DEUTSCHE OPER AM RHEIN BALLETT
one and others
Premiere: 02.04.2022,
besuchte Vorstellung: 05.04.2022
Präzision im klassischen Ballett
Drei Stücke mit einer tiefen Verwurzelung im klassichen Ballett bilden zusammen den neuen Ballett-Abend an der Deutschen Oper am Rhein. Namensgebend ist hierbei die Choreographie "one and others" von Ballettdirektor Demis Volpi, die dieser 2015 für das Ballet Nacional del Sodre in Uruguay schuf. Den Beginn macht aber zuvor das Werk "Polyphonia" des britischen Choreographen Christopher Wheeldon, der aktuell besonders für seine abendfüllenden Ballette gefeiert wird. Auch seine Regiearbeit beim erst kürzlich uraufgeführten Broadway-Musical "MJ" mit der Musik von Michael Jackson erlangte große Aufmerksamkeit. "Polyphonia" ist dagegen schon etwas älter, die Uraufführung fand bereits am 04. Januar 2001 mit dem New York City Ballet statt. Zu den Klavierkompositionen des ungarischen Komponisten György Ligeti, schuf Wheeldon 10 Episoden, dargeboten von 4 Tanzpaaren. Die acht Tänzer und Tänzerinnen treten zu Beginn gemeinsam auf, ein starkes Schattenspiel in warmen gelblichen Farben (Licht: Mark Stanley) sorgt für ein zusätzliches optisches Highlight, welches die synchronen Tänze geschickt unterstreicht. Ganz am Ende stehen wieder alle Darsteller gemeinsam auf der Bühne und für wenige Sekunden erscheint wieder dieses Schattenspiel um einen passenden Rahmen zu formen. Dazwischen treten die Tänzer und Tänzerinnen in verschiedenen Kombinationen an, meist vor einem dunkelblauen Hintergrund. Fast alle Teile sind als Pas de deux choreographiert, lediglich der vierte Teil ist den Frauen vorbehalten, im fünften Teil dieser rund halbstündigen Arbeit treten zwei Tänzer als Duo auf. In neoklassischer schlichter Manier variiert Wheeldon die üblichen Funktionsweisen von Hebungen und Balancepunkten und lässt die Körper immer wieder neue Schrägen und Winkel bauen. Großen Wert legt er auch auf den Spitzentanz, insgesamt erwartet den Zuschauer hier 30 Minuten klassiches Ballett in einer sehr gelungenen Form. Die Musik wird hierbei live von Susanna Kadzhoyan am Konzertflügel beigesteuert, in einigen Nummern unterstützt durch Eduardo Boechat.
Insperiert durch eine Holzskulptur der Künstlerin Louise Bourgeois schuf Demis Volpi vor rund 7 Jahren "one and others", welches in der aktuellen Zusammenstellung des Ballettabends wunderbar an "Polyphonia" ankünft. Auch hier kommt dem Spitzentanz eine große Bedeutung zu und auch hier bilden die klassischen Ballettpaare, in diesem Fall fünf an der Zahl, den Grundstein dieser ebenfalls sehr sehenswerten Choreographie. Dennoch erscheint das Werk deutlich moderner, wodurch "one and others" quasi das perfekte Bindeglied zwischen den drei Produktionen des Abends darstellt. Das Streichquartett Nr. 1 ("The Awakening") von Christos Hatzis enthält immer wieder Einspielungen von Lokomotivmotoren und dem Kehlkopfgesang kanadischer Inuit, die eine eindringliche Verbindung mit den Chroeographien auf der Bühne eingehen. Getanzt wird sehr schön und absolut synchron, insbesondere in dem Moment in dem zwei Paare spiegelbildlich aggieren. Den Hauptpart in dieser Arbeit nimmt Lara Delfino ein, die nicht nur von Ihrem Tanzpartner Dukin Seo sondern teilweise von allen fünf männlichen Tänzern umlagert wird. Ansehnlich auch das kegelförmige Lichtdesign von Claudia Sánchez und die gelungenen Kostüme von Thomas Lempertz. Auch diese 30minütige Arbeit wird mit großem Applaus des Publikums gefeiert.
Den Abschluss des Abends bildet mit "Salt Womb" von Sharon Eyal und Gai Behar ein Stück, welches schon im Ballettabend "Lost and Found" vor einigen Monaten am Duisburger Theater in einer personell reduzierten Version zu sehen war. Nun stehen statt 9 ganze 17 Tänzer und Tänzerinnen auf der Bühne, was dieses beieindruckende Werk noch stärker wirken lässt. Die Musik von Ori Lichtik dröhnt auch hier wieder in einer fast ohrenbetäubenden Lautstärke aus den Boxen. Zu den Perkussionschlägen aggierten die Tänzer meist synchron, allerdings gibt es immer wieder gewollte Abweichungen von der Gruppe, die einen besoneren Reiz auslösen. Besonders besticht "Salt Womb" durch die ungeheure Energie und Kraft die in diesem Stück steckt. Großen Respekt verdienen hier die Darsteller für eine körperlich extem anstrengende Choreographie, die selbst geübte Fitness-Studiobesucher nach wenigen Minuten abbrechen müssten. Eine gewaltige Kraftanstrengung für die Tänzer und Tänzerinnen, was man ihnen auch förmlich ansah. Nassgeschwitzt und glücklich nahmen sie am Ende den wohlverdienten lauten Applaus und die Standing Ovations entgegen.
Alles in allem darf sich der Zuschauer hier über einen spannenden Ballettabend mit drei Werken von jeweils rund 30 Minuten freuen, der vor allem Freunden des klassischen Balletts empfohlen werden kann und der darüber hinaus mit "Salt Womb" eine ungeheuere Bildwirkung entfalltet und entsprechend intensiv endet.
Markus Lamers, 07.04.2022
Bilder: © Bettina Stöß
Demis Volpi
„A First Date“
Premieren: 11. bis 13. September in Düsseldorf
Besuchte Vorstellungen: 18. bis 20. September in Duisburg
Als neuer Ballettdirektor und Chefchoreograph hätte sich Demis Volpi bestimmt eine große und glanzvolle Eröffnung gewünscht. Stattdessen präsentiert er sich und seine zu Zweidritteln neuformierte Compagnie mit drei 70-minütigen Programmen, die den Titel „A First Date“ tragen. Insgesamt 14 Szenen, Ausschnitte und Kurzballette sind hier zu sehen, dazwischen gibt es eine ebenfalls dreiteilige Filmdokumentation von Daisy Long zu sehen.
Demis Volpi kennt man im Rhein-Ruhrgebiet vor allem als Gastchoreograph am Dortmunder Opernhaus oder an Bridgette Breiners Gelsenkirchener Compagnie: 10 Häppchen von Volpi höchstpersönlich gibt es nun in Duisburg und Düsseldorf zu sehen, darunter die Uraufführungen „de la Mancha“, „Whatever happened to class?“ und „Look for the Slver Lining“. Vier Stücke stammen von anderen Choreographen. Maximal stehen in einer Choreographie sechs TänzerInnen auf der Bühne, aber es gibt es auch einige hautnah getanzte Pas de Deux, die von Paaren der Compagnie gestaltet werden dürfen.
Vergleicht man Demis Volpis Stil mit seinem unmittelbaren Vorgänger Martin Schläpfer kann man feststellen: Volpi entwickelte seine Bewegungsabläufe genau aus der Musik heraus, während Schläpfer den Tanz auch schon mal bewusst gegen die Musik stellte. Wollte Schläpfer in einigen Balletten vertanzte Philosophie auf die Bühne bringen, kann man Volpi-Choreographien aus sich selbst heraus verstehen.
Die qualitative Bandbreite ist sehr groß: „Whatever happend to class“ wirkt mit seiner nachgespielten Trainingsstunde belanglos.
In „Look for the Silver Lining“ zur Musik von Chet Baker und „Allure“ zu Nina Simones „Good bait“ zeigt Volpi, dass ihm zu Jazzmusik leichtfüßig elegante Choreographien einfallen. In „de la Mancha“ zur „Don Quixotte“-Musik von Ludwig Minkus sollen die vom Band eingespielten Jubelstürme ironisch wirken. Man ist dann aber doch etwas peinlich berührt, wenn aus der Konserve gejubelt wird, während sich im Saal keine Hand rührt. Ähnlich wie Schläpfer scheint Volpi auch gerne mal Ausflüge in das Ballettmuseum zu machen und so gibt bei den „First Dates“ auch zwei historische Choreographien: Nämlich Michael Fokine „Le Spectre de la Rose“ von 1911 in der Wiederbelebung von Mario Galizzi sowie Jose Limons Bach-Choreographie „Chaconne“ von 1942. Die filmische Dokumentation von Daisy Long vermittelt hauptsächlich den Eindruck, dass bei Demis Volpi und seiner Compagnie fleißig gearbeitet wird und eine neugierige Aufbruchsstimmung herrscht. Das ist schön und interessant anzusehen, aber auch nicht sonderlich überraschend. Welches Bild zum Neustart einer Compagnie hätte man sonst zeigen sollen? Immerhin bleiben einige Zitate in Erinnerung: Volpi lobt seine Compagnie: „Es ist eine sehr heterogene Gruppe, die aber durch den Tanz verbunden wird!“ Außerdem sagt er: „Theater ist ein Uhrwerk, in dem jedes Rädchen, also jede Abteilung wichtig ist.“ Und Ballettmeister Damiano Pettenella stellt fest: „Wir retten mit unserer Arbeit zwar keine Leben, lassen unsere Zuschauer aber spüren, dass sie leben!“
Hübsch anzuschauen sind die kleinen Tanzszenen, die in Düsseldorf und Duisburg gefilmt wurden. So tanzen Feline van Dijken und Eric White zu Füßen der Duisburger Monumentalskulptur „Tiger and Turtle“ einen verspielten Pas de deux. Sie und andere Persönlichkeiten wie Rashaen Arts, Doris Becker, Simone Messmer und Neshama Nashman vermitteln einen starken Eindruck von ihrer Persönlichkeit und ihrer Tanzkunst. Da darf man gespannt sein, welche Mitglieder der Compagnie sich zu ihren Stars entwickeln werden?
Wo Demis Volpi mit seiner Compagnie genau hinwill und an welchen Vorgängern und Vorbildern er sich orientiert, kann man nur vermuten. Dabei muss man viel zwischen den Zeilen lesen. Volpis Mentor in Argentinien war Mario Gallizi, der während der Ära von Erich Walter (1964 bis 1983) am Rhein tanzte. In einem Journal über die neue Compagnie ist in der Liste von Volpis Vorgängern Youri Vamos (1996 bis 2009), der dem Haus alle großen Handlungsballette bescherte, nicht aufgeführt. Auf der anderen Seite sieht man in dem Film von Daisy Long einen Ballettmeister der neuen Compagnie, der eine Probe in einem T-Shirt aus der Vamos-Ära leitet.
Im gleichen Journal liest man den Satz: „Auch Abschied tut Not, etwa vom Anspruch auf Fortschritt um des Fortschritts Willen.“ Dies kann man durchaus als Kritik an der Amtszeit von Martin Schläpfer lesen. Während dieser sich jahrelang wehrte in Düsseldorf und Duisburg Handlungsballette auf die Bühne zu bringen, hat Volpi ja bereits eigene Choreographien von „Der Nussknacker“, „Krabat“ oder „Salome“ gestaltet. Als erstes Handlungsballet ist für den Dezember eine Umsetzung des kafkaesken Schauspiels „Nada a Pehuajo“ („Nichts mehr nach Calingasta“) des franko-argentinischen Autors Julio Cortazar angekündigt. Seine stärkste Prägung dürfte Demis Volpi sowieso am von Reid Anderson geleiteten Stuttgarter Ballett erfahren haben. Dort war er erst Ballettschüler (2002 bis 2004), dann Tänzer (2004 bis 2013), der auch zu choreographieren begann (ab 2006), und stieg dann sogar zum Hauschoreograph auf (bis 2017). Volpi ist übrigens der erste Chef des Balletts am Rhein, der vorher keine andere Compagnie geleitet hat, und mit 34 Jahren ist er zudem der jüngste Ballettdirektor, den das Haus je hatte.
Bei den Gastchoreographen der neuen Düsseldorf-Duisburger Compagnie gibt es weniger prominente Namen, als sie bei Schläpfer oder Vamos zu finden waren. Immerhin will aber auch Volpi die Werke von Hans van Manen pflegen. Der ist nämlich, trotz wechselnder Ballettchefs, in den letzten 49 Jahren die einzige Kontinuität der rheinischen Ballettgeschichte.
„First Dates“ ist in Düsseldorf noch zweimal zu sehen (24.-26.9. und 30.9. bis 4.10.), in Duisburg nur noch einmal (19. bis 21.10.).
Rudolf Hermes, 25.09.2020
Bilder (c) Rheinoper
MARTIN SCHLÄPFER
Ein Rückblick auf 11 Jahre
Elf Jahre leitete der Schweizer Choreograph Martin Schläpfer das Ballett am Rhein in Düsseldorf/ Duisburg. 2009 kam er vom Staatstheater Mainz nach Nordrhein-Westfalen, jetzt geht er an das Wiener Staatsballett. Wir werfen einen Rückblick auf die Ära Schläpfer.
Nach 13 Jahren mit Youri Vamos bedeutete der Wechsel zu Martin Schläpfer ein harter künstlerischer Einschnitt. Vamos hatte das Publikum regelmäßig mit den großen klassischen Handlungsballetten verwöhnt, diesen aber oft noch die eine oder andere Umdeutung mit auf den Weg gegeben, dies aber stets in einer opulenten und schönen Optik. Gleichwohl gab es bei Vamos aber auch Abende, die rein dem konzertanten Tanz gewidmet waren.
Bei Schläpfer fehlte diese Mischung aus Handlungsballetten und Abenden mit vertanzter Musik, die bei allen deutschen Compagnien zu finden ist, vollkommen: In Choreographien Schläpfers und seiner Kollegen gab es natürlich immer wieder kleine Episoden und Begegnungen zwischen den Figuren, aber große Geschichten gab es bei ihm nicht. Wenn das Düsseldorf-Duisburger Publikum Handlungsballette sehen wollte, musste es fortan die Compagnien in Krefeld/Mönchengladbach (Robert North), Essen (Ben van Cauwenbergh), Gelsenkirchen (Bridget Breiner) oder Dortmund (Xin Peng Wang) besuchen und konnte entdecken, welche vielfältige und hochkarätige Tanzszene NRW besitzt.
Schläpfers Ballettprogramme waren meist aus drei Stücken zusammengesetzt, die in keinerlei Beziehung zueinander standen. Während an anderen Häusern musikalische, thematische oder stilistische Bezüge hergestellt werden, erlebte man am Rhein Abende voller Kontraste: In „b.23“ stand ein von Brigitta Luisa Merki choreografierter Flamenco neben Schläpfers Sicht auf Mozarts g-Moll-Sinfonie. Und in „b.35“ kollidierte Ben Riepes Experimentaltheater „Environment“ mit Remus Sucheanas musealem „Abendlied“. Dass es dann 2019 mit „b.40“ ein rein US-amerikanisches Programm gab, hier also eine geographische Herkunft der Choreographen als verbindendes Glied gewählt wurde, war die absolute Ausnahme.
In seiner ersten Saison zeigte Schläpfer zwei choreografische Uraufführungen: Gleich zum ersten Programm gehörte Witold Lutoslawski 3. Sinfonie, die deutlich machte, dass Schläpfer solche großen Orchesterwerke in Bilder und Bewegung umsetzen kann, dabei aber manchmal sperrig und rätselhaft bleibt. In der ersten Saison folgte noch eine vertanzte Version von Morton Feldmans Mono-Oper „Neither. Daneben gab es viel aus Schläpfers Mainzer Repertoire zu sehen: Einen starken Eindruck hinterließen Mendelssohn-Bartholdys „Reformations-Sinfonie“ und das Solo zu Ligetis „Rammifications“, während anderes schnell vergessen war.
Titel hatten Schläpfers Tanz-Programme nie, sondern wurden einfach von „b.01“ ausgehend durchnummeriert. Bei vier bis fünf Abenden pro Saison, meist mit drei Teilen, hatte diese Nummerierung zur Folge, dass selbst, wenn man sich mit Ballettfans über Schläpfers Arbeit unterhielt, nie wusste, ob man über den gleichen Abend redete.
Auch wenn sich Schläpfer bis zum „Schwanensee“ (b.36) weigerte eigene Handlungsballette auf die Bühne zu bringen, hätte er solche Abende ruhig einem anderen Choreografen anvertrauen können. An vielen Theatern überlassen die Ballettchefs immer wieder ganze Abende einem Gastchoreografen. Schläpfer war dazu jedoch nicht bereit. Bei ihm vergingen vier Jahre, bis ein Programm ohne seine Beteiligung auf die Bühne kam, nämlich „b.15“ im April 2013, wo sich dann vier Uraufführungen um Merce Cunninghams „Pond Way“ gruppierten.
Neben dem Ballettchef gab es zwei Choreografen, die in jeder Saison am Rhein zu erleben waren: George Balanchine und Hans van Manen. Bei Balanchine kamen auch die Freunde des klassischen Tanzes auf ihre Kosten, und van Manens Choreografien waren stets leuchtende Schmuckstücke im Repertoire des Hauses. Die Arbeiten van Manens waren auch die einzigen Werke, in denen Schläpfer ein Bewusstsein für die Tradition des Hauses erkennen ließ. Von Schläpfers starken Vorgängern wie Erich Walter, Heinz Spoerli oder Youri Vamos zeigte der Ballettchef nämlich keine Stücke. Van Manen war aber seit 1971 regelmäßiger Gast an der Rheinoper.
Weit zurück in die Historie des Tanzes ging Schläpfer mit Antony Tudors „Jardin Aux Lilas“ (b.14) von 1936, dessen „Dark Elegies“ (b.26) von 1937 sowie den Kurt-Joos-Choreographien „Der Grüne Tisch“ (b.27) von 1932 und „Pavane auf den Tod einer Infantin“ (b.04) von 1929 sowie Martha Grahams „Lamentation“ von 1930. Die weiteste Zeitreise war mit dem „Bournonville Divertissement“ (1842/1858) in „b.26“ zu erleben. Hier bot das Ballett am Rhein spannende Ausflüge in die Tanzgeschichte.
Martin Schläpfer selbst konnte besonders große Erfolge mit seinen Brahms-Choreografien verbuchen: Fulminant, berührend und sehr genau aus der Musik entwickelt war seine Umsetzung des „Deutschen Requiems“ (b.09). Als seine „Antwort auf Schwanensee“ sah Schläpfer seine Choreographie zu der Symphonie Nr. 2 (b.14), die ebenfalls einen hochmusikalischen Abend bot. Bedauerlich war, dass Schläpfer solche Erfolgsstücke nicht nutzte, um ein Repertoire aufzubauen. Stattdessen gab es von diesen Werken meist nur eine Wiederaufnahme und stattdessen wurden neue Ballettabende kreiert.
Auf der anderen Seite gab es immer wieder Werke, die aufgrund ihres philosophischen Hintergrundes für das Publikum rätselhaft und kryptisch blieben. Denn oft wollte Schläpfer nicht nur einfach Musik und Tanz verbinden, sondern gleich auch noch die Welt tänzerisch hinterfragen. Bei Stücken wie „Nacht umstellt“ (b.16), „Verwundert seyn – zu sehn“ (b.22) oder „Obelisco“ (b.31) blieb man als Zuschauer ermüdet und ratlos zurück. Besonders sperrig wurde Schläpfer, wenn er auf Musik von Adriana Hölszky tanzen ließ, wie in „Roses of Shadow“ (b.33). Bei „Deep Field“ (b.20) sollte es laut Komponistin um astronomische Phänomene gehen. Auf der Bühne war jedoch nur ein von Rosalie entworfenes Netzgewirr im Halbdunkel zu erahnen, und die Bewegungen der oft hinter Masken verborgenen Tänzern stand in keinerlei Beziehung zu Ausstattung und Musik. Hier liefen Tanz, Musik und Ausstattung konsequent aneinander vorbei.
Künstlerisch gescheitert ist Schläpfer mit seinem Versuch einer Operninszenierung von Rameaus „Castor und Pollux“ (2012). Eigentlich sollten hier Tänzer und Sänger eine Symbiose eingehen, aber eine schlüssige Verbindung zwischen beiden Welten konnte Schläpfer nicht herstellen. Mit dem Opernchor wusste er zudem überhaupt nichts anfangen und ließ ihn nur in hässlichen Kostümen herumstehen.
Dreimal präsentierte Schläpfer zwischen 2017 und 2019 das Format „Young Moves“, in dem jeweils vier bis fünf TänzerInnen eigene Choreografien vorstellten. Das waren meinst abwechslungsreiche und stilistische breit gefächerte Stücke, echte Nachwuchstalente kristallisierten sich hier aber nicht klar heraus. Wesentlich besser profilierten sich da die Tänzer, die im Rahmen eines regulären Ballettabends ihr Können präsentieren. So stellte Antonie Jully zwischen 2012 und 2014 drei Choreographien vor und leitet seit 2014 das Ballett in Oldenburg. Weniger erfolgreich war Ex-Schläpfer-Tänzer Jörg Weinöhl, der dem Ballett Graz nur von 2015 bis 2018 vorstand.
Taktisch unklug war das Interview, das Martin Schläpfer 2016 mit der Düsseldorfer WZ führte. Die Stadt Düsseldorf hatte ihm gerade ein neues Balletthaus für 30 Millionen Euro gebaut, doch der Ballettchef beschwerte sich über das mangelnde Engagement der Stadt und des Marketings und bekannte, dass er sich in Düsseldorf nicht heimisch fühle. Außerdem betonte er erneut seine Abneigung gegenüber dem Handlungsballet, stellte fest, dass sein Publikum solche Stücke nicht sehen wolle und seine Compagnie so individuell sei, dass es sie nicht tanzen könne.
Ironie der Tanzgeschichte war dann, dass Schläpfer 2018 einen eigenen „Schwanensee“ (b.36) herausbrachte, der sich zum echten Kassenschlager entwickelte. Schläpfer verweigerte dem Publikum alle Klischees des Stückes und drückte dem Werk klar seinem choreographischen Stempel auf. Dramaturgisch griff Schläpfer auf das Ur-Libretto zurück, was zu einer vergrößerten Personenzahl führte, welche die Geschichte unnötig komplizierte. Schläpfer Abneigung gegen Handlungsballete war beim „Schwanensee“ durchaus nachzuvollziehen, denn während einige Szenen eindrucksvoll gelöst wurden, hatte man in anderen den Eindruck, dass sich Schläpfer bloß pflichtgemäß an der Handlung abarbeite.
Dass Schläpfer ab 2016 den Posten des Ballettdirektors an seinen ehemaligen Tänzer Remus Sucheana weitergab und fortan nur noch als Chefchoreograph fungierte, erwies sich anfangs nur dadurch als Problem, dass Sucheana mit belanglosen Choreografien in Erscheinung trat, die intellektuell und inhaltlich weiter hinter Schläpfer Konzepten zurückblieben. Als Desaster erwies sich Sucheanas Bestellung aber, als Schläpfer 2019 beschloss an das Wiener Staatsballett zu gehen und herauskam, dass Sucheanas Vertrag nicht an den von Schläpfer gekoppelt war. Da Düsseldorf und Duisburg Sucheana nicht mehr die weitere Leitung des Ballettes am Rhein anvertrauen wollten, und Demis Volpi zum neuen Ballettchef ernannten, muss Sucheana trotzdem bis 2024 bezahlt werden, was die Städte mit 380.000 Euro belastet. Dieses Vertragsdesaster hatte erstaunlicher Weise keine Konsequenzen für die Leitung der Oper.
Aufgrund der Corona-Pandämie fielen in Düsseldorf und Duisburg nicht nur die letzten beiden Premieren aus („b.43“ war im März sogar bis zur Generalprobe gelangt), sondern auch das dreiteilige Abschiedsfest, dass man für Schläpfer mit einer Gala, seinem „Schwanensee“ und seiner Choreographie zu Gustav Mahlers 7. Sinfonie (b.17) geplant hatte. Seine Pläne für Wien hat Schläpfer mittlerweile bekannt gegeben: Dort will er Gustav Mahlers 4. Sinfonie und die 15. Sinfonie von Schostakowitsch vertanzen. Ungewöhnlich ist, dass Schläpfer aber die klassischen Handlungsballette in der Realisation anderer Choreographen im Repertoire behält. So wird weiterhin Rudolf Nurejews „Schwanensee“, Frederick Ashtons „La fille mal gardée“ und Elena Tschernischovas „Giselle“ getanzt. In Mainz oder Düsseldorf/Duisburg wäre dies undenkbar gewesen. So hat man dann doch das Gefühl, dass Schläpfer das Publikum an der Donau mit seinen Wünschen und Erwartungen mehr respektiert, als er dies am Rhein getan hat.
Rudolf Hermes, 18.5.2020
b.41 – Forgotten Land / Lamentation / Steps in the Street / Cellokonzert (UA)
Premiere: 23.11.2019 im Opernhaus Düsseldorf
Die Zeichen stehen auf Abschied beim Ballett am Rhein in Düsseldorf. Zum Ende dieser Spielzeit wechselt Martin Schläpfer bekanntlich von der Deutschen Oper am Rhein nach Wien. So findet auch das Thema Abschied in seiner Choreografie zum „Cellokonzert“ einen breiten Raum, die am 23. November 2019 in Düsseldorf zur Uraufführung kam. Zuvor wurden aber noch zwei Choreografien von Martha Graham und „Forgotten Land“ von Jiri Kylián aufgeführt.
Zu „Forgotten Land“ spielen die Düsseldorfer Symphoniker Benjamin Brittens „Sinfonia da Requiem op.20“, ein Werk zu dem Kylián recht passende Bewegungen für sechs Tanzpaare findet, mal ganz rau und dann wieder sanft dahinwiegend. John F. Macfarlane schuf ein wunderschönes Bühnenbild, welches aus einer großen Küstenbrandung besteht, die immer wieder wechselnd beleuchtet wird. (Licht: Kees Tjebbes nach Hans-Joachim Haas). Ein starker Auftakt des Abends, der nach rund 25 Minuten zu ersten Jubelstürmen des Publikums führte.
Dem zweiten Teil des Abends widmet Schläpfer Martha Graham, eine der wegweisenden Damen des modernen Tanzes. Bereits 1930 erschuf sie mit „Lamentation“ ein Solowerk, bei dem sie sich in ein Tuch einwickelte, aus dem immer nur Teile ihres Körpers herausragten. So ergeben sich zum kurzen „Klavierstück op.3 Nr.2“ von Zoltán Kodály einige sehenswerte Tanzbewegungen, die hier von Camille Andriot stark interpretiert werden. Auch bei dem folgenden „Steps in the Street“ stehen die Damen der Compagnie im Mittelpunkt. Das Werk für zehn Tänzerinnen welches am 20. Dezember 1936 im Guild Theatre in New York City als mittlerer Teil des dreiteiligen „Chronicle“ uraufgeführt wurde inspiriert durch den Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges im Sommer desselben Jahres und gilt mit den teilweise sehr strengen Choreografien als Zeigen gegen Krieg und Faschismus bei dem die schwarzen Kostüme teilweise eins werden mit dem schwarzen Hintergrund. Da auch der „New Dance op.18b“ von Wallingford Riegger nur ca. 10 Minuten dauert, stand nach einer guten Viertelstunde bereits die nächste Pause an, bevor es zum Höhepunkt des Abends kommen sollte.
Für seine letzte Uraufführung wählte Martin Schläpfer das „Konzert für Violoncello und Orchester Nr.2 g-moll op. 126“ von Dimitri Schostakowitsch. Auch hier kommen die Düsseldorfer Symphoniker unter der musikalischen Leitung von Axel Kober nochmal stark zur Geltung, ganz hervorragend auch Nikolaus Trieb am Solo-Cello. Leider ist das Bühnenbild von Marcus Spyros Bertermann dagegen etwas austauschbar und beliebig geraten. Alles beginnt mit einem Paar, welches sich in der Bühnenmitte scheinbar erschöpft aneinander lehnt. Nach und nach kommen weitere Paare hinzu bis das gesamte Tanzensemble auf der Bühne steht. In typischer Schläpfer-Manier werden immer wieder einzelne Paare herausgehoben, es ergeben sich viele kleine aber feine Choreografien voller Eleganz und feinem Witz. Eine Verneigung vor dem gesamten Ensemble, welches in dieser Form bei b.41 letztmalig zusammen auf der Bühne stehen wird.
Am Ende verlassen einige Tänzer wie in alle Winde zerstreut die Bühne, ein Zeichen für einen sanften Abschied, der am Ende des Abends im nahezu ausverkauften Opernhaus für großen Jubel sorgte. Alles in allem ein sehenswerter und schöner Abschied, dem nun noch drei weitere Abende in dieser Spielzeit folgen werden, bevor mit b.ye im Juni die große Abschiedswoche die Spielzeit feierlich beenden wird.
Markus Lamers, 01.12.2019
Fotos: © Gert Weigelt
Demis Volpi neuer Ballettdirektor
Ich möchte das Repertoire um abendfüllende Handlungs-Ballette erweitern
Der in Insiderkreisen durchaus schon international bekannte deutsch-argentinische Choreograf wird ab der übernächsten Spielzeit 2020/21 Ballettdirektor der Rheinoper Düsseldorf. Der 33-jährige, hochsympathisch wirkende Volpi war von 2013 bis 2017 Haus-Choreograf des Stuttgarter Balletts.
Der in Düsseldorf weltbekannte bisherige Direktor Martin Schläpfer, der seit 2009 dem Düsseldorfer Ballett vorstand – er hatte, neben seinen Verdiensten um das moderne Tanztheater, einen nicht geringen Teil der rheinischen Ballettfreunde extrem verärgert, weil er rigoros Handlungsballette als für ihn nicht mehr zeitgemäß aussperrte – geht zum Ende der nächsten Spielzeit nach Wien und wird dort Direktor des Wiener Staatsballetts.
Eine Situation, die – wie aus Wiener Ballett- und Zuschauerkreisen verlautet – schon jetzt Angst und Schrecken verbreitet, denn 90 Prozent aller Ballette in Wien sind bisher noch schöne, klassische Handlungsballette. Etwas anderes können sich die Wiener eigentlich kaum vorstellen und wollen die Menschen dort auch nicht sehen. Auch weil eben diese tollen Wiener Tänzer – die technisch vielleicht sogar weltbeste Compagnie – eben noch exakt auf Linie tanzen kann – was Schläpfer in einem Interview der WZ für seine Düsseldorfer Tänzer ja rigoros ablehnte.
Doch zurück zum Neuen: Die Düsseldorfer Freunde des schönen Balletts können sich freuen. Volpis wunderbares Krabat, ein Handlungsballett nach dem Roman von Otfried Preußler, ist nicht ohne Grund zum Publikumsliebling in Stuttgart avanciert. Schöneres und mit großer Liebe zum Tanz ganz Ausgefeiltes habe ich selten gesehen. Krabat begeisterte damit Jung und Alt.
Volpis Credo für Düsseldorf lautet: Ich möchte das Repertoire um abendfüllende Ballette erweitern. Wie wunderbar, denn darauf haben die Düsseldorfer und Duisburger Ballettfreunde ganze zehn Jahre warten müssen.
Auch wenn Intendant Christoph Meyer davon spricht, dass er sich Volpi auch als Opernregisseur vorstellen könne, hoffen wir, dass er das genua nicht macht, sondern dass er erst einmal „bei seinen Leisten“ bleiben sollte.
Foto (c) Rheinoper
Peter Bilsing, 17.3.2019
KRABAT TRAILER
(c) Stuttgarter Ballett
SCHWANENSEE ohne Schwäne
Premiere am 8.6.2018
Ein Barfuß-Schwanensee
"Hallo, ist die Musik kaputt?"
Plärrte eine gut neunjährige in der Reihe vor mir, als zum zweiten Mal das Orchester eine Generalpause macht und sich die Tänzer nur imaginär zeitlupenhaft oder gar nicht bewegen. "Psssst!" erklärte ihr die wohl kenntnisreiche Tanz-Mutter (dankenswerter Weise) leise und einfühlsam
"Das ist große Kunst, das verstehst du noch nicht."
Und in der Tat wird kaum ein Kind verstehen, worum es bei diesem "Schwanensee" überhaupt geht, hat es sich doch auch dem Rezensent, trotz der umfangreichen Erläuterungen (ca. 2/3 des Programmheftes) welches der in Düsseldorf weltbekannte Meisterchoreograf Martin Schläpfer mit seinen "Gedanken zu Schwanensee" ellenlang füllt, leider nicht erschlossen.
"Wo sind denn die Schwäne ? Sind die auch kaputt?"
Bevor ich mich lauthals und wütend einschalten konnte, hielt die tapfere Mutter dann aber der Kleinen GöreGott-sei-Dank den Mund zu und machte ihr drastisch klar, jetzt nicht weiter dumme Fragen zu stellen; außerdem fing ja die Musik wieder an und so erstarb das Pausen-Gespräch von selbst. Jetzt mal ganz ehrlich unter uns Eltern: ist es nicht eine üble Form von Ignoranz und Nicht-Empathie, seinen unbedarften Nachwuchs mit in ein so hoch diffiziles und psychologisch verworrenes Tanz-Märchen-Opus wie "Schwanensee" zu nehmen. Solche Rotzlöffel haben den "Struwwelpeter" verdient... Punktum!
"Herta, wieso ist das so dunkel, ich seh kaum was?"
höre ich einen älteren Mann hinter mir in der nächsten Generalpause seine holde Gattin fragen. Es ist schon interessant, wozu solche Unterbrechungen vom Publikum genutzt werden. Lesen kann man ja nichts, wenn das Licht im Auditorium aus bleibt. Wahrscheinlich dachten Einige sogar, jetzt wäre quasi eine Umbauphase. Von den sich kaum bewegenden Tänzern sah man ja auch im Halbdunkel der Bühne nicht viel; es waren eher pantomimisch gestaltete Breaks.
Die Antwort von einem scheinbar fachkundig Wohlinformierten, der wohl schon die Generalprobe gesehen hatte, blieb natürlich nicht aus:
"Na warten Sie dann mal erst den zweiten Teil ab, da sieht man fast gar nichts mehr..."
Genug der Generalpausengespräche. Soweit: "vox populi - vox Rindvieh" - wie mein alter Lateinlehrer immer sagte. Gehen wir jetzt ernsthaft in medias res, denn es wurde in diesem "Schwanensee" durchaus große und vom Rezensenten schätzenswerte Tanzkunst geboten; Schläpfer-Ballett halt, wie wir es seit Jahren kennen und seine Fans schätzen, auch wenn es heuer wenig bis gar nichts mit Tschaikowskis romantischem Original zu tun hatte. Keine Schwäne...
Die Düsseldorfer Truppe muß respektvoll zu den besten Deutschlands gezählt werden, auch wenn die Tänzer in den größeren Ensembles erkennbar divergieren und an Kongruenz verlieren. Für mich absolut verständlich und nachvollziehbar, denn immerhin verkündete Ballet-Chef Schläpfer 2016 in einem WZ Interview klar und deutlich sein Credo: Wer Schläpfer wählt, wählt das Handlungsballett ab...
"Ich habe kein Publikum, das nach Handlungsballetten verlangt ... Ich habe den Verdacht, dass es eine Illusion ist. Ich kenne viele, die sich ein Erzählballett ansehen und hinterher enttäuscht sind ... Aber ist es meine Aufgabe, die Wünsche des Publikums zu erfüllen oder das zu tun, woran ich glaube? Ich bin ein Künstler, der heute arbeitet. Ich finde, der Tanz ist sich selber genug ... Mit meiner Company kann ich keine „Giselle“ machen. Wie soll ich mit diesen wunderbaren Persönlichkeitssolisten zwischen 18 und 47 Jahren eine einheitliche, klassische Linie hinkriegen? Ich habe kein Corps de Ballet...."
Das hat sich nun geändert. Schön, daß es sich geändert hat. Und so äußert er sich hic et nunc im aktuellen Programmheft der Rheinoper nun folgender Maßen:
„In der Arbeit an Schwanensee fühlte ich mich nun viel freier. Ob ein Schritt zu klassisch oder nicht originell oder stimulierend genug sei, war für mich hier selten eine Frage, sondern vielmehr, ob er das transportiert, was ich erzählen möchte. Wie schaffe ich es, eine vollständig erlebte und erlebbare, nicht kodierte Bewegungssprache zu find? ... Ich habe immer auf die romantischen Ballette geschaut, sie studiert und ihre Meisterschaft bewundert."
Des Meister-Choreografen Ansatz steht an diesem Abend unter dem Motto:
Hinweg mit der Romatik und jeglichem Ausstattungsplunder
Daß sich da nun viele traditionelle Schwanensee-Fans und Familien mit Kindern nicht sehr wohl fühlen, ist verständlich. Zum Teufel, wir machen doch kein Ballett für Kinder! Auch werden vielen eben immer noch dem Steinzeit-Ballett Frönenden die Kürzungen des Choreografennicht munden, denn der Wegfall der schönen Nationaltänze ist ausgesprochen bedauerlich. Ich jedenfalls mochte sie immer sehr, sind sie doch ein nicht unwesentlicher Bestandteil der Geschichte. Aber sie passen halt nicht in dieses neue moderne Konzept.
"Mir ist die direkte Konfrontation der Protagonisten wichtig. Alles was sich in einer höfischer Etikette versteckt, interessiert mich weniger ... Auch im ersten und dritten Akt habe ich Striche vorgenommen. Ich wollte keine Staffage.
Auch jedwede Form von Walzerei kann natürlich barfuß - nota bene: es wird überwiegend barfuß getanzt - nur schwerlich choreografiert werden, und so findet sich an den schönen Stellen mehr Statik als Movement, sogar Bodenturnartiges. Ernüchternd trockene Bewegung, statt stimmungsvoller Drehungen zur herrlichen Musik. Natürlich auch kein Pas de Quattre der vier kleinen Schwäne. Zu niedlich!
Eine Bewertung des Ganzen, sollte jeder Ballettfreund, unabhängig davon was der Rezensent hier schreibt, aber für sich selbst entscheiden. Wobei das allerdings schwer ist, denn wie verlautet sind alle kommenden Vorstellungen, bis weit ins nächste Jahr ausverkauft. Aber, kleiner Trost für die Ausgesperrten: es soll ja demnächst noch eine Fernsehaufzeichnung von ARTE geben.
Über das Bühnenbild von Florian Etti - irgendwo schimmern im Halbdunkel der Hinterbühne große Fensterrahmen, ein riesiger Kiesel und ein transparenter Quader mit Wolken durch - kann ich nur Marginales sagen, da meine altersschwachen Äuglein nicht viel Konkretes sehen konnten. Ettis Kostüme repräsentierten schlichte Alltagsmode eines gehobenen Couturiers, wie nette Negligés, Roben, Westen, Hemden, T-Shirts und satinartig durchsichtige Kleider.
Die Solisten waren phantastisch. Allen voran die unglaublich vielfältige Leistung vom Marcos Menha in der Rolle des Siegfried. Odette (Marlucia do Amaral) war ein Traum und mit Alexandre Simoes (Benno) und einer grandiosen Stiefmutter (Young Soon Hue) hat die Rheinoper schon überragende Solisten auf internationalem Niveau, die Freude bereiten. Da ist dann eigentlich egal was sie tanzen...
Fazit: Wenn man dem Schwanensee die wunderbaren Kostüme, die klassisch runden Tanz-Bewegungen und schönen Bühnenbilder raubt, bleibt nicht viel übrig. Dann ist es halt moderner Tanz zu Tschaikowskis Musik: austauschbar, beliebig und déja-vu. Wenn dazu noch recht Grobes (Ausnahme die Streichersoli bzw. die Harfe - extra im Programmheft erwähnt) aus dem Orchestergraben der "Düsis" unter Axel Kober tönt, dann keimt auch akustisch nicht die optimale Freude beim Opern-Rezensenten auf. Ich gehe davon aus, daß es unter dem Folgedirigat von Aziz Shokhakimov nur erheblich besser werden kann.
Zusammenfassend würden böse Zungen, Neider, Ewiggestrige, Traditionalisten und Unwohl-Meinende den Abend sicherlich mit dem Satz bewerten:
Schläpfer ruiniert unseren schönen Schwanensee
Solch Hinterweltlerischem bewahrenden Denken würde ich mich natürlich keinesfalls anschließend, obwohl die empörten Buher schon bei der Premiere deutlich hörbar waren. Aber wie wird das demnächst wohl vom normalen Volk der Ballettfreunde der Theatergemeinden und Volksbühnen aufgenommen werden? Schau mer mal...
Peter Bilsing 10.6.2018
Bilder (c) hier geht ein besonderes Lob an Gerd Weigelt - denn was er aus dem Dunkel heraus holt ist top; vieles habe ich auf der Bühne so nicht erkennen können.
Das schreiben die Kollegen über diesen "Schwanensee"
P.S. Unser Opernfreund Tipp für Familien aus NRW
Unser Tipp für Traditionalisten und Familien ist das Aalto in Essen (keine 25 Minuten Fahrtzeit). Dort gibt es einen herrlich klassischen Schwanensee von Ben Cauwenbergh mit märchenhaften Kostümen, richtig schönen 18 Schwänen incl. Teller-Tutus und mit all dem schönen Romantischen, was zu einem Märchenballett dazu gehört. Vor allem auch Ihre Kleinen wird es erfreuen. Für weitere grandiose Handlungsballette, die es ja auch an der Rheinoper seit der Ära Schläpfer nicht mehr gibt, empfiehlt die Opernfreund-Redaktion nach Dortmund oder Gelsenkirchen auszuweichen. Nahegelegene Ausflugziele für alle, denen dieser Schläpfer Schwanensee nicht mundet oder ggf. schwer im Magen liegen sollte.