Da wabern akustisch Gänsehaut Klänge und die obszön-gruseligen Schreie von vom Teufel Besessenen durch die heiligen Hallen der Staatsoper, eine Nonne wird brutalst (und genüsslich von Seiten der Ausübenden, bis sie sich übergeben müssen ...) auf offener Bühne klistiert, einem Priester werden bei der Folter durch Elektro-Teaser grausame Verletzungen zugefügt und die Fingernägel herausgerissen, man wähnt sich in einem 70er Jahre Horror-Exorzistenfilm ( Friedkinds THE EXORCIST oder Richard Donners THE OMEN grüßen von weither) - und man ist total fasziniert, ja geradezu gebannt von Pendereckis komplexem und mit ungeheurer Kraft unter die Haut gehendem Klangteppich, der die Handlung mehr als nur untermalt. Nach der Uraufführung in Hamburg 1969 schrieben Kritiker noch despektierlich von "Dünnschiss", "minderwertig", "Mini-Oper" und bezeichneten die Oper als "überflüssiges Erstlingswerk". Nun, wie sich schon bald zeigte, täuschten sich diese bärbeissig-biederen weissen Männer, Pendereckis Erstling verschwand (im Gegensatz zu manch anderer Oper aus der Zeit) nie vollständig vom Radar und - wie die begeisterte Reaktion des Publikums gestern Abend in der Bayerischen Staatsoper zeigte - zu Recht!
Die Aufführung zeigte einmal mehr mit aller Deutlichkeit, wie wichtig ein Ineinanderfließen von Szene und Musik ist, um einen beeindruckenden Musiktheaterabend zu generieren. Die musikalische Verantwortung lag dabei in den Händen von Vladimir Jurowski, der seit der Saison 2021/22 die Position des GMD der Bayerischen Staatsoper innehat. Er sorgte zusammen mit dem Riesenapparat des Bayerischen Staatsorchesters für eine beeindruckende Wiedergabe der flächigen, vertikal komponierten Partitur Pendereckis. Trotz des Riesenapparates, den Penderecki für dieses Werk vorschrieb, wurde es praktisch nie laut und schon gar nie ZU laut. Das Klangbild blieb stets transparent, nicht einmal die vielen Cluster führten zur Ermüdung der Ohren. Man war von der Musik fasziniert, der Klang war magisch in den Bann ziehend - und an gewissen Stellen auch abstoßend. Die zwei pausenlosen Stunden vergingen jedenfalls wie im Flug. Daran hatte (natürlich auch neben der exzellenten Sängerschaft) die Inszenierung von Simon Stone ihren verdienten Anteil: Der Bühnengestalter Bob Cousins hatte für die 30 (zum Teil nur 40 Sekunden dauernden) Szenen eine kongeniale Lösung gefunden. Ein gigantischer weisser Kubus stand auf der Drehbühne, der durch einen klugen Einfall gar fünf Seitenflächen aufwies. Jede der Flächen wies andere geometrische Einschnitte auf, die Kapelle, Zelle, Folterraum, Treppenhaus, Kirchenraum, Beichtstuhl oder Schlafzimmer darstellten. Durch die Drehung wurden die häufigen Szenenwechsel fließend und organisch ermöglicht. Simon Stone nun erfüllte die abstrakt-konkrete Bühnenkonstruktion mit deutlicher, auch - wo angebracht - drastischer Interaktion. So wurde die Handlung deutlich, spannend, intensiv, ja atemberaubend und die Charaktere erhielten klare Konturen (welche ein Unterschied zu LES TROYENS am Abend zuvor).
Aušrinė Stundytė war eine Jeanne von eindringlicher Intensität. Ihre fatale Besessenheit erhielt durch die ihre Stimme in keinem Moment schonende Expressivität beängstigenden Ausdruck. Wolfgang Koch (er konnte die Premiere wegen einer Erkrankung nicht singen, die beiden folgenden Vorstellungen mussten wegen weiterer Coronafällen abgesagt werden, so dass die von mir besuchte Aufführung Kochs Premiere war) zeigte die Figur des Grandier mit all ihren widersprüchlichen, menschlichen Facetten. Er war der geile Priester, der keinem Mädchen, keiner Frau widerstehen könnte, man sah ihn beim Gruppensex, beim sexuellen Übergriff im Beichtstuhl, bei dem feigen Davonschleichen aus der Verantwortung, nachdem er die blutjunge Philippe ebenda geschwängert hatte. Doch da war auch seine aufrechte politische Haltung, seine konsequente Auflehnung gegen Richelieus Forderung, die Stadtmauern schleifen zu lassen. Dieser Grandier ist ein zwiespältiger Charakter, der jedoch in seiner Erduldung der Folter, in seiner Standhaftigkeit was seine Unschuld anbelangt zu einer moralischen Größe messianischen Ausmaßes aufsteigt. Wolfgang Koch verlieh diesem Grandier stimmlich alle divergierenden Aspekte eines wahren Menschen. Er konnte zugleich zärtlich sein, aufbrausend, herablassend, sarkastisch und mit den an seine Widersacherin Jeanne gerichteten Worten vor seiner Hinrichtung erlangte er die Parallele zu den Leiden Christi: "Seht da an, was ich bin, und lernet, was Liebe heißt."
Aus dem großen Ensemble ragten zudem Martin Winkler aus furchterregender Exorzist Barré, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke mit exemplarischer Diktion als königlicher Kommissär Baron de Laubardemont, die beiden intriganten "Bürger" Adam (Apotheker) und Mannoury (Chirurg) von Kevin Conners, respektive Jochen Kupfer als willfährige Helfershelfer von Kirche und Staat heraus. Ulrich Reß war der ebenso willfährige Beichtvater der Ursulinen (Vater Mignon), Andrew Harris sang de Varer Ragnier, Piotr Micinski war der warmstimmigen Trost spendende Vater Ambroise. Grandios attackierte Danae Kontora die unheimlich schwierigen Intervallsprünge der Philippe im Beichtstuhl. Herausragende Leistungen zeigten auch die Ursulinen (Ursula Hesse von den Steinen, Nadezhda Gulitskaya und Lindsey Amann) die zusammen mit Aušrinė Stundytė das klanglich so exquisite Quartett bei Jeannes Suizidversuch gestalteten. Exzellent auch die beiden Schauspieler Thiemo Strutzenberger als Bürgermeister und Barbara Horvath als Stadtrichter de Cerisey. Als Henri de Condé entlarvte Sean Michael Plumb souverän die falsche Besessenheit der Nonnen, konnte das bestialische Verfahren aber nicht mehr aufhalten. Der Chor der Ursulinen interpretierte mit beängstigender Hysterie die diabolische Besessenheit. Den Auftritt in der Kirche mussten sie wie einen Akt von Pussy Riot absolvieren, in mit feministischen Parolen beschrifteten Unterkleidern. Überhaupt trug der Chor off- und onstage entscheidend zum Erfolg des Werks bei, mit atmosphärisch dichten Klängen aus dem Off und beinahe babylonischem Stimmengewirr beim öffentlichen Spießrutenlauf Grandiers durch die Straßen von LOUDUN.
Wer bereit ist, sich auf diese TEUFEL einzulassen, erlebt Musiktheater erster Güte!
"... zwei Frauengestalten als Weltgedächtnis für das Leiden der Menschheit", so fasst Ulrich Schreiber in seinem OPERNFÜHRER FÜR FORTGESCHRITTENE Berlioz' monumentale Oper zusammen. Diese beiden Frauen sind die Seherin Cassandre im ersten Teil und die karthagische Königin Didon im zweiten Teil der Oper. Beide müssen sich in einer Männerwelt behaupten, beiden wird die Liebe und Unterstützung der Männer versagt werden. Berlioz hat musikalisch zwei grandiose und dankbare Partien für die beiden komponiert und die Interpretationen sowohl von Jennifer Holloway als Cassandre als auch von Ekaterina Semenchuk als Didon waren tief beeindruckend - vor allem mit geschlossenen Augen. Denn Christophe Honoré gelang es mit seiner Regiearbeit nicht, dem Publikum die Grösse und das Leiden der beiden Frauen näher zu bringen. Zugegeben, Berlioz' Oper ist für uns heutzutage nicht ganz einfach zu verstehen, zu episodenhaft ist die Anlage, zu verflogen ist die klassische Bildung aus dem Bildungskanon. Für die Bühne hat Katrin Lea Tag eigentlich ein kluges und stimmiges Konzept gewählt: Einen zerstörten Marmorboden und rauchgeschwärzte Betonwände für das kriegsversehrte Troja, eine eiskalte Beton-Bäderarchitektur für das unter Didon blühende Karthago.
Doch Honoré gelang es nur ungenügend, diese Räume mit einleuchtender theatralischer Dramatik zu füllen. Dagegen herrschte viel Statik auf der Bühne, wenig spannungsgeladene Interaktion. Dem Chor verweigerte er praktisch komplett das Agieren, er findet die Chorpartien seien "infantil" (Lobpreisungen der Herrschenden, banale Kommentare). Deshalb lässt er den Chor einfach in Abendgarderobe auftreten und benennt diesen im Programmheft als "Repräsentanten der Zuschauer:innen auf der Bühne". Mit Verlaub: Ich fühlte mich nicht repräsentiert. Für mich kommt diese Vorgehen eher einer Kapitulation vor den inszenatorischen Herausforderungen gleich. Die umfangreichen Ballettmusiken des vierten Aktes werden selbstredend nicht als Ballette gezeigt (kann man verstehen). Honoré greift (als Drehbuchautor und erfolgreicher Filmregisseur nachvollziehbar) zu filmische Mitteln, um diese ausladenden Ballettszenen zu bebildern. Zwei Leinwände werden auf die Bühne geschoben, darauf werden schwule Softpornos projiziert, im Stil eines Jean Daniel Cadinot, der seine "Garçons" Hardcore Pornos oft in den Ländern rund ums Mittelmeer drehte. Weitere Parallen zu LES TROYENS erschlossen sich weder mir noch meinen Sitznachbarn, völlig sinnbefreit das Ganze, aber eine gezielte Provokation für einen Teil des Festspielpublikums. Die Bayerische Staatsoper kam deshalb nicht umhin, die Vorstellungen wegen "expliziter Szenen" erst für Zuschauer:innen ab 18 Jahren zu empfehlen.
Trotzdem verliessen nicht wenige Besucher die Vorstellung in der darauffolgenden Pause. Bereits im dritten Akt kam es zu kleineren Misfallensbekundungen, da sich in Didons Bäderlandschaft ein gutes Halbdutzend nackter Jünglinge splitternackt in selbstverliebten Posen räkelte. Warum umgibt sich Didon, die ihrem verstorbenen Gemahl Keuschheit über den Tod hinaus geschworen hatte, mit schwulen Jungs? Um nicht in fleischliche Versuchung zu geraten? Fragen über Fragen, auf die man weder anlässlich der Einführung durch die Dramaturgin noch beim gewissenhaften Studium des schön gemachten Programmbuchs (die Fotoarbeiten mit dem Thema MITTELMEER vom Spanier Txema Salvans und französisch - algerischen Fotografin Zineb Sedira sind großartig) Antworten kriegte. Die kriegerischen Handlungen (Vergewaltigungen) der griechischen Soldaten wurden auf kleinen Fernsehern gezeigt (man bekam davon durch die Entfernung zur Bühne wenig mit). Später traten die Griechen dann in billigem Gay- Fetisch-Outfit auf, Harness, Reiterstiefel und weisse Strumpfhosen und machten sich über die Frauen Trojas her, hatten aber nicht mit dem Widerstand Cassandres und der Damen gerechnet. Das trojanische Pferd bestand übrigens bloss aus gestylten Buchstaben aus Leuchtröhren ... .
Das Plädoyer für Berlioz' selten aufgeführte Monumentaloper kam also nicht von der Bühne, dafür mit überwältigender Vehemenz aus dem Graben. Die wunderbar differenzierten Klänge, welche Daniele Rustioni dem Bayerischen Staatsorchester zu entlocken verstand, waren von farbenreicher Intensität und bewegender Dramatik erfüllt. Stark besetzt waren neben den bereits erwähnten Jennifer Holloway und Ekaterina Semenchuk auch alle anderen Gesangspartien. Besonderen Eindruck machte der stimmlich auf dem Höhepunkt seiner großartig aufgebauten Karriere stehende Gregory Kunde (er sprang kurzfristig für Brandon Jovanovich ein und hatte am Abend zuvor einen beeindruckenden Otello hier in der Staatsoper gesungen). Heldisch, sauber intonierend und unangestrengt stand er die gewaltige Partie durch. Ein wahrer Held! Wunderschön ließ Stéphane Degout seine samtene Stimme als Chorèbe erklingen und Lindsey Ammann begeisterte mit ihrem ausdrucksstarken Mezzosopran als Didons Schwester Anna. Den schönen Arien des Iopas und des Hylas wurden Martin Mitterutzner bzw Jonas Hacker mehr als gerecht. Der Bayerische Staatsopernchor, von Stellario Fagone einstudiert, verlieh den Chortableaux wunderbar stimmigen musikalischen Reiz.
Trotz aller szenischer Vorbehalte meinerseits lohnt sich die Auseinandersetzung mit LES TROYENS immer wieder und in München wird man mit grandioser musikalischer Umsetzung beglückt!
Auch die Opernhäuser leiden unter den kurzfristigen, Pandemie bedingten Absagen. Die Münchner Opernfestspiele waren dieser Tage ganz besonders stark gefordert. Für den OTELLO sagte Starsopranistin Anja Harteros ihre Teilnahme als Desdemona bereits vor einigen Wochen ab, doch nur wenige Tage vor der Vorstellung vom 5. Juli musste auch Gerald Finley den Jago absagen. Doch mit der Einspringen Rachel Willis- Sørensen als Desdemona und Sir Simon Keenleyside als Jago vermochte das Betriebsbüro erstklassige Kräfte aufzubieten. Rachel Willis-Sørensens Karriere hat in den letzten Monaten rasant Fahrt aufgenommen, sie zählt unterdessen zu den gefragtesten Interpretinnen im lyrisch-dramatischen Fach. So war auch ihre Interpretation der Desdemona von wunderschön und zart intonierten Phrasen im Liebesduett des ersten Aktes gezeichnet, fein und anrührend gesungen. Stark waren ihre Reaktionen auf Otellos unhaltbare Anschuldigungen im dritten Akt, die Ausbrüche des Entsetzens wichen den Tränen - beider! Im Finale III legte sich ihre Stimme mit leuchtender Kraft über Chor und Solistenensemble. Ihr AVE MARIA im vierten Akt geriet mit ergreifender Schlichtheit.
Simon Keenleyside legte den Jago mit eindringlicher Charakterisierungskunst an, stimmlich sowieso mit einer Souveränität der Extraklasse. Sehr verspielt und kumpelhaft agierte er im ersten Akt, das Anzetteln der ganzen Intrige schien ihm unheimlichen Spaß zu bereiten, das war nicht ein geplantes, bösartiges Manöver, sondern man bekam deutlich mit, dass Jago stets improvisieren musste um den destruktiven Strudel des Bösen in Gang zu halten. Packend sang er das CREDO im zweiten Akt, in dem er seine dunkle Seele offenbarte, unnachahmlich differenziert die Traumerzählung. Keenleyside wurde am Ende mit frentischem Jubel verdientermaßen vom Publikum für seine immense darstellerische und musikalische Leistung gefeiert!
DAS WUNDER GREGORY KUNDE
Der Ausnahme-Tenor Gregory Kunde debütierte vor 44 Jahren in Verdis OTELLO als Cassio, nun singt er natürlich längst die herausfordernde Titelpartie. Wie kaum ein anderer Sänger hat er seine lange Karriere so klug aufgebaut, kann auf eine exemplarische Technik setzen, dass er die schwierigsten Partien seines Faches mit einer stupenden Selbstverständlichkeit zu meistern vermag. Nur schon sein gefürchtetes ESULTATE nach dem überstandenen Gefecht in der Schlacht von Lepanto und dem anschließenden Sturm auf hoher See erklingt mit strahlender Reinheit der Intonation und mitreißender Kraft. Noch verblüffender: Am Tag nach dieser kräfteraubenden Verdi Partie sprang Gregory Kunde auch noch als Enée in Berlioz' Fünfakter LES TROYENS für einen erkrankten Kollegen ein. Chapeau! Kunde vermochte mit großer Eindringlichkeit die Wirkung des Giftes, das Jago in seine Seele geträufelt hatte mit seinen vielseitigen stimmlichen Mitteln zur Geltung zu bringen.
INSZENIERUNG
Blackfacing verbietet sich selbstredend heutzutage, Aussenräume, historische Kostüme und Naturalismus leider ebenfalls. Amélie Niermeyer, die Regisseurin dieses OTELLO, der vor vier Jahren Premiere feierte, verlegte die Handlung in zwei identisch gebaute Seelenräume, einen kleineren mit weissen Wänden für die Reinheit Desdemonas, eine mit geschwärzten Wänden für die böse Welt Jagos und des infizierten Otello. So fand also der die Oper eröffnende Sturm nur in der Gedankenwelt Desdemonas statt, der Chor sang quasi unterhalb ihres Zimmers. Oftmals fanden Parallelhandlungen (Betten machen ...) in der guten und der bösen Welt statt. Vieles war einleuchtend als Kammerspiel von Szenen einer Ehe mit ungleichem Machtgefälle inszeniert, ein paar Dinge konnte man nicht ganz nachvollziehen - doch ärgern brauchte man sich nicht.
Den Bühnenbildner hätte man ohne seinen Namen nachlesen zu müssen anhand der hohen Räume mit den großen Türen und Fenstern und den Strukturabschlüssen der Decken erraten können. Diese Art von Räumen scheinen das Markenzeichen von Christian Schmidt zu sein. Annelies Vanlaere entwarf ziemlich hässliche Kostüme, vor allem für Jago und Otello, über die man besser den Mantel des Schweigens legt.
DIRIGENT UND RESTLICHES ENSEMBLE
Antonino Fogliani leitete eine mit kräftigen Pinselstrichen gemalte, sehr feurig-emotionale Aufführung von Verdis meisterhaft konzipierten Oper, die dem Werk voll gerecht wurde. In der Eröffnungsszene gab es noch kleine Temporückungen zwischen Graben und Chor, die sich jedoch schnell einrenkten. Fogliani war den Sängerinnen und Sängern eine aufmerksam mitatmende Stütze. Oleksiy Palchikov gestaltete mit klarer, sauber geführter Stimme den naiv in Jagos Falle tappenden Cassio, Nadezhda Karyazina holte sehr viel an Charakter aus der Partie der Emilia heraus. Galeano Salas war ein ausgezeichneter Roderigo (ach ja, auch ausgesprochen hässlich gekleidet). Bálint Szabó als Lodovico und Daniel Noyola füllten ihre kleinen, aber genauso wichtigen Rollen mit charaktervollen Stimmen.
Ein Protagonisten -Trio der Extraklasse machte diesen OTELLO zu einem musikalisch mitreißenden Abend!
Nach Wagners „Tristan und Isolde“ fand die zweite wichtige Neuinszenierung der Münchner Opernfestspiele im Prinzregententheater statt, das die Bayerische Staatsoper im Rahmen der August Everding Opernakademie auch während der Festspiele bespielt. Die Premiere von Mozarts „Idomeneo“ in der Inszenierung des jungen und offenbar sehr begabten Nachwuchsregisseurs Antú Romero Nunes unter der musikalischen Leitung von Constantinos Carydis, einem ausgewiesenen Mozart-Experten, wurde zu einem vollen Erfolg. „Idomeneo“ erlebte bekanntlich seine Uraufführung 1781 am Münchner Cuvilliés-Theater.
Phyllida Barlow schuf wirkmächtige Bilder in einem raffinierten Lichtdesign mit stets zur Handlung passenden mystischen Effekten von Michael Bauer und oft phantasievollen Kostümen von Victoria Behr. Mit ihren raumgreifenden Skulpturen aus groben Alltagsmaterialien gehört Phyllida Barlow zu den international profiliertesten britischen Künstlerinnen. Sie stattete mit dem Münchner „Idomeneo“ zum ersten Mal eine Theaterproduktion aus. Barlows Bilder wollen die psychologische und emotionale Beziehung zwischen der Phantasiewelt der Götter, die ihre Macht und Autorität von den Hauptcharakteren erhalten, und der Realität der emotionalen Welten ergründen, der die Protagonisten zu entfliehen suchen, die sie aber akzeptieren müssen. So bestehen ihre eindrucksvollen und das Geschehen erheblich mitbestimmenden Bühnenbilder aus drei wesentlichen und oft bewegten Elementen, die die Hauptthemen des Stücks sinnhaft symbolisieren: Ein riesiger Felsblock wie ein gewaltiger Meteorit für das Archaische, das Alte der Welt des ans Ende seiner Macht kommenden Königs Idomeneo; eine große Holzstruktur, wie man sie an Meeresstränden zur Befestigung sieht, die aber im Laufe des Stücks immer mehr verfällt, die Machtlosigkeit der Beziehung der Menschen zum bedrohlichen Meeresgott Neptun nahelegend. Die dritte sind zwei leichte, buntbemalte Strukturen auf hohen Stelzen, die zum Teil an Industrieruinen, zum Teil an Neubauten erinnern, also eine beschädigte Vergangenheit, aber auch Möglichkeiten symbolisieren, die sich in der Zukunft bieten können. In diesen Strukturen tauschen bezeichnenderweise die Jungen, Ilia und Idamante, ihre Zukunftsansichten aus und schmieden Pläne.
"Es geht darum, dass ein Vater versucht, seinen Sohn nicht zu hassen." Hiermit bringt Regisseur Romero Nunes seine Sicht des „Idomeneo“ auf den Punkt. Er will zeigen, dass es sich hier um einen Generationenkonflikt handelt, dass das Alte nicht erkennt, dem Jungen weichen zu sollen, ja gar zu müssen. Das zeigt er mit einer stark psychologisierenden Personenregie nachvollziehbar an allen Protagonisten, insbesondere an Idomeneo und seinem Sohn Idamante. Daraus und aus den phantasievoll changierenden Bildern von Phyllida Barlow bezieht diese gelungene Produktion ihre dramaturgische Spannung. Die zeitweise bizarre Choreografie von Dustin Klein verlangt Ilia und Idamante einige nahezu stuntähnliche Kletterpartien ab und sorgt auch für unkonventionell choreografierte Balletteinlagen, die in ihrer Aufmachung auch das so heftig, wenn auch nicht immer überzeugend diskutierte Thema der Diversität anklingen lassen.
Matthew Polenzani singt mit einem lyrischen Tenor den ständig an Machtverlust bis zur finalen Selbstaufgabe leidenden Idomeneo. Emily d’Angelo ist ein sehr agiler Idamante mit facettenreichem Mezzo und guter Attacke. Olga Kulchynska singt die Ilia mit einem glockenreinen Sopran, und Hanna-Elisabeth Müller nimmt das Publikum mit einer außergewöhnlich intensiven Interpretation der Elettra ein, stimmlich wie darstellerisch. Martin Mitterrutzner gibt einen guten Arbace, Caspar Singh einen für die kleine Rolle beachtlichen Oberpriester Poseidons, und Callum Thorpe orgelt furchteinflößend das Orakel. Weniger überzeugend sind die gelegentlichen Kommentare aus Lautsprechern.
Das Bayerische Staatsorchester wurde von Carydis zu einer Höchstleistung angetrieben, starke dramatische Akzente setzend, da wo Mozarts Musik schon fast wie dramatischer Verismo wirkt. Gleichwohl gelingen auch die subtileren Momente. Der Chor, einstudiert von Stellario Fagone, war in Topform, und das nur bei etwa halber Größe. Denn die andere Hälfte war gleichzeitig am Nationaltheater in „Die Vögel“ von Walter Braunfels eingesetzt.
Riesenapplaus für alle Akteure inklusive des leading teams, mit einem besonderen Bravosturm für Hanna-Elisabeth Müller als Elettra, die in der Tat eine denkwürdige Vorstellung bot. Mit diesem „Idomeneo“ haben die Münchner Opernfestspiele 2021 ein starkes Zeichen gesetzt.
Jonas Kaufmann reüssiert in München eindrucksvoll als Tristan!
Nun war es endlich soweit! Die erwartungsvoll oft als die bedeutendste Wagner-Premiere des Jahres 2021 bezeichnete Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ an der Bayerischen Staatsoper München mit dem Rollen-Debut von Jonas Kaufmann als Tristan sowie jenem von Anja Harteros als Isolde erlebte endlich ihren Start in der Inszenierung von Krzysztof Warlikowski unter der musikalischen Leitung von Kirill Petrenko.
Jonas Kaufmann hatte ja konzertant den 2. Aufzug bereits 2018 gesungen und wagte sich nun an diese Mammut-Aufgabe, szenisch und in voller Länge. Um es gleich vorwegzusagen: Der Startenor hat diese Aufgabe bestens gemeistert! Schon äußerlich von nahezu idealer Erscheinung gestaltete er die Rolle (2. Reprise am 4. Juli) in ihren über die drei Aufzüge so intensiv wechselnden emotionalen Facetten äußerst eindrucksvoll, emphatisch, authentisch und, wenn immer erforderlich, auch nachvollziehbar kontemplativ. Sein in letzter Zeit dunkler gewordener Tenor erweist sich mit seiner baritonalen Einfärbung als besonders geeignet für die vokale Charakterisierung des im Prinzip depressiven und auch in dieser Inszenierung depressiv gezeigten sowie im Finale delirierenden Titelhelden. Kaufmann singt die Rolle mit einem virilen Timbre bei guter Resonanz, nahezu perfekter Diktion und auch in den tenoralen Ausbrüchen des 3. Aufzugs mit emotionaler Intensität und Überzeugungskraft. Hier erreichte er jene „Menschlichkeit des Verrücktwerdens“, von der er in einem Interview mit Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung SZEXTRA Ende Juni sprach.
Anja Harteros ist ebenso ein Bild von einer Isolde, der von König Marke begehrten Braut, auf die verständlicherweise auch Melot ein Auge geworfen haben soll. Die Sopranistin agierte mit einer höfischen Aura, emotionaler Eleganz und Intelligenz. Stimmlich fand sie - auch bei perfekter Diktion - am besten zu sich selbst im Dialog mit Tristan im 1. Aufzug sowie im 2. Aufzug. Hier strahlte ihr Sopran die ihm so eigenen ruhigen, leuchtenden Klangfarben aus, die einen die Stimme wie im Raum schwebend erfahren lassen. Das hörte sich stimmlich nahezu ideal und sehr einnehmend an. Der von großer innerlicher Aufregung charakterisierte Dialog mit Brangäne im 1. Aufzug lag ihr hingegen weniger. Hier ging zugunsten des Meisterns der dramatischen Passagen die sängerische Gestaltungskraft bei abnehmender Wortdeutlichkeit teilweise verloren.
Okka von der Damerau, die sich schon auf die Brünnhilde in Stuttgart vorbereitet, gab eine ausdrucksstarke und stimmlich souveräne Brangäne mit einem heller gewordenen Mezzo, sodass die gewohnte vokale Abstufung zu Isolde kaum wie gewohnt und eigentlich auch erwünscht zu hören war. Von der Damerau verfügt über enormes stimmliches Volumen, sie neigte im 1. Aufzug bisweilen aber auch zu hoher Lautstärke. Wolfgang Koch sang den agilen Kurwenal mit seinem Heldenbariton prägnant, klar und wortdeutlich sowie mit guter Attacke, ein ernstzunehmender Mitstreiter Tristans an diesem Abend. Mika Kares ließ als König Marke eine ebenso klare und eher helle Bassstimme hören und wirkte in seiner Reaktion auf den vermeintlichen Betrug des Freundes sehr überzeugend. Vielleicht wäre etwas mehr Tiefe reizvoll gewesen. Der junge Seemann von Manuel Günther führte mit einem anmutig gesungenen lyrischen Lied in das Geschehen ein. Melot fand in Sean Michael Plumb einen guten Interpreten ebenso wie der Steuermann von Christian Rieger mit seinen zwei Versen. Dean Power war der Hirt und verkörperte die ganze Melancholie des Englischhorns von Simone Preuin.
Kirill Petrenko machte schon mit der langsamen Steigerung des Vorspiels bis zur vorwegnehmenden musikalischen Extase deutlich, dass dies ein ganz besonderer Abend mit dem Bayerischen Staatsorchster werden sollte. Äußerst gefühlvoll und detailverliebt im Ausmusizieren auch scheinbar noch so unbedeutend wirkender Momente geleitete er die Sänger mit großer Behutsamkeit durch den Abend und die Herausforderungen der Partitur. Zu einem großartigen Höhepunkt wurde dabei das nahezu episch interpretierte Liebesduett zwischen Tristan und Isolde, das jedoch niemals die von Petrenko sorgfältigst aufgebaute innere Spannung verlor. Es wirkte so wie eine Oper in der Oper, dieses eine dreiviertel Stunde dauernde Duett. Und ich kann mich nicht erinnern, den Einbruch des Tageslichts mit Marke und seinen Männern in die Szene je so eindringlich und schockierend empfunden zu haben. Man wurde auch als Zuschauer wie aus einem Traum gerissen, wie eben Tristan und Isolde! Auch der von Stellario Fagone geleitete Chor trug wesentlich zum exzellenten musikalischen Gesamteindruck bei.
Daran hatte natürlich auch Regisseur Krzysztof Warlikowski seinen Anteil, der mit einer interessanten Inszenierung in einem leicht variierenden Einheitsbühnenbild eines holzgetäfelten eleganten Salons aus den 1920er Jahren von Malgorzata Szcześniak mit guter Bühnentiefe, mit einer Gruppe von vier eleganten Ledersesseln und einer Chaise longue sowie dramaturgisch sorgsam ausgewählten Video-Einspielungen von Kamil Polak bei einem stets Stimmungen untermalenden Licht-Design von Felice Ross einen guten Rahmen für Wagners „Handlung in drei Aufzügen“ entwarf.
In diesem Raum, der stets auch ein Nicht-Entrinnen-Können suggeriert, brachte der Regisseur die komplexen Beziehungen der Protagonisten bei guter Personenregie immer wieder in einen eindrucksvollen und somit überzeugenden Fokus. Er beraubte sich aber letzten Endes immer wieder der vollen Wirkung seiner Bilder sowie der intensiven Wirkung der Protagonisten durch das Einbringen von völlig stückfremden Elementen, wie ein puppenartiges Pärchen, das schon während des Vorspiels, welches man lieber allein von Petrenko und dem Orchester gehört hätte, eine Art tour d´horizon durch das Leben von Tristan und Isolde vollzog.
Später lag dann die männliche Puppe statt Tristan auf der Chaise longue neben Kurwenal, dessen Entsetzen angesichts der Leiden seines Herrn gar nicht mehr zu verstehen waren. Denn dieser saß derweil an einem Tisch wie beim letzten Abendmahl mit etwa zehn Puppen und sang erstmal von dort aus seine Fieberphantasien im 3. Aufzug, die ihm auch schon mal ein Klettern über die Tischplatte abverlangten… Hinzu kamen wirklich überflüssige, nun auch schon wieder zu postmodernen Stereotypen verkommene Statisten in weißer Unterwäsche, ein immer häufiger zu sehender neuer Opern-Fetisch.
Wenigstens nachvollziehbar war die Idee des Regisseurs, dass Tristan aus einem Krieg kommt und deshalb der junge Seemann noch mit einem Kopfverband in der Szene ist und bleibt, um von der plötzlich zur Krankenschwester mutierenden Brangäne frisch verbunden zu werden. Wirklich überzeugend war hingegen die Video-Zuspielung in Schwarz-Weiß eines Schlafzimmers auf dem Schiff, in dessen Doppelbett Isolde heimlich auf Tristan wartet und in welchem sie mit ihm schließlich langsam in den Fluten zu versinken drohte. Das zu Petrenkos Liebesduett - das war schon etwas ganz Besonderes!
Die Frage bleibt: Warum müssen als vermeintlich modern verstehende oder wenigstens zeitgenössische Regisseure und ihre Dramaturgen wie hier Miron Hakenbeck und Lukas Leipfinger, stets von verständlichen Emotionen abstrahieren, ja fast einer Obsession unterliegen, sie dem Publikum nicht zu zeigen, sie bisweilen gar zu kaschieren, obwohl es die Musik gerade bei Wagner mit großer Intensität verlangt. Das bleibt wohl noch länger ein Geheimnis des Regietheaters, weiter Teile einer entsprechend wohlwollenden Presse und der nicht immer nachvollziehbaren Gedankengänge der Regisseure und Dramaturgen, die allerdings allzu oft in deren sehr persönliches Umfeld und Erleben führen.
Dem musikalischen Triumph dieses „Tristan“ in München, der vorletzten Premiere der 13jährigen erfolgreichen Intendanz von Nikolaus Bachler konnte das jedenfalls keinen Abbruch tun. Stürmischer, sehr verdienter und lang anhaltender Applaus!