Opernhaus Malmö
Stream aus der Malmö Opera:
Zum 2.)
FALSTAFF
07.11.2020
Falstaff (Misha Kiria) vor der Fernsehkamera ( Fotograf: Jonas Persson )
In Wien haben wir nur eine vage Erinnerung an Regisseurin Lotte de Beer – sie hat im Theater an der Wien den Bizet’schen „Perlenfischern“ den Rahmen einer Filmproduktion verpasst, die in Ceylon irgendwas Exotisches auf die Leinwand bannt. Das war so aufregend nicht, denn Geschichten „im Rahmen“ zu erzählen, ist absolut nicht neu – im Gegenteil, derzeit so häufig, dass schon fast abgegriffen. Mittlerweile wurde die Holländerin zur designierten Direktorin der Volksoper ernannt und ist für uns schlagartig interessant geworden.
Jedenfalls nahm man solcherart gern das Angebot der Oper Malmö wahr, den Stream der „Falstaff“-Premiere anzusehen – wobei Lotte de Beer wieder einmal nichts für das Original übrig hat und ihre Idee, eine Oper durch heutige Fernseh-(Medien)welten zu betrachten, wiederholt. Aber wenn uns allen in den letzten Tagen die Köpfe mit den amerikanischen Nachrichten über die Präsidentschaftswahlen gerauscht haben, ist es ein witziges und aktuelles Zitat, Falstaff und seine Diener in ein Fernsehstudio zu versetzen, wobei im Hintergrund (ohne Video geht es nicht) illustrierende Filme laufen (die zeigen dann auch etwa Mrs. Ford am Herd, ganz im Stil amerikanischer TV-Betulichkeit). Dazu kommen wahnwitzige Kamera-Einstellungen (die Kameras sind wieder, wie in den „Perlenfischern“, auf der Bühne). Und im Hintergrund stapeln sich die Bilder, dass man nicht weiß, wo man zuerst hinschauen muss…
Aber schnell wird es zu viel des Guten oder mittlerweile weniger Guten, wenn jede Echtheit aufgehoben ist, man etwa die vier Damen nur am Bildschirm sieht, nebenbei die Computer eingeblendet bekommt, auf die Falstaff offenbar dasselbe Mail versendet hat… Gut sehen die Damen in der verzerrten Version, oft in Schockfarben getaucht, übrigens nicht aus. Da werden die „lustigen Weiber“, die oft so reizvoll waren, zu hässlichen Grimassen. Schade drum.
Und wenn dann die jungen Leute dran kommen, dann fragt man sich, ob Lotte de Beer nicht die Verhässlichung unserer Welt durch die sozialen Medien inszeniert? Nanetta und Fenton sind junge Leute von heute, die sich wie Idioten auf You Tube gebärden, Selfies schießen, schnell WhatsApp absetzen, und der blond gefärbte Asiate, der die Kamera küsst, bis seine Lippen einen fast fressen… ungustiös, oder? Davon gibt es reichlich noch mehr. Und Abstruses auch, wenn die Diener sich in Smileys verwandeln…
Wie alle Aufführungen, in denen es nicht um Menschen und ihre Geschichten geht, sondern um Regieideen, nützen diese sich schnell durch Einförmigkeit ab. Das Ersticken der Szene in Bildern macht die Sache auf die Dauer ermüdend, noch und noch schaufelt die Regisseurin ironische Versatzstücke des täglichen Lebens herbei (die Ausstattung von Christof Hetzer leistet Bemerkenswertes). Dazu kommt, dass der Humor mit so viel Unsinn und immer wieder Ungustlhaftigkeit (dieses Wort sei jetzt einmal erfunden) versetzt ist, dass einem das Lachen vergeht. Und wer „Falstaff“ an sich liebt – der wird vieles vermissen und vieles gar nicht erkennen… Vor allem, weil es so unspezifisch ist – diese Show könnte man mit jeder beliebigen Oper abziehen, die Aussage würde sich nur auf die Regie, nie aufs Werk beziehen.
Was die Sänger betrifft, die im Lauf des Geschehens wenigstens mehr „live“ auf die Bühne dürfen und nicht nur als ihr verzerrtes Abbild, so kommt der Titelheld am besten davon. Der georgische Bariton Misha Kiria ist uns noch nicht über den Weg gelaufen, hat aber in den letzten Jahren den Falstaff schon erfolgreich in Parma und Madrid gesungen, und man kennt ihn wohl auch in der Deutschen Oper Berlin schon ziemlich gut (wo er demnächst auch den Falstaff vor hat – hoffentlich in einer „normalen“ Version). Ob der gestriegelte Fernseh-Politiker mit der blonden Trump-Frisur wirklich etwas mit dem guten Sir John zu tun hat? Aber Kiria hat einen prachtvollen, großen und substanzreichen Bariton, der ihn zusammen mit einer eindrucksvollen Erscheinung (kein Wunder, dass er in Amsterdam für Ambrogio Maestri einspringen durfte) in den Mittelpunkt des Geschehens katapuliert und den Verdacht erweckt, dass man noch viel von ihm hören wird.
Jacquelyn Wagner, die auch Richard Wagner kann (und im Theater an der Wien eine vorzügliche Euryanthe war), muss sich – in Jeans, Frau von heute – mit Falstaff auf ein seltsames Spiel einlassen, in dem sie als Puppenattrappe erscheint, und lässt aufgeregte, dramatische Töne hören. Wenn Sänger solcherart zu „Puppen“ der Regie werden, sind ihre genuinen Leistungen schwer zu beurteilen.
Das gilt dann auch für die Kunstfiguren, für Alexandra Flood (Nanetta) mit den leichten Tönen für die Rolle und den schönstimmigen Sehoon Moon (Fenton), Maria Streijffert (Mrs. Quickly) und Matilda Paulsson (Meg Page), Jonas Duran (Bardolfo), Nils Gustén (Pistola), Niklas Björling Rygert (Dr. Cajus).
Bemerkenswert ist das Tempo und die Verve, mit denen der Dirigent Steven Sloane den Abend buchstäblich „jagt“, womit er dem Strom der Bilder entspricht, der hier entfesselt wird. Keine Frage, dass es Leute geben wird, die diese selbstverliebte Inszenierung witzig finden. Es gibt zweifellos auch solche, die sagen: Was soll der Blödsinn? Ob man sich nach diesem Beispiel für den Geschmack der Lotte de Beer so unbedingt auf ihr Erscheinen in der Volksoper freut, sei dahingestellt.
Renate Wagner, 23.11.2020
7. November 2020
Verdis „Falstaff“ tappt in die Digitale Welt
Lotte de Beer inszenierte in Malmö
wir waren per Livestream dabei
Während im Rest Europas die Opernhäuser regelrecht erstarrt sind, konnten im Opernhaus des schwedischen Malmö fünfzig Besucher die Premiere einer Lotte-de-Beer-Inszenierung von Guiseppe Verdis Falstaff erleben. Uns blieb vergönnt, diese Premiere als Livestream des Hauses zu erleben.
Dem Vernehmen nach, war auch bei der Erarbeitung der Inszenierung nicht alles glatt gegangen: der Versuch, dass „Shakespeares Falstaff in George Orwells Farm der Tiere gelangt“ ließ sich trotz intensiver Bemühung nicht schlüssig umsetzen. So musste die niederländische Regisseurin mit dem Österreicher Bühnen- und Kostümbildner innerhalb zweier Monate ein völlig neues Konzept auf die Bühne bringen. Wo aber liegt das Problem?
Der schlitzohrige, plumpe, grobe und dicke Säufer und Weiberheld in Shakespeares Drama „Heinrich der IV. Teil 1“ nannte sich ursprünglich Sir Oldcastle, was dem Dramatiker eine Auseinandersetzung mit einem späteren Verwandten der historischen Persönlichkeit (1378-1417) brachte. Der nun „Sir John Falstaff“ benannte, taucht in vier Stücken Shakespeares auf: den beiden Heinrich IV.-Historien (1596/97), den „Lustigen Weibern von Windsor“ sowie in Heinrich V. (1599), da allerdings nur sterbend und in der Erinnerung seiner einstigen Kumpanen.
Um seine Aufgaben als Ritter scherte er sich kaum. Vor allem trinkend und den Frauen nachstellend, ist er weder ein Held, noch ein Antiheld und keine tragische Figur in seiner derben Komik. Mit seiner scheinbaren Funktionslosigkeit ist Falstaff nach Hamlet die meistkommentierte Figur der Shakespeare-Stücke. Fast ebenbürtig steht der übergewichtige, trunksüchtige, Rauf- und Weiberheld neben Hamlet, einer Figur, die wie kaum eine andere in der Literaturgeschichte den zweifelnden, verzweifelnden modernen Menschen repräsentiert.
Nachdem sich bereits Carl Ditters von Dittersdorf 1796, Antonio Saleri 1799, Michael William Balfe 1838, Otto Nikolai 1849 und Adolphe Adam 1856 am Falstaff-Stoff mit unterschiedlichem Erfolg versucht hatten, wollte Guiseppe Verdi sich mit einem heiteren Alterswerk an Shakespeares Vorlagen versuchen. Sein Librettist Arrigo Boito orientierte sich ebenfalls an „The Merry Wives of Windsor“, schnitt Teile der Handlung ab und schränkte die Anzahl der Charaktere des Spiels. Vor allem gab er mit der Einfügung von Passagen aus „Heinrich IV.“ dem Charakter Falstaffs mehr Tiefe und Substanz. Aber auch Anklänge an Boccaccios Dekameron“ und Fiorentinos „Il Pecerone“ sind im Libretto zu finden. Wichtig blieb für die Erarbeitung des Librettos, dass im Verlauf der Oper dem Charakter Falstaffs, seiner Selbstzufriedenheit und erhabenen Selbstgefälligkeit, kein Schaden zugefügt werden dürfe. Das gilt natürlich auch für die Inszenierungen des Alterswerkes Verdis:
Lotte de Beer stößt den Ritter trotzdem erbarmungslos in ein Fernsehstudio unserer Welt der zunehmenden Digitalisierung und entwickelt aus diesem Ansatz feinstes Regietheater.
Zunächst gelang es Falstaff, den modernen Rechtsstaat für seine Zwecke zu nutzen, muss aber, ob der gefallenen Börsenkurse akzeptieren, dass er pleite ist. Seine gleichlautenden Nachrichten an die Damen Alice Ford und Meg Page wurden natürlich per Mail expediert. Die Verabredung zu den Racheakten erfolgte (fast) zeitgemäß per Telefon, denn das Smartphone spielte bei den Anspielungen auf die moderne Kommunikation keine Rolle. Mag das an der Handy-Affinität der Protagonisten liegen? Für mich wäre das eine wunderbare Gelegenheit gewesen, auf die zerstörende Wirkung der mobilen Möglichkeiten unserer Tage auf den persönlichen Umgang anzuspielen.
Fenton surft am Laptop und es entwickelte sich, nach dem Intermezzo im Büro des Falstaff, ein Feuerwerk von Regieeinfällen der Lotte de Beer und des Bühnen- und Kostümbildners Christof Hetzer. Da wurden die Möglichkeiten moderner Videotechnik auf das Verschwenderischste genutzt. Da wurde mit Grünwand-Einsatz, Überblendungen, der Einbeziehung der Kameratechnik in die Szene, sowie grüngekleidete Requisiten reichende Helfer und vieles mehr, bei einer hervorragenden Personalführung von Gail Skrela Hetzer, geboten. Fast muss man sich entscheiden, ob man der Musik oder den Bühnenaktionen folgen mochte. Man konnte durchaus lachen, aber wenn man in der Pause über das erlebte nicht nachdachte, wäre etwas falsch gewesen.
Dagegen kommt der lyrisch-bezaubernd angelegte dritte Akt konventioneller, geordneter daher und könnte den konservativen Opernbesucher fast versöhnen, wobei die Handlung allerdings hart an der Diskriminierung der Minderheit „Falstaff“ schrammt.
Die Musikalische Leitung des deutsch-amerikanischen Dirigenten musste sich zwangsläufig auf das Bühnengeschehen, die Sängerbegleitung konzentrieren, stellte dabei eine perfekte Verbindung zum recht beeindruckenden Orchester her. Dabei scheute er nicht gelegentliches Krachen und Scharwenzeln des Orchesterklangs zuzulassen, aber ohne dass gelegentlich Musiker hervorblitzten.
Der Falstaff des georgischen Bariton Misha Kiria war für mich eine Entdeckung. Mit seiner schwerelos strömenden wundervollen Stimme und seiner Körperfülle vermochte er die Bühnenfigur als komplexen rücksichtslosen, glücklosen prolligen Zeitgenossen darzustellen. Ein Komödiant, der die Szene zu beherrschen wusste.
Bei derartiger massiver Bühnenpräsenz half nur ein Damen-Trio, das durchaus die Hosen anhat, aber auch weibliche Schwäche zeigen kann. Die in Berlin lebende Amerikanerin Jaquelyn Wagner sang mit in der Höhe klarem und elegantem Sopran die Alice Ford. Dabei zeigte sie auch ihre Freude an komödiantischer Darstellung. Sanft und flink kam die vom Libretto etwas benachteiligte Meg Page der Schwedin Mathilda Paulsson mit ihrem schönen etwas hohen Mezzosopran daher. Die Altistin Maria Streijffert komplettierte die intrigante Damenriege mit einer beeindruckend virtuos gesungenen und präsent gespielten Frau Quickly.
Sein Debüt am Hause gab der türkische Bariton Orhan Yildiz als Ford. Besonders mit seinem fast rasend vorgetragenem Monolog im zweiten Akt wusste er zu beeindrucken. Das Dienerpaar Bardolfo und Pistola, verkörpert von dem heimischen Tenor Jonas Duran und dem Bass Nils Gustén, komplettierte erfrischend Szene und Klangbild. Das grandiose Ensemble ergänzte wundervoll aufgeregt der Schwede Niklas Björling Rygert mit seinem eleganten Tenor.
Einen darstellerisch-virtuosen Volltreffer landete das junge Liebespaar. Die aus Australien nach Malmö gekommene Alexandra Floot vermittelte mit jugendlich leichter zart ausschwingender Stimme und engagiertem Spiel ihre schwer umkämpfte Liebe, aber auch ihre Freude an den Intrigen. Ihr zur Seite konnte der Koreaner Schoon Moon mit anmutsvoll- kraftvollem Tenor das Paar ergänzen.
Ein nur kleiner Chor rundete das Klangbild aus dem Hintergrund ab.
Der naturgemäß magere Beifall der fünfzig Besucher konnte der schlüssigen Inszenierung und prachtvollen Aufführung nicht gerecht werden. Bleibt zu hoffen, dass in der „Nach-Corona-Zeit“ sich eine Gelegenheit zum Malmö-Besuch ergibt.
Autoren der Bilder: Operngebäude Malmö: Werner Nystrand
Falstaff-Szenen: Jonas Persson
Thomas Thielemann 10.11.2020