NABUCCO
11.03.2017
Zu den grössten Freuden eines musikbegeisterten Operngängers gehört die Entdeckung vielversprechender junger Stimmen. Eine solche Entdeckung gab es gestern Abend im Theater St.Gallen zu erleben: Tareq Nazmi als hebräischer Priester Zaccaria in Verdis Frühwerk NABUCCO. Der in Kuwait geborene Bassist begeisterte mit seinem profunden, in allen Lagen herrlich sonor ansprechenden Organ. Er besitzt eine farbenreiche Stimme, welche über die geforderte volle und schwarze Tiefe, die Trost spendende Sanftheit, aber auch über die mitreissende Kraft des starken Glaubens verfügt.
So zählten denn seine Auftritte zusammen mit den phänomenal singenden Chören (Chor des Theaters St.Gallen und Opernchor St. Gallen, einstudiert von Michael Vogel) zu den Höhepunkten eines an musikalischen Effekten reichhaltigen Opernabends. Nur schon die Ouvertüre (vom jungen Verdi etwas gar „billig“ im anbiedernden Potpourri-Stil komponiert) geriet unter der Leitung des neuen ersten Kapellmeisters des Theaters St.Gallen, Hermes Helfricht, zu einem vorwärtsdrängenden, überaus präzise ausmusizierten Kleinod und dieser erste Eindruck bestätigte sich im Verlauf des Abends. Die manchmal etwas simplen orchestralen Begleitfiguren des jungen Komponisten (NABUCCO war seine dritte Oper) füllten sich unter der Leitung Helfrichts mit organischer Kraft und erklangen frei von Banalität.
Das Sinfonieorchester St.Gallen spielte mit vortrefflich austarierter Transparenz, begeisterte mit herrlichen Instrumentalsoli (Cello, Flöte, Englischhorn), sattem, sauberem Blechbläserklang, Genauigkeit im rhythmischen Ablauf und in der Koordination mit der Bühnenmusik. Hermes Helfricht gelang es vorzüglich, den musikalischen Spannungsbogen nicht abreissen zu lassen, sein Dirigat war zielgerichtet, aber nie überhastet. Man darf zu Recht auf weitere Opern-Einstudierungen des jungen Dirigenten (Jahrgang 1992!) gespannt sein! Die Titelrolle wurde von Damiano Salerno mit etwas herb, aber schön hell timbriertem Bariton gesungen. Mit seiner lebhaften Phrasierung vermochte er den komplexen Charakter des babylonischen Königs musikalisch eindringlich zu gestalten, dessen Wandlung vom selbstherrlichen Potentaten zum mitfühlenden Konvertiten mit Plausibilität zu evozieren.
Den Aufstieg und Fall seiner herrschsüchtigen „Tochter“ Abigaille (die in Wirklichkeit das Kind von Sklaven ist) stellte Raffaella Angeletti mit grandioser stimmlicher Potenz und beeindruckender Substanz in der Tiefe dar, bewältigte die mörderische Partie mit stupender Sicherheit. Dabei erklangen bei ihr nicht nur metallisch gleissende, dem Charakter angepasste „ordinäre“ Töne, sie verfügte auch über fragile Piani, welche Selbstzweifel, unerwiderte Liebe und am Ende, nach der Einnahme des Giftes, die Bitte um Vergebung auszudrücken in der Lage waren. Die echte Tochter Nabuccos, Fenena, wurde von Susanne Gritschneder mit interessant gefärbtem Mezzosopran verkörpert, für einmal eine Fenena, die nicht einfach die brave, weichstimmig einschmeichelnde Konvertitin, sondern eine Frau mit emanzipatorischem Potential ist. Von schöner Leuchtkraft erfüllt sang sie das herrliche Arioso „Oh dischiuso è il firmamento“ im Finale.
Ihr Geliebter Ismaele hat leider von Verdi nicht allzu viele „Noten“ erhalten, schade eigentlich, denn Demos Flemotomos ist ein ganz ausgezeichneter, hellstimmiger Tenor, der seine stimmlichen Fähigkeiten in den wenigen Szenen effektvoll einzusetzen wusste, etwa im Terzett im ersten und in der imponierenden „Gerichtsszene“ im zweiten Teil. Nabucco hatte im Abdallo von Nik Kevin Koch einen treuen Gehilfen mit starker Bühnenpräsenz zur Seite, Abigailles Verbündeter war der Gran Sacerdote von Tomislav Lucic. Aufhorchen liess Tatjana Schneider in der Minirolle von Zaccarias Schwester Anna: Mit glockenreinen Spitzentönen krönte sie die Ensembleszenen der Hebräer.
Über die Inszenierung von Emilio Sagi würde man eigentlich gerne den Mantel des Schweigens ausbreiten – sie findet schlicht nicht statt. Dieser NABUCCO ist eine Koproduktion der Ópera de Oviedo, des Teatro Jovellanos de Gijón, des Theaters St. Gallen, des Baluarte de Pamplona und des Teatre Principal de Palma. Die Premiere fand im Oktober 2015 in Oviedo statt.
Der Einheitsbühnenraum von Luis Antonio Suárez mit seinen wuchtigen Mauern wäre durchaus brauchbar für eine Inszenierung des NABUCCO, auch die Lichtgestaltung von Eduardo Bravo und Alfonso Malanda ist stimmungsvoll. Was gar nicht überzeugte, waren die hässlichen und die Protagonisten überaus unvorteilhaft erscheinen lassenden Alltagskostüme von Pepa Ojanguren. Doch selbst darüber hätte man noch hinwegsehen können, wenn auf der Bühne etwas erzählt worden wäre. Dem war nicht so. Unbeholfenes Herumstehen, Teilnahmslosigkeit (Abigaille stets mit verschränkten Armen und Blick nach unten...), von Personenführung oder Charakterisierung keine Spur. Zur Ouvertüre strömen nach und nach Menschen auf die Bühne, lesen die hebräischen (?) Schriftbahnen wie im Museum und scheinen sich dann so in die Geschichte hineinzuleben. Der Ansatz wäre eigentlich nicht schlecht, um die Allgemeingültigkeit von Selbstüberhebung, Religionsfanatismus und deren Auswirkungen zu unterstreichen. Was dann aber folgt ist irgendwie Laientheater, mit den peinlichen Höhepunkten des ersten Auftritts Nabuccos im Tempel und des Hantierens mit einem roten Zwischenvorhang während des Gefangenenchors. Als Zuschauer vermag man keine Empathie mit den Protagonisten zu empfinden, die Geschichte findet keinen dramaturgischen Bogen. Schade und ärgerlich!
Kaspar Sannemann 13.3.2017
Bilder (c) Theater St. Gallen / Tanja Dorendorf T+T Fotografie
Der Medicus – Das Musical
Besuchte Aufführung: 23.07.2016
Welturaufführung: 17.06.2016
Großes Kino auf kleiner Bühne
In den letzten Jahren hat sich der „Musical Sommer Fulda“ zu einer echten Marke für die Domstadt entwickelt, die im Bereich großer Musicalproduktionen beachtliche Zahlen vorweisen kann. So kamen im Jahr 2014 35.000 Gäste zu den Aufführungen, die sich meist über eine Zeitraum von rund zwei Monaten erstrecken. Nach „Die Päpstin“ bringt man in diesem und im kommenden Jahr mit „Der Medicus“ erneut einen Weltbestseller auf die Bühne. Hierbei handelt es sich zudem um die erste Bühnenadaption weltweit, für die Noah Gordon die Rechte erteilte. Sicherlich auch ein Verdienst der Qualität, die hier seit Jahren regelmäßig abgeliefert wird.
Ein ganz wichtiger Hinweis aber vorab, aus Kostengründen wird in Fulda auf ein Liveorchester verzichtet, statt dessen werden lediglich die eigenes für diese Aufführung anfertigten Aufnahmen zum Livegesang der Darsteller eingespielt. Auf eine Bewertung dieser Tatsache soll an dieser Stelle verzichtet werden, hier gibt es sicherlich viele Pro und Contra auf beiden Seiten abzuwägen. Dies sollte jeder mit sich vereinbaren. Wer aber mit einem gut besetzten Orchester „aus der Konserve“ leben kann, wird dafür mit einer sehenswerten Inszenierung, farbenprächtigen Kostümen und hervorragenden Solisten sowie einem spiel- und gesangfreudigen Ensemble belohnt.
Das Stück beginnt in den schottischen Lowlands des 11. Jahrhundert wo Rob Coles Sohn Samuel in einer alten Truhe ein ihm unbekanntes Brettspiel entdeckt und seinen Vater hiernach befragt. Der Medicus Rob Cole erzählt seinem Sohn daraufhin seine Lebensgeschichte, beginnend im Jahr 1021 in London an dem Tag als sein Vater starb. Gebeutelt von der Gabe den Tod voraussehen zu können, ohne etwas dagegen unternehmen zu können, wird Rob nach dem Tode der geliebten Mutter von einem fahrenden Bader aufgenommen. Hier erlernt er erste medizinische Grundtechniken, allerdings besteht das Baderleben auch mehr aus Schummeleien und Unterhaltung.
So macht er sich später auf den Weg nach Persien um vom Arzt aller Ärzte Ibn Sina mehr über die Heilkunst zu erfahren. Dieser Weg ist natürlich beschwerlich und es gilt viele Hindernisse zu überwinden. Auf diese Reise lernt er auch Mary Cullen kennen, doch ihre Liebe hat (noch) keine Chance, da sie auf verschiedenen Wegen wandern. Schlussendlich gelingt es Rob Cole aber unter Ibn Sina zu studieren, hierzu gibt sich Cole allerdings als Jude aus, da Christen das Studium an der Madrassa in Isfahan untersagt ist. Hier lernt er die ebenfalls dort studierenden Mirdin und Karim kennen, die drei werden zu guten Freunden. Nach überstandener Pest wird Karim unerwartet neuer Schah von Persien, als Dank für Robs große Verdienste im Kampf gegen die Pest beschenkt er ihn mit einer weiblichen Dienerin eines Sklavenhändlers. Unter diesen ist auch Mary Cullen, die Rob daraufhin zur Frau nimmt. Während Rob unaufhaltsam weiter nach der Ursache der Seitenkrankheit sucht an der auch seine Mutter verstarb, wird Karim zunehmend von der Macht seines Amtes in Besitz genommen. So zieht er mit Mirdin, den er inzwischen zu seinem Leibarzt ernannt hat in den Krieg, was dieser mit seinem Leben bezahlen muss. Es kommt zu einem Disput zwischen Karim und Rob, der inzwischen die Ursache der Seitenkrankheit gefunden hat. Hierzu musste er aber einige Grenzen des durch die Religion Erlaubten überschreiten. Zum Schutz der medizinischen Erkenntnisse nimmt der schwer erkrankte Ibn Sina die Schuld hierfür auf sich, damit Rob diesen bahnbrechenden medizinischen Fortschritt für zukünftige Generationen bewahren kann. Sowei der grobe Handlungsstrang der sehr ausführlichen Romanvorlage, die von Produzent Peter Scholz und Dennis Martin, der sich für die Musik, Liedtexte und das Libretto verantwortlich zeichnet sehr passend in eine gut dreistündige Musicalaufführung transferiert wurde. Zusätzliche Liedtexte und zusätzliches Libretto stammen von Wolfgang Adenberg und Christoph Jilo. Die Orchestrierung stammt von Michael Reed.
Wie bei den bisherigen spotlight-Musicals dominieren auch beim Medicus die rock- und poplastigen Stücke im Wechsel mit großen Balladen und Duetten. Allerdings hält die Musik in diesem Fall auch für „spotlight-Kenner“ einige Überraschungen bereit. Wenig überraschend ist dagegen, dass auch hier die großen Ensemble-Nummern nicht fehlen dürfen. Bei der Besetzung schöpft man auch in diesem Jahr wieder aus dem Vollen. Friedrich Rau überzeugt als Rob Cole während die Stimme von Dorothea Maria Müller in der Rolle der Mary Cullen insbesondere bei den ruhigeren Liedern voll zur Geltung kommt. Als Karim steht der auch optisch sehr passend besetzte Andreas Wolfram auf der Bühne während Lutz Standop die Rolle des Mirdim glaubhaft verkörpert. Leon van Leeuwenberg schlüpft gleich in zwei Rollen, die durch geschickte Kostüme elegant voneinander getrennt sind. Im ersten Akt zeigt er als Bader zudem sein komödiantisches Talent, welches er im zweiten Akt als streng religiöser Verwalter der Madrassa nicht benötigt. Gesanglich ganz hervorragend ist Reinhard Brussmann als Ibn Sina, der bei der besuchten Vorstellung auch zu Recht den größten Applaus des Nachmittags bekam.
Regisseur Holger Hauer liefert mit dem Medicus eine unterhaltsame und farbenfrohe Reise ins alte Persien ab und schafft eine Atmosphäre aus 1001 Nacht. Unterstützt wird diese durch die farbenfrohen und detailverliebten Kostüme von Ulli Kremer und der für die recht kleine Bühne im Schlosstheater Fulda erstaunlich wandlungsfähigen Bühne von Christoph Weyers. Hier wird für jede Szene ein anderes Bild geschaffen und der Wechsel läuft sehr fließend ganz nebenbei ab. Alles in allem ist „Der Medicus – Das Musical“ wohl eines der gelungensten neuen Werke, welches hoffentlich auch in Zukunft seinen Weg auf die Theaterbühnen finden wird. Der Zuschauer darf sich auf traditionelle Musicalunterhaltung im Besten Sinne in Form einer unterhaltsamen Geschichte freuen und ganz nebenbei zeigt das Werk auch in der heutigen Zeit sehr passend, dass nicht die Religionen Islam, Judentum und Christentum die Ursache vieler Konflikte sind, sondern die Konflikte durch die Menschen in die Religionen getragen wurden.
Markus Lamers, 29.07.2016
Pressefotos zum "Medicus" © spotlight musicals