DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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www.theater-koblenz.de/

 

Richard Wagner

Parsifal

Premiere: 15. April 2022

Besuchte Vorstellung: 17. April 2022

 

 

Für ein kleines Theater wie Koblenz ist Wagners „Parsifal“ eigentlich viel zu groß. Schließlich müssen eine Vielzahl anspruchsvoller Rollen besetzt werden, und das Wagner-Orchester passt gar nicht in den kleinen Orchestergraben. Erstaunlicher Weise kann Koblenz aber einen Großteil der Hauptrollen aus dem eigenen Ensemble besetzen, und das Orchester wird auf der Hinterbühne platziert, so dass der abgedeckte Orchestergraben mit zur Spielfläche wird.

Erst einmal muss man dem Theater Koblenz eine musikalisch gelungene „Parsifal“-Produktion bescheinigen. Dirigent Marcus Merkel , der ab der nächsten Saison Chefdirigent des Theaters Koblenz wird, lässt das Staatsorchester Rheinische Philharmonie schon im Vorspiel glutvoll musizieren. Die klanglichen Fein- und Schönheiten von Wagners Musik kostet er gekonnt aus. Die Tatsache, dass man dem Orchester beim Musizieren zuschaut, entmystifiziert Wagners Klänge jedoch ein bisschen. Auch stellt sich mit den Gesangsstimmen kein richtiger Mischklang ein, da die Stimmen immer im Vordergrund stehen und gar nicht erst über das Orchester hinwegsingen müssen.

 

 

Tobias Haaks glänzt mit kraftvollem und klarem Tenor in der Titelrolle. Die Dialoge des ersten Aktes gestaltet er textgenau, im zweiten Akt kann er in den Aufschwüngen mit heldentenoralem Glanz auftrumpfen, und im 3. Akt entlockt er der Rolle viele lyrische Schönheiten. Als Gurnemanz überzeugt Jongmin Lim mit markantem Bass und guter Textgestaltung. Von ihm würde man sich aber noch mehr lyrische und balsamische Töne wünschen.

Die Kundry wird von Monika Mascus verkörpert. Sie besitzt eine helle Stimme, der das jedoch dramatische Fundament fehlt. Das hat zur Folge, das den tiefen Tönen oft die Energie fehlt. Mit schneidend-scharfem Bariton singt Hansung Yoo den Amfortas. Als Klingsor entfaltet Nico Wouterse ein klug abgestuftes stimmliches Bedrohungspotenzial. Gut besetzt sind auch Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen, wobei letztere hauptsächlich mit Absolventinnen der Düsseldorfer Robert-Schumann Hochschule besetzt sind.

Problematisch und rätselhaft ist jedoch die szenische Umsetzung durch Intendant Markus Dietze. Die über der Bühne schwebenden aufblasbare Plastikkuppel, die von Bodo Demelius entworfen wurde, macht mit ihren Projektionsflächen einen starken Eindruck. Im zweiten und dritten Akt sieht man hier meist abstrakte Lichtspiele oder Naturbilder, die gut die Stimmung der Musik und der Handlung unterstreichen. Im ersten Akt bekommt das Publikum aber Bilder von Raumschiffen, Asteroiden-Schwärmen und der kraterübersäten Mondoberfläche präsentiert. Im Zusammenspiel mit den Raumfahreruniformen der Gralsritter wird das Stück in einem Science-fiction-Szenario verortet, vielleicht sogar auf einem Raumschiff. Aber wo kommt Parsifal dann her?

 

 

Vollends ratlos ist man, wenn der zweite Akt im Mittelalter spielt, Klingsor wie ein Zauberer aus „Herr der Ringe“ gewandet ist, und die Blumenmädchen eine Mode irgendwo zwischen Nonne und Burgfräulein tragen. Hier hätte es der Produktion gut getan eine klare Linie zu finden. Eine zeitlos abstrakte Bebilderung oder eine konsequente Science-Fiction-Geschichte hätten dem Stück wahrscheinlich am besten getan.

Die Personenführung der Solisten ist werkdienlich und unauffällig. Jedoch hat man den Eindruck, dass die Choristen immer beschäftigt werden müssen: Im ersten Akt werden dauernd Pflanzen in quadratischen Kübeln hin und her geschoben sowie Neonröhren aufgebaut. Im zweiten Akt sind die Blumenmädchen vor allem mit der Positionierung von mattverspiegelten Stelen beschäftigt. Peinlich ist es, wenn zum Karfreitagszauber im 3. Akt von den Blumenmädchen lebensgroße Scherenschnitte diverser Tiere aufgestellt werden.

Unklar bleibt, was der Gral eigentlich sein soll? Hier wird eine Bodenluke geöffnet, und eine weiße Säule, die von Nebel umwabert wird, fährt aus dem Boden empor. – Bis Ende Juni ist dieser hörenswerte „Parsifal“ noch achtmal in Koblenz zu sehen.

Rudolf Hermes, 25.4.22

Bilder (c) Bauss

 

 

Jake Heggie

Dead Man Walking

Premiere: 15. Januar 2022

Besuchte Vorstellung: 4. Februar 2022

Dass eine zeitgenössische US-amerikanische Oper regelmäßig auf deutschen Bühnen gespielt wird, ist schon eine Besonderheit. Jake Heggies „Dead Man Walking“ ist dieses Kunststück gelungen, wohl auch weil der gleichnamige Spielfilm aus dem Jahr 1995 allgemein bekannt ist. Andere Opern Heggies wie der „Moby Dick“ aus dem Jahr 2010 harren aber noch ihrer deutschen Erstaufführung. Neben Brauschweig ist Koblenz das zweite deutsche Theater, das „Dead Man Walking“ in dieser Saison zeigt.

Diese Oper ist auf der einen Seite ein Diskurs über die Todesstrafe, weil über die Sichtweisen der Eltern der Opfer und des Täters verschiedene Perspektiven gezeigt werden. Gleichzeitig handelt es sich auch um eine christliche Erlösungsgeschichte, da die Nonne Schwester Helen den Mörder Joseph de Rocher durch ein Bekenntnis zu seinem Verbrechen zur Wahrheit und zu einem Schuldeingeständnis führen möchte.

Die atmosphärisch dichte Musik Jake Heggies ist ein Erfolgsgarant dieser Oper. Dafür, dass es hier um Vergewaltigung, Doppelmord und Todesstrafe geht, bewegt sich das Klangspektrum in hellen Farbskalen. Benjamin Britten hat da wesentlich schärfere Klänge komponiert. Insgesamt ist das Stück auf ein Libretto von Terence McNally mit einer Aufführungsdauer von über drei Stunden aber zu lang. Natürlich will das Autorenduo die Figuren vielschichtig charakterisieren, aber benötigt man dafür die lange Autofahrt der Schwester Helen zum Staatsgefängnis, ihre Begegnung mit dem dortigen Pfarrer und dem Gefängnisdirektor?

Für den Regisseur bietet diese Oper kaum Möglichkeiten für eine eigene Interpretation und so beschränkt sich auch der Koblenzer Intendant Markus Dietze auf eine realistische Nacherzählung des Stückes. Originell ist die Idee, den Mord an den beiden Jugendlichen am Beginn der Oper als Film zu zeigen. In Dietzes Inszenierung werden die Figuren zu nachvollziehbaren und glaubhaften Charakteren, welche die Zuschauer zum Nachdenken und Mitfühlen anregen sollen. Ausstatter Christian Binz hat eine wuchtige Betonarchitektur entworfen und die Bühne nach vorne an das Publikum herangeholt, so dass einem die Figuren ganz nahekommen.

Eigentlich müsste das eine akustische Chance für die Darsteller sein, weil das auf der Hinterbühne positionierte und unter dem Dirigat von Karsten Huschke spielende Staatsorchester Rheinische Philharmonie aber über Lautsprecher in den Saal eingespielt wird, werden auch die Sängerinnen und Sänger verstärkt. Selbst wenn ein Sänger vorne an der Rampe steht, hört man die Stimme nicht aus der Gesangsrichtung, sondern aus den Lautsprechern am Bühnenportal.

Das Koblenzer Theater bietet eine überzeugende Besetzung bis in die vielen Klein- und Nebenrollen: Mezzosopranistin Danielle Rohr ist eine jugendliche Sister Helen, die ihre Partie mit heller und klarer Stimme singt. Die Zweifel und Zerrissenheit ihrer Figur spielt sie sehr glaubhaft. Das blinde Gottvertrauen der Figur wirkt naiv, was aber im Stück begründet ist. Andrew Finden als Mörder Joseph de Rocher sieht zwar mit Schnurrbart und zurückgegelten Harren sehr böse aus, singt die Rolle aber mit einem schönen Kavaliersbariton, der auch vielen Mozart-Partien alle Ehre machen würde. Darstellerisch fühlt er sich großartig in die Rolle des Mörders, der seine Schuld von sich weist, ein.

Als seine Mutter glänzt Monica Mascus in ihrer großen Szene, in der sie für die Begnadigung ihres Sohnes plädiert. Ganz schlicht beginnt sie hier und steigert sich dann in eine expressive Verzweiflung. Mit schneidend-markantem Bariton drückt James Bobby als Owen Hart die Trauer und Wut des Vaters eines der Mordopfer aus. Starke Rollenporträts bieten auch Hana Lee als Schwester Rose, die hier eine Dialogpartnerin der Schwester Helen ist und Nico Wouterse als stimmlich imposanter Gefängnisdirektor George Benton.

Insgesamt beweist die Koblenzer Produktion erneut die Bühnenwirksam dieser Oper. Jedoch sollten Theater, die Neuproduktionen planen, über größere Striche nachdenken.

 

Rudolf Hermes, 6.2.22

 

 

Heinrich Marschner

DER VAMPYR

Premiere: 06.05.2017

Persiflage statt Schauerstück

Lieber Opernfreund-Freund,

die selten aufgeführte Oper „Der Vampyr“ des musikalisch zwischen von Weber und Wagner anzusiedelnden Heinrich Marschner ist seit gestern am Theater Koblenz zu erleben. Gezeigt wird nicht die jahrelang einzig aufgeführte Fassung, die Hans Pfitzner in den 1920ern von dem nach seiner Uraufführung 1828 durchaus erfolgreichen Werk angefertigt und dabei neben erheblichen Strichen auch umfangreiche musikalische Umstellungen, Transponierungen und Eingriffe in die farbenreiche Orchestrierung Marschners vorgenommen hat; vielmehr hat man sich am Deustchen Eck dazu entschieden, die Erstaufführung der vor wenigen Jahren von Egon Voss editierte Version zu zeigen, die dem, was Heinrich Marschner mit „Große romantische Oper in zwei Akten“ überschrieben hatte, eher Rechnung trägt. Die literarische Vorlage hatte ein Freund Lord Byrons, John William Polidori, geschaffen: Lord Ruthwen, muss der Hölle, um sein Leben als Vampir zu verlängern, innerhalb von 24 Stunden drei Jungfrauen zum Opfer bringen und hat sich als drittes Opfer ausgerechnet Malwina auserkoren, die sein Freund Edgar Aubrey heimlich liebt. Den aber hat er schwören lassen, einen Tag lang niemandem von seiner Vampiridentität zu erzählen. Der hedoch verzögert die von Malwinas Vater arrangierte Hochzeit derart, dass die Frist verstreicht, der Vampir zur Hölle fährt und einem Happy End des jungen Paares nichts mehr im Wege steht.

Doch kann man heutzutage dieses Werk, das klanglich irgendwo zwischen „Freischütz“ und „fliegendem Holländer“ zu verorten ist und neben ausgeprägten Belcantopassagen auch zahlreiche Anklänge an volksliedartige Melodien enthält, noch als romantisches Schauerstück zeigen? Das Produktionsteam um den den Koblenzer Intendanten Markus Dietze beantwortet diese Frage mit „nein“ und versucht sich stattdessen an einer Persiflage. Dietze nimmt das in der Biedermeierzeit entstandene Werk keine Sekunde erst, sondern zeigt vor an Caspar David Friedrich erinnernder Kulisse von Beginn an alles, was man seit Christopher Lee beim Gedanken an Vampire im Sinn hat. Da werden sämtliche Klischees bedient, angefangen von Stroboskopblitzen und ewig waberndem Kalteisnebel über silbergraue Haarsträhnen und Draculagebiss bis hin zu grausigen Gestalten jeglicher Couleur. Die Bevölkerung setzt sich aus Werwölfen und allerlei untotem Volk zusammen und vollführt einen höchst-ironischen „Tanz der Vampire“.

Lediglich die Opfer von Lord Ruthwen und der arme Edgar Aubrey scheinen normal, werden aber durch die hinreißend-farbigen Kostüme von Bernhard Hülfenhaus zur Karikatur des Biedermeier samt kitschiger Bühnendeko, die an glitzernde Klebebildchen aus Poesiealben erinnert und für die Dorit Lievenbrück verantwortlich zeichnet. Das ironische Unterfangen könnte sogar gelingen, würde Markus Dietze den im ersten Akt durchaus gelungen angesponnenen Faden stringent bis zum Ende durchhalten. Doch nach der Pause verliert er diesen Ansatz in der ersten Hälfte des Schlussaktes komplett. Zu zaghaft sind die Überzeichnungen, sofern da überhaupt noch vorhanden, oft zu wenig bissig, so dass am Ende nur ein amüsanter, aber keineswegs auf ganzer Linie gelungener Abend bleibt.

Musikalisch sieht das anders aus, denn was Enrico Delamboye und das Staatsorchester Rheinische Philharmonie da im Graben zaubern, ist purste Romantik auf höchstem Niveau. Da sitzt jede Note, jede Phrasierung, jedes (De)crescendo, angefangen von der fulminanten Ouvertüre, über die beschwingte Untermalung der volksliedhaften Passagen bis hin zur verträumten Zeichnung der hinreißend-romantischen Kantilenen. Auf der Bühne glänzen Iris Kupke als betörende Malwine mit charaktervoll-frischer Farbe und viel Seele und der verzweifelte Edgar von Tobias Haaks mit feinem, klarem Tenor. Bastiaan Everink ist eine übereugende Titelfigur und zeigt vor allem in den Ausbrüchen sein ganzes Können, dabei verdiente schon allein die Tatsache, dass er den kompletten Part mit Vampirgebiss singt, Respekt.

Fast ein Dutzend weiterer Rollen listet der Besetzungszettel namentlich, von denen ich Ihnen den George Dibdin mit dem strahlenden Tenor des jungen Junho Lee stellvertretend genannt hätte - gäbe es da nicht die umwerfende Sauf- und Rüpelszene „Im Herbst, da soll man trinken“, in der die vier Chorsolisten Werner Pürling, Sebastian Haake, Michael Seiffert und Marco Kilian zusammen mit der stimmliche wie darstellerisch präsenten Anne Catherine Wagner ein dermaßen großartiges Gespann mit viel Spielfreude und Sinn für komödiantisches Timing zeigen, dass es eine wahre Freude ist - und unbedingte Erwähnung verdient. Doch auch die restlichen Damen und Herren des Chores stemmen, von Ulrich Zippelius bestens betreut, nicht nur die umfangreiche Partie, sondern auch die anspruchsvolle Choreographie von Catharina Lühr, die stellenweise an das schräge Ballett der Zombies aus Michael Jacksons Video zu „Thriller“ erinnert.

Das Publikum im nahezu vollbesetzten Haus ist begeistert - vom Werk, von dessen Interpretation und - wenn auch nicht allzu überschwänglich - von der Lesart des Hauschefs. Musikalisch war’s ein rundum beglückender Abend, den ich Ihnen gerne ans Herz lege, szenisch wohl Geschmackssache - und meinen hat Markus Dietze dann ja irgendwie doch getroffen.

Ihr Jochen Rüth 07.05.2017

Fotos: Matthias Baus für das Theater Koblenz

 

 

Philip Glass

„The Fall of the House of Usher“

Premiere: 10.03.2017

besuchte Vorstellung: 16.03.2017

 

Lieber Opernfreund-Freund,

die Schauerballade „Der Untergang des Hauses Usher“ von Edgar Allan Poe war schon beinahe 150 Jahre alt, ehe man die atmosphärische Dichte des düsteren Werkes erkannte und es auf die Opernbühne brachte. Claude Debussy hatte zwar mit einer Oper, die auf diesem Stoff basiert, begonnen, diese aber nur als Fragment hinterlassen. Anfang der 1980er wagte der deutsche Komponist Manfred Stahnke eine Umsetzung in Form einer Kammeroper. Aber es war erst Philip Glass, der jüngst seinen 80. Geburtstag feierte und sicher zu den erfolgreichsten modernen Komponisten zählt, der die Novelle schließlich 1988 als Oper auf der Bühne realisierte. Er fand in dieser Geschichte die ideale Vorlage, um die hypnotische Wirkung seiner Minimal Music zur Geltung zu bringen. Schon die ersten Takte mit der charakteristischen Glass’schen Rhythmik und seinen immer wiederkehrenden, wenn überhaupt nur minimalsten Variationen unterzogenen Motive lassen unverkennbar auf den Amerikaner schließen und entfalten nach kürzester Zeit einen Sog, dem man sich als Zuhörer nicht entziehen kann. Ähnlich ist es mit der morbiden Stimmung in der Vorlage von Poe, in der die Geschichte zweier Freunde erzählt wird. William, in der literarischen Vorlage noch namenloser Ich-Erzähler, findet Roderick Usher bei einem Besuch in jämmerlichem Zustand. Offensichtlich ist sein Freund dem Wahn verfallen. Kurz nach Williams Ankunft stirbt angeblich Rodericks Zwillingsschwester Madeleine und wir begraben. Im Laufe der Geschichte wird in dem unheimlichen Haus aber deutlich, dass man sie lebendig begraben haben muss. Sie erscheint blutüberströmt und wirft sich sterbend auf ihren Bruder, der ebenfalls stirbt. Der Ich-Erzähler flieht aus dem Haus Usher und sieht es im Davonreiten im Moor versinken.

Von Anfang an ist dem Leser wie dem Besucher der packenden Inszenierung von Waltraud Lehner klar, dass die Geschichte keinen guten Ausgang wird nehmen können. Die immer wiederkehrenden Motivfetzen ziehen den Zuhörer in ihren Bann, versetzen ihn in einen Zustand, der zwischen Meditation und Nervosität angesiedelt ist. Dies spiegelt Lehner in ihrer Lesart des Stoffes und wird dabei von genialen Videoeinspielungen unterstützt, für die Georg Lendorff verantwortlich zeichnet. Sie schaffen eine zusätzliche Ebene, visualisieren Gefühle, Ängste und Gedanken der Protagonisten, die sich irgendwo zwischen Wahnsinn und Alptraum gefangen sehen. Die Drehbühne setzt der Monotonie, die aus dem Graben zu tönen scheint, Bewegung entgegen, die verschiedenen Räume des Hauses, auf deren Wände dann auch besagte Videos zu sehen sind, scheinen zu leben, auch wenn die komplette Szenerie, die an einen Gruselstummfilm der 1920er Jahre erinnert, dunkel gehalten ist (Bühne: Ulrich Frommhold). Das gilt auch für die Kostüme, die an die Entstehungszeit des Romans angelehnt sind und die - von Katherina Kopp entworfen - durch die Bank gelungen sind, sieht man über die unsägliche Perücke hinweg, die die Figur des William tragen muss. Das nur rund 80 Minuten dauernde Werk läuft kontinuierlich auf die sich diffus ankündigende Katastrophe zu und bis zum Schluss bleibt der Zuschauer im Unklaren darüber, ob er da gerade einfach einen Alptraum, eine Wahnvorstellung eines Wahnsinnigen oder eine tatsächliche Begebenheit gesehen hat. Insofern hat das Regieteam um die Münchener Regisseurin den Faden von Poe und Glass nicht nur aufgenommen, sondern äußerst gelungen weiter gesponnen.

Im Graben wir aufs Vortrefflichste musiziert. Der Kompositionsstil von Philip Glass verlangt den gut zwei Handvoll Musikerinnen und Musikern eine ungeheure Präzision ab, fungieren sie doch allesamt gleichsam als menschliches Metronom. Jede Ungenauigkeit, jeder Wackler würde den geforderten immer gleichen rhythmischen Fluss stören. Bei den Mitgliedern des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie ist davon aber nichts zu spüren. Wie ein Uhrwerk spulen sie unter der Leitung von Leslie Suganandarajah Glass’ Partitur ab. Der aus Sri Lanka stammende Dirigent, 2. Kapellmeister am Theater Koblenz, leuchtet diese gekonnt aus und bereitet so den Sängern einen farbenreichen Klangteppich. Bei diesen stechen vor allem Nico Wouterse als William und Ella Tyran in der Rolle der Madeline hervor. Der niederländische Sänger gestaltet seine Rolle mit großer Leidenschaft und formt sie mit seinem voluminösen Bassbariton. Dazu spielt er den Freund, der zusehends selbst dem Wahn anheim zu fallen scheint, mit ungeheurer Überzeugung. Darstellerisch mitreißend ist auch Ella Tyran, der der Librettist Arthur Yorinks kein einziges Wort zugestanden hat. Die gespenstische-diffuse Figur der Schwester hat allenthalben Vokalisen zu singen, die die junge Wienerin mit ihrem süchtig machenden Sopran und schier endlosem Atem und nicht enden wollender Kraft bravourös meistert. Gegen diese beiden fällt Ensemblemitglied Juraj Hollý ein wenig ab. Zu popsängerhaft legt der junge Sänger seine Partie an, so dass er mich stimmlich weniger überzeugen kann. Jungho Lee als verstörender Arzt und Jongmin Lee als Angst einflößender Diener komplettieren die schaurig-schöne Gesellschaft mit solidem Gesang und teils zombiehaft-gruseligem Spiel.

Das Publikum ist nach knapp eineinhalb Stunden begeistert und applaudiert so anhaltend wie berechtigt allen Beteiligten. Als kleiner Wermutstropfen erscheinen am gestrigen Donnerstag die teils recht unsynchronen Übertitel. Bei der Präzision, mit der Orchester und Sänger agieren, ist das dann wirklich störend. Positiv fällt hingegen das informative, genau recherchierte Programmheft auf. Auch die Einführung ist inspirierend und macht im Vorfeld schon Lust auf den Abend. Also nix wie hin nach Koblenz, der Werk ist dort noch bis zum Ende der Spielzeit auf dem Spielplan.

Ihr Jochen Rüth / 17.03.2017

Die Fotos hat Matthias Baus für das Theater Koblenz gemacht.

 

 

 

THE BEAUTIFUL GAME

besuchte Vorstellungam 30.12.16

Premiere 29.12.16

Ein Stück europäischer Geschichte ergreifend umgesetzt

Das kleine aber feine Theater der Stadt Koblenz zeigt aktuell in Kooperation mit dem Koblenzer Jugendtheater „The Beautiful Game“, ein Musical von Andrew Lloyd Webber und Ben Elton, welches hierzulande nur sehr selten zu sehen ist. Dabei behandelt das Musical mit den Konflikten in Nordirland ein wichtiges Thema der europäischen Geschichte und bietet auch musikalisch einige wunderbare Kompositionen. Diese machen „The Beautiful Game“ zu einem kleinen Juwel, welches neben Webbers deutlich bekannteren Werken wie „Evita“, Cats“, „Phantom der Oper“ oder „Starlight Express“ gerne mal übersehen wird. Bereits die Overture beginnt mit wunderbarer irischer Musik, die dann allerdings schnell durch einen härteren Percussion-Synthesizer-Sound überlagert wird, der die drohende Gefahr eindrucksvoll verdeutlicht. Im weiteren Verlauf des Stückes arbeitet Webber immer wieder geschickt mit dem Wechsel von tief emotionalen Werken und bedrohlicher Musik. Angereichert mit diversen Reprisen, ist „The Beautiful Game“ eine zu Recht von vielen Kritikern hoch gelobte Partitur, die es sogar verkraftet, dass „Our Kind of Love“ nach einer Überarbeitung des Werkes zu „Liebe stirbt nie“ abgegeben wurde, um dort den titelgebenden Song zu bilden.

Vielleicht liegt das Problem dieses Stückes eher darin, dass der wenig informierte Besucher hier eine Geschichte über Fussball erwartet. Der Fussball bietet allerdings mehr die Rahmenhandlung, um die Geschichten rund um die Spieler einer nordirischen Jugendmannschaft in Zeiten der großen irischen Konflikte zu erzählen. Dem auf dem Leim gegangen waren in der besuchten Vorstellung offenbar auch einige Eltern mir recht kleinen Kindern, für die einige recht harte Szenen nicht ohne weiteres geeignet scheinen. Natürlich darf auch eine große Liebesgeschichte samt großer Ballade nicht fehlen, was nach der Premiere im September 2000 in London bereits einige Stimmen hervorbrachte, die das Werk für zu klischeehaft und oberflächlich für solch eine heikle Thematik ansahen.

Markus Dietze gelingt in Koblenz allerdings eine sehr gelungene Inszenierung, die immer wieder eindrucksvoll auf die kriegerischen Auseinandersetzungen und vor allem das Leid der Menschen in Nordirland eingeht und so zutiefst berührende Momente beschert. Zur Verdeutlichung der historischen Zusammenhänge führt ein „Announcer“ das Publikum immer wieder gelungen durch den Abend. Für Bühne und Kostüme zeichnet sich Christian Binz verantwortlich, kein leichter Job bei den vielen Szenenwechseln vom Stadion zur Umkleidekabine, zu einer Beerdigung, einer Hochzeit, dem Staatsgefängnis, einem Hotelzimmer und den Straßen der Stadt. Dies wurde durch verschiedene bespielbare Ebenen übereinander sehr gut gelöst. Beeindruckend auch die Szene des großen Finales wo die Spieler unten in Zeitlupe das Fußballspiel simulieren, darüber die Fans auf der Tribüne jubeln und das gesamte Geschehen durch Videoprojektionen geschickt eingerahmt wird. Schön auch der Detailreichtum, der zum einen im Umkleideraum auffällt wie aber auch im Hotelzimmer der Hochzeitsnacht. Hier darf die englische Steckdose und der Wasserkocher natürlich keinesfalls fehlen. Durch die zuvor bereits erwähnten Videoprojektionen (Georg Lendorff), die hauptsächlich für einige kriegerischen Auseinandersetzungen genutzt werden, entsteht ein rundes Gesamtbild der Inszenierung.

Nach der hervorragenden Kooperation beim Musical „Oliver!“ in der Spielzeit 2014/2015 besteht die Besetzung bei „The Beautiful Game“ erneut hauptsächlich aus Mitgliedern des Koblenzer Jugendtheater, die mit viel Ehrgeiz und vor allem einem ungeheuer gutem Schauspiel überzeugen. Bei den Gesangsleistungen ergeben sich hier entsprechend größere Leistungsschwankungen, vielleicht auch ein Grund, warum das Theater Koblenz das Stück in die Sparte Schauspiel eingegliedert hat. Sehr stark ist zweifellos gleich die große Eröffnungsnummer nach der Overture. Alles in allem bot die besuchte Vorstellung trotz einiger kleiner Ausreißer auch gesanglich durchaus eine gute Arbeit an, die natürlich hier mit anderen Maßstäben zu bewerten ist, als eine Inszenierung mit dem reinen Profi-Ensemble. Oft im Einsatz ist an diesem Abend auch der Opernchor, der die Darsteller bei den großen Chorstücken unterstützt. Unter der musikalischen Leitung von Karsten Huschke, liefert die 9köpfige „Beautiful Band“ einen guten Sound, der der Komposition durchaus gerecht wird. Auch die gespielte deutsche Übersetzung von Anja Hauptmann weiß zu gefallen.

Besonderen Lob verdient das Theater Koblenz durch die vorbildlichen Zusammenarbeit mit den jugendlichen Darstellern und dem Aufwand mit dem diese Produktion umgesetzt wurde. In Koblenz bekommt der Zuschauer hier keine B-Produktion, sondern eine vollwertige Umsetzung eines viel zu selten gespielten Werkes. Es bleibt zu hoffen, dass diese Zusammenarbeit auch in zukünftigen Spielzeiten immer mal wieder das Programm bereichert.

Markus Lamers, 3.01.2017
Fotos (c) Matthias Baus für das Theater Koblenz

 

DIE HERZOGIN VON CHICAGO

Premiere: 12.11.2016

Besuchte Vorstellung: 25.12.2016

Kaum ist die weihnachtliche Kaffeetafel aufgehoben, so hält das Koblenzer Stadttheater ein Kontrastprogramm bereit. Zwar wird auch hier an Glanz und Flitter nicht gespart, aber es ist der des Budapester Nachtclubs "Grill americain". Gegeben wird Kálmáns Herzogin von Chicago. Uraufgeführt 1928 im Theater an der Wien, arbeitet sie sich seit einigen Jahren beharrlich ins Repertoire zurück.

Die Handlung: Mary Lloyd aus Chicago, Tochter eines Industrie-Tycoons, hält das alte Europa für ein Shoppingparadies mit Königsschlössern und Prinzen im Angebot. Tatsächlich ist die Residenz der abgewirtschafteten Balkanmonarchie Sylvarien käuflich. Der zugehörige Prinz Sandor Boris ist es nicht. Mehr noch, traditionalistisch verbohrt, tanzt Prinz Sandor nur Walzer und gibt der doch immerhin aparten Mary einen Korb, als diese ihn zum Charleston auffordert. Da aber Hollywood drängt, entspinnt sich dennoch eine Liebesgeschichte. Sandor tanzt wenn schon nicht Charleston, so doch immerhin Slowfox mit Mary. Happy end.

Was die Handlung vorantreibt und die Qualität des Stücks ausmacht, ist die Musik selbst, der Kontrast zwischen österreichisch-ungarischer Operettenseligkeit und unsentimental amerikanischen Rhythmen: Charleston und Foxtrott. Erstaunlich, dass Kálmán, obwohl erkennbar auf musikalische Waffengleichheit zielend, mit seiner Walzer- und Csárdáskompetenz nicht recht durchdringt. Die amerikanisierenden Nummern sind wesentlich inspirierter.

Die Herzogin von Chicago ist ein Zeitstück. Jede Verlagerung in eine andere historische Situation oder auf einen abweichenden Schauplatz, würde das dramaturgische Fliegengewicht der Operette zerquetschen. Klug beschwören daher Regie und Ausstattung Bubiköpfe, Pailettencharme, langbeinige Tiller Girls samt tänzerischer Verzückungen und Zuckungen der Zwanzigerjahre. Für zusätzliche Stimmung sorgt eine auf der Bühne placierte Jazzband.

Die Personen - von der Titelfigur bis in die kleinste der vielen Nebenrollen - zeichnet Regisseur Michiel Dijkema für eine Operettenproduktion ungewöhnlich detailliert und bis in Gestik und Mimik hinein nuancenreich. Das schließt Pointenkracher nicht aus: Das Auditorium lernt, wohin sich beim Charlestongehopse seinem Nebenmenschen überall treten lässt. Dijkema verantwortet auch das funktionale und doch atmosphärehaltige Bühnenbild. Marys bruchgelandeter Doppeldecker ist ein Hingucker. Der Zwanzigerjahre-Glamour, den Kostümbildnerin Alexandra Pilz entfaltet, ist es nicht minder.

Souverän koordiniert Leslie Suganandarajah am Pult die Jazzband auf der Bühne und die Rheinische Staatsphilharmonie im Graben. Mit Präzision und Verve meistert er die permanenten musikalischen Stilwechsel und sorgt für ein farbenreiches und immer durchhörbares Klangbild. Dank Suganandarajah kann es an diesem Abend die Rheinische Staatsphilharmonie mit dem in Sachen Zwanzigerjahre-Operette wesentlich erfahreneren Orchester der Berliner Komischen Oper locker aufnehmen.

Die Amerikanerin Emily Newton in der Titelrolle bedient intelligent, frech, charmant und mit permanentem Augenzwinkern das Klischee des US-Partygirls mit dem schlussendlichen Herzen auf dem richtigen Fleck und geläuterten Empfindungen. Blicke und Mimik Newtons würden eine eigene Fotostrecke lohnen. Die gleichermaßen flexible und tragfähige, immer elegant geführte Stimme glitzert in der Mittellage ebenso wie sie umstandslos raumgreifende Spitzentöne hervorbringt. Nur möchte man Newton wünschen, dass sie für die Gesangsnummern weiterhin an ihrer deutschen Diktion arbeitet. Dennoch ist Newton eine Idealbesetzung.

Mark Adler, dessen Erbprinzen Sandor Kálmán einen nur wenig zündenden Part zugedacht hat, singt und spielt sympathisch, warmherzig und geradlinig. Damit leistet Adler alles, was die Rolle hergibt.

Irina Marinas als Prinzessin Rosemarie und Peter Koppelmann als James Bondy sind ein quirliges, wendiges balkanisch-amerikanisches Buffopaar. Stimmlich geht Marinas - wie zu erwarten - weit über das für eine Soubrette Erwartbare hinaus.

Die Darsteller der vielen Nebenrollen liefern allesamt Kabinettstückchen.

Der Applaus ist stark und anhaltend. Nicht nur vereinzelt sind Bravorufe zu hören. Etliche der zahlreichen jungen Leute im Publikum verlassen das Theater mit Charlestonschritten. So kann Restweihnachten gelingen.

Das Theater Koblenz trägt mit dieser Produktion bedeutend zur Rückkehr der "Herzogin von Chicago" ins Kernrepertoire bei.

Michael Kaminski 27.12.2016

Bilder (c) Theater Koblenz


   

 

 

 

 

Marijn Simons

EMILIA GALOTTI

Aufführung am 14.11.2014       (Premiere am 25.10.2014 – Uraufführung)

Ein Klassiker klassisch! – Im Schauspiel kaum noch zu erleben

Lessings „Emilia Galotti“ hat Schiller bei dessen „Kabale und Liebe“ so stark beeinflusst, dass er bei seinem Stück die Figurenkonstellation und deren gesellschaftliche Verankerung weitgehend übernommen hat. Schillers Stoff hat aber mehr dramatischen Sprengstoff als die Emilia mit ihren abgesetzten und kontemplativen Passagen. Vielleicht ist deswegen  und wegen der viel größeren Bühnenwirksamkeit der Intrige des Schillerstoffs dieser schon vor über 160 Jahren von Verdi vertont worden. Nun hat sich der niederländische Komponist Marijn Simons (*1982) auch des älteren Stoffs von Lessing angenommen – als Auftragswerk des Theater Koblenz, dessen Intendant Markus Dietze, das Libretto verfertigt hat. Es ist sicher ein großes Wagnis für ein Haus wie Koblenz, sich mitten in der Rheinprovinz zusammen mit einem ganz jungen Komponisten an eine Uraufführung zu wagen. Aber allein die erhöhte Medienpräsenz (wann berichtet der SWR schon zweimal vom Theater Koblenz?) lohnte das Wagnis für das kleine Haus; und  - so viel kann man vorab bemerken - der Erfolg des Stücks und die Qualität der Produktion des Opernerstlings von Simons lohnten es auch.

Marijn Simons

Pars pro toto für die „niederländische“ Musik bezeichnet sich Simons als „Outsider“ der europäischen Musikszene. Außerhalb der Hauptstoßrichtung (wenn es eine solche überhaupt gibt) der zeitgenössischen Oper liegt auch die Themenwahl des Stücks: ein klassisches Stück mit durchgängiger Handlung! Das liegt doch weit entfernt von den reinen Psychotableaus und Kollagen, die heute bei Autoren und Theatermachern so beliebt sind. Allein, dass man sich an ein solches stoffliches und formales „Mainstreaming“ nicht hält, ist schon anerkennenswert. Aber in einem liegen Simons und Dietze ganz auf der heutigen Linie: das ist das Fernsehformat der Oper, die in gut 90 Minuten reiner Spielzeit abgehandelt wird. Da bleibt neben der zwar stark kondensierten, aber weitestgehend intakt gelassenen Handlung des Stücks mit immer noch sehr viel Text gar keine Zeit für Besinnung, moralische Wertung, Diskussion und psychologische Vertiefung, und auch die inneren Triebkräfte des Stücks bleiben unterbelichtet. Handlung und Musik nehmen bei dem Stück im vorliegenden Zuschnitt immer schneller Fahrt auf, fast atemlos rennt die Handlung des „bürgerlichen Trauerspiels“ mit immer größerer Spannung ihrem fatalen Ende entgegen. Die  Ursache für diese Taschenformate ist nicht dramaturgischen Zwängen geschuldet; vielleicht der Ungeduld von Theatermachern und Autoren; gewiss auch nicht der Rastlosigkeit der Zuschauer, die auch heute noch größte Theatersäle bei Aufführungen von an die vier Stunden reiner Spielzeit füllen.

Familienbild; links: Kai Uwe Schöler (Conti/Maler); im Bild: Bart Driessen (Odoardo), Anne Catherine Wagner (Claudia); Juraj Hollý (Appiani), Irina Marinas (Emilia); hinten: Hana Lee (Orsina); rechts: Monica Mascus (Der Prinz), Christoph Plessers (Marinelli)

Lessing verarbeitete in seinem Stoff eine Legende um die Römerin Verginia, verlegte sie in seine Gegenwart des zu Ende gehenden Absolutismus; aber wegen der Zensur ließ er sie nicht in Deutschland, sondern in Italien spielen. Der Konflikt zwischen Adel und Bürgertum, die engen bürgerlichen Moralvorstellungen, die Selbstbestimmung eines Mädchens im „heiratsfähigen“ Alter oder dessen Unterwerfung unter gesellschaftliche Zwänge sind im 21. Jahrhundert in Europa nicht unbedingt mehr zugkräftige Stoffe. Es sei denn, man inszenierte den Stoff nicht im Übergang vom Absolutismus zur Aufklärung, sondern als solchen von der Aufklärung zurück zum Fundamentalismus...  Der Regisseur Elmar Goerden hat aber dem im Stück vollzogenen „Ehrenmord“ keine Betonung verliehen und auf die Herstellung eines vordergründigen Zeitbezugs verzichtet. Vielmehr legt Goerden das Stück als zeitloses Kammerspiel mit viel szenischer Abstraktion an und lässt dazu von seinen Ausstattern (Silvia Merlo und Ulf Stingl für die Bühne und Lydia Kirchleitner für die Kostüme) ein holzschnittartige Schwarzweiß-Szenerie erstellen, auf der sich die Protogonisten durchweg in moderner schwarzer Kleidung bewegen. Lediglich Emilia wird durch das Design ihres Glockenrocks etwas frecher und mädchenhafter gestaltet; die einzige Farbe auf der Bühne bleibt der Blutfleck des ermordeten Grafen Appiani. Vielleicht soll mit diesem Schwarzweiß. aber insbesondere mit dem Schwarz der Kleidung eine gewisse Archaisierung des Geschehens erreicht werden.

Bart Driessen (Odoardo), Juraj Hollý (Appiani), Anne Catherine Wagner (Claudia), Irina Marinas (Emilia)

Goerden steht mit dieser stilisierten Ausstattung nur eine begrenzte Methode zur Bebilderung und Verdeutlichung der Handlung zur Verfügung. Aber er macht das durch eine stringente Personenführung wett und lässt dabei auch Personal über die Bühne huschen, von dem gerade nur gesprochen wird. Vermutlich hat das Theater an der Inszenierung länger als normal gearbeitet. Denn man erlebte eine selten zu sehende Perfektion in der Zeichnung der Protagonisten, die das Bühnenspiel passend zur musikalischen Charakterisierung perfekt umsetzten. Es muss viel Text transportiert werden, so viel, dass das mit einem vernünftigen Takt der Übertitelung nicht alles vermittelt werden kann; umso mehr sind die Darsteller nicht nur in der sprachlichen, sondern auch in der darstellerischen Umsetzung des Stoffs gefragt. Da Simons die Oper für die Koblenzer Besetzung geschrieben hat, war hier natürlich ohnehin ein überdurchschnittliches Ergebnis zu erwarten. Bemerkenswert die gute Textverständlichkeit aller Sänger.

Christoph Plessers (Marinelli), Hana Lee (Orsina)  

Bemerkenswert ist die Abstufung der stimmlichen Lagen vom tiefen Bass bis zum höchsten Koloratursopran. Entgegen der den Damen geschuldeten Höflichkeit (wir sind im 21. Jhdt.) sei diesmal mit den tiefen Stimmen begonnen. Kai Uwe Schöler musste in der kleinen Rolle des Conti (Maler) mit seinem dunklen, mächtigen Bass bis an die tiefen Grenzen seines Stimmumfangs gehen. Die große Rolle des Vaters Odoardo forderte auch dem stets gut nuancierenden kraftvollen Bass von Bart Driessen einen großen Tonumfang ab; Driessen überzeugte dazu darstellerisch als Vater bis zur finalen Verzweiflungstat. Idealtypisch gestaltete Christoph Plessers die Rolle des Marinelli, des bösartigen Kammerherrn. Sein wendiger nobler Bariton und sein umwerfendes Spiel prädestinieren ihn für eine Anfrage, sollte das Stück nachgefragt werden. Für Ihren Kritiker seine bislang stärkste Vorstellung in Koblenz. Farbtupferartig waren den tiefen Stimmen auch Falsett-Töne zugeordnet, die sie unterschiedlich bewältigten. Juraj Hollý in der kleinen Rolle des Appiani hatte mit extremen Höhen zu kämpfen.

Hana Lee (Orsina), Bart Driessen (Odoardo)

Anne Catherina Wagner verlieh der dünkelhaften Mutter Emilias, Claudia, Gestalt und verlieh ihr ihre schlanke, klare und gut fokussierte Altstimme. Der Prinz Hettore Gonzaga ist als Hosenrolle angelegt. Monica Mascus gestaltete sie mit nonchalantem Charme und einem wunderbar wandlungsfähigem warmen Mezzo, dem sie schöne Tiefen und glühende Höhen entlockte; fast wirkte sie zu sympathisch in der Rolle des morallosen Prinzen. In der Titelrolle glänzte Irena Marinaș mit bewegendem mädchenhaften Spiel und betörenden Farben ihres leicht eingedunkelten geschmeidigen Soprans. Dazu punktete sie mit ihrer ansprechenden Bühnenerscheinung.  An der nach oben nicht offenen Stimmenskala sang Hana Lee die Gräfin Orsina, welcher der Komponist extrem hohe Koloraturen zugeordnet hat.  Virtuos und  prächtig, ohne schrill zu wirken, meisterte Frau Lee  diese fordernden Höhen,  die auf einen hysterischen Geisteszustand der Gräfin schließen lassen könnten. Lees attraktives Erscheinungsbild gäbe keinen glaubwürdigen Grund dafür, dass sie der Prinz verstoßen hat.

Marijn Simons hat für die Oper durchaus originelle Musik geschrieben. Verschreckende Dissonanzen verwendet er kaum, dafür aber suggestive (tonale) Harmonik und eine Melodik welche die Charaktere seiner Protagonisten unterstreichen. Den Handelnden zugeordnete Motive durchziehen die Handlung und geben dem Hörer durch Wiedererkennungseffekte Halt. Mit der sehr farbenreichen Partitur wird mit einem klassischen Orchester mit Verstärkungen der Holzbläser, der tiefen Streicher und dem Schlagwerk  sowie einem Akkordeon große Suggestivität erreicht, die an konkrete Programmmusik grenzt. Wie Simons selbst sagt, sind seine kompositorischen Mittel jeweils recht situativ angelegt. Enrico Delamboye lieferte mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie ein sehr filigranes Dirigat ab und gestaltete zu den Kantilenen der Gesangssolisten die teilweise polyphon angelegten Orchesterlinien mit großer Genauigkeit. Zartheit des Ausdrucks und Pianokultur zeichneten sein Dirigat ebenso aus. Insgesamt wurde ein schöner Fluss der Musik erreicht; vielleicht hätten aber kontemplative instrumentale Retardierungen in der Oper dem Ganzen noch mehr Rundung verleihen können.  

Das Publikum im nicht besonders gut besetzten Saal folgte der Aufführung konzentriert und spendete mehr als nur freundlichen Beifall. Der „Klassiker“ kommt in Koblenz noch am 20., 23., und 27.11, sowie 17.01. und 09.02.  Danach darf man gespannt sein, ob das Werk nachgespielt wird. 

Manfred Langer, 15.11.2014          Fotos:  Matthias Baus für das Theater Koblenz

 

 

 

EMILIA GALOTTI

14.11.2014

Schwarz-weiß gemalt und dennoch neu

Moderne Oper hat es schwer. Nicht selten versinken neue Werke nach der Uraufführungsproduktion für immer in der Versenkung, obwohl sie von Fach- und Kritikerwelt durchaus positiv aufgenommen werden, weil sie beim Publikum – dem dann doch wahren Messpegel für Erfolg – schlichtweg durchfallen. Darüber hinaus bieten neue Kompositionen oft nichts wirklich Neues, klingen nach diesem oder gelten als Abklatsch von jenem. Umso mutiger ist die Entscheidung des Theaters Koblenz zu bewerten, in der heutigen Zeit knapper Kassen gerade im Kulturbereich, ein Auftragswerk zu produzieren.  

Entschieden hat man sich für einen wahren Klassiker deutscher Literatur. Gotthold Ephraim Lessings „Emilia Galotti“ hat es in den vergangenen mehr als 240 Jahren unverständlicherweise nicht auf die Opernbühne geschafft, obwohl die Geschichte um Liebe mit tragischstem Ausgang, gepaart mit den Konflikten zwischen Adel und Bürgertum, zwischen Religion und Emanzipation durchaus ein Drama mit genug Potenzial darstellt, um sich auch dort trefflich zu entfalten.

 

Regisseur Elmar Goerden baut ganz auf die Macht dieser Geschichte. Statt auf aufwändige Requisiten setzen Silvio Merlo und Ulf Stengl auf eine weitestgehend leere Bühne und machen mit einer ausgezeichneten Lichtregie die offensichtlichen und unterschwelligen Konflikte deutlich. Die Handlung ist auf gut eineinhalb Stunden gestrafft (Libretto: Markus Dietze), was dem Verständnis der Geschichte über weite Strecken nicht schadet. Lediglich die wirkliche Ursache für Emilias Verzweiflung, der Grund für ihren Plan zur Selbsttötung wird nicht ausreichend beleuchtet und so erschließt sich ihr inneres Drama nur, wenn man die literarische Vorlage kennt. Die Kostüme von Lydia Kirchleitner erinnern an aktuelle italienische Designermode und machen durch ihre Modernität zusammen mit der Musik im krassen Gegensatz zum Text auf Deutsch des 18. Jahrhunderts klar, dass das Dilemma um nicht standesgemäße Liebe, absolutistischen Herrscherwillen und religiöse Zwänge zumindest in der westlichen Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr wirklich tagesaktuell und omnipräsent ist.

Der junge niederländische Komponist Marijn Simons löst das eingangs geschilderte Problem um neue Klänge geschickt. Das Orchester ist klassisch besetzt, einzig um Akkordeon und umfangreiches Schlagwerk ergänzt. Die Instrumente werden traditionell gespielt, die Saiten gestrichen oder gezupft und so tönt nichts Befremdliches aus dem Orchestergraben. Eine weise Entscheidung, setzen doch das Akkordeon und die Percussionsinstrumente genügend Akzente, um allzu eingefahrene Klangpfade zu verlassen und das Werk neu klingen zu lassen, ohne zu verstören. Der Kompositionsstil ist auf weiter Strecke dissonant, gerade in intimen Momenten der Handlung findet Simons jedoch in tonalen Passagen zu einer wunderbar berührenden Lyrik. Simons versucht sich an einer leitmotivischen Kompositionsweise, Vergleiche mit Richard Wagner scheinen gewollt, drängen sich aber nicht wirklich auf. Einzelne Stellen erinnern an den früheren Richard Strauss oder an Francis Poulenc, wobei der Niederländer doch einen eigenen Stil findet und diesen auch zu pflegen versteht. 

Das Auftragswerk scheint sich weitgehend an den stimmlichen Möglichkeiten und individuellen Klangfarben der Sänger zu orientieren und so erscheinen fast alle Künstler als Idealbesetzung. Lediglich und ausgerechnet die Titelfigur klingt oft zu reif. Irina Marinaș singt ohne Tadel, jedoch passt ihre Stimme nur bedingt zum unschuldigen Ding, das sterben will, um der Versuchung zu entkommen. Da hinterlässt Hana Lee als abgelegte Geliebte des Grafen mit unglaublichem Stimmumfang und wahnsinnigen Koloraturen einen viel intensiveren Eindruck. Bart Driessen mit farbenreichem Bass spielt und singt den Vater als Figur zwischen Autorität, Mitleid und Verzweiflung ebenso überzeugend wie Monica Mascus die Hosenrolle des Prinzen in allen Facetten mit ihrem wandelbaren Mezzo beleuchtet. Christoph Plessers weiß als linkischer Intrigant Marinelli genauso zu überzeugen wie der junge Juraj Hollý mit kraftvollem Tenor in der relativ kleinen Rolle des Grafen Appiani. Anne Catherine Wagner als Mutter Claudia und

Kai Uwe Schöler als Conti ergänzen das Ensemble vortrefflich. Hervorzuheben ist die außergewöhnlich gute Textverständlichkeit aller Sänger selbst in eher schrillen Passagen. Die Übertitelung hilft da und dort, wenn es mehrstimmig wird, ist in weiten Teilen aber glücklicherweise überflüssig.  

Musikdirektor Enrico Delamboye führt das Staatsorchester Rheinische Philharmonie klar und sicher durch die schwierige Partitur. Ausbrüche und spannungsreiche Passagen gelingen ebenso wie lyrisch Anrührendes. Bravo!

Das Theater Koblenz präsentiert mit diesem Werk einen spannungsreichen, durchaus interessanten Musiktheaterabend abseits des Üblichen für diejenigen, die neugierig sind. „Emilia Galotti“ ist ein Werk, das durchaus fordert, ohne jedoch den interessierten und offenen Freizeittheaterbesucher zu überfordern. Dem Werk bleibt zu wünschen, dass andere Theater dieses Potenzial erkennen und die Oper da oder dort erneut aufgeführt wird.

Jochen Rüth 15.11.14                                 Bilder: Theater Koblenz

 

Allen Besuchern sei die Werkeinführung von Karsten Huschke 30 Minuten vor Beginn der Vorstellung wärmstens ans Herz gelegt. Der Kapellmeister flüchtet sich nicht in das Verlesen von biografischen Daten von Lessing und Marijn Simons und einer Inhaltsangabe des Werks, sondern versteht es, dem Publikum die Schwellenangst zu nehmen, es neugierig zu machen, und ermutigt es auf wunderbar unterhaltsame Weise, sich auf diesen Opernabend einzulassen.

 

 

 

Markus Dietze beibt Intendant bis 2021

Vorzeitige Vertragsverlängerung: Die Stadt Koblenz teilt mit: "Die Vertragsverlängerung versetzt Intendant Dietze in die Lage, seine seit Amtsantritt im Jahr 2009 sehr erfolgreiche Tätigkeit am Theater Koblenz mit langfristiger Planungssicherheit fortzusetzen. Die Stadt schafft so die Voraussetzungen für eine optimale künstlerische und und strategischer Ausrichtung des Theaters, das durch seine künstlerische Vielfalt eines der kulturell-gesellschaftlichen Zentren, wesentlicher Bildungsträger und unverzichtbarer Bestandteil des kulturellen Lebens in der Stadt Koblenz und in der Region ist." Optimisten mögen aus diesem Text lesen, dass die Diskussionen um Einsparungen des Theaters auf eine konstruktive und sachliche Ebene gebracht worden sind.

ML

 

 

SAMSON UND DALILA

Besuchte Aufführung am 16.09.14                        (Premiere am 13.09.14)

Biblisches in täglicher Aktualität

Mit Strauss`"Salome" hatte das Koblenzer Stadttheater die letzte Spielzeit alttestamentarisch beschlossen, mit "Samson et Dalila" ebenso wiedereröffnet. Saint-Saens`Oper ist durch seine bekannten Melodien (Dalila-Arie und Bacchanale) den Hörern durchaus präsent), doch das Werk selbst findet sich nicht häufig auf den Spielplänen, um das ohnehin schmale, französische Repertoire zu bereichern. Die Oper ist durch ihre oratorienhafte Struktur auch keine einfache Aufgabe für die Regie, zudem liegt eine Aktualisierung durch die Zustände im Nahen Osten als Platitude allzusehr auf der Hand. Waltraud Lehner versucht auf der Koblenzer Bühne durchaus nicht, die brennende Situation zu entschärfen, doch entscheidet sie sich gegen eine handelsübliche Militär-Camouflage-Deutung, sondern beläßt die Darsteller in heutiger Kleidung (Kostüme Katharina Knopp), die mal sowohl jüdisch-orthodoxer, als auch muslimisch-traditioneller Kleidung zugeordnet werden könnten. Überhaupt changieren die verfeindeten Volksgruppen untereinander, denn Lehner zeigt lediglich die verfahrene Situation der Feinde, ohne einen moralischen Unterschied zwischen ihnen zu machen.

Ulrich Frommholds Bühnenbild schuldet in seiner Transparenz auch der Entscheidung Zoll, das Orchester auf die Hinterbühne zu stellen, so werden Überblendungen von Bildern dazu genutzt, dezent eine Atmosphäre zu verbreiten, ohne konkret zu werden. Ein durchsichtige Wand zu einem V auf die Drehbühne gestellt, einige Hocker, sorgen dabei für eine nötige Gliederung vor allem der Chorauftritte. Der oratorische Gestus der Musik entspricht der stilisierten Chorführung, wenige Aktionen sorgen für die dramaturgische Motivierung. Lediglich die Beziehung der titelgebenden Protagonisten wird mit schlichter Glaubwürdigkeit aufgeladen und auf die vorgezogene Vorderbühne platziert, der Akzent bleibt bei Musik und Text, was mehr ist, als ich bei anderen durch Überaktion und Geschichtsparallelen aufgeladenen Inszenierungen gesehen habe. Erst bei der Ballettmusik des dritten Aktes gerät die Regisseurin in die Versuchung einer Überbilderung, weniger wäre da mehr und dämpft den geschlossenen Eindruck bis zum Finale. 

Musikalisch gelingt in Koblenz Beachtliches: Zwar wünschte man sich gerade in ersten Akt stärkere, dramatische Impulse von Joseph Bousso, doch die hintere Platzierung des Orchesters braucht die zelebrierte Sicherheit, sowohl für die Einsätze für Chor und Solisten, als auch für eine ausgewogene Klangdynamik zwischen den Kollektiven, und gerade das gelingt dem Dirigenten ganz ausgezeichnet. Der Klang des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie klingt gerade in den tiefen Stimmen etwas dumpf und dominierend, da wünscht man etwas mehr Mischung gerade von den hellen Streicherstimmen, doch die Spielkultur ist gut.

 

Mit Deniz Yilmaz gewann man einen beeindruckenden Tenor für den Samson, der nicht das genuin hochliegende Timbre eines französischen Sängers aufwies, doch mit bronzen baritonaler Lage gefiel, ohne die nötigen Höhenreserven vermissen zu lassen. Monica Mascus ist seit vielen Jahren eine der großen Stützen des Koblenzer Ensembles und fügt mit der Dalila ihren Partien eine neue Trumpfkarte hinzu. Die enormen Höhen der weitausschwingenden Tessitur dieser Rolle gelingen zwar nicht immer ohne Schlacken, doch die sinnliche, gesunde Mittellage und die profunden Tiefen klingen fantastisch. Beiden Sängern, doch vor allem der Mezzosopranistin, sei jedoch empfohlen, sich stimmlich auf der Vorderbühne manchmal zurückzunehmen, denn viel Kraft ist gar nicht nötig, das Koblenzer Haus zu füllen. Michael Mrozek gefällt als Oberpriester der Dagon durch männlich markante Baritonkultur. Jongmin Lims Bass als Abimelech ist gesanglicher Luxus. Evgeny Sevastyanov, Junho Lee, Juray Hollý und Christoph Plessers hinterlassen in den kleineren Partien ebenfalls gute Eindrücke. Die Chöre und Extrachöre des Koblenzer Theaters werden den großen Aufgaben in Saint-Saens' Oper unter Ulrich Zippelius Leitung mehr als gerecht. So hat das Koblenzer Haus einen sehr beeindruckenden Saisonstart hingelegt, der vom Publikum mit animierter Emphase aufgenommen wird.

Martin Freitag 19.9.14            Fotos:  Matthias Baus für das Theater Koblenz

 

 

 

Psychoanalytisch und erotisch

SALOME

Besuchte Aufführung: 8. 4. 2014 (Premiere: 22. 3. 2014)

Triebbefriedigung einer femme fatale

Dieses Jahr feiert die Musikwelt das Strauss-Jubiläum. Vor 150 Jahren erblickte der Garmischer Meister in München das Licht der Welt. Auch das kleine Theater Koblenz ließ es sich nicht nehmen, dem Jubilar seine aufrichtige Reverenz zu erweisen. Die Wahl fiel auf „Salome“, also gerade die Oper, mit der Strauss im Jahre 1905 der Durchbruch als Opernkomponist gelang und mit deren Tantiemen er sich nach eigenem Bekunden seine Garmischer Villa bauen konnte. Nun ist der Orchesterapparat dieses Werkes gewaltig, 113 Instrumente weist die Partitur aus. Dass man in Koblenz auf eine reduzierte Fassung zurückgreifen würde, verstand sich von selbst. Da sich der Graben des Koblenzer Theaters aber auch für diese beschränkte Zahl von Musikern als zu klein erwies, verfiel man auf folgende praktikable Lösung: Das Orchester wurde von seinem angestammten Platz kurzerhand in den hinteren Bereich der von Bodo Demelius eingerichteten Bühne verbannt, während der überdachte Graben in das Spiel mit einbezogen wurde. 

Susanna Pütters (Salome), Michael Mrosek (Jochanaan)

Die mit einem roten Boden - eine treffliche Versinnbildlichung des später vergossenen Blutes - versehene Vorderbühne ist in der Inszenierung von Intendant Markus Dietze ganz der Titelfigur zugeordnet. Noch vor dem Einsetzen der eigentlichen Musik betritt sie zu den vom Band eingespielten Klängen eines Pseudo-Strauss’schen Orchesterstückes diesen Bereich der Spielfläche und träumt sich im Folgenden in die die Zeit der Uraufführung zurück. Durch einen transparenten Gaze-Vorhang, auf den in kargem Schwarz-Weiß zahlreiche Videoprojektionen geworfen werden, betritt sie die Welt der Reichen und Schönen der Wilhelminischen Ära. Handlungsort ist indes nicht Dresden, der Uraufführungsort des Werkes, sondern ein neoklassizistisch anmutender Wellness-Raum, der von einem Jochanaan als Gefängnis dienenden Kaltwasserbecken beherrscht wird, in Wien. Ein auf der rechten Seite stehender Flügel wirkt in diesem Ambiente etwas deplaziert. Die Verlegung des Geschehens in die österreichische Hauptstadt ist indes nicht willkürlicher Natur, sondern ganz konzeptimmanent. Denn Wien war auch der Wirkungsort von Sigmund Freud, dessen Lehre von den Triebkräften des Menschen in Dietzes Deutung zentrale Relevanz zukommt. 

Ji-Soo Kim (Zweiter Nazarener), Christoph Plessers (Erster Nazarener), Susanna Pütters (Salome), Michael Hamlett (Sklave), Monica Mascus (Herodias), Dirk Eicher (Erster Jude), Hubert Delamboye (Herodes), Haruna Yamazaki (Page)

Während der Rahmenhandlung wird gekonnt das innere Terrain für Salomes spätere Handlungen vorbereitet. Zwei auf die Gardine projizierte riesige Männergesichter lösen in ihr schlagartig ein bisher anscheinend nicht gekanntes sexuelles Verlangen aus. Die überdimensionale Kraft des Eros überwältigt sie mit aller Macht und lässt ihr Verhalten im weiteren Verlauf des Geschehens, während dem sie auch die Mittelbühne betritt, lediglich als Mittel zur Triebbefriedigung erscheinen. Womit wir bei Freud wären. Dass das Ganze als Traum der judäischen Prinzessin erscheint, in dem sich alles aus ihrer Perspektive abspielt, ist in diesem Zusammenhang nur konsequent, denn der Wiener Psychoanalytiker entwickelte seine bahnbrechenden Lehren ja gerade anhand der Traumdeutung. Diese Salome würde für ihn wahrlich ein treffliches Studienobjekt darstellen. Nachhaltig zeigt Dietze das Bild einer sich mitten in der Adoleszenz befindlichen jungen Frau, deren Lechzen nach sexuellem Ausgleich die schlagartige Freisetzung enormer nervöser Energien, um es mit Freud auszudrücken, zur Folge hat. Diese für Freud sehr wichtige Phase der Persönlichkeitsentwicklung nimmt hier keinen normalen Verlauf. Salomes unerfüllter Wunsch, den Mund des Jochanaan zu küssen, löst in ihr eine Zwangsvorstellung aus, die sie letztlich die Hinrichtung des Propheten fordern lässt. 

Michael Mrosek (Jochanaan), Haruna Yamazaki (Page), Juraj Holly (Narraboth), Susanna Pütters (Salome)

Um ihr Ziel zu erreichen, ist ihr alles recht. Vom Regisseur von Anfang an als gewissenlose femme fatale vorgeführt - ein Typus, der sich gerade um die vorletzte Jahrhundertwende entwickelte -, steuert sie zielstrebig und berechnend auf den Schleiertanz als Höhepunkt der Oper zu, den sie weniger dem alkoholsüchtigen Herodes als vielmehr dem geliebten Propheten weiht, der offensichtlich unter einer ausgemachten Psychose leidet und demgemäß von Dietze in eine Zwangsjacke gesteckt wird, von der ihn Salome schließlich befreit. Während ihres Tanzes wirft sie ihm ein Kleidungsstück nach dem anderen in das Becken herunter, bis sie schließlich mit völlig entblößtem Busen dasteht. Zur Untermauerung ihres perversen Verlangens nach dem Haupt des Propheten, der ihren eindeutigen Avancen gegenüber zuerst durchaus aufgeschlossen ist, sie aber dann aus Pflichtgefühl von sich stößt, bleibt sie noch eine ganze Weile oben ohne stehen. Sie weiß nur zu gut, welche Wirkungen ihr nackter Oberkörper auf den bereits deutlich in die Jahre gekommenen, lüsternen Herodes auslöst. Sie ist schon ein ganz ausgekochtes Luder, das seine körperlichen Vorzüge gezielt einzusetzen weiß, um ihren Wunsch erfüllt zu bekommen. Mit äußester Radikalität wirft der Regisseur einen tiefschürfenden Blick in die tiefsten Abgründe ihrer Psyche und entlarvt ihre Libido und auch deren Träger, das von Freud propagierte Es, als gestört. Auch der Steuerungsmechanismus des Ichs vermag hier keinen Ausgleich mehr herbeizuführen. Wo aber keine Regulierung der Triebe mehr stattfinden kann, ist eine normale sexuelle Entwicklung aber nicht mehr gewährleistet und innerem Triebchaos Tür und Tor geöffnet. Die Gesellschaft erkennt, dass von Salome in diesem Zustand auch weiter eine große Gefahr ausgeht und stimmt ihrem von allen Handlungsträgern begleiteten Tod nur zu gerne zu. Auch die Absetzung und Inhaftierung von Herodes durch die Soldaten wird widerspruchslos hingenommen. Herodias hat sogar ihre Freude daran. Es ist nicht auszuschließen, dass sie da ihre Finger mit ihm Spiel hat. Jedenfalls scheint sie ihre neue Alleinherrschaft sehr zu genießen. Das alles wurde von dem regieführenden Intendanten mittels einer ausgefeilten Personenregie spannend und stringent sowie mit mächtigen visuellen Impressionen garniert umgesetzt, ohne dabei aufgesetzt oder überdreht zu wirken. Es ist eine sehr effektive, runde und geschlossene Inszenierung, die Dietze  gelungen ist, die nachhaltig als Aushängeschild für das Koblenzer Theater taugt und einen mehr als gelungenen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des Werkes bildet. 

Susanna Pütters (Salome), Enrico Delamboye (Dirigent), Hubert Delamboye (Herodes)

Von den Sängern ist an erster Stelle Michael Mrosek zu nennen, der als Jochanaan an diesem Abend alle seine Partner/innen weit hinter sich ließ. Ein prachtvoll sonorer, stark und frisch klingender Bariton bester italienischer Schulung, die große Kultiviertheit seines Vortrags und eine enorme Ausdrucksintensität der Tongebung ließen seine prachtvolle Leistung wieder zu einem Ereignis werden. Nachhaltig muss man sich die Frage stellen, warum dieser phänomenale junge Bariton, der vielen, auch berühmteren Vertretern des Propheten überlegen ist, nicht an den größten Häusern singt. Das Zeug dazu hätte er. Sein hohes Niveau vermochte Susanna Pütters in der Titelpartie nicht zu erreichen. Zwar war sie rein äußerlich und auch von ihrem intensiven, erotischen Spiel her durchaus eine treffliche Wahl für die Salome. Stimmlich blieben bei ihr aber Wünsche offen. Ihr Sopran ist in der Mittellage und Tiefe angenehm anzuhören. Indes neigte sie oft dazu, in der Höhe vom Körper wegzugehen, wodurch sich bei den eklatanten Spitzentönen der Partie nicht nur einmal ein nicht gerade schöner Klang einstellte. Das hochdramatische Fach ist eben nicht das ihrige. Sie sollte die natürlichen Grenzen ihrer an sich recht gefälligen Stimme etwas besser beachten. Sonst könnte sich das in einigen Jahren vielleicht rächen. 

 

Susanna Pütters (Salome), Michael Mrosek (Jochanaan)

 

Darstellerisch eine Wucht war Hubert Delamboye, den man noch aus Wiesbaden in Erinnerung hat, als Herodes. Trotz seiner inzwischen 68 Jahre erwies er sich als echtes Bühnentier, das es trefflich verstand, die Aufmerksamkeit stets auf sich zu richten. Leider war seine gesangliche Leistung nicht in demselben Maße überzeugend. Der Sitz seines Tenors war etwas variabel. Mal sang er mit guter Fokussierung, oftmals rutschte ihm die Stimme aber auch in die Maske. Vokal überlegen war ihm die noch recht jugendliche, schön aussehende Herodias von Monica Mascus, die ihren insgesamt gut sitzenden Mezzosopran nur in der Höhe hier und da mal etwas zu ausladend einsetzte. Eine tiefere Stütze seines Tenors hätte dem den Narraboth recht flach singenden Juraj  Holly gut getan. Da klang der Mezzosopran von Haruna Yamazakis Pagen schon erheblich tiefgründiger. Voll und rund singend präsentiere sich der erste Nazarener von Christoph Plessers, dessen tiefes g indes noch ausbaufähig ist. Er ist eben ein Bariton und kein Bass, wie ihn Strauss für die Rolle vorschreibt. Jin-Soo Kom war ein passabler zweiter Nazarener. Tadellose Bassstimmen brachten Christiaan Snyman und Evgeny Sevastyanov für die beiden Soldaten mit. Solide gab Marco Kilian den Cappadozier, während Michael Hamletts Sklave reichlich dünn klang. Mit sehr kehliger Tongebung vermochte der als indisponiert angekündigte Dirk Eicher in der Rolle des ersten Juden alles andere als zu gefallen. Das gilt auch für den maskig vokalisierenden Junho Lee als zweiter Jude. Sebastian Haake wurde dem vierten Juden nur in der Mittellage gerecht, da sein Tenor im oberen Stimmbereich nicht im Körper saß. Gut gefielen dagegen Tobias Rathgeber (Dritter Jude) und Jongmin Lim (Fünfter Jude).

Eine gute Leistung ist Enrico Delamboye - Vater des Herodes-Sängers - zu bescheinigen, der mit dem gut disponierten Staatsorchester Rheinische Philharmonie einen ansprechenden Mischklang erzeugte, bei dem weder Bläser noch Streicher eine Vorrangstellung einnahmen. In dynamischer Hinsicht ging der Musikdirektor des Koblenzer Theaters indes manchmal zu sehr in die Extreme. Da wäre etwas weniger zeitweilig mehr gewesen. 

Ludwig Steinbach, 9. 4. 2014              Die Bilder stammen von Matthias Baus.

 

 

 

 

Originell: eine scharfe Angelegenheit

SALOME

Premiere am 22.03.2014

Salome als femme fatale im Freudschen Umfeld

Der Intendant des Theater Koblenz und Regisseur dieser Produktion Markus Dietze verlegt seine Inszenierung in das soziokulturelle Umfeld der Entstehungszeit der Oper um 1900, stellt dabei entsprechend der Freudschen Analyse der Triebkräfte des Menschen die sexuelle Besessenheit der Titelfigur heraus und beleuchtet die dekadente Gesellschaft einer Spätzeit. Spätzeit herrscht nach Meinung der Kulturpessimisten fast immer, bestimmt aber im Judäa des „Originalgeschehens“ der Oper vor der Zeitenwende wie auch um die vorletzte Jahrhundertwende. Insofern ist das Konzept stimmig, auch wenn um 1900 bei Hofe in Mitteleuropa keine abgeschlagenen Köpfe auf dem Silbertablett serviert wurden; aber zweifelhafte Propheten wurden auch damals noch eingekerkert. Dietze gelang eine schlüssige, reibungsfreie Umsetzung des Stoffs, wobei ihm Einfühlungsvermögen und Subtilität zu einer gut durchdachten, geschlossen wirkenden Arbeit verhalfen, in der zudem nicht aufgesetzte Effekte dominierten, sondern vielfältige feine und originelle Regieeinfälle gefielen. 

Man erahnt das Konzept schon bei der frei hinzugefügten Anfangsszene. Wie erwartet hat das Orchester auf der Hinterbühne Platz genommen, da Strauss für die Salome keine Kammermusik geschrieben hat. Die Titelfigur steht auf dem abgedeckten Orchestergraben und schaut auf einen Gaze-Vorhang, auf welchen eine Scheinwelt projiziert wird: eine Art Hotelhalle mit Rezeption, eine Lobby mit gut gekleideten Bürgern im Stil des fin de siècle gekleidet, auch Juden unter ihnen. Dazu wird eine sphärische, auf Strauss zurückgehende, aber verfälschte Musik eingespielt. Alle sind scheiß-freundlich zueinander. Zum Beginn der Original-Oper wird die Beleuchtung auf der Mittelbühne hochgefahren, die Illusion ist beendet; man scheint sich in einem etwas herunter gekommenen Salon zu befinden: ein großer rechteckiger neoklassizistischer Saal mit Stützen in der Mitte und bis hinter das Orchester reichenden Fensterfluchten. Am Rande ist er spärlich mit Sitzmöbeln ausgestattet; dazu ein Flügel und in der Mitte eine große rechteckige Vertiefung wsie ein Schwimmbad oder ein Saunabecken. Das Bühnenbild stammt von Bodo Demelius. Das Becken (Gefängnis des Jochanaan; ein richtig unsinniges Schwimmbad gab es in der Mussbach-Inszenierung in Dresden 2005) steht natürlich im Zentrum des Geschehens, was den nachteiligen Nebeneffekt hat, dass auch viel am Rand der Bühne gespielt werden muss – schlecht einzusehen von den Seitenplätzen des klassizistischen Koblenzer Theatersaals. 

Prolog:  Susanna Pütters (Salome) vor einem Gesellschaftstableau

In dem Saal tummelt sich eine merkwürdige Gesellschaft, die von Claudia Caséra in originell-funktionelle Kostüme gesteckt ist. Zwei Soldaten in einfachen Drill-Uniformen und ihr Hauptmann (Narraboth) als schicker Party-Hai in Frack und Gamaschen; der Page als Groom; der Sklave im „einfachen“ schwarzen Anzug, der Cappadozier ebenfalls im Frack, aber mit weißer Hose. Aus der Tiefe des Beckens tönt die Stimme des Täufers, die die herbeigeeilte Salome (ganz schick im langen gelben Gesellschaftskleid) fasziniert. Jochanaan wird auf ihr Geheiß nach oben gebracht: er ist in eine Zwangsjacke gesteckt; zu Recht, denn er hat eine Psychose und brabbelt, wenn er nicht gerade die Unzucht der Königin lautstark verdammt, laufend tonlos vor sich hin. Es ist Salome, die die Ärmel seiner Jacke löst, damit er sie umarmen und küssen könne. Er schien das gerne tun zu wollen; aber sein Pflichtbewusstsein ruft ihm seine stereotypen Frauenfeindlichkeiten wieder in Erinnerung („Mit dem Weib kam das Übel in die Welt“; warum haben eigentlich die Emanzen und ewig politisch Korrekten unserer Zeit diese Oper noch nicht verteufelt und verbieten lassen? Vielleicht erst 2019, wenn die Urheberrechte auslaufen?). Köstlich ironisierend die fünf Juden und die beiden Nazarener, alle von Maske und Kostümbildnerin schön individuell zubereitet. 

Michael Mrosek (Jochanaan), Haruna Yamazaki (Page), Juraj Hollý (Narraboth), Susanna Püttmers (Salome)

Ganz überkandidelt kommt Herodes auf die Bühne gelaufen. Ihm ist es angesichts seiner Stieftochter zwar warm und kalt zugleich (warum er eigentlich seine Nichte und Schwägerin Herodias geheiratet hat, kann man angesichts der Dialoge nicht nachvollziehen; aber vermutlich hat die Kohle gehabt. Nun zanken sie sich wegen jeder Kleinigkeit wie ein älteres Ehepaar.) Ihre individuellen Probleme verdrängen die Mitglieder der Königsfamilie mit der Flasche: „Am Alk hängt, zum Alk drängt doch alles“. Salome schlägt die Warnungen ihrer Mutter in den Wind und lässt es gezielt zum Schleiertanz kommen. Von ihrem schicken gelben Kleid kann sie genügend Teile lösen. Den größeren Teil ihres Tanzes führt sie in Richtung des Schwimmbads aus; er gilt mehr dem Jochanaan da unten, dem sie auch etliche Kleidungsteile hinunterwirft, als dem aufgegeilten Stiefvater. Der verhält aber einen großen Umhang, unter dem er sich verkriecht, als er seinen Schwur einlösen muss und die Folgen nicht mit ansehen kann. Ganz korrekt wird der Schwur übrigens nicht eingelöst, denn von einem Silberteller ist nichts zu sehen. So wälzt sich Salome mit dem abgehauenen Kopf lustvoll im Dreck. Inzwischen hatte jemand den Ring des Herodes genommen und ihn der Königin gegeben. Nun ist sie im Besitz der Macht. Als ob es sich um ein Rollenspiel gehandelt hätte, versammeln sich nach und nach alle siebzehn Bühnenmitwirkenden, um das Ende zu verfolgen. Nachdem („Man töte dieses Weib“) Salome nicht mehr ist, lässt Herodias ihren lieben Gatten von den beiden Soldaten in das Schwimmbad-Verlies abführen. Kräftige Orchester-Schläge, Beginn des Matriarchats? Ende der Oper! 

Susanna Püttmers (Salome)

Das Staatsorchester Rheinische Philharmonie, das neben einem umfänglichen Konzertprogramm in der Region bei allen Musiktheateraufführungen des Theaters Koblenz spielt, hatte seine etwa siebzig Musiker auf der Hinterbühne versammelt. Bis auf die annähernd 60 Streicher, die Strauss für das Salome-Orchester vorgesehen hat, konnten fast alle Instrumentalisten aufgeboten werden. Dennoch unterlag der Musikdirektor und Chefdirigent des Theaters Enrico Delamboye nicht der Versuchung, die Partitur bläserlastig zu spielen, was vielfach in kleineren Theatern bei ähnlichen Orchesterkonstellationen zu hören ist. Vielmehr erreichte er von der Hinterbühne des kleinen Theaters einen insgesamt gut kontrollierten und zwischen den tragenden Streichern und nuancenreich färbenden Bläsern ausbalancierten Klang. Allerdings reizte er die Dynamik der Partitur bis zur Übertreibung und schonungslos für die Musiker aus, ließ es teilweise scharf und krachend zur Sache gehen und zeigte sich besonders interessiert am Herausarbeiten einiger dissonanter Stellen. Das Orchester spielte ohne Fehl und Tadel, profilierte sich natürlich besonders bei den beiden Zwischenspielen und sorgte mit teilweise geballter Energiefreisetzung mit für den nachhaltigen Eindruck des Abends. Das taten indes auch die Sänger, die in diesen Passagen weniger vom Orchester geschont wurden als durch die Tatsache, dass sie sich zehn Meter näher zum Publikum bewegen konnten. 

Hubert Delamboye (Herodes), Susanna Püttmers (Salome)

Für die Rolle des Herodes hatte Enrico Delamboye seinen Vater Hubert Delamboye gewinnen können, den man an Rhein, Main und Mosel länger nicht mehr gehört hatte. Ein Glücksgriff für diese Rolle! Was der schauspielerisch und gesanglich in die Rolle brachte, war ein Hinhörer und ein Hingucker für die energetische Spitzenleistung des immerhin 69-jährigen. Bestens verständlich in der Diktion brachte er sein kräftiges und klares, bronzenes Tenormaterial zur Geltung und spielte den alten König wie losgelassen, bis er sich zum Schluss unter einem der Schleier der Salome verkroch. Die weiteren Rollen waren von Ensemble-Mitgliedern übernommen. Susanna Pütters überzeugte in der Titelrolle mit phänomenaler Bühnenpräsenz. Nicht als verzogenes, kapriziöses Jungmädchen agierte sie, sondern als junge femme fatale, berechnend das Geschehen antreibend. Obwohl sie keine Hochdramatische ist und an den Extremanforderungen im zweiten Teil deutlich an ihre stimmliche Grenze kam, begeisterte sie das Publikum mit Ausdruck und Emotion sowie Klarheit der Linien und gut nuancierter Farbgebung ihres gut geführten Soprans. Bühnenerscheinung und Figur erlaubten ihr, die Endpassage des Schleiertanzes sehr gewagt zu gestalten. Es bleibt zu hoffen, dass diese Salome weiterhin die Musikfreunde und nicht die Voyeure anzieht. Mit Michael Mroseks Bassbariton war ein überaus stimmstarker Jochanaan besetzt, der sich auch aus der Tiefe bestens verständlich machte. Die Salome verfluchte er zwar pflichtgemäß bei deren Annäherungsversuch; doch auch er schien doch stark angezogen von dieser attraktiven Person. Monica Mascus mit hoher, schlanker Erscheinung - untypisch für die alternde Königin Herodias - sang diese mit kräftigem, ausladendem Mezzo; leider blieb ihre Textverständlichkeit stark zurück. Dennoch war insgesamt die Abwesenheit von Übertitelung kein Manko. Neu im Koblenzer Ensemble ist der Tenor Juraj Hollý, der als Narraboth besetzt war. Seine schmucke Gestalt und sein feiner lyrischer Tenor überzeugten. Haruna Yamazaki gefiel mit klarem, silbrigem Sopran als viel herumgeschubster Page.  Aus den weiteren elf (!) Rollen der Oper fiel Christoph Plessers mit kraftvoll klarem Bassbariton als Erster Nazarener auf.  

Für das Dafürhalten Ihres Kritikers die bei weitem stärkste Opernproduktion des rührigen Koblenzer Hauses in den letzten Jahren! Das sehr konzentrierte Publikum im ausverkauften Haus war restlos begeistert und bedankte sich für diese sehr nachhaltige und eindringliche Produktion mit fast viertelstündigem jubelndem Beifall. Diese Produktion sollte man sich nicht entgehen lassen; Gelegenheiten gibt es noch genügend: Ab dem 28. März kommt diese Salome noch weitere zehn Mal bis zum 29. Juni 2014.  

Manfred Langer, 23.03.2014               

Fotos: Matthias Baus/Theater Koblenz

 

 

 

 

Ohne Wald, ohne Grün

DER FREISCHÜTZ

Vorstellung am 13.10.2013   (Premiere am 21.09.2013)

Ein Bilderbogen im grauen Irgendwo mit bunten Kostümen

„Erste deutsche Nationaloper“ nannte man früher gern den Freischütz. Die Hauptrolle in diesem Werk wird immer noch dem deutschen Wald zugeschrieben, der durch die Partitur geistert: Romantik pur. Auch davon will man heute nicht mehr so viel wissen; „national“ passt nicht mehr, die „romantische“ Oper hat Richard Wagner auf dem Gewissen, besser gesagt: er hat sie letztlich museal gemacht, obwohl er ein großer Anhänger von Weber gewesen ist und Honig aus seiner Musik gesaugt hat. Den Freischütz kann man heute nicht mehre traditionell inszenieren, sagte der Regisseur Raik Knorscheidt, um auf seine eigenartige Freischütz-Regie in Würzburg vorzubereiten. Kann man nicht? Können vielleicht heute nur noch die allerbesten des Inszenierungsmetiers. Aber das Publikum erwartet im Blick auf die vielen potentiellen Peinlichkeiten einer weniger gekonnten konventionellen Regiearbeit eine solche auch gar nicht mehr. 

In der Mitte: Evgeny Sevastyanov (Kuno); Statiaterie, Chor

Philipp Kochheim, als Oberspielleiter am Staatstheater Darmstadt einst vom Intendanten John Dew entsorgt, weil er dessen konventionell gewordene Sicht auf den Opernbetrieb nicht mittragen wollte, und inzwischen Operndirektor am Staatstheater Braunschweig, legt nun mit dem Freischütz seine dritte Regiearbeit am Theater Koblenz vor. Ganz sicher würde er keine grünen Jäger und keinen grünen Wald in Szene setzen. Aber dennoch wirkt seine Arbeit trotz anderer Farben (s.u.) bis in den zweiten Akt („Vorsaal mit Seiteneingängen im Forsthaus“) eher konventionell und nahe am Libretto (Ännchens Spinnrad ist eine Nähmaschine!) und weist kaum Reibungen mit dem Text auf, was nur teilweise daran liegt, dass die gesprochenen Dialoge stark eingekürzt und (ohne jeden Mehrwert) zum Teil umgetextet wurden. Auch einige ironisierende Verfremdungen können diesen Eindruck nicht beseitigen. Die Personencharakterisierung ist teilweise originell; es findet auch stets Bewegung auf der Bühne statt, aber insgesamt bleiben die Regieeinfälle eher flach. Kochheim gibt dem Samiel einen prologartigen Monolog zu Beginn, kleidet ihn in zitronengelb und umgibt ihn mit vier Nebenteufelchen, die hier und da die Szene aufmischen. 

Wolfsschlucht: Statistin, Bart Driessen (Kaspar), Michael Zabanoff (Max)

Aber im ersten Bild des zweiten Akts gibt es dann doch einen Aufreger. Agathe legt sich auf ein Bett und hat vor ihrer Arie („Leise, leise“) zu einem weiteren eingefügten Samiel-Text einen Alptraum mit Maschinengewehrfeuer in einem heftigen Gewitter, schon ehe es heißt „Nur dort in der Berge Ferne, scheint ein Wetter aufzuziehn“. Agathe ist in dieser Inszenierung nicht das leidende Heimchen, sondern eine selbstbewusste eigenständige Frau. An Max‘ Lügen von einem in der Wolfsschlucht erlegten Hirsch glaubt sie zu keinem Moment. „Hau nur wieder ab“, scheint sie ihm zu sagen – und packt selbst ihren Koffer. In der Wolfsschlucht hat es einen Waldbrand gegeben. Verkohlte Baumreste (Bühne: Thomas Gruber) stehen auf der Bühne. An denen wird eine Frauengestalt, die Agathe ähnelt, festgebunden. Die sieben Freikugeln schneidet Kaspar ihr aus dem blutenden Leib. Ansonsten beherrschen große verschiebbare graue Wände das Bühnenbild: bloß kein Grün! Das könnte überall spielen.  Im nächsten Bild wird die Peinlichkeit des Brautjungfern- „Bandwurms“ (Heinrich Heine) im Original vermieden, indem er sowohl dramaturgisch als auch musikalisch zu einer ebenso peinlichen Comedy-Szene umgestaltet wird. Es gibt keine Schachtel mit einer schwarzen Totenkrone; folgerichtig gibt es auch die „weißen Rosen des Eremiten“ nicht; der Rest der Handlung entbehrt damit eines wesentlichen logischen Elements (Dramaturgie: Christiane Schiemann) und wirkt klamaukig.

Susanna Pütters (Agathe); Hana Lee (Ännchen)

Im letzten Bild macht Kochheim eine Anleihe bei Konwitschny. Zu den Worten des Chors: „ist männlich Verlangen, erstarket die Glieder“erlegen die Jäger (hier nur) eine Maid und schleppen sie wie einen erlegten Hirsch fort. Zum guten Schluss nach der Wendung durch den Eremiten wie in einer alten seria versammelt man sich zum Jubelensemble an der Rampe, wobei sich die vier Teufelchen hindurchdrängen und das Gesungene durch ihr Mienenspiel in Frage stellen. Das wäre ein gelungener ironischer Schluss der Oper gewesen. Aber die Regie lässt Agathe zum Schluss noch siegestrunken ein Gewehr schwenken – ebenso überflüssig wie deplatziert. Gewehre allerdings wurden währen der Oper dauernd von jedem auf jeden gerichtet; aber nur einmal dramaturgisch originell, als Agathe es drohend auf den Fürsten richtet, der ihren geliebten Max verbannen will. Gesamteindruck der Regie: sehr durchwachsen. In dieser wenig kohärenten Inszenierung, die kein Grundkonzept erkennen lässt, stört dennoch nichts wirklich - bis auf die Geschmacklosigkeit des Kugelgießens. Mathilde Gebrot hat für Chor und Protagonisten einfallsreiche, hübsche Kostüme entworfen. Die Frauen in Fantasietracht in Rot bis Orange, die Männer, selbst die Jäger in Rot bis Braun, die Teufel in Gelb. Grün kommt lediglich bei den beiden Solistinnen vor: giftgrüne Unterwäsche.  

Susanna Pütters (Agathe); Evgeny Sevastyanov (Kuno) Christoph Plessers (Ottokar)

Größere Kohärenz gab es bei den musikalischen Leistungen. Mit einer eher kleinen Besetzung von knapp vierzig Musikern hatte das Staatsorchester Rheinische Philharmonie im Graben Platz genommen; absolut genügend für den kleinen Theatersaal. Enrico Delamboye führte den Stab zu einem recht kantigen Dirigat, dem wohl manchmal die Geschmeidigkeit bei den Übergängen fehlte, das aber insgesamt durch Frische und Inspiration überzeugte. Besonders schön wurden die Färbungen der teilweise solistisch herausgehobenen Holzbläser gestaltet. Den Hörnerschall zu Beginn des dritten Akts hätte man indes besser einspielen sollen. Bei seiner Wiederholung zum Jägerchor gelang er etwas besser. Als Zwischenszenenmusik im dritten Akt wurden Teile aus der „Aufforderung zum Tanz“ gespielt. Musikalisch sehr schön und extra (an der falschen Stelle) beklatscht, aber warum: diese brillant heitere Musik vor dem düsteren Geschehen der letzten Szene. Den stärksten Eindruck an diesem Abend hinterließen Chor und Extrachor, bestens von Ulrich Zippelius einstudiert; auch bewegungsmäßig waren die Chöre gut gefordert; völlig Zu Recht erhielten sie Bravo-Rufe beim Schlussapplaus. 

Jongmin Lim (Eremit); Christoph Plessers (Ottokar)

Auf der Bühne agierte ein solides Sängerensemble. Hana Lee gab ein quicklebendiges Ännchen technisch sauber, mit schlanker, beweglicher Stimme und bestätigte wieder einmal die gute Entwicklung, die sie am Theater Koblenz genommen hat. Susanna Pütters gefiel mit exquisiter Bühnenerscheinung als Agathe, die sie sauber mit ihrem klaren, gut geführten, kräftigen Sopran gestaltete; über die warme Grundierung dieser Rolle verfügt sie indes noch nicht, und sie ließ ihre Stimme nicht frei schwingen. Michael Zabanoff sang als Gast den Max. Er verfügt über ein sehr kräftiges, schön eingedunkeltes Tenormaterial, mit welchem er die Max-Arie mit dem Brustregister tadellos bewältigte. Mit hervorragender Bühnenpräsenz und großen schauspielerischen Können hatte Bart Driessen als Kaspar die besten Voraussetzungen für den Bösewicht, den er mit seinem kräftigen hellen Bass auch stimmlich überlegen gestalten konnte. Fast konnte man Sympathie für ihn empfinden. Marco Kilian (nomen est omen) gab einen stimmlich und darstellerisch beweglichen Kilian. Etwas hölzern wirkte Evgeny Sevastyanov als Förster Kuno, von derf Regie als Wendehals inszeniert; sein kräftiger sonorer Bass war deutlich muttersprachlich eingefärbt. Mit vollem, rundem Bariton gefiel Christoph Plessers als Fürst Ottokar. In zotteliger grauer Kutte trat zum Schluss Jongmin Lim als Eremit auf und begeisterte in dieser (leider) kleinen Rolle mit strömendem, mächtigem Bass. Für das ulkig inszenierte Quartett der Brautjungfern waren mit Michèle Silvestrini, Sieglinde Coudert, Eva Krumme und Suk Westerkamp (überwiegend Chorsolisten aus dem Koblenzer Opernchor) durchaus reizende Sopranstimmen aufgeboten. Alle Sänger boten eine gute Textverständlichkeit, so dass zu Recht auf die Übertitelung verzichtet werden konnte. In der aufgebohrten Sprechrolle des Samiel agierte Felix Meyer mit überwiegend hoher Lautstärke und nicht immer gut textverständlich. Die Darsteller der vier Nebenteufel sind im Programmheft nicht benamt. Wenn es sich um „normale“ Statisten gehandelt haben sollte, dann gebührt ihnen einen Sonderlob für ihre Bewegungen und vor allem den getanzten Walzer aus dem ersten Akt, womit die Regie eine Volksszene vermied.

Wie der herzliche, lang anhaltende Beifall aus dem sehr gut besuchten Haus bewies, kam die Aufführung beim Publikum an. Die fast dreistündige Vorstellung kommt vom 13.11.13 bis zum 20.02.14 noch acht Mal.

Manfred Langer, 14.10.13

Fotos: © Matthias Baus für das Theater Koblenz

 

 

Opernprogramm für die Saison 2013/2014

Die fünf Operninszenierungen in der neuen Saison bilden ein eher konventionelles Musiktheater-Programm in Koblenz, das am 21. September (jeweils Premierendatum) mit einem neuen Freischütz beginnt (Regie: Philipp Kochheim); am 2. November folgt die Fledermaus (Regie: Cordula Däuper) und am 18. Januar Die verkaufte Braut (Regie: Thomas Münstermann); letztere stand erst 2004 in Koblenz auf dem Programm. Als "musikalisches Schauspiel"  sind Die Comedian Harmonists tituliert, die am 1. Februar herauskommen (Inszenierung: Waltraud Lehner).Zum Strauss-Jahr 2014 inszeniert der Intendant Markus Dietze die Salome, die am 22. März herauskommt; und am 24. Mai hat Der Barbier von Sevilla (Regie: Beate Baron) Premiere. Dazu kommt noch ein Ballett-Abend. 

 

Besprechungen älterer Aufführungen befinden sich ohne Bilder in unserem Archiv auf der Seite Koblenz

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