DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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OPER TURIN

teatroregio.torino.it

 

 

L'ELISIR D'AMORE                    

Arsenale

Aufführung am 18.6.21 (Premiere am 15.6.)

 

Das Turiner Teatro Regio, das wegen auf Besetzungen Einfluss nehmender Agenturen in einen Skandal geraten ist, wird kommissarisch von Rosanna Purchia geführt, die zuvor schon das Teatro San Carlo in Neapel auf ökonomisch sichere Beine gestellt hatte. Das Haus kann trotz Beendigung der Zugangsbeschränkungen nicht verwendet werden, da die Bühnentechnik einer bedeutenden Erneuerung unterzogen werden muss. (Warum das nicht während des letzten Lockdowns geschehen ist? Das Wiener Burgtheater macht es ja auch nicht anders mit dem Einbau einer Klimaanlage...).

Wie zu hören war, ist es Purchias Verhandlungsgeschick zu verdanken, dass dem Opernhaus ein repräsentativer Spielort für Freilichtaufführungen zur Verfügung gestellt wurde, nämlich der kürzlich renovierte Hof des Arsenals (heute eine Akademie militärischer Ausbildung). Der quadratische Hof des barocken Gebäudes hat eine Seitenlänge von 110 m. Diese Größenordnung mit der Möglichkeit für 2000 Sitzplätze (belegt waren etwa 600) machte den Einsatz von Verstärkern nötig, die aber ausgezeichnet eingestellt waren und die Stimme in keiner Weise verfremdeten, sodass man auch gehauchte Piani genießen konnte.

Die vor einigen Wochen mit derselben Besetzung, aber unter einem anderen Dirigenten per Streaming aus dem Haus übertragene Produktion zeigt ein lebenslustiges, buntes Völkchen, vielleicht nicht immer sehr realistisch, aber angesichts der verflossenen Monate sicher das Richtige für ein sommerliches Publikum. Vielleicht wurde ein wenig viel hin- und hergestoßen (Regie: Fabio Sparvoli), was aber der allgemeinen Heiterkeit keinen Abbruch tat, ebenso wie die Kostüme von Alessandra Torella (speziell eine Art Dirndl für Adina im zweiten Teil des 2. Akts) an „Ich denke oft an Piroschka“ oder Kálmán-Operetten denken ließen. Hübsch das Bühnenbild von Saverio Santoliquido, das im 1. Akt rechts ein Haus mit Terrasse zeigt, von der aus Adina singt und die Nemorino per Leiter betritt. Ein Vogelkäfig, ein Weinfass und Strohballen vervollständigen die Szene, die im 2. Akt, um Mohnblumen bereichert, auf die andere Seite wechselt. Die Szene mit dem „Senator Tredenti“ wird wie in einem Puppentheater gezeigt. Die Mädchen hängen bei ihrem Chor Wäsche auf, Belcore tritt in der Uniform eines Maresciallo à la Vittorio De Sica in seinen „Pane, amore e...“-Filmen auf. Es tut sich immer etwas, und für mit der Oper weniger Vertraute gab es Bildschirme mit italienischem und englischem Text rechts und links von der Bühne.

Die über dem Hof kreisenden Schwalben störten meinem Gefühl nach (Vorstellungsbeginn war um 21 Uhr) keineswegs, sondern bereicherten die Ouvertüre mit ihrem Gezwitscher. Damit sind wir bei den Leistungen von Musikern und Besetzung. Das Orchester des Teatro Regio reagierte mit merklichem Enthusiasmus auf die Vorgaben des Dirigenten Matteo Beltrami (der junge Mann wird übrigens die Saison des Grazer Opernhauses mit der „Forza del destino“ eröffnen). Es kam zu einem, gerade bei einer Freilichtaufführung schwierig zu erzielenden, runden , homogenen Klang, der in den heiteren Episoden gute Laune versprühte und in den lyrischen Stellen (welche Tragik bei „Adina, credimi“!) mit wunderbarer Dringlichkeit daran erinnerte, dass wir es bei Donizettis Meisterwerk nicht nur mit einer oberflächlichen Komödie zu tun haben. Der mit Masken singende Chor des Hauses, einstudiert von Andrea Secchi, nahm gesanglich durch Präzision, szenisch durch große Beweglichkeit, für sich ein.

Ganz ausgezeichnet die Besetzung, von der als Erster Bogdan Volkov zu nennen ist. Der Nemorino des bereits in Salzburg und Wien aufgetretene Ukrainers bestach mit einem tenore lirico-leggero, der aber nie weiß klingt, und einer außergewöhnlichen Kunst der Phrasierung, der nicht nur die verzaubernd klingende „Furtiva lagrima“ (die ohne Falsett auskam und mit grandiosen, echten Piani hinriss), sondern auch Phrasen wie „Dei miei sospiri“ in die dafür nötige berührende Atmosphäre rückte.

Mariangela Sicilia gab mit angenehm lyrischem Sopran und guter Koloratur eine zunächst schnippische, dann sehr berührende Adina, die schon vor dem Duett mit Dulcamara ihre Gefühle für Nemorino zu entdecken begonnen hatte. Der auf einem motorisierten Dreirad eintreffende Quacksalber wurde von Marco Filippo Romano mit volltönender Buffostimme ausgezeichnet gesungen und mit augenzwinkerndem Charme charakterisiert (typisch für diese präzise Darstellung zum Beispiel, wie er auf Nemorinos Mitteilung, „nur“ eine Zechine zu besitzen, reagierte). Der Name seines mit Melone und Zopf ausgestatteten quicklebendigen Begleiters war auf dem Programmzettel leider nicht angegeben. Giorgio Caoduro stellte zwar einen unterhaltsam eitlen Belcore dar, doch klang sein Bariton eher trocken und hart, was sich im zweiten Teil allerdings besserte. Als Giannetta ergänzte Ashley Milanese nicht mehr als korrekt.

 

Langanhaltender, von vielen Bravorufen durchsetzter Applaus.

                 

Eva Pleus 22.6.21

Bilder: Teatro Regio di Torino

 

 

VIOLANTA                         

Aufführung am 26.1. (Premiere am 21.1.)

Italienische Erstaufführung

 

Um das Gedenken an den Holocaust zu begehen, wurde das Werk des jüdischen Komponisten Erich Wolfgang Korngold als italienische Erstaufführung angesetzt. Der Einakter mit einer Dauer von einer Stunde und 20 Minuten wurde vom 17-jährigen (!) Korngold geschrieben, der bei der Vertonung des Librettos von Hans Müller einmal mehr nicht nur seine musikalische, sondern auch seine geistige Frühreife bewies, handelt es sich doch um eine psychologisch diffizile Handlung.

Angesiedelt im Venedig des 15. Jahrhunderts in einem Rahmen, wie ihn auch Korngolds Lehrer Zemlinsky liebte, hat sich Violanta ihrem Ehemann Simone verweigert, seit sich ihre von Alfonso, einem natürlichen Sohn des Königs von Neapel, verführte Schwester Nerina, eine Novizin, aus Scham darüber ertränkte. Sie wird sich Simone erst wieder zuwenden, nachdem er Alfonso getötet hat. Es gelingt Violanta, den umschwärmten Lebemann in ihr Haus zu locken, wo Simone verborgen auf das Zeichen zum Zuschlagen wartet. Im Laufe der Gegenüberstellung muss Violanta allerdings gestehen, dass ihr Hass gegen Alfonso eigentlich Selbsthass ist, weil auch sie ihn liebt. Der entflammte Alfonso will mit ihr fliehen, doch sie gibt Simone das vereinbarte Zeichen und empfängt den für Alfonso bestimmten Dolchstoß, indem sie sich vor den Geliebten wirft. Sterbend versichert sie Simone, sie sei nun wieder seine Frau, denn „frei bin ich von Schuld und Lust!“.

Was durchaus verstiegen klingen kann, wird von Korngold mit einem geradezu uferlosen Meer prachtvoll-sinnlicher post-romantischer Musik umhüllt, das die nervöse Erregung der Epoche (die Oper wurde 1916 in München unter Bruno Walter uraufgeführt) aufs Beste wiedergibt. Die historischen Ungenauigkeiten des Textbuchs spielen da keine Rolle, denn es geht um die dekadente Atmosphäre Venedigs, die auch der im Habsburgerreich zu fühlenden Endzeitstimmung entspricht.

Für ein derartiges Ambiente war Pier Luigi Pizzi als für Regie, Bühnenbild und Kostüme Verantwortlicher der richtige Mann. Der 89-jährige, keine Zeichen von Müdigkeit erkennen lassende, Künstler verlegte die Handlung in die Entstehungszeit der Oper und schuf eine phantastische Glitzerwelt mit einer prachtvollen Robe für die Protagonistin. Durch eine kreisrunde Öffnung im Hintergrund konnte man den Himmel erahnen: hier legten die venezianischen Barken an. Ein Stil, der perfekt zur Musik passte.

Dieser vierten von insgesamt fünf Vorstellungen ging ein kurzes Gespräch zwischen dem Intendanten und künstlerischen Leiter Sebastian F. Schwarz und dem Dirigenten Pinchas Steinberg voraus, da die „Giornata della memoria“ einen Tag später, am spielfreien Montag, stattfand. Steinberg sprach über seine in Polen von den Nazis ausgerottete Familie; dieser Moment war so stark, dass Schwarz darauf verzichtete, sich noch zu Korngold zu äußern.

Am Pult des Orchestra Teatro Regio Torino erwies sich Steinberg als fundierter Kenner der Musik Korngolds, die so viel von Richard Strauss und seinen Werken in sich aufgesogen hat. Die Titelrolle wurde von der Holländerin Annemarie Kremer mit Leidenschaft und souveränem Gesang erfüllt. Ihr runder Sopran besitzt überzeugend explodierende Spitzentöne. Ihren steifen, der soldatischen Disziplin hörigen Ehemann gab Michael Kupfer-Radecky mit geboten trockenem Bariton. Als Alfonso kämpfte Norman Reinhardt mit so mancher Höhe, wie sie von Strauss gern ungeliebten Tenören vorgeschrieben wurde, sang im Ganzen aber sehr anständig und hatte auch die richtige Physis für den Filou. Peter Sonn enttäuschte mit schwachem Tenor als Maler Giovanni Bracca, der mit weinlaubumkränztem Haar alle Beteiligten in den orgiastischen Genuss des Karnevals zu ziehen versucht. Mit schönen Mezzotönen bestach Anna Maria Chiuri als besorgte Amme Barbara. Als Magd Bice fiel die griechisch-kanadische Sopranistin Soula Parassidis positiv auf. Joan Folqué, Cristiano Olivieri, Gabriel Alexander Wernick, Eugenia Braynova und Claudia De Pian ergänzten zufriedenstellend in den Episodenrollen. Bestens auch der Klang des im Off singenden Chors des Hauses unter Andrea Secchi.

Lang anhaltender Beifall ließ auf ein beeindrucktes Publikum schließen.        

 

Eva Pleus 5.2.20

Bilder: Edoardo Piva / Teatro Regio di Torino

 

 

 

Ferdinando Paer

AGNESE

Teatro Regio am 17.3.2019

 

Inmitten einer hinsichtlich der Titel eher wenig origineller Saison fand sich diese Rarität von  (1771-1839). Zunächst sei gleich geklärt, dass die hier verwendete Schreibweise korrekt ist, denn es waren die Franzosen, die den in Paris erfolgreichen Komponisten aus Parma Paër tauften, um die Verschmelzung von „a“ und „e“ zu vermeiden, zu der es im Italienischen gar nicht kommt.

Doch genug der Linguistik. Paers Werke waren auch einige Jahrzehnte nach seinem Tod noch sehr populär, um dann dem Vergessen anheim zu fallen. Napoleon, der die Werke Paisiellos und der neapolitanischen Schule im allgemeinen liebte, warb den Italiener aus Dresden ab und machte ihn zu seinem Hofkapellmeister. „Agnese“ entstand 1809 während der napoleonischen Herrschaft, aber Paer war auch später, nämlich bis 1827, Leiter des Pariser Théâtre-Italien, wo er viel für die Verbreitung der Werke Rossinis und Donizettis tat.

„Agnese“ wird als Paers Hauptwerk betrachtet, was gute Gründe hat, denn obwohl seine Musik auf der von Paisiello und Cimarosa fußt, kann sie zum Teil doch als erste kleine Brücke zur Romantik betrachtet werden. Lässt die besonders qualitätvolle Ouverture speziell an die zur „Hochzeit des Figaro“ denken, so gibt sie in der ersten Szene einen Gewittersturm in durchaus realistischer Weise wieder, ebenso wie die Darstellung eines verwirrten Geistes und die häufige Arienbegleitung durch Klarinette oder Fagott. Die Handlung erzählt nämlich, dass Agnese mit Ernesto, ihrem zukünftigen Ehemann, durchgebrannt ist, was bei ihrem Vater Uberto zu solcher Verwirrung führte, dass er in ein Irrenhaus kam. Die Oper zeigt uns auf sehr moderne Weise, wie durch Erinnerung (vor allem musikalischer Art) der Patient wieder geheilt werden kann. Interessant ist dabei auch, dass Uberto Agneses Flucht verdrängt hat und vermeint, sie sei in seinen Armen gestorben, weshalb er immer auf der Suche nach ihrem Grab ist.

Nun ist aber zu sagen, dass die Oper auf der Komödie „Agnese di Fizendry“ von Filippo Casari beruht, die ihrerseits eine Dramatisierung des Romans „The Father and Daughter“ der Britin Amelia Opie ist. Daraus machte der Librettist Luigi Buonavoglia ein zweiaktiges dramma semiserio. Dabei muss bedacht werden, dass die Welt Geistesgestörter zur Entstehungszeit der Oper noch durchaus auch als Quell der Heiterkeit betrachtet wurde. Etwas, dass für uns heute - auch ohne political correctness - völlig inakzeptabel ist. Das heitere Element wird durch Don Pasquale (Bassbuffo), den Leiter des Irrenhauses, verkörpert, während sein Oberarzt Don Girolamo im Auftreten zwar karikiert wird, aber in seiner fortschrittlichen und letztlich geglückten Behandlungsmethode gute Figur macht.

Das Bühnenbild von Federica Parolini umging die Tatsache des häufigen Szenenwechsels, indem sie zwei Würfel schuf, die je nach Szene aufgeklappt wurden und uns die Zelle Ubertos, das Büro Don Pasquales oder Ubertos Wohnzimmer zeigt, als er zwecks Heilung in die eigenen vier Wände zurückkehren darf. Daneben gab es einen eindrucksvollen Wald für die umherirrende Agnese und für das Happyend die Darstellung eines schönen Gutshofs, alles in der pointierten Beleuchtung von Alessandro Verazzi. Überzeugend auch die Kostüme von Silvia Aymonino, die für Protagonisten wie Personal charakterisierend ausgefallen waren. Die Regie von Leo Muscato verlegte die Handlung in nicht näher definierte neue Zeiten, die allerdings mehr oder weniger an die Mitte des vorigen Jahrhunderts denken ließen. Der Auftritt des von Andrea Secchi bestens einstudierten Chors im Gewitter auf der Suche nach Agnese erfolgte mit transparenten Regenschirmen, Ernestos Verzweiflung und Treueschwüre wurden durch übertriebene Gestik karikiert, was seine Aufrichtigkeit ein wenig in Zweifel zog. (Agnese war nämlich zurückgekehrt, weil sie von Ernesto betrogen worden war). Der im Libretto aus Bauern und Bäuerinnen bestehende Chor wurde bei Muscato in einem Bild zu (weiblichen) Insassen und (männlichen) Ordensschwestern, wodurch der Chor einerseits ein deutlicheres Profil bekam, der Zustand der Irren hingegen auf eine Weise konterkariert wurde, die sie nicht der Lächerlichkeit preisgab.

Ausgezeichnet war die Leistung des Orchesters des Hauses unter der Leitung von Diego Fasolis, der das Werk in der kritischen Ausgabe von Giuliano Castellani erstmals 2008 konzertant im Radio der Italienischen Schweiz vorgestellt hatte. Das Dirigat von Fasolis war von beeindruckender Duftigkeit und ließ trotz gewisser Längen (die reine Musik dauert, ohne die Pause zu kalkulieren, rund 2 Stunden und 45 Minuten) niemals Langeweile aufkommen. In der Titelrolle war Maria Rey-Joly zu hören, die sich in Spanien in erster Linie einen Namen als Zarzuela-Sängerin gemacht zu haben scheint, die mit unbefangenem Spiel und guter stimmlicher Leistung gefiel. Ihr Sopran beeindruckte auch in dramatischen Höhen, während die untere Mittellage etwas schmal wirkte. Ausgezeichnet war Markus Werba als Uberto, dem es gelang, den aus Kummer verrückt Gewordenen sehr berührend darzustellen und dabei mit ohne hörbare Registerwechsel strömendem Bariton zu überzeugen. Der ungetreue Ehemann Ernesto hat die am meisten fordernden virtuosen Arien zu singen. Edgardo Rocha tat dies nach kleinen Wacklern in seinem ersten Auftritt sehr überzeugend und war auch ein hinreißend unglaubwürdiger „Bereuer“. Als Don Pasquale war Filippo Morace ein überaus überzeugender Buffo, denn er servierte seine Pointen sozusagen nebenbei und verfiel nie ins Outrieren. Der Charaktertenor von Andrea Giovannini passte ausgezeichnet zum Arzt Don Girolamo, und auch der Bass Federico Benetti als Aufseher über die kranke Schar stand auf seinem Posten. Die beiden kleineren Rollen der Carlotta, Tochter von Don Pasquale, und der Zofe Vespina blieben in der Gestalt von Lucia Cirillo (Mezzo) und Giulia Della Peruta (Sopran) hinsichtlich Spielfreude in der Erinnerung, letztere auch mit einer bestens absolvierten Koloraturarie. Die phantasievolle Begleitung der Rezitative am Cembalo durch Carlo Caputo sei gerne noch erwähnt.

In der Pause verließen einige Abonnenten die Vorstellung, aber der Großteil des Publikums feierte alle Beteiligten mehr als

herzlich. 

                                                            

Eva Pleus 21.3.2019

Bilder (c) Teatro Regio

 

 

 

I LOMBARDI ALLA PRIMA CROCIATA 

Aufführung am 22.4.18 (Premiere am 17.4.)

Erfreulich konservativ

Giuseppe Verdis vierte Oper sollte nach dem Willen der Auftraggeber den Spuren von „Nabucco“ folgen, dem Werk, mit dem der Komponist nicht nur seinen endgültigen Durchbruch, sondern einen wahren Triumph gefeiert hatte. Obwohl Verdi diesem Auftrag folgte, indem für das Libretto wieder Temistocle Solera herangezogen wurde, ebenso wie die Wahl wieder auf ein historisches Sujet fiel und mit „O signore, dal tetto natio“ ein Chor entstand, der dem „Va' pensiero“ in keiner Weise nachstand, kann die Weiterentwicklung des Komponisten wunderbar verfolgt werden. Die Figuren haben an persönlichen Farben gewonnen, sind als Individuen gesehen. Obwohl die auf dem Versepos von Tommaso Grossi (der seinerseits eine Episode aus Torquato Tassos „Gerusalemme liberata“ als Grundlage für sein Werk nahm) fußende Dramaturgie in den vier Akten relativ viele kurze Bilder vorsieht, spannt sich doch schon ein großer musikalischer Bogen vom 1. Akt, der vor der Mailänder Kirche Sant'Ambrogio spielt, bis zum letzten Bild, in dem der reuige Vatermörder Pagano noch das von den Kreuzfahrern zurückeroberte Jerusalem sehen kann, bevor er seine Seele aushaucht.

Im Teatro Regio wurde das Werk 1843 erstmals gegeben, im selben Jahr der Uraufführung an der Scala, aber seit 1926 (!) nicht mehr. Diese Koproduktion mit Liège/Lüttich füllte also eine bedeutende Lücke und tat dies mit einer Produktion, die für das Auge äußerst erfreulich war. Ich kenne die Arbeiten von Stefano Mazzonis di Pralafera, dem Intendanten und künstlerischen Leiter der Opéra de Wallonie, durch meine Tätigkeit als Übersetzerin von Untertiteln (man verzeihe die private Anmerkung), womit ich schon wusste, dass wir es mit einer konservativen Inszenierung zu tun haben würden. Auch hier wurde man nicht enttäuscht, denn das Bühnenbild von Jean-Guy Lecat hatte sehr viel Atmosphäre, ließ sich aber auch leicht von einer Mailänder Piazza in den Hof eines Harems verwandeln. Eine Augenweide waren die Kostüme von Fernand Ruiz; nur ein paar seltsame Kopfbedeckungen wirkten etwas bizarr. Geregelte Auf- und Abtritte von Chor und Solisten machten Freude, wobei nur ein gar sehr rhythmisches Speerschütteln im Anblick des Feindes übertrieben war. Im Ganzen handelte es sich aber um eine ästhetisch besonders erfreuliche Produktion, und man war dankbar, dass angesichts der Lage im Vorderen Orient eine „aktuelle“ Auseinandersetzung zwischen Christen und Musulmanen (also dem Islam) vermieden wurde.

Musikalisch war die Wiedergabe überhaupt ein Fest. Michele Mariotti, für mich zweifellos der Bedeutendste des italienischen Dirigentennachwuchses, gab dem jungen Verdi, was des jungen Verdi ist, wobei er mit dem Orchester des Hauses aber niemals Eindruck von m-ta-ta bewirkte, sondern den frischen, vorwärts drängenden Klang eines jungen Genies hören ließ. Auch der von Andrea Secchi einstudierte Chor machte mit Volumen ebenso Eindruck wie mit raffinierter Tongebung.

Die in Italien schon heiß erwartete Angela Meade wurde ihrem Ruf gerecht und sang eine hinreißende Giselda. Eine Sopranstimme, die über das gesamte Spektrum eine homogene Farbe aufweist, die sovracuti und Intervallsprünge des jungen Verdi problemlos meistert – ein echter Spintosopran mit guter Aussprache und exzellenter Phrasierung. Ihr einziges, aber heutzutage leider wichtiges Handicap ist angesichts der heute verlangten visuellen Eigenschaften ihre Körperfülle. Als Vatermörder und in der Wüste büßender Pagano war Alex Esposito zu hören, der neben seinem interessanten Bassbariton exzellentes schauspielerisches Talent ins Feld führen kann. Ein (unnötigerweise) eingelegter Spitzenton am Schluss seiner Cabaletta zeigte allerdings die Grenzen seiner vokalen Möglichkeiten im dramatischen Bereich auf.

In der lyrischen Tenorrolle des Oronte glänzte Francesco Meli trotz eines kleinen Ausrutschers in „La mia delizia diffondere“. Seine Mutter Sofia wurde von Alexandra Zabala mit innigem Sopran verkörpert. Arvino, Bruder Paganos und Heerführer der Lombarden, litt unter einer offensichtlichen Indisposition des Tenors Giuseppe Gipali. Als Wendehals Pirro ließ der junge Bass Antonio Di Matteo aufhorchen. Lavinia Bini ergänzte solide als Arvinos Gattin Viclinda, was auch für Giuseppe Capoferri als Orontes Vater gilt. Peinlich die paar Phrasen des Tenors Joshua Sanders als Prior von Mailand.

Große Begeisterung und viele Bravorufe des Publikums vor allem für Meade und Mariotti, gefolgt von Meli und Esposito.                                                                

Eva Pleus 27.4.18

Bilder: Ramella&Giannese / Teatro Regio Torino

 

 

SAMSON ET DALILA

Aufführung am 20.11.16

(Premiere am 15.11.)   

Zwischen Ästhetik und Kitsch

Nach einer von der Fura dels Baus verantworteten „Bohème“ war das Werk von Camille Saint-Saëns der zweite Titel der Saison 2016/17 in Turin. Allerdings war diese Neuinszenierung bereits 2015 in China zu sehen gewesen, weil es sich um eine Koproduktion mit dem China National Centre for the Performing Arts handelte.

Diese Tatsache hatte sichtbare Auswirkungen auf die ästhetische Gestaltung, denn Regisseur Hugo De Ana entsprach in den von ihm selbst entworfenen Bühnenbildern und Kostümen dem Wunsch der Chinesen nach Aufwand und Farbigkeit. So gab es neben sehr schönen, durch Videos von Sergio Metalli und die Beleuchtung von Vinicio Cheli unterstützten Bildern auch solche, die die Grenze zum Kitsch überschritten. Unter den ersteren fand sich gleich das Eingangsbild mit den klagenden Hebräern, die sich an eine Tempelmauer schmiegten und erst langsam Form gewannen, oder das zeltartige Gemach Dalilas und auch der Tempel vor seinem Einsturz im 3. Akt.

Zu letzteren gehörten die seltsam, wie eine Art Blumenmädchen, gewandeten Begleiterinnen der Dalila, die sich in einer wenig prägnanten Choreographie von Leda Lojodice bewegen mussten, was den Choristinnen merklich nicht leicht fiel. De Ana arbeitet für Balletteinlagen immer mit dieser Künstlerin zusammen, eine Wahl, die mich noch nie überzeugt hat. Auch das Bacchanale im 3. Akt geriet – wie fast immer, wenn in der Oper Orgien darzustellen sind – eher peinlich, was durch fröhlich hin- und herschwingende umgeschnallte Penisse noch verschärft wurde. Ansonsten waren die Kostüme für den in Hebräer und Philister geteilten Chor passend; Samson zeigte sich in eher zeitloser Aufmachung, Dalila war wunderschön gewandet, und das prachtvollste Kostüm trug Abimelech, der Satrap von Gaza.

Darstellerisch wurde von den Sängern nicht viel verlangt, was zum Teil auch auf die in dem Werk selbst liegende Statik zurückzuführen sein mag. Ungeschickt inszeniert waren die Ermordung Abimelechs durch die Hebräer, denn er wurde schlicht vom Pferd gestoßen, sowie vor allem der Moment, als sich Samson Dalilas Liebeswerben ergibt, denn da geht er einfach von der Bühne ab, während die Verführerin hoch oben wie an einem Fenster zu sehen ist.

Im Ganzen war es dennoch eine Erholung für das von Schutt und Gerümpel jeder Art in so vielen Inszenierungen beleidigte Auge des Opernliebhabers, wobei der positive Eindruck durch die musikalische Seite noch verstärkt wurde. Pinchas Steinberg setzte mit dem Orchester des Hauses Maßstäbe, so intensiv wurde jede der der Partitur innewohnenden Stimmungen realisiert, von der dumpfen Verzweiflung der Hebräer über die heroischen Appelle Samsons bis zu den sinnlich-flirrenden Verführungskünsten der Dalila. Diese war für Daniela Barcellona in dieser Serie ein Rollendebüt. Sicher fehlen diesem ausgezeichneten Mezzosopran die reichen Tiefen einer Altstimme, aber sie wurde der Rolle gesanglich gerecht, obwohl mir schien, als habe die sichtlich erschlankte Sängerin mit den Kilos auch etwas an Stimmvolumen verloren. Großartig in Form war Gregory Kunde, der die dramatischen Appelle an sein Volk ebenso souverän beherrschte wie die Tragik seiner Arie im letzten Akt und außerdem sensationell zart sein dreimaliges „Dalila, je t'aime“ zu platzieren verstand – eine für einen Spintotenor mehr als beachtliche Leistung.

Claudio Sguras leicht angerauhter Bariton passte gut zum Hohepriester des Dagon, den er im Duett des 2. Akts mit Dalila sehr dramatisch interpretierte. Ihm ist allerdings eine sehr schlechte Aussprache des Französischen vorzuwerfen. Wenig furchterregend klang Andrea Comelli als Abimelech, während Sulkhan Jaiani als Alter Hebräer Samson sehr nachdrücklich vor Dalila warnte. In Kleinstrollen ergänzten Roberto Guenno, Cullen Gandy und Lorenzo Battagion. So stimmstark wie nuanciert war der von Claudio Fenoglio einstudierte Chor des Hauses zu hören. Viel Jubel eines begeisterten Publikums am Schluss; Steinberg wurde richtigerweise besonders gefeiert                                                                                                          

Eva Pleus 28.11.16

Bilder: Ramella e Giannese / Teatro Regio Torino

 

 

NORMA

Aufführung am 26.7.15

(Premiere am 12.7.) 

Zwischen Turin und Mailand liegen 140 km, die aber mit den neuesten Hochgeschwindigkeitszügen in 40 Minuten überwunden werden können. Das veranlasste die Leitung des Teatro Regio, nach Beendigung der eigentlichen Saison weitere vier Titel je viermal anzusetzen, um damit Besucher der Mailänder Weltausstellung anzulocken. Diese letzte Vorstellung von Bellinis Meisterwerk beschloss das Unternehmen (die anderen Titel waren „Traviata“, „Bohème“ und „Barbier von Sevilla“).

Und welch musikalisch großartige Aufführung im nicht ganz vollen Haus („Norma“ ist ja eindeutig weniger populär als die zuvor genannten Werke)! Manchmal mache ich mir Sorgen um die junge Maria Agresta, die nicht nur eine rasche Karriere macht, sondern auch in beängstigender Geschwindigkeit neue Rollen in ihr Repertoire aufnimmt. Die Sorge scheint zur Zeit unbegründet, denn wir hörten eine stimmtechnisch perfekte Verkörperung der Titelrolle, die von der Sängerin mit höchster Präzision der musikalischen Vorgaben interpretiert wurde. Es ist dies immerhin die anspruchsvollste Partie des italienischen Belcantorepertoires, und sie wurde von dieser wunderbar timbrierten, ebenmäßigen Sopranstimme in vollkommener Schönheit zu Gehör gebracht. Da es sich um eine Produktion aus 2002 handelte (die angenehm konservative Regie des verstorbenen Alberto Fassini wurde in der hinsichtlich des Bühnenbilds mit seinen verschiebbaren Felsenteilen überzeugenden, bei den Chorkostümen etwas sehr altmodischen Ausstattung von William Orlandi von Vittorio Borrelli betreut), die in Turin auch 2012 zu sehen war, gab es merklich keine besonderen schauspielerischen Tipps für die Sänger.

Nun ist Maria Agresta keine geborene Schauspielerin, macht nichts falsch, bringt aber auch nichts Neues, sodass ihre vokale Leistung, mit der sie alle Nuancen von Liebe, Hoffnung, Verzweiflung, Hass interpretierte, doppelt zählt. Ihr zur Seite Veronica Simeoni, die ihren Mezzo genau auf Agrestas Stimmfarbe abstimmte, sodass die Duette Norma-Adalgisa zu einem solchen Fest für die Ohren wurden, dass man als Zuhörer nicht genug davon bekommen konnte. Zudem ist Simeoni mit ihrer zauberhaften Erscheinung die ideale Verkörperung der verliebten Priesterin. Einen heldischen Pollione, dem aber im Duett mit Adalgisa auch schöne Pianophrasen zur Verfügung standen, sang Roberto Aronica (von dem man sich bei seinem kommenden Otello-Debüt einiges erwarten darf). Riccardo Zanellato gab einen nicht mehr als passablen Oroveso, Andrea Giovannini einen auffallend beteiligt klingenden Flavio. Als Clotilde klang Samantha Korbey unsicher und dumpf. Hätte es für die Rolle keine italienische Sängerin gegeben?

Der von Claudio Fenoglio einstudierte Chor kann in seiner potenten Sangesfreude und musikalischen Präzision nicht genug gelobt werden. Roberto Abbado am Pult machte es den Sängern nicht immer leicht, wenn er in Bellinis langen Melodiebögen schwelgte (und dafür den „Guerra“-Chor äußerst rasant nahm). Im Ganzen legte er aber eine gute Interpretation vor.

Riesiger Jubel dankte für diese ergreifend schöne Vorstellung.

Eva Pleus 28.7.15

Bilder: Ramella & Giannese / Teatro Regio di Torino

 

 

EINE FLORENTINISCHE TRAGÖDIE

GIANNI SCHICCHI

Aufführung 30.3.2014   (Premiere 21.3.2014)

Florenz im Doppelpack am Teatro Regio

Die diese zu einem Diptychon vereinten Werke von Alexander Zemlinsky und Giacomo Puccini umspannende Klammer ist natürlich zunächst Florenz als Ort der Handlung, aber auch eine verwandte Tonsprache, die in ihrer Modernität die Spätromantik überwunden hat, sich aber auch der Atonalität und der Zwölftontechnik verweigert. Somit war es eine brillante Idee des Turiner Opernhauses, die beiden Einakter zusammenzuspannen.

Für beide Stücke war dasselbe leading team tätig: Bei Zemlinsky war ein mit Hauptbüchern für den Händler Simone gefülltes Zimmer zu sehen, durch dessen Fenster, während sich die Dramatik der Handlung immer mehr zuspitzt, langsam die im Textbuch erwähnten Mondstrahlen dringen. Für Puccini war ein mit schwerem, quasi altdeutschem Mobiliar eingerichtetes Zimmer zu sehen (Bühnenbild: Saverio Santoliquido und Claudia Boasso, Beleuchtung und Video-Effekte: Vladi Spigarolo). Die modernen, durchaus angemessenen Kostüme (Frack bzw. elegantes Négligé im ersten Teil, undefinierbar moderne Kleidung und teils erheiternd bizarre Perücken im zweiten) stammten von Laura Viglione.

Ausgezeichnet war auch die Regie von Vittorio Borrelli, der die Sänger bei Zemlinsky wie unter elektrischer Spannung stehen ließ (wobei auch die vom Fechtmeister Luca Zilovich einstudierte Duellszene besonders hervorgehoben sei). Bei Puccini hatte der Regisseur seine Sänger zu höchst individuellem, unterhaltsamem Spiel angehalten, das ohne billige Gags ausgesprochen erheiternd umgesetzt wurde. Dass Rinuccio Buosos Testament ausgerechnet im Bett des Verstorbenen unter der Matratze findet, war ein weiterer netter Einfall.

Stefan Anton Reck erwies sich als idealer Sachwalter für Zemlinsky. Unter seinen formenden Händen blühte die Musik in authentisch expressionistischem Taumel, und das Orchester des Hauses spielte sie mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre sie sein täglich Brot. Sozusagen braver geriet die Interpretation bei Puccini, manches hätte noch beißender, schärfer klingen dürfen, aber es war in jedem Fall eine gute Interpretation.

Die zentrale Rolle des betrogenen Ehemanns Simone in der „Florentinischen Tragödie“ wurde von dem farbigen Bariton Mark S. Doss mit bester Diktion eindringlich verkörpert. Ich hatte den Sänger in Rollen des laufenden Repertoires bisher nicht sehr geschätzt, aber hier, wo es um eindringliches und stimmlichen Nachdruck forderndes Deklamieren ging, war er richtig am Platz. Ähnliches kann von Zoran Todorovich gesagt werden, der bei Komponisten wie Verdi zu keinem Legato findet. Hier war er bestens eingesetzt und schickte seine Stentortöne überzeugend in den Raum. (Wäre die Rolle länger, hätte durchaus auch hier Ermüdung eintreten können). Am wenigstens zu singen hat die ungetreue Gattin Blanca, die von Ángeles Blancas Gulín nicht sehr wortdeutlich, aber mit der richtigen sinnlichen Ausstrahlung gegeben wurde.

Geradezu luxuriös war die Besetzung der Hauptrollen bei Puccini: Francesco Meli, immerhin Salzburgs kommender Manrico, sang einen Rinuccio der Extraklasse, wird die Rolle doch meist nolens volens mit weißen Piepsern besetzt. Dazu ist „Firenze è un albero fiorito“ eine undankbare, aber schwierige Arie. Das gilt nicht für Laurettas populäres „O mio babbino caro“, das von Melis Gattin im Privatleben, Serena Gamberoni, jedenfalls entzückend und klarstimmig gesungen wurde. In der Titelrolle war Alessandro Corbelli zu bewundern, der dem pfiffigen Florentiner rührend väterliche Züge verlieh und stimmlich überzeugte, ohne zu forcieren oder in allzu starke Karikatur zu verfallen. Als Zita, die kämpferischste von Buosos Erben, überzeugte Silvia Beltrami, und aus den zahlreichen Vertretern der übrigen Sippschaft seien zumindest der Bass Gabriele Sagona als Simone, der doch einmal Bürgermeister in Fucecchio war, und Fabrizio Beggi als der ärmliche Verwandte Betto di Signa hervorgehoben. Stimmlich aus dem Rahmen fielen nur die sirenenartigen Töne von Laura Cherici als Ciesca.

Riesenerfolg für beide Teile dieses letzten Abends der Serie.                    

Eva Pleus                  Photos: Ramella&Giannese ©Teatro Regio Torino

 

 

 

L’ELISIR D’AMORE

am 30.6.13

Die Saison in der Hauptstadt des Piemont endete mit einer zurecht gefeierten Produktion von Donizettis entzückendem melodramma giocoso, war das Werk doch in drei der vier Hauptrollen exzellent besetzt. Die Krone gebührt Francesco Meli, der dem Nemorino die ganze Schönheit seines so schmelzreichen Tenors schenkte, und dessen Stimme außerdem in der Lage war, sämtliche agogischen Vorschriften des Komponisten zu befolgen und damit eine wahre Lektion an gesanglicher Kunst zu bieten. Dazu spielte er mit einer Lockerheit, die ihm in anderen Opern nicht immer eigen ist und porträtierte einen in seiner Naivität wirklich liebenswerten Burschen. Mit Désirée Rancatore stand ihm eine Adina mit überaus geläufiger Gurgel zur Seite, der recht rasch bewusst wurde, welchen Schatz sie in diesem Nemorino hat. Der Jubel des als recht zurückhaltend bekannten Turiner Publikums war so groß, dass der Tenor die „Furtiva lagrima“ und der Sopran das Schlussrondo wiederholen musste. Spontanen Beifall gab es auch nach der großartigen Fermate Melis bei „Dulcamara vado tosto a ricercar“ in seinem Duett mit Belcore. An sich ist es ja nicht das Wahre, wenn in die Musik hineingeklatscht wird, aber dieser strahlende Ton riss einem förmlich den Applaus aus den Händen.

Als von sich eingenommener, aber letztlich doch sympathischer Belcore (der sich am Schluss Giannetta angelt) war Fabio Maria Capitanucci mit seinem flexiblen, warm timbrierten Bariton ein weiteres As dieser Besetzung. Etwas weniger überzeugend fiel der Dulcamara von Nicola Ulivieri aus, der (abgesehen von ein paar zerquetschten Spitzentönen) recht anständig sang, aber Charisma vermissen ließ. Die Figur in überzeugender Maske mit üppigem schwarzem Haar und ebensolchem Schnurrbart hätte überzeugender ausfallen dürfen. Eine szenisch entfesselte Giannetta mit hübscher Stimme war Annie Rosen. Die stumme Rolle eines Helfers von Dulcamara wurde mit Verve und großer körperlicher Beweglichkeit von Mario Brancaccio verkörpert.

Das Orchestra del Teatro Regio wurde von Giampaolo Bisanti geleitet, der eine gute Leistung erzielte, auch wenn die Blechbläser etwas weniger laut klingen hätten dürfen. Am Fortepiano waltete Luca Brancaleon mit Sicherheit seines Amtes. Der von Claudio Fenoglio einstudierte Chor erwies sich als schönstimmig und auffallend spielfreudig.

In ihrer Buntheit und hübschen Ländlichkeit erinnerten das Bühnenbild (Saverio Santoliquido) und die Kostüme (Alessandra Torella) ein wenig an die gute alte Schenkinszenierung in Wien. Es war eine Freude, die hübsch aufeinander abgestimmten Farben zu sehen, wobei auch die Lichtregie von Andrea Anfossi ihre Meriten hatte. Regisseur Fabio Sparvoli hatte viele nette Ideen, wie z.B. die auf der Terrasse ihres Hauses aus ihrem Buch vorlesende Adina, wobei Nemorino auf einer Leiter verzückt zuhört, oder das von Adina und Dulcamara wie auf der Bühne eines Kasperltheaters vorgetragene Liedchen von der Gondoliera und dem Senator. Wenn manches etwas derb geriet, so war dies wohl auch darauf zurückzuführen, dass die gut gelaunten Sänger bei dieser die Saison beschließenden Vorstellung dazu neigten, etwas auf die Tube zu drücken. Jedenfalls eine hübsche Produktion mit bedeutenden gesanglichen Leistungen.                                    

Eva Pleus                                     Bilder: Copyright Theatro Regio

 

 

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