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„Eine Alpensinfonie“- Ein Werk mit Fragezeichen?

Das etwas unfreiwillige Sozialexperiment der „Corona-Krise“ gibt uns Gelegenheit, Liegengebliebenes aufzuarbeiten, aus Zeitgründen wenig gehörte Musik-Konserven herauszukramen und auch ältere Konzerterlebnisse noch einmal zu überdenken.

Zu Letzterem gehört für mich das Konzert der Staatskapelle Dresden zum 100. Jahrestag der Uraufführung von „Eine Alpensinfonie“ von Richard Strauss unter der Leitung von Christian Thielemann vom 21. Oktober 2015.

 Ein Zitat, aus einem Beitrag „Alpenidylle oder Antichrist“ einer Orchester-Flötistin , die unter „emmelygreen“ zur Entstehung der Komposition schrieb: “Doch jetzt mal realistisch: als vielgefragter und –beschäftigter Komponist verschwendet man doch nicht vier Jahre seines Lebens, um einen Ausflug in die Alpen zu beschreiben- Da steckt doch mehr dahinter“, hatte mich nachdenklich gemacht.

Da ich das Unbehagen teilte, ergab sich damals im inzwischen liquidierten „Forum Festspiele“ ein Gedankenaustausch mit dem Professor Gerhard Widmann, ohne dass wir zu einer gemeinsamen Meinung gekommen wären. Auch ein nunmehriges Anhören der hervorragenden Einspielung Christian Thielemanns der Alpensinfonie von 2001 mit den Wiener Philharmonikern bringt mich nicht weiter. Ist doch bekannt geworden, dass Strauss die Künstlertragödie des Porträtmalers Karl Stauffer (1857-1891) offenbar beschäftigt hatte und er bereits um 1900 zum Gegenstand einer Komposition machen wollte. Zwischen 1909 und 1911 waren bereits vier Skizzen entstanden, die aber zunächst die Begeisterung Stauffers für das Bergwandern thematisierten.

Der aus der Schweiz stammende Karl Stauffer, genannt Stauffer-Bern, machte sich in einem Berliner Atelier einen Namen als erfolgreicher Porträtmaler, Radierer und Kupferstecher. Dabei war er sich aber bewusst, dass er nicht wirklich ein großer Maler war und begann sich 1886 mit der Bildhauerei zu beschäftigen.

Auch unterstützte er seinen Schulfreund Friedrich Emil Welti (1825-1899) und dessen Frau Lydia Welti-Escher (1858-1891) beim Aufbau einer Sammlung moderner Kunstwerke. Lydia war nämlich die Alleinerbin des einflussreichen Schweizer Politikers und Eisenbahnpioniers Alfred Escher und damit zu dieser Zeit die reichste Frau des Landes.

Dank der finanziellen Unterstützung durch das Ehepaar Welti-Escher konnte Stauffer 1887 nach Florenz und Rom gehen, um unter anderem auch bei Paul Klinger die Bildhauerei zu erlernen.

Im Oktober 1889 übersiedelten auch die Welti-Eschers nach Florenz. Das kunstsinnige Paar wirkte als Mäzen des Malers und wollte ihm eine breite künstlerische Arbeit in Italien ermöglichen.

Aus geschäftlichen Gründen reiste Herr Welti bereits nach kurzer Zeit in die Schweiz zurück und ließ seine ohnehin etwas vernachlässigte Gattin in der Obhut Stauffers zurück.

Karl Stauffer war damals 32 Jahre alt, während Lydia das 31 Lebensjahr erreicht hatte. Die Begeisterung für Stauffer und seine künstlerischen Projekte rissen Lydia regelrecht aus dem tristen Ehealltag. Beide wurden ein Paar. Frau Welti-Escher wollte sich scheiden lassen und Stauffer heiraten.

Das Paar floh nach Rom. Nun ließ der mächtige Bundesrat Emil Welti und Vater des noch Ehemanns seine Beziehungen zugunsten des Sohnes spielen und sicherte sich die Hilfe der Schweizer Gesandtschaft in Rom.

Lydia Welti-Escher wurde mit der Diagnose des „systematisierten Wahnsinns“ in einem römischen Irrenhaus interniert. Karl Staufferwurde verhaftet, zunächst der Entführung und des Diebstahls, später noch der Vergewaltigung einer Irrsinnigen beschuldigt.

Nach Entlassung auf Kaution, wieder Einkerkerung und Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt, unternahm Stauffer im Juni 1890 einen Selbstmordversuch.

Lydia Welti- Escher wurde nach einem viermonatigen Aufenthalt im Irrenhaus vom „Ehegatten“ nach Zürich gebracht, wo sie als Preis einer Scheidung der Entschädigungszahlung an Welti in Höhe von1, 2 Mio. Franken zustimmte. Von der Züricher Gesellschaft geächtet, bezog Lydia in die Nähe von Genf ein Haus und nutzte ihr noch immer beträchtliches Vermögen dem Aufbau der „Gottfried-Keller-Stiftung“, die „des Selbstständigmachens des weiblichen Geschlechts-wenigstens auf dem Gebiet des Kunstgewerbes, dienen sollte“.

Am 28. Januar 1891 gelang dann Karl Stauffer der Suizid. Er starb an einer Schlafmittel-Überdosis. Lydia Escher beendete am 12. Dezember 1891 ihr Leben durch einen Gasvergiftungs-Suizid.
Über die Gründe, warum die Beiden vorher nicht wieder zueinandergefunden hatten und stattdessen den Freitod wählten, gibt es nur Vermutungen.

Bereits im Jahre 1900, dem Todesjahr Nietzsches plante Richard Strauss eine sinfonische Dichtung über das Schicksal Karl Stauffers. Nun wäre es doch unwahrscheinlich gewesen, wenn der Komponist die tragische Liebe Stauffers zu Lydia Escher dabei unbeachtet gelassen hätte. Möglicherweise hatte er auch in der Zeit um 1902 bereits Aspekte des Beziehungsdramas skizziert.

Ichkönnte ich mir vorstellen, dass Strauss aber zu der Erkenntnis kam, dass die Tragödie Lydia- Karl wohl eher ein Opernstoff wäre, und dann mehr für Komponisten vom Schlage Puccinis oder dAlberts, um einige zu nennen.

Folglich wurde nur noch von „Einer Künstlertragödie“ gesprochen und die Komposition an der Bergwanderbegeisterung von Karl Stauffer festgemacht. Aber lassen nicht zahlreiche Motive selbst unter der Bezeichnung „einer Alpensinfonie“ Assoziationen einer leidenschaftlichen Beziehung zu. Vor allem in „Gewitter und Sturm“ erkenne ich doch die römischen Ereignisse der Katastrophe des Paares.

Gerhard Widmann hatte zu Recht ausgeführt, dass Strauss den Tod kaum jemals eindrucksvoller dargestellt hat, wie im letzten Teil der Alpensinfonie. Das aber passt wohl kaum zu einer glücklichen, wenn auch erschöpften, Rückkehr aus den Bergen.

Es ist doch auch überliefert, dass Strauss mit dem mehrfach unterbrochenen Fortgang der Kompositionsarbeit die Figur Karl Stauffers mit der Person Nietzsches und dessen Philosophie zunehmend verquickt hat, was auch letztlich zum Arbeitstitel? „Antichrist“ und dann zu “Der Antichrist- eine Alpensinfonie“ geführt hatte.

Der Königlich Preußische Generalmusikdirektor Richard Strauss konnte schon aus religiösen Gründen diesen Titel nicht aufrecht halten und so ist die Musikwelt in der Partitur-Reinschrift mit „Eine Alpensinfonie“ beglückt worden.

Das Werk, beginnend mit dem Aufstieg und endend mit dem Abstieg, sollte als ein Leben mit allen seinen Freuden und Strapazen interpretiert werden.

 

Thomas Thielemann 17.3.2020    

 

 

 

Meese und der „Meesta“

Warum der Künstler sich Richard Wagner als Papa wünscht. Versuch einer Analyse.

„Ich werd Richard Wagner zum Staatschef erheben! …Ich werd Richard Wagner wieder zum Zentrum von allem machen!“

Mit diesen gebrüllten Sätzen beschloß der gerne als „Skandal-Künstler“ betitelte Jonathan Meese seine Performance auf der Lübecker Kulturwerft Gollan am 7. Mai 2019 und stieß einen großen „Diktatorenwürfel“ aus Styropor in die Trave.

Nach der zweistündigen Aktion mit Oskar-Matzerath-Getrommel und schrillen Blockflötenpfiffen, das zauselbärtige Gesicht zeitweise unter Hitler- und Darth-Vader-Maske verborgen, war der Ausrufer des „Diktatur der Kunst“-Manifests heiser und naßgeschwitzt. Die in Sachen Zeitgenössische Kunst nach wie vor eher provinziell aufgestellte Hansestadt wurde in den Tageszeitungen der nächsten Tage auch einmal überregional wahrgenommen. Die Performance war Teil einer bewußt als Gesamtkunstwerk inszenierten Zusammenarbeit der Kunsthalle St. Annen, der Overbeck-Gesellschaft, des Günter-Grass-Hauses, der St. Petri-Kirche zu Lübeck und der Kulturwerft Gollan vom Februar bis zum August 2019. Tatsächlich war „Dr. Zuhause: K.U.N.S.T. (Erzliebe)“ das bislang umfangreichste Ausstellungs-, Installations- und Aktionsprojekt des im nahegelegenen Ahrensburg mit seiner Mutter lebenden Meese.

Führungen durch die Ausstellungen boten dem Kulturwissenschaftler eine gute Gelegenheit, sich einmal intensiver mit den teils wandfüllenden, von pastos aufgetragener Farbe schweren Gemälden, den Collagen und Assemblagen wie auch den weniger bekannten kleinformatigen Graphiken auseinanderzusetzen und mit den Besuchern kunsttheoretische Diskussionen über die Möglichkeiten, Rang und Wert gerade dieser Kunst zu führen. Für denjenigen, der in Sachen Wagner nicht ganz unbeleckt ist, ergab sich die Struktur einer solchen Führung fast wie von selbst, weil semiotische Leitmotivik sich durch das Werk Meeses zieht und ein wesentlicher Teil dieser Motive mit Wagner, dessen Kunstverständnis oder seinen Helden zu tun haben.

Ebenso abgedroschen wie die Phrase „Ist das Kunst oder kann das weg?“ ist die aus kaum einer Pressemeldung wegzudenkende Feststellung, daß Meese polarisiert. So einfach ist es halt nicht mit der Kunst, auch nicht für erfahrene Kunsthistoriker, und dann lohnt ein Blick hinter die eigenen Schnell-Urteile. Die Frage, wer Kunst durch was definiert, hat ja bereits Marcel Duchamp öffentlich gestellt und mitunter zum Inhalt seiner Exponate gemacht. Viele kunsttheoretische Äußerungen Duchamps ähneln denen Meeses so sehr, ja sind manchmal im Wortlaut und in der typographischen Wiedergabe („Der Geschmack ist der Feind der Kunst. K-U-N-S-T“, Duchamp 1963) fast identisch. Offensichtlich beruft sich Meese in unterschiedlichen Aspekten auf den Begründer der Konzeptkunst; Ready-mades (Objets trouvés) waren auch in der Lübecker Schau reichlich versammelt. So ist es völlig unverständlich, weshalb die Lübecker es sich haben entgehen lassen, eine Zusammenarbeit oder wenigstens ein Symposium mit dem Staatlichen Museum Schwerin anzudenken. Das hat nämlich vom März bis zum Mai 2019, also teilweise zeitlich parallel die international beachtete große Ausstellung „Marcel Duchamp – Das Unmögliche sehen“ veranstaltet. Die Schweriner besitzen nicht nur eine der umfangreichsten Duchamp-Sammlungen in Europa, sondern haben vor 10 Jahren auch ein Duchamp-Forschungszentrum ins Leben gerufen, aber das heißt eben nicht, daß man das zwangsläufig in Lübeck beachtet oder gar maßgebliche Kulturbeauftragte von dieser umfänglichen Werkschau gerade mal 80 km entfernt wissen.

Sei´s drum – wollte man die Besucher nicht über die Programmatik Meeses belehren und versichern, daß das in jedem Falle ganz großartige Kunst sei, weil von Meister Meese ja so deklariert und vom Kunstmarkt entsprechend hochpreisig geldgeadelt, sondern ließ Interaktion und Dialog zu, dann ergaben sich immer wieder aus der Dialektik des Diskurses lebhafte und tiefgründende Gespräche.

Was die Antisemitismus- und Nazi-Instrumentalisierungs-Debatte im Fall Wagner angeht, so ist es erfrischend, wenn sich Menschen treffen, die es sich nicht ganz so einfach machen wie diejenigen, die es Wagner übelnehmen, daß Hitler ein halbes Jahrhundert später seine Musik mißbraucht hat oder die anderen, die die unreflektierte Logorrhö des Urhebers der Broschüre „Das Judenthum in der Musik“ als Lapsus herunterspielen. Dann hätte Wagner das Pamphlet nicht zweimal herausgeben müssen. Ein Thema für sich, das differenziert angegangen werden sollte (s. hierzu den Beitrag im OF von Bernd Weikl, „Richard Wagner – Revolutionär und Mystiker“). Vielleicht hat man es als linker Wagnerianer einfacher, weil man das alles schon zigmal durchdacht, hin- und her gewendet und oft diskutiert hat und nicht weiß, ob man bei einem eventuellen Treffen im Jenseits den „Meesta“ erst umarmen und dann ohrfeigen möchte oder umgekehrt.

Jonathan Meese ist da gar nicht fern, indem er sich programmatisch auf den revolutionären Aspekt in Wagners Wahn des Gesamtkunstwerks stützt (die Wendung ist geklaut: Udo Bermbach, Der Wahn des Gesamtkunstwerks – Richard Wagners politisch-ästhetische Utopie, Frankfurt 1994. Bitte lesen!). Die Überwindung des Kapitalismus durch einen freien Menschen, der im Herzen kindliche Siegfried gegen den Machtapparat, die Zukunftsmusik, die alles Alte überwindet, das entspricht bei Meese der „Diktatur der Kunst“, die alle Ideologien hinter sich läßt. Vielleicht ist es der naive, lärmende Duktus der vielen Worte, die völlig ungebremst und ungefiltert aus dem Riesenkind mit der Adidas-Jacke herauspladdern, der einen Großteil der Rezipienten dann die Kunst-Kritik-Klassiker wie „große Publikums-Verarschung“ oder „des Kaisers neue Kleider“ in die Gästebücher der ausstellenden Museen mit vor Wut zitterndem Kuli schreiben läßt.

Man ertappt sich mitunter auch selbst bei einem gewissen Konservatismus und wünscht sich gerade bei einem Künstler, der mit dem Dilettieren spielt, hinter einer farbenfrohen Kleckserei wenn nicht eine akademische Ausbildung, so zumindest Kenntnis und Können (auch wenn „Kunst“ etymologisch von „Können“ kommt – mit diesem Einwand werden wir aber nichts mehr, was die Kunst der Gegenwart betrifft). Daß zum Beispiel Joseph Beuys ein Pferd oder eine Hand anatomisch korrekt wiedergeben konnte, hat man da immer im kunsthistorischen Hinterkopf. So ziehen wir auch Picassos „Demoiselles d´Avignon“ von 1907 oder auch nur eine seiner spaßigen Karikaturen hervor und wissen genau, daß der Mann in jedem Moment seines Schaffens wußte, was er tat und daß er jederzeit zu einem klassischen Realismus in höchster Vollendung zurückkehren hätte können, wenn er gewollt hätte. Der auch schon langweilig gewordenen, wenngleich witzigen, weil ironischen Sentenz von Ludwig Fulda, daß „Kunst“ nicht von „Wollen“ käme, weil sie sonst „Wulst“ hieße, läßt sich immer wieder die tiefernste Erkenntnis Schönbergs entgegenstellen, daß Kunst vom „Müssen“ kommt. Das nur zur Klärung am Rande und, nein, der Verfasser dieser Zeilen glaubt nicht, daß Meese das mit dem Pferd oder der Hand draufhat; darum geht es auch gar nicht. Wenn ein ernsthafter, wenngleich auf einen Kreis von zwei Dutzend Personen beschränkter Diskurs darüber, wer bestimmt, was Kunst ist, wieviel sie wert ist und inwieweit der Kunstmarkt den Geschmack nicht nur der Massen, sondern auch der intellektuellen Elite diktiert, im Rahmen solch einer Ausstellung entsteht, dann ist das schon mal ein Wert für sich.

Interessant ist auch die Diskussion über die psychologischen Hintergründe von Meeses Symbolen oder auch seiner Liebe zur Selbstinszenierung, die vom Lübecker Kuratorium eher abgebogen wurde, weil es sich bereits begeisterungsblind in den neuen Stadtheiligen verliebt hatte. Nebenbei hätte man sich bei den Kuratorenführungen zu den von Meese durchaus kenntnisreich installierten Collagen und eingestreuten Assoziationen mehr Allgemeinwissen über den zugrundeliegenden Bildungskanon gewünscht.

Meeses gemalte Lieblings-Leitmotive sind Wagner, dessen Kosename „Richarddaddy“ in Beschwörung einer Vaterfigur laut von seinen Bildern schreit, seine Helden Siegfried und immer wieder Parsifal. Man muß kein Psychologe oder Psychiater sein, um zu erkennen, daß Meese noch nicht ganz erwachsen ist. Zu deutlich ist die Fixierung auf seine ungemein präsente Mutter und zu offensichtlich die Sehnsucht nach dem fernen Vater. Geboren wurde der Junge 1970 in Tokio, wo seine Mutter Brigitte Wetzel den walisischen Bankier Reginald Meese kennengelernt und geheiratet hatte. Wegen der Schule zog sie mit den Kindern 1973 in ihre deutsche Heimat zurück, der Vater blieb aus beruflichen Gründen bis zu seinem Tod 1988 in Japan.

Mädchen vertragen ein vaterloses Aufwachsen offenbar besser als Jungs. Wie das Fehlen eines Vaters sich auf die psychische und soziale Entwicklung von Buben auswirkt, dafür gibt es reichlich Fachliteratur. Vor allem Vertreter der Generation aus den 30er und 40er Jahren, bei denen die Väter im Krieg gefallen sind, beschreiben, wie sehr sie in ihrem Erwachsenenleben um Wahrnehmung und Anerkennung gerungen haben und wie mühevoll es für sie war, sich klassisch männliche Verhaltensweisen selbst beizubringen, wenn das väterliche Vorbild gefehlt hat. Oft kommt naturgemäß dann den Müttern nicht nur eine dominante Rolle zu; es fällt den Söhnen meist auch schwerer, sich von ihnen zu emanzipieren.

Daß die 89-jährige Mutter Meese ihrem Sohn nicht nur viel vom alltäglichen Organisationsgeschäft abnimmt, sondern ihn – gemeinsam mit seiner Managerin – von vielem abschirmt, was den Jungen und damit die hochlukrative Marke Meese gefährden könnte, ist kein Geheimnis. So tobt er sich als das große Kind, als das er sich selbst auch sieht und präsentiert, im Spielzimmer seiner Atelierräume in Ahrensburg oder Berlin (auch da hat Mami eine Wohnung) aus, probiert, kombiniert, malt, sucht. Eben auch immer den Vater und da findet er in Wagner auch wegen der biographischen Ähnlichkeit den passenden Kandidaten, denn des Meisters leiblicher Vater starb sechs Monate nach seiner Geburt. Der Stiefvater folgte 1821, da war der kleine Richard acht Jahre alt. Der Vater seines kindlich-naiven Helden Parsifal stirbt noch vor seiner Geburt und seine Mutter Herzeloyde, ein frühes Beispiel konsequenter Helikopter-Elternschaft, versucht, ihn von allen Gefahren der bösen Welt fernzuhalten. Ergebnis des dyadischen Verhältnisses – gefundenes Fressen für jeden Kinderpsychologen – sind geradezu soziopathische Verhaltensmuster des Tölpels, der bei seinem Eintritt in das Draußen die Fettnäpfchen in Scherben schmeißt, bevor er in sie treten kann. Da befindet sich Jonathan also in bester Gesellschaft und er macht das, vielleicht in einer Art von Eigentherapie, zur Masche. Auch sein Egozentrismus ist eine solche, die aber innerhalb der Kunst seit dem Beginn der Zentralisierung des Individuums in der Renaissance eher als typisch und daher probat denn als pathologisch erscheint.

Papa Richard vermittelt Meese all das, was ihm der leibliche Vater schuldig blieb: die Vermittlung von Werten, das Durchboxen der eigenen Ideale gegen alle Widersacher und die Legitimation, auch mal Mist zu bauen, ohne sich grundsätzlich in Frage zu stellen. Wagners revolutionäre Schriften haben in ihren radikalen Aspekten genau das Wilde, das ein Junge braucht, um sich von Mamas Rockzipfel zu lösen, um sich wie Siegmund mit Wälse durch die Wälder zu schlagen, im Schlamm Fußball zu spielen, gemeinsam verdreckt zu spät zum Abendessen zu kommen und sich nach der Konfirmation zum ersten Mal mit Papa zu besaufen.

Das „enfant terrible“ – auch diese Betitelung kann man nicht mehr hören – Jonathan Meese ist vielleicht vielmehr ein „enfant cherchant son père“. So sehr er sich nach dem Vater sehnt, so sehr thematisiert er auch das Zerstören falscher Ideale. Gebetsmühlenartig beschwört er die Botschaft seines Lieblingsfilms „Zardoz“, eines B-Movies von John Boorman aus dem Jahr 1974. Sean Connery gelangt als eine Art Tyrannenmörder ins Innere eines fliegenden steinernen Kopfes, der sich „Zardoz“ nennt und entlarvt die scheinbare Gottheit als eine künstlich geschaffene Chimäre, womit er das Prinzip einer absoluten Herrschaft, die auf Lügen beruht, beendet.

Meeses Gegenentwurf zu allem Übel der Welt ist die „Diktatur der Kunst“, was bei ihm schon Mantra-Charakter hat. Das jüngste seiner zahlreichen Manifeste hat er für den Art Directors Club verfaßt; im Duktus ist es identisch mit seinen bisherigen Äußerungen dieser Art. Eine Reihe von Visionen, Forderungen, Definitionen bzw. Negativdefinitionen und Superlativen ist gespickt mit Rekursen auf Wagner´sche Termini: „Die Maschine K.U.N.S.T. ist das „Gesamtkunstwerk Deutschland“! Die K.U.N.S.T. wird in Deutschland und „Überall“ die Macht ergreifen!“ Sprachliche Nazi-Anleihen wie „Kunst wird die Führung übernehmen! „Führungsstaat Kunst muß herrschen!“ in seinen Manifesten wählt er bewußt-provokativ, allerdings ohne sich an irgendeiner Stelle zu äußern, wie die geforderte Umsetzung seiner Forderungen vonstatten gehen soll.

Wem die Zerstörung des Diktatorischen durch eine Diktatur auch semantisch nicht ganz schlüssig erscheint, dem sei gesagt, daß das bei Meese Methode hat. Der Künstler spielt ja bis zum Erbrechen mit den Symbolen von Militarismus und Nazi-Diktatur wie dem Eisernen Kreuz, dem Hakenkreuz und natürlich dem Hitlergruß, angeblich um sie zu schwächen. Daß das nicht immer klappt, liegt an Meeses inkonsequentem Gebrauch der Bilder wie 2007 in der Frankfurter Schirn Kunsthalle, in der er über ein Selbstportrait ein Hitler-Photo mit der Aufschrift „Vater“ geklebt hatte. Nein, das bärtige Kind ist kein Nazi, sicher nicht, und die Freisprüche wegen der immer wieder erhobenen rechten Hand waren alle gerechtfertigt. Aber man tut gut daran, sich zweimal zu überlegen, wie man im Deutschland der immer stärker werdenden Braun-Blauen belastete Symbole einsetzt.

Auf seinen Bayreuth-Rausschmiß angesprochen, fährt der Junge wie auf Knopfdruck hoch und kreischt unreflektierte Verschwörungstheorien, zetert gegen Katharina Wagner als „Pißnelke“ und beschimpft Uwe Eric Laufenberg, der dann (ein Segen! Siehe OF Bayreuther Festspiele 2019) den Zuschlag bekommen hat, als „Pottsau“ und „Kameradenschwein“. Ein Hund, der so bellt, fühlt sich, um jetzt mal milde in Meeses Jargon zu wechseln, in die Klöten getroffen und hat Fassung und Souveränität verloren. Schade eigentlich, denn in Bayreuth – das ist Meese offenbar entgangen – bemüht man sich seit einigen Jahren um jahrzehntelang verdrängte Aufbereitung des einst so Braunen auf dem Grünen Hügel und nicht umsonst durfte der Sänger Jewgeni Nikitin den „Holländer“ nicht übernehmen, weil eine Hakenkreuz-Tätowierung seine Brust verunzierte. Im Museum Haus Wahnfried wird Wieland Wagners Rolle als „Onkel Wolfs“ Wahlneffe ins kritische Licht gerückt und vor dem Festspielhaus ehrt seit 2012 das Ausstellungsprojekt „Verstummte Stimmen“ verfemte und ermordete Komponisten, Dirigenten, Regisseure und Sänger. Eine Festspielleitung müßte, euphemistisch ausgedrückt, schon sehr unbedarft oder fränkisch-derb gesagt, brunzdumm sein, wenn sie riskieren würde, ein Premierenphoto von Kanzlerin Merkel und einem neben ihr stehenden Meese mit Hitlergruß vor dem Festspielhaus um die Welt gehen zu lassen. Einziger Vorwurf an den Hügel: das hätte man auch schon vorher wissen können, manche Katastrophen lassen sich berechnen und mögliche Zufälle sind, wenn auch begrenzt, vermeidbar.

Das Zufällige ist ja aus Meeses Schaffen nicht wegzudenken, was es von Richard Wagners Werk grundsätzlich unterscheidet. Das ist aber kein Kriterium für die Qualität von Kunst, ganz im Gegenteil. Zufälle haben großartige Impulse in die Kunst gebracht, aber das funktioniert nicht immer. Wie „gut“ Meeses Kunst ist und ob sie irgendwann in den Kanon der Weltkunst aufgenommen wird, das werden wir jetzt nicht endgültig entscheiden können. Der große Francis Bacon, den Meese auch in manchen seiner Bilder zitiert, hat diesbezüglich eine kluge und unaufgeregte Einlassung gemacht. In einem seiner Gespräche mit David Sylvester weist er darauf hin, daß die Entscheidung über Malerei durch die Zeit gefällt wird, da es nach seiner Ansicht „mindestens fünfundsiebzig bis hundert Jahre dauert, bis sich das Wesentliche von den Theorien trennen läßt, die man um das Werk herum aufgebaut hat“. Das gilt selbstverständlich auch für den theoretischen Überbau, den der Künstler selbst konstruiert.

Man mag Meese nur wünschen, daß er nicht irgendwann in eine große, von Mami, Managern oder Galeristen in bestem Wissen und Gewissen gebaute Falle tappt und daß er, wenn seine Mutter einmal nicht mehr ist, feststellt, daß die Konstruktion, die die Marke Meese schützt, eine andere, gut verborgene Form des „Zardoz“-Steinkopfes ist. Vielleicht besteht der hohle Kopf auch aus seinen eigenen Manifest-Phrasen. Entweder der Kindmann Jonathan zerbricht daran oder erfindet sich neu, da darf man gespannt sein. Das Potential zur Metamorphose hätte er.

Was „Richarddaddy“ zu all dem sagen würde, bleibt nur zu mutmaßen. Vielleicht hätte er den massigen Meese auf einen Stuhl befohlen, um den kleinen Arm um seine großen Schultern zu legen und gesagt: „Weeßte, Jungschn, das is alles gor ni so einfach. En Manifest is schonmal sehr gut, aber das reischd ni aus. Da muß hinterher jede Note stimmen und du darfst nichts dem Zufall überlassen!“

Aus einem Manifest wächst im besten Falle die umsetzbare Manifestierung seiner Inhalte. Und die ist nicht aus Styropor.

 

Andreas Ströbl, 20.10.2019

Dank für die Karikaturen an (c) Peter Klier / Der Opernfreund

 

 

 

Richard Wagner – Revolutionär und Mystiker      

von Bernd Weikl

Die berechtigten und daher notwendigen Klarstellungen in einer Gesellschaft, die angeblich Meinungsfreiheit unterstützt, werden heute immer wieder bei Richard Wagner, wo es nur geht, aber auch anderen Personen gegenüber durch Verleumdungen und Verdrehungen nach rechts eingefärbt. Man unterlässt jede erklärende Betrachtung über das 19. Jahrhundert, über die dort kursierende mystische Weltreligionsphilosophie und die Tatsache, dass der Komponist zeitlebens von jüdischen Freunden umgeben war, die seine heute so kritisierten Aussagen im 19. Jahrhundert anders einordneten und sogar unterstützten. Kaum jemand macht sich die Mühe, nach Wagners tatsächlicher Vorstellung vom Judentum zu fragen, von Antisemitismus im heutigen Sinne ganz zu schweigen.  

Wie ist dieser Schluss aus Richard Wagners Das Judentum in der Musik zu deuten? Erlösung des Juden? Hitlers Endlösung? Dies wird heute in kritischen Veröffentlichungen oft miteinander verbunden. In seinen Réflexions sur la question juive von 1946 formuliert Jean-Paul Sartre (1905 –1980): Will der Antisemit den Juden ›als Menschen<  vernichten, um nur den Juden ... bestehen zu lassen‹, so will der Demokrat ›ihn als >Juden<  vernichten, um ihn als ... allgemeines abstraktes Subjekt der Menschen- und Bürgerrechte‹ zu erhalten. Richard Wagner tritt als Revolutionär für – so nennt man es heute – soziale Gerechtigkeit ein und ist als Revolutionär und Kritiker der Obrigkeit eindeutig als Demokrat zu begreifen. Gemeinsame Wiedergeburt mit uns muss es bei Wagner heißen – wenn man ihn zitiert - und nicht Vernichtung der Juden im Sinne des NS-Rassenwahns.

Das Christentum als Institution bekommt bei Richard Wagner ebenfalls eine vernichtende Kritik:  ... es rechtfertigt eine ehrlose, unnütze und jämmerliche Existenz des Menschen auf Erden. Das Christentum habe demnach kein freudiges, selbstbewusstes irdisches Dasein geprägt, sondern den sich selbst verachtenden und schuldbewussten Menschen in einen ekelhaften Kerker eingeschlossen, um ihm post mortem ein Himmelreich zu versprechen. Die Heuchelei, so Wagner, sei überhaupt der hervorstechendste Zug ... der ganzen christlichen Jahrhunderte bis auf unsere Tage ... wie wir in der ganzen Geschichte immer nur ... auf den Despotismus der römischen Kirche ... träfen ... (wir werden allerdings) anstatt (uns) von den Fesseln dieses christlichen Despotismus zu befreien, einer viel schlimmeren Herrin mit Haut und Haar verkauft: Der Industrie ... Das sei die Kunst, sagt Wagner auch prophetisch, wie sie jetzt die ganze Welt erfülle. Ihr Wesen sei der Kapitalismus (schon sind wir bei Karl Marx), ihr moralischer Zweck ist die Show, der Gewinn, ihr ästhetisches Vorgeben sei nur noch Unterhaltung für die Gelangweilten.

Im Sommer 1864 hat Wagner seinen Aufsatz Über Staat und Religion verfasst, der sich ebenfalls mit dem kirchlichen Dogma beschäftigt. Dort heißt es: Die Religion lebt nur da, wo sie ihren ursprünglichen Quell und einzig richtigen Sitz hat: im tiefsten, heiligsten Innern des Individuums, - da, wohin nie ein Streit der Rationalisten und Supranationalisten noch des Klerus und des Staates gelangte, denn dieses ist eben das Wesen der wahren Religion, dass sie, dem täuschenden Tagesscheine der Welt ab (entfernt BW) in der Nacht des tiefsten Innern des menschlichen Gemütes als anderes, von der Weltsonne gänzlich verschiedenes, nur aus dieser Tiefe aber wahrnehmbares Licht leuchtet.[1]

Und erneut gegen alle Vereinahmung durch Nationale und Nationalsozialisten (im 20. Und 21. Jahrhundert) postuliert Wagner ... umfasste das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein. [2]

 

I Der Revolutionär

Nach der Dresdner Mairevolution, am 28. Mai 1849 entkam Wagner sehr knapp seiner Verfolgung und erreichte mit Hilfe seines Freundes, Franz Liszt die Schweiz. Er blieb dort neun Jahre und begann den wierteiligen Ring des Nibelungen und Tristan zu komponieren. Er dirigierte und verfasste kunsttheoretische Schriften. Im Mai 1853 fanden in Zürich die ersten Richard-Wagner Festspiele statt.

 

II Der Mystiker

Zu den vielfältigen Vorbereitungen auf seine Operntexte und Inhalte gehörten für Richard Wagner zwischen 1856 und 1868 die Prosaentwürfe: Jesus von Nazareth und Die Sieger

 

Jesus von Nazareth

In seinem Prosaentwurf zu Jesus von Nazareth wird die Figur Magdalena mit der biblischen Ehebrecherin identifiziert, der die Sünden vergeben werden (siehe Joh. XIII). Im 2. Akt verkauft sie ihr gesamtes Eigentum und übergibt den Erlös an den Verwalter der Gemeinde, der Jesus vorsteht. Maria von Magdala, die von ihren Sünden freigesprochene Ehebrecherin, bereut ihr sündiges Leben und erklärt ihre neu gefundene Liebe zu ihrem Erlöser. Sie möchte als niedrigste Magd der Gemeinde dienen dürfen und zweifelt nicht daran, dass sich Jesus zum Opfertod für die Welt entschlossen hat und dass dieser Tod eine Verklärung sei. Im Tempel des ersten Aktes erläutert Jesus dies gegenüber allen Anwesenden: Und offen vor aller Augen werde ich den Tod erleiden um der Liebe willen, durch die ich die Welt erlöse zum ewigen Leben.

 

Die Sieger

Seine Studien zum Buddhismus führen Wagner zu einer Skizze vom 16. Mai 1856. Sie ist in Wagners Entwürfen, Gedanken und Fragmenten abgedruckt (Breitkopf & Härtel, Leipzig). Die Herausgeberin ihrer Memoiren einer Idealistin, Malvida von Meysenbug (1816-1903), die über Wagners Pariser Zeit berichtet, informiert Karl Heckel über die Grundlagen zu Wagners Stoff für die geplanten Die Sieger. Wagner findet sie in Burnoufs Introduction à l’histoire du Buddhisme indien[3] (Burnoufs Einführung in die Geschichte des indischen Buddhismus’.)

Wagners Personenskizze für seine Komposition zeigt daher Namen aus indischer Mystik: Chakya-Muni, Ananda, Prakriti, Brahmanen, Schüler und Volk. Buddha ist der zur Erkenntnis Erwachte und Erleuchtete. Wird von ihm gesprochen, so ist bei Wagner der Religionsstifter Chakya-Muni des Brahmaismus gemeint. Ananda ist sein Schüler. Aufgrund der indischen Lehre wird es nur den Brahmanen vergönnt, den Weg zu gehen, der zur Erlösung führt, während die Mitglieder anderer und damit niedrigerer Kasten nur durch gute Taten in ihrem jetzigen Leben die Hoffnung erhalten, nächstes Mal als Brahmanen wiedergeboren zu werden. Die niedrigsten Kasten, die Parias und Tschandalas stellen die Unberührbaren, Hoffnungslosen dar, und deshalb aus der Gesellschaft Ausgestoßenen.

Wagners Drama soll die letzte Wanderung Buddhas beschreiben. Prakriti, das Tschandalamädchen – also aus niedrigster Kaste – ist verbotenerweise in Ananda verliebt. Ananda hat seinerseits Berührungsängste. Prakriti nähert sich Buddha, um von ihm Hilfe zu erbitten. Dieser fragt sie, ob sie die Bedingungen für die Erlaubnis, Anada lieben zu dürfen und zu können, erfüllen wolle. Prakriti spricht jetzt zu Chakya-Muni vom Wunsche einer erotischen Verbindung mit Ananda und erschrickt, als sie erfahren muss, dass sie dessen Gelübte der Keuschheit respektieren und teilen müsse.

Im weiteren Verlauf von Wagners Idee muss sich Buddha gegen die Vorwürfe verteidigen, er befasse sich mit Prakriti, einer Unberührbaren. Ein wichtiges Detail wird die Erzählung Buddhas über Prakritis früheres Leben. Sie hat dort als Tochter eines Brahmanen dem Werben des Sohnes eines Tschandalakönigs nicht nachgegeben. Deshalb ist es im jetzigen Leben ihre Bestimmung geworden, eine Paria zu sein. Es bleibt ihr nur übrig, Qualen hoffnungsloser Liebe zu empfinden, zugleich zu entsagen und so durch volle Erlösung in die Buddha-Gemeinde aufgenommen zu werden.[4]

 

Parsifal

Zur Realisierung der beiden Stoffe Jesus von Nazareth und Die Sieger kommt es nicht. Trotzdem verarbeitet Wagner vieles daraus für sein letztes Werk, den Parsifal. Auch dort ist die Titelfigur kein Welteroberer, sondern ein Weltüberwinder – ganz im Sinne der buddhistischen Vorlage.

Ein zunächst sündiger trotzig-dummer Junge im ersten Akt, gelangt im zweiten zur Erkenntnis und wird schließlich im dritten Akt eine Art christlicher Buddha, ein Weiser, der als Parsifal - von Parsi = rein, fal = dumm, töricht (Wagner entlehnt es dem Persischen) – die christliche Kirche zwar restituiert, aber von ihrem dogmatischen Machtanspruch befreit. Parsifal führt die Gesellschaft durch Erlösung des Erlösers zur Schopenhauerschen und Wagnerschen Weltethik.

Wagner liest die Bearbeitungen aus dem Mittelochdeutschen von Simrock und San Marte und so auch das anonyme Epos vom Lohengrin, das er ebenfalls als Quelle für seine gleichnamige Oper nutzt. In anderen Sagen findet Wagner die Blumenmädchen für für seinen zweiten Akt im späteren Bühnenweihfestspiel Parsifal. Dann spielt noch das Alexanderlied von einem Geistlichen namens Lamprecht eine Rolle.[5] Auch der Zauberer Theodas in Rudolf von Ems’ Gedicht Baarlam und Josephat scheint Quelle für Wagners Vorhaben zu sein. Theodas versucht, eine schöne Frau zu beeinflussen, einen Mann zu verführen. Der Held widersteht aber diesen Künsten mit Hilfe des christlichen Kreuzes. Damit ist der späteren Handlung für den Titelhelden in Wagners Parsifal bereits viel vorgegeben, wenn dieser der Verführung durch Kundry widersteht. Seine Reinheit führt zur Erlösung

 

Die Erlösung des Erlösers

Der französische Germanist Henri Lichtenberger zitiert Hans von Wolzogen, wie dieser von Wagners plötzlichem Einfall berichtet, um am Karfreitag 1858 sein dreiaktiges Drama Parsifal in Triebschen in der Schweiz zu skizzieren. „Er legte seine Tristan-Partitur beiseite und komponierte jene Verse von mystischer Zartheit, in denen Gurnemanz dem Parsifal den Karfreitagszauber erklärt: wie dieser höchste Schmerzenstag der Welt auch der Tag der Vergebung und Heiterkeit sei, wo die Halme, Blüten und Blumen, wo die ganze Natur das göttliche Mysterium der Erlösung ahnt und glücklich lächelnd zu dem reuigen, entsühnten, erlösten Menschen aufschaut ... Der Hauptgedanke des Parsifal war gefunden. [6]

Am 1. Oktober 1858 beschreibt Wagner in einem Brief an Mathilde Wesendonk nach Venedig alles über die Anlage zur Welterlösung durch das Mitleiden im Menschen und ihre Bedeutung am Morgen des Karfreitags im 3. Akt Parsifal. [7] ... „Wenn ... dieses Leiden einen Zweck haben kann, so ist dies einzig durch Erweckung des Mitleidens im Menschen ... Diese Anlage zur Welterlösung durch das Mitleiden aber unentwickelt und recht geflissentlich unausgebildet verkommen zu sehen, macht mir nun eben den Menschen so widerwärtig und schwächt mein Mitleiden mit ihm bis zur gänzlichen Empfindungslosigkeit gegen ihn. Er hat in seiner Not den Weg zur Erlösung, der eben dem Tiere verschlossen ist; erkennt er diesen nicht, sondern will er sich ihn durchaus versperrt halten, so drängt es mich dagegen, ihm diese Türe gerade recht weit aufzuschlagen, und ich kann bis zur Grausamkeit gehen, ihm die Not des Leidens zum Bewusstsein zu bringen.“

Im 10. Bd. seiner gesammelten Schriften, auf den Seiten 282 + 283 äußert sich Richard Wagner erneut ganz deutlich über seine private religiöse Vorstellung und im Hinblick auf den Sinn seines Parsifal-Mysteriums: „... dass dem mütterlichen Schoß (durch die Erlösung und Wiedergeburt dieses Mal nicht nur ein höher organisiertes Individuum, sondern in diesem eine neue Spezies entsprossen wäre) ... Dass in jener wundervollen Geburt sich sublimierende Blut der ganzen leidenden menschlichen Gattung konnte nicht für das Interesse einer noch so bevorzugten Rasse fließen; vielmehr spendet er sich (der mütterliche Schoß) dem ganzen menschlichen Geschlechte zur edelsten Reinigung von allen Flecken seines Blutes . [8]

 

Der namhafte Dirigent und Komponist Pierre Boulez: Das Drama Wagners (Parsifal) beruht auf einer Idee, die alle großen Romantiker nach Goethe eine Zeitlang in den Mittelpunkt ihres Werkes stellten: die Erlösung durch die göttliche Liebe. Berlioz gibt das Signal, Schumann kann sich ihr nicht entziehen, Wagner führt sie zu flammender Übersteigerung ... Meiner Meinung nach handelt es sich (bei Parsifal) nicht darum, einen fiktiven Kult zu feiern, der für Repräsentationszwecke rekonstruiert würde, sondern den Impuls eines metaphysischen Denkens kundzutun, das sich zwischen Kraft und Siechtum bewegt. In Worten des christlichen Glaubens bedeutet das die Trauer des Menschen, der der göttlichen Gnade verlustig gegangen ist, die Gewissensbisse und den Schmerz, die ihm dieser Verlust auferlegt; denn Leben und Kraft entstehen für ihn aus dem fortwährenden, beständig erneuerten Kontext mit seinem Schöpfer. Es bedeutet auch die Suche nach der Wahrheit, über die Hindernisse hinweg, die sich entgegenstellen, um zur Selbstbeherrschung zu gelangen, zum Vergessen seiner selbst vor der Wiedergeburt in Gott.

Die Erlösungsidee, die vielen Religionen gemeinsam ist, hat in ihrer strengen rituellen Bedeutung allerdings an Anziehungskraft verloren; nicht aber die Suche des Menschen nach sich selbst, nicht die Fallstricke, die sie legt, und die geistige Disziplin, die sie verlangt. In diesem Sinn hat Wagner sich vieler >heldischer< Elemente begeben und geht direkter und tiefer, als auf dem Weg der Vergangenheit möglich wäre, ins Zentrum der grundlegenden metaphysischen Fragen ... Parsifal lässt wie „Tristan das Wesentliche unmittelbar hervorbrechen, ruft einen Urmythos herauf, stellt die Frage, außerhalb von Ort und Zeit ... Die Zeit bewegt sich unaufhörlich auf zwei Ebenen, die Gegenwart schließt die Vergangenheit ein, die Vergangenheit bedingt die Gegenwart. Im Fall des Parsifal ist dieser Rückgriff alles andere als unbegründet, denn er frischt ständig die Gewissensqualen auf, den Schmerz über die verlorene Macht, und fordert unaufhörlich zum Vergleich zwischen einer erbärmlichen Gegenwart und einer glorreichen Vergangenheit heraus. Die Zukunft gliedert sich von selbst in diesem Zeitnetz ein, und zwar durch den fortwährenden Hinweis auf die Erlösung und auf den Helden, der dazu ausersehen ist, sie zu vollenden ... Sehr aufschlussreich ist der Satz von Gurnemanz: >Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit< ... Indessen möchte ich noch etwas zu dem Wort >Romantik< sagen und zu den Missverständnissen, die es auslöste. Ich habe unlängst meinen Standpunkt in einer Augenblickslaune so zusammengefasst: „Parsifal“ sei von Wagner komponiert worden und nicht von Wilhelm II. ... Ich meine tatsächlich, dass Wagners musikalische Gesten weder emphatisch noch großsprecherisch sind; es scheint mir, dass die wirkliche Größe sich übertriebener demonstrativer Parodien begibt, es scheint mir auch – da der musikalische Text die Absichten des Komponisten mit aller nur denkbarer Deutlichkeit offenlegt –, dass es zwecklos ist, eine höhere Leistung geben zu wollen, weil man zur Strafe in die Karikatur verfällt ... Das Werk bewahrt sein Potential an Neuheit für den, der sich den Wunsch nach Neuheit und nach Unbekanntem hegt. Was soll man mit einem toten Objekt anfangen, das unter dem Staub verflossener Aufführungspraktiken modert? Vielleicht ist letztlich dies die Lehre aus dem Gesamtkunstwerk: das totale Werk lebt nur in der Fiktion eines Absoluten, das sich dem Zugriff entzieht. In Abwandlung Claudels sage ich: Diese Stimme, die uns ruft, wir müssen sie unbedingt erreichen; ohne sie verlöre Wagners Klang das Unwiederbringliche, das Unerreichbare, eine unerschöpfliche Quelle von Wonnen und Verzweiflung. [9]

Kurz vor seinem Tode notiert Wagner am 1. November 1882 für die „Bayreuther Blätter“ aus Venedig und bezüglich seiner Welterneuerungsmystik:

Wer kann ein Leben lang mit offenen Sinnen und freiem Herzen in diese Welt des durch Lug, Trug und Heuchelei organisierten und legalisierten Mordes und Raubes blicken, ohne zu Zeiten mit Ekel sich von ihr abwenden zu müssen? Wohin trifft dann sein Blick? Gar oft wohl in die Tiefe des Todes. Ihr alle, meine Freunde, erkanntet, dass die Wahrhaftigkeit des Vorbildes >Parsifal<, das er euch zur Nachbildung darbot, es eben war, was auch euch die Weihe der Weltentrückung gab; denn ihr konntet nicht anders, als nur in jener höheren Wahrhaftigkeit eure eigene Befriedigung suchen. [10]

Für die weitere Entwicklung der Instrumentalisierung Wagners und seiner schriftlichen und musikdramatischen Mitteilungen sind die Aussagen von Johannes Graf Kalckreuth von 1949 von Bedeutung: Wagner war kein Nationalsozialist, national habe er im Sinne von 1848 gefühlt, dieser Apostel von Beethovens 9. Symphonie mit ihrem Seid umschlungen, Millionen! Der Weltüberwinder sei Wagner gewesen, nicht der Welteroberer. Es wäre jetzt endlich Zeit, Wagner vor weiterer Verleumdung zu schützen und in ihm den komprimierten Ausdruck des Weltschmerzjahrhunderts zu verehren. [11]

Während im deutschsprachigen Raum in jedem Programmheft und jedem weiteren Bericht über Die Meistersinger von Nürnberg immer wieder auf den Nationalsozialismus und den schrecklichen Holocaust Bezug genommen wird, liest man bei Thomas Mann schon 1933 – gegen die nationalsozialistischen Machthaber gerichtet: dass es durch und durch unerlaubt sei, Wagners nationalistischen Gesten und Anreden den Sinn zu unterlegen, der im 20. Jahrhundert letztendlich in den Nationalsozialismus einfloss.

Und nach dem Zusammenbruch des Tausendjährigen Reiches schreibt Thomas Mann am 25. August 1951 an den Literaturkritiker Friedrich Schramm so, als hätte es die Vereinnahmung des Stückes durch den Faschismus nie gegeben ...: die ›Meistersinger‹ sind ein herrliches Werk, ein Festspiel, wenn es je eins gab, ein Gedicht, worin Weisheit und Kühnheit, das Würdige und das Revolutionäre, Tradition und Zukunft sich auf eine großartig heitere Begeisterung für das Leben und für die Kunst tief aufweckende Weise vermählen.

Und mein unvergessener Freund Kurt Pahlen zieht den Schluss ... Alle, das Volk, der Kritiker, die ganze Meistersingerzunft, alle sind schlecht dabei weggekommen. Ihr engstirniges Festhalten an vielleicht längst überholten Regeln, ihr Höherbewerten der Theorie ... gegenüber der lebendig fortschreitenden Kunst (nicht Künstlichkeit – B.W.), hat sie in wenig günstigem Lichte erscheinen lassen ... im strahlenden C-Dur erreicht die Oper eine leuchtende Apotheose des Geistes.

Der Historiker Wilhelm Richard Berger charakterisiert die sich auf Wagners Festoper Die Meistersinger von Nürnberg richtenden Verdikte als eine verzweifelt naive Geschichtsauffassung. Um keine Oper Wagners sind so erhitzte ideologische Debatten geführt worden wie gerade um die ›Meistersinger‹. Die Kontroverse geht bis in die Inszenierungen unserer Tage hinein, und immer noch ist sie geprägt durch die politische Vereinnahmung, welche die Oper durch Wilhelminismus und Nationalsozialismus hat hinnehmen müssen. Man warf und wirft den ›Meistersingern‹ Chauvinismus und Deutschtümelei vor, wobei die Kritik sich vor allem am Schlussaufzug entzündet, an Sachsens Warnung vor ›welschem Tand und falscher welscher Majestät‹ und an seiner markigen Aufforderung: ›Ehrt eure deutschen Meister!‹. Vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus’, so Berger, sei dies natürlich anstößig, doch charakterisiere dies nicht vielmehr Wagners revolutionäre und antifranzösische Haltung sowie seine Begeisterung für die Gründerzeit, die nationale Einheit? Auch hat das Wort deutsch nicht dafür zu büßen, auch nicht in Wagners empathischer Überhöhung in Hans Sachsens Schlussmonolog auf der Festwiese. Man kann es eben nicht für die Machtansprüche der Gründerzeit und erst recht nicht für die schrecklichen Verbrechen des Dritten Reiches zur Verantwortung ziehen: Wäre es so einfach, müsste man die Sprachgesellschaften des Barock, Klopstock und den Göttinger Hein, Herder und den jungen Goethe (›Von deutscher Art und Kunst‹) gleichsam rückwirkend in Gesinnungshaft nehmen.  [12]

 

Wagner und Israel

Der Journalist Haggai Hiltron spricht mit Irad Atir, der an der Universität Bar Ilan in Israel im Juni 2012 seine Studien in Musikwissenschaft mit einer Dissertation über Richard Wagner abschloss und dafür vom Internationalen Institut für Holocaust-Studien, Yad Vashem einen Preis erhielt. Hier Auszüge aus Atirs Antworten beim Interview in : Wagners Kritik an Juden war Teil seines Widerstandes gegen die generelle soziopolitische und kulturelle Situation in diesem 19. Jahrhundert – einschließlich seiner nicht-jüdischen Gesellschaft. Wagner kritisierte bestimmte Aspekte an den Deutschen, z. B. deren Rückständigkeit, die bedingungslose Religiosität, den Stolz des Adels und den Militarismus. Generell gab es für unseren Komponisten gute und schlechte Deutsche – und gute und schlechte Juden. (Wagner verweigerte gleich zweimal seine Unterschrift unter eine antijüdische Petition von Kanzler Bismarck, die Rechte der Juden beschränken sollte.) Wagner wusste mehr über Juden und Judentum und arbeitete mehr mit Juden, als alle anderen Komponisten in seiner Zeit. Seine obsessive Voreingenommenheit gegen Einzelne und Gruppen war komplex und jederzeit veränderlich. Selbst das sehr schlimme Essay: „Über das Judentum in der Musik“ endet mit einem Aufruf, die jüdische und deutsche Kultur zu vereinigen. [13]

Der Leipziger Prof. Dr. Wolfgang Geier schreibt in einem Leserbrief vom 10. März 2017, dass die Dissertation von Irad Atir in Deutschland nicht nur zu einer Verweisung von einer Universität geführt hätte; sie wäre erst gar nicht angenommen worden. Ich habe mir erlaubt mit einem weiteren Leserbief zu antworten und den Vorgang in der hebäischen Zeitung Maariv veröffentlichen zu lassen: „Der Leserbrief von Herrn Geier ist ein Affront gegen die israelische Universität Bar Ilan und gegen das internationle Institut für Holocaust Studien Yad Vashem. An der Universität konnte Irad Atir promovieren und von Yad Vsshem hat er einen Preis für seine Recherche über Richard Wagner erhalten. Ich habe mir erlaubt diesen Vorgang in der hebräischen Zeitung Maariv veröffentlichen zu lassen.                  

Dazu einige politisch korrekte und daher völlig falsche Regiekonzepte

Die Meistersinger von Barry Kosky bei den Bayreuther Festspielen 2017.

 

Zitat aus Newsletter Richard Wagner Verband International vom Januar 2018: „(...) Die Bayreuther Festspiele 2017 mit einer Inszenierung der >Meistersinger von Nürnberg< von Barry Kosky, die zu Jubelstürmen führte wie lange nicht in Bayreuth (...).“

 

Der jüdische Dirigent des Parsifal Hermann Levi muss dabei mit einer schrecklichen Judenfratze in die Figur des Stadtschreibers Beckmesser schlüpfen und wird von einer anderen Figur, die Richard Wagner sein soll über die Bühne gejagt. Dies führt im Publikum zu solchen Jubelstürmen! Die Festwiese am Ende des dritten Aktes findet im Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse statt. (Zwischen 20. November 1945 und 01. Oktober 1946.) Es gibt in der Partitur des Komponisten weder Text noch Noten für diese Darstellung Aber nach Art. 5.3. GG ist das erlaubt und politisch korrekt.

 

Levi gegenüber äußert sich Richard Wagner Wenn ich noch einmal über Juden schriebe, würde ich sagen, es sei nichts gegen sie einzuwenden, nur seien sie zu früh zu uns Deutschen getreten, wir seien nicht fest genug gewesen, um dieses Element in uns aufzunehmen (s. Bayreuther Blätter von 1937!). Und Levi schreibt in einem Brief an seinen Vater, den Oberrabbiner Dr. Levi in Giessen Er – Wagner – ist der beste und edelste Mensch. Dass ihn die Mitwelt missversteht und verleumdet, ist natürlich ... Goethe ist es auch nicht besser ergangen. Aber die Nachwelt wird einst erkennen, dass Wagner ein ebenso großer Mensch als Künstler war, wie dies jetzt schon die ihm Nahestehenden wissen. Auch sein Kampf gegen das, was er ›Judentum‹ in der Musik und in der modernen Literatur nennt, entspringt den edelsten Motiven, und dass er kein kleinliches Risches (Judenhass) hegt, ... beweist sein Verhalten zu mir, zu Josef Rubinstein, und seine frühere intime Beziehung zu Tausig, den er zärtlich geliebt hat. – Das Schönste, was ich in meinem Leben erfahren habe, ist, dass es mir vergönnt wurde, solchem Manne nahezutreten, und ich danke Gott dafür.

Der mit dem Komponisten befreundete jüdische Karl Tausig meldet sich nach einer Berliner Aufführung des Lohengrin telegrafisch bei Wagner und berichtet, dass diese Aufführung die Judenschaft in Berlin wieder mit ihm versöhnt habe. Wagner antwortet unverzüglich nach Berlin: Deine Versicherung, alle Juden seien mir versöhnt, hat natürlich ihre Wirkung auf mich gemacht. Es wäre wirklich nicht übel, wenn von gescheiten und geistvollen Juden meine Broschüre nur eigentlich ordentlich gelesen würde; aber lesen scheint jetzt kein Mensch mehr zu können. Ich habe nun aber einem wirklich geistvollen Juden alles an die Hand gegeben, dieser ganzen Frage eine große und gewiss segensreiche Wendung, sich selbst aber eine höchst bedeutende Stellung zu unserer wichtigsten Kulturangelegenheit zu geben. Ich weiß, es muss ein solcher da sein, wagt (er) es nun nicht zu tun, was seine Sache ist, so muss ich doch wieder über alle Maßen traurig recht haben, wenn ich das Judentum – namentlich aber das moderne Judentum – so bezeichne und so bezeichnet lasse, als das von mir geschehen ist. Aber Mut muss man haben, nicht bloß Frechheit, denn mir ist’s Ernst um die Sache. – Sag Du mir nun, der ›Lohengrin‹ habe mir die Juden versöhnt, so vernehme ich darin eigentlich nur, dass meine Broschüre als eine Übereilung angesehen und als solche mir verziehen wird. Aber damit ist mir nichts Tröstliches gesagt. Gutmütigkeit habe ich gerade auch von Juden schon ungemein viel erhalten. Courage soll einer haben, dann will ich mich freuen!  [15]

Die Welt. 14.03.2018 Wie die „Meistersinger“ wieder nach Polen kamen

Von Manuel Brug 

„Politisch heikle Wagner-Mission: Erstmals nach 1933 kommen im polnischen Posnan Die Meistersinger heraus, mit einem jüdischen Dirigenten und einem deutschen Regisseur. Hier gibt es nun Die Meistersinger von Nürnberg. 85 Jahre lang, also seit 1933, war dieses so besonders deutsche Werk in Polen nicht mehr zu erleben. Und nun singt darin, von einem aufmerksamen, sozial gut durchmischten, jungen wie altem Publikum Hans Sachs doch wieder seine berühmt-berüchtigte Ansprache: Was deutsch und echt, wüßt’ Keiner mehr/ lebt's nicht in deutscher Meister Ehr./ Drum sag ich Euch:/ ehrt Eure deutschen Meister!/ Dann bannt Ihr gute Geister/ und gebt Ihr ihrem Wirken Gunst,/ zerging in Dunst/ das heil’ge röm’sche Reich,/ uns bliebe gleich/ die heil’ge deutsche Kunst!  Da schluckt man, als deutscher Zuschauer zumal, dann doch. Man hat einen Knödel in der Kehle.

Herr Brug als Rezensent einer renommierten Tageszeitung sollte wissen, dass das heilige römische Reich deutscher Nation die offizielle Bezeichnung für den Herrschaftsbereich der römisch-deutschen Kaiser vom Spätmittelalter bis 1806 existierte. Die Ansprache des Hans Sachs ist – siehe Wagners Partitur - für die Mitte des 16. Jahrhunderts verfasst, und keinesfalls für das sogenannte Dritte Reich der Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert und auch nicht heute oder in Zukunft.

Ein Präzedenzfall: An der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf werden am 4. Mai 2013 Juden auf der Bühne in Glasvitrinen vergast. Regisseur und Bühnenbildner wollen damit den Antisemitismus Wagners zeigen. Dass der Komponist kein Antisemit war haben sie nicht gewusst oder dürfen es nicht wissen. Die Staatsanwaltschaft beantwortet meine Anzeige: Die aufgeführte Oper Tannhäuser nach Richard Wagner unterfällt dem verfassungsrechtlich geschützten Bereich der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG), wenn die Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. So liegt es hier. Kunst ist einer staatlichen Stil- oder Niveaukontrolle nicht zugänglich; die Anstößigkeit einer Darstellung nimmt ihr nicht die Eigenschaft als Kunstwerk (zu vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.März 1990, 1 BvR 266/86, 1 BvR 913187, zitiert nach juris). Die Einleitung von Ermittlungen kommt deshalb nicht in Betracht. Hochachtungsvoll Staatsanwältin B. [16]                         

 

Dauerausstellung in Bayreuth

Von dem Historiker Hannes Heer, dem Musikpublizisten Jürgen Kesting und dem aus Bayreuth stammenden Gestalter Peter Schmidt wurde die Ausstellung Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die Juden 1876-1945 konzipiert und bleibt als Dokumentationsstätte seit 2012 dauerhaft im Park am Festspielhaus zu sehen. Auf Dutzenden großer Stelen wird dort an mehr als 50 Mitwirkende der  Richard-Wagner-Festspiele erinnert, die wegen ihrer jüdischen Herkunft schon vor 1933 diffamiert oder nicht besetzt und im Dritten Reich von den nationalsozialistischen Machthabern ins Exil vertrieben oder ermordet wurden. Thematisiert wird auch der Missbrauch der Festspiele als Mittel der politischen Mobilisierung. Die Ausstellung war und ist ein wichtiger und ausgesprochen gelungener Beitrag zur Aufarbeitung des düstersten Kapitels der deutschen Geschichte und der Rolle der Bayreuther Festspiele lange vor und während des Dritten Reichs, so heißt es in der Pressemitteilung der Stadt. Wegen der großen Resonanz bei Gästen und Bürgern hätten sich jetzt die Stadt Bayreuth, die Richard-Wagner-Stiftung und der Kurator Hannes Heer darauf verständigt, die Freiluftinstallation auf dem Grünen Hügel dauerhaft in Bayreuth zu zeigen. Nordbayerischer Kurier, 20. Juli 2015[17]

 


[1] Wagner, Richard: Deutsche Kunst und Deutsche Politik. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 8. Leipzig.

[2] Weikl,B./Bendixen,P.(2012): Freispruch für Richard Wagner? Leipziger Universitätsverlag

[3] Meysenbug, Malvida von: Memoiren einer Idealistin, Hsg. Renate Wiggershaus/Ulrike Helmer, Königstein. 1998

[4] Heckel, Karl: Jesus von Nazareth – Buddha („Die Sieger“) – Parsifal. Bayreuther Blätter. 1891, Seite 5 ff,)

[5] Richard Wagner Jahrbuch, Bd. IV 1912).

[6] Lichtenberger, Henri: Richard Wagner, der Dichter und Denker, S. 417; Verleger Reißner 1913

[7] Brief an Mathilde Wesendonk, 1. Oktober 1858

[8] Wagner, Richard: Gesammelte Schriften Bd. X, S. 282 f.).

[9] Programmheft der Bayreuther Festspiele 1970

[10] Wagner, Richard: In Bayreuther Blätter, 01. November 1882

[11] Der Festspielhügel 1893-1956

[12] Weikl,B./Bendixen,P. (2012): Freispruch für Richard Wagner? Leipziger Universitätsverlag

[13] Haaretz, 28. Januar 2013

[14] Maariv, 25. Juni 2017

[15]  Weikl,B./Bendixen,P. (2012): Freispruch für Richard Wagner? Leipziger Universitätsverlag

[16] Schreiben vom 24. November 2014

[17] Nordbayerischer Kurier, 20. Juli 2015

 

Und als P.S. Schmankerl

BERND WEIKL HÖCHSTPERSÖNLICH

 

 

DER OPERNFREUND  | opera@e.mail.de