzbläser sowie das Schlagwerk natürlich sehr viel Platz. Heras-Casado fühlte sich mit seinen Musikern sicht- und hörbar in seinem Element, womit ich wieder zum Ausgangspunkt meiner Betrachtungen komme. Wenn die letzten Töne der „Götterdämmerung“ Anfang 2022 verklungen sein werden, spätestens dann sollte man hier an eine Eigenproduktion von „Tristan“ oder „Parsifal“ denken. Dann wird das so traditionsreiche Teatro Real erst recht zum spanischen Bayreuth!
Fotos 1, 2, 4, 5, 6: vom Autor; Foto 3: Javier del Real / Teatro Real
Klaus Billand /1.4.2021
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SIEGFRIED
Spanische Premiere am 13. Februar 2021
Spanischer Wein aus bekannten Schläuchen
Vor einiger Zeit rief ich die mir seit vielen Jahren bekannte Pressechefin des Teatro Real in Madrid an, um in Erfahrung zu bringen, wie es mit ihrem „Ring des Nibelungen“ weitergehen würde, dessen „Walküre“ noch kurz vor Beginn der Covid-Pandemie gelaufen war. Ich war einigermaßen verblüfft, als sie mir Folgendes sagte: Man hatte eine hochrangige Spezialfirma die Hygiene-Möglichkeiten und die Einhaltung entsprechender Auflagen im Teatro Real analysieren lassen. Diese kam zum Ergebnis, dass man bis zu 75 Prozent Publikum zulassen kann. Man einigte sich letztlich auf 65 Prozent, immer noch eine hohe Zahl selbst angesichts der bulgarischen 30 Prozent-Lösung (hier mein Interview mit Kultusminister Boil Banov am 30. Oktober 2020). Aber was für ein Unterschied zu den sich für große Kulturnationen haltenden Deutschland und Österreich in dieser Zeit! Und das, ohne die kulturellen Beiträge Spaniens in irgendeiner Form in den Schatten stellen zu wollen - ein Land, das dem europäischen Abendland bisweilen unterschätzte Beiträge zu seinem kulturellen Werte-Spektrum gegeben hat.
Nun, mittlerweile hat sich ja herumgesprochen, dass alle großen Häuser auf dem spanischen Festland und sogar auf den Kanaren einem nahezu normalen Spielplan nachgehen. Dass das bis Ende der Saison auch so bleiben kann, erreichen sie durch ein fein ausgearbeitetes Hygienekonzept mit Maskenpflicht während der gesamten Zeit im Haus. Ein meines Erachtens vertretbarer „Preis“ für das, was wir doch alle endlich wieder haben wollen: Live Opernerlebnisse mit all dem, was sie so unverwechselbar mit Konserve oder stream macht. Ja, auch Applaus darf ausgiebig gespendet werden - ganz so wie immer!
So gibt es also noch leibhaftige Oper, ja sogar Wagnersches Musikdrama der ersten Sorte in der spanischen Hauptstadt! Das Teatro Real setzte nun mit dem „Siegfried“ seinen „Ring“ in der altbekannten Inszenierung von Robert Carsen fort, der sogar präsent war. Andreas Schager feierte einen ganz großen Publikumserfolg mit dem weitaus meisten Applaus. Den hatte er auch verdient mit einer beeindruckend charismatischen Darstellung des jungen Wagner-Helden, auch wenn hier und da etwas weniger Lautstärke gutgetan hätte und einige Spitzentöne auch mal leicht wegbrachen oder zu kurz gesungen wurden. Aber wer Schager als Sänger kennt, weiß, dass er immer alles gibt. Und das ist sehr viel. Dennoch würde ich besonders in seinem Fall wagen zu sagen, dass weniger mehr sein könnte und vielleicht eine längere aktive Zeit im soviel fordernden schweren Fach ermöglichen könnte.
Ricarda Merbeth konnte als Brünnhilde da nicht mithalten, zumal man bei ihr weiterhin fast kein Wort versteht und die Sängerin in erster Linie mit der Tonproduktion befasst ist. Damit bleibt einiges von der hier an sich wünschenswerten Empathie und der so viele psychologische Facetten enthaltenden Annäherung an Siegfried vorenthalten. Allerdings gefiel sie mir mit der ja höher liegenden „Siegfried“-Brünnhilde nun besser als mit ihrer Isolde in Brüssel 2019. Das finale hohe C gelang ihr sehr gut.
Unter den übrigen Sängern war Okka von der Damerau als Erda mit Abstand am besten, denn sie ließ einen perfekt geführten und ebenso wohlklingenden wie nuancenreichen Alt bei hoher Musikalität hören. Leider musste sie völlig rollenkonträr als Putzfrau mit einem Aufnehmer beim Dialog mit dem Wanderer den Bühnenboden wischen... Tomasz Konieczny war in der Rolle des Wanderers zwar besser als James Rutherford mit seinem Wotan in der „Walküre“ 2020. Er sang die Rolle aber zu monoton und weitgehend auf Lautstärke ausgerichtet, abgesehen von einer bisweilen weiterhin zu hörenden nasalen Tongebung. Von Legato auch kaum eine Spur… So konnte er als langsam vom Geschehen Abschied nehmender Gott, der bei Carsen allerdings nur ein abgehalfterter hochrangiger Armee-General ist - aber immerhin - nicht voll überzeugen.
Andreas Conrad war ein starker Mime mit intensivem Spiel, passender Mimik und einem variationsreichen Charaktertenor. Martin Winkler gab einen eindringlichen, seine Absichten intensiv vertretenden Alberich.
Aber auch er forcierte fast ständig und ließ es an vokaler Raffinesse missen. Jongmin Park sang den Fafner mit einem dunkel dräuenden Bass und überzeugendem Fatalismus. Leonor Bonilla zwitscherte - als einzige Spanierin - den Waldvogel, vielleicht etwas zu kräftig.
Einen besonders guten Eindruck hinterließ erneut das Orquesta Titular del Teatro Real unter der engagierten Leitung von Pablo Heras-Casado. Das Orchester bewies auch mit dem 2. Abend der Tetralogie, dass es die besonderen Dimensionen der Wagnerschen Musik eindrucksvoll auszuloten weiß. Eine - natürlich Corona-bedingte - interessante Besonderheit war, dass man, um im Rahmen eines intelligenten Hygienekonzepts mehr Platz für die mit Masken im Graben spielenden Streicher, Holzbläser und Trompeten zu schaffen, die Harfen links in die ersten vier Parterre-Logen setzte.
Damit konnte man die von Wagner für den „Siegfried“ gewünschten sechs Harfen aufbieten, was aus Platzgründen unten nur selten möglich ist. Und es sieht wunderbar und bewegend aus, wenn alle sechs in der Verwandlungsmusik zum Brünnhildenfelsen im 3. Aufzug zum Einsatz kommen und man gleich daneben sitzt. Sie wirken wie musikalische Segelboote, die im gleichen Bewegungsrhythmus dezent in einer leichten Meeresbrise vor sich hindümpeln und ihre harmonische Klangwelt entfalten... Das erlebt man nicht so oft! In den vier ersten Parterre-Logen gegenüber war das schwere Blech untergebracht. So ergab sich ein relativ ungewohnter, aber interessanter und intensiverer Raumklang im Saal.
Die Inszenierung von Robert Carsen und Patrick Kinmonth ist nach nun fast 20 Jahren schon fast eine Geschichte ihrer selbst. Es geht bekanntlich um die Verschmutzung, ja die Vergewaltigung der Natur durch den Menschen, was man besonders and den wahllos auf Augenhöhe abholzten Bäumen des eigentlichen „Waldes“ im 2. Aufzug sieht. So steht Carsens „Ring“ voll in der Crash-and-Trash-Tradition vieler „Ring“-Konzepte der letzten drei Jahrzehnte. Das ist zwar immer noch ein aktuelles Thema, aber heute vielleicht inszenatorisch schon anders und phantasievoller anzugehen.
Mit noch mehr Müll und Dreck als im ersten Aufzug des „Siegfried“ ist allerdings selbst in dieser Phase negativer „Ring“-Ästhetik nur selten umgegangen worden. Mime macht sich jedenfalls ein Vergnügen daraus, den überall herum liegenden Zivilisationsmüll auch noch in der Gegend herumzuwerfen. Das ist zeitweise durchaus gewöhnungsbedürftig. Auch ist der tote Waldvogel nicht ganz schlüssig, denn gerade der sollte ja das von Wagner beabsichtige Zeichen der Hoffnung in all diesem Wirrwarr sein, den Siegfried auch schon ohne den Müll gewahrt. Völlig zum Slapstick verkommt die Regie aber in dem Moment, wo der Regisseur Erda im Dialog mit dem Wanderer als schlampig bekleidete Putzfrau auferstehen und mit dem Aufnehmer gedankenlos den Bühnenboden schruppen lässt. Wenn alles nivelliert wird, dann nivelliert sich auch das Konzept!
Hinzu kommt bei Carsen aber schon seit der „Walküre“ die Betonung eines unerbittlichen und völlig skrupellos betriebenen Kampfes zwischen Wotan und Alberich infolge des Mega-Versagens Wotans im Streben nach Weltherrschaft und Machterhalt wider besseren Wissens durch die Wiedergewinnung des Rings. Das tritt nun auch im „Siegfried“ als zweite Konzeptionskomponente stärker und damit handlungstragender hervor, insbesondere in der Auseinandersetzung des Wanderers mit Alberich. Bei allen Für und Wider hat diese Produktion aber ein intensives Leben hinter sich und gastierte nach ihrer Entstehung in Köln von 2000-2003 mindestens in Venedig und zur Weltausstellung Shanghai 2010, wo ich den Zyklus zweimal erleben konnte, sowie nun Madrid. Also letztlich ein Erfolgsmodell!
Fotos: Javier del Real/Teatro Real 1-9; K. Billand 10
Klaus Billand/20.2.2021
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DIE WALKÜRE
Vorstellung am 18. Februar 2020
Verkommende Umwelt und dunkler Krieg!
Ein Jahr nach dem „Rheingold“ wurde am Teatro Real nun der „Ring des Nibelungen“ in der altbekannten Inszenierung von Robert Carsen in Zusammenarbeit mit Patrick Kinmonth aus den Kölner Jahren 2000-2003 mit der „Walküre“ fortgesetzt. Dieser „Ring“ lief dann ja auch 2010 bei der Welt-Ausstellung in Shanghai und in Venedig, wohl auch noch an anderen Orten.
Der Regisseur schockt vor allem im „Rheingold“ mit einem Menetekel auf die ökologische Zerstörung der Welt durch Gedankenlosigkeit und kurzsichtiges Machtstreben der Götter und Menschen. Die Produktion steht also in der Tradition der Crash-and-Trash-Ästhetik anderer „Ring“-Inszenierungen der letzten zwanzig Jahre. Sie ist gewissermaßen ein mittlerweile in die Jahre gekommener Ausläufer des nun auch nicht mehr revolutionären Trends des Wagnerschen Regietheaters seit Mitte der 1970er Jahre mit J. Herz in Leipzig, U. Melchinger in Kassel und P. Chéreau in Bayreuth. Wenngleich eine solch drastische thematische Einengung ihre Vorteile im Hinblick auf die vom Regisseur beabsichtigte zentrale Aussage hat, wird sie doch niemals dem universalen Anspruch und den metaphysischen Dimensionen der Wagnerschen „Ring“-Thematik gerecht.
Mit der „Walküre“ tritt nun aber noch ein zweiter Handlungsstrang in diese Inszenierung. Er beschreibt die Welt als einen unerbittlich und völlig skrupellos betriebenen Kampf von rivalisierenden Banden als Folge des Mega-Versagens Wotans im Streben nach Weltherrschaft und Machterhalt durch die Wiedergewinnung des Rings. Der 1. Aufzug der „Walküre“, der das Munitionslager des bis an die Zähne bewaffneten Hunding-Trupps im Schneegestöber zeigt und die angesichts dieser Gewalt völlig hoffnungslos in einem zerschossenen Jeep im 2. Aufzug endende liebevolle Beziehung Siegmunds und Sieglindes werden zu starken Momenten der Produktion, haben aber mit dem Ökologie-Thema keine direkte Verbindung mehr.
Diese Szenen und das Schlachtfeld aus gefallenen Soldaten im 3. Aufzug, von denen zwar eine Reihe noch den auch nicht gerade zweifelsfreien Weg nach Walhall findet, die Mehrheit aber tot in Schnee und Eis (freilich als Plastikpuppen) liegen bleibt und frappierend an die toten deutschen und russischen Soldaten in den Schneeverwehungen bei Stalingrad im Winter 1942/43 erinnert, zeigen nichts anderes als die Kehrseite eines hemmungslosen und arroganten Machtstrebens der Götter.
Ihr Chef Wotan hat sich als Armeegeneral in entsprechender Uniform mit seiner bourgeoisen Frau und der sich auf dem Sofa herumlümmelnden Lieblingstochter Brünnhilde in einem prangenden Wohnbau und ständig von braun Uniformierten umgeben verschanzt. Man kennt die Bilder aus den Filmen über die 1940er Jahre… Die Optik Walhalls legt somit Assoziationen mit einer auf der Wagnerbühne bereits seit Ulrich Melchingers „Ring“ von 1974 in Kassel vielfach bearbeiteten Phase der deutschen Geschichte nahe. Albert Speer lässt grüßen und macht das Ganze nicht gerade neu. Aber „neu“ ist diese Inszenierung ja auch nicht, die nun offenbar an ihre temporalen Grenzen stößt und einmal mehr klar macht, dass es auch mit der Wagner-Regie immer weiter gehen muss - nur eben handwerklich gekonnt!! Man - zumindest ich - hat/habe sich/mich auch an den jahrelang als modernes Stereotyp gepflegten Militäruniformen sattgesehen, kann sie eigentlich nicht mehr sehen. Der altbekannte Wunsch Richard Wagners drängt sich wieder einmal auf: „Kinder, schafft Neues!“ („Aber Gutes bitte!“ Anm. d. Verf.).
Wenn also die Gesamtaussage der Carsen/Kinmonth-Produktion auch nicht völlig stringent ist, zeigt der Kanadier sein Bühnentalent im Bespielen großer und tiefer Räume und mit einer intensiven Personenregie, die die Auseinandersetzungen der Protagonisten bis auf die Spitze treibt und starke Momente erzeugt, die in ihrer jeweiligen Wirkung für sich stehen und das Publikum in den Bann ziehen können. Es sind aber auch einige unnötige Ausrutscher zu erwähnen, die das große Ganze brechen, ja man könnte sagen, gelegentlich auch „verzwergen“ und ihm damit die eigentlich doch gewünschte elementare Wucht nehmen - trotz ganz andersartiger Optik. So lässt sich Wotan bei Brünnhildes „Hojotoho“ eine Tasse Kaffee servieren und bittet den Butler um Zucker nach, um diesen dann genüsslich mit dem Löffel zu verrühren. Ja, wir verstehen schon, der Zaunpfahl für die Arroganz der Macht - aber dennoch Unsinn. Bevor Wotan kommt, sammelt Brünnhilde noch schnell ihre goldenen Pantöffelchen ein. Was hat das mit einer Kampfmaid gemein?! Und Fricka, die sich den Lippenstift nachzieht, nachdem sie Brünnhilde gesagt hat, was ihr nun bevorsteht.
Die Demonstration der Tragödie Wotans zeigt Carsen hingegen ausdrucksvoll, als sich nach dem Fall Siegmunds um ihn alle Schotten der Bühne schließen und ihn auf der Wal gefangen nehmen. Andererseits ist wieder uneinsichtig und wirkungslos, wenn Wotan nach dem Abzug der Walküren minutenlang im Off verschwindet. Gut, soll das Alleinsein der Brünnhilde zeigen, na ja… Die Lichtregie von Guido Petzold ist hingegen nicht in der Lage, angebrachte Stimmungen und besonders starke Moment im Einheitsgrau der Bühne hervorzuheben - sie ist schlicht fast nicht vorhanden und ruft Erinnerungen wach, wie gut das damals Manfred Voss in Köln machte.
Kommen wir also zu den Sängern und fangen - auch aufgrund der Gegebenheiten - ganz unkonventionell an. Elisabet Strid, die ich zum ersten Mal 2007 in Riga in auch ihrer ersten „Walküre“ erleben konnte, war wieder einmal der stimmliche und, zusammen mit Christopher Ventris, auch darstellerische Star des Abends. Was Strid an stimmlicher Leuchtkraft und Wärme bei bester Diktion, völlig unaufgeregter und eben ganz natürlicher und zu jedem Moment passender Mimik an den Tag legt, könnte für die Sieglinde in der Gebrauchsanweisung stehen. Unvergleichlich, wie sie schon zu Beginn der Erzählung Siegmunds zu erkennen gibt, dass er ihr Bruder ist. Dann diese enorme Spannung, die sie im Dreiecksverhältnis mit Siegmund und dem äußerst wachen, ebenfalls auf starke Mimik setzenden und nebenbei noch vortrefflich singenden Ain Anger als Hunding aufrecht erhält. Dessen Erstbesetzung hätte eigentlich Günther Groissböck singen sollen, der aber in Berlin in einer ganzen „Rosenkavalier“-Serie als Ochs einspringen musste. Christopher Ventris legt ebenfalls ein hohes Maß an Empathie zu Sieglinde an den Tag, wenn er sieht, wie sie von Hunding und seinen Schergen in seinem nächtlichen Waffenschmuggler-Lager drangsaliert wird. Dazu passt dieses Bühnenbild besonders gut. Ventris ist ein Wagner-erfahrener, wortdeutlich singender und stets auch gemütvoller und besonders charismatischer Sängergestalter, gerade auch als Parsifal. Da macht es nichts aus, dass er keine Stentor-Töne wie ein Siegfried produzieren kann.
Zu Beginn des 2. Aufzugs sieht sich dann meine Erwartung auf einen neuen Wotan schnell enttäuscht. James Rutherford wirkt wie ein zu junger Hans Sachs, der sich in die „Walküre“ verlaufen hat. Zwar hat der Sänger eine nahezu perfekte Diktion und versucht auch Ausdruck in den Gesang zu bringen. Allein, es reicht für einen Wotan nicht, zumal für den der „Walküre“. Rutherford wirkt insgesamt als Persönlichkeit farb- und harmlos, die Korpulenz in der zu engen Uniform trägt auch dazu bei, und das stimmliche Volumen ist nicht groß genug für die Rolle. Da ist weder das Format eines Gottes noch eines Armeegenerals zu erkennen, der er hier ja nun mal sein soll. Es fehlt die wünschenswerte Fallhöhe der Figur. Dazu kommt statt des Speeres dieser alberne Gehstock, für den der Sänger allerdings nicht kann. Sein Gesang geht oft auch in eine Art Sprechgesang über. Im „Rheingold“ hatte man noch den guten Greer Grimsley. Die Erstbesetzung der „Walküre“ war Tomasz Konieczny, auch nicht grade der Sangesfreuden letzter Hort, wenn es um den Wotan geht.
In ganz anderer Form enttäuscht aber auch die Brünnhilde von Ricarda Merbeth, völlig unverständlich vor der glänzenden Ingela Brimberg die Erstbesetzung, Man ist halt bekannter und hat schon in Bayreuth gesungen! Das heißt aber nicht, dass man automatisch eine gute Hochdramatische ist. Das casting griff hier hörbar daneben. Wie schon als Isolde in Brüssel letztes Jahr geht es nach einem ordentlich „Hojotoho“ mit dem Stemmen der Töne los, als ginge es nur darum, diese möglichst laut zu produzieren. Den Kopf dabei immer nach oben, sodass auch keine Beziehung zu den angesprochenen Personen entsteht. Immer erst nach Absetzen des Gesangs kümmert sie sich dann etwas um diese. Merbeth singt erratisch, viel zu unruhig bei entsprechender Einheits-Mimik und kann zu keinem Zeitpunkt verheimlichen, dass sie mit den hochdramatischen Partien Wagners überfordert ist. Dazu kann man fast kein Wort verstehen. Als Elisabet Strid im 3. Aufzug vorsichtig und emotional mit perfekter Aussprache intoniert „Nicht sehre dich Sorge um mich: einzig taugt mir der Tod!“ klang das für mich wie plötzlicher Balsam auf die vokal geschundene Seele… Es mangelt Merbeth auch an stimmlicher Homogenität, besonders auffallend in der Tiefe, wo auch mal hässliche Töne produziert werden.
Daniela Sindram überzeugt einmal mehr als erfahrene Fricka, auch wenn der Glanz ihres Mezzos nicht mehr so strahlt wie noch in den vielen „Ring“-Aufführungen an der DOB in Berlin vor einigen Jahren. Unter den Walküren fällt besonders Bernadett Fodor mit gutem Mezzo als Schwertleite auf. Daniela Köhler, die ja im Sommer in Bayreuth die „Siegfried“-Brünnhilde singen soll, fiel mir einmal mehr als Helmwige durch die Grellheit ihres Soprans auf.
So kommen wir zum eigentlichen Höhepunkt des „Ring“ von Madrid, dem Orchester des Teatro Real unter der Leitung von Pablo Heras-Casado. Bereits vor Beginn beeindruckt der riesige Graben mit den relativ hoch sitzenden Musikern - und, wie Wagner es wollte, tatsächlich sechs Harfen! Schon die rasende Hetze des Vorspiels zum 1. Aufzug kommt gut herüber. In der Folge glänzt immer wieder das Blech, aber auch der Streicherteppich sorgt für eine international beachtliche Klangintensität und Dynamik, die man nicht alle Tage hört. Heras-Casado dirigiert mit großem Elan und Augenkontakt zu den Sängern und, wo möglich, auch zu einzelnen Musikern. Er zelebriert fast diese „Walküre“. Durch die hohe Lage der Musiker zeichnet sich das Klangbild durch ein großes Maß an Plastizität aus. Mythos war nicht gefragt. Aber das passte auch zur Ästhetik des kriegerisch trostlosen Geschehens und seiner Optik. Völlig zurecht bekommen Heras-Casado zusammen mit Elisabet Strid den heftigsten Applaus, dann Ricarda Merbeth (laut kommt ja immer gut an) und weit weniger Rutherford. Alle anderen waren schon im Hotel.
Es kommt wohl nicht ganz von ungefähr, dass James Rutherford den Feuerzauber minutenlang mit einem Feuerzeug in Gang setzt - ein kleines Flämmchen! Dann geht ein Hintervorhang hoch und legt doch noch Brünnhildes Feuer frei. In einem Jahr kommt „Siegfried“. Er wird keine Mühe haben, es zu überqueren…
Fotos: Javier del Real / Teatro Real; 1+11: K. Billand
Klaus Billand/21.3.2020
www.klaus-billand.com
LA CALISTO
Premiere am 17. März 2019
Unterhaltsame Barock-Oper
Nun fand im Teatro Real de Madrid, welches gerade sein 200jähriges Bestehen feiert, eine weitere Saison-Premiere statt, die Barock-Oper „La Calisto“ des italienischen Komponisten Francesco Cavalli, bestehend aus einem Prolog und drei Akten. Es ist die neunte Oper, die Cavalli mit seinem Librettisten Giovanni Faustini in den 1640er Jahren schuf und seine 15. überhaupt, von immerhin 30 Werken. Ihre mythologische Handlung, eng an das Venedig des 17. Jahrhunderts angelehnt, basiert auf den Metamorphosen des Ovid (2. Buch). Im Jahre 1651 wurde „La Calisto“ im damals kleinsten Theater Venedigs uraufgeführt, dem Teatro Sant’Appolinare, mit nur 400 Plätzen. Cavalli selbst saß am Cembalo. Das Stück fiel beim Publikum jedoch durch. Selbst dieses kleine Haus war in der ersten Serie weniger als zur Hälfte gefüllt. Das kann auch daran gelegen haben, dass der Sänger des Endymion, Bonifatio Ceretti, schon vor der UA im November ernsthaft erkrankte und noch während der Serie verstarb und auch der Librettist wenige Wochen nach der UA starb. Unglückliche Sterne also für ein Stück, in dem der finale Rufe „alle stelle“ lautet und damit die Metamorphose der Calisto verbunden wird, die als das Sternbild Großer Bär in alle Ewigkeit am Nachthimmel prangen wird.
Die Madrider Produktion wurde nun von der Bayerischen Staatsoper übernommen. Das Teatro Real hat ja wie die meisten lateinischen Häuser kein eigenes Ensemble und kauft regelmäßig Produktionen ein. David Alden ist der Regisseur, der damals unter Intendant Sir Peter Jonas in gewisser Weise zum „Barock-Hausregisseur“ der Bayerischen Staatsoper avancierte, aber auch einen „Ring“ von Michael Wernecke ab der „Walküre“ übernahm. Wernicke war während der Arbeit an der Tetralogie verstorben. Sein „Rheingold“ versprach eine großartige Produktion, während der Alden-„Ring“ nach wenigen Jahren nachvollziehbar in der Versenkung verschwand.
Alden wählte ein bisweilen subtiles Regiekonzept mit beeindruckender und dem Stück vollkommen gerecht werdender Personenregie in einem grellbunten Bühnenbild von Paul Steinberg und den dazu passenden und fantasievollen Kostümen sowie Allegorien von Buki Schiff. Pat Collins sorgte für die darauf bestens abgestimmte Beleuchtung. Last but not least schuf Beate Vollack eine vielseitige und in dieser Produktion sehr bedeutsame Choreografie. Das leading team, das schon viele Jahre zusammenarbeitet, ließ das nicht immer ganz rund laufende Stück so in einem frischen und vor allem unterhaltsamen Glanz erscheinen. Langeweile kam nie auf, nicht unbedingt die Norm bei Barockopern.
Schon zu Beginn beherrscht ein lampenübersäter dunkler Himmel die Bühnenathmosphäre – es geht also bereits von Anfang an optisch und programmatisch in die Sterne. Die Szenerie wird durch bewegliche Bühnensegmente schnell wandelbar, was durch entsprechende Beleuchtung oft kaum merkbar vonstattengeht. Schwarz, Rot und Holzbraun sind die maßgeblichen Farben, die genau das Gegenteil dessen simulieren, was als trostlose, vom Menschen verwüstete Natur im 1. Akt zu sehen sein sollte. Offenbar wollten Alden und sein team gleich vom Mythos weg, ja ihn sogar persiflieren, wenn man nur an den auf schwarzen Flügeln hereinrauschenden Jupiter und seinen völlig vergoldeten Begleiter Merkur mit einem Aktenkoffer sieht. Dergleichen gibt es noch viel mehr. So erscheinen Allegorien einer Kuh, eines Pferdes, eines Schafes, einer Ziege und gar einer Schlange. Und ab und zu wackelt auch noch ein grüner Gecko herein, einmal mit einem Sektglas auf dem Rücken, wenn Jupiter mit seinen oberflächlichen Eroberungen mal wieder anstoßen möchte. Diese Szene erinnerte mich sofort and das Kim Il Sung, dem „Großen Führer“ Nordkoreas gewidmete Museum nördlich von Pjöngjang mit nach Angabe des damaligen Museumsbegleiters über 200.000 Staatsgeschenken.
Dort sah ich bei einem Besuch des Landes 2008 in einer Vitrine einen Alligator, der auf den Hinterbeinen aufrecht geht und ein Tablett mit Schnapsgläsern in den vorderen hält. Auf meine naive Frage, was das denn solle, bekam ich die Antwort: Dieses Geschenk wurde vom Revolutionsführer Nicaraguas, Daniel Ortega, überbracht um zu zeigen, dass vor dem „Großen Führer“ selbst prinzipiell gefährliche Alligatoren in dieser Art und Weise dienstbar werden… David Alden konzentriert sich ganz offensichtlich auf die Herausarbeitung der menschlichen Kapriolen und Irrgänge der Götter, die eben die gleichen Fehler und Vergehen vollziehen wie die Menschen. Sie sprechen damit das dekadente und gar libertinöse Leben im Venedig des 17. Jahrhunderts, also der Entstehungszeit der „Calisto“ an, wie der Künstlerische Direktor des Teatro Real, Joan Matabosch, in einem interessanten Aufsatz im Programmheft betont. Auch damals habe es schon umfangreiche Kritik am offenbaren Fehlverhalten der „Oberen“ gegeben. Passend dazu prangte am linken Bühnenrand in großen grünen Leuchtbuchstaben das Wort „L‘EMPIREO“, also das Paradies…
Wir erleben in „Calisto“ die gleichen Topoi, die auch bei Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ vorgeführt werden. Da ist einmal Merkur als Freund und Helfer Jupiters bei allen Schweinernen zur Unterstützung des Chefgottes dem Loge ähnlich. Aber auch Mozart hat diesen Topos, was die Oper betrifft, schon im „Don Giovanni“ mit dem Verhältnis Leporellos zu Giovanni als gefügigem Diener seines Herrn aufgegriffen. Dann ist da die fürchterlich zeternde Ehefrau Jupiters, Juno, die wie Fricka in der „Walküre“ für die Einhaltung der ehelichen Treue steht, hier aber statt auf den Walkürenfelsens hinauf vom Olymp herunter in die Ebene kommt, um Jupiter (nicht nur) bei der erfolgreichen Verführung Calistos zu gewahren. Diese ist allerdings, da er es nur im Gewand ihrer Herrin Diana schafft, homoerotischer Natur. Dass dennoch plötzlich ein uneheliches Kind zur Welt kommt, ist zumindest mythologisch nachvollziehbar. Denn als Jupiter Calisto zum Großen Bären (Urso Mayor) an den Himmel gebracht hat, soll er ihr gemeinsames Kind zum Kleinen Bären (Urso Menor) gemacht haben. Aber der Gott vergnügt sich ja auch noch mit einigen Nymphen, die hier in Madrid recht fesch in Erscheinung treten. Somit wird uns bei Alden eine überaus menschlich orientierte Interpretation der Oper gegeben, was auch verständlich macht, dass sie seit ihrer Wiederentdeckung 1970 in Glyndebourne, also nach über 300 Jahren (!) wieder öfter gespielt wird.
Der GMD des Teatro Real, Ivor Bolton, dirigierte mit viel Feingefühl das Ensemble Monteverdi Continuo und das Barock-Orchester von Sevilla sowie die Trompeter des Hausorchesters des Real. Man konnte zu jedem Moment merken, dass diese Musiker sich in der Barockmusik bestens auskennen und wohlfühlen. Dafür erhielten sie am Schluss mit dem Dirigenten auch großen Applaus. Sehr schön waren immer wieder die Soli einzelner Gruppen und Instrumente herauszuhören. Und es gab durchwegs eine sicher nicht immer leichte, aber gute Abstimmung mit dem zeitweise quirligen Geschehen auf der Bühne.
Die Britin Louise Alder, die u.a. schon bester Young Singer bei den International Opera Awards 2017 und seit 2014 fest in Frankfurt/Main engagiert ist, sang und spielte mit großer Emphase die Calisto mit einnehmendem Engagement und einem ebenso leuchtenden wie klangvollen sowie in allen Lagen sicher geführten und wortdeutlichen Sopran - eine Idealbesetzung! Der italienische Bass Luca Tittoto als Jupiter zeigte wohl alle darstellerischen Facetten der so vielseitigen und immer wieder in totale Komik abgleitenden Rolle des Jupiter. Irgendwie kann man diesen Gott nicht ernst nehmen, wenngleich er immer wieder elegant sein Potenzial zeigt. Tittotos Bariton war dabei für diese Rolle gut geeignet. Sein Merkur Nikolay Borchev stand ihm mit einem etwas rauen Bariton und viel schauspielerischem Talent gekonnt zur Seite. Bei den Herren konnte jedoch der junge britische Countertenor Tim Mead als Endymion am meisten begeistern, der mit einem perfekt intonierenden und charaktervollen Countertenor seine verzehrende Liebe zu Diana eindringlich darstellte. Am Ende wollte, bzw. musste er sich mit seiner Angebeteten (v.a. darstellerisch gut: Monica Bacelli), die auch das Schicksal im Prolog und eine der Furien sang) auf eine platonische Liebe einlassen, während Calisto von Jupiter als Sternbild Großer Bär für alle Ewigkeit an den Himmel gezaubert wurde („alle stelle!“)… Eine wahrlich zeternde aber dennoch stimmschöne Juno gab die kanadische Sopranistin Karin Gauvin, die mit ihrem Auftritt wohl jede Fricka einer noch so durchgeknallten „Walküre“-Inszenierung in den Schatten gestellt hätte. Kein Wunder, dass Jupiter sich da gern in Diana verstellte, also aus einem ganz unerwarteten zweiten Grund… Varietéartig ließ Paul Steinberg die Juno vom Olymp herabsteigen. Unter großem Glanz trat sie aus einer Art goldener Höhle hervor, geführt von zwei jungen Damen in Straußenfedern, die sie - wie über 200 Jahre später Fricka ihre Widder - mit der Peitsche traktierte. Davon wird sicher auch Jupiter schonmal etwas abbekommen haben… Gauvin sang auch noch die Ewigkeit im Prolog. Der bekannte französische, dunkel timbrierte Countertenor Dominique Visse, der in „L‘incoronazione di Poppea“ bei den Salzburger Festspielen 2018 eindrucksvoll die Arnalta verkörpert hatte, gab auch hier gelungene und teils ins Extreme reichende Charakterstudien der Natur im Prolog, des Satyrs und einer der Furien. Insbesondere als Satyr verursachte Visse einige Heiterkeit. Der belgische Tenor Guy de Mey gab eine drollige Charakterstudie der altbackenen Linfea, die immer noch glaubt, einen Mann bekommen zu müssen, bevor sie wirklich alt wird…
Der britische Tenor Ed Lyon sang den unruhsamen Pane mit kräftiger Stimme, und der italienische Bass Andrea Mastroni verlieh dem Waldgott Silvano einen der dunklen Waldstimmung entsprechenden vollen Bass, von Alden als Centaur dargestellt. Den Schluss bildete ein schönes Duett von Diana und Endymion über den Wert der platonischen Liebe, heute kaum noch so nachvollziehbar. Aber wir leben ja auch nicht mehr im Barock. Manches mag damals dennoch besser gewesen sein als heute…
Riesenapplaus im fast vollbesetzten Real, besonders für Alder, Tittoto und Mead sowie für Bolton mit den Musikern. Ebenfalls starker Applaus für das Regieteam.
Fotos: Javier del Real / Teatro Real
Klaus Billand 22.3.2019
DAS RHEINGOLD
am 25. Januar 2019
Öko-Problematik vor der Zeit
Nun setzte das Teatro Real seine „Rheingold“-Serie mit einer vor allem musikalisch äußerst eindrucksvollen 4. Vorstellung nach der Premiere am 17. Januar fort. Es feiert derzeit seinen 200. Geburtstag und nahm auch aus diesem Anlass die bekannte Kölner Produktion aus den Jahren 2000-2003 von Robert Carsen in sein Stagione-Programm. In einer Art Angelo Neumannscher Manier war sie auch schon in Venedig und Schanghai (Bericht im Merker 2010) zu sehen. Carsens Inszenierung setzt am konkreten Beispiel des Rheins auf das Öko-Thema der Zerstörung des Planeten durch den Menschen und ist deshalb auch nach so langer Zeit, trotz einiger innerer Widersprüche, immer noch aktuell – leider. Patrick Kinmonth war für die Bühne und die vorherrschenden, themenbedingt trist grau- und braungetönten Kostüme verantwortlich, mit einem mittlerweile schon überstrapaziert wirkenden Militär-Look Wotans als Vier-Sterne-General und seiner mit MPs bewaffneten Soldaten. Ian Burton gab dramaturgische Unterstützung.
Carsen schockt zumindest die Besucher, die diese Produktion noch nicht kannten, mit einem sofort im „Rheingold“ beginnenden Menetekel auf die ökologische Zerstörung der Welt durch Gedankenlosigkeit und kurzsichtiges Machtstreben der „Götter“ und Menschen. Damit stellt er sich vom Beginn des 136-taktigen Es-Dur Akkords des „Rheingold“-Vorspiels an gegen die Intentionen Richard Wagners und auch gegen dessen Idee des Gesamtkunstwerks, in ähnlicher Manier wie Frank Castorf mit seinem „Ring“ 13 Jahre später in Bayreuth. Er wollte nach eigener Aussage gegen die Musik inszenieren, um etwas Neues zu schaffen und zu sehen, wie das Publikum damit zurecht käme… Bekanntlich kam es damit nur sehr bedingt zurecht.
Eigentlich soll das aus den tiefsten Klängen der Ursuppe, bzw. auf dem Grunde des Rheins entstehende Vorspiel die Entwicklung allen Lebens aus der schöpferischen Urkraft des Wassers in der aufsteigenden Linie des Werdens der Urmutter Erda suggerieren. Stattdessen sehen wir zunächst langsam, dann immer schneller und schließlich regelrecht hetzend Statisten am imaginären Rheinufer entlangeilen und ihren Restmüll, wie PET-Flaschen, Pappbecher und ähnlich Verdächtiges in das trockeneis-dampfende Wasser des Flusses werfen. Wenngleich ihr Tempo mit dem des Vorspiels zunimmt, geht musikalisch doch viel von dessen klanglicher Raffinesse und Schönheit verloren, für deren Komposition Richard Wagner wohl mehr Zeit benötigte als für die Hälfte der gesamten Partitur.
Mit dem Müll geht es bei den eigentlich zu diesem Zeitpunkt noch in Zivilisations-Unschuld schwimmenden Rheintöchtern gleich weiter. Denn sie spielen bereits lustvoll mit dem Wohlstandsschrott aus verrotteten Supermarktwagen, Waschmaschinen, LKW-Reifen und allerhand Kleinmaterial, welches sich langsam auf dem Bühnenboden abzeichnet. Die Töchter des Rheins sehen schon jetzt aus wie bei Harry Kupfer im Finale seiner legendären Bayreuther „Götterdämmerung“, elendig verdreckt mit zerfetzten Strümpfen und Gewändern.
Aber das ist genau der Unterschied. Beim alten Wagner-Hasen Kupfer waren sie erst in der „Götterdämmerung“ so weit gesunken, bei Carsen müssen sie bei einer vollständigen Negation der „Ring“-Natursymbolik schon so beginnen. Hier wird das relevante und am „Ring des Nibelungen“ sicher gut abzubildende Thema der ökologischen Zerstörung der Welt, überhaupt der Zerstörung eines intakten, vom Menschen eben noch nicht berührten Kosmos‘, gewissermaßen mit dem Zaunpfahl eingeführt, statt dass man es langsam aber sicher mit dem Fortgang des Geschehens entwickeln würde. Das wäre dramaturgisch natürlich schwieriger gewesen.
Auch andere Bilder des Carsen-„Rheingold“ sind durchaus nicht ohne weiteres eingängig, wenngleich das Zweite Bild des mit den herumstehenden und in der Luft hängenden Paletten voll schwerstem Baumaterial und allerhand Schwergewichtskränen imposant aussieht. Ins Publikum schauend besingt Wotan allerdings gleich zu Beginn die ebenso imposant wirkende, seiner Meinung nach offenbar fertiggestellte Burg (vielleicht meint er die schöne Ehrenloge des Real), was ihm Loge kurz darauf nochmal bestätigt mit kein Stein wankt im Gestemm.“Bei Carsen ist aber nicht mal das Richtfest in Sicht, geschweige denn kommen Steine ins Wanken, die noch gar nicht verbaut sind.
Das „Rheingold“ steht mit dieser Optik, zu der auch dramaturgische Ausrutscher wie der Golfball-schlagende Donner und das alberne Hereinradeln von Loge gehören, in der Tradition der Crash-und-Trash-Ästhetik anderer „Ring“-Inszenierungen der letzten zwanzig Jahre und somit im mittlerweile nicht mehr revolutionären Trend des Wagnerschen Regietheaters. Auch im Kasseler „Ring“ 1974-76 von Ulrich Melchinger wurde schon eifrig im Müll herumgestochert. Carsens Detailverliebtheit ist seinem zentralen Öko-Thema nicht immer dienlich.
Nun, dabei wollen wir es belassen, was die Ungereimtheiten zu Beginn seiner Interpretation der Tetralogie angeht und uns den starken Seiten (nicht Scheiten!) zuwenden. Carsen zeigt im „Rheingold“ sein großes Bühnentalent im Bespielen tiefer Räume und zu einer äußerst intensiven Personenregie, die von den exzellenten Sängerdarstellern in Madrid auch gekonnt beherzigt wird. Er kann starke Momente erzeugen, die in ihrer jeweiligen Wirkung für sich stehen und das Publikum in den Bann ziehen. Dazu gehört die Goldgewinnung Alberichs aus einem alten LKW-Reifen im Rhein. Der Ring entsteht aus einem kleinen Gold-Nugget an seinem Finger bereits durch den bloßen Fluch auf die Liebe. Großartig, wie Samuel Youn, der eine umjubelte Charakterstudie des Alberich mit markanter Stimme gibt, ihn triumphierend in die Höhe reckt und Wotan wenige Momente darauf in der gleichen Pose beim „Anhimmeln“ von Walhall zu sehen ist. Nicht nur hier, sondern auch im Kampf um den Ring und seine Verfluchung durch Alberich macht der Regisseur eindrucksvoll kar, dass es im „Rheingold“ um die elementare Auseinandersetzung des Licht- und Schwarzalben geht.
Carsen setzt sich am Vorabend der Tetralogie sehr stringent mit den Figuren auseinander. So ist Greer Grimsley das genaue Gegenteil dieses mit Händen und Füßen um den Ring kämpfenden Alben. Er singt den Wotan mit seinem noblen, stets auf einer vornehmlich gesanglichen Linie operierenden Bassbariton mit sowohl charaktervoller Tiefe wie auch topsicheren Höhen. Wieder einmal merkte man hier, gerade auch nach den Eindrücken aus dem Wiener „Ring“, wie wichtig eine modulationsfähige Tiefe für den Wotan ist, wenn er wirklich die ihm angedachte „göttliche“ Rolle spielen soll – obwohl diese hier aufgrund des Militärlooks rein äußerlich nicht zu erkennen war. Sarah Connolly mit einem kraftvollen Mezzo ist als damenhafte Fricka gezeichnet, sowohl herrisch wie auch verspielt eitel bei Loges Gesang vom Goldschmuck.
Die Riesen, die mit einer „Riesen“-Arbeitermannschaft in orangefarbener Arbeitskluft aufmarschieren (obwohl die Burg ja längst fertig sein soll…), werden charakterlich klar voneinander abgegrenzt. Der Ukrainer Alexander Tsymbalyuk ist ein düsterer, nur nach dem Gold gierender Fafner mit fast schwarzen Bass. Der Österreicher Albert Pesendorfer, der auch eine Professor für Gesang an der Universität der Künste Berlin hält und für Ain Anger seit Beginn der Serie gesungen hat, obwohl letzterer immer noch im Programmheft steht, spielt einen verliebten Fasolt mit samtenen, kultivierten Basstönen.
Dass sich Freia fast unwillig von ihm trennt, als die Würfel zugunsten des Goldschatzes gefallen sind, und noch Minuten nach seinem Tod sein Gesicht streichelt, bei einer nicht nur Trauer ausrückenden Mimik, lässt darauf schließen, dass da etwas mehr zwischen ihr und Fasolt war. Sophie Bevan singt die Bewacherin der in einem Lederkoffer gehüteten Äpfel darstellerisch intensiv mit kräftigem Sopran, der durchaus schon eine Sieglinde erahnen lässt. Joseph Kaiser mit ausdrucksvollem Tenor ist ein gewitzter Loge, der geschickt die Dramaturgie des „Rheingold“ führt, sich aber auch nicht zu schade ist, als Kellner auf der Baustelle zu dienen.
Der Katalane Mikeldi Atxalandabaso ist ein agiler und wortdeutlicher Mime, bei dem man sich schon auf den „Siegfried“ freuen kann. David Butt Philip singt einen klangschönen Froh und Raimund Nolte einen etwas knorrigen Donner. Die Rheintöchter singen und spielen engagiert und fantasievoll ebenfalls auf dem allgemein hohen Niveau, Isabella Gaudi als Woglinde, María Miró als Wellgunde und Claudia Huckle als Flosshilde. Last but not least ein besonderes Wort zur wahrlich wie eine Ur-Mutter aussehenden Erda von Ronnita Miller. Die Afroamerikanerin aus Florida nimmt mit ihren üppigen Formen Wotan regelrecht an die Brust, der das wohlwollend genießt, ein sicherer Rückschluss auf die Lieblosigkeit seiner Beziehung zu Fricka und klarer Hinweis auf das, was mit der Ur-Weisen noch kommen wird… Die ausgezeichnete Lichtregie des dafür weltbekannten und -berühmten Manfred Voss sorgte gerade in diesem Moment, aber auch sonst immer wieder für eine bisweilen grandiose Intensivierung der Aussage des Bühnengeschehens.
In großartiger Form war das Orquesta Titular del Teatro Real unter der energischen und tempobetonten Stabführung seines Ersten Gastdirigenten Pablo Heras-Casado, der hier 2016 auch schon den „Fliegenden Holländer“ dirigierte. Er legte besonderen Wert auf die Dramatik des Stückes, die mit stärkeren Ambossen im Orchesterzwischenspiel zum Dritten Bild noch intensiver hätte sein können. Insbesondere überzeugten die klangvollen Holz- und Blechbläser, nicht zuletzt mit warmen, fülligen Wahlhall-Motiven im Zweiten Bild und den Fluch- und Speermotiven. Zu unterstreichen ist auch, dass das Teatro Real das „Rheingold“ mit immerhin fünf der von Wagner gewünschten sieben Harfen spielt, was sich im Finale klangvoll - und nur da sind sie ja alle aktiv - bemerkbar machte. Auch das Schlagwerk hatte große Momente. Nun müssen wir eine ganze Saison bis auf die „Walküre“ warten. Ein Haus wie das Real hätte den „Ring“ wohl auch in zwei Saisonen schaffen können. Aber so streut man Wagner, der hier nicht zu den ersten Komponisten gehört, über vier Jahre. Auch nicht schlecht!
Klaus Billand 3.2.2019
Bilder (c) teatro real
Teatro Real
LOHENGRIN
NI am 15.4.2014
Noch lange vor seinem Tod hatte Gerard Mortier, ehemaliger künstlerischer Direktor des Teatro Real in Madrid, einen neuen „Lohengrin“ in Auftrag gegeben. Er wollte diese romantische Oper, wie Wagner sie nannte, völlig neu gestalten lassen, also Abstand nehmen von vielen jüngeren Inszenierungen, die häufig an ihren gewagten, weil zu eng angelegten Deutungsversuchen scheiterten. Im April kam diese Neuproduktion in der Regie von Lukas Hemleb, der Mortier schon seit seiner Zeit in Brüssel kannte, am Teatro Real heraus und wurde in stagione 13 Mal gespielt. Mortier wollte also keinerlei engere Festlegung der Figur des Lohengrin und schlug Hemleb vor, mit dem Berliner Bildhauer Alexander Polzin zusammen zu arbeiten, in der Suche nach einer ganz andersartigen Ästhetik. Polzin schuf daraufhin ein Einheitsbühnenbild von wahrlich gigantischen Ausmaßen, den gesamten Bühnenraum des Teatro Real umfassend - offenbar genau, wie Mortier es wollte, dem dieser „Lohengrin“ auch gewidmet wurde.
Das Bild wirkt wie eine enorme konvexe Bronzeplastik, einer Höhle ähnlich, mit Öffnungen nach allen Seiten, aber auch zwei angedeuteten mittelalterlichen Ritterskulpturen an den Seitenwänden. Mit der stets abgedunkelten Lichtregie von Urs Schönebaum und den mit gedeckten Pastelltönen abstrakt gestylten Kostümen von Wojciech Dziedzic sollte dieser künstlerisch chiffrierte Raum die Darstellung der vielfältigen archaischen Zeichen dieser Oper ermöglichen. Dem Publikum sollte somit im wahrsten Sinne des Wortes Raum für die Erkennung des philosophischen Gehalts wie für den Nachvollzog der Geschichte gewährt werden. Requisiten wie der Schwan, das Ehebett und ähnliches hatten in diesem Bild natürlich keine Bedeutung mehr und wurden auch nicht gezeigt. Allerdings passten der total unbeholfen wirkende Kampf Lohengrins mit Telramund mit viel zu großen und deshalb unhandlichen Schwertern, sowie die Tatsache, dass Lohengrin und Elsa mit verbundenen Augen ins „Brautgemach“ geführt wurden, gar nicht in dieses Konzept. Nicht immer entfaltete dieser skulpturenartig gestaltete Raum die gewünschte Wirkung. Wenn es allzu dunkel wurde, konnte man sich bisweilen durchaus auch im 3. Bild des „Rheingold“, also in Nibelheim wähnen…
Das Licht spielt also in diesen Bildern eine herausragende dramaturgische Rolle. Oft hat es mythische Dimensionen, so, wenn ein großer Eisblock in der Mittel der Bühne zur Ankunft Lohengrins emporsteigt, aus sich heraus hell erstrahlend die Konturen einer Person andeutend, von der man eigentlich nie weiß, wer gemeint sein könnte. So kann sich jeder/e ein eigenes Bild machen… In jedem Falle ist nun etwas Fremdes, ja ein Fremdkörper, in dieser in sich zerstrittenen Welt. Zu Beginn des 3. Akts wird der Riesenraum aus den Öffnungen mythisch blau beleuchtet, und sofort stellt sich eine ganz andere Stimmung ein. Lohengrin tritt nahezu unbemerkbar aus dem Hintergrund auf, von Chor verdeckt. Er wird hier als Mensch, nicht als Held gezeigt, der in einem einfachen weißen Anzug für Elsas Rechte eintritt.
Leider kommt Michael König als Zweitbesetzung (die Premiere und einige weitere Vorstellungen sang Christopher Ventris) darstellerisch in keiner Weise einer philosophisch oder auch nur rein menschlich gezeichneten Figur des Lohengrin nahe. Seine Mimik ist fast stets dieselbe, von Ausstrahlung oder gar Empathie kann zu keinem Zeitpunkt die Rede sein. So kann man Lohengrin eigentlich in keiner Inszenierung spielen. Stimmlich sah es da schon besser aus. Königs Tenor ist kräftig, spricht gut an und meistert die Höhen zufriedenstellend. In der Gralserzählung wird allerdings der Mangel eines gewissen tenoralen Glanzes offenkundig. Catherine Naglestad, vor kurzem noch auf der riesigen Amsterdamer Bühne als Sieglinde und „Siegfried“-Brünnhilde zu erleben, hat mitterweile für die Elsa doch eine zu schwere Stimme. Im Bestreben, die für diese Rolle so wünschenswerte lyrische Linie zu finden, sind leichte Intonationsunsicherheiten zu hören, und ein Tremolieren ihres an sich ausdrucksstarken Soprans wird deutlich, wobei Naglestad auch nicht gerade gut verständlich singt. Stimmlich nimmt man ihr die „große Reine“ also nicht mehr ab. Darstellerisch verleiht sie der Elsa in dieser Inszenierung jedoch eine passende tragische Note und wirkt als Figur, ganz anders als ihr Partner, sehr glaubwürdig.
Dolora Zajick hingegen trumpft als Ortrud mit einem durchschlagskräftigen, in allen Lagen klangvoll tragenden charaktervoll abgedunkelten Sopran auf. Ihre Ortrud wirkt total souverän und leicht dämonisch, was sie durch passende Mimik immer wieder unterstreicht. Allerdings ist auch Zajick nicht allzu wortdeutlich, was angesichts der Strahlkraft und Attacke ihrer Stimme weniger ins Gewicht fällt. Nicht alle Tage hört man ein solch beeindruckendes „Entweihte Götter…“. Thomas Jesatko ist ihr als Telramund ein ebenbürtiger Partner mit seinem klaren und prägnanten Bariton, der nicht immer ganz rund geführt wird. Er gestaltet die Rolle mit großer Agilität und starker Ausdruckskraft. Goran Juric gibt einen stimmstarken König Heinrich, auf eine eher statische Darstellung festgelegt, aber hohe Autorität austrahlend. Anders Larsson ist als Heerrufer ähnlich wie zuletzt in Wien auch nicht ganz den stimmlichen Anforderungen dieser möglicherweise etwas unterschätzten Partie gewachsen.
Eine ganz große Rolle spielt im „Lohengrin“ bekanntlich der Chor, und wie der Chor des Teatro Real von Andrés Máspero sowie der Kinderchor von Ana González einstudiert wurden, gehörte zu den Glanzpunkten dieses Abends. Bei bester Transparenz und beeindruckender Klangstärke der einzelnen Gruppen war das Ensemble zu keinem Zeitpunkt zu laut und wurde nach etwas statischem Beginn auch ansprechend choreographiert.
Am Pult des Orchesters des Teatro Real stand der zuletzt auch durch zwei interessante Bücher zu Richard Wagner hervor getretene Wagner-Kenner Hartmut Haenchen. Er ließ schon im Vorspiel zum 1. Akt hören, dass es hier, ganz anders als zuletzt unter Mikko Franck in Wien, um eine vornehmlich mythische Interpretation des „Lohengrin“ gehen würde. Dieses im wahrsten Sinne des Wortes wunderbare Vorspiel erklang pastos mit einer tiefgründigen inneren Spannung und gemäßigter, aber eindrucksvoller Dynamik. Im 2. Akt setzte Haenchen insbesondere zu den Auftritten Ortruds dezidiert dramatische Akzente. Das Vorspiel zum 3. Akt ließ er mit leichtem Pathos äußerst schwungvoll musizieren. Die Fanfaren aus den Seitenöffnungen des Bühnenraumes erklangen mit perfekter Präzision. Man merkte, wie bei Haenchen immer der Fall, dass hier intensiv und lange geprobt wurde. Da war es auch verständlich, dass er, obwohl das Haus - wohl wegen der Semana Santa - nur schütter besetzt war, mit dem Orchester einen starken Auftrittsapplaus zum 3. Akt bekam.
Klaus Billand 1.5.14
(www.klaus-billand.com)
Fotograf: Javier del Real / Teatro Real
Theatro Real
MESSA DA REQUIEM
14.4.2014
Das war einer der besonderen, der ganz großen Momente im Königlichen Theater (Teatro Real) von Madrid in dieser Saison. Riccardo Muti, Generalmusikdirektor des Chicago Symphony Orchestra und im Jahre 2011 mit dem in Spanien sehr bedeutenden Preis des Principe de Asturias geehrt, kehrte mit zwei Aufführungen des Verdi-Requiems nach Madrid und Toledo zurück. Die Konzerte wurden in Zusammenarbeit mit der El Greco Stiftung zum Gedenken des vor 400 Jahren verstorbenen großen spanischen Malers veranstaltet, in memoriam an den kürzlich verstorbenen Generalintendanten des Teatro Real, Gerard Mortier. Das erste fand am 12. April in der imposanten Kathedrale der von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhobenen Stadt Toledo statt, das zweite auf der Bühne des Teatro Real, vor total ausverkauftem Haus.
Es war der dritte Auftritt von Riccardo Muti am Teatro Real. Im März 2012 dirigierte er hier „I due Figaro“ von Saverio Mercadante und im Mai 2013 „Don Pasquale“ von Gaetano Donizetti. Bei letzterem leitete er das Orchestra Giovanile Luigi Cherubini, ein Jugendorchester mit italienischen MusikerInnen unter 30 Jahren, im Jahre 2004 von Muti selbst gegründet. Es residiert in Piacenza und beim Festival von Ravenna. Die MusikerInnen bleiben nur drei Jahre im Ensemble.
In einer nur als herausragend zu bezeichnenden Aufführung spielten Mitglieder des Orchestra Giovanile zusammen mit dem Orquesta Titular del Teatro Real und dem imposanten Coro Titular del Teatro Real, bestens einstudiert von Andrés Máspero, sowie dem Coro de la Comunidad de Madrid unter der Leitung von Pedro Teixeira Verdis Messa da Requiem. Schon der Auftakt zum 1. Satz Requiem scheint wie von einer anderen Welt, so zart und kaum hörbar beginnen die Violinen mit dem dann in größter Präzision übernehmenden Chor. Das Dies irae erklingt mit bestechender Dynamik und ist dennoch nicht zu laut. Es ist beeindruckend, wie Muti den Kontakt mit den einzelnen Gruppen herstellt, wie in einem ständigen Dialog, mit exakten, aber immer ruhigen, mit größter Souveränität vollführten Handbewegungen. Das Orchester beeindruckt über das ganze Stück durch enorme Transparenz und höchste Musikalität.
Hinzu gesellen sich die durchwegs erstklassigen Stimmen der vier SolistInnen. Tatjana Serjan überstrahlt mit ihrem leuchtenden dramatischen Koloratursopran mühelos die von Muti stets in bestem Einklang mit den Singstimmen geführten MusikerInnen. Die in Moskau gebürtige Ekaterina Gubanova hat nicht nur ganz große Momente mit ihrem tragfähigen Mezzo in Lux aeterna. Der Italiener Francesco Meli verfügt über eine klangvoll timbrierte Tenorstimme, die mit ihrem großen Volumen ebenfalls mühelos über dem Orchester erstrahlt. Der Russe Ildar Abdrazakov besticht mit seinem jugendlich frischen und äußerst kultiviert geführten samtenen Bass.
Die vom Podium ausgehende Spannung dieses exzellenten Ensembles unter so prominenter musikalischer Leitung schien auf das Madrider Publikum überzuspringen. Es lauschte dem Ereignis mit größter Konzentration und spendete am Ende enthusiastischen Beifall - ja wollte die AkteurInnen kaum gehen lassen, bis Riccardo Muti die Seinen schließlich in die Garderobe entließ. Der Applaus dauerte länger als jener zwei Tage zuvor bei der Premiere des neuen „Lohengrin“ an der Wiener Staatsoper…
Klaus Billand 27.4.14
Fotograf: Javier del Real / Teatro Real