BASEL BALLETT
GLORIA
Uraufführung
Choreografie: Richard Wherlock und Mitglieder des Ballett Basel
Musikalische Leitung: Andrea Marcon
Musik: Giovanni Battista Pergolesi STABAT MATER
Antonio Vivaldi GLORIA D-DUR
Premiere: 12. Mai 2021
Besuchte Vorstellung: 19. Juni 2021

Es war geplant, das Ballett im Frühjahr 2020 zu choreografieren.. Dieser Plan fiel der Pandemie zum Opfer. Wherlocks Themen, Aufstieg und Kollaps der Gesellschaft erhielt durch Covid eine unheimliche Aktualität.
Die Choreografie wurde kollektiv unter der Leitung Wherlocks von Mitgliedern des Ballett-Ensembles gestaltet: Choreographie – Richard Wherlock, Jorge García Pérez, Debora Maiques Marin, Stefanie Pechtl, Frank Fannar Pedersen, Anthony Ramiandrisoa, Javier Rodríguez Cobos, Rachelle ScottundAndrea Tortosa Vidal.Der Ballett-Direktor Wherlock tanzt nach 30 Jahren selber wieder einmal auf der Bühne.

> Die Choreographinnen und Choreographen zeigen in Gloria den immer wiederkehrenden Prozess von gesellschaftlichem Aufstieg und Kollaps. Unermüdlich und beharrlich lassen sie die Tänzerinnen und Tänzer eine in Trümmer liegende Welt wieder und wieder aufbauen und spiegeln damit Bilder ihrer Empfindungen wider. So bilden Pergolesis ‹Stabat Mater› und Vivaldis ‹Gloria› den musikalischen Rahmen für die Kristallisierung der erlebten Erfahrungen und Empfindungen in einer ungewöhnlichen Zeit.Anders als bei ‹The Fairy Queen› (2012) und ‹Juditha Triumphans› (2015) wurde diesmal bewusst kein Handlungsballett zur Barockmusik inszeniert. Es sind vielmehr einzelne, zum Teil abstrakte Szenen, die Dynamiken von Zusammenbruch und Wiederaufbau, von Trauer und Glück zeigen,undvor allem von der Kraft einer Gesellschaft, die in einer Krise zusammenhält, zu erzählen. < (© Theater Basel)

Das immer wiederkehrende Spiel mit den Bauklötzen erinnert ein bisschen an den Bühnenaufbau in Hofesh Shechters Choreografie >BALLETT AUF ALLEN BÜHNEN, GRAND FINALE<. (Besprochen im OF, Basel Ballett).
Der musikalische Ansatz jedoch war subtil und mit Shechters grobschlächtiger Musik nicht zu vergleichen.
Sehr interessant und schwierig zu beschreiben ist die Rolle Richard Wherlocks auf der Bühne: Aufseher? Advocatus diaboli? Ballett-Chef? Oder ganz einfach >Beobachter<?
Leider wurde Gloria nur sechs Mal gezeigt. Es ist zu hoffen, dass das Werk in der Saison 21/22 wieder auf der Bühne zu geniessen ist.

Die einhundert Zuschauerinnen und Zuschauer bedankten die aussergewöhnliche Leistung des gesamten Teams vor, auf und hinter der Bühne mit dem verdienten Applaus.
Peter Heuberger, Basel
Fotos © Lucia Hunziker
BALLETT AUF ALLEN BÜHNEN
20 Jahre Ballett-Direktor Richard Wherlock
Premiere: 23. April 2021
besuchte Vorstellung: 29. Mai 2021

Seit zwanzig Jahre ist Richard Wherlock Ballett-Direktor im Theater Basel. In diesen zwanzig Jahren hat Wherlock neben seinen eigenen Arbeiten viele Gast-Choreografen und Gast-Choreografinnen eingeladen, auf den Basler Bühnen zu inszenieren. Aus diesen vielen Ballett-Abenden werden auf allen drei Basler Bühnen, Grosse Bühnen, kleine Bühne und im Schauspielhaus ausgewählte Werke von sieben Choreografen wieder gezeigt.
Die Besucher des Abends wechselten in den Zuschauerraum der jeweils bespielten Bühne.
Die sieben Choreografen: Hofesh Shechter (Israel), Johan Inger (Schweden), Brian Arias (Puerto Rico), Sidi Larbi Cherkaoui (Holland /Marokko), Alexander Ekman (Schweden), Ed Wubbe (Holland) und natürlich der Basler Ballett-Direktor Richard Wherlock (England/Schweiz).

Auf der Bühne des Schauspielhauses zeigte Johann Inger sein Werk >BLISS<, eine hervorragend choreografierte Visualisierung von >THE KÖLN CONCERT, Part 1<, gespielt 1975 von Keith Jarrett. Die Uraufführung von Bliss fand im März 2016 in Modena statt.
Inger setzt in seiner Inszenierung auf Pas de deux. Dies wirkt sehr ruhig, der Musik entsprechend. Speziell gelungen scheint mir der Wechsel der einzelnen Tanzpaare, ohne dass eine Lücke im Ablauf entsteht, ohne dass unnötige Hektik die Musik und den Tanz stört.
Die 28 Tänzerinnen und Tänzer des >Ballett Basel< lösten die fordernde Aufgabe mit Hingabe und professioneller Präzision, ohne dass ihr Tanz gestelzt, künstlich wirkt.
Die Zuschauer belohnten die Leistung aller Mitwirkenden mit rauschendem Applaus, soweit dies bei 50 erlaubten Besucher und Besucherinnen überhaupt möglich ist. Diese 50 Ballettfreundinnen und -Freunde wechselten auf die kleine Bühne, eine Nebenbühne im Grossen Haus.
Dort wurden Werke von fünf Choreografen getanzt und zwar unter dem Titel: >5 DUOS<.

>Just for the sake of…< Der Choreograf war Richard Wherlock, die Musik stammt von >Frederic Chopin, Préludes Op. 28<, Die Uraufführung war am 23. April 2021. Die vier Tänzerinnen und Tänzer: Tana Rosas Sune, Gaia Mentoglio, Thomas Martino und Jorge Garcia Pérez.
Die tänzerische Darstellung der Musik Chopins darf als gelungen bezeichnet werden und die Choreografie Wherlocks als wegweisend für die Ballett-Visualisierung von klassischen Werken, welche nicht speziell als Ballettmusik komponiert wurden.
Als zweites Werk zeigte das Theater Basel die Choreografie von Sidi Larbi Cherkaoui, >Remember me<. Die Musik: >Henry Purcell, Dido’s Lament aus Dido & Aeneas<.
Die Uraufführung in Antwerpen wurde im März 2017 gezeigt.
Die Tänzerinnen und Tänzer, immer als Duo auf der Bühne: Annabelle Peintre, Ayako Nakanoa, Cella Sandoya, Thomas Martino, Frank Fannar Pedersen und Giacomo Altovino.
Auch diese Choreografie verwendet Musik, welche nicht als Ballettmusik komponiert wurde, auf beispielhafte Art.

Als Uraufführung die tänzerische Umsetzung eines Chansons von Edith Piaf zusammen mit Eddie Constatine, >C’EST TOI<. Der Choreograph Ed Wubbe hat diese Inszenierung speziell für Wherlocks Jubiläum geschaffen.
Die Tänzerinnen und Tänzer: Eva Blunno, Tana Rosas Suné, Lydia Caruso, Diego Benito Gutierrez, Mikro Campigotto und Francisco Patricio.
>You move me naturally< ist der Titel, welcher Brian Aryas seinem Ballett gegeben hat. Die Musik: >Estrella Morente, Mi Cante y un Poema, Bulerias de la Bola<. Die Tanzpaare : Annabelle Peintre, Cella Sandoya, Jorge Garcia Perez und Francisco Patricio.
Andrea Tortosa Vidal, Tana Rosas Suné, Javier Rodriguez Cobos und Frank Fannar Pedersen tanzten das >DUO AUS CACTI< des schwedischen Choreografen Alexander Ekman. Die Uraufführung in >den Haag< war im April 2016. Die Musik schrieb >Joseph Haydn, Sonata V, Sitio (Adagio)<. Auch diese Präsentation kann nur als sehr gelungen, und auch witzig bezeichnet werden.

Zum Abschluss des Ballettabends: >GRAND FINALE<
Der Choreograf Hofesh Shechter hat versucht, die moderne Gesellschaft tänzerisch zu zeigen. Das Resultat ist meiner Meinung nach nicht zwingend. Wohl sind die Massenszenen präzise in Szene gesetzt, wohl wird auch bis zu einem gewissen Grad die Zerrissenheit der modernen Zivilisation gezeigt. Das Gesamtresultat wirkt aber eintönig und nach ca. 20 Minuten hat man eigentlich alles gesehen, weil die Einzelheiten im Gesamtgewusel untergehen. Zuviel Hektik auf der Bühne, zum Teil zu laute, sehr oft langweilige Musik mit ewigen Wiederholungen, so habe ich dieses Werk erlebt.
Die Arbeit des Ballett Basel war innerhalb der gesetzten Anforderungen hervorragend und kann nur als beispielhaft für Massenszenen im Ballett gelten.
Im Gesamten jedoch war der Ballettabend gelungen und man kann über das Werk Shechter’s durchaus geteilter, anderer Meinung sein. Für mich waren die beiden ersten Teile auf der Schauspielbühne und der kleinen Bühne wesentlich eindrücklicher und richtungsweisender.

Der neuen Intendanz unter Benedikt von Peter sei Dank, dass sie solche übergreifenden Abende möglich macht und dies für nur 50, seit Ende Mai 100 Besucher.
Peter Heuberger
Fotos © Ingo Hoehn
Lautstärke stört den optischen Eindruck eines gut choreografierten Balletts!
COW
Premiere: 15. November 2019
Beim Besuch einer Disco oder eines Rockkonzertes stelle ich mich auf extreme Lautstärken ein und bin dann eher überrascht, wenn die gefühlte Lautheit nicht den Erwartungen entspricht, die Lautstärke eher tiefer ist.
Wenn ich im Theater in einen Ballett-Abend besuche, sind meine Erwartungen anders. Ich stelle mich auf angenehmere Pegel ein, um das Geschehen auf der Bühne zu verfolgen.
Gestern Abend jedoch, im Theater Basel anlässlich Premiere des Balletts "COW", Choreografie von Alexander Ekman, wurde meine Erwartungshaltung schwer enttäuscht. Wahrscheinlich auf Ansuchen des Choreografen und/oder des Komponisten wurde die Lautstärke auf die gesetzlich höchstmöglichen werte eingepegelt.

Aus diesem Grunde wummerte die Musik des Komponisten Mikael Karlsson mit einer Lautstärke daher, welche es verunmöglichte, die Arbeit der Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne zu geniessen. Ich habe Rockmusicals UND Rockkonzerte besucht, Rockfilme angeschaut, zuletzt "BOHEMIAN RHAPSODY", mit Musik von QUEEN, nirgends war die Lautstärke so hoch wie gestern im Theater Basel.
Auf Anfrage teilte man mir mit, dass die gesetzlichen Vorschriften, betreffend der Lautstärken- eingehalten werden. Nun sind diese Vorschriften Obergrenzen welche vor allem Ohrschäden verhindern sollten, also rein objektive Messwerte. Dazu kommt, dass diese Messwerte die Dauer der Belastung beinhalten. Diese Dauer war gestern natürlich nicht sehr lang, aber gefühlt zu lang! (DIN Norm 15905-5 Schutz des Publikums)
Das subjektive Lautheitsempfinden jedoch ist für jeden Menschen individuell. Ich bin, als ehemaliger Toningenieur, an Lautstärken gewohnt und kann sehr wohl beurteilen, wie störend Lautstärke sein kann. Gestern störte sie! Wenn mir während 10 Minuten eine hohe Lautstärke vorgesetzt wird, ist das zu lang, auch wenn dann eine Szene mit angenehmen Pegeln folgt. Szene "REGELN" war OK, Szene "GAMUT" zu laut, Szene "STIERE" (Pas de trois) angenehm, Szene "STAMPEDE" zu laut.
Ich weiss nicht, wer für die exzessive Lautstärke verantwortlich war, es interessiert mich auch nur am Rande. Für Theaterbesucher, Ballettbesucher wurde auf jeden Fall die Grenze des Üblichen überschritten.

In der Hälfte der dritten (Gamut) Szene hatte ich genug Gewummer und verliess den Zuschauerraum. Schade! Eigentlich wäre ich an der Choreografie von Ekman interessiert gewesen. Was ich von der Arbeit des Balletts Basel gesehen habe, war sehr ansprechend. Aber eben: Nach den ersten 30 Minuten war für mich die Lautstärke nicht mehr erträglich. Ich verliess den Zuschauerraum!
Als positives Beispiel für die vernünftige Einspielung ab Tonträger möchte ich das Ballett "DER UNERWARTETE GAST" von Estefania Miranda im KONZERTTHEATER BERN erwähnen. Auch dort wurde moderne, sehr basslastige Rockmusik verwendet, komponiert von Jorg Schellekens. Die Lautstärke war sehr angenehm, trotz genügendem Schalldruck.
Peter Heuberger, 26.11.2019
© Lucia Hunziker
P.S.
Kritik der Dresdener Erstpremiere
THE COMEDY OF ERROR (Z)
Auftragswerk/UA
Komposition: Antony Genn und Martin Slattery
Premiere 3. Mai 2019
besuchte Aufführung: 29. Mai 2019
Nach den Handlungs-Balletten TEWJE, ROBIN HOOD und TOD IN VENEDIG zeigt das Theater Basel auf der grossen Bühne das neueste Werk von Richard Wherlock:
THE COMEDY OF ERROR (Z) Ballett nach William Shakespeare
Die Musik liess Wherlock als Auftragswerk von den britischen Musikern Antony Genn und Martin Slattery komponieren. Ihre Komposition ist eine hervorragende Synthese zwischen Rockmusik und Klassik, zwischen Romantik und Minimal Music. Cluster wie bei Philip Glass werden eingesetzt, dann wiederum harte Beats und Perkussion. Dazu immer wieder die Instrumente aus der klassischen Musik. Aus dieser Mischung resultiert ein Sparten übergreifendes musikalisches Werk:
Rockband verstärkt mit Sinfonieorchester? Sinfonieorchester verstärkt durch Rockband?
So genau ist dies nicht zu definieren. Unter der Stabführung von Thomas Herzog musizierten im Orchestergraben das Sinfonieorchester Basel (SOB) und die britischen Musiker Antony Genn, Martin Slattery und Johnny Tomlinson. Und für einmal hörten die zahlreich erschienen Ballettfreunde das Sinfonieorchester elektronisch verstärkt über Lautsprecher.
Dazu ist anzumerken, dass das Team von Tonmeister Robert Herrmann, Cornelius Bohn, Christof Stürchler und Denim Szram, eine herausragende Arbeit lieferte. Nie zu laut, nie zu leise und professionell abgemischt. So darf im Theater elektronische Verstärkung eingesetzt werden!
Es ist immer wieder eine Freude, die Tänzerinnen und Tänzer des Ballett Theater Basel auf der Bühne zu sehen. Ihre Arbeit zeugt von einem intensiven täglichen Training, einem hervorragenden Einfühlen in die Intentionen des Choreografen/Regisseurs und einer professionellen Auffassung ihrer Kunst, ihrer Performance vor dem Publikum. Es wäre vermessen, einzelne Tänzerinnen, einzelne Tänzer speziell hervorzuheben. Alle KünstlerInnen auf der Bühne tragen zum Gelingen das ihrige bei, keine mehr, keine weniger. Nur das gesamte Team kann eine derartig hochkarätige Produktion zum Leben erwecken, dem Publikum näher bringen. Daher ein lautes, gross geschriebenes: "BRAVI" !
Die Bühne wurde von Bruce French entworfen und stellt prinzipiell ein griechisches Amphitheater dar. French hat in Basel schon einige Bühnen gebaut, darunter auch die Bühnenaufbauten für die Ballette Tewje, Robin Hood und Tod in Venedig. Der Aufbau für Error wurde vom Choreografen bis zuoberst ausgenützt für kleine Feinheiten in der Regie und der Lichtführung.
Und diese Lichtführung hat es in sich: Entworfen wurde sie vom israelischen Lichtdesigner Yaron Abulafia. Sparsam war dieser Entwurf nicht, aber die Wirkung war, zusammen mit der Musik und der Arbeit der Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne überwältigend. Ausgefeilt bis ins letzte Detail begreift man, dass Abulafia international über zweihundert Produktionen weltweit beleuchtet hat.
Die Kostüme wurden von der Engländerin Catherine Brickhill gezeichnet. Diese sind modern, aber dennoch irgendwie zeitlos im Stil und könnten auch im antiken Griechenland so getragen worden sein. Es ist dies nach über zwanzig Jahren in der Modebranche ihre erste Arbeit als Kostümbildnerin. Die Dramaturgie, bei dieser Produktion keine leichte Sache, besorgten Gregor Acuña-Pohl und Bettina Fischer.
Das begeisterte Publikum belohnte die Arbeit der Tänzerinnen und Tänzer, der Musiker und des Dirigenten mit langanhaltendem stürmischem Applaus.
Peter Heuberger 30.5.2019
TOD IN VENEDIG
Premiere: 13. April 2018
Nach „TEWJE“ und „ROBIN HOOD“ choreographiert/inszeniert Richard Wherlock „TOD IN VENEDIG“ nach Thomas Mann.
Als Vorbild für die Beschreibung der Figur Aschenbachs diente Mann der Komponist und Wiener Opernintendant Gustav Mahler. In Wherlocks Ballett ist Gustav von Aschenbach, wunderbar getanzt von Javier Rodriguez Cobos, Fotograf, ein Fotograf welcher schlussendlich müde und degoutiert vom ewig Schönen nach Venedig zieht.
>Wie bei Mann treffen auch in diesem Ballett unüberwindbare Gegensätze aufeinander. Fasziniert beobachten wir den rational agierenden und nach Perfektion strebenden Gustav Aschenbach, der auf eine emotionale Welt trifft, die ihn magisch anzieht: Tod und Begehren, Schönheit und Verfall, Nüchternheit und Verzückung liegen dicht beieinander und bilden für diese choreografische Umsetzung des Stoffes die Matrix< (© Theater Basel Programmheft)
Der Fremde, meisterhaft dargestellt von Frank Fannar Pedersen, ist mehr als nur Begleiter, er ist sicher kein Engel, sondern die Personifizierung der allegorischen Figuren wie des Todesboten (Thanatos), des Fährmanns über den Styx in den Hades (Charon), des Reisens, des Genusses (Dionysos). Wherlock hat die Mythologie gerade dieser Figur sehr genau studiert. In der Basler Choreografie ist der Fremde nicht richtig fassbar, nicht abschliessend definierbar, unwirklich.
In der Musik von Dmitri Schostakowitsch fühlt man das Sehnen Aschenbachs, seine wachsende Abscheu gegen die Zwänge der modernen, schönheitsgeilen Zivilisation. Dies trotz der Obsession Aschenbachs in Venedig für den jungen, schönen Tadzio, getanzt von Anthony Ramiandrisoa, trotz seinem schlussendlichen Sehnen nach dem wieder Jungsein, der Angst vor dem Alter. Seine Angst vor dem Alter, auch sein Ekel vor sich selbst, seiner Obsession gipfelt im Tod Aschenbachs, nicht an der Cholera, sondern im Wasser, dem Urquell des Lebens.
Richard Wherlock hat die Musik hervorragend ausgewählt. Sie unterstreicht, begleitet und verstärkt die im Tanz dargestellten Emotionen, die Geschichte Gustav von Auerbachs. Unter der Stabführung von Thomas Herzog interpretiert das Sinfonieorchester Basel (SOB) die ausgewählten Musikstücke meisterhaft, kein Bruch in der Melodieführung, in der Musikalität ist zu spüren, zu hören.
Für das ansprechende Bühnenbild zuständig ist Bruce French. Dabei auffallend die Projektionsfläche für die Videoeinspielungen, welche an Strandkörbe ebenso erinnern wie an die immerwährende Meeresbrandung.
Eine spezielle Erwähnung bedarf die Schweizer Videografin, Tabea Rothfuchs. Ihre Arbeit zeugt von einem ausgeprägten Einfühlungsvermögen in die Ausdrucksform Ballett. Subtil unterstreicht ihr Werk die Choreografie, die zu erzählende Geschichte ohne sich je in den Vordergrund zu drängen, den Tanz zu stören.
Für mich wird die Geschichte, welche Mann schrieb, durch die Inszenierung auf eine moderne zwingend logische Weise erzählt. Wichtig sind die „Pas de Deux“ mit Cobos und Pedersen, ebenso die Arbeit von Cobos, Pedersen und Max Zachrisson, dem Assistenten Aschenbachs, zu Zweien und zu Dreien. Dabei ist anzumerken, dass keine der Solotänzerinnen, keiner der Solotänzer in ihrer/seiner Performance abfällt. Alle meistern ihren Part bravourös, professionell mit viel Emotion und auch Humor. Auch kleinere Rollen wie die Assistentinnen des Stylisten Lisa Horten-Skilbrei, Marina Sanchez Garrigòs und Sidney Elizabeth Turtschi waren hervorragend besetzt. Der Stylist, Sergio Bustinduy tanzte seine Rolle mit hörbarem Spass. Dies gilt für das gesamte Ballett Theater Basel, welches in Tod in Venedig in diversen Rollen zu sehen, zu bewundern war. Der verdiente, lang anhaltende Schlussapplaus des zahlreich erschienen Premierenpublikums galt allen Beteiligten.
Peter Heuberger 14.4.2019
Ballett von Johan Inger
CARMEN
Premiere: 15. November 2018

Dazu der schwedische Choreograph Johan Inger: In meinem Ballett steht nicht allein die weibliche Hauptfigur Carmen im Mittelpunkt der Geschichte. Wie in Prosper Mérimées Original konzentriert sich das Stück auf Don Josés Liebeskummer. Er ist unfähig, den Freiheitsdrang seiner Geliebten zu ertragen und wird getrieben von blinder Leidenschaft und zermürbenden Rachegelüsten.
Interessant für mich waren die dramaturgischen Anspielungen Ingers auf Amor Brujo. Vor allem die Todesboten in schwarz aus der Geisterwelt weisen auf das Ballett von Manuel de Falla hin. Sie erscheinen immer wenn das schlechte Gewissen und die Eifersucht bei Don José überhand nehmen. Dieses Element fehlt im Original von Bizet, da dort vor allem die starke Frau, Carmen, dargestellt wird. Dazu kommt, dass Johan Inger die Wichtigkeit der kurzen Pausen kennt und diese in seiner Choreografie gekonnt einsetzt.

Immer wieder gibt es einen kurzen Stillstand in der Handlung, um die dramaturgischen Effekte zu verstärken. Diese dramaturgischen Verstärkungen hat der Cho-reograf schon in seiner letzten Basler Inszenierung Per Gynt eingesetzt. Auch die Rolle des Beobachters, dargestellt durch ein Kind, vor dem Mord an Zuñiga in weissem Kostüm, nach dem Verbrechen ganz in Schwarz, fehlt im Original von Bizet.
Dazu Inger: Eine Annäherung an das Thema wollte ich mithilfe einer reinen, unberührten Sichtweise zugänglich machen: der eines Kindes. Es ist eine Figur, die uns dazu bringen soll, einer-seits das Geschehen mit unschuldigem Blick zu beobachten, die uns andererseits aber auch dazu zwingt, Zeuge davon zu werden, was die Gewalt wiederum mit diesem Kind macht.

Johan Inger versteht es, in seinen Choreografien Geschichten verständlich und überzeugend zu visualisieren.
Die Musik zum Ballett Carmen, schrieb der russische Komponist Rodion K. Schtschedrin, wobei Anspielungen auf Bizets Original nicht fehlen. Weitere wichtige Musik wurde vom Spanier Marc Alvarez komponiert. Unter der Stabführung von Thomas Herzog läuft das Sinfonieorchester Basel zur Hochform auf und interpretiert die Ballett-Musik emotionell und musikalisch hervorragend.
Eine spezielle Erwähnung im musikalischen Geschehen verdient die Arbeit des Basler Tonmeisters Jan Fitschen. Seine Einspielungen über Lautsprecher waren derart gut gesetzt, so professionell abgeglichen, dass der Unterschied zur Life-Musik des SOB kaum wahrzunehmen war.

Don José, dargestellt/getanzt von Max Zachrisson, überzeugt auf der ganzen Linie. Seine Eifersucht und seine emotionale Unbeherrschtheit werden mit seinem tänzerischen Können für die Zuschaue-rInnen/Zuhörerinnen körperlich spürbar.
Die Rolle von Carmen tanzte Debora Maiques Marin mit überzeugender Emotion, ausgezeichneter Körpersprache, welche ihre Bühnenpräsenz optimal unterstrich. Ihr Wunsch nach Eigenständigkeit, ihr unbändiger Drang nach Freiheit ist zu fühlen und nachzuvollziehen.
Das Kind, eine kleine aber wichtige Rolle in dieser Choreografie, gibt Alba Carbonell Castillo. Sie überzeugt, trotz Lockerheit, mit präziser Tanzkunst.
Als Zuñiga wird Piran Scott von Don José ermordet und den Torero tanzt Javier Rodriguez Cobos. Auch die Leistungen dieser beiden Solo-Tänzer sind über jeden Zweifel erhaben und gefallen gut.
Dramaturgisch hervorragen eingesetzt sind die Arbeiterinnen, dann auch die vier jungen Männer und die Wärter. Alle sind Mitglieder des "Ballett Theater Basel", genau wie die Solotänzer und -Tänzerinnen.

Die Arbeiterinnen: Paige Borowski, Lydia Caruso, Gaia Mentoglio, Annabelle Peintre, Raquel Rey Ramos, Marina Sanchez Garrigós, Dévi-Azélia Selly
Vier junge Männer: Diego Benito Gutierrez, Mirko Campigotto, Jorge García Pérez, Anthony Ramiandrisoa
Wärter: Giacomo Altovino, Florent Mollet
Der lautstarke, langanhaltende Schlussapplaus des zahlreich erschienenen Premierenpublikums belohnt die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne, die hervorragende musikalische Interpretation des SOB im Dirigat von Thomas Herzog und die Arbeit des ganzen Teams dieser Produktion.
Peter Heuberger 18.11.2018
Fotos © Lucian Hunziker