DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Venedig/Venezia – La Fenice

 

 

UN BALLO IN MASCHERA

Premiere: 24.11.2017

Besuchte Vorstellung: 1.12.2017

Ist „Un ballo in maschera“ eine politische Oper? Die meisten Opernfreuden würden die Frage sogleich verneinen. Auch ich habe zunächst gedacht, dass das historische Element, also die politischen Ereignisse der Verdi-Zeit, nicht ganz unwichtig sei, aber für dieses Werk der großen Emotionen und der Liebe (und, natürlich, des Todes) weniger ausschlaggebend ist als für etliche andere Verdi-Opern. Eine Inszenierung, die zur Zeit der Komposition spielt und den politischen Background betont, ist nicht falsch, aber sooo wichtig ist er denn doch nicht.

Weit daneben getroffen. 1. funktioniert die Inszenierung Gianmaria Alivertas ganz gut, und zweitens hat Antonio Rostagno, Professor an der Universität Roma I, in seinem Vortrag bei den Giornate Wagneriane (im schönen Festsaal von Wagners Sterbepalazzo Vendramin) gerade gut begründen können, dass sich hinter der Geschichte des Königs, seines besten Freundes, seiner unglücklichen Geliebten und seiner politischen Gegner mehr verbirgt als ein typisches italienisches Melodramma. Wer weiß beispielsweise, dass der Librettist dieser Oper, Antonio Somma, Sekretär des Vereinigungspolitikers Daniele Manin und damit ein Gegner Mazzinis war? Wer sich in einem der kleinen Säle neben dem Apollosaal des Teatro La Fenice ein Gemälde anschaut, dass die Befreiung Daniele Manins und Niccoló Tommaseos im Jahre 1848 zeigt, erhält nicht nur ein Bild aus der venezianischen Geschichte. Er wird auch darauf hingewiesen, dass das Thema des jüngeren „Maskenball“, die Auseinandersetzung zwischen Konservativen und Radikalen, nicht auf die Straße beschränkt war. Die Inszenierung zeigt nun nicht, was möglich wäre, eine italienische Konstellation, sondern eine amerikanische – denn bekanntlich musste Verdi zusammen mit Somma das Sujet um den ermordeten schwedischen König Gustav III. aus Zensurgründen im zeithistorischen Kontext verändern. Heraus kam also eine Geschichte, die in Boston spielt – auch auf der Bühne des Fenice.

Regietheater? Natürlich – aber wenn die bürgerlichen Abgeordneten die Vertreter des alten Grundbesitzeradels sind, deren Rechte beseitigt wurden, weil der moderne Volkstribun, der übrigens nicht wie Abraham Lincoln aussieht, die Befreiung der schwarzen Sklaven auf sein Panier geschrieben hat, kann der Rezensent keinen Fehler im Konstrukt entdecken. Ulrica ist also eine schwarze Zauberin, die – halb zum Schein, halb echt, mit im Goldlicht wippenden Spiegeln auch sehr poetisch – die Kraft der Ahnen in Anschlag bringt, wenn sie ihre nächtlichen Treffen veranstaltet: eine Schutzgemeinschaft der Schwarzen gegen die Weißen, die es lieben, an Galgenhügeln ihre aufsässigen Neger zu finden, zu foltern und zu töten. Was man eben damals drüben so tat, als Verdi seine Oper schrieb. Seltsam ist nur, dass auch Amelia eine Schwarze ist – eine schwarze Sängerin, die man (glücklicherweise) nicht auf Weiß geschminkt hat.

Renato ist in Sommas amerikanischer Fassung, auf der Bühne, die Massimo Checchetto bildhaft und prägnant entwarf, übrigens ein Kreole, also auch einer der „Anderen“; dass der gute Demokrat, also Richard, ihn zu seinem besten Freund ernennt, ist in zweierlei Sinn bedeutend, und dass Amelia als Schwarze am Galgenberg, im höchst dramatischen Dunkel und im Mondlicht der nächtlichen Drehbühne, besondere Ängste entwickelt: dies ist nachvollziehbar. So nachvollziehbar wie ihr Gebet auf der Spitze des Felsens, an dem der Tote dieser finsteren Nacht liegt. Orrore… War es derselbe, der zu Beginn der Oper die Treppe des (Weißen?) Hauses wischte, auf der er für die Konservativen Platz machen musste? Auf jeden Fall war es der Schwarze, der am Ende des Ulrica-Akts seine von bösen Dämonen (und amerikanischen Männern) gepeinigte Frau dank der Hilfe eines weniger konservativen und gewalttätigen Volksvertreters unbeschadet, d.h.: unvergewaltigt nach Hause nehmen konnte.

Nun wird Amelia allerdings von einer Sängerin gesungen, der das venezianische Publikum mit Freundlichkeit entgegenkommt. Kristin Lewis hat große Probleme mit ihrer Stimme: die Höhen werden meist nicht so leger erreicht wie nötig, die Notenhöhen variieren, der Klang wirkt ab der Mitte des Ambitus ihrer warmen Stimme oft unsicher, mit einem Wort: rein stimmtechnisch betrachtet ist diese Amelia eine bedauernswerte Fehlbesetzug. Und doch… Der Rezensent ist nicht Beckmesser genug, um die Leistung der Kristin Thomas völlig zu verdammen, im Gegenteil: Sieht man in dieser Amelia eine fragile Frau innerhalb einer mörderischen Gesellschaft, deren (von Verdi genial komponierter) Hohn jenem bösen Witz entspringt, den Quentin Tarantino in „Pulp Fiction“ entwickelt hat – dann kann man diese rein vokal höchst seltsame Interpretation als bewegendes Porträt einer gehetzten Frau durchaus genießen. Oder anders: Das Mitleid des Zuschauers, dem es auf mehr als Stimmakrobatik ankommt, ist dieser auch spielerisch ausgesprochen lyrischen Amelia sicher. Um ein paar Sätze Giancarlo Landinis (in „Verdi e Wagner: voci e personaggi per un doppio centenario“, auf: http://www.operaclick.com/speciali/un-ballo-maschera-amelia…) zu zitieren, der das stimmliche Porträt der Figur folgendermaßen beschrieb: „La complessità del suo caso è tale da non rendere possibile una vera e propria omologazione ad un ruolo.“ Landini sprach von einer „costruzione di una vocalità nuova e diversa“, schließlich vom „nobile realismo delle passioni“ in Verdis Meisterwerk. Und wer weiß, wie die erste Amelia, die ansonsten nicht weiter aufgefallene Eugenia Julienne-Dejean, damals die Amelia kreiert hat…

Nein, es geht nicht allein um „gran' passioni“, auch wenn die Sänger der Neuproduktion alles tun, um diese großen Leidenschaften unverstellt zu präsentieren. Francesco Melis Riccardo ist ein präpotenter, in seiner ganzen überzeugenden Stimmschönheit guter Tenor der alten Schule, dessen souveräne Beherrschung des „Materials“ im Grunde nicht darüber hinwegtäuscht, dass hier eine psychologisch tiefe Darstellung dieses interessanten monomanen Charakters kaum vorliegt. Ähnliches kann man auch vom Orchester behaupten: Myung Whun-Chung dirigiert einen expressiven, ja expressionistischen „Maskenball“, dem alle Piano-Nuancen abgehen, woran sicher nicht die erstaunlich offene Akustik des Hauses schuld ist, die den ersten Auftritt des Riccardo – vorn links an der Seite – ungeheuer wuchtig macht. Trotzdem macht es Spaß, aufs Orchester (und auf den von Claudio Marino Moretti einstudierten Chor des Fenice) zu hören, das die satirischen Elemente zumal der Verschwörermusik herzhaft bringt – und das vergleichslose Liebesgeständnis des 2. und die hochdramatische Verschwörerszene klingen im Fenice schier überwältigend.

Vladimir Stoyanov ist ein glänzender Renato, dem die Regie die Chance gibt, ihn zu verstehen: Während seiner großen Vergeblichkeitsarie zieht er sich die Perücke vom enthaarten Kopf. Es gibt also objektive erotische Gründe, wieso sich seine Frau dem jüngeren charmanten Herrscher scheinbar zu- und sich vom alten Ehemann scheinbar abwendet: mit dem bekannten Ergebnis ungeheurer Missverständnisse. Immer wieder psychologisiert Gianmaria Aliverta Situationen und Figuren, ohne dem Text und der Musik Gewalt anzutun. Und stünde am Abend nur Serena Gamberoni als Oscar auf der Bühne: der Abend hätte sich schon gelohnt. Sie und die starke Ulrica der Silvia Beltrami machen auch stimmlich gleichsam wett, was der Amelia an technischer Vollkommenheit fehlt. Als Silvano, der unversehens zu Amt und Kleingeld gekommene Seemann, glänzt in seinem kurzen Auftritt William Corrò, als fideler Richter, der sich nachts als Chef des 1865 gegründeten Ku Klux Klan betätigt (eine Type!), Emanuele Giannino.

Am Ende tanzt man auf dem Maskenball, man trägt kollektiv, neben einer Bühnenskulptur des Kopfes der Riesendame, Miss-Liberty-Masken, und es passiert, was nicht in jedem Theater, aber nur wenige Jahre nach der Premiere des „Maskenball“ in einem konkreten Theater der Verdi- und Lincolnzeit passierte: der Demokrat wird erschossen. Dass es nicht aus politischen Gründen geschieht, ist in Ordnung; die italienische Oper ist kein politischer Traktat, sondern immer noch das Melodramma der großen Gefühle. Am Schluss erstarrt die ergriffene Masse im Standbild, einer Pietá ähnlich sinkt und singt sich der Gute Mensch von Boston in den Tod. Ein Tableau, das jeden deutschen Regietheaterregisseur peinigen würde. Dass am Abend Regietheater der besseren Sorte, mit den nötigen Abstrichen zugunsten der konservativen Italienischen Oper, über die Bühne geht, ist bemerkenswert. Doch einer tanzt während des statischen Bildes buchstäblich ein bisschen aus der Reihe: der Page Oscar, der Junge aus dem Volk, der Anhänger einer neuen, besseren (US-amerikanischen) Politik inmitten des vorletzten Jahrhunderts.

Auch das war schön.

Frank Piontek, 4.12.2017

Fotos: © Michele Crosera / Teatro La Fenice

 

 

AQUAGRANDA

Premiere: 4.11. 2016.

Besuchte Aufführung: 8.11. 2016

Eine Oper für den richtigen Ort

Genau vor einem halben Jahrhundert, am 4. November 1966, wurde Venedig zum Opfer eines Hochwassers, wie es die Stadt seit Menschengedenken nicht erlebt hatte. Es gab Tote, die Murazzi – also die seit Jahrhunderten gepflegten Steinwälle, die schon die Serenissima vor den Gewalten des Meeres geschützt hatten – brachen, Häuser und Kirchen wurden überflutet. Es dauerte Jahre, bevor die sichtbaren Schäden repariert werden konnten.

Genau 50 Jahre nach jenem Schreckenstag wurde im Fenice eine Oper uraufgeführt, die an diesen Schrecken erinnert: eine Wasseroper, die ihren wesentlichen Reiz aus jenem nassen Element zieht, das am Ende des 80 Minuten langen Werks als „sposa amorosa“, aber auch als tödliches Wesen beschrieben wird. Immerhin kommt in Filippo Peroccos Oper niemand ums Leben. Weder die 7 Solisten noch der konzertante Chor noch der Bewegungschor noch das Orchester, das vermutlich ein paar jener Spritzer abbekommen hat, die auf der Bühne fleißig produziert werden. Wäre nicht das Wasser, so wäre die Inszenierung Damiano Michielettos über weite Strecken eine statischere Angelegenheit, als es das Sujet vorsieht. Doch ist das Wasser überall: zuerst auf der Bühne, dann im Orchester, durch das fast pausenlos die Wellen rollen – bis das Aquagranda über die Insel Pellestrina rauscht. Perrocco hat mit hoher technischer Meisterschaft eine fast vollkommen dissonante Partitur geschaffen, in der es impressionistisch flimmert. Die „onde“ fließen durch die Orchestergruppen, dass der analytisch orientierte Hörer seine Freude am dunkelbrausenden und schrillen Pfeifen von Wind und Wellen hat. Etwa auf der Mitte des von Roberto Bianchin und Luigi Cerantola gedichteten Werks, das kaum etwas aufweist, was als „Handlung“ bezeichnet werden kann (daher auch im üppigen und schön gemachten Programmbuch keine wirkliche Synopsis zu finden ist), steht die Musik plötzlich fast still. Die beiden Frauen Lilli, die Frau des Ernesto, Sohns des Fischers Fortunato, und Leda, die Freundin Lillis, beten da zu Gott: er möge sie vor den Fluten schützen. Die Ruhe vor dem Sturm...

Aquagranda spielt nicht in der großen Stadt, sondern auf einer der kleinen Laguneninseln, wo man eine gute halbe Stunde auf die Katastrophe wartet. Das Warten dauert, das Wasser steigt (sagt Fortunato), das Wasser fällt (meint sein Kumpel Nane), das Wasser steigt, das Wasser fällt, es regnet und regnet und regnet. Es regnet in einen gewaltigen, von Paolo Fantin entworfenen, schmalen Glaskasten hinein; man sieht dem Wasser sozusagen bei der Arbeit zu, bis die Wasserwand nach oben fährt und, das war zu erwarten, die Massen ablässt. Unten agieren je sechs Männer und Frauen – die Männer halbnackt, die Frauen in eleganten blauen, luftigen Kleidern (Kostüme: Carla Teti) -, und natürlich setzen sie sich dem Wasser aus. All dies übrigens – Stichwort: Eleganz – in formaler Vollendung. Die Inszenierung des Bewegungschors und der Wasserwand, die gelegentlich schön ornamental durchgewirbelt wird, gehorcht einem Rahmen, der der Katastrophe ästhetisch entgegenkommt. Selbst die Reflektion des Wassers an der Decke des Zuschauerraums ist schlichtweg schön. Mehrere Filmsequenzen strukturieren die kaum vorhandene Handlung: ein Dokufilm über das heutige Pellestrina, bewegte Aufnahmen aus dem Venedig des 4. November 1966 und eine hoch ästhetischer Zeitlupenfilm, der uns eine weißgewandete Frau unter Wasser zeigt: eine Ertrinkende, die offensichtlich in Schönheit stirbt – und mit einer roten Schnur (und einem versunkenen Stuhl) in Kontakt kommt, die wir am Beginn von Aquagranda sahen. Denn der Bewegungschor begann mit drei Frauen – vielleicht Allegorien des Wassers und des Windes -, die mit jener roten Schnur eingeführt wurden, bevor die Männer die Gewalt des Wassers gleichsam ausschritten.

Auch der ausgezeichnete Chor des Fenice, der zu Seiten der Bühne steht (links die Frauen, rechts die Männer), zieht dem Werk eine symbolische Ebene ein, die sich als „voce della laguna“ in poetischen Bildern – ja: ergiesst: „Aqua sposa / amorosa / aqua tosa / me morosa“ ... „luna stelle sole cieli donna“... Das Wasser steigt, es tost, dann stehen die Winde still, endlich befiehlt der Polizeichef die Evakuierung. Das Finale tönt zunächst euphorisch in den Saal: jubelnde Trompeten entfesseln inmitten einer an diesem Abend bislang nicht gehörten Orchesterharmonie (freilich reizvoll überlagert von dissonanten Passagen) so etwas wie ein Prinzip Hoffnung, bevor das Werk so endet, wie es begann: leise. Marco Angius leitet das Orchester des Fenice: eine Kärrnerarbeit für alle Beteiligten, wenn man bedenkt, dass die Oper mit diesen 9 Aufführungen wieder in der vermutlich ewigen Versenkung verschwinden wird. Freilich macht es wohl nur an diesem Ort, in diesem Opernhaus, den besten Sinn. Die Aura spielt eben eine wesentliche Rolle: hier, wo die Reflektion des Wassers in den Zuschauerraum schwappt und die Orchesterwellen ins Ohr fließen.

Herausragend im Ensemble der Solisten, deren Rollen merkwürdig unkonturiert und wohl eher stellvertretend erscheinen: Andrea Mastroni als Fischer Fortunato und die wunderbare Giulia Bolcato als Lilli. Sie hat die einzigen, wie gemeisselt klingenden Koloraturen zu singen: im wahrsten Sinn des Wortes herausgehoben von zwei starken Männern. Daneben agieren Mirko Guadagnini als Sohn Ernesto (der als solcher nicht erkennbar ist), Silvia Regazzo als Leda, Vincentio Nizzardo als Nane, Marcello Nardis als Polizeichef und William Corrò als Luciano, der Inselapotheker: eine Gestalt wie aus einem neorealistischen Film, der seine Existenz auf der Insel bejammert, während er doch besser in der Stadt der Feste und des „wahren“ Lebens aufgehoben wäre. Doch das „wahre“ Leben spielt immer auch auf Inselchen wie Pellestrina. Mit anderen Worten: an diesem Ort entstand eine gerade für diesen Ort relevante Oper mit einem komplexen Orchestersatz, einer eher monotonen Vokalschicht, einer – typisch italienischen? – kunstvollen Bildästhetik und einer zurückgenommenen Handlung. Das Haus, das nicht gänzlich ausverkauft war – weil Neue Musik vielleicht auch in der Stadt der Biennale nicht wirklich populär ist -,war insgesamt zufrieden. Freundlicher, nicht euphorischer Beifall.

Frank Piontek, 13.11. 2016

Bilder: Michele Crosera

 

 

LA TRAVIATA

Besuchte Vorstellung: 8.3.2014

Packender Verdi - Großartig!

Aus Anlass des Verdi-Jahres setzte Venedig im Vorjahr jene Traviata-Produktion von Robert Carsen wieder auf den Spielplan, mit der im Jahre 2004 das prächtig wiedererstandene La Fenice-Theater eröffnet worden war – natürlich auch um das 150 Jahr-Jubiläum der Uraufführung der Traviata im La Fenice am 6.3.1853 zu würdigen. Und diese Inszenierung steht im Februar und März 2014 mit einer völlig neuen Doppelbesetzung der drei Hauptpartien wieder auf dem Programm.

Im Mittelpunkt des Interesses steht in der von mir besuchten Aufführung die 29-jährige russische Sopranistin Venera Gimedieva, die nach ihrem kurzfristigen Einspringen am Bolschoi-Theater vor einer Weltkarriere zu stehen scheint. „Die Erfolgsgeschichte der Venera Gimadieva ist wie ein Hollywood-Film. Im letzten Moment ersetzte sie eine kranke Sängerin, die die Premiere der ‚La Traviata‘ singen sollte. Am nächsten Tag, wachte Venera, wie es so heißt, berühmt auf.“ So berichtete im November 2012 die Stimme Russlands – und Hollywood-mäßig wird der neue Star auch von seiner Agentur präsentiert:

Zunächst aber zur der mich restlos überzeugenden Inszenierung von Robert Carsen, die übrigens in der ursprünglichen Besetzung auch seit längerem als DVD erhältlich ist: Carsen verlegt die bereits von Alexandre Dumas mit deutlicher Gesellschaftskritik angelegte Kameliendame in die Gegenwart. Er tut damit das, was schon Giuseppe Verdi im Jahr 1853 eigentlich wollte. Verdi wollte nämlich unbedingt, das Stück solle „un sogeto dell’epoca“ – ein Stück seiner Zeit - sein. Noch drei Wochen vor der Uraufführung hoffte Verdi, das Stück dürfe in Gegenwartskostümen gespielt werden. Aber die habsburgische Polizeizensur (ja – Venedig gehörte von 1814 bis 1866 zu Österreich!) untersagte dies – und Verdi musste zu seinem großen Unwillen, das Stück in die Zeit Ludwig des XIV. verlegen. Bei Carsen ist Violetta eine Edelprostituierte in Mitten einer sexuell enthemmten und kapitalistischen High Society. Die ersten Töne des Vorspiels erklingen, der prunkvolle, dunkelblaue, golden verzierte Samtvorhang des Fenice öffnet sich langsam, um den Blick frei zu geben auf Violetta, die im Negligé auf einem überdimensionalen Sofa lagert. Hinter dem Sofa eine Fototapete mit lichtdurchflutetem Wald - von allen Seiten erscheinen schemenhaft ihre Freier und  überreichen ihr Geldscheine – eine gespenstische Szene.

Nach Ende des Vorspiels  stürmt die Spaßgesellschaft herein, Sekt wird gereicht - Violetta trägt nun eine strahlend-rote Abendrobe. Ein Flügel wird herein geschoben und Alfredo (der offenbar als eine Art Pressefotograf an dem Fest teilnimmt, fotografiert und seine Fotos herzeigt) wird von der Gesellschaft genötigt, sich an den Flügel zu setzen und sein Trinklied anzustimmen. Und man kann sich nicht dem beklemmenden Eindruck entziehen, dass Carsen ganz bewusst auf der Bühne das spiegelt, was man im prächtigen Zuschauerraum des Fenice-Theaters auch sieht: ein elegant gekleidetes internationales Publikum, das posiert und  geradezu in einem Blitzlichtgewitter sich selbst fotografiert(Gott sei Dank nur vor Beginn der Vorstellung!). Die Parallelen zwischen Publikum und Bühne sind unübersehbar. Die Personenführung durch Carsen ist ausgefeilt – jeder auf der Bühne, ob Chormitglied, Neben- oder Hauptdarsteller, ist eine individuell gezeichnete Figur ohne hohle Operngesten – großartig!

Die dezent-elegante Ausstattung und die Kostüme stammen von Patrick Kinmonth. Das Lichtdesign ( Peter Van Praet und Robert Carsen) unterstützt die Szene hervorragend - zum Beispiel wenn im ersten Bild des zweiten Aktes die zuvor über Violettas Bett verwendete Tapete zu einem den gesamten Hintergrund ausfüllenden Bild wird und es in wunderbar ausgeleuchteter Waldatmosphäre Geldscheine regnet. Die Bühne ist abgesehen von den den Boden bedeckenden Geldscheinen völlig leer – in diesem großen Raum wird die Begegnung zwischen Germont und Violetta spannungsvoll in Szene gesetzt, ohne dass pathetische Operngesten notwendig sind – rührend-steif die Vaterfigur mit Hornbrille, verlegen aus der Brieftasche ein Foto der Tochter hervorholend. Ebenso intensiv gelingt die Szene zwischen Alfredo und Violetta: Alfredo sieht Violetta bloß durch seinen Fotoapparat – ihr Bild scheint ihm wichtiger als sie selbst, berührend-menschlich die verzweifelte Violetta.

Der Ball bei Freundin Flora spielt in einem Cabaret-Etablissement: Eine kleine Bühne mit viel Glitzer, einzelne Tische mit kleinen Lampen,  Gaston als Conférencier führt durch den Abend. Die Ballettmusik ist wirkungsvoll in ein Striptease-Divertissement mit Wildwest-Girls und –Boys umfunktioniert. Im letzten Akt ist dann jeder Glanz verschwunden. Der Traum vom besseren Leben ist vorbei: Das leergeräumte Zimmer Violettas wird instandgesetzt, die Märchenwald-Tapete hängt in Fetzen von der Wand, auf dem Boden steht ein Fernseher, der kein Bild zeigt, alles ist düster, die Gesellschaft hat die Sterbende längst vergessen und feiert den bunten Karneval in Paris, Während Violetta stirbt, kommen die Bauarbeiter – die Renovierung des Raums geht weiter.

Diese durchwegs schlüssige Inszenierung von Robert Carsen und seinem Team wird in ihrer bedrückenden Dichte mit einer ebenso dichten und packenden musikalischen Interpretation durch Orchester und Chor (Leitung: Claudio Marino Moretti) unter dem dreißigjährigen venezolanischen Chefdirigenten Diego Matheusz (aus El sistema hervorgegangen) exzellent ergänzt. Das war stets spannungsvolles und nie banales Musizieren – manchmal war Matheusz vielleicht etwas zu stürmisch, sodass der Chor – speziell im 1.Akt – kaum dem Tempo folgen konnte. Aber das blieben Kleinigkeiten, die den hervorragenden Gesamteindruck nicht beeinträchtigen – so spannend und niveauvoll habe ich Verdi schon lange nicht aus dem Orchestergraben gehört.

Nun aber endlich zum Sängerensemble – auch da ist sehr Erfreuliches zu berichten. Violetta und Alfredo sind in dieser Inszenierung wirklich junge Menschen – also so, wie sich das schon Dumas vorgestellt hatte. Alfredo ist der 27-jährige Deutsch-Italiener Attilio Glaser. Er sang diese Partie hier in Venedig erstmals in großem Rahmen. Attilio Glaser ist zweifellos ein begabter junger Tenor – aber das Fenice ist wohl noch eine Nummer zu groß für ihn in dieser Rolle, die er vorher nur in der Pasinger Fabrik gesungen hatte, die sich Münchens kleinstes Opernhaus nennt. Derzeit scheint er mir in jenem Fach und an jenen Häusern besser aufgehoben zu sein, wo er demnächst singen wird (Titus in Bad Reichenhall und Fenton in Lausanne). Er zeigte an diesem Abend schöne Ansätze und sympathisches Spiel, aber es fehlte die große Verdi-Kantilene - die dramatischen Ausbrüche im 2.Bild des zweiten Aktes führten ihn an seine derzeitigen stimmlichen Grenzen. Der Beifall für ihn war zurückhaltend. Da war sein Bühnenvater, der bulgarische Bariton Vladimir Stoyanov, ein ganz anderes stimmliches Kaliber. Stoyanov steht seit über 15 Jahren in den ersten Bühnen der Welt in den großen italienischen Baritonrollen auf der Bühne – zuletzt etwa in Köln  mit großem Erfolg als Carlo in der Forza del Destino. Er lieferte eine geschlossene, überaus beeindruckende Leistung in verhaltenem Spiel und mit herrlichen Belcantophrasen. Da gab es zu recht am Ende großen Jubel und viele Bravorufe! Eindrucksvoll und rollendeckend sind die Nebenrollen besetzt – unter ihnen fallen die Flora von Elisabetta Martorana, die Annina von Sabrina Vianello und der Douphol von Armando Gabba auch stimmlich positiv auf. Sie alle waren ein optimales Umfeld für die junge Russin Venera Gimadieva, die mit „ihrer“ Traviata in Venedig debutierte – die Debuts beim Glyndebourne Festival und in Paris folgen noch in diesem Jahr. Und damit komme ich zum Ausgangspunkt dieses Berichts zurück: Gimadieva sieht blendend aus, weiß sich zu bewegen und ihr Publikum gefangen zu nehmen. Im ersten Akt schien sie zunächst unnötig zu forcieren, machte aber auch schon da mit sicheren Koloraturen und besonders schönen Pianotönen aufmerksam. Im Laufe des Stückes wuchs sie immer mehr in eine berührende Rollengestaltung hinein. Mich überzeugten vor allem ihre lyrischen Phrasen vom Piano bis zum Mezzoforte. Ab dem Forte besteht manchmal die Gefahr des Forcierens, wodurch dann der Stimmsitz nicht mehr ganz zentriert bleibt. Es ist zu hoffen, dass diese kleinen Schwächen sich mit zunehmender Erfahrung geben werden. Ihrer website kann man entnehmen, dass Juliette, Lucia und Manon bevorstehen – ihre weitere Entwicklung wird jedenfalls mit Interesse zu beobachten sein. Der Jubel um sie war verdientermaßen groß. Gemeinsam mit Vladimir Stoyanov, dem Regisseur Robert Carsen und dem Dirigenten Diego Matheusz sicherte sie einen großen Verdi-Abend!

Hermann Becke, 11. März 2014

Szenenfotos: Fondazione Teatro La Fenice, © Michele Crosera

Die Traviata-Inszenierung von Carsen ist in Venedig nochmals im August und September 2014 auf dem Spielplan – dann wieder mit anderen Protagonisten!

 

 

L’AFRICAINE

Aufführung 1.12.2013  (Premiere 23.11.2013)

Das Teatro La Fenice feiert Meyerbeer

Im kommenden Jahr gilt es die 150. Wiederkehr des Todestags von Giacomo Meyerbeer zu begehen, und mit dieser Produktion zeigte das venezianische Opernhaus einmal mehr seine Leistungsfähigkeit, denn der 1791 in der Nähe von Berlin geborene Komponist errang seine großen Erfolge bekanntlich mit den Pariser Aufführungen seiner aufwendigen grands-opéras. Weder seine italienischen, noch seine deutschen Werke (etwa „Romilda e Costanzo“, Padua 1817, oder „Das Hoffest von Ferrara“, Berlin 1843, als Nachfolger Spontinis im Amt eines GMD) vermochten etwas zu seinem Nachruhm beizutragen, während „Robert le diable“, „Les Huguenots“, „Le Prophète“ und – posthum – „L’Africaine“ Triumphe feierten. Sind diese Werke aus dem normalen Repertoirebetrieb mehr oder weniger verschwunden, so hat das zwei Gründe, nämlich die auf die Spitze getriebene Suche nach Überraschungseffekten, die dramaturgisch nicht immer zwingend sind und ein heutiges Publikum schwerlich beeindrucken, auch wenn „an Menschen nicht und an Maschinen“ nicht gespart wurde (andererseits sperren sich diese eher abstrusen Einfälle gegen eine minimalistische Auslegung). Der zweite Grund liegt an den hohen Ansprüchen an die Sänger, konnte Meyerbeer doch mit der crème de la crème seiner Zeit arbeiten und spickte die Partien seiner Hauptrollenträger mit allen erdenklichen Schwierigkeiten (die häufig reiner Selbstzweck sind). 

„L’Africaine“ wurde wie gesagt posthum 1865 in Paris uraufgeführt, entstand aber im Verlauf von mehr als zwei Jahrzehnten. Der Komponist hatte 1842 mit Eugène Scribe einen Vertrag für ein neues Werk unterzeichnet, aber erste Niederschriften gehen gar auf 1836 zurück, und fast bis zuletzt sollte das Werk „Vasco de Gama“ heißen. Da bei Meyerbeers Tod auch Scribe schon verstorben war, übernahm die dramaturgische Einrichtung François-Joseph Féris, Dozent am Pariser Konservatorium und von Verdi als „mittelmäßiger Theoretiker, völlig unfähiger Historiker und Komponist von adamitischer Unschuld“ bezeichnet. So wurde, was vom Komponisten und vom Librettisten als Anklage gegen Kolonialismus und Versklavung gedacht war, flugs zur harmlosen Liebesgeschichte des großen Entdeckers de Gama mit der versklavten Königin Sélika.

Dramaturgisch verlieren die fünf Akte nach und nach an Gewicht: Im 1. Akt ist Vasco gerade als einziger Überlebender einer mißglückten Entdeckungsfahrt zurückgekehrt und verlangt vom Hof, mit Mitteln für neue Reisen ausgestattet zu werden. Der Großinquisitor und Don Pédro, des Königs Stellvertreter, sind dagegen und lassen den aufbegehrenden Vasco in den Kerker werfen. Dort spielt der 2. Akt: Im Gefängnis befinden sich auch Sélika und der heimlich in sie verliebte Nélusko, einer ihrer Untertanen, die von Vasco verschleppt worden waren. Sélika liebt Vasco, dessen Gefühle aber Inès gelten, Don Pédros Tochter. Dieser gelingt es, Vascos Freilassung zu erwirken, die Gegenleistung dafür, dass sie sich dem von ihrem Vater als ihr Gatte gewählten Don Pédro verlobt hat. Der 3. Akt spielt auf dem Schiff (das übrigens Richtung Madagaskar und Indien segelt und nicht nach Afrika) Don Pédros, der sich von Nélusko dazu verleiten läßt, eine Route zu nehmen, die in den sicheren Untergang führt. Da taucht Vasco mit seinem Schiff auf und will dem bedrohten Don Pédro die richtige Route weisen. Der ist aber eifersüchtig und ordnet Vascos Erschießung an. Aber einheimische Matrosen erstürmen rechtzeitig das Schiff und veranstalten ein Massaker. Dem ist nur Vasco (und auch Inès, was Vasco aber nicht weiß) entkommen, der nun im 4. Akt von den brahmanischen Priestern zum Tod verurteilt wird. Davor rettet ihn Sélika, indem sie ihn heiratet und ihm die Flucht in Aussicht stellt. Ein Hochzeitstrank führt aber dazu, dass Vasco Sélika nun mit anderen Augen sieht und in Liebe zu ihr entbrennt. Da erscheint die totgeglaubte Inès, Vasco findet in die „Normalität“ zurück und segelt mit ihr ab. Im 5. Akt begibt sich Sélika zum Manzanillobaum, dessen giftiger Duft tötet. Nélusko erreicht die Sterbende und bleibt bei ihr, was auch seinen Tod bedeutet.  

Musikalisch beeindruckt das Werk eher durch die raffinierte Orchestrierung denn durch wahrhaft melodische Einfälle (was in meinen Augen auch für das berühmte „O paradis“ gilt). Zu gefallen vermögen die oft rhythmisch skandierten Chöre, Sélikas Schlaflied im 2. Akt, das hymnische Liebesduett Vasco-Sélika im 4. und die Todesszene der Königin. Leider wurde einiges an Musik gekürzt, was mir angesichts eines so selten gespielten Werkes nicht richtig erscheint. Darunter litt vor allem die Rolle der Inès, in der Jessica Pratt nur in ihrer Auftrittsarie ihre Virtuosität unter Beweis stellen konnte, denn u.a. fiel ein Duett mit Sélika im 5. Akt der Schere zum Opfer. Was sie zu singen hatte, bewältigte Pratt mit ihrem geläufigen Koloratursopran tadellos. Die ursprünglich für Mezzo konzipierte Titelrolle war von Meyerbeer in einen Sopran à la Falcon verwandelt worden, kann also auch von einem hellen Mezzo mit guter Höhe bewältigt werden. Veronica Simeoni brachte dafür alle Voraussetzungen mit und erfüllte die Partie der unglücklichen Königin (wer dächte da nicht an Dido!) mit großer Innigkeit. Mit dem homogenen, samtenen Klang ihrer Stimme interpretierte sie eine zu Tränen rührende, ekstatische Todesszene. Die heldentenorale Rolle des (hier nicht unbedingt sympathisch gezeichneten, ruhmsüchtigen) Vasco de Gama sang Gregory Kunde mit dem ihm in den letzten Jahren neu zugewachsenen Aplomb und schreckte vor keiner der explosiven Spitzentöne der Partie zurück. Nélusko fand in Angelo Veccia einen szenisch geboten wilden Feind der Christen, der aber seinen Bariton stark forcierte und bei den Höhen stemmen und pressen musste. Auch der fiese Don Pédro von Luca Dall’Amico (Baß) hätte eindrücklicher klingen dürfen, ebenso wie Davide Ruberti (Don Diégo) aus dem gleichen Stimmfach. Vascos Anhänger Don Alvar fand in dem hübschen Tenor von Emanuele Giannino eine gute Verkörperung. Das Bassfach wurde auch von Mattia Denti (Großinquisitor) und Rubén Amoretti (Hohepriester des Brahma) würdig vertreten. Der von Claudio Marino Moretti einstudierte Chor lieferte eine kompakte, homogene Leistung ab. Der Franzose Emmanuel Villaume am Pult des Orchesters del Teatro La Fenice widmete sich dem Werk mit großer Liebe zur detailreichen Orchestrierung, sodaß der über vierstündige Abend jederzeit interessant blieb. Das war auch der Regie von Leo Muscato zu verdanken, dem es gelang, dem Publikum so etwas wie Empathie mit den stereotypen Rollen zu vermitteln. Entbehrlich waren nur die Projektionen (Fabio Massimo Iaquone und Luca Attilii) während der Vorspiele, die Bilder von den miserablen Zuständen in der Dritten Welt wiedergaben, was trotz des erhobenen Zeigefingers (seht her, wie es dort heute ausschaut!) keinen Mehrwert für die Geschichte schufen. Das einfache Bühnenbild von Massimo Checchetto bezog viel Stimmung aus der Lichtregie von Alessandro Verazzi. Passend historisierend die Kostüme von Carlos Tieppo.

Viel Jubel bei dieser letzten Vorstellung der Serie.

Eva Pleus, 22.12.2013

 

 

 

Venedig eröffnet mit Doppelpremiere

OTELLO  und  TRISTAN UND ISOLDE

Besuchte Vorstellungen: 22. und 23.11.2012

 

Das bevorstehende Verdi- und Wagner-Jahr 2013 macht es möglich:

Auf den Plakaten der Saison-Eröffnung 2012/13 steht stolz „LA FENICE Verdi and/or Wagner“ - und so kann der Opernfreund tatsächlich zwei Neuproduktionen an aufeinanderfolgenden Tagen erleben. Der geneigte Leser möge daher verzeihen, dass es diesmal ein etwas längerer Bericht wird, der in drei Teile gegliedert ist.

Claudio Monteverdi war hier ab 1613 Maestro di Cappella von San Marco, in Venedig fanden die Uraufführungen seiner letzten Meisterwerke Il Ritorno d’Ulisse und L’Incoronazione di Poppea statt. In Venedig stand ab 1637 das erste der Öffentlichkeit und nicht mehr nur dem höfischen Adel zugängliche Opernhaus, Ende des 17.Jahrhunderts gab es in Venedig fünf Opernhäuser – also ist Venedig wahrhaft die Wiege der europäischen Opernkunst.

Als Ersatz für das abgebrannte Teatro San Benedetto wurde im Jahre 1792 das Teatro La Fenice – gleichsam als „Phönix aus der Asche“ – eröffnet, das dann 1836 ebenfalls abbrannte und innerhalb von sieben Monaten neuerlich errichtet wurde. Und dann gab es den Brand von 1996 und die detailgenaue Rekonstruktion und Wiedereröffnung im Jahre 2003. Das Haus präsentiert sich heute als ein prachtvolles Logentheater mit fünf Rängen und prunkvollen Nebenräume.  

Hier fanden die Uraufführungen von Hauptwerken Rossinis, Bellinis, Donizettis statt und hier kam Verdi mit Ernani, Attila, Rigoletto, La Traviata und Simone Boccanegra heraus. Venedig hat aber nicht nur eine große Verdi-Tradition, sondern ist auch mit dem Werk Richard Wagners sehr verbunden, der hier den zweiten Akt seines Tristans schrieb und der in Venedig gestorben ist. Nur ein Beispiel zur Wagner-Pflege: Nur zwei Monate nach Richard Wagners Tod fand die italienische Erstaufführung seiner Tetralogie Der Ring des Nibelungen in La Fenice statt! Die Wahl der beiden Eröffnungspremieren baut also auf eine bedeutende Tradition auf.  

Schon vor Vorstellungsbeginn blickt man auf einen Vorhang mit allen Sternbildern (Bühne: Edoardo Sanchi). Auf diesem Vorhang erscheint dann - gleichsam als Motto ein von Verdi nicht vertontes Jago-Wort von Shakespeare : „Io odio il Moro“ – also der Hass als Antrieb des Stücks. Dann bricht die Gewittermusik los – der Vorhang wird durchsichtig und dahinter stehen die Chormassen. Blitze zucken durch den Zuschauerraum und akustisch klingt es so – die moderne Elektroakustik machts offenbar möglich -, als sänge der Chor im Zuschauerraum. Otello in goldener Rüstung wird durch den Schleier sichtbar und singt sein Esultate. Alles wirkt traumhaft, irreal.

Sobald sich der Sturm beruhigt, ist man offenbar in einem militärischen Lager – die weiß gekleideten Offiziere Jago, Cassio und Rodrigo stehen vor ihren Betten. Der Chor ist einheitlich in Weiß, die Frauen ebenfalls in Uniformen und als Männer verkleidet. (Kostüme: Silvia Aymonino). Es herrscht karnevaleske Alptraumsituation. Das hat zwar nichts mit den szenischen Anweisungen von Verdi und Boito zu tun, entfaltet aber durchaus Bühnenwirksamkeit.  

Die gesamte Inszenierung (Regie: Francesco Michele) beschränkt sich auf klare  bildhafte Massenszenen und auf einen goldenen Käfig als Schlaf-und Wohnraum Desdemonas, in dem das Kammerspiel des Hasses abläuft – alles stets umgeben von der Unausweichlichkeit der Gestirnkonstellationen. Der Löwe wird recht plakativ  Otello, die Jungfrau Desdemona und der Drache Jago zugeordnet. Die Protagonisten tragen Kostüme des 19.Jahrhunderts – es findet keine psychologisierende Personenführung statt –  optisch schöne Bilder mit stereotyper Operngestik verbunden mit italienischer Volksfrömmigkeit in der Verehrung einer Marienstatue, die im 2.Aufzug vom einfachen Volk vor Desdemona gebracht wird. Diese Facette der Italianita berührt durchaus – gerade dann, wenn man vor der Vorstellung am Festtag der Maria della Salute die vielen Menschen mit ihren Kerzen in der venezianischen Marienwallfahrtskirche gesehen hat. Insgesamt zweifellos eine vertretbare szenische Umsetzung, die trotz mancher Ungereimtheit  der Musik den Vortritt lässt. 

Die Hauptrollen sind doppelt besetzt. Ich sah die dritte Aufführung dieser Produktion, in der Carmela Remigio als wunderschöne Desdemona das Ensemble eindrucksvoll anführte. Sie war so gar nicht die jungmädchenhaft-liebliche Frauenfigur, sondern eine starke Persönlichkeit mit sicherem und routiniertem Sopran, der sowohl in den lyrischen Pianophrasen, als auch in den verzweifelten Attacken überzeugte. Ihr Otello war der erfahrene Walter Fraccaro mit ausreichend Metall und Höhensicherheit in den dramatischen Ausbrüchen und überzeugender Bühnenpräsenz. Die mezzaforte- und piano-Phrasen gelangen leider weniger. Für den Jago brachte Dimitri Platanias einen dunkel gefärbten, ausgeglichenen Bariton mit, dem manchmal die nötige zynische Schärfe fehlte. Darstellerisch war er wohl allzu sehr Biedermann und zu wenig der im Regiekonzept vorgesehene hasserfüllte Drahtzieher. Sehr gut und passend der Cassio von Francesco Marsiglia und die Emilia von Elisabetta Martorana.

Die musikalische Leitung lag bei Myung-Whun Chung. Er sorgte für präzise Dramatik im guten Orchester und mit dem ausgezeichneten Chor (Leitung: Claudio Marino Moretti) – auch hier dominiert der pathetische Ausdruck und der große dramatische Bogen - musikalisches Kammerspiel findet nicht statt.

Das Programmheft listet die Otello-Produktionen Venedigs der letzten Jahrzehnte auf: Da liest man Namen wie Mario del Monaco, Tito Gobbi, Aldo Protti, Renato Bruson, Marcella Pobbe, Katia Ricciarelli…  An diese Kategorie durfte man an diesem Abend nicht denken…..  Aber man sollte nicht undankbar sein – es war ein durchaus achtbarer Abend auf solidem Niveau – nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Viel Jubel im ausverkauften Haus!

 

TRISTAN UND ISOLDE

Auch dieses Werk hat eine große Aufführungstradition in Venedig, wie die eindrucksvolle Ausstellung des Archivs von La Fenice in den Pausenräumen dokumentiert.Auch hier liest man ganz große Namen, die in den acht Produktionen seit dem 2.Weltkrieg in Venedig im Tristan zu hören waren: Maria Callas, Boris Christoff, Fedora Barbieri (in italienischer Sprache) und dann Wolfgang Windgassen, Martha Mödl, Gustav Neidlinger, Ira Malaniuk, Josef Greindl, Birgit Nilsson, Siegfried Jerusalem, Matti Salminen……..

Und so läuft die diesjährige Produktion natürlich Gefahr, an den bis ins Detail liebevoll mit Programmzetteln, Fotos und Zeitungsberichten (wenn auch ohne Tonbeispiele) dokumentierten Aufführungen gemessen zu werden. Und es muss vorweg gesagt werden:Es war leider kein großer Abend von La Fenice. Das begann schon mit dem stimmungslosen Bühnenbild und den unvorteilhaften Kostümen von Robert Innes Hopkins. In diesem Umfeld lief eine wenig inspirierte Inszenierung von Paul Curran statt. Brangäne und Kurwenal agieren aufgeregt-simpel und betulich – eher im Stil von David und Magdalene aus den Meistersingern. Tristan bringt zu seinem Treffen mit Isolde im zweiten Akt unter dem wackelnden Baum aus Pappkarton eine Reisetasche mit Thermosflasche samt Schraubverschluss und offensichtlich jenem Becher, aus dem die beiden im ersten Akt den Liebestrank getrunken hatten. Personenführung findet nicht statt – jeder agiert so, wie es ihm gegeben ist. Und doch gibt es dann bewegende Stellen, die sich kraft der einzelnen Bühnenpersönlichkeiten ergeben:

Brigitte Pinter vermittelt bei ihrem Rollendebut die stolze Allüre der irischen Königstochter und die absolute Weltabgewandtheit in ihrem Liebestod mit sparsamen, stets überzeugenden Gesten. Auch stimmlich gelingt der aus dem Mezzofach kommenden Österreicherin vieles – berührend ihr ruhiger Einsatz bei „Still und leise, wie er lächelt“, wenn auch dann die Spitzentöne nur mehr angestrengt erreicht werden. Ian Storey ist ein erfahrener Wagner-Recke, der schauspielerisch nur im dritten Akt überzeugen kann. Stimmlich ist seine Durchhaltekraft durchaus eindrucksvoll, allerdings vermag sein kehliges Organ keine ruhigen Legatobögen zu gestalten – und gerade das wäre beim Tristan so besonders wichtig. Dazu kommt in den ersten beiden Akten eine darstellerische Ausstrahlungslosigkeit, ja Gleichgültigkeit.  

Die stimmlich eindrucksvollste Leistung bietet Attila Jun. Sein Marke ist auch sprachlich hervorragend durchgestaltet – sein dunkler Bass spricht in allen Lagen gleichmäßig an. Er reicht stimmlich durchaus an große Vorbilder heran. Schade, dass er offenbar durch die Regie angehalten ist, übertrieben zu agieren. Sehr schönes Material lässt die Brangäne der Finnin Tuja Knihtilä hören, allerdings bei fast vollständiger Textunverständlichkeit. Der Kurwenal von Richard Paul Fink – ein international hochgelobter Alberich – hatte zwar alle gefürchteten Spitzentöne dieser Partie, hob sich allerdings in der Klangfarbe kaum von Tristan ab und schien mir schlichtweg eine Fehlbesetzung in dieser Rolle. In den kleinen Partien fällt der präzise Hirte von Mirko Guadagnini positiv auf.

Myung-Whun Chung gestaltet wieder überzeugend große dramatische Bögen und Ausbrüche mit dem gut disponierten Orchester. Allerdings bleibt alles ein wenig dick – es fehlt ganz einfach die Durchsichtigkeit und das verleitet die Protagonisten immer wieder zu forciertem Stimmeinsatz. Piano müsste nicht nur leise, sondern auch zart sein.

Nach dem zweiten Akt blieben viel Plätze des anfangs vollbesetzen Hauses leer - der Beifall am Ende hielt sich in Grenzen.

Und zum Schluss noch zwei praktische Hinweise:

-         Die umfangreichen Programmbücher sind ausgezeichnet gestaltet und sehr informativ

-         Ebenso informativ ist die Homepage von La Fenice, wo man sich auch bereits über die Produktionen der Sasion 2013/14 informieren kann – siehe: fenice

Und dankbar sei auch die Effizienz des Abendpersonals erwähnt, das ein kleines Missgeschick mit meinen Karten rasch beheben konnte.

Hermann Becke

 

 

 

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