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 http://www.bregenzerfestspiele.com/de/

 

 

 

FESTSPIELHAUS

Umberto Giordano

SIBERIA

Rezension der Premiere v. 21. Juli 2022

Die Oper Sibirien von Umberto Giordano und Madame Butterfly, welche dieses Jahr in Bregenz gezeigt werden, verbindet einiges. Giordanos Werk wurde anstelle der Uraufführung von Puccinis Oper an der Mailänder Scala 1903 uraufgeführt. Puccinis Werk wurde dann nur zwei Monate später am selben Haus zum ersten Mal gezeigt. Beide Werke wurden vom Publikum anfangs ohne sonderliche Begeisterung aufgenommen. In beiden Opern wird das Schicksal einer großen Liebe erzählt und endet tragisch. Das eine Werk hat bis heute seinen Siegeszug durch die Opernhäuser gemacht, während das andere nur selten zu erleben ist.

 

 

Der Komponist Umberto Giordano hat die Kunst und Kultur Russlands eingehend studiert und für seiner Komposition verwendet. Dadurch ist ein veristisches Werk entstanden, in welchem Oper und Elemente der Volksmusik harmonisch miteinander verbunden sind und die verschiedenen Stimmungen der Handlung eindringlich untermalen.

Wir begegnen Stephana, welche der Kuppler Gleby zur Kurtisane gemacht hat. Diese will sich von dem sie umgebenden luxuriösen Lebensstil befreien. Sie begibt sich nach Sibirien, wohin Vassili, ihr Geliebter, nach einer Auseinandersetzung in Verbannung geschickt wurde und wird dort zu einer Kämpferin für Gerechtigkeit und gegen Verleumdung. Als Gleby in die gleiche Strafkolonie geschickt wird und sie dort erkennt, will er zusammen mit ihr fliehen und er verrät ihr auch seinen Fluchtplan. Sie aber will nicht mit Gleby gehen. Diese Zurückweisung verletzt ihn tief und als Rache stellt er Stephana vor den anderen Gefangenen bloss. Sie will mit Vassili flüchten, aber die Flucht misslingt. Da fällt ein Schuss.

Regisseur Vasily Barkhatov erzählt die Geschichte aus der Sicht eine alten Frau, welche auf der Suche nach ihrer Vergangenheit die einzelnen Stationen der Handlung aufsucht, um schlussendlich erkennen zu müssen, dass Stephana und Vassili ihre Eltern sind und auf der Flucht starben. Auch ihr Bruder war im selben Arbeitslager gefangen und verstorben. In der Nähe der Strafkolonie verstreut sie seine Asche, symbolhaft für das Elend, das dort herrschte.

 

 

Die Handlung mag seltsam und auch kompliziert klingen, wird aber durch einen interessanten Regieeinfall gelöst. Mittels eingespielter schwarz/weiss Videos, welche in Mailand, St. Petersburg und Sibirien gedreht wurden und die jeweilige Stimmung wiedergeben, werden die einzelnen Szenen der Oper auf der Bühne elegant miteinander verbunden. So beispielsweise in dem Moment, als die alte Frau im Video das Haus der Stephana besucht und an der Türe klingelt und gleichzeitig sich der Vorhang vor der Szene auf der Bühne hebt und man wieder ins dortige Geschehen zurückgeführt wird. So auch an der Stelle, wo die alte Frau im Archiv in St. Petersburg nach Hinweisen zum Gulag sucht und die Geschichte Ihrer Eltern findet.

Das gekonnte Zusammenspiel zwischen Video, Bühnenbild und Beleuchtung erweist sich als außerordentlich gut gelungen. Hier haben der Bühnenbildner Christian Schmidt, die Kostumbildnerin Nicole von Greavenitz und Alexander Sivanev, welcher für die Beleuchtung zuständig waren, ganze Arbeit geleistet. Für die Videos waren Pavel Kapinos, Sergey Ivanov und Christian Borchers verantwortlich. 

Für die Rolle der alten Frau wurde mit Clarry Bartha die ideale Besetzung gefunden. Mit ihrer starken Persönlichkeit gelang es ihr sowohl bei den Videoaufnahmen, wie auch auf der Bühne, eindrückliche Präsenz auszustrahlen. Auch bei den kurzen Gesangpassagen konnte man sich der Wirkungskraft dieser Figur nicht entziehen.

Die Rolle der starken, verliebten Stephana war der kanadischen Sopranistin Ambur Braid anvertraut und ihr gelang ein Rollenporträt von großer Eindringlichkeit, welches sowohl spielerisch als auch durch ihre kraftvolle Stimme begeisterte. Vassili, ihr Liebhaber, wurde vom russischen Tenor Alexander Mikhailov verkörpert und sehr lyrisch gestaltet. Er passte stimmlich, wie optisch perfekt in diese Rolle.

 

 

Die Partie des unsympathischen Gleby erfordert in dieser Inszenierung viel Beweglichkeit und war mit Scott Hendricks ebenfalls ideal besetzt. Der Tenor Omer Kobiljak als Fürst Alexis überzeugte auch in dieser Aufführung durch seine schöne Stimme und seine eindrückliche Erscheinung. Die amerikanische Mezzosopranistin Fredrika Brillembourg war als Nikona zu hören. Manuel Günther als Ivan/Der Kosak, Michael Mrosek als Bankier und der Invalide, Unnsteinn Árnason als Walinoff/Der Gouverneur sowie Stanislav Vorobyov als Hauptmann/Aufseher, Rudolf Mednansky als Sergant und Bronislav Palowski als Stimme der Mugiki, boten nuancierte Rollenportraits und komplettierten das Ensemble perfekt.

Für diese Oper braucht es einen hervorragenden Chor. Da zeigte sich einmal mehr die hohe Qualität des mit den Bregenzer Festspielen seit langem verbundene Prager Philharmonischem Chors unter der Leitung von Lukáš Vasilek. Bis in die feinsten Töne, insbesondere bei den russischen Klängen, wurde man sich einmal mehr bewusst, warum dieser Chor einen so hervorragenden Ruf geniesst. Die Wiener Symphoniker wurden vom russischen Dirigenten Valentin Uryupin geleitet, welcher mit viel Temperament diese sehr farbenreiche und anspruchsvolle Partitur zum Klingen brachte. Von ganz intensiven, ab und zu etwas sehr lauten, bis hin zu allerfeinsten Tönen, die Qualität dieses Orchesters, welches seit langem zum festen Bestandteil dieses Festivals gehört, ist auf sehr hohem Niveau.

Dem Publikum hat dieser Abend gefallen und alle Mitwirkenden wurden mit starkem Beifall bedacht. Man darf den Bregenzer Festspielen gratulieren und sich bedanken, dass man auf diesem Wege ein Werk erleben konnte, welches nur sehr selten gespielt wird.

Rezension von Marco Stücklin, 14.8.22

Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN

Fotos © Karl Forster

 

 

Bregenzer Festspiele 2022

59 Minuten MADAME BUTTERFLY

Wegen Regenguss auf der Seebühne abgebrochen!

Opernfreund-Kritiker nicht würdig für das edle Festspielhaus?


20.Juli 2022, Eröffnungspremiere

 

 

Heuer war es bisher wahrlich ein besonders strahlender und heisser Juli – an sich ideal für Freilichtaufführungen. Dennoch musste man in Bregenz bis zum Schluss bangen, ob nicht gerade die - mit rund 7000 Plätzen natürlich ausverkaufte - Eröffnungspremiere durch Regenschauer und Gewitter beeinträchtigt werden wird. Und tatsächlich – nach knapp einer Stunde musste wegen Unwettergefahr die Aufführung im Freien abgebrochen und im Festspielhaus fortgesetzt werden. Dort haben allerdings nur rund ein Viertel der Seebühnen-Gäste Platz und der OF-Berichterstatter gehörte leider nicht zu den glücklichen Auserwählten, die ins Festspielhaus wechseln durften.

Auf der riesigen Seebühne steht das optische Spektakel unzweifelhaft für Publikum, Medien, aber auch für die Festspielleitung im Vordergrund. Das ist duchaus ein legitimer Bestandteil musikdramatischer Bühnenkunst. Zur Bühnentechnik liest man: 'Aus Stahl, Styropor, Holz und Fassadenputz entsteht seit Herbst die 300 Tonnen schwere Kulisse für das erstmals auf der Seebühne gezeigte Werk von Giacomo Puccini. Festspiel-Technikerinnen und -Techniker arbeiten gemeinsam mit den Mitarbeitenden von 33 Firmen an der Herstellung. „Die besondere Herausforderung ist, das Blatt Papier leicht, nahezu schwerelos wirken und scheinbar auf dem Wasser schwimmen zu lassen, obwohl es tatsächlich rund 300 Tonnen wiegt“, sagt Technikdirektor Wolfgang Urstadt.' Es lohnt sich unbedingt, das wenige Tage vor der Premiere veröffentlichte und rund 4 Minuten lange Video über das Seebühnen-Richtfest anzusschauen, um zu ermessen welch enorme bühnentechnische Leistung es bedeutet, auf rund 1300 Quadratmetern Bühnenfläche mit rund 25 Metern Höhe und einer Breite von 32 Metern wirkungsvoll und spektakulär Oper zu realisieren. Und Spektakuläres ist wahrhaft gelungen! Regisseur Andreas Homoki, Intendant des Opernhauses Zürich, bringt ein international erfolgreiches Team mit, das im magischen Bühnenbild von Michael Levine mit feinen Landschaftsmalereien japanisches Flair an den Bodensee zaubert – nicht zuletzt in den farbenfrohen Kostümen Antony McDonalds, der auf der Seebühne bereits Ein Maskenball und La Bohème mit verantwortete.

 

 

Mein Bericht bezieht sich also nur auf jene rund 59 Minuten, die ich sehen und hören konnte, bevor die Festspiele mittteilten: „Aufgrund schlechten Wetters wurde das Spiel auf dem See Madame Butterfly heute, Mittwoch (20.7.22), rund 59 Minuten nach Start wegen schlechten Wetters ins Festspielhaus verlegt. Im Großen Saal zeigen die Bregenzer Festspiele eine halbszenische Version der Oper von Giacomo Puccini.“

Die szenische Umsetzung durch Andreas Homoki und sein Team fand ich auf der Riesen Freilichtbühne großartig. Es war gelungen, durch kluge Personenführung und markante Kostümierung die handelnden Figuren auf dem eindrucksvollen Blatt Papier der Riesenbühne stets in den Vordergrund zu stellen und geradezu ein Kammerspiel der Einsamkeit in aller Klarheit und Prägnanz zu inszenieren. Dieses optische Erleben allein hat den Besuch gelohnt!

 

 

Das musikalische Erlebnis war für mich recht zwiespältig. Ich persönlich fand das Ergebnis einer höchst ausgeklügelten Tontechnik – siehe dazu den sehr informativen aktuellen Fachartikel  - letztlich unbefriedigend. Zwar hörte man die Stimmen tatsächlich von jener Position aus, wo sie auf de Bühne stehen und auch die Tonverzögerung ist erfolgreich vermieden (nochmals empfehle ich die Lektüre des eben erwähnten Akustikartikels). Letztlich war aber der Stimmklang für mich recht verändert, ja manipuliert. Ich maße mir nicht an, die individuellen Stimmleistungen zu beurteilen und war letztlich befriedigt, dass zumindest zwei Zeitungskritiken dieses Thema aufgreifen und hervorheben, dass die Verlegung ins Festspielhaus akustisch vorteilhaft war. Die Presse titelte „Wie ein Unwetter ein Opernerlebnis verfeinern kann“ und die Kleine Zeitung schrieb über den Pinkerton „wobei sich Montvidas ohne die auf dem See nötige elektronische Verstärkung dann deutlich besser schlägt.“

Für mich bot die usbekische Sopranistin Barno Ismatullaeva in der Titelrolle stimmlich den überzeugendsten Eindruck. Der litauische Pinkerton Edgaras Montvidas

war durch die Tontechnik wohl am meisten beeinträchtigt. Die gesamte Solistenbestzung, die in den weiteren 25 Aufführungen wechselt, findet sich hier

 

 

 Für den italienischen Dirigenten – seit diesem Sommer Conductor in residence in Bregenz - Enrique Mazzola und die Wiener Symphoniker sowie für den Chor gilt für mich das über die Sänger Gesagte. Eine Einschätzung der musikalischen Leistung – abgesehen von der selbstverständlichen Präzision – ist mir durch die elektronische Verfremdung nicht möglich – künstlerische Individualität konnte nicht vermittelt werden!

Kurz zusammengefasst: das szenische Erleben auf der Seebühne war großartig – musikalisch reichte mir der einstündige Eindruck.... Nichts für ungut!

 

 

22.7.2022 Hermann Becke

Szenenfotos: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

 

Als persönliche Anmerkung außerhalb der Aufführungsbesprechung - und doch untrennbar dazugehörend hier noch ein Post scriptum:

Sehr dankbar hatte ich die Anregung des Bregenz-erfahrenen OF-Herausgebers Peter Bilsing aufgegriffen, nicht im wirbeligen Festspiel-Bregenz zu wohnen und den Seebühnenbesuch mit einem Urlaub im Bregenzerwald zu verbinden.

 

 

Über eine Woche lang waren wir bei durchgehend strahlendem Wetter (Regen und Gewitter gab es ausgerechnet nur am Premierentag!) im Mittelgebirge des Bregenzerwaldes unterwegs und haben im Umfeld von Bezau, Mellau und Bizau (mit exzellentem und sehr empfehlenswertem Biohotel!) Wanderungen gemacht - dank der Gäste-Card alles kostenlos mit lokalem Bus und mit Bergbahn. Wir haben die Zeit sehr genossen. Vielleicht hat dieser Genuss dazu beigetragen, dass ich – aus der wunderschönen und überhaupt nicht überlaufenen Natur kommend - den Konsum-und Kulinarikwirbel in der Festspielzone allzu groß empfunden habe. Fast hatte ich den Eindruck, dass Essen, Trinken und die spektakulären Bühnenlösungen das Interesse eines großen Teil des Publikums allzu sehr bestimmen und das aufgeführte Werk überlagern. Aber wie auch immer: beides war wunderbar – Naturerleben und großformatige Bühnenkunst! Zur Nachahmung durchaus zu empfehlen!!

 

POST SCRIPTUM der Redaktion

Unser Freund und Mitarbeiter Klaus Billand, der nicht nach Hause geschickt wurde, sondern für würdig genug empfunden wurde die Oper komplett auch nach der Regenpause zuende sehen zu dürfen berichtet hier seinen Gesamteindruck.                      P.B.

 

 

 

Arrigio Boito: NERONE

NI 2. August 2021

Eine interessante Ausgrabung, aber eine unfertige Oper

Wie immer man auch über diese Ausgrabung des Komponisten, Librettisten, Lyrikers, Bühnendichters und Erzählers Arrigo Boito (1842-1918) urteilen möchte, es war richtig, dass die Bregenzer Festspiele zum 75. Jubiläum seine unvollendete Oper „Nerone“ auf ihr Programm im Festspielhaus gesetzt haben. Kennt man Boito vor allem durch seine Opernlibretti, die von Verdi und Ponchielli vertont wurden, aber auch durch seine eigene großartige Oper „Mefistofele“, so machte „Nerone“ deutlich, dass dem Italiener eine weitaus größere Schaffenskraft eigen war. Nicht nur trug er signifikant zur Verbreitung der Werke Richard Wagners, Carl Maria von Webers und Giacomo Meyerbeers in Italien bei. Er bemühte sich um den Ausgleich zwischen italienischem und deutschem Musiktheater und wurde deshalb in Italien gelegentlich auch als Wagnerianer bezeichnet.

 

Mit der Bewegung der Scapigliatura „Strubbelkopf“ (1860-1880) assoziiert, wurde Boito zu einem der kämpferischsten Mitglieder der Mailänder Dichtergruppe, die sich ein Leben abseits der bürgerlichen Normen vorstellte und auch das bis dahin in der Literatur verpönte Böse, Hässliche und Abstoßende thematisierte. So wird in „Mefistofele“ Faust zur Identifikationsfigur Boitos, weil er den menschlichen Dualismus symbolisiert und „von der Neugierde nach Gut und Böse heimgesucht wird.“ So haben bizarre Bösewicht-Figuren immer Boitos künstlerische Phantasie beflügelt, u.a. in seinem dramatischen Gedicht „Re Orso (1865).

 

Vor diesem Hintergung ist auch „Nerone“ zu sehen, von dem er nur die ersten vier Akte vertonte. Der fünfte, der den Untergang Neros darstellt, wurde nur geschrieben, und der insgesamt unfertige Charakter, zumal in musikalischer Hinsicht, ist dem Werk auch klar anzumerken. Boito selbst, der immerhin 60 Jahre mit der Oper beschäftigt war, war sich dieser Unfertigkeit bewusst und hatte immer Zweifel gegen eine Aufführung, der dann sein Tod 1918 zuvor kam, als die ersten drei Akte von ihm autorisiert waren. Arturo Toscanini fertigte mit zwei Kollegen eine spielbare Fassung der ersten vier Akte an, komplettierte die Orchestrierung des 4. Akts und brachte das Stück schließlich 1924 an der Mailänder Scala zur Uraufführung.

 

Auch in „Nerone“ stellt Boito die Unvereinbarkeit von Gut und Böse heraus, und zwar an der dekadenten Welt des römischen Kaiserreiches unter Kaiser Nero und dem aufkommenden Christentum samt seiner Verfolgung durch Rom. Hinzu kommt mit dem Gnostizismus noch eine dritte Sphäre, sodass mit dem Werk auch die Komplexität und Widersprüchlichkeit des damaligen Zeitalters hervorgehoben wird. Nero war dabei nicht nur ein menschenverachtender grausamer Kaiser, dem es um die Machterweiterung Roms und damit seines Einflusses ging. Er war auch künstlerisch interessiert und verband viele seiner Untaten mit einem künstlerischen Hintergrund.

 

Diese komplexen Strukturen treten auch in der Musik Boitos in „Nerone“ hervor, die an diesem Abend den bemerkenswertesten Teil der ganzen Aufführung darstellte und allein einen so hohen Grad an Konzentration erforderte, dass man dem lebhaften und nicht immer ganz klaren Geschehen auf der Bühne nur bedingt folgen konnte. Zwar immer wieder in ihrem Duktus unterbrochen, ja im Erscheinungsbild brüchig wie das Werk selbst, kommt es zu enormen musikalischen Ausbrüchen, so besonders im Vorspiel zum 4. Akt, und intensiven sowie komplex orchestrierten Klangbildern, die auf die Szenen mit dominant römischer Aktivität einerseits und jene der Christen andererseits gut abgestimmt sind.

 

So kommt in den „heidnischen“ Szenen Chromatik zum Einsatz, während die Szenen der Christen sich in der traditionellen Diatonik bewegen. Boito schwebte ja immer auch eine Form des musikalischen Gesamtkunstwerks vor, das hier nur in Ansätzen erkennbar ist, sich aber Wagner in gewisser Weise annähert. Jedenfalls hat die Musik über lange Strecken kaum italienischen Duktus. Dirk Kaftan brachte die schillernde Partitur mit den Wiener Symphonikern zu eindrucksvollem Leben und setzte so die größten Akzente an diesem interessanten, aber fordernden Abend.

 

Regisseur Olivier Tambosi stellte das Ganze in ein von Frank Philipp Schlössmann in ständige Rotation und seitliche Bewegung und durch hohe Lichtsäulen gekennzeichnetes abstraktes Bühnenbild, welches in den Szenen mit den Christen, wie deren diatonische Musik, klarer erkennbare Strukturen annimmt, wie etwa einen typisch italienischen Wald aus Zypressen. Hier wird auch die Bühne tiefer ausgespielt, während sich die Szenen um Kaiser Nero überwiegend auf der Vorderbühne, also plakativer abspielen. Die schillernden Kostüme von Gesine Völlm, die einst den Bayreuther „Parsifal“ von Stefan Herheim ausstattete, setzen in der Welt Neros durch Blutspuren klare Zeichen von Gewalt und Mord, während das Kostüm das Christenführers Fanuèl in einem büßerischen Weiß gehalten ist, zu dem er auch noch eine an die Leiden Christi erinnern sollende Dornenkrone trägt. Die christlichen Anhängerinnen sind wie Nonnen dargestellt. Alles bei ihnen strahlt im Licht von Davy Cunningham eine innere Ruhe aus im Gegensatz zu den erratischen und gegen Ende beim Brand Rons grausam zerstörerischen Bildern der Nerone-Welt. Das war zwar alles nicht sofort einsichtig und auch nicht immer stringent, kam aber letztlich dem Charakter dieser Oper entgegen. Ein zweiter Besuch hätte sicher mehr Erkenntnis gebracht.

 

Der Mexikaner Rafael Rochas spielt sehr intensiv und überzeugend einen machtbesessenen Kaiser Nero im Hermelinmantel, den er einmal unerklärlicherweise mit dem Mantel seiner ermordeten Mutter Agrippina tauscht. Im Finale betrachtet er die Zerstörung Roms stoisch eher wie ein Kunstwerk, als dass er von den dort liegenden Leichenbergen beeindruckt wäre. Er kann die Rolle auch stimmlich mit seinem kraftvollen Tor ansprechend ausfüllen. Der bewährte Lucio Gallo ist ein charaktervoll spielender Simon Mago mit klangvollem Bariton. Der Christenführer Fanuèl wird von Brett Polegato mit großer Würde und Andacht verkörpert, zu der sein bestens geführter Bariton manchmal wie Balsam auf die Wunden der Christen klingt.

 

Die russische Sopranistin Svetlana Aksenova singt die in Nero verliebte Asteria mit einem facettenreichen Sopran, der zu Beginn in den Spitzentönen etwas an seine Grenzen stößt. Alessandra Volpe ist hingegen eine christliche Rubria mit glutvollem Mezzo, die das Schicksal ihrer Figur, die auch die Vestalin einschließt, damit sehr glaubhaft macht. In kleineren Rollen treten noch Miklós Sebestyén als Tigellino, Taylan Reinhard als Gobrias, Ilya Kutyukhin als Dositèo, Katrin Wundsam als Cerinto und Pèrside, Hyunduk Kim als Primo Viandante sowie Shira Patchornik als die Voce di donna auf. Der Prager Philharmonische Chor glänzt vor allem in den großen Christen-Szenen. Ein denkwürdiger Abend im Bregenzer Festspielhaus, der trotz aller Problematik des Stücks eine Wiederaufnahme an anderem Ort sinnvoll macht, durchaus auch in dieser Inszenierung.     

 

Fotos: Bregenzer Festspiele/Karl Forster                                        

                                                                                                                           

Klaus Billand/6.9.2021

www.klaus-billand.com

 

 

DAS RHEINGOLD

Premiere am 1. August 2021

Halbszenisch spannender Vorabend zum „Ring des Nibelungen“ in Rhein-Nähe

Zum 75. Jubiläum der Bregenzer Festspiele führte man in der Matinee ein „Orchesterkonzert“ mit den Wiener Symphonikern unter deren neuem Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada auf, das aber, de facto, wie auch von Christiane Plank-Baldauf im Programmheft festgehalten, eine halbszenische Produktion von Richard Wagners Vorabend des „Ring des Nibelungen“ wurde. Man sah als wichtige Determinante für die relativ ungewöhnliche Aufführung des „Rheingold“ in Bregenz dessen Bezug zum Rhein, der ganz in der Nähe der Stadt in den Bodensee mündet und von dort seine lange und geschichtsträchtige Reise (Worms, Xanten, Loreley, et al.) als eine der auch historisch bedeutendsten Wasserstraßen Europas nach Norden antritt. So bildet der Festspielort Bregenz in den Augen der Veranstalter auch einen Teil der Handlung, zumindest assoziativ.

 

Vor diesem Hintergrund entschied man sich, dem Orchester eine durchaus dramaturgische Rolle zuzuweisen, indem es gestaffelt und damit in allen Instumentengruppen gut sichtbar auf der Bühne ansteigend platziert wurde und sich im hinteren Mittelpunkt eine kleine Plattform erhebt, auf der bestimmte wichtige Szenen der Handlung stattfinden, beispielsweise die Überlistung Alberichs und das Finale mit dem Einzug der Götter in ein imaginäres Walhall. Dieses ist am Ende filmisch der Sprung der Götter in den nahen Bodensee (“Ihrem Ende eilen sie zu…”). Die meiste Aktion spielt sich aber im Vorraum vor dem Orchester ab, wo gleich zu Beginn die drei Rheintöchter elegant in Frack und Pumps hereinstaken und sich gemütlich auf Liegestühle setzen. Alberich kommt von unten zu ihnen hoch.

Ein bedeutende Rolle spielt die Lichtregie, die mit grellen Blendungen und Lichtfacetten sowie Videos das Geschehen von hinten gelegentlich intensivieren und dramatisieren. Johannes Erath ist für diese weitgehend gelungene szenische Einrichtung, die auch kostümmäßig in schwarz-grau Tönen gehalten ist, verantwortlich. Störend allerdings sind die Beleuchtungen der Notenpulte in den ersten Orchesterreihen und am Dirigentenpult. Sie blendeten erheblich in die ersten Reihen des Parketts und waren damit genau das Gegenteil dessen, was im Programmheft als Vorteil des Bayreuther Orchesters gewürdigt wird, nämlich die dort nicht gegebene Störung durch das Orchesterlicht.

 

Dennoch entwickelte sich dieses „Reingold“ auf spannende und unterhaltsame Art und Weise mit wenigen szenischen Details, die aber die wichtigsten Handlungselemente des Vorabends in überzeugender Weise darstellten. Bei der Besetzung gab es indes Licht und Schatten. Brian Mulligan war ein zwar engagierter, aber stimmlich doch zu leichter Wotan mit ausbaufähigem Volumen. Annika Schlicht gab wie schon im neuen Berliner „Ring“ eine souveräne Fricka mit warm strömendem und bisweilen leuchtendem Mezzo. Will Hartmann war mir von Lissabon 2006 als exzellenter Loge in Erinnerung. Diesmal klang seine Stimme brüchig und nicht mehr höhensicher, während er die Rolle mit großer Intensität verkörperte. Die drei Rheintöchter sangen auf internationalem Spitzenniveau, Liv Redpath als Woglinde, Svetlina Stoyanova als Wellgunde und Claudia Huckle als Flosshilde, die auch wieder als kraftvoll mahnende Erda tätig war.

Eine ganz hervorragende Leistung lieferte John Heuzenroeder in seinem Debut als Mime ab, das er nicht nur theatralisch einnehmend umzusetzen wusste, sondern auch mit einem klangvollen und in weitere Wagner-Sphären weisenden Tenor sang. Er hat bereits den Loge einstudiert und wäre sicher ein sehr interessanter Sänger für diese Rolle. Levente Páll als Fasolt und Dimitry Ivashchenko als Fafner blieben stimmlich etwas blass. Einen starken Gewitterzauber und damit auf mehr Hoffnung machend sang der junge Michael Nagl als Donner. Patrik Reiter konnte als Froh ebenso gut überzeugen wie Gal James als Freia. Martin Winkler war als Alberich wegen Erkrankung ausgefallen, sodass Markus Brück die Rolle übernahm. Das machte er darstellerisch exzellent, stimmlich war mir seine Interpretation eine Spur zu lyrisch für diese Rolle, die er gleichwohl intensiv interpretierte.

Andrés Orozco-Estrada trieb mit seinen Wiener Symphonikern die „Rheingold“-Handlung mit viel Verve und Dynamik voran, gestaltete aber kontemplative Momente wie den Erda-Auftritt mit viel Feingefühl und stets guter Sängerführung. Auch die Ambosse zum Nibelheim-Bild klangen großartig, insbesondere nach dem wilden orchestralen Crescendo davor. Überraschend fand ich, dass vor dem Vierten Bild eine Pause eingelegt wurde. Das habe ich bei meinen doch recht zahlreichen „Rheingold“-Besuchen in über 50 Jahren noch nie erlebt. Und nun ausgerechnet in Bregenz…       

 

Fotos: Dietmar Mathis                                              

 

Klaus Billand/18.8.2021

www.klaus-billand.com

 

 

NERONE

Nero: Der sensible Bösewicht

Arrigo Boitos unvollendete Oper neu aufgeführt in Bregenz

 

Durch die übermächtige Klangglocke tief ins Fauteuil des Festspielhauses gedrängt, durch die Wucht der vielstimmigen Chöre (in Mailand bei der Premiere am 1. Mai 1924 waren es 700 Sänger) etwas benommen, kann man diesen musikalischen Tsunami oft nur durch das Schliessen der Augen einigermassen überleben. Doch wenn man diese wieder öffnet schaut man fassungslos auf die Bühne. Was bitte wird denn dort nur gespielt und wer genau nimmt nun daran teil ? Das Allround-Genie Arrigo Boito; Komponist, Librettist ,Schriftsteller, Poet, Übersetzer, Freiheitskämpfer und Senator der italienischen Republik und hat für sein Gesamtkunstwerk keine lineare Handlung vorgesehen, sondern zeigt Szenen aus dem ‚Nero‘-nischen Universum: Ein Sittengemälde geprägt durch Mutter-, Bruder- und Gattenmord,, die Ausbreitung der Christen im römischen Imperium und deren sadistischer Verfolgung. Es zeigt diverse konkurrierende Religionen, Konkurrenzgerangel von deren Vertretern, härteste politische Machtkämpfe, sowie hinterhältigste Intrigen. Ein buntes Kaleidoskop menschlicher Gemeinheiten. Und dazu kommt natürlich der berühmte Brand von Rom, den Nero befohlen haben soll um Inspiration für seine Gesänge zu haben. Doch Autor Arrigo Boito sieht Nero komplexer, nicht einfach als Bösewicht, sondern hin-und hergerissen zwischen Gut und Böse, seinen Neigungen und Pflichten, und spricht ihn erstmal vom Muttermord und der Brandstiftung frei. Ganz im Einklang mit der heutigen Nero-Forschung. Boito zeigt Nero nicht nur als grausamen, ja sadistischen, egozentrischen Kaiser mit absolutem Machtanspruch, sondern auch als weichen, musischen Menschen, beeinflussbar vor allem durch die Frauen in seinem Leben wie seine machtgierige Mutter Agrippina und seine zweite Frau Poppea. Doch seine Regentschaft begann mit durchaus volksbezogenen politischen Ansätzen.

 

 

Denn dies war Nero’s Hintergrund und Werdegang:

Römische Kaiser konnten nur die Nachkommen von Augustus werden. Neros Mutter, Agrippina, war eine Urenkelin Octavians .

Doch Nero bekam als Kind keine Erziehung, die ihn zum römischen Kaiser formte. Durch die Verbannung seiner Mutter, die ihren Bruder Tiberius von Thron stossen wollte, erzog ihn eine Tante und deren Vertraute; ein Barbier und ein Schauspieler. Diese weckten im Kind die Neigung zu Künsten wie Musik, Gesang, und Schauspiel; ganz unrömische Vorlieben, die von der Nobiltà damals verachtet wurden. Echte Römer, speziell die Adligen, interessierten sich nur für Dinge, die das Reich und die Macht Roms vergrösserten; also militärische Tugenden und politische Strategien. Neros Beschäftigungen galten bei seiner Schicht als Sklavenvorlieben. Nach ihrer Verbannung organisierte Agrippina den Philosophen und Schriftsteller Seneca als Nero’s Lehrer. Eine illuminierte Wahl, doch Senecas Visionen fielen bei Nero auf fruchtbaren Boden und brachten ihn bei der Führungsklasse auch wieder in Schwierigkeiten. So ersuchte er als Kaiser ein Gesetz ausser Kraft zu setzen, das vorsah, dass alle Sklaven eines Haushalts getötet werden mussten falls einer von ihnen seinem Herrn böse wollte. Im speziellen Fall wollte Nero die Leben von 600 Menschen retten. Doch unter dem Druck des Senats musste er diese Reform zurückziehen; wie später andere auch. So verlegte er sich immer mehr auf seine Vorlieben, die ihn in seinen Kreisen lächerlich machten. Ausserdem wurde er von seiner Mutter manipuliert, die selbst Kaiser sein wollte und dazu ein Netzwerk von besten Verbindungen und sowie ein riesiges Vermögen einsetzen konnte.

Beim Volk allerdings erfreute sich Nero grösster Beliebtheit, auch wegen seiner Neigung zu ‚Brot und Spielen’, die sogar seinen Mord an seinem Halbbruder wie den an seiner Mutter überdauerte. Erst als er seine sehr beliebte erste Frau zwingen liess sich die Pulsadern zu öffnen um nach ihr Poppea heiraten zu können reduzierte sich seine Popularität. Poppea, von ähnlichem Charakter wie seine Mutter, manipulierte Nero wie eine Handpuppe während der Zeit ihrer Ehe.

 

 

Dieser kaleidoskopartig komplexe Charakter Nero ist bei Boito weniger Handelnder als Beobachter oder Manipulierter. Nicht die Hauptperson der Oper, ausser dass diese als Monumentalgemälde dargestellte Zeit seinen Namen trägt. Wenn schon, dann müsste man Simon Mago, eine Jago- ähnliche Gestalt, Neros Einflüsterer und Manipulator, als Bösewicht sehen. Mago, ein Agnostiker, versucht Nero, geschwächt durch Gewissensbisse nach dem Mord an seiner Mutter, die Macht abzujagen. Er erliegt schliesslich seinen eigenen Intrigen und wird dazu verurteil sich gleich Phaethon fliegend über das brennende Rom erheben; was er nicht überlebt

 

Die Oper ‚Nerone‘, musikalisch wie thematisch äusserst kompliziert und vielschichtig angelegt, sollte eigentlich Boitos ‚Lebenswerk‘ werden; ein Gesamtkunstwerk, an dem er 50 Jahre lang arbeitete,

und dann doch unvollendet zurück liess. Er verfasste es nach den Regeln der 'Scapigliatura' (Wuschelkopf), einer nach Freiheit drängenden, revolutionären Intellektuellenbewegung, die sich auch gegen die ‚Nummernoper‘ und bourgeoise Formen wandte. Wahrscheinlich kommt daher das skizzenhafte Libretto ohne Handlungsstrang.

Als musikalische Einflüsse werden immer wieder Beethoven zitiert, wohl für das Komplexe, Richard Wagner für das Rauschhafte, und Hector Berlioz für das allumfassende Klangerlebnis.

Doch der Komponist beherrscht auch die leisen, innigen Töne wie das Duett im letzten Akt zeigt von Christenführer Fanuél -mit Dornenkrone und Petrusstab- gesungen mit Rubria, Vestalin und Christin, die während der Gemetzel im Zirkus Maximus und des Brandes von Rom tödlich verletzt wurde. Hier setzt sich die neue Weltordnung durch während die alte in der Asche versinkt. Diese wird durch Musik in einer anderen Tonart angedeutet. Doch ein Ausblick in diese neue Zeit fehlt der Oper. Vielleicht waren es die noch fehlenden Visionen in der Musik, die Boito hemmten die Oper fertig zu schreiben, denn das Libretto dafür war ja vorhanden.

 

 

Die Bregenzer Inszenierung beeindruckt vor allem durch die musikalische Umsetzung durch die Wiener Symphoniker, den Prager Philharmonischen Chor, sowie die elektronischen Einspielungen unter der musikalischen Gesamtleitung von Dirk Kaftan, der darauf hinweist, dass Boito auch musikalisch ‚die diversen Welten nebeneinander stellt, in einer Art Mosaiktechnik, die aber als Ganzes betrachtet eben doch eine Einheit bildet.‘ Klangwelten, wie Regisseur Olivier Tamposi meint, ‚die Seelenzustände ausdrücken‘. Und diese alle mitzuempfinden, speziell die Gegensätze von Höhen und Tiefen, Zartem und Pompösen, Gutem und Grausamen, sind Gründe warum die Rezeption dieser Oper für das Publikum so anstrengend ist. Weitere Anforderungen liegen in der Inszenierung selbst. Sie ist gespickt mit Konnotationen, die nicht leicht ersichtlich sind. Warum nur geht ‚Nero‘-Herausforderer Simon Mago im ersten Akt auf Krücken und hat im zweiten Akt, in seinem Tempel spielend, riesige schwarze Flügel und keine Behinderung mehr ? Der Leichnam der Agrippina in giftgrünem Kleid ist während der ganzen Aufführung präsent, doch manchmal scheint sie zu leben. Nero zieht sich erst ihr Kleid und dann immer wieder den weissen Hermelinmantel an. Will er sein wie sie oder sich mit ihr posthum versöhnen ? Warum zieht sich der Prätorianer, der Agrippinas Leiche immer wieder herumschleppt und jeweils sehr vorsichtig umplaziert auf einmal vor ihr spitternackt aus ? Man fürchtet das Schlimmste. Doch er wendet sich ab und einer Nonne zu, die ihm das christliche Büsserhemd bringt. Woher diese Umkehr ? Ein Adler kommt immer wieder vor. Soll er an den Standarten - Adler der römischen Legionen erinnern, die die ‚Pax Romana‘ auch in entfernteste Regionen bringen ? Allerdings nicht während Neros Regentschaft; da blieb das Reich erstmals innerhalb seiner Grenzen.

 

 

Einige offene Fragen konnten wir per Internet in der Pause klären, andere erst zu Hause. Wahrscheinlich wurden etliche Hinweise übersehen, doch die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit war während der Oper fast völlig von der Musik absorbiert. Erst als die Oper zum zweiten Mal gesehen wurde, konnte man sich auch dem Geschehen auf der Bühne zuwenden. Und dieses war, sowohl bühnentechnisch wie von der Ausstattung her, ästhetisch bemerkenswert.   Speziell die immer blutverschmierten Kostüme der Sänger und Darsteller wirkten wie expressive moderne Gemälde (Kostümbildnerin Gesine Völlm). und die Drehbühnen vermitteln subtil ein Voranschreiten des Geschehens (Bühnenbildner Frank Philipp Schlössmann). Als Darsteller und Sänger überzeugten Lucio Gallo, als Simon Mago, als intriganter Vertreter der alten magischen Ordnung mit seinen heidnischen Ritualen, sowie Brett Polegato als Jesus/Paulus Nachkomme Fanuèl und somit Vertreter des erleuchteten, ‚reinen‘ Zeitalters wie auch Svetlana Aksenova als leidenschaftlich in ihren Gott Nero verliebte Asteria und eigentliche Brandstifterin und Alessandra Volpe, als die Vestalin/Christin Rubria . ‚Nero‘ Rafael Rojas bleibt, seiner Rolle angemessen, eher etwas blass.

Dieses vielschichtige, farbige und wuchtige Opernerlebnis hätte es verdient wieder aufgenommen und mehrfach gespielt zu werden. Denn für einen Besuch allein ist es definitiv zu überwältigend.

 

Hinweis: Sonntag, den 8. August 2021 ORF 3,

21 h 45 Aufzeichnung von ‚Nerone‘

 

Bilder (c) Karl Forster

Dagmar Wacker, 8.8.2021

 

 

 

 

Ein durchgetaktetes Vergnügungs-Spektakel

Rigoletto-Aufführung am 9. August

 

Information ist gewöhnlich alles. Doch manchmal hindert einen ein Zuviel an Information auch daran, Dinge unbefangen und freudig zu genießen. So geschehen bei „Rigoletto“, einer der aufwändigsten Inszenierungen, die man sich nur vorstellen kann. Wer vor der Aufführung – wie die Kritikerin – jede Menge Videos, Beiträge und Kommentare zur Bregenzer Version der Verdi-Oper konsumierte, brachte sich damit eventuell um ziemlich viel Genuss. Schade, wirklich schade, denn sonst hätte es rein subjektiv ein noch wesentlich „tollerer“ Abend werden können: Mit dem Schiff, von Lindau kommend, schaukelt man mit einem Großteil der Besucher gemütlich in Österreich an Land, direkt neben die Seebühne.

Eben noch ein Glas Sekt in der Hand, staunen viele nun Bauklötze beim Anblick eines riesigen Clown-Schädels aus Holz in Dimensionen, wie man sie noch nie gesehen hat. Ein enormer Kopf, der noch dazu ein Eigenleben besitzt, lacht, weint, mit den Augen rollt, bis ihm diese im Verlauf der Handlung aus den Höhlen rollen. Unglaublich, unfassbar, nie gesehen! Nase und Lippen sind in grellem Rot geschminkt, die Farbe ist verwischt und korrespondiert mit der im Hintergrund untergehenden Sonne. Dazu: Zwei gigantomanische Hände, rechts und links von besagtem Kopf, dessen Halskrause als Hauptbühne dient. Beide Extremitäten ragen armlos aus dem Wasser, können sich öffnen und schließen, werden von Sängern bestiegen, drücken Gefühle zwischen Hoffnung und Verzweiflung aus. Ja mehr noch: Aus einer Hand ragt sogar ein gelb-weißer, vom TÜV genauestens überprüfter Ballon. In dem Gilda, die Schöne - Rigolettos Tochter – dann mehrfach emporsteigt, bis man sie in 40 Metern Höhe eben noch erkennen kann. Immer wieder wirbeln und turnen Sänger und Nebendarsteller herum. Sie zeigen in Zirkuskostümen aus dem 19. Jahrhundert, wie verspielt diese Verdi-Welt zunächst ist; bevor sie inhaltlich und tatsächlich in den Abgrund stürzt. Wow, was für eine Manege wurde da quasi aus dem Nichts in den glitzernden See gezaubert!

Doch gleich erfolgt die ernüchternde Einsicht: Das kenne ich alles schon. Aus Filmchen im Internet, aus Fernsehbeiträgen, aus Zeitungsartikeln. Der erste Eindruck war also schon vor dem eigentlichen Opernabend da und macht ein unbekümmertes In-Augenschein-nehmen zunichte. Dennoch erweist sich dieser „Rigoletto“ in der Inszenierung von Philipp Stölz als kunterbunte Augenweide, die man nicht so leicht vergisst. Enrique Mazzola und Daniele Squeo tragen als musikalische Leiter mit fein ziselierten, ja durchtechnisierten Tönen dazu bei, dass die Noten makellos über den See schweben. Sehr oft schon ist über das perfektionierte Klangsystem in Bregenz geschrieben worden: Wie sie dort am Sound basteln, bis da nichts mehr wackelt oder sonst ein nicht erwünschtes tonales Eigenleben führt. Gerade diese Unfehlbarkeit wirkt aber auch steril - ein am Mischpult mit-generierter, 100 %iger Verdi lässt individuelle Nuancen vermissen. Vielleicht ist das aber auch zuviel gemeckert, schließlich sorgt die ausgetüftelte Technik in Bregenz dafür, dass der Ton immer genau den jeweils singenden Personen zugeordnet werden kann. Eine Besonderheit, die sich ziemlich positiv auf das Verständnis des Ganzen auswirkt und damit zum Genuss der Story beiträgt.

Diese „geht“ wie folgt: Der moralisch fragwürdige Herzog von Mantua zeigt sich keinem Liebes-Abenteuer abgeneigt. Wobei er notfalls auch ziemlich krumme Wege geht - was den weltbekannten italienischen Komponisten ja nicht daran gehindert hat, dem Fiesling ausgerechnet einige seiner schönsten Arien in den Mund zu legen. Rigoletto, ein buckliger Hofnarr, verspottet die Opfer seines Herrn, statt sie zu schützen. Sein eigenes Herz gilt nur Gilda, seiner schönen Tochter. Der Graf von Monterone verflucht eines Tages Rigoletto, der nichts getan hat, um sein Kind vor den Nachstellungen des Herzogs zu schützen. Schließlich wird auch Gilda von der korrumpierten Hofgesellschaft entführt, welche in ihr fälschlicherweise die Geliebte des Narren sieht. Im Palast erklärt Gilda später ihrem Vater, dass sie von dem sexgierigen Adligen verführt wurde. Daraufhin dingt der erzürnte Rigoletto den Mörder Sparafucile, um den Herzog umbringen zu lassen. Doch Sparafucile ersticht stattdessen Gilda, welche sich zum Schutz über ihren Geliebten wirft. Und damit hat sich der Fluch des Grafen von Monterone gegen Rigoletto bewahrheitet.

Auf, um und um die Bühne (Philipp Stölzl, Heike Vollmer) herum sorgt ein immenses Spektakel dafür, dass es nie langweilig wird. Dazu zählen teure Spezialeffekte, betont knallige Kostüme (Kathi Maurer) Feuerwerk sowie Stunts (Wendy Hesketh-Ogilvie) teils in luftigen Höhen, was den Darstellern eine Menge abverlangt. Von Bregenz ist man solchen aufregenden Tamtam jedoch gewöhnt, die Seebühne hat schon einiges in dieser Richtung gesehen. Und wird wohl weiterhin ausverkauft sein, wenn der Hofnarr Rigoletto 2020 wieder voller Kapriolen - wie auch voller Tragik - über die Bretter springt.

 

Daniela Eggert 17.9.2019

Bilder sihe unten Premierenbesprechung

 

 

 

Jules Massenet

DON QUICHOTTE

Premiere vom 18.7.2019

 

 

Jules Massenet war bereits 68 Jahre alt, als die Uraufführung seiner Oper „DON QUICHOTTE“ in Monte Carlo am 19. Februar 1910 stattfand. Beeindruckt von der Geschichte Cervantes um den Ritter der traurigen Gestalt und dessen Schicksals, schrieb Henri Cain das Libretto. Keinem geringeren, als dem berühmten russischen Bassist Fjodor Schaljapin, widmete Massenet diese Oper. Der war ungeheuer berührt von dieser Rolle. Das Werk hatte einen großen Erfolg.

Dass es eine ganz spezielle Sicht auf die Handlung geben wird, war schon vor Beginn der Aufführung zu erkennen. Auf einer Leinwand vor dem roten Vorhang wurde Werbung eines Großkonzerns für Rasierklingen gezeigt und man war irritiert, dies in der Oper zu sehen. Darin wurde dem Männerideal gehuldigt. Da erhob sich aus dem Zuschauerraum eine empörte Stimme und tat ihren Unmut über diese Art der Werbung lauthals kund. Dieser „Zuschauer“ gehörte zur Inszenierung und leitete so bereits über zum Thema des Don Quichotte, welcher im Kampf gegen sichtbare und unsichtbare Bedrohungen seinen Weg geht.

Wir erleben dann einen Lauf durch die Zeit in den fünf total unterschiedlichen Bühnenbildern. Das erste Bild erfüllt die Erwartungen an eine Aufführung dieser Oper in klassischen Kulissen. Hier ist alles genauso, wie es wohl bei der Uraufführung schon ausgesehen hatte. Der Chor tanzt und spielt und Dulcinée singt vom Balkon. Don Quichotte erscheint auf seinem Pferd und Sancho Pansa mit dem Esel.

Im zweiten Akt werden wir direkt in die heutige Zeit katapultiert. Wir befinden uns in einem Badezimmer, wo Don Quichotte während dem Rasieren sein neues Gedicht erarbeitet und Sancho Pansa mit Laptop als langhaariger Rocker sitzt. Während Don Quichotte sich duscht, beklagt sich Sancho über sein karges Leben und die Frauen, welche alle Macht über die Männer haben.

Die kleine Ventilator oberhalb der Dusche welcher sich dreht, erscheint für Don Quichotte plötzlich als Bedrohung und er beginnt mit den Utensilien im Badezimmer einen Kampf gegen die immer grösser werdende eingebildete Bedrohung. Eine unglaublich originelle Umsetzung.

Der dritte Akt zeigt uns eine mit Graffiti besprayte Mauer und wir sehen Don Quichotte als Spiderman zusammen mit dem ängstlichen Sancho. Als ein paar Jugendliche auftauchen, meint Don Quichotte eine ganze Armee von Banditen zu erkennen und als diese als heutige Gang dargestellten Räuber über ihn herfallen und ihn bedrohen, fängt Don Quichotte zu beten an. Die halbstarken Jungs werden vor Rührung zu schwachen, emotionalen Menschen. Sie geben dem Ritter die gestohlene Kette von Dulcinée wieder retour und erbitten seinen Segen.

Das vierte Bild führt uns in einen Bürobetrieb, wo der normale Alltag herrscht. Dulcinée als umschwärmte Frau und die normalen Machtkämpfe innerhalb eines Betriebes. Als Quichotte erscheint um die gestohlene Kette retour zu bringen, ist Dulcinée begeistert. Als er ihr einen Heiratsantrag macht, wird er von Dulcinée und den Kollegen ausgelacht. Nachdem die beiden alleine sind, entschuldigt sich Dulcinée und wird von Don Quichotte gesegnet. Kaum hat sie den Raum verlassen, wird er erneut von den anderen ausgelacht. Sancho verteidigt seinen Herrn und verurteilt die Oberflächlichkeit der Menschen.

Im Schlussbild erscheint Dulcinée alleine und setzt sich vor eine Guckkastenbühne, auf welcher Don Quichotte mit Sancho vor einem wunderschönen Prospekt steht und geschwächt seinen Tod erwartet. Rückblickend auf seine Taten verspricht er Sacho eine Trauminsel. Als er die Stimme von Dulcinée vernimmt, stirbt er.

Mit dieser Inszenierung ist MARIAME CLÉMENT eine ganz neue Sicht auf die Geschichte dieser traurigen Gestalt gelungen. Man ist von Anfang an gefangen von den Ideen und kann auch herzhaft lachen über die Situationen, obwohl immer das Mitleid vorhanden ist. Es war auch faszinierend zu entdecken, wie oft der Text zu den umgesetzten neuen Bildern passte. Das unglaublich vielseitige Bühnenbild und die Kostüme von JULIA HANSEN, sowie die Lichtgestaltung von ULRIK GAD sind ein Wurf.

Es ist auch gelungen, ein Ensemble zu finden, welches idealer nicht für eine solche Umsetzung denkbar ist.

An allererster Stelle muss GABOR BRETZ genannt werden, welcher seinen ersten Don Quichotte gesungen hat und mit seiner Stimme diese Rolle bestens ausfüllt. In dieser Inszenierung ist eine bedeutende schauspielerische Leistung zu erbringen und diese wurde voll und ganz erfüllt.

DAVID STOUT als Sancho Pansa überzeugte mit seiner sehr flexiblen Stimme als gefühlsvoller Begleiter des Ritters, aber auch als wütender Mann. Die Dulcinée wurde ANNA GORYACHOVA mit tiefem Mezzo und viel Eleganz gesungen. Sie passte Ideal in die Rolle dieser arroganten aber auch leidenden Frau.

Die jungen Sänger LÉONIE RENAUD als Pedro, VERA MARIA BITTER als Garcias, PAUL SCHWEINESTER als Rodriguez und PATRIK REITER als Juan haben in Ihren Partien bestens harmoniert und mit großem Engagement gespielt. ELIE CHAPUS als Anführer der Banditen spielte diesen Part äußerst glaubhaft. FELIX DEFÈR war der Mann im Zuschauerraum, welcher das Publikum am Anfang verwirrte.

Großartig auch der PRAGER PHILHARMONISCHE CHOR, welcher eine unglaubliche Spielfreude zeigte und hervorragend sang. Kompliment für diese Leistung. Am Pult der WIENER SYMPHONIKER stand der junge Dirigent DANIEL COHEN. Unter seiner Leitung entfaltete das Orchester einen sehr emotionalen und differenzierten Klang dieser wunderbaren Musik von Jules Massenet.Fazit: Man kann diese Aufführung als Gesamtkunstwerk betrachten.

 

© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Marco Stücklin  30-7-2019

Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN

 

RIGOLETTO

Premiere am 17. Juli 2019

Atemberaubendes Spektakel setzt Maßstäbe

Zu Beginn werden die Zuschauer von einem Clown (siehe unten) ausdrücklich aufgefordert jetzt (und nicht später!) zu fotografieren, denn auch auf der Seebühne ist das Fotografieren während der Aufführung aus verständlichen Gründen verboten.

Was heuer Regisseur Philip Stölzl in perfekter Zusammenarbeit mit Bühnenbildnerin Heike Vollmer auf die Seebühne bringt, setzt neue Maßstäbe der Musiktheaterunterhaltung. Gleiches wäre zu konstatieren für die geradezu phänomenale Klangqualität der wahrscheinlich besten und teuersten Outdoor-Highend-Anlage der Welt. Die Wiener Symphoniker unter der vorzüglichen Leitung von Enrique Mazzola klangen geradezu göttlich.

Die Lautsprecher waren diesmal teilweise auf hohen Türmen und im Wasser platziert. Flächendeckend erbrachte das ein Klangbild von so grandioser Transparenz, Klarheit und auch Fortissimo-Brillanz, daß dagegen ein Liveorchester im normalen Opernhaus nur ein laues Lüftchen ist. Man konnte jedes Instrument orten, und auch die Soloinstrumente kamen losgelöst, glasklar und glockenrein rüber, als säßen die Musiker unsichtbar vor der gigantischen Zuschauer-Tribüne in räumlicher Verteilung bis auf 20 Meter Höhe. Tatsächlich sitzen sie und der Chor im Festspielhaus und werden jeden Abend neu zu den Solisten von einer Handvoll perfekt arbeitender Tontechniker eingemischt. Die Sänger tragen wasserfeste Mikroports, denn bei Regen wird nicht notwendigerweise abgebrochen - erst bei Gewitter.

Die ungeheure Arbeit der Technik bestand wie jedes Jahr darin, die auf der riesigen Bühne verteilt Solisten auch von ihrem exakten Standpunkt lokalisierbar erklingen zu lassen – z.B. singt Gilda (Melissa Petit) nicht nur atemberaubend aus einem Fesselballon in 20 Meter Höhe, sondern ist auch von dort oben klar akustisch ortbar. Es mußte selbst in dem Ballonkorb versteckte Lautsprecher geben. 

Der vorzügliche singende Herzog (Steven Costello) ertönte öfter aus dem Mund des riesigen Clowns aus unterschiedlichen Höhen. Am Ende hing er sogar hoch oben auf dem Kopf des Totenschädels in luftigen 15 Metern Höhe in einer Hängematte um sein „la donna e mobile“ zu trällern - oder war es der Stuntman? Egal, das ist ja der spezifische Bühnenzauber von Bregenz, wo nach Art eines David Copperfield mit Ablenkung, Tricks und Illusionen gearbeitet wird. Was immer so perfekt funktioniert, daß der Zuschauer manchmal wirklich nicht weiß, ob gerade die Heldin oder ihr Double da zu sehen und zu hören sind.

Wunderbarer, variantenreicher, bezirzender und unterhaltsamer kann man den Zauberkasten Opernbühne nicht präsentieren. Eine Wohltat nicht nur fürs begeisterte Publikum, sondern auch für den geplagten Kritiker, der sich die meiste Zeit des Jahres mit elender Tristesse freudlos düsterer Einheitsbühnenbilder oder ganz leergeräumten Bühnenräumen und Guckkastensärgen rumärgern muß. Dafür schon das erste Bravo!

Stölzl hat einen riesigen, über 15 Tonnen schweren, mit Holz beplankten Schädel kreiert, der am Ende eines gigantischen Kranauslegers fixiert ist und dreidimensional frei und lautlos in alle Richtungen horizontal wie vertikal bewegt werden kann wie das Hightech-Fahrwerk auf einer modernen Kirmes.

 

Überhaupt ist das Stichwort Nostalgie-Kirmes ein guter Oberbegriff für das Szenario. Alles wirkt irgendwie bekannt, wie ein fest installierter, aus den frühen Zwanzigern bekannter, alter traditioneller Rummelplatz; mit Fahrgeschäften in Holzbeplankungen, bunter Zirzensik, Kraftmenschen, Kuriositäten, Skurrilitäten und Abnormitäten wie Frauen mit acht Brüsten, dem wildem Treiben von domestizierten Affenmenschen, Messerwerfern und vielem mehr. Alles wunderbar lebendig in Szene gesetzt. Ein Oscar für die bunte Kostümvielfalt müßte dafür an

Kathi Maurer gehen.

 

Auch das Wired Aerial Theatre, welches in luftigen Höhen mit akrobatischen Aktionen und Seilartistik uns das Herz bis zum Halse schlagen läßt, sollte prämiert werden. Sie machen all die heiklen Stunts, die für Sänger wirklich zu gefährlich wären.

Trotzdem gehen die Künstler, wie stets in Bregenz, an körperliche Leistungsgrenzen, die in keinem Opernhaus gefordert würden. Wer hier singt, läßt sich mutig auf etwas gänzlich Ungewöhnliches ein. Dafür gilt allen mein nächstes pauschales Bravo!

Die Bühne dominiert nicht nur der Kopf, sondern rechts und links daneben sind zwölf Meter große beweglichen Hände. 

Ein weiteres Highlight ist der riesigen Clowns-Kragen als Spielfläche, die sich mechanisch schlagartig komplett zerlegen läßt, als wäre eine Bombe eingeschlagen, welche die Form in kleine Inseln zersplittert. Ein toller Theatercoup, der allerdings noch getoppt wird durch die unfaßbar variable Mimik, die der zentrale Clownskopf – eine durchaus hinterhältige Figur wie von Steven King – ausdrücken kann. Allein durch die Bewegung der großen Augen und des Mundes entstehen faszinierende Gesichter; gezeichnet anfangs von Horror, Hohn, Sarkasmus über Liebe und Freundlichkeit bis hin zum Elend der Verzweiflung und Ratlosigkeit am Ende, als wäre dieser Monsterkopf ein echter Mensch. Sogar ins Wasser des Bodensees taucht er ein. Und wenn er sich schließlich zu einem Totenkopf ohne Nase, Augen und Zähne verwandelt – exakte Parallele zur Opernhandlung, die ja im zweiten Teil den Tod signalisiert – dann wird auch das Licht (fabelhafte beleuchtet von Georg Veit) nur noch duster und unheimlich.

Zum veritablen Gewitter stürzen am Ende Tonnen von Wasserkaskaden (Tränen?) in der Gewitterszene durch die leeren Öffnungen. So etwas hat man noch nie gesehen! Auch das Gewitter klang so realistisch, daß nicht wenige Zuschauer spontan in den Himmel schauten. Die Mordszene wurde dann wurde eine regelrechte Geisterbahnfahrt eingeleitet, als bräche Dantes Inferno los. Flakartige Lichtwerfer und großen Scheinwerferbatterien, die perfekt das musikalische Gewittermotiv untermalten, blendeten das Auditorium und erzeugten eine Grusel-Stimmung, daß selbst abgebrühtesten Horrorfans der Atem stocken konnte.

Doch die Krönung von allem ist das Finale. Hier kehrt Stölzl wieder ganz werkgetreu zum kleinen Kammerspiel zurück. Der auf den Punkt herausragend und mit großem Atem singende Rigoletto (Vladimir Stoyanov) findet seine sterbende Tochter, wenn er den am Mittelfinger der riesigen Hand hängenden Sack entfernt, auf einer Schaukel. Während sie mit den letzten Tönen ihrer Partie das Leben auf der linken Bühnenseite aushaucht, gibt auf der rechten Seite die andere Hand den von innen illuminierten großen Fesselballon frei, der langsam bis auf fast 50 Meter Höhe in den Nachthimmel aufsteigt, aus welchem die personifizierte tote Seele von Gilda noch einen großen blauen Schleier herunterwirft, während die linke Hand sich zur Faust schließt und Rigoletto zerquetscht. Alles punktgenau zu den letzten Takten der Musik. Mit der allerletzten Note erlischt auch der Ballon. 

Puh! Wahnsinn! Was für ein herzergreifendes Ende! Was für ein grandioses Bild, das sich einem noch lange einbrennt und welches man nicht vergessen wird!

Das Publikum ist erst einmal erschlagen von solchen Bildern, bevor es stürmisch applaudiert und braviert. Zu Recht, denn mit diesem Rigoletto hat eine neue Ära in Bregenz begonnen. Bravissimo!

 

Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster und Anja Köhler / Der Opernfreund

 

Herzlichst Ihr Peter Bilsing, 20.07.2019

 

Credits

Musikalische Leitung Enrique Mazzola

Der Herzog von Mantua Stephen Costello
Rigoletto Vladimir Stoyanov
Gilda Mélissa Petit
Sparafucile Miklós Sebestyén​
Maddalena | Giovanna Katrin Wundsam ​
Der Graf von Monterone Kostas Smoriginas
Marullo Wolfgang Stefan Schwaiger​
Borsa Paul Schweinester ​
Der Graf von Ceprano Jorge Eleazar
Die Gräfin Léonie Renaud
​Page Hyunduk Kim

Bregenzer Festspielchor
Stuntmen Wired Aerial Theatre
Statisten der Bregenzer Festspiele
Bühnenmusik in Kooperation mit dem Vorarlberger Landeskonservatorium
Prager Philharmonischer Chor
Wiener Symphoniker

 

Post Scritum: Die TV Übertragung der 2. Pr :-(((((((((

Eben ging die Liveübertragung der 2. Aufführung von heute abend zuende. Was für eine Enttäuschung! Was für ein Ärgernis! Ein Zyniker könnte behaupten, daß Frau Rett eventuell die Bildregie hatte... Pars pro toto: der grandiose, ja begnadete Schluss - unten stirbt Gilda in der linken riesigen Hand, während der Ballon (Symbol ihrer toten Seele) aus der rechten Hand langsam bis auf 50 Meter Höhe aufsteigt, wobei ihr totes Alterego noch einen langen blauen Schleier herunterfallen lässt. Man sieht den leuchtenden Ballon auf dem TV Bild fast  gar nicht!

 
Exakt mit dem Schlussakkord geht der illuminierte Ballon aus... Sagenhaft!
Leider nicht im ORF-TV, weil die gefühllosen  Kameraleute wohl aus dem Eishockey oder Fussball kommen - Kamera immer da, wo der Puck bzw. der Sänger ist.
Wer trägt für so einen Mist und diese erbärmliche unsensible Ignoranz die Verantwortung? 
 
Und dieser sensationelle Riesenkopf, der gerade im ersten Akt so genial und ergreifend alle menschliche Mimik so erschütternd, wie genial begleitet und fast drohend über allem schwebt, wird meist nur von der Seite (einer fahrbaren Hängekamera, die wohl stolz das erste Mal bei einer Opernübertragung agiert) gefilmt - keinerlei zentrale Perspektive und die ist das wichtigste bei dieser fast cineastischen Produktion. Eine völlige Verzerrung des originalen Bühnenbildes. 
 
Auch sieht man kaum, dass sich wirklich Tonnen von Wasser aus den toten Augen ergiessen - ebenso vom total realistischen Gewitterdonner (die meisten Zuschauer guckten verblüfft nach oben) war fast nichts zu hören. Wo waren die riesigen Lichtbatterien, die toll koordiniert mit der Blitzmusik blendent ins Publikum strahlen? 
 
Wer live dabei war und dann diesen elenden Schmarrn sehen musste, sollte eigentlich bitterlich weinen. Die tollste Inszenierung seit 20 Jahren wurde vom einer verschlafenen ORF Bildregie vollkommen versaut. Dabei hatte man zwei Vorstellungen (GP und Premiere) Zeit sich einzurabeiten - unglaublich...
 
Ein Trost: die tollen Sänger kamen erheblich besser zur Geltung - man sang freier und schöner noch als bei der Premiere.                                                      P.B.
 
 

Impressionen 2019 aus dem Bregenzer Wald

Damüls (1500 M) ist ein, oft bis in den Mai hinein schneesicherer Wintersportort. Im Sommer ein unvergleichliches Wanderparadies. Und wenn es unten in Bregenz bis zu 38 Grad hat, dann lebt, wandert und schläft es sich oben in den Bergen kühler und gesünder. Mit der gratis Gästekarte, die jeder Übernachtende bekommt, sind öffentlicher Verkehr im ganzen Tal, Schwimmbäder und 10 Bergbahnen umsonst.

 Tatsächlich finden sich noch solch freie Wanderwege auf denen man auch in der sommerlichen Hochsaison kaum jemanden begegnet. Die Unterkünfte sind meist toll gelegen, das Preis-Leistungsverhältnius stimmt noch und viele verfügen über grandiose Ausblicke - wie z.B. hier aus dem Essenraum des Walisgaden.

Die üblichen österreichischen Spezialitäten wie Kässpatzen, Spinatknödel, die legendäre Käse- oder Knoblauchsuppe und Salzburger Nockerln schmecken kalorienreich lecker. Und natürlich - nicht zu vergessen den Kuchen - allen voran Hefezopf-Käsekuchen und der traumhaft frische Apfelstrudel. Die gesamte Region Bregenzer Wald ist ein bürgerliches noch durchaus preiswertes Gourmet-Paradies.

Zuletzt empfehle ich dringend einen Besuch im Rolls Royce Museum bei Dornbiel, wo man zur Eintrittskarte von 6 Euro noch eine charmante Führung bekommt.

Nein, liebe Opernfreunde, ich werde nicht vom Fremdenverkehrsamt bezahlt. Ich liebe einfach diese Region seit über 20 Jahren und empfehle Ihnen von ganzem Herzen sich dort oben irgendwo für mindestens eine Woche einzuquartieren. Runter zur Festspielbühne braucht man nur knapp 50 Kilometer - ca. eine Stunde.     P.B.

Alle Bilder (c) Der Opernfreund / Bil

 

 

 

 

 

BREGENZ 2018

"Ich suche jene, die an ein Stück glauben." 

(Elisabeth Sobotka, Intendantin)

 

 

Zukm Zweiten

CARMEN

Vorstellung am 9.8.2018

 

„Ich hörte gestern – werden Sie es glauben? Zum zwanzigsten Male Bizets Meisterstück. (…) Diese Musik scheint mir vollkommen. Sie kommt leicht, biegsam, mit Höflichkeit daher. Sie ist liebenswürdig, sie ‚schwitzt‘ nicht. (….) – Ohne Grimasse! Ohne Falschmünzerei! Ohne die Lüge des großen Stils! (…) Sie ist so unaffektiert und aufrichtig, dass ich sie praktisch ganz auswendig gelernt habe, von Anfang an.“

Was damals schon Friedrich Nietzsche begeisterte hat auch heute nichts von seiner Faszination verloren. Bei der Uraufführung 1875 zunächst von den Kritikern verschmäht, wurde das Werk nach Bizets Tod zu einem Klassiker.

Es wird langsam Abend am Bodensee, die letzten Schiffe mit Zuschauern legen am Steg neben der Bühne an. Der See glitzert im Licht der Scheinwerfer, und trotz leichten Regens herrscht eine gespannte Atmosphäre. Das ist es wohl, was neben der erstklassigen musikalischen und inszenatorischen Leistung die Großartigkeit der Bregenzer Festspiele ausmacht.

Plötzlich dringt Nebel aus dem unteren Teil der Kartenbühne. Wie aus einer anderen Welt erscheint sie mit den anderen Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik in Sevilla: Gaëlle Arquez (Carmen), die freiheitsliebende Königin der Herzen. Es ist nicht der erste Auftritt der Figur in dieser Inszenierung. Bereits zu Beginn des ersten Aktes sieht man Carmen als Kind (Lea Gratzer), die abseits von den anderen Kindern die Karten legt und somit das Schicksal zum ersten Mal herausfordert. Frustriert wirft sie die Karten in die Luft, eine Anspielung auf das imposante Bühnenbild von Es Devlin mit den vielen Spielkarten zwischen zwei Frauenhänden.

Dieses wird als Teil der Inszenierung von Kasper Holten bestens genutzt, um den Konflikt Carmens zwischen Freiheit und Hingabe an das Schicksal näher zu betrachten. Was dabei so fasziniert ist, dass sowohl auf als auch außerhalb der Bühne viel passiert. So schwimmt Carmen dem armen  Daniel Johansson (Don José) nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis einfach davon, die Zigeuner in Lillas Pastias Schenke tanzen mit wehenden Röcken im Wasser und  Cristina Pasaroiu (Micaëla) singt ihre Arie „Je dis, que rien ne m’épouvante“ während sie auf einer der großen Hände sitzt und sich abschließend in die von Feuern erleuchtete Höhle der Schmuggler herabseilt.

Besonders in Erinnerung bleiben wird auch die Schlüsselszene, in der Léonie Renaud und Marion Lebèque (Mércèdes und Frasquita) zusammen mit Carmen die Karten legen um das Schicksal zu befragen. Während bei den beiden glücklichen die Karten für Liebe und Reichtum groß auf die Bühne projiziert werden, ist es bei Carmen immer nur „la mort“, der Tod.

Das Motiv der Spielkarten bietet noch mehr Anlässe für weitere Interpretationen. So ist zu Beginn die Karte der Herzdame im oberen Teil der Bühne zu sehen, im Verlauf des Spiels rückt sie immer weiter nach unten. Vielleicht ein Motiv für Carmens abnehmende Lebenszeit, denn im Finale wird sie von Don José im See ertränkt.

Musikalisch hat die Aufführung in Bregenz die Erwartungen vollkommen erfüllt. Die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Jordan de Souza spielen das Werk präzise, mit großer Spielfreude und dem angemessenen Schwung.

Als Chöre waren ebenso mit viel Klangstärke und Präzision der Prager Philharmonische Chor sowie der Bregenzer Festspielchor zu hören, zudem noch der Kinderchor der Musikmittelschule Bregenz-Stadt.

Cristina Pasaroiu glänzte durch ihren klaren und präzisen Sopran sowie durch ihre sehr eindringliche und einfühlsame Darstellung der Micaëla. Besonders der Ausdruck während der Arie „Je dis, que rien ne m’épouvante“ ist in Erinnerung geblieben.

Daniel Johansson sang den Don José souverän, sehr emotional war die Darstellung des Finales und der inneren Zerrissenheit seiner Rolle. Rafael Fingerlos präsentierte sich gut als Sergeant Moralès.

Andrew Foster-Williams als Stierkämpfer Escamillo schaffte es, die feurige Carmen zu verführen als er mit dem Boot in der Schmugglerhöhle auftaucht um ihr seine Liebe zu gestehen. Als weitere Darsteller konnten Yasushi Hirano (Zuniga), Dariusz Perczak (Le Dancaïre) und István Horváth (Le Remendado) in ihren Rollen überzeugen.

Gaëlle Arquez als Carmen ist bei der Aufführung sowohl mit ihrer stimmlichen als auch mit ihrer schauspielerischen Leistung aufgefallen, ihr gelang es den Stolz und die Verführungskünste ihrer Rolle eindrucksvoll zu präsentieren. Ihre Soli beim Habanera sowie beim Zigeunerlied bekamen jeweils Zwischenapplaus vom Publikum.

Zu Recht wurde daher diese sensationelle Leistung des Ensembles mit einem großen Schlussapplaus und Bravorufen gefeiert. Die Befürchtung, dass sich die Menge von fast 7000 Zuschauern negativ auf die Atmosphäre auswirken könnte hat sich nicht bestätigt, es war den Darstellern anzumerken wie sehr sie das Spiel auf dem See genossen haben.

Katrin Düsterhus 12.8.2018

Übernahme eines Beitrags unserer Freunde vom OPERNMAGAZIN

Bilder siehe unten Premierenbesprechung!

 

CARMEN

Wiederaufnahme der erfolgreichen Produktion von 2017

Premiere am 19. Juli 2018

 

 

Dieses Jahr hatten die Besucher Glück, großes Glück, denn ich erinnere mich in den letzten zehn Jahren nicht an einen einzigen derartigen Premieren-Bilderbuchtag, wo man kurzärmlig bis fast zur Mitternacht noch angenehm genießen konnte. Wobei die 34 Grad Tagestemperatur sich zu angenehmen 24 noch gegen Mitternacht gerierten. Das obligate Bregenz-Pack – Wanderschuhe, Regenjacke, Südwester oder Filzhut und eine zusätzlich aufknöpfbare Regenhose – blieben unausgepackt. Allerdings ist das Sitzkissen für alle Menschen, die mehr als 50 Kg wiegen, weiterhin obligatorisch. Zwei pausenlose Stunden wollen ausgesessen sein – egal wie spannend und unterhaltsam die Produktion ist. Und hier gleich, wie im letzten Jahr, mein höchstes Lob vorweg: Unterhaltsamer und kurzweiliger wird man dieses Werk (und ich spreche nach bald 50-jähriger Opernerfahrung) selten erleben.

Wer in Bizets Volks-Oper Tiefen-Psychologie, Seriosität, Stimmporno und esoterische Reflektion sucht oder gar hohe Cs zählt, ist in Bregenz so fehl am Platz, wie der Partitur-Mitleser, der Schellackplatten-Sammler und Venylkenner mit seinen 384 Aufnahmen. Die Bregenzer Carmen ist einfach nur wunderbare Unterhaltung für alle auf durchaus akzeptablem internationalem Opernniveau. Und die Geschichte wird weder verfremdet noch unwerktreu gespielt. Publikumsflucht, wie ich sie in letzter Zeit immer öfter erlebe, findet a.) wegen fehlender Pause und b.) weil alles wirklich liebevoll - der Regisseur hasst die Oper nicht - inszeniert wird, nicht statt. Alle fühlen sich wohl und man geht fröhlich das bekannte Torero-Lied summend nach Hause.

Oper in Bregenz ist stets ein Spektakel – ein musikalisch, zirzensisches Gesamtkunstwerk mit Feuerwerk, viel Wasser und atemberaubenden Stunts. Eine zauberhafte Erlebniswelt mit der Musik von Bizet tut sich vor den staunenden Augen der Zuschauer auf. Dass dies am Ende nicht mehr ganz so viel mit Bizets ohnehin meist völlig überschätztem Werk – Folklore hin, Tiefenpsychologie oder Seelendrama her – namens „Carmen“ zu tun hat, ist völlig egal. Darum geht es ja auch gar nicht, denn auf der Giganto-Bühne ist Carmen ein kleiner roter Punkt und Don José ein kleiner gelber im wilden Wirrwarr einer Hundertschaft höchst mobiler Statisten, Künstler und Protagonisten. Ein guter Wanderer-Feldstecher (mind. 7 x 50) lohnt immer, auch wenn viele Bilder großflächig auf die Spielkarten projiziert werden, wie bei einem modernen Rockfestival. Hier will man das Publikum auf höchstem technisch zu realisierbarem Niveau, mit phänomenaler Tontechnik und unglaublichen dreidimensionalen Bühnenbildern einfach nur unterhalten und begeistern. Oper soll Spaß machen. Die Zuschauer müssen nicht leiden...

Wenn die ersten Takte der Musik perfekt aufgefächert und technisch ausziseliert, besser als in jedem Opernhaus, breitwandig in High End über 400 versteckte HiFi-Lautsprecher aus der sicherlich teuersten Tonanalage der Welt auf das Publikum überschwappen, dann werden auch bei Ihnen die Ohren Augen machen (alter Werbespruch ;-), denn die ersten Orchestertöne, die ja gerade bei Bizets Carmen besonders furios sind, explodieren förmlich. Man kann ohne Übertreibung sagen: diese Anlage klingt sicherlich besser als das, was die meisten Zuschauer zuhause haben – egal wie groß die Boxen sind. Und das Wunderbare ist, man sieht die Lautsprecher nicht. Orchester und Techniker sitzen zwar im Trockenen im Festspielhaus, aber alles kommt eins-zu-eins live rüber dank der Arbeit eines Dutzends versteckter brillanter Tontechniker, die auch ganz gezielt die Mikroports der Sänger je nach Position aus- und ansteuern. Was für eine Heidenarbeit!

Wenn also Micaela ganz oben in 30 Metern Höhe auf dem Finger der Kartenspielerin erscheint und singt, dann hört man sie auch von genau da. Natürlich wird sie für den spektakulären Abstieg gedoubelt, was der überwiegende Teil des Publikums kaum merkt, denn das ist so perfekt gemacht, wie der Austausch der singenden Carmen in die optisch gleiche Stuntfrau, die sich dann auf der Flucht kopfüber ins Wasser stürzt und in bewundernswertem Meisterschwimmer Kraulstil entkommt. 

Und wenn am Ende Carmen im seichten Wasser strampelnd mit dem Gesicht nach unten solange heruntergedrückt gewürgt wird, bis sie zu Tode erschlafft scheinbar ertrunken im Wasser treibt, dann leistet die jeweilige Sängerin Gewaltiges und selbst der abgebrühte Rezensent konnte keinen Austausch wahrnehmen; den gab es auch nicht, daher mein größter Respekt nicht nur für die grandiose Sangesleistung von Gaelle Arquez (Carmen), sondern für ihren Wagemut, denn sie trägt ein unsichtbares Atemgerät unter ihrem voluminösen Kleid und atmet natürlich dann unter Wasser per Mundstück weiter, als ihr Körper erwürgt im Tode erschlafft.

Hat man früher noch aktiv mit Tauchern gearbeitet, die allerdings auch heute präsent sind für den Notfall, traut man solche Effekte im Jahr 2018 durchaus auch den sportlichen Künstlern zu. Heutige akzeptable Musiktheaterdarsteller sollten das bringen, gerade wenn sie in Bregenz auftreten. Oldstars wie z.B. Pavarotti, Caballé oder manch amerikanische heutige Diva würde das kaum überleben. Daher noch einmal mein Riesenrespekt vor allen Künstlern – wer hier singt ist mutig und abgehärtet, denn die sonst gelegentlich beinharte Wetterunbill verlangt viel. Da wird meist durchgesungen wenn es regnet… Dass in solchen Fällen auch die 7000 Zuschauer fast unisono zwar in ihre Regencapes schlüpfen, aber nicht ins Trockene oder Warme fliehen, zeigt das ungeheure Gefühl der Verbundenheit welches so schöne Musik evoziert. Man ist – und das ist das Wunderbare und Einzigartige in Bregenz – egal ob Musikkenner oder Laie oder sogar Opern-Erstbesucher im Sound herrlicher Musik verbunden vereint und genießt das einmalige Erlebnis. Ach wie schön sind doch diese Seefestspiele immer wieder aufs Neue.

Die grandiose 8 Millionen Euro teure Bühne (ausgiebige Würdigung siehe meine Letztjahres-Kritik weiter unten) von Es Devlin ist natürlich weiterhin tragendes Element der ganzen Produktion (Regie: Kasper Holten). Da allein der Aufbau ein halbes Jahr benötigte (!), hatte man sie im letzten Winter sinnvoller Weise auch nicht abgebaut. Alles funktionierte weiterhin bravourös. Nix Pappmaché!

Bei Aufführungen mit Mikroports ist es unselig einzelne Sänger besonders zu loben oder gar zu kritikastern an Tonhöhe, Tragfähigkeit oder lyrischer Emphase – alles geben ihr Bestes "ob´s stürmt oder schneit...". Wenngleich ich Cristina Pasaroiu (Micaela), die auch vom Publikum überschwenglich bejubelt wurde, doch herausgehoben erwähnen möchte. Besser, schöner und herzergreifender kann man die Partie auch an der Scala oder in Wien nicht singen. Ein Ohrenschmaus. Brava!

Auch steht der Gesang ja ansonsten nicht notwendigerweise, wie in Bayreuth, Wien oder Salzburg im Vordergrund. Bei Kartenpreisen, die mit 30 Euro (Wochentags) volkstümlich beginnen und nur auf den vorgeblich besten Kategorien marginal dreistellig werden, finden sich keine Opernfreaks mit Frequenz-Zählern (Wiener StOp) zur Kontrolle der hohen Spitzen-Tönen. Hier sitzt Otto-Normalverbraucher und freut sich wie ein kleiner König - mehr als mancher Opernfachmann anderswo. Überhaupt kann man sich hier an Oper noch richtig delektieren, kann sich auch der leidgeplagte Rezensent endlich mal wieder richtig freuen.

Seit vielen Jahren schon sitzen die mal wieder wunderbar aufspielenden Wiener Symphoniker im Festspielhaus und werden per Technik eingespielt – über zwei Videowände sieht man den Dirigenten und dank vorzüglicher neuer Bildregie auch in wichtigen Momenten die jeweiligen Solisten bzw. bei den sinfonischen Zwischenspielen das ganze Orchester. Fabelhaft gemacht. Man braucht eigentlich nicht zu erwähnen, dass der stets präsente Antonio Fogliani seine Musici mal wieder auf Beste vorbereitet hat. Und im Klangvolumen dieser Giganto-Tonanlage klang alles natürlich noch viel Gewaltiger und Wuchtiger als in jedem Opernhaus.

Über die bis ins letzte technisch brillante optische Nutzung der 45 (!) über 30 Quadratmeter messenden großen Spielkarten – jede wird von einem separaten Beamer bespielt – habe ich auch letztes Jahr ausgiebig geschrieben.

Last but not least die Chöre, die in Spielchor und Haus-Chor aufgeteilt sind. Die einen (u.a. der Kinderchor der Musikschule Bregenz-Stadt, Leitung Wolfgang Schwendinger) sieht man erst am Ende, wenn man aus dem Festspielhaus eilend sich präsentiert, während der größte Teil des Bregenzer Festspielchores und des Prager Philharmonischen Chores (Leitungen: Lukas Vasilek / Benjamins Lack) auf der Bühne agiert und singt – dazwischen Tänzer des Wired Aerial Theatre plus diverse zusätzliche Ballettisten und Statisten.

Erwähnenswert ist in Bregenz auch immer die teilweise hollywoodreife Stunt-Choreografie (Ran Arthur Brown), die perfekte Videoarbeit von Luke Halls, die prachtvollen Kostüme von Anja Vang Krak und natürlich der Chef des Lichts Bruno Poet, sowie die wichtigen „Obertonmeister“ Gernot Gögele & Alwin Bösch, ohne die nichts ginge und das musikalische Erlebnis und der Genuss nur halb so viel wert wäre.

P.S. Mein persönliches Sonderlob geht an Olaf A. Schmidt nicht nur wegen der Gesamt-Dramaturgie, sondern auch wegen des perfekten und lesenswerten, sowie mit tollen Bildern ausstaffierten unbedingt kaufenswerten (!!!) Programmheftes. Man erfährt alles über die Produktion, Technik, Hintergründe und sonst Wissenswertes. Ein Kleinod.

 

Szene-Bilder © Karl Foster

Hintergrundbilder und das letzte Bild mit Publikum © Der Opernfreund

 

Ihr Peter Bilsing 21.7.2018

 

 P.S. So stellt es sich es von der Bühne aus betrachtet dar.

 

Credits CARMEN 19.7.18

Carmen Gaëlle Arquez
Don José Daniel Johansson
Escamillo Kostas Smoriginas
Micaëla Cristina Pasaroiu
Frasquita Léonie Renaud
Mercédès Marion Lebègue
Zuniga Yasushi Hirano
Moralès Rafael Fingerlos
Remendado István Horváth
Dancaïro Dariusz Perczak

Stuntmen - Wired Aerial Theatre | Tänzer | Statisten

 

IMPRESSIONEN aus der Region Bregenzer Wald

Liebe Opernfreunde und Bregenz Besucher,

versuchen Sie erst gar nicht sich im sündteuren Bregenz einzubuchen - suchen bzw. besuchen Sie das wunderbare Umfeld - nicht nur aus preislichen Gründen. Wenn Sie problemlos bei teilweise auch nächtlichen 28 Grad schlafen können, lesen Sie nun nicht weiter. Ich kann es nicht, daher nutze ich jede Bregenz-Premiere zu Wandertagen in der hochgelegenen Bregenzer Wald Region. Hier gibt es genug preiswerte Hotels und Pensionen im Sommer; man braucht noch nicht einmal vorzubestellen. Und die Fahrzeit beträgt runter nach Bregenz keine Stunde.

Dafür genießen Sie angenehmes Schlafklima, können über 10 Bergbahnen, öffentliche Verkehrsmittel und alle Bäder, sowie diverse Museen gratis nutzen. Mein persönlicher Tipp ist der noch idyllische Wintersportort DAMÜLS (1600m). Allein der abenteuerliche Furka-Pass - den man natürlich umgehen kann - ist ein Träumchen, nicht nur für Moppedfahrer aus ganz Europa; aber nichts für Ängstliche ;-). Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen in der Schweiz... Der ist dagegen ein Kindergeburstag. Uund kulinarisch ist die Region ohnehin ein Träumchen

Es muß nicht der typisch österreichische Kalorienwahnsinn sein. Bitte schauen Sie sich das an: Grosser Salatteller mit gerösteten Zwiebeln & Kaspressknödel-Scheiben. Wer einen Salat so zurechtmacht, muß ein Künstler sein. Die Farbästhetik ist so einmalig, wie er auch schmeckt. (LariFari, Fontanella) Genießen Sie unbedingt ein paar Tage in dieser wunderschönen Region.

Ihr Peter Bilsing / 21.7.2018

Bilder (c) Der Opernfreund

 

 

 

BEATRICE CENCI

Premiere am 18. Juli 2018


„Verstrickt sind alle wir in diesen Sünden, dieser Schuld…“
Das sagt am Ende Kardinal Camillo in der von Berthold Goldschmidt (1903-1996)
komponierten zweiten und auch letzten Oper „Beatrice Cenci“. Camillo drückt damit
kirchlicherseits zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend die Wahrheit aus, die
allerdings viel zu spät kommt und das vorhergegangene kontinuierliche und nur noch als monströs zu bezeichnende Verbrechen des römischen Grafen Francesco Cenci in trüber Abstimmung mit der nach Reichtum gierenden Amtskirche unter Papst Clemens VIII. eher noch beschönigend kommentiert.

Der jüdische deutsch-britische Komponist konnte 1935 aus Nazi-Deutschland nach London emigrieren, wo er bis zu seinem Tode lebte. Er hatte den Stoff der wahren Geschichte der 1577 aus erster Ehe geborenen jüngsten Tochter Cencis, Beatrice, die nach unsäglichen durch ihren Vater erlittenen Leiden diesen gemeinsam mit ihrer Stiefmutter Lucrecia 1598 ermorden ließ und deswegen mit ihr 1599 vor der Engelsburg öffentlich mit dem Beil exekutiert wurde, bereits 1923 durch Stendhals Erzählung „Les Cenci“ kennen gelernt.

Erst 1949 bis 50 vertonte Goldschmidt den Text nach Percy Bysshe Shelleys Drama
„The Cenci“, nach dem Martin Esslin das Libretto verfasste. Dabei spielte ganz sicher das durch die Nationalsozialisten erfahrene Leid und ihr über Deutschland und Europa gebrachtes Unheil eine wesentliche Rolle. Andererseits bewarb sich Goldschmidt mit dieser Oper für einen vom britischen Arts Council ausgeschriebenen Opernwettbewerb anlässlich des Festival of Britain 1951, bei dem den Siegern Aufführungsmöglichkeiten angeboten werden sollten. „Beatrice Cenci“ war unter den ersten vier. Aber als die Jury die hinter den anonymen Einreichungen stehenden Komponisten sah, bekam keine der vier Opern eine Aufführung. Bei Goldschmidt war wohl die Tatsache, dass er kein gebürtiger Engländer war, Grund für die Ablehnung - „eine Entwicklung, die als typisches Schicksal eines Exilanten bezeichnet werden kann“, wie Barbara Busch in einem interessanten Aufsatz im Programmheft vermerkt. Goldschmidt war in einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Hamburg aufgewachsen.

So wurde das Stück erst 1988 konzertant in London uraufgeführt. In Magdeburg fand 1994 die szenische UA statt, die der Komponist also noch erleben konnte.
Gestern Abend nun brachten die Bregenzer Festspiele „Beatrice Cenci“ in der deutschen Textversion von Goldschmidt zur österreichischen EA und erreichten damit unter der Künstlerischen Leiterin Elisabeth Sobotka einen großen Erfolg. Wann kommt es schon einmal vor, dass nach einer Premiere, zumal eines so unbekannten Stückes, nicht einmal das leading team einen Buhruf erntet?! Das Publikum war zu Recht begeistert, denn es erlebte eine Inszenierung von Johannes Erath mit seinem Dramaturgen Olaf A. Schmitt mit exzellenter und facettenreicher Personenregie in einem faszinierenden und eindrucksvoll changierenden tunnelartigen Bühnenbild von Katrin Connan mit der darauf bestens abgestimmten Lichtregie von Bernd Purkrabek.

Diese Inszenierung gab die ganze Grausamkeit und Bigotterie sowie den Hedonismus des Grafen Cenci ebenso eindrucksvoll wieder wie die eigensüchtige und auf materielle Vorteile bedachte Dogmatik der Kirche und ihre entsprechende Verbundenheit mit den Mächtigen der (römischen) Welt. Nicht zuletzt hier
liegt die Aktualität der Vertonung des Stoffes aus der Spätrenaissance des Cinquecento so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg durch Goldschmidt, gibt es doch durchaus Parallelen zu den Entwicklungen und Geschehnissen auf deutschem Boden in den unheilvollen Jahren zuvor…

Gleich zu Anfang bei einem mit symphonischen und fast romantischen Klängen beginnenden Vorspiel öffnet sich der Vorhang, und man gewahrt in symbolischer Optik die großen Proponenten des Stücks. Graf Cenci dokumentiert durch riesige, mit Goldmünzen gefüllte Schatztruhen profanen materiellen Reichtum und die Kirche ihre Macht, indem von Mönchen an langen Seilen betätigte Glocken so mächtig sind, dass sie diese in die Höhe ziehen… Im Zentrum der Bühne brennt eine Unzahl gelblicher Kerzen, in deren Hintergrund man eine Papstfigur gewahrt. Wer hier nicht glaubt, hat offenbar ausgespielt, oder er erkauft sich von der Kirche gegen Besitztümer Stillschweigen über allerlei Gräueltaten - wie eben Cenci. Diese Werte werden durch den - einem häufigen Klischee entsprechend wohlgenährten - Kardinal Camillo in pompöser Robe „im Namen des Heiligen Vaters“ auch schamlos eingefordert. Cenci ist für einen begangenen Mord sogar bereit, einen ein Drittel seines
Vermögens ausmachenden Palast abzutreten.

Per Bach Nissen singt den aalglatten Kardinal mit profundem Bass und gibt ihm die Note des kraft der Religion stets überlegenen Souveräns. Zu Beginn des 3. Akts sitzt er zu den Klängen des Vorspiels des 3. Akts von Puccinis „Tosca“ aus dem Grammophon bräsig mit dem Richter an einem herrschaftlichen
Tisch im Vatikan und löffelt genüsslich ein Ei - eindrucksvolle Zurschaustellung des völlig abgehobenen Pomps und Machtdenkens der Amtskirche zu jener Zeit.
Zum ersten großen Höhepunkt des Abends wird das Fest bei Cenci, mit dem uns Erath die ganze Groteske der Verbindung von Kirche und korrumpierender weltlicher Macht mit entsprechend phantastischen und die Zeit des Stückes zitierenden Kostümen mit exotischen Apercus in den Masken von Katharina Tasch vor Augen führt.

Das war ganz großes Musiktheater, in einer beeindruckenden Einheit von Aussage, Optik, Mimik und Musik. Der Hedonismus Cencis und sein Ausdruck auf erotischem Gebiet werden auch durch zwei nackte, gut proportionierte Jünglinge im Hintergrund unterlegt, die der David-Statue Michelangelos in Florenz ähnlich dastehen. Als der Graf sich der Ermordung zweier Söhne in Salamanca rühmt, wagt keiner der kirchlichen Würdenträger in Purpur Widerspruch oder gar Aktion, so sehr ist man in Furcht vor des Grafen bekannt langem Arm brutaler Rache.

Christoph Pol spielt den Cenci mit bestechender Souveränität, zu keinem Zeitpunkt auch nur den leisesten Skrupel ob seiner Untaten zeigend. Ihm steht dazu ein Bariton zu Verfügung, der ausdrucksstark ist, aber nicht den größten Wohlklang verbreitet, der zu dieser negativen Rolle auch gar nicht passen würde.
In starkem dramaturgischem Kontrast erleben wir das Flehen von Beatrice, ihrer Stiefmutter Lucrezia und ihres Bruders Bernardo (eine Hosenrolle) um göttlichen Beistand zur Befreiung aus den Klauen des Vaters und Gatten sowie die ganze hoffnungslose Traurigkeit, die aus den Worten der drei und der dazu erklingenden Musik Goldschmidts spricht.

Christina Bock singt mit einem klangvollen Mezzo und guter Diktion den Bernardo, der am Ende überleben wird und den Papst als Puppe auf die Vorderbühne zieht, eben auch nur ein - fehlender - Mensch… Dshamilja Kaiser spielt und singt mit gutem Mezzo eine völlig apathisch gewordene Lucrezia, die schon jede Hoffnung auf Befreiung von ihrem tyrannischen Gatten aufgegeben zu haben scheint. Den vorläufigen Höhepunkt der Aussichtslosigkeit einer Erlösung Beatrices zeigt Erath vor dem Vorhang, als sie den Prälaten Orsino an ihre vor seinem Priestereid entgegengebrachte Zuneigung erinnert und ihn bittet, ein Gesuch an den
Papst weiter zu leiten.

Michael Laurenz zeigt mit einem ausdrucksstarken Tenor Orsinos ganze Falschheit, indem er mit beinahe markerschütternden Tönen klar macht, Beatrices Gesuch dem Papst nicht vorzulegen. Also auch hier nur Vertrauens- und Hoffnungslosigkeit!
Nachdem Beatrice selbst auf dem Fest um Hilfe aus ihrer ausweglosen Situation bittet, zeigt Erath mit ihrer anschließenden Vergewaltigung Cencis Rache an. Ihre Schreie hinter dem Vorhang, die das Ende des 1. Akts grausam markieren, gehen durch Mark und Bein.
Im 2. Akt haben sich Beatrice und Lucrezia zur Ermordung Cencis durchgerungen und lassen durch Orsino die beiden bezahlten Mörder Marzio und Olimpio anheuern. Die Baritone Wolfgang Stefan Schwaiger und Sébastian Soulès geben die beiden mit stoischer Ruhe. Peter Marsh als Richter mit der berühmten Respekt gebietenden Perücke zählt sodann mit charaktertenoralen Ausbrüchen die grausamen Optionen auf, wie man die beiden zum Reden bringen könnte. Water Boarding wäre dagegen wohl noch nicht das Schlimmste…

Hier streut Erath auch einige surrealistische Elemente in die Handlung ein, wohl um den Spielraum für Assoziationen des Publikums zu erweitern. So tritt Cenci als stumme Rolle wieder auf, es gibt eine Doppelgängerin als Lucrezia und Ähnliches. Manches ist wohl auch gar nicht deutbar, bzw. seine Deutbarkeit gar nicht beabsichtigt. Allerdings wird eindeutig auf blutige Aktion auf der Bühne verzichtet, wie auch im 3. Akt bei der Hinrichtung von Beatrice und Lucrezia, die statt mit einem Beil den Tod wie einst Seneca durch einen Gifttrunk erleiden.

Diese Momente entfallen auch im Libretto. So wirken die Hinrichtungen mit nahezu poetischen Bildern noch stärker angesichts der ohnehin kaum zu überbietenden Grausamkeit des Geschehens. Sie lassen, vor allem wenn man das verklärte und fast glücklich wirkende Gesicht der entschlafenen Beatrice sieht, sogar ein wenig Hoffnung aufkommen, auf Erlösung von unendlicher Pein, auf eine höhere und bessere Welt, auf Gerechtigkeit.

Gal James, die ich vor kurzem noch als Freia im Leipziger „Rheingold“ hörte, war eine einnehmende, überaus emphatische Beatrice mit einem vor allem in der Mittellage klangvollen und ausdrucksstarken Sopran. Die dramatischeren Höhen gerieten allerdings bisweilen etwas scharf. In ihrem finalen Monolog fand sie jedoch zu berührenden lyrischen Linien und Piani. Nicht nur hier gab es also auch Belcanto pur, den der Komponist seinem Stück zuschrieb. Lukás Hynek-Krämer und Jan Bochnák rundeten als Colonna und Offizier das junge Ensemble ab.

Die Frage, ob die Hinrichtung Beatrices und Lucrezias rechtens war oder nicht, wird vom anschließenden, von Lukás Vasilek gut einstudierten Prager Philharmonischen Chor vor aufgehobenem Bühnenbild - also in unserer Realität - thematisiert, ohne Entscheidung. Ein intensiver Strahler und der nach vorn schreitende Chor sprechen damit auch direkt das Publikum an. Tonal wird die Rechtmäßigkeit der Tat abschließend aber offenbar. Denn das finale Requiem vermittelt mit ruhigen und hoffnungsvollen Klängen die niemals sterbende
Hoffnung auf eine bessere Welt.

Der junge Johannes Debus, der schon durch sein erfolgreiches Dirigat von „Hoffmanns Erzählungen“ im Festspielhaus Bregenz auf sich aufmerksam gemacht hatte, dirigierte die Wiener Symphoniker und ließ alle schillernden Facetten der komplexen Partitur der „Beatrice“ erklingen. Die Musik ist oft erratisch, kommentiert das Geschehen auf der Bühne, bei dem immer wieder auch eine Art Sprechgesang vorherrscht. Sie hält sich bisweilen sublim zurück, wenn etwas Unerwartetes passiert und gibt damit der Handlung und Optik den Vorrang. Stets drückt die Musik Goldschmidts viel Psychologie aus und lässt die Nöte, Hoffnungen und Begierden der Protagonisten bestens zur Geltung kommen. Lyrik wechselt oft schnell mit Dramatik. Barbara Busch spricht wohl zutreffend von einer Musik „zwischen Avantgarde und dramatischen Belcanto“. In jedem Falle hat dieses Stück es verdient, mehr gespielt zu werden. Die Bregenzer Festspiele haben es mit einem jungen und begeisterten Team der Opernwelt eindrücklich vor Augen geführt. Vielleicht kann diese „Beatrice Cenci“ auf Reisen gehen


Fotos (c) Karl Forster
Klaus Billand 19.7.2018

 

Weitere Termine: 22. und 30. Juli 2018.


 

 

BREGENZ 2017

Wow ! – was für ein CARMEN-Spektaculum

Aufführung am 1.8.2017

Wetter: Verregnet, stürmisch, aber die Hälfte der Zeit trocken

Wissen Sie, verehrte Leser, was der größte Blödsinn aller Zeiten ist? Ich sage es gleich vorweg: Fernsehübertragungen von Freilichtopern! Was für ein Mega-Schmarrn! Egal welcher Couleur und Größe. Egal ob, pars pro toto, aus der Arena di Verona, dem Steinbruch St. Pölten, aus rgendwelchen Höhlen oder aus Bregenz. Niemals wird man auch nur ansatzweise jenes Gefühl erleben, welches solche Abende zum echten Erlebnis werden lässt, an das man sich – ganz im Gegenteil zu den meisten Opernveranstaltungen – noch lange und nachhaltig erinnert. TV ist immer ein eindimensionales Bild mit meist schlechtem Ton und man sieht nur das, was die Bildregie für bedeutend hält. Leider ist das praktisch nie (ich spreche aus vielseitigen Erfahrungen) genau das, was wichtig ist, denn wir sehen nur, was ein Einzelner uns zeigen möchte. Und dies ist meist nur ein mikroskopischer Ausschnitt aus dem großen Ganzen.

Das Fernsehbild (selbst auf großformatigen Geräten) kann die Stimmung und Atmosphäre solcher Spektakel nicht wiedergeben. Den plötzlich startenden Regen oder weitere Unbill des Wetters in Sturm, Sonne und Wolken, die jede Aufführung anders einrahmen und begleiten. Und das Wichtigste: Das Musikerlebnis unter dem Motto „Oper für alle“ ist nicht auf dem Fernsehschirm reproduzierbar. Hier treffen sich normale Menschen und erfreuen sich an klassischer Opernmusik, lernen ggf. Oper überhaupt zum ersten Mal kennen oder einfach einen Abend mal anders genießen.

Oper in Bregenz ist stets ein Spektakel – ein musikalisch, zirzensisches Gesamtkunstwerk mit Feuerwerk, Wasser und atemberaubenden Stunts. Eine zauberhafte Erlebniswelt mit der Musik von Bizet tut sich vor den staunenden Augen der Zuschauer auf. Daß dies am Ende noch kaum etwas mit Bizets ohnehin meist völlig überschätztem Werk – Folklore hin, Tiefenpsychologie oder Seelendrama her – namens „Carmen“ zu tun hat, ist völlig egal! Darum geht es ja auch gar nicht, denn auf der Giganto-Bühne ist Carmen ein kleiner roter Punkt und Don José ein kleiner gelber im wilden Wirrwarr einer Hundertschaft höchst mobiler Statisten, Künstler und Protagonisten. Hier will man das Publikum auf höchstem technisch zu realisierbarem Niveau, mit phänomenaler Tontechnik und unglaublichen dreidimensionalen Bühnenbildern einfach nur unterhalten und begeistern.

Um 7000 Leute zusammenzuhalten, muss das Ganze in zwei pausenlosen Stunden zu bewerkstelligen sein (das sind gerade einmal 2/3 vom ersten Akt der Götterdämmerung), also kürzt man die Originalopern – Gott sei Dank! Für mein Empfinden könnte man speziell dieses Werk noch mehr kürzen. Wie genial dieser Zeitrahmen ist, zeigt sich jedes Jahr aufs Neue bei diesem Erlebnis-Event, wo alle durchhalten, egal welche Überraschungen der Wettergott parat hat. Man müsste diesem tollen Publikum danken für soviel Durchhaltevermögen, oder ist es die Musik, die so fesselt, das Ambiente? Egal was, wo, wie und warum: Bregenz muss man live erlebt haben. Bitte schauen Sie es sich nicht im Fernsehen an, fahren Sie hin! Ich kenne keinen, außer ein paar esoterisch weltfremden und sauertöpfigen Opernkritikern, die hinterher nicht begeistert waren. Gönnen Sie sich einmal im Leben die Bregenzer Festspiele auf der Seebühne!

Man kann am Ende nur alle loben – dabei ist es relativ egal wer singt, denn die Mikroporttechnologie bringt stets saubere Töne rüber, solange ein bestimmtes hohes Niveau vorhanden ist, und da liegt Bregenz ganz weit vorne bei den Festivals. Wer das erste Mal dabei ist, bei dem werden die Ohren Augen machen (alter Werbespruch ;-), wenn die ersten Orchestertöne - gerade bei Bizet besonders furios - förmlich explodieren, denn was an millionenschwerer HiFi-Opern-Air-Tonanlage hier installiert ist klingt besser als manch gute Heimanlage mit Riesenboxen; und das Wunderbare, man sieht die Lautsprecher nicht. Orchester und Techniker sitzen zwar im Trockenen, aber alles kommt eins-zu-eins live rüber. Die Arbeit der grandiosen Tontechnik erlaubt es sogar die Sänger in dem Riesenbild genau zu orten.

Wenn also Micaela ganz oben in 50 Metern Höhe auf dem Finger der Kartenspielerin erscheint und singt, dann hört man sie auch von oben. Natürlich wird sie für den spektakulären Abstieg gedoubelt, was der überwiegende Teil des Publikums kaum merkt, denn das ist so perfekt gemacht, wie der Austausch der singenden Carmen in die optisch gleiche Stuntfrau, die sich dann auf der Flucht ins Wasser stürzt und davon krault. Und wenn am Ende Carmen im seichten Wasser strampelnd mit dem Gesicht nach unten solange heruntergedrückt wird, bis sie zu Tode erschlafft, dann leistet die jeweilige Sängerin Gewaltiges und selbst der abgebrühte Rezensent konnte keinen Austausch wahrnehmen; offensichtlich arbeitet man hier mit Tauchern und nicht sichtbaren Atemgeräten. Ein sensationeller Schluss.

Wie es gelingt, auf über 50 Spielkarten der Größe 4x8 Meter noch Bilder und Videos (Luke Halls) zu projizieren, bleibt auch mir ein Rätsel. Wenn sich dann auch noch einige dieser Riesenkarten bewegen und verschieben, dann ist die bühnentechnische Zauberwelt vollendet. Absolut geniale Bilder, vor allem wenn am Ende die Kartenbilder wegfließen, wie vom realen Regen verwaschen. Das passt als wenn Unwetter eingeplant wären. Auch ist es schön, wenn die Sänger hier auch wie bei Pop-Events großflächig live erscheinen. Das grandiose, wie eingefroren wirkende Bühnenbild der die Karten hochwerfenden Hände (Es Devlin) ist Oscar-preiswürdig, wäre es ein Film. Immerhin gilt Devlin schon jetzt als Megastar des Bühnenbildes und hat eine Weltkarriere bereits hinter sich – neben diversen Opernproduktionen an großen Häusern gestaltete sie 2012 die Abschlussfeier der Olympischen Spiele in London, Bühnenshows internationaler Popkünstler und Modezaren bedienen sich regelmäßig ihres Genies (u.a. Louis Vuitton, Kanye West, Lady Gaga, Beyonce…)

Kaspar Holten (Regie) trägt die Gesamtverantwortung und zeigt, dass er in der über dreijährigen Vorbereitungszeit perfekt gearbeitet hat. Die Integration von Musikdramaturgie, Ballett, Bewegungschor, Stunt-Action und Lichtkonzept ist mehr als gelungen.

Wer in Bizet Oper Tiefe, Psychologie, Seriosität, Stimmporno und Reflektion sucht, ist in Bregenz so fehl am Platz, wie der Partitur-Mitleser oder der Schellackplatten-Sammerl und Venylkenner. Die Bregenzer Carmen ist einfach nur wunderbare Unterhaltung für alle auf durchaus akzeptablem Opernniveau. Und die Geschichte wird weder verfremdet noch unwerktreu gespielt.

Ein herrlicher Abend.

P.S. an alle Besucher

Vergessen und ignorieren Sie jede Form von Wetterbericht. Wenn Sie Ihr persönliches Bregenz-Bündel geschnürt haben (Sitzkissen, Regenjacke, Mütze, festes Schuhwerk) können Sie beruhigt und frohen Sinnes sich auf den Weg machen. Und wenn es dann los geht gilt das Motto „Don´t worry be happy“ und „Never give up!“

Bilder (c) Karl Foster

 

Urlaubsgrüße aus Bregenz               

sendet Ihr                    

Peter Bilsing

 

 

Credits:

 

 

 

 

BREGENZ 2016

Ein unbekanntes Werk im Festspielhaus

HAMLET von Franco Faccio

& die Wiederaufnahme der erfolgreichen TURANDOT

Premiere HAMLET am Mittwoch dem 20.6.2016

Wa-Premiere TURANDOT am Donnerstag 21.6.16

Leider kein Vergleich zu Verdi

Oh ihr Opernkomponisten – mein Appell bevor Modernisten jetzt (eine „Hamletmaschine“ gibt es ja schon) auf eventuell falsche Ideen kommen - lasst doch bitte den Shakespeare "Hamlet" weiterhin auf der Sprechtheaterbühne; da gehört er hin und da möge er bitte auch für immer ohne Musik bleiben. Als große Opera scheint er mir nicht geeignet, was heuer in Bregenz viele allerdings anders sahen.

Das Premierenpublikum jubelte überschwänglich – aber das ist Zeremoniell. Die Leute haben Premierenkarten ergattert, sie wollen dafür eine Sternstunde, gar eine Sensation erleben - man will ja etwas haben für sein Geld und man feierte sich, wie jedes Jahr, auch ein bisschen selbst. Einen Reinfall jedenfalls haben sie keinen erlebt. Das war eine durchaus passable Eröffnungsoper…

…für Bregenz – wohl angemerkt!

Sie wird allerdings nicht mehr als eine sprichwörtliche "Eintagsfliege" bleiben, denn von einer substanzreichen Opern-Entdeckung kann meines Erachtens keine Rede sein. Allzu schwach ist dieser Mix aus Verdi, Boito und Ponchielli: Kaum nachhaltig in Erinnerung bleibende Arien, unkomplizierte einfache Ensembles und immer wieder große Chor-Auftritte, ob es handlungsdramatisch Sinn macht oder nicht. Das gilt übrigens sowohl für das Stück als auch die Inszenierung, die ziemlich überladen daherkommt. Immerhin aber gab es Einiges fürs Auge.

Vielleicht liegt es auch am Stoff, denn so ein textlastiges Stück zu veropern ist von je her problematisch. Auf der Opernbühne konnte bisher nur die französische Veroperung HAMLET von Ambroise Thomas aus dem Jahr 1868 in die Annalen der Opernhistorie wenigstens ein bisserl überzeugend eingehen. Man bringt sie ja auf deutschen Bühnen gelegentlich zur Repertoire- und Kenntnis-Anreicherung. Dass dies durchaus gelingt liegt daran, dass Thomas´ kammermusikalische Formgebung dem ursprünglichen Shakespeare sicherlich näher kommt als Faccios Grand-Opera-Version mit Ballett und Riesen-Chor.

Olivier Tambosis Inszenierung versucht die Quadratur des Kreises – wobei er Kreis und Kreisen inszenatorisch sehr real nimmt und umsetzt, denn die Drehbühne bewegt sich unentwegt. Am Anfang sieht es noch toll aus, dann dreht es sich tot, und auch die permanent dazwischenhüpfenden und tobenden Ballett-Hexen (eine Art Ping, Pang, Pong des Tanzes) retten das Stück nicht.

Am Anfang steht ein ziemliches Gewimmel und Gewusel - später im zweiten Teil wird es besser, es wird ruhiger und konzentrierter. Irgendwie entstand bei mir der Eindruck, daß der Regisseur selber die Schwäche der Oper erkannt hat und nun versuchte, das ganze quasi durch übersprudelnde Regieeinfälle und übervolle Bilder etwas zu kompensieren - was immerhin unter dem Aspekt des "Musiktheaters" durchaus gelungen ist.

Tatsächlich fehlt dieser Oper der musikalisch große Bogen, es mangelt an Raffinesse, und die Aktschlüsse sind so wuchtig wie simpel und vorhersehbar. Wer dann am Ende ein großes Opernfinale erwartet, wird noch mehr enttäuscht. Ich glaube nicht, dass irgendein Intendant dieses Stück ins Repertoire nehmen wird. Dafür gibt es zu viele, zuviele sehr gute italienische Opern. Und echte Entdeckungen! Nehmen wir, pars pro toto, nur Riccardo Zandonais CAVALIERI DI EKEBU. Ich hätte noch einige weitere mit Substanz im Angebot ;-))

Immerhin war Franco Faccio ein durchaus intelligenter und mit der Fähigkeit zur Selbstkritik ausgestatteter Künstler, denn er ließ dem Scala-Debakel seines AMLETOs dankenswerterweise keine weiteren Opern mehr folgen, war er doch ein vom großen Maestro Verdis hochgeschätzter und bevorzugter Dirigent – egal ob für AIDA, DONCARLO oder OTELLO. Dort war er der richtige Mann am richtigen Platz.

Die musikalische Interpretation von Paolo Carignani mit den Wiener Symphonikern war adäquat; wuchtig, subtil schön und stellenweise sogar ziemlich beeindruckend; sinnlose Plage, Müh ohne Zweck - mehr als dieses Siegfried-Zitat möchte ich dazu ironisierend nicht anmerken.

Frank Philipp Schlößmanns Leuchtbirnchen-Reihen umrahmen den klassischen tiefroten Theater-Vorhang als optischen Rahmen; im Hintergrund ein zweiter Rahmen. Merke: Wir spielen also Theater im Theater – immerhin eine klare Ansage und wesentliches Handlungsmoment. Das Erscheinen des Geists von Hamlets Vater gemahnte mich zum zweiten ironischen Wagner-Zitat: selige Öde auf wonniger Höh.

Das alles hat in der gleissend hell illuminierten Stein- bzw. Eiswüste zuviel eines plakativen Kinobildes. John Boormanns „Excalibor“ lässt grüßen oder war es der „Highlander“? Zuviel der Effekte… zu kitschig theatralisch für meinen Geschmack. Beleuchtung: Manfred Voss. Für die  wirbelnde Choreografie zeichnetet Ran Arthur Braun verantwortlich,und die durchaus beeindruckende Couture entwarf Gesine Völlm.

Auch die unendlich gähnend langen Fechtszenen – schön nach alter Musketier-Manier (Klasse Arbeit der Fechtmeister) – auf langen Tischen in wilder Action inszeniert, hätte mehr auf die Seebühne gepasst, doch da gibt es ja schon das Kung-Fu-Fighting-Ballett.

 Womit ich bei der diesjährigen TURANDOT, die sich heuer ins zweite Aufführungsjahr sehr erfolgreich begibt, wäre. Fast alle Vorstellungen sind wieder ausverkauft; ein wichtiges Kriterium für eine beliebte Volksbühne.

Immerhin bekommt Bregenz kaum Zuschüsse, wenn man es z.B mit Wien oder Salzburg vergleicht. Auch kleinere Inszenierungs-Retuschen (die meine glaubwürdige Kritikerkollegen festgestellt haben), ändert nichts am Folkloristischen Grundkonzept, auf welches ich schon im letzten Jahr ausgiebig hingewiesen habe.

Marco Arturo Marelli bedient weiter alle chinesischen Klischees: es gibt es die putzige, aber dennoch respektable China-Legoland-Mauer, weiterhin beeindruckt die allgegenwärtige von innen beleuchtete Terrakotta-Armee (einmal oben auf der Mauer platziert und parallel halb im Bodensee versunken), es gibt vielfältige Drachen und Lampions, die üblichen Wasserspiele und Feuerwerk, schöne Balletteinlagen und aus Japan importierte Kungfu-Fighting-Tänzer. Disneyland-Atmosphäre. Also alles Dinge, die das Publikum erfreut und die man liebt. Ein kritischer Sitznachbar nuschelte mir ins Ohr: Genauso so stellt sich bestimmt der typische Amerikaner China vor. Ja... dem könnte man zustimmen.

Musiktheater gibt es natürlich auch, da sind die kommentierenden Handlungsträger Ping, Pang und Pong trefflich angelegt. Und sporadisch bricht auch mal eine überraschend auftretende Schickimicki-Party-Gesellschaft die sonst oft etwas statisch wirkende Atmosphäre auf.

Nicht zu vergessen: Puccini, der große Maestro, spielt auch selbst mit. Anfangs sitzt er in seinem Arbeitszimmer und komponiert – dort wird er dann in der Folterszene auch wieder ans sein Bett gefesselt. Sterben wird er natürlich nicht, als Liu sich umbringt – er muss ja noch das große Alfano-Finale singen - sonst wäre die Oper sogar zurecht und biographisch begründet ad hoc und an dieser Stelle zu Ende gegangen. Mehr hat Puccini, wie man weiß, partiturmäßig nicht niedergeschrieben. Das kann man aber eigentlich keinem Publikum der Welt antun…

Sic! Auch ich gebe offen zu, ja eigentlich auch nur wegen der schönen Arien und eben diesem grandiosen Schluss in dieses Monster-Werk zu gehen ;-) Obwohl man nicht das ganz großen Alfano-Finale spielt, sondern eine passable, aber durchaus wirkungsvolle Reduzierung.

Eine kleine ketzerische Anmerkung für unsere jungen Opernfreunde und alle Opernanfänger: „Nessun dorma“ ist nicht von Pavarotti (!) und auch nicht von Paul Potts (!!) obwohl es viele viele Monate auf Platz eins in den Charts der großen Hitparaden war. Ersterer damals übrigens als quasi Leitmotiv zur Fußball-WM; allerdings erheblich länger als letzterer, der aber auch eine Menge CDs verkauft hat.

Zu den Sängern im HAMLET

Ein beachtliches Sängerensemble war zu hören. Überragende Tenorleistung von Pavel Černoch - immerhin hat er diese stimmmordende Partie (er ist fast permanent auf der Bühne und hat auch viel Text zu singen) bravourös, intelligent und überzeugend durchgestanden. Trefflich besetzt Claudio Sgura als dänischer König Claudio und Dshamilja Kaiser in der Rolle der Königin Gertrude, Hamlets Mutter. Iulia Maria Dan als Ofelia begeisterte das Publikum ebenso wie Paul Schweinester als Laerte, Sohn des Polonio und Bruder der Ofelia.

Gianluca Buratto war ein überzeugender wuchtiger Geist des ermordeten Königs und Eduard Tsanga als Hofmarschall Polonio überzeugte ebenso wie Yasushi Hirano als Totengräber. Insgesamt eine durchgängige Top-Besetzung für diese Rarität. Ebenso prächtige aufspielend in diesem Vielpersonenstück auch die Comprimarii: Sébastien Soulès als Hamlets Freund Orazio, Bartosz Urbanowicz als Offizier Marcello, Jonathan Winell als König Gonzaga, Sabine Winter als dessen Gattin.

Als besonderes Highlight des Abends empfand ich den Prager Philharmonischen Chor (Leitung: Lukáš Vasilek), verstärkt mit Mitgliedern des Bregenzer Festspielchors (Einstudierung: Benjamin Lack) - wobei letzterer für mich ohnehin zu den Spitzenchören Europas zu zählen ist, was sie auch wieder bei der TURANDOT unter Beweis stellten.

Die stimmliche Beurteilung der TURANDOT-Sänger

möchte ich mit einem durchgehenden Lob versehen, wobei sich eine genaue Differenzierung durch die via Microport individuell verstärkten Stimmen als schwierig darstellt. Insgesamt war der Klangeindruck natürlich auch durch die geniale Tonstudio-Regie und die über 500 perfekt in die Chinesische Mauer integrierten Spitzenlautsprecher wieder eine Wucht - klanglich steht das alles für eine Open-Air Bühne an der absoluten Weltspitze. Bisher unerreicht das "Maß der Dinge"!

Wobei mich immer wieder die phänomenale Arbeit der Ton-Ingenieure beeindruckt, die es tatsächlich schaffen, jeden Sänger auf den Meter genau ortbar erklingen zu lassen. Auch wurde wie immer die Differenzierung des Chores durch das 360-Grad Raumklang-Prinzip zu einem Sensourround-Erlebnis erster Güte.

Die Wiener Symphoniker unter Paolo Carignani brillierten in vollendetem HiFi und die schon erwähnten Chöre aus Bregenz und Prag sind ein Erlebnis. Die weiteren Credits finden Sie hier.

Ihr Peter Bilsing 29.7.16

Bilder (c) Karl Forster

 

P.S. Ein Opernfreund-Reisetipp

Und wiederum wie jedes Jahr mein persönlicher TIPP für alle Bregenz-Fans und Reisende mit dem Auto oder Motorrad. Bitte bleiben Sie etwas länger vor Ort!

Tun Sie sich nicht die quälenden Temperaturen unten am Bodensee an (locker mal 36 und mehr Grad - da kann man nachts kaum schlafen!). Weiter oben in der BREGENZER WALD Region ist es bis zu 10 Grad kühler und man findet für 50 Euro in herrlichen Pensionen und Hotels Unterkunft (ein Fünftel dessen, was man teilweise in Bregenz vor Ort verlangt). Und ab drei Tagen gibt es die Gästekarte Region-Bregenzer-Wald, wo sie alle 10 Luftseilbahnen, sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel, Schwimmbäder und Museen gratis haben.

Auf die köstliche Gastronomie (Bild oben: Vorarlberger Kaasknödel) muß ich nicht noch extra hinweisen, oder? Aber die exzellenten Wandermöglichkeiten in hochalpiner Wegevielfalt, die möchte ich noch extra erwähnen, denn Vorarlberg ist immer und jederzeit ein Reise wert; auch für Familien mit Kindern noch bezahlbar ;-)

 

 

BREGENZ 2015 - QUO VADIS ?

TURANDOT auf der Seebühne für Folklore- und Varietéfreunde

Zuviel Kitsch zuwenig Oper

 

Mit der neuen Intendantin

Elisabeth Sobotka deutet sich eine Ära an, die sich anscheinend dem aktuellen Zeitgeist verbunden sieht, dass auch in der Opernszene der tausenden von Sommer-Festivalitäten primär das Geldverdienen im Vordergrund stehen muss. Verständlich aus Sicht der Politik und der Kämmerer. Aber muß man dafür wirklich ab sofort auf der traditionellen Bregenzer Seebühne die künstlerischen Ansprüche der letzten 20 Jahre quasi tief im Bodensee versenken?

Zumindest erweckte die Produktion vom "Bebilderer" Marco Arturo Marelli bei mir diesen Eindruck. Dass er sich auch als Regisseur bezeichnet - der Begriff des Bühnenbildners wäre für mich ja noch in Ordnung - ist schon fast eine Beleidigung gegenüber heutigen Musiktheater-Regisseuren, die an den meisten europäischen Bühnen spannende Oper, also wirkliches MusikTHEATER professionell unterhaltsam auf die Beine stellen.

Natürlich darf man hinterfragen, ob solches Musiktheater auf eine Show-Bühne wie Bregenz überhaupt möglich ist. Ich kann dies aus meiner Erfahrung - zumindest der letzten 12 Jahre - eigentlich nur bejahen; durchaus anspruchsvolle Produktionen.

Bisher gab es keine puren Rampensteher-Zirkus-Abende, nie sah ich so ein albernes Kung Fu-Fighting Gehoppse, seltes gab es früher derartig völlkig sinnlose Statistenaufmärsche oder solch nichtssagendes Folkloreballett - alles Ingredienzien wie sie z.B. bei den Volksfest-Veranstaltungen wie in der Arena di Verona natürlich einfach dazu gehören, bisher in Bregenz aber nicht als Selbstzweck erschienen. Immerhin verkauft man während der Aufführung auf der Bregenzer Seebühne weder Gelato noch kühle Getränke; dies könnte allerdings zukünftig Einiges an Zusatz-Gewinn einbringen. Oder der Salzburger Fächer mit dem jeweiligen Jahresmotiv - das wäre auch eine schöne Einnahmequelle und Souvenir fürs Volk.

Die diesjährige "Turandot" ist nun leider nicht mehr als eben eine weitere Folklore-Veranstaltung im unseligen Reigen der Sommerfestivalitäten in Steinbrüchen, Amphietheatern, auf Ritterburgen, Schiffen oder an größeren Badetümpeln. Eigentlich könnte man diese Produktion auch als  "Oper für Kinder" untertiteln.

Uncharmant hölzerner teurer Budenzauber, besser zu betiteln als "China-Zirkus", der reichlich wenig Platz für Puccinis Operndramaturgie und Spannung zulässt, auch wenn anfangs mit riesigem Feuerzauber die Enthauptungs-Säbel textgetreu geschliffen werden; schon kurz danach wird eine simple Schaufensterpuppe recht läppisch vom Turm ins Bodenseewasser geworfen - da haben wir schon besseres und überzeugendere Wasser-Actionen auf dieser Bühne gesehen. Cheforganisator Marelli zeigt einen Chinawaren-Großhandel schlimmen Kunstgewerbes: eine verkleinerte Chinesische Mauer, viele Lampions, permanent illuminierte Papp-Drachen; natürlich darf auch die legendäre Terrakotta-Armee nicht fehlen - ein Teil taucht sogar aus dem Wasser des Bodensees wieder auf. Das ist China, wie es sich klein Fritzchen oder, mit Verlaub, der klassische Amerikaner vorstellt.

Dabei hätte es durchaus Sinn gemacht diese Mauer, quasi als Schutzschild jener eisumgürteten Prinzessin, tatsächlich am Ende sinnvoll aufzubrechen, nämlich dann recht passend, wenn ihr vereist kühles Herz im Finale durch Kalafs Liebe auftaut - doch nein...

...mit viel Donner, Rauch und Getöse öffnet sie sich schon zu den ersten Takten, nur um einer gläsernen Terrakotta-Armada Platz und Sicht zu bieten, deren tönerne Soldaten im weiteren Verlauf der Oper dann kitschig von innen illuminiert und sukzessive nach vorne geschoben werden - beleuchtet jeweils im Sinne einer Lichtorgel, also passend zur entsprechenden Situation auf der Bühne.

Allerdings fragte mich, warum beim "Spiel am See" sich dann Liu doch höchst theatralisch das Messer gibt, - statt einfach dem Ambiente der Schwimm-Insel entsprechend - als eventueller Nichtschwimmer vom Rand ins Wasser zu springen und zu ertrinken. Was hätte der große David Pountney daraus Tolles gemacht...

Genug der Unsäglichkeiten; dies ist halt eine Produktion fürs Kirmesvolk und für Menschen, die außer "Nessun dorma" (von Pavarotti einst in der Hitparade und später von Paul Potts ähnlich revitalisiert) nie mehr von dieser Oper gehört haben und nun endlich einmal schauen können, was urtümlich dahinter steckt. Alles in Ordnung, wenn man es musikpädagogisch, quasi als Einstieg in die Oper für die MacDonalds Generation betrachtet. Da schalte ich mich allerdings dann aus...

Bregenz bleibt bei den Preisen durchaus relativ volkstümlich; immerhin sind weiterhin tolle Karten (mein Geheimtipp: Kategorie 5 f/g für Schwindelfreie mit wahnsinnigem Blick über den Bodensee !) möglich. Vorbildlich: Für Schüler und Studenten gibt es eine Ermäßigung von 75 % - das ist Weltklasse! Wann gibt es das in Bayreuth und Salzburg?

 

 

HERHEIMS ERZÄHLUNGEN

 

im Festspielhaus

Kommen wir nun zum Festspielhaus 2015. So sah die Historie der letzten Dekade aus, man gab Werke, die das Herz nicht nur jedes Opernfachmanns höher schlagen ließen, sondern hier wurde man auch der hohen musikhistorischen und kulturellen Verantwortung eines ernst zu nehmen subventionierten Opernhauses gerecht. Immerhin ein ausgewogenes Programm für anspruchsvolle Musiktheater-Liebhaben und aufgeklärten Entdecker, deren musikalischer Erlebnishorizont sich nicht auf die gängigen 20 omnipräsenten immer gleichen Alltagswerke von "A" wie Aida bis "Z" wie Zar und Zimmermann beschränkte. Was waren das für JUWELEN:

Geschichten aus dem Wiener Wald  Karl Gruber (2014)

Der Kaufmann von Venedig André Tschaikowsky (2013)

Solaris Detlev Glanert (2012)

Achterbahn UA Judith Weir (2011)

Die Passagierin Mieczysław Weinberg (2010)

König Roger Karol Szymanowski (2009)

Karl V. Ernst Krenek (2008)

Tod in Venedig Benjamin Britten (2007)

Der Untergang des Hauses Usher Philip Glass (2006)

Maskerade Carl Nielsen (2005)

Der Protagonist und Royal Palace  Kurt Weill (2004)

Die bisherigen Aufführungen im Festspielhaus waren eine exzellente und anspruchsvolle Auswahl fabelhafter neuer oder auch völlig vergessener Werke; regelrechte Meilensteine in der Inszenierungsgeschichte. Damit war für echte Opernfreunde über die letzten zehn Jahre zumindest das Bregenzer Festspielhaus eine Verpflichtung, obwohl Menschen über 172 cm Größe kaum ordentlich sitzen können. Nun hat sich der Kurs geändert - ab sofort heißt es auch im Festspielhaus

"Eviva l´opera populare"

Hic et nunc gab man erst einmal Hoffmanns Erzählungen - weltbekanntes, beliebtes und an fast allen Opernhäusern dieser Welt bisher regelmäßig präsentes und vom Abovolk heißgeliebtes Werk.

Um sich nun nicht ganz so direkt der simplen Opern-Volksanbiederung auszusetzen, hat man immerhin mit Stefan Herheim einen großen Namen aus dem Bereich des Regietheaters engagiert. Wie zu erwarten, zeigte uns Regisseur Herheim, daß wir natürlich alle bisher diese Oper in den letzten 100 Jahren völlig falsch verstanden haben, denn der Protagonist, nämlich unser Künstler Hoffmann (es geht ja in der Geschichte um sein Leben und die Liebe zu vier Frauen) ist eigentlich schwul; eher gar eine Transe mit Strapsen, welche heuer auch die Rolle verschiedener anderer Figuren übernimmt - sind sie nun Teil der Oper, oder vom Regisseur hinzu erfunden. Genauso wie der Stuntman, der sich am Anfang eine große Revuetreppe zur Verblüffung des Publikums herunterstürzt, wie einst Belmondo in dem Filmjuwel Ein irrer Typ (1977). Passt zwar nicht zum Libretto, war aber zumindest für mich die einzige unterhaltsame Sequenz an diesem Abend.

Und erneut die Marotte Herheims (jüngst bei Manon Lescaut in Essen zu goutieren)  tritt der Komponist in einer stumme Rolle - hier also Jacques Offenbach -  ständig auf,  dirigiert das Orchester mit oder freut sich kindlich am schönen Gesang. Auf- und Abtritte aus dem Publikum bzw. organisierte Zurufe von einem vermeintlich empörten Besucher:

"Schluss mit dem schwulen Scheiss!"

sind eingebaute Koketterie des Regisseurs bzw. Reminszenzen an Konwitschny und die Regie der  80-er Jahre; alte Opernsuppe lange überholt und schon fast gähnend déjà vue. Immerhin war die Beschaffenheit des Bühnenbildes, nämlich jene schon angesprochene Riesen-Showtreppe als Kernelement, ein praktikabler Einfall, denn so konnte man recht sinnvoll bei Dauerregen bzw. Gewitter (also dem Abbruch auf der Seebühne) problemlos die semikonzertante Turandot-Weiterführung für die teuren Karteninhaber ebenda ohne Umbau präsentieren. Leider war die Riesentreppe, die für die Akte 2-4 sich in der Mitte öffnen sollte mit technischen Antriebs-Mängeln behaftet - eine Riesenpeinlichkeit für eine Organisation wie die Bregenzer Festspiele, die gerade ihre hochgradige perfekte Technik bei jeder Gelegenheit zurecht loben lässt und deren technische Effekt-Zauberkasten sich auf der Außenbühne bisher meist vorbildlich und einmalig unter Beweis stellte. Die Treppe öffnete sich nur halb, was eine kurze Unterbrechung zur Folge hatte - Probleme, deren man schon bei den Proben gewahr wurde, ohne sie abstellen zu können. Ein Debakel! Da sucht der geplagte Kritiker lieber Zuflucht oben in den wunderbaren Bregenzer Wald Bergen.

 

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P.S. noch ein persönlicher Tipp für Festspiel-Reisende

Wohnen Sie nicht in Bregenz in viel zu überteuerten Hotels! Ein bisserl weiter oben im Bregenzer Wald gibt es, auch ohne Vorbuchung, immer schöne Zimmer ab 29 Euro. Im 4-Sterne-Hotel in Damüls zahlte ich dieses Jahr 49 Euro. Und man hat, ab drei Tagen Aufenthalt über die Gästekarte alle Seilbahnen, Schwimmbäder + Busse der großen Region Vorarlberg gratis. Wo gibt es so etwas denn sonst noch?

Bilder: Bregenzer Festspiele /  Anja Köhler / Bil priv.

Schönen Sommer-Urlaub

wünscht

Ihr

Peter Bilsing 29.7.15

 

 

 

HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN

23.7.15 Premiere

mit zu vielen Strapsen

Eine große Neudeutung zeigte der Regisseur Stefan Herheim nicht, aber ein nicht uninteressantes Puzzle der Teile des eigentlich unvollendeten Werks. Bis zur Pause war dies alles auch recht gelungen. Ein eindrucksvolles Vorspiel auf dem Theater, die Bühne beherrschend eine große „Hollywoodtreppe“, die sich dann öffnete und den Blick auf Luthers Weinkeller in Berlin freigab. Technisch alles ausgezeichnet und auch optisch sehr schön. Das wirklich geglückte Bühnenbild schufChristof Hetzer. Nach einer kurzen technischen Panne ging es in das Physikalische Kabinett in Paris, also zu Olympia. Bis dahin war alles toll durchdacht und so ging man wirklich positiv eingestellt in die Pause. Danach wurden es dann allerdings der Strapse zu viel. Von Spalanzanis Haus, in dem  noch zum Teil die Akteure auf der Bühne liegen, wechselte die Drehbühne zum Haus des Geigenbauers Crespel in München. Die Erscheinung der Mutter (diese ausnahmsweise nicht in Strapsen !) war wieder auf der Hollywoodtreppe und sah wie Marylin Monroe aus.

Nach Antonias Tod bestieg der Diener Franz eine Gondel und ruderte mit der Schreibefeder des Komponisten Offenbach zu Fragmente eines Liebestodes in Venedig. Giuliettaakt ohne Schlehmil und ohne Pitichinaccio. Dem Ende entgegen drehte sich noch einmal die Bühne, die Treppe schloss sich wieder zum Nachspiel auf dem Theater. Optisch, wie schon erwähnt, vom Bühnenbild prächtig, die Kostüme von Esther Bialaswaren teilweise sehr schön, besonders gut getroffen die Dienerrollen Andres, Cochenille und Frantz, alle in der gleichen Maske als Jacques Offenbach. Die Damenrollen, wenn deren Darstellerinnen nicht gerade in Mieder und Strapsen haherkamen, präsentierten sich  im Einheits-Hollywood-Look (blonde Perücke und Silber-Fummel-Flitter). Auch die Chorsänger, Damen und Herren abwechselnd Frack, Strapse und Mieder. sind von der Maske einheitlich als Hofmann-Klone angelegt. Sehr gut vom Kostüm gelungen waren die Gruppen bei Spalanzani als hopsende Marionetten.

Die Beleuchtung von Phoenix alias Andreas Hofer war allererste Klasse.

Gesungen wurde insgesamt gesprochen wirklich gut, wobei die Damenrollen ordentlich durchgemischt wurden. So gab es je zwei Giuliettas, Olympias und Antonias. Die Mutter/Stimme aus dem Grab und Muse-Niklas waren einer  Sängerinanvertraut.  Als Hoffmann hört man den jungen Schweden Daniel Johansson. Eine sehr geglückte Wahl für diese Rolle und diese doch leicht ungewöhnliche Regie. Die Stimme ist wirklich klangschön, sehr tragfähig und der Künstler kann auch prächtig phrasieren. Auch er musste bei Antonia Mieder und Strapse tragen. Sein Gegenpol war der großartige Michael Volle. Eine wunderbar volle schöne Stimme mit viel Ausdrucksstärke. Seine große Arie war sicher der Höhepunkt des Abends. Er war nicht nur in den vier Bösewichtpartien zu hören, sondern auch mit Schürze als Wirt Luther.

Eine Studie zwischen Einstein und Professor Ambrosius (Tanz der Vampire) war Bengt–Ola Morgny als Spalanzani. Einfach großartig.  Christophe Mortagne war der Offenbach in den drei Dienerpartien, auch gesanglich mit dem Lied des Frantz wirklich sehr geglückt. Als Giulietta mit hohen Tönen hörte man die Olympia der großen Arie Kerstin Avemo. Eine wahre Meisterin der Koloratur, die auch während ihrer halsbrecherischen Kadenzen  noch ein tolles Spieltalent zur Schau stellt. Mandy Fredrich war Antonia und Giulietta. Ihre Antonia war hervorragend mit viel lyrischen Phrasen wunderbar gesungen, warum man ihr so ein unvorteilhaftes Kostüm antun musste, Mieder und Strapse ? Ein Negligé drüber wäre sehr angebracht. Rachel Frenkel von der Wiener Staatsoper war Niklas/Muse und Antonias Mutter mit schönem Mezzo im Anzug und Glitterkostüm.

Ketil Hugaas war ein schönstimmiger Crespel, Nathanael, Hermann und Wilhelm waren Hoel TroadecJosef Kovacic und Petr Svoboda. Stella war Pär Pelle Karlsson, natürlich gestrapst.

Für eine sehr gute musikalische Umsetzung sorgte am Pult Johannes Debus und leitete gut durch dieses Puzzle, in dem man sich nie so ganz auskannte. Warum Schlehmil gestrichen wurde, verstehe ich nicht, ist diese Szene doch nahezu das Kernstück des Giuliettabildes.

Der Prager Chor sang wunderbar und stimmstark unter Lukas Vasilek. Das Festspielorchester, wieder die Wiener Symphoniker lieferten bemerkenswerte Klangschönheit.        

Elena Habermann 24.7.15

Bilder: Karl Forster

 

 

Das schreiben die Kollegen

"Schluss mit dem schwulen Scheiss!"

Oper als Genderdiskurs (Die Welt)

Ein Käfig voller Narren (Der Tagespiegel)

Herheims Erwägungen (Der Standart)

Transsexueller mischt Show auf... (Heute)

 

 

TURANDOT

Premiere am 22. Juli 2015

Chinesische Klischees…

Genau zu den Auftaktakkorden von Giacomo Puccinis Meisterwerk „Turandot“, mit welchem die diesjährigen Bregenzer Festspiele unter der neuen Intendantin Elisabeth Sobotka gestern Abend begannen, stürzt ein Teil der chinesischen Mauer ein, die Marco Arturo Marelli, Regisseur und Bühnenbildner zugleich, mit 72 Meter Länge auf die Seebühne gestellt hat. Dieser Teil der chinesischen Mauer ist den berühmten chinesischen Drachen nachgebildet - mit riesigen Kurven scheint sich der 335 Tonnen schwere Koloss aus Stahl und Holz (etwa das Startgewicht eines Jumbojets B-747) über das Wasser zu schlängeln. Hinten ist er 20 Meter hoch, etwa so hoch wie das Heck des Jumbos, vorn gar 27 Meter mit einem roten Teehaus auf höchster Höhe.

Die gesamte Front ist mit 650 Mauersteinen aus rötlich-orange wirkendem Holz verkleidet, die sich für allerhand effektvolle Lichtspiele eignen und später auf großen Bannern in Kalligraphie die Lösungen der drei Rätsel zeigen. 59 Lautsprecher sind allein in diesen Mauersteinen versteckt, um den ebenso bekannten wie bewährten Bregenzer Sound sicher zu stellen (Ton: Gernot Gögele und Alwin Bösch). Über steile Treppen können die Akteure auf die Plattform aufsteigen. Später wird dort der persische Prinz geköpft – seine allzu puppenhaft wirkende Leiche wird einfach ins Wasser des Bodensees geworfen, wo sie wie ein Korken davondümpelt... Im Zentrum des Mauerdrachens befindet sich eine zylinderartige Drehbühne, die sich bis zu einem gewissen Grad in die Höhe schrauben lässt Sie hat einen Deckel hat, der sich bisweilen wie der einer Konservendose hebt, eine neue Szene freigibt - so den Auftritt des Kaisers von China im Rollstuhl - und der als Projektionsfläche für allerlei assoziative Bildeinfälle (gelungen die Bilder des Schmerzes der Ahnin) und -verirrungen dient.

Aber zurück zum Mauerfall, der bekanntlich immer nachhaltigen Wandel mit sich bringt – somit eine gute Idee mit einem effektvollen Beginn, der Erwartung auf mehr in diesem revolutionären Sinne schürt. Es wird zumindest nichts beim Alten bleiben, erst recht nicht, was Turandots ewigen Schwur besiegelt, all jene Freier enthaupten zu lassen, die ihr aus drei Fragen bestehendes Rätsel nicht zu lösen vermögen, um das fatale Ungemach, welches eine ihrer Vorgängerinnen erleiden musste, an den Männern zu rächen, die sie nun pauschal dafür verantwortlich macht. Aber das wussten wir ja schon vorher.

Was der vor allem und wie so oft bei Marco Arturo Marelli auf schöne und gefällige Bilder setzenden Inszenierungen fehlt, ist eine den inneren Spannungsbogen stets aufrecht erhaltende Dramaturgie und Personenführung (Dramaturgie: Olaf. A. Schmitt). Es wird zuviel Wert auf visuelle Effekte gelegt, die zudem in erster Linie chinesische Klischees bedienen, eben das, was man so weiß, wenn man das Land noch nie bereist hat. Sicher wirken die 205 der Terrakotta-Armee in der alten Kaiserstadt Xi´an nachempfundenen Krieger im Zentrum den Bühnenbilds, die aus dem Wasser vorn auf steigen und hinten schwindelnde Höhe erreichen, optisch eindrucksvoll. Sie werden auch effektvoll beleuchtet, oft vom Inneren der transparenten Plastikkörper. Sie wie so manches andere wirken sie aber eher rein dekorativ, stehen nicht stringent in Bezug zur Handlung auf der Rundbühne. Es werden bunte Drachen bemüht, wie man sie auch von Umzügen zum chinesischen Neujahrsfest Mitte Februar kennt. Oft wirbeln Akrobaten heftig mit Stoff- oder Papiergirlanden herum, als ginge es um eine Goldmedaille in der ähnlichen olympischen Disziplin. Mit Feuerringen bekränzt vollziehen Feuerkünstler vermeintlich "brandgefährliche" Drehungen.

Dabei schien ganz zu Beginn mit dem unisono in Mao-artig grauen Kostümen und Masken (Kostüme meist geschmackssicher: Constance Hoffmann) erscheinende Volk eine politische Komponente ins Spiel zu kommen, die aber wie manch anderer interessanter inszenatorischer Ansatz nicht weiter dramatisiert wurde. Auch die durchaus überraschende und offenbar unkontrollierbar gewordene Aktensammlung aller Enthaupteten und ihre in Chloroform eingelegten Köpfe in einer Vertiefung der Drehbühne sowie das schmutzige Geschäft der drei Minister, zunächst zivil in grauen Business Suits und dann in weißer Schlachterschürze mit roten Handschuhen, die neuen Opfer-Häupter hier einzuordnen, war eine interessante Idee für sich.

Sie stand aber in keinem Zusammenhang mit dem historisierenden Ansatz, der beispielsweise durch den Auftritt des Kaisers von China mit seinem zeitgemäßen langen Bart vermittelt wurde. So kam es immer wieder zu Spannungsabfällen, enttäuschten Erwartungen auf wirklich Neues und Spannendes, zumindest einer dramaturgisch konsequenten Kontinuität - und man konzentrierte auch auf die sängerischen Zuckerln. Konsequenterweise erschöpfte sich die Regie in den bekannten Topoi des Chinas was man landauf land ab seit Jahren kennt, ohne es je selbst gesehen zu haben - eine Stereotyp reiht sich an das nächste Klischee, und am Schluss ist man sich gar des Kitsches nicht zu schade, wenn der ganze Drache in einem bonbonfarbenen Wassernebel aus Fontänen angekühlt wird (Licht: Davy Cunningham; Video: Aron Kitzig). Wo bleibt Pudong, wo auch nur der Bund…?!

Nun ist natürlich dem Spiel auf dem See zugute zu halten, dass man hier vor einem breiten Publikum spielt, welches nicht unbedingt zum Stammpublikum der Oper zählt und auch die Details der Werke nicht vollständig kennt. Sogar bei „Andrea Chenier“ gab es ja bereits Zweifel an der Aufführung auf dem See. Schon aufgrund der Größe der Seebühne und der Entfernung zwischen Publikum und Aktion sind also - durchaus auch für sich allein stehende - Effekte von einer gewissen Relevanz. Dennoch haben die Inszenierungen gerade von „Andrea Chenier“ und „Tosca“ zusammen mit anderen der letzten Jahre gezeigt, dass auch auf der Bregenzer Seebühne spannendes, ja aufregendes Musiktheater möglicht ist, bei dem man auch nicht auf die Idee kommt, mal zwischendurch auf die Uhr zu schauen…

Sängerisch gab es ebenfalls Licht und Schatten. Zum Licht gehörte ganz sich die junge Chinesin Guanqun Yu, die die Liù nicht nur mit großer Empathie spielte und einer mitnehmenden Sorge um Calaf und Timur spielte, sondern sie mit einem klangvoll und warm timbrierten Sopran auch bestens sang. Herrlich ihr Piano mit anschließender Steigerung am Schluss der berühmte Arie…

Ebenso auf der Habenseite die drei Minister, Andrè Schuen als Ping, Taylan Reinhard als Pang und Cosmin Ifrim als Pong. Sie waren hervorragend choreographiert und belebten somit das Geschehen erheblich. Insbesondere Andrè Schuen konnte mit seinem prägnanten und gut geführten Bariton überzeugen, aber auch die beiden anderen gaben den Ministern viel stimmliche und darstellerische Überzeugungskraft.

Michael Ryssov war ein mit balsamischem Bass wohlklingend singender Timur. Er spielte den alten Mann sehr zurückhaltend. Der Japaner und auffällig auf Chinese getrimmte Yasushi Hirano sang in buntem Gewand den Mandarin mit prägnanter und Ehrfurcht gebietender Stimme. Kaiser Altoum wurde von Manuel von Senden verkörperte und konnte stimmlich mit seinem etwas morbid klingenden, aber gerade deshalb zur Rolle passenden Tenor weitgehend überzeugen. Es zeigte viel Emotion bei seinen Versuchen, Calaf vom „heiteren“ Rätselraten abzuhalten.

Riccardo Massi gab den Calaf. Wie schon am Vormittag bei der feierlichen Eröffnung, als er „Nessun dorma“ zum Besten gab, konnte er belegen, dass er die Rolle beherrscht und ihr vokal voll gerecht wird. Mit einer kräftigen Mittellage und guter Tiefe ist er höhensicher und meistert auch den Beginn der Rätselszene im 2. Akt mit Bravour, wenn seinem Tenor auch der letzte Glanz fehlt. Allein, es mangelt Massi am nötigen Charisma und Engagement, um ganz als unbekannter Prinz überzeugen zu können. Meist stand er allzu steif auf der Bühne herum.

Mlada Khudoley, die der Rezensent 2003 als recht gute Sieglinde unter V. Gergiev in der „Walküre“ in St. Petersburg erlebte, wagte sich nun an die Turandot. Die Rolle ist für sie einfach eine Nummer zu groß, wird doch hier wirklich einmal ein hochdramatischer Sopran benötigt. Und den hat Khudoley einfach nicht. Selbst Birgit Nilsson soll einmal gesagt haben, dass die Turandot wirklich schwer zu singen sei… Mit der Verstärkung ging es so grade, aber ohne diese wäre Khudoley als chinesische Prinzessin wohl auf verlorenem Posten. In den Höhen wurde es stets zu eng, und die Stimme ließ die so erforderliche Durchschlagskraft - beispielsweise einer Ghena Dimitrova - vermissen. Auch darstellerisch wirkte einiges zu stereotyp.

Der Prager Philharmonische Chor und der Bregenzer Festspielchor machten unter der Leitung von Lukás Vasilek und Benjamin Lack ihre Sache gut und effektvoll. Sie wurden sowohl stimmlich wie vom Engagement auf der Bühne her der Choroper „Turandot“ gerecht.

Paolo Carignani dirigierte zum ersten Mal das Spiel auf dem See in Bregenz, und man merkte in dieser Premiere, dass mit der klanglichen und lautstärkemäßigen Ausgewogenheit in den Folgevorstellungen noch Luft nach oben ist. Während die ruhigeren Phasen mit den Wiener Symphonikern sehr gut und einfühlsam gelangen, klang im forte, zumal mit den Chören, oft einiges zu laut und auch etwas verwaschen. Hier könnte weniger wohl mehr sein und die Bemühung um mehr Transparenz in den Gruppen einiges verbessern. Insgesamt jedoch war der musikalische Vortrag von guter Qualität für die gegebenen Verhältnisse, bei denen das Orchester ja im Festspielhaus agiert.

Der Applaus hielt sich, möglicherweise auch wegen des immer wieder einsetzenden Sprühregens, etwas in Grenzen, wenn man es mit anderen Abenden und Inszenierungen am See vergleicht.

Klaus Billand, 23.7.2014 

Bilder: Karl Forster               

                                                                                                                       

 

 

Ein wiedergefundener Schatz

DER KAUFMANN VON VENEDIG

(Oper von André Tschaikowsky)

 

Premiere der Uraufführung am 18.07.13

 

Das Herzstück der Bregenzer Festspiele 2013 ist sicherlich die Uraufführung der Oper "Der Kaufmann von Venedig" von André Tschaikowsky aus dem Jahr 1978, fertiggestellt bis auf achtundzwanzig Takte der Orchestrierung. Hatte ich anläßlich der Entdeckung von Weinbergs spannender Oper "Die Passagierin" vor zwei Jahren schon gefragt: "Kennen Sie Weinberg ?", so gilt das ebenso für dem Komponisten André Tschaikowsky (1935 - 1979), zu Lebzeiten sicherlich bekannter als Pianist, denn als Komponist. Eigentlich lautet sein Geburtsname Robert Andrzej Krauthammer, geboren in Warschau, lebte er mit der früh geschiedenen Mutter und seiner Großmutter ebendort. Schon beim Kleinkind zeigte sich Sprach- und Musikbegabung, als die Nationalsozialisten die Familie im Warschauer Ghetto gefangen hielten, seine Großmutter schmuggelte ihn unter dramatischen Umständen aus dem Ghetto, während die Mutter bei ihrem neuen Ehemann zurückblieb und ermordet wurde. Nach dem Krieg machte der Hochbegabte unter den Fittichen seiner Großmutter mit neuem Namen bald als Klavierwunder Karriere und studierte ebenso Komposition. Sein nicht einfacher Charakter, wen wundert es nach einer solch` schrecklichen Kindheit, schuf ihm immer wieder Probleme. Seine letzten Jahre verbrachte Tschaikowsky als gefeierter Virtuose in Frankreich und England. Als skurriles Vermächtnis erbte die Royal Shakespeare Company seinen Schädel für Hamlet-Aufführungen, so geriet er sogar noch auf eine englische Briefmarke.

Es ist nicht zu hoch zu bewerten, daß David Pountney und sein Team jetzt endlich seinen "Kaufmann von Venedig" zur Uraufführung brachten. Schon die als Komödie veranschlagte Shakespeare-Vorlage hat es mit der schwierigen Figur des Juden Shylock in sich, denn diese Figur an sich ist schon als antisemitische Karikatur zu werten, wer also, wenn nicht ein Komponist jüdischer Abstammung, würde sich nach dem Holocaust an ein solches Sujet wagen. Das Werk selbst trägt in seinen vier Akten schon einige dramaturgische Schwächen in sich; die Handlung setze ich hier einfach mal als bekannt voraus, denn die Auflösung geschieht eigentlich schon im dritten Aufzug, während der vierte wie ein Appendix daranhängt und mit seinen drei Paaren und der buffonesken Liebesprobe, wie dem melancholischen Ende, ein wenig an "Cosi fan tutte" erinnert. Doch gerade dieser Akt mit seiner wunderbaren Reflexion über die Musik bildet die kompositorische Keimzelle, die Tschaikowsky zur Vertonung inspiriert hat. Hier findet sich auch wundervoll lyrische Musik, die über die grausamen Geschehnisse einen versöhnlichen Schimmer wirft. Tschaikowskys Musik ist für mich nach dem ersten und einmaligen Hören, nicht ganz leicht zu beschreiben: gediegen moderne Töne ohne für die Kompositionszeit (1964-78) avantgardistisch zu sein, das dramatische Geschehen wird auf emotionalem Weg gut unterstrichen, es gibt Anklänge an Alte Musik, wie an die Tonkunst britischer Komponisten des Zwanzigsten Jahrhunderts, ohne nachzuahmen, irgendwie damit sogar eine kleine Hommage an den Jubilar Benjamin Britten. Auf jeden Fall eine sehr bühnenwirksame Musik, besonders packend der dritte Akt mit dem Gerichtsurteil. Ein Werk, dem man in den Spielplänen gerne wiederbegegnen möchte.

Keith Warner siedelt die Handlung im 19.Jahrhundert an; Ashley Martin-Davis`Bühnenbilder wirken mit ihren Anspielungen auf das Bankenwesen dieser Zeit manchmal etwas unterkühlt, seine Kostüme zeigen gesellschaftlichen Rahmen auf, ohne irgendwie zu karikieren, ebenso wirken die ersten Akte in der etwas oberflächlichen Inszenierung leicht aufgesetzt, manchmal streifen sie gar den Slapstick wie in der Kastenprobe des zweiten Aktes. Im dritten Aufzug wird das Spiel dann wirklich konzentriert und packend, während sich der lyrische Finalakt mit den träumerisch surrealistischen Bildern passend absetzt.

Erik Nielsen am Pult der Wiener Symphoniker läßt die "Neue Musik" leuchten, man möchte am liebsten zu den Orchesterkonzerten, die thematisch diese Uraufführung rahmen, noch bleiben, wenn man könnte. Geschickt, ohne larmoyant zu wirken, gibt Adrian Eröd mit ernsthaftem Gestus und männlichem Bariton den Shylock; ihm gegenübergestellt ist der andere Außenseiter; Antonio, der Kaufmann von Venedig, verpflichtet sich ihm mit Leib und Leben für seinen Freund einzustehen, ein unglücklich liebender Homosexueller, der für die melancholische Trübheit und den fast todessüchtigen Gestus einsteht; Christopher Ainslie singt diese zentrale Figur mit lyrischem Countertenor, auch hier eine nicht outrierende Gestaltung. Kathryn Lewek ist mit jugendlichem Sopran die selbstbewußte Tochter Shylocks und nimmt ihres Lebens Fäden in eigene Hände, Jason Bridges als Lorenzo mit leichtem Tenor der passende Partner. Charles Workman ist mit deutlicherer Tenorpräsenz das für Antonio unerreichbare, heterosexuelle Liebesobjekt, Bassiano, gerät an die schelmische Portia, Magdalena Anna Hofmann mit leicht spröden Sopranhöhen. Ihre Vertraute Nerissa, mit angenehmem Mezzo-Timbre Verena Gunz, gerät an Gratiano in Gestalt von David Stouts körnigem Bass-Bariton. Richard Angas als Doge von Venedig, Adrian Clarke als Salerio und Norman D. Patzke als Solanio geben ihren Rollen hervorragendes stimmliches wie szenisches Profil. Hanna Herfurtner punktet mit schönem Sopran als namenloser Knabe. Julius Kubiak und Elliot Lebogang Mohlamme dürfen als Prinzen von Aragon und Marokka für die skurilen Faxen zuständig sein. Der Prager Philharmonischer Chor wirkt als Ensemble wie in den Chorsoli überzeugend.

Insgesamt ein sehr überzeugendes Profil mit einer im Laufe des Abends immer besseren Inszenierung. Ein wichtiges Werk des zwanzigsten Jahrhunderts wurde wiederentdeckt und harrt jetzt darauf von anderen Bühnen nachgespielt zu werden, es würde sich sicherlich lohnen. Da Bregenz medial stets gut vernetzt ist; Ö 1 und ORF 3 live übertragen haben, wird es sicher auch Möglichkeiten geben, diese musikalische Großtat nachzuerleben.

Herzlichen Glückwunsch auch an David Pountney, der für sein Engagement für die polnische Musik (Szymanowski, Weinberg und A. Tschaikowsky), vom polnischen Staat verdientermaßen geehrt wurde.

Martin Freitag, 08.08.13

 

 

DIE ZAUBERFLÖTE

Premiere am 17.07.13

Drei Monschterle im See

Jedes Jahr, wenn die Festspiele in Bregenz eine neue Seeproduktion herausbringen, kann man gespannt sein, was einen für Aufbauten erwarten. Dieses Jahr hatte man sich für Mozarts "Die Zauberflöte" entschieden, was dazu führte, daß schon vor der Premiere sämtliche Aufführungen ausverkauft waren. Intendant Pountney wird seiner Nachfolgerin also ein finanziell sehr solides Fundament hinterlassen.

 

Ja, was sticht nun ins Auge des Betrachters? Das sind zunächst einmal drei riesige, bunte Skulpturen mit gewaltigen Fletschzähnen, die mich zunächst an die Kinderbuch-Monster aus "Wo die wilden Kerle wohnen" erinnern, in ihrer bunten Farbigkeit vielleicht noch an die großen Nana-Figuren von Nicki de Saint-Phalle, alle drei verbunden durch zwei Hängebrücken. Steht man dann vor der Bühne sieht man auf eine grüne Insel in Schildkrötenform mit riesigen Grashalmen, die durch ein Gebläse bis auf sechs Meter Höhe gepustet werden und so den Wald für Papageno darstellen können. Johan Engels Bühne kann dieses Jahr (zum ersten Mal) auch gedreht werden und ermöglicht so die schnellen Szenenwechsel in die goldene Tempelwelt Sarastros oder auf das blaue Auge des Mondes, aus welchem die Königin der Nacht in den Himmel steigt. Schon zur Ouverture schwimmt eine Barke mit dem Leichnam von Paminas Vater in den Vordergrund, nachdem Sarastro den Sonnenkreis und Pamina geraubt hat, kommt es gleich zu einem aktionslastigem Handgemenge der Parteien, der jedem Fantasy-Film zur Ehre gereichen würde, samt Pyro-Effekten, was jedoch aufgrund Geschrei auch zu Lasten der Musik geht. Spektakulär auch die jagende Schlange, wie die riesigen Puppen der drei Damen auf ihren leicht urtümlichen Reittieren, die von jeweils drei Spielern bedient werden und wie Marionetten die Münder zum Gesang öffnen. Marie-Jeanne Lecca versetzt den Zuschauer mit ihrer Phantasie bei den Puppen und den Kostümen ins Staunen der Kindheit. Die drei Knaben auf der seetauglichen, kleinen Schildkröte, wie die Geharnischten sind ebenfalls Figuren und werden gesanglich aus dem Festspielhaus dazugesteuert. Besonders gut gefallen mir die Kostüme von Papageno aus Putzutensilien und leeren, farbigen Plastikflaschen, wie Papagena als alte Kantinenkraft. Zum Schluss gibt es noch einmal eine finale Schlacht, die lediglich das hohe und das niedere Paar überleben, das alte System hat sich verabschiedet. Ansonsten wird mit Effekten nicht gespart, atemberaubende Action-Stunts, Feuerwerke, und, und, und.....da geraten die zweieinviertel Stunden Spieldauer recht kurzweilig. Ja, wahrscheinlich eine der kürzesten Zauberflöten! Dafür hat man nicht nur die Dialoge verknappt, sondern auch gehörig an der Musik geschnippelt: Dritte Papagenostrophen, die zweite "Heilge-Hallen"-Strophe, große Teile des ersten Finales, das "Weibertücken"-Duett (nicht so schade), das Terzett "Soll ich dich Teurer nicht mehr seh`n" (musikalisch sehr schade). Ist es nötig dem Publikum so sehr entgegenzukommen? Wo sind die Zeiten mit dreieinhalb Stunden "Porgy uns Bess"? Das Hinterherlaufen hinter dem Zuschauer senkt, meines Erachtens, das Niveau und die Aufnahmefähigkeit nur noch weiter. Letztendlich bleibt auch die Frage im Raum stehen, was sollen die drei Höllen-Drachenhunde (laut Programmheft) wirklich darstellen? Ist das nur eine nette Deko oder steht da noch etwas dahinter ? Übrigens nicht nur eine Frage, die sich der "Zauberföten"-erfahrene Kritiker stellt, sondern auch der einfache Nicht-Opern-Gänger, wie ich das vernehmen musste. Vielleicht ist diese "Zauberflöte" doch zu sehr auf Show gebürstet, etwas was die anderen Seeproduktionen nie so auffällig aufwiesen.

Patrick Summers unterstützt mit den Wiener Symphonikern in leicht historisch gefärbtem Spiel mit gesanglichen Kadenzverzierungen den Soundtrack zur Show. Daniel Schmutzhard ist als menschlich sympathischer Papageno, natürlich mit Dènise Becks süßer Papagena an der Seite, der Empathieträger des Abends, sein Bariton klingt maskulin, wie geschmeidig. Leider gefällt mir gerade das hohe Paar nicht so recht: Norman Reinhardt springt für den erkrankten Rainer Trost als Tamino ein und singt die Partie mit unsicheren Übergängen. Gisela Stilles Pamina läßt das lyrische Leuchten vermissen, stimmlich ist sie mit den leicht geschärften Höhen schon mehr ihm jugendlich-dramatischen Fach angesiedelt. Für mich ist Ana Durlovski, die ich nur aus anderen Kritiken kannte, eine echte Entdeckung, denn ihre Königin der Nacht wartet nicht nur mit blitzend sauberen Koloraturen (Triolen!) auf , sondern gibt durch ihr dunkel getöntes Stimmfundament der oft sehr eintönig gesungenen Partie eine dramatische Vielfarbigkeit, eine der interessantesten Stimmen, die ich in letzter Zeit gehört habe. Bei Alfred Reiters sattem Basso cantante fehlt die zweite Hallen-Strophe um so schmerzlicher. Martin Koch ist ein recht unbuffonesker, ernstzunehmender Monostatos. Magdalena Anna Hofmann, Verena Gunz und Katrin Wundsam als die drei Damen, wie Laila Salome Fischer, Eva Dworschak und Dymfna Meijts als drei Knaben singen ohne Fehl und Tadel aus dem Festspielhaus. Eike Wilm Schultes Bassbariton als erster Sprecher läßt eine der Partie angemessene Reife anklingen. Der Prager Philharmonische Chor unter Lukas Vasilek ist, wie immer, eine sichere Nummer. Gesanglich also ein sehr gediegenes Niveau.

Als Abschluss, nachdem passend zur Wasserprobe ein leichter Sommerregen einsetzte, großer Premierenjubel. Was mir allerdings auffiel: immer wenn die Aufführung sich auf die Musik verließ, wurde das Publikum ruhiger, je mehr "Action" auf der Bühne war , um so mehr wurde geschwätzt, leider auch fotographiert, machte sich eine Unruhe bemerkbar. Vielleicht sollte man doch mehr auf die positiven Aspekte einer Verlangsamung der Zeit, eines größerem Vertrauens in die Musik, einer geringeren Überreizung unser Sinneswahrnehmungen setzen?

Martin Freitag, 07.08.13

 

 

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