SASSARI Teatro Comunale
http://www.comune.sassari.it/servizi/cultura/teatro_comunale_stagione_2013.htm
MADAMA BUTTERFLY
31.10. und 2.11. (Premiere und Reprise)
Der Triumph des Minimalismus
Nach der Saisoneröffnung mit “Carmen” war in der nach der Hauptstadt Cagliari zweitgrößten Stadt Sardiniens wieder ein Frauenschicksal zu erleben: Im für eine nicht ganz 130.000 Einwohner zählende Stadt ziemlich großzügig dimensionierten Teatro Comunale (es fasst mehr als 1400 Plätze) war eine Koproduktion zwischen dem Teatro delle Muse in Ancona und dem Festival von Macerata zu sehen.
Als sein eigener Bühnenbildner hatte der Regisseur Arnaud Bernard auf Minimalismus gesetzt und zeigte einen Bretterboden, zu dem verschiedene Holzstege führten, während sich die eigentlichen Räumlichkeiten offenbar im Untergrund befanden, denn dorthin musste jeder, der etwas zu holen hatte, hinab. Im 2. Akt gab es einen Sonnenschirm und eine Liege, auf der sich Cio-cio-san in westlicher Manier räkelte, wie sie auch den Konsul mit sehr heftigem Handschütteln begrüßte, weil ihr diese Art des Grüßens nicht so geläufig war. Überhaupt benahm sich die – nun westlich gekleidete – kleine Japanerin in der Szene mit Sharpless zunächst übermütig wie ein Teenager, was recht überzeugend wirkte. Ansonsten hatte der Regisseur nichts Neues zu sagen (sieht man von dem seltsamen Einfall ab, Butterflys Kind den Leichnam seiner Mutter verhüllen zu lassen), doch waren die vielen roten Blüten im 1. und die zahllosen amerikanischen Fähnchen im 2. Akt hübsche, die Handlung charakterisierende Einfälle. Für die der Norm folgenden Kostüme zeichnete auf dem Programmzettel niemand verantwortlich, sodass anzunehmen ist, dass sie aus dem Fundus stammten. (Auch für die sehr stimmige Beleuchtung war niemand angegeben – vermutlich war auch sie dem Regisseur zuzuschreiben).
Die Titelrolle wurde erstmals von Cinzia Forte verkörpert, die sich bisher dem Belcantofach gewidmet hatte. Naturgemäß fehlte ihr Durchschlagskraft in der Tiefe, aber die Mittellage trug, und die Höhen waren sicher. Auch verzichtete sie auf Trippelschritte und süßliches Gehabe, sodass ihr eine sensible Darstellung dieses Opfers eines arroganten Machos gelang. Dieser fand in dem feschen Bruno Ribeiro und seinem süffisanten Auftreten die szenisch richtige Verkörperung. Stimmlich setzte der mit einem angenehmen Tenor gesegnete Portugiese vor allem auf seine sicheren, explosiven Spitzentöne. Mit weichem, rundem Bariton zeichnete Simone del Savio einen eleganten, mitfühlenden (und auf Pinkerton sehr bösen) Sharpless. Alessandra Palomba (Suzuki) führte ihren in der Höhe schrillen Mezzo zu unruhig. Gregory Bonfatti war ein allzu wild fuchtelnder Goro mit ansonsten guter Leistung. Gianluca Margheri (Yamadori) und Carmine Monaco (Bonzo) ergänzten verlässlich. Die Chorvereinigung „Luigi Canepa“ unter Luca Sirigu hätte stimmkräftiger klingen dürfen, doch gelang ein guter Summchor. Das Orchestra dell’Ente Concerti „Marialisa De Carolis“ stand unter der Leitung von Matteo Beltrami, dem es gelang, die ganze Farbpalette von Puccinis Musik aufzufächern, von der betörenden Erotik des 1. Akts über die zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankenden Gefühle des 3. bis zur niederschmetternden Tragik des 3., dessen Vorspiel in seinem unerbittlichen Strom auf das tödliche Ende einstimmte.
Ein bei beiden Vorstellungen fast ausverkauftes Haus spendete reichen Beifall (und zerklatschte leider das musikalisch so poetische Ende des 1. Akts).
Eva Pleus 8.11.14
Bilder: Teatro Comunale, Sassari
FALSTAFF
Premiere am 11.10.2013
Neue Saison am Teatro Comunale eröffnet
Das im Nordwesten Sardiniens gelegene Sassari ist mit rund 126.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Insel nach der Regionalhauptstadt Cagliari. Es gab hier bereits ein historisches Teatro Verdi, aber in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts beschloss die Gemeinde die Errichtung eines neuen, modernen Hauses. Wie in Italien üblich, zog sich der Bau jahrelang hin und konnte erst 2011 eröffnet werden. Mit 1421 Sitzplätzen ist das Haus für eine Stadt dieser Größenordnung sehr großzügig dimensioniert. Der holzgetäfelte Saal mit seinen beiden Rängen und den bequemen rosafarbenen Fauteuils ist ästhetisch erfreulich und besitzt eine recht anständige Akustik. Total verbaut sind hingegen die dem Zuschauer nicht einsehbaren Gänge, die viel zu viel Platz beanspruchen und damit nur winzigste Garderoben erlauben (die denn auch mit dem aus dem Sport stammenden Fachbegriff „Umkleideräume“ bezeichnet werden).
Dem Publikum kann das egal sein, denn es will eine gute Vorstellung sehen. Mit dieser Saisoneröffnung hat es sie auch bekommen, denn dem künstlerischen Leiter Marco Spada war eine überaus hübsche Inszenierung gelungen. Er verlegte die Handlung in eine Theatergarderobe, was dem Bühnenbildner Benito Leonori die Möglichkeit gab, allerlei zum Bühnenleben gehörige Ausstattung einzubringen (köstlich zum Bespiel die Szene am Schluss des ersten Bildes, wenn Falstaff seine Kumpel statt mit einem Besen mit einem Fächer verjagt, der sonst wohl im Gemach der Amneris zum Einsatz kommt). Der Gedanke an die das Stück interpretierenden Schauspieler wurde nicht weiter verfolgt; nur am Schluss ordneten sich alle in der Garderobe für ein Erinnerungsphoto. Dass der Faden nicht weitergesponnen wurde, störte eigentlich nicht, auch weil man sich an originellen Bildern erfreuen konnte, wie etwa die Szene in Fords Haus in einer Art geräumiger Abstellkammer spielte, wo Lehnstühle, Paravents oder Wäschekörbe einen überaus natürlichen Standort fanden. Von großer, an die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erinnernder Eleganz waren die Kostüme der Damen, die der Herren waren angemessen (Alessandro Ciammarughi); sehr hübsch auch das Paar Nannetta/Fenton mit seinen kecken Strohhüten. Großes Gewicht kam der Lichtregie von Fabio Rossi zu, die jeder Szene die richtige Stimmung verlieh.
Das sehr jung besetzte Orchester dell’Ente Concerti „Marialisa De Carolis“ (eine in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts entstandene Konzertvereinigung, die dem Haus für die Opernstagione von Oktober bis Dezember zur Verfügung steht) stand unter der Leitung von Matteo Beltrami, der Verdis diffiziles Alterswerk erstmals dirigierte (wie auch der Großteil der Sänger sein Rollendebüt gab). Dem Maestro gelang es, einerseits seine Erfahrung mit bedeutenderen Klangkörpern einzubringen und andererseits den Enthusiasmus der Musiker zu nützen, sodass nicht nur ein sehr sauberes Klangbild entstand, sondern die vielen ironischen Lichter und deren Verflechtungen in Verdis genialer Partitur hörbar wurden und einen brillanten Klang ergaben.
Die Titelrolle verkörperte Ivan Inverardi mit kraftvollem, angenehm timbriertem Bariton. Sein Falstaff war schließlich doch ein recht sympathischer Sir, der den 3. Akt mit einem ausnehmend berührenden Monolog eröffnete. Ford wurde von Francesco Verna gegeben, der die große Eifersuchtsszene mit seinem dafür noch ein wenig schmal klingenden Bariton sehr beherzt anging. Silvia Dalla Benetta war eine etwas distanziert wirkende Alice mit vibratoreichem Sopran und stand daher im Schatten der Quickly von Romina Boscolo, die ihren Alt in den Tiefen genußvoll auskostete, während die wenigen Höhen dieser Rolle wenig einladend klangen. Mit reinem Sopran war Barbara Bargnesi ihrem angenehm klingenden Fenton Fabrizio Paesano eine bezaubernde Nannetta. Gaben Roberto Jachini Virgili und Carmine Monaco routiniert Bardolfo und Pistola, so war Andrea Giovannini ein französisch näselnder Dr. Cajus der Extraklasse und verlieh der Figur ein zwerchfellerschütternd komisches Profil. Praktisch unhörbar blieb die Meg Page der Lara Rotili. Tadellos sang der Chor „Luigi Canepa“ aus Sassari, wobei auch den Maskenbildnern zu gratulieren ist.
Ein insgesamt sehr ausgewogener, erfreulicher Abend.
Eva Pleus 19.11.13 Bilder: Theatro Communale / Sebastiano Piras