DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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DAS VERSPRECHEN   

Requiem auf den Kriminalroman von Friedrich Dürrenmatt

      

Premiere: 18. September 2022

Besuchte Vorstellung: 7. Oktober 2022

 

 

Die Entstehungsgeschichte des Romans DAS VERSPRECHEN von Friedrich Dürrenmatt ist einigermassen ungewöhnlich. Im Normalfall wird aus einem Roman ein Drehbuch. Bei Dürrenmatt ist dies umgekehrt. Weil er mit dem Film (1958), >ES GESCHAH AM HELLICHTEN TAGE< mit Gerd Fröbe und Heinz Rühmann nicht absolut zufrieden war, entstand der Roman, basierend auf dem Drehbuch. Im Roman werden die gängigen Regeln eines Krimis in Frage gestellt. Vor allem scheitert Kommissar Matthäi am Schluss und es geschehen keine weiteren Morde mehr. Dies im Gegensatz zum Film, in welchem Matthäi Erfolg hat und den Mörder seiner Strafe zuführen kann.

 

Die Regiearbeit von Lorenz Nufer hält sich sehr eng an den Roman und arbeitet die psychologischen Feinheiten, wie von Dürrenmatt vorgesehen optimal heraus. Im Gegensatz zum Film zeigt Nufer die Persönlichkeit des Detektivs in seiner ganzen Tragik, in seiner Erfolglosigkeit. Dies im Gegensatz zu dem ewig erfolgreichen Sherlock Holmes und anderen Detektiven im Krimi. (Hercule Poirot u.a.m).

 

 

Die Dramaturgie von Eva Böhmer kann neben der Regie nicht genug gelobt werden.

 

Einen überzeugenden Kommissar Matthäi erleben wir Christian Baumbach. Seine Körperarbeit, seine Mimik und Gestik ebenso wie seine perfekte Diktion überzeugen von Anfang bis zum Ende überflüssige Längen, nur dem Profil Matthäi’s dienend.

In weiteren Rollen: Tini Prüfert, Martin Carnevali, Hugo Tiedje, Julia Kreusch, als überzeugende Annemarie Delaila Heuberger, nicht zu vergessen auch die Kinderstatisten: Ivan Pfäffli, Cosma Pfäffli und Rony Jeker.

 

 

Die Luzerner Box, die Nebenbühne war komplett ausverkauft. Es handelte sich um vorwiegen junge Leute, welche den Darstellern den wohlverdienten, langanhaltenden Applaus spendeten.

 

Peter Heuberger, Basel

 

© Ingo Hoehn

 

 

 

 

DER BESUCH DER ALTEN DAME

Premiere: 7. September 2019 

Besuchte Vorstellung: 3. Oktober 2019

Die Menschen unterscheiden sich darin von den Raubtieren, dass sie vor dem Morden beten - Friedrich Dürrenmatt, 1980

Das griechische Regie Duo, Angeliki Papoulia und Christos Passalis, erzählt die Geschichte mit Mitteln des Films und der Arbeit der Schauspielerinnen und Schauspielern live auf der Bühne. Ergänzt wird die Inszenierung durch dokumentarische Interviews mit LuzernerInnen, welche in die fiktive Erzählung von
Friedrich Dürrenmatt als Filmsequenzen eingeblendet werden. Die filmische Darstellung, heute ungewöhnlich, in schwarz-weiss ist omnipräsent. Frau Papoulia ist, neben ihrer Arbeit als Regisseurin, auch bekannt für ihre Rollen in griechischen Autorenfilmen - u.a. DOGTOOTH, ALPEN und THE LOBSTER.

VOM BÖSEN ENDE ZUM BEGINN DES SPIELS. Dies ist der Ansatz dieser Inszenierung, also die Geschichte der "Tragischen Komödie" Dürrenmatts von hinten her zu erzählen. Sie beginnt mit dem Tod Alfred Ills, hervorragend interpretiert vom Luzerner Ensemblemitglied Fritz Fenne. Dieser Regieansatz erleichtert das Nachvollziehen der Gründe für das kollektive Verbrechen, den Mord an Ill, ohne eine Entschuldigung, eine Erklärung dafür zu suchen. So lenkt nichts vom kritischen Text Dürrenmatts ab. Keine Erwartungshaltung auf den Ausgang der Geschichte stört das Erfassen der dramatischen Entwicklung.

Dazu das Programmheft des Luzerner Theater: Dürrenmatts Ende, der Mord an Alfred Ill, steht am Anfang der Inszenierung. Durch diesen Kunstgriff wird die bei Dürrenmatt sich allmählich offenbarende Verführbarkeit der Gesellschaft zur Selbstverständlichkeit. Die Grausamkeit der Gemeinschaft, der Racheakt und die ihn auslösende traumatische Verletzung einer jungen Frau rücken in den Mittelpunkt.

Was im Sprechtheater immer etwas befremdlich wirkt, ist der Einsatz von individual Mikrophonen, von Mikroports. Eine akustische Ortung, einhergehend mit der optischen Wahrnehmung ist nicht mehr möglich. Hier wäre das Regieteam gut beraten gewesen, den Einsatz der Mikrophone auf die filmischen oder filmähnlichen Sequenzen zu beschränken. Die Live Szenen auf der Vorbühne wären ohne weiteres ohne Technik möglich gewesen und hätten massiv an Subtilität und Intimität gewonnen. Ich denke zum Beispiel an die Szenen von Claire und Alfred an ihren Liebesorten.

Delia Mayer als Claire Zachanassian war subtil immer zu spüren. Ihre feines, nicht überdrehtes Spiel, ihre Mimik, Gestik und Körpersprache unterstrichen ihr Verlangen nach Gerechtigkeit, ihren seltsamen Auffassung von recht. Ihre Diktion und Sprachverständlichkeit war hervorragend, auch in leisen Passagen. Ihre Präsenz auf der Bühne auch in Abwesenheit zu spüren. Alle Besuchten, also die Einwohnerinnen und Einwohner von Güllen waren sich dieser Präsenz der Hauptdarstellerin, ihrer Wohltäterin, so wie sich die GüllenerInnen dies dachten, immer bewusst und dies war im Spiel sehr wohl zu spüren. Dies zeugt von einer beispielhaften Personenführung des Regieteams, zeugt aber auch von einer hohen Professionalität des gesamten künstlerischen Teams auf der Bühne.

Sehr feinfühlig wurde Musik als Untermalung eingesetzt. Die Videosequenzen von Julia Bodamer entsprachen der Dramaturgie (Irina Müller). Der Bühnenentwurf stammt von Christos Passalis und erlaubt den Einsatz des Filmes als dramaturgisches Mittel auf sehr vielfältige Weise.
Im Gesamten gesehen hat es das Theater Luzern geschafft, den Klassiker von Dürrenmatt aus einem neuen Blickwinkel auf die Bühne zu bringen, die üblichen Inszenierungen in vielen Szenen zu übertreffen. Es wurde in der Inszenierung der Bezug zum 21. Jahrhundert klar heraus gearbeitet, auch wenn Dürrenmatt sein Theaterstück im 20. Jahrhundert geschrieben hat. Die UA fand 1956 im Schauspielhaus Zürich statt.

Leider ist dies für eine der letzten Szenen, in Dürrenmatts Dichtung der Anfang vom Spiel, die Begrüssung von Claire Zachanassian durch die Besuchten nicht der Fall. Diese Szene ist zu lang und trägt nicht, auch wenn der Text für die durchlaufene Entwicklung wesentlich ist. Hier soll, hier muss die Aussage im Vordergrund stehen. Es kann nicht sein dass, wie in Luzern, Helikopterlärm die Verständlichkeit der Güllener Heuchelei beeinträchtigt.

Das Luzerner Publikum bedankte die reife Leistung der Schauspielerinnen und Schauspieler mit dem hochverdienten Applaus, ein Applaus welcher auch dem gesamten Team auch hinter der Bühne galt.

 

Peter Heuberger, 5.10.2019

© Ingo Hoehn

 

credits

 

DIE BESUCHER in Güllen: Claire Zachanassian: Delia Mayer, die Journalistin: Nina Langensand, der Butler: Felix von Wartburg, Toby/Roby: Lukas Darmstadt / David Martinez Morente und als Koby/Loby: Antonia Meier / David Martinez Morente.

DIE BESUCHTEN in Güllen: Alfred Ill: Fritz Fenner, der Bürgermeister: Christian Baus, der Pfarrer: Lukas Darnstädt, der Lehrer: Julian-Nico Tzschentke, die Polizistin: Wiebke Kayser, Frau Ill: Helen Dahinden, Ills Tochter: Antonia Meier, Ills Sohn: David Martinez Morente. Dazu als Bürgerinnen und Bürger von Güllen die Statisterie Luzerner Theater

 

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