DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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DIE DUBARRY

Operette von Carl Millöcker / Theo Mackeben

Premiere: 3. September 2022

 

Man kommt um „Pretty in Pink“ nicht herum, denn dieser Gedanke stellt sich unweigerlich ein, wenn man vor der „neuen“ Volksoper steht. Mit dieser herausfordernd rosa gehaltenen Fassade will die neue Direktorin Lotte de Beer ein Statement abgeben. Locker, luftig, duftig sozusagen. Einstand mit Operette. Signal: Fürchtet Euch nicht, Leute, kommt! Und sie kamen in Scharen zur ersten Premiere, gewidmet dem kaum je gespielten Werk „Die Dubarry“.

Das Beste daran ist, geben wir es zu, der Titel. Auch wer kaum etwas von Geschichte weiß, wittert hier eine Mätresse, und zwar die eines französischen Königs. Sex und Royals also, die unwiderstehliche Mischung. Allerdings ist das Werk nie wirklich gelungen – schon nicht als „Original“ von Carl Millöcker, 1879 im Theater an der Wien uraufgeführt  – drei Jahre später schuf der Komponist mit dem „Bettelstudenten“ schon sein Meisterwerk.  Die „Gräfin Dubarry“, wie sie damals hieß, war keines, sonst hätte sich Theo Mackeben nicht bemüßigt gefühlt, mehr als ein halbes Jahrhundert später eine Neufassung zu versuchen (uraufgeführt 1931 in Berlin).

Dch auch diese ist musikalisch schwach und dramaturgisch unökonomisch. Die Handlung läuft langsam, die Liebesgeschichte gewunden, auf König Ludwig XV. muss man zweieinhalb der dreieinviertel Stunden Spielzeit warten, das Buffopaar ist extrem schwach. Und außerdem spielt die Handlung im Original durchgehend im Paris von 1764, und das Motto der Titelheldin besagt, dass eine Frau vor allem den Männern gefallen müsse, und der Blick in den Spiegel sei Pflicht – schlimmer kann man nun gar nicht gegen den Zeitgeist von heute sündigen.

Eine schwierige Arbeit für  Regisseur Jan Philipp Gloger, sich hier durch zu lavieren und das Stück – natürlich, es geht heute nicht mehr anders – in die Gegenwart zu versetzen. Das funktioniert eine zeitlang zwischen Modesalon, schäbigem Maleratelier und Vergnügungsetablissement. Da kann man die Ausbeutung der Arbeiterinnen zeigen, die folglich nichts anderes im Kopf haben, als sich einen reichen Mann zu angeln, um dem ewigen Elend zu entgehen. Man kann die Brutalität der Männer zeigen, die bezahlen und dafür entlohnt werden wollen, bis zur versuchten Vergewaltigung. Und zwischen Maler und Modell, was die arme Verkäuferin Jeanne Beçu anfangs noch ist, kann man neben Beischlaf auch Krach und häusliche Gewalt andeuten. Keine schöne Welt.

 Natürlich ist es nicht einfach, von hier zu Ludwig XV. zu kommen, und das geht nur, indem man einfach auf jegliche Logik verzichtet und sich darauf ausredet, dass Operette diese nicht braucht. Nachdem Graf Dubarry die hübsche Jeanne mit seinem Bruder (der gar nicht auftaucht) in einer klassischen Scheinehe verbindet, damit sie hoffähig wird, beginnt nach der Pause die ultimative Ironisierung der Geschichte.

Wenn Jeanne „Manieren“ lernen soll, dreht sich alles um – vielmehr bringt ihr der geplagte Lehrer „Österreichisch“ bei, damit gar keine Zweifel aufkommen, dass Hauptdarstellerin Annette Dasch hörbar keine Französin, sondern eine Deutsche oder, wie die Wiener bei solchem Zungenschlag sagen, eine „Piefkin“ ist. Aus dieser Pygmalion-artigen Szene lässt sich viel billiger Witz schlagen – logisch ist es nicht.

Auch nicht, dass man jetzt tatsächlich ins Frankreich des 18. Jahrhunderts rutscht, denn König Ludwig XV. ist schließlich unverzichtbar und historisch nicht umzumünzen. Immerhin gewinnt das Ganze dann den optischen Reiz, den das Publikum von Anfang an von dieser Operette erwartet hätte. Das Happyend freilich muss – wir sind ja so heutig – hinterfragt werden. Gerade noch tanzt die  Dubarry fröhlich als unbestrittene Mätresse des Königs herum, da stürzen sich zum Finale vier Herren mit Revolutionsfahne über sie, reißen ihr die Perücke herunter, werfen sie zu Boden, und eine Aufschrift auf dem transparenten Vorhang weist darauf hin, dass die arme Dubarry tatsächlich noch die Französische Revolution erlebt, allerdings nicht überlebt hat. Wie viele Adelige starb sie auf der Guillotine.

 Die Volksopern-Aufführung packt da „Kritik“ von allen Seiten in das Geschehen, aber grundsätzlich herrscht in der nicht eben aufregenden Ausstattung von Christof Hetzer (Kostüme ohne besondere Eigenschaften: Sibylle Wallum) so viel Schmäh, dass das Publikum sich daran halten kann und sich nicht mit den hässlichen Seiten der Geschichte aufhalten muss. Und die Volksoper hat gezeigt, dass Operette ein fragwürdiges Genre geworden ist, dass man aber trotzdem versuchen kann, damit umzugehen.

An Annette Dasch lässt sich ermessen, was Künstler historischen Kostümen verdanken: Anfangs als struppelige Verkäuferin im Arbeitsmantel ist sie geradezu unscheinbar, im Barockkostüm wächst sie zu der Repräsentationsfigur, die sie auch sein soll. Allerdings verliert sie auch als Schönheit nichts von ihrer ursprünglichen scharfzüngigen Frechheit, so dass die darstellerische Leistung teilweise darüber hinwegtrösten muss, dass die Stimme schon angeknackst ist – und das nicht nur in der Höhe.

Als tenoraler Maler-Held bietet Lucian Krasznec vorwiegend gepresst-scharfe Töne, als Buffo-Paar tun Juliette Khalil und Wolfgang Gratschmaier was sie nur können, damit man nicht merkt, wie fadendünn ihre Geschichte ist.

Übrigen fällt auf, wie präzise und exzellent die Nebenfiguren geführt sind, wobei Ulrike Steinsky von der strengen Herrin des Modesalons bis zur perfekt „näselnden“ Hof-Intrigantin viele Möglichkeiten bekommt. Glänzend sind Oliver Liebl (mit Szenenapplaus für seinen Auftritt als Hauslehrer, der Jeanne seltsamerweise den österreichischen Kaiser beibringt anstelle des französischen Königs) und Martin Enenkel als Faktotum, ebenso Marco Di Sapia als undurchsichtiger Graf Dubarry – und Daniel Ohlenschläger als Ministerpräsident, das ist ja geradezu eine richtige Figur.

Ja, und da ist noch Harald Schmidt, dessen Engagement der Produktion einen zusätzlichen Schub an Medienbeachtung lieferte (die ohnedies groß genug war). Wie würde er den König spielen? Nun, gar nicht natürlich, er ist Harald Schmidt, der in seiner Eingangsszene des Kennenlernens mit ihr die Dubarry befragt, wie er es als Talk-Host  zahllose Male im Fernsehen getan hat. Wenn er nun durch die theatrale Landschaft tingelt, will man ja gar nichts anderes von ihm als ihn selbst – und er passt sich mit seinem Schmäh dem des Abends voll an. Und dabei singt er sogar zweimal ein paar Töne!

Am Pult steht Kai Tietje, und er kann vermutlich nichts dafür, dass die Musik etwas schwerfällig daherkommt. Außer „Ich schenk mein Herz“ und „Ja, so ist sie, die Dubarry“ (glücklicherweise zum Finale, um die Stimmung hoch zu reißen) findet das Publikum gar keine Ohrwürmer. Aber da es genug „Aufputz“ für den Abend gab und das Publikum schon mit reichlich Szenenapplaus zeigte, dass man entschlossen war, den ersten Abend der Ära de Beer ins Herz zu schließen, wurde ein veritabler Premierenerfolg daraus.

 

Renate Wagner 5.9.22


 

 

 

DER TOD IN VENEDIG

Premiere: 14. Mai 2022 

Wiens Opernfreunde  haben Benjamin Brittens „Death in Venice“ in dieser Spielzeit schon einmal (und dabei in der englischen Originalfassung) gesehen. Damals, im Oktober 2021, zauberte Regisseur Christoph Zauner für die Neue Oper Wien im MuseumsQuartier bei minimaler Ausstattung und Düsternis der Szenerie und Atmosphäre eine seelische Horrorshow, die Brittens Werk eine eigene Dynamik verlieh.

Ganz anders nun an der Volksoper, wo man eine Aufführung des Londoner Royal Opera House Convent Garden eingekauft hat. David McVicar ist ein Regisseur, der möglichst nahe an einem Werk und seiner Geschichte bleiben möchte, also eher diese erzählt als den Subtext. Und die reale Handlung ist jene, die man von Thomas Manns Novelle kennt – der Schriftsteller in Schaffenskrise, der sich mehr instinktiv als wirklich absichtsvoll nach Venedig treiben lässt und dort in einen Knaben verliebt, Seelisch diffizil, vom realen Geschehen her nicht allzuviel los.

Aber man kann es in einer realen Umwelt erzählen – ein bisschen Kino, ein bisschen an Visconti und seinen unvergesslichen Film gedacht. Die Möbelstücke, die herum geschoben werden, spiegeln die Epoche (Kaffeehaustischchen mit Marmorplatten) ebenso wie die Kostüme der Damen, die die elegante Welt von 1900 beschwören. Das „Volk“ verhält sich großteils unauffällig. Eine Gondel wird herum geschoben, im Hintergrund glitzert das Meer (Ausstattung: Vicki Mortimer). Und dann, um das hier angesprochene sexuelle Flirren zu illustrieren, das ja essentiell in Novelle und Oper steckt, tanzen in der Choreographie von Lynne Page Buben und junge Männer, stellen ihre Körper aus. Immer wieder und fast zu viel für jenen Teil des Publikums, der davon nicht erotisiert wird…

Durch das Geschehen wandelt Gustav von Aschenbach in Gestalt von Rainer Trost – ein zurückhaltender, fast unauffälliger Mann, dem man seine Existenz als „verlorene Seele“ glaubt, von dem man sich allerdings wünschte, dass er ein paar stärkere Akzente setzte. Er lebt und stirbt am Ende, ohne allzu tiefen Eindruck zu hinterlassen.

Überhaupt scheint es, als hätte die Regie mit Absicht alle stärkeren Akzente vermieden – man kennt die starke Präsenz von Martin Winkler, wenn er denn will und darf, aber hier schlüpft er in die vielen Rollen vor allem durch verschiedene Kostüme und Perücken, weniger durch allzu akzentuiertes Spiel. Darüber hinaus gibt es kaum Rollen – „Apollo“ (Thomas Lichtenecker) erscheint weniger als Vision der Phantasie als ein Herr am Strand, und  Tadzio tanzt sich in Gestalt von Victor Cagnin in schlanker Eleganz durch seine Rolle, vielleicht zu erwachsen für das pädophile Element der Geschichte. Auch die vielen, aber unauffällig bleibenden Einzelfiguren tragen wenig zur Belebung des Abends bei, den Gerrit Prießnitz mit der gleichen Noblesse leitet, den die Regie vorgibt.

Am Ende waren es dreieinviertel sehr lange Stunden, elegisch, elegant, immer wieder auch seelentief – aber ein bisschen langweilig.

Renate Wagner  17.5.22

     

 

Der doppelte Retter

Der Rosenkavalier

Wiener Volksoper, 17.11.2021

… und es begab sich dass der Premierensänger des Ochs, Stefan Cerny, krankheitsbedingt schon nach der zweiten Vorstellung der Serie den Rest der Vorstellungen absagen musste. Es gelang der Direktion mit Franz Hawlata einen sehr erfahrenen Sänger als Ersatz zu engagieren, der nicht nur bereits über 500x diese Rolle verkörpert hat, sondern noch dazu die Inszenierung gut kannte (es ist eine Übernahme der Produktion aus Bonn), da er in dieser auch schon aufgetreten war. Schade, dass ich nicht die Möglichkeit hatte den jungen Wiener Cerny als Ochs zu erleben – alleine durch den Altersunterschied, so könnte ich mir vorstellen, würde da ein ganz anderes Bild des Lerchenauers gezeichnet worden sein.

 

Warum spreche ich vom „doppelten Retter“? Zu Beginn der gestrigen Vorstellung wurde dann auch noch bekannt gegeben, dass Hawlata krank sei, aber trotzdem an diesem Abend auftreten werde. Nun, alleine schon aus diesem Grund wäre es unfair über die Leistung des Sängers ein Urteil abzugeben. Er schonte seine Stimme im ersten Akt, begann den 2.Akt sehr souverän, musste dann aber gegen Ende schon wieder auf „Überlebensmodus“ zurückfahren. Seine schauspielerische Leistung war indes beeindruckend (inwieweit sie mit dem Regiekonzept übereinstimmte, sei dahingestellt), er brachte seine ganze Erfahrung aufs Tapet. Sein Ochs ist ein „grober Lackel“, wäre ein Fressen für die „me-too“-Gemeinde gewesen, in der Konversation mit der Marschalling zeigte er aber nichtsdestotrotz dass er – wenn es unbedingt sein muss – sich wohl zu benehmen weiß. Das Publikum dankte dem Sänger für seinen Auftritt mit sehr freundlichem Applaus.

 

Die vom Publikum am meisten akklamierte Sängerin des Abends war Beate Ritter in der Rolle der Sophie. Als gelernter Wiener hat man die Schenk-Inszenierung an der Staatsoper ja schon viele Male gesehen, und meistens wird sie dort als sehr unschuldiges Wesen dargestellt. Hier ist sie ein selbstbewusstes junges Mädchen, das sich (im Gegensatz zur Marschallin – wie diese ja selbst sagt) nicht ohne weiteres ihrem Schicksal ergeben möchte. Es ist auch nicht die Liebe auf den ersten Blick zwischen Octavian und ihr, diese ergibt sich erst im Verlauf des 2.Akts. Eine interessante Interpretation, die dem Regiekonzept zuzuschreiben ist. Leider geht dadurch der Zauber bei der Überreichung der Rose ziemlich verloren (und ist es wirklich notwendig gewesen eine Slapstick-Aktion einzufügen? Wenn Sophie dem Octavian die Rose zum Riechen hinhält, dann stolpert sie ein bisschen und rammt ihn diese ins Gesicht…). Ritter beherrscht die Rolle perfekt – es wird interessant sein, wie sie sich ein einem größeren Haus bewährt.

 

Emma Sventelius ist von der Figur und vom Auftreten her ein idealer Octavian. Ihr Mezzo ist zwar etwas hell und daher beim Schlussterzett nicht leicht von den beiden Sopranen zu unterscheiden, aber das ist schon der einzige Einwand, den ich vorbringen kann.

 

Beeindruckend, besonders vom schauspielerischen Standpunkt aus, war die Leistung von Jaquelyn Wagner als Marschallin. Auch ihr Monolog ging wirklich unter die Haut. Eigentlich von der ersten Szene weg konnte man erahnen, dass die Liaison mit Octavian nicht lange anhalten wird. In ihrem Gesang spiegelte sich eine gewisse Wehmut in ihrem Gesang. Die Amerikanerin, die schon auf eine erfolgreiche internationale Karriere zurückblicken kann, ist – wie auch Ritter und Sventelius – ein absoluter Gewinn für diese Produktion. Ähnlich wie bei Beate Ritter wäre es interessant, wie sie sich auf einer wirklich großen Bühne schlägt.

 

Morten Frank Larsen war ein verlässlicher Faninal, der eher als „Prolet“ denn als frisch geadelter Mann gezeichnet ist, Ulrike Steinsky eine manchmal etwas schrille Leitzmetzerin. Das Intrigantenpaar war bei Johannes Mertes und Margarete Joswig in guten Händen, ohne dass beide besondere Akzente setzen konnten. Daniel Ohlenschläger beeindruckte als stimmgewaltiger Polizeikommissar.

 

Einer, der aus seiner Nebenrolle viel herausholte, war Carsten Süss. Der Haushofmeister bei Faninal wurde von der Regie sehr genau gezeichnet – und es bedarf wahrscheinlich ein oder zwei weitere Besuche der Produktion, um alle Kleinigkeiten, die Regisseur Josef Ernst Köpplinger der Produktion „verschrieben“ hat, zu entdecken.

 

Vincent Schirrmacher überzeugte mit seinem kraftvollen Tenor und er brachte diese recht schwierige Arie gut über die Runden. Alle anderen Mitwirkenden seien pauschal gelobt.

 

Hans Graf dirigierte das Orchester der Volksoper für meinen Geschmack etwas zu laut (aber vielleicht hörte es sich am Balkon und auf der Galerie anders an als im Parkett. Und – um wieder die Staatsoper als Vergleich zu bemühen – DORT spielen halt die Philharmoniker…

(allerdings „borgte“ sich die VOP das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper aus !)

 

Thomas Böttcher studierte den Chor der Wiener Volksoper wunderbar ein.

 

Zum Abschluss noch einige Bemerkungen zur Inszenierung. Nach 40 Jahren wieder eine Neuinszenierung des Rosenkavaliers in Wien – alleine das ist ja schon ein Wagnis, noch dazu, dass die Schenk-Produktion sicherlich zu den schönsten überhaupt gehört. Und das Wagnis hat sich gelohnt, denn man findet durch eine sehr gelungene Personenführung einige andere Akzente als im Haus am Ring.

 

Eine der am besten gelungenen Einfälle ist der, dass Octavian im ersten Akt ein Tuch der Marschallin mitnimmt, mit ebendiesem im zweiten Akt der Sophie die Tränen abwischt und sie es dann behält – und im dritten Akt verliert sie es und „Mohammed“ nimmt es und somit geht es wieder an die Marschallin retour – „Full Circle“

 

Es ist insgesamt eine im besten Sinne des Wortest konservative Inszenierung, die von Köpplinger (der auch für das Licht verantwortlich zeigt), Johannes Leiacker (Bühne) und Dagmar Morell (Kostüme) verantwortet wird. Nicht ganz glücklich war ich mit dem dritten Akt. Das „Wirtshaus“ erschien als Bar (zwar im Stil des frühen 20.Jahrhunderts – in diese Zeit war die Oper angesiedelt), doch war das alles sehr nüchtern. Und die Regie schickte auch sämtliche Mitwirkende der Oper auf die Bühne (was hatten da die „drei adeligen Waisen“ – die auch überzeichnet waren – zu suchen ?!?).

 

Trotz allem lohnt es sich diese Produktion zu sehen – ich werde sie sicherlich bei einem Re-Run besuchen!

 

Kurt Vlach 18.11.21

 

 

 

Volksoper im Casino am Schwarzenbergplatz

Detlev Glanert: LEYLA UND MEDJNUN

Aufführung am 14.6.2021

 

Vor knapp zwei Jahren war im Wiener Konzerthaus das interkulturelle, mehrsprachige Musiktheaterprojekt „Orfeo & Majnun“ von Moneim Adwan, Howard Moody und Dick van der Harst als österreichische Erstaufführung zu sehen. Darin wurde die antike Sage von „Orpheus und Eurydice“, wie sie von Ovid in seinen Metamorphosen (10,1-105) geschildert wird, mit der Liebesgeschichte „Layla und Majnun“ (um 1188) des persischen Dichters Nizami von Gandscha (1141-1209) nach einer präislamischen, arabisch-beduinischen Legende, verbunden. Das von Komponist Detlev Glanert (6.9.1960*) als „Märchen für Musik“ benannte Musiktheaterwerk erlebte seine Uraufführung am 28. Mai 1988 als Auftragswerk der 1. Münchner Biennale für neues Musiktheater. Es war seine erste Oper. Die Neufassung von 2016 wurde sodann am 12. Mai 2017 an der Staatsoper Hannover erstaufgeführt und nun im Kasino am Schwarzenbergplatz als österreichische Erstaufführung vorgestellt. Das ursprüngliche Libretto stammte von Aras Ören und Peter Schneider und wurde von Regisseurin Ruth Brauer-Kvam und Nicolaus Hagg, der durch die Oper als Erzähler Zenne führt, für die Volksoper neu eingerichtet. Die Gesamtdauer betrug erquickliche und spannungsgeladene 100 Minuten.

 

Die Geschichte des Liebespaars „Leila und Madschnun“ wurde in der arabisch-persischen

sowie der türkisch-kurdischen und urdusprachigen Literatur in unterschiedlichen Formen ausgestaltet. Zu Beginn der Oper sieht man an der Wand des Casinos hinter den Musikern eine Einblendung, auf der die Übersetzung der Namen des Liebespaares samt der arabischen Umschrift (fälschlicherweise aber von links nach rechts, statt umgekehrt von rechts nach links geschrieben). Vielleicht war man vorschnell der Meinung, der durchschnittliche Besucher der Aufführung könne die arabischen Schriftzeichen ohnehin nicht lesen? Allerdings hätte dieser „Fehler“ sicherlich der Regisseurin auffallen können, da ja auch Ivrit von rechts nach links geschrieben wird. Wobei sich für mich noch eine weitere linguistische Frage auftut, weshalb Madschnun bei Glanert mit dem Vokal „e“ als „Medjnun geschrieben wird, obwohl es diesen Vokal zumindest im Arabischen gar nicht gibt? Aber solche Überlegungen möchte ich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Der Inhalt dieser tragischen orientalischen Romeo und Julia-Liebesgeschichte ist schnell erzählt: Der türkische Zauberer Zenne erzählt das Märchen aus heutiger Sicht.

Leyla (arabisch: Nacht) und Medjnun lieben einander gegen den Willen der Gesellschaft. Der Dichter Medjnun ist in die Liebe verliebt, während Leyla in Medjnun den Menschen liebt. Leylas Eltern wünschen sich einen anderen Bräutigam für ihre Tochter und Medjuns Vater sorgt sich um seinen Sohn Qais, weil dieser nach Leyla verrückt (arabisch: „madschnun“, wörtlich „von Jinn besessen“) ist. Diese wird gegen ihren Willen aber mit einem anderen Mann verheiratet. Medjnun aber zieht sich in die Wüste zurück, wo er mit Tieren spricht, deren Sprache er durch seine absolute Liebe versteht. Leyla aber, von ihren Eltern zur Ehe mit einem anderen Mann gezwungen, verfällt und stirbt. Das von

Gerrit Prießnitz umsichtig geleitete Kammerorchester von 10 Musizierenden setzte sich aus erster und zweiter Violine, Viola, Cello, Kontrabass, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Harfe, Schlagwerk, Klavier / Celesta und einer Oud, einer Kurzhalslaute aus dem Vorderen Orient,  zusammen. Mag Glanert seine musikalischen Wurzeln auf die Spätromantik (Mahler) und den Impressionismus (Ravel) zurückführen, beweist die Musik zu Leyla und Medjnun ebenso den Einfluss der Moderne (Berg, Henze, Rihm) sowie zeitgenössischer Klangfarben. Und es mögen sich noch weitere, dem Verfasser dieses Berichtes unentdeckte „musikalische“ Anspielungen in der Partitur verborgen haben, dennoch bleibt seine Klangsprache authentisch und stets zuhörerfreundlich.

Ruth Brauer Kvam schuf eine sensible Regie samt spannender Choreographie, die sich auf den mit orientalischen Teppichen ausgelegten Fußboden des Casinos in heutigen Kostümen von Monika Rovan entrollte. Atilla Gümüssuyu trainierte die Sänger für die Aufführung auch in österreichischer Gebärdensprache, die während der Aufführung fallweise zum Einsatz gelangte.

 

 

Das darstellende Ensemble umfasste neben einem Erzähler noch neun Sänger und Sängerinnen. Mara Mastalir bot für Leyla einen in allen Registern angenehm tönenden Sopran in allen Lagen auf. Alexander Pinderak stand ihr mit seinem heldenhaften Tenor als Medjnun in nichts nach. Manuela Leonhartsberger besaß für die Rolle von Leylas dominanter Mutter den passenden kräftig-kantigen Mezzo. Bariton Günter Haumer trat in so unterschiedlichen Rollen wie Medjnuns Vater, als Jäger und am Ende der Oper noch als Arzt, der Medjnun heilen möchte, auf. Der aus dem Iran stammende Mehrzad Montazeri versah die Rollen des Schneiders, Bräutigams und Kriegers mit seinem sehr gut geführten, eher lyrischen Tenor. In den weiteren kleineren Rollen waren noch Tenor Christian Drescher als Schuster, Bariton Daniel Ohlenschläger als Schmied und Löwin, sowie die beiden Soprane Anna Nekhames und Johanna Arrouas als Morgenvogel und als Reh zu bewundern. Dieses neunköpfige Ensemble trat während der Oper aber auch als Schüler, Tiere und als Totenchor auf. Die gut besuchte Aufführung wurde am Ende von allen Zusehenden ausgiebig mit Applaus bedankt.  

 

Harald Lacina, 15.06.21

Bilder: Volksoper / (c) Philine Hofmann

 

 

 

RIGOLETTO

Wiener Volksoper, 8.6.2021

Wiederaufnahme der Produktion aus 2009

 

 

Wer ein gelungenes Beispiel einer Regiearbeit, die einen Opernstoff in die nicht ganz so ferne Vergangenheit transponiert, sehen möchte, dazu solide bis hervorragende Sänger, dem sei ein Besuch des „Rigoletto“ an der Volksoper ans Herz gelegt. Die Premiere dieses Verdi-Klassikers fand vor 12 Jahren statt, für die Produktion zeichneten Regisseur Stephen Langridge, Bühnenbildner Richard Hudson und Lichtdesigner Fabrice Kebour verantwortlich.

Die Geschichte wurde aus der Renaissancezeit/Mantua in das Rom der frühen 1960er-Jahre transponiert (genauer gesagt in die Cinecittá und Umgebung). Die Inspiration dazu fand man in Federico Fellinis „La Dolce Vita“. Der Duca ist ein Filmstar, Rigoletto sein Garderobier, die „Cortegiani“ Schauspieler und Leute, die am Filmset arbeiten. Es macht alles Sinn und – warum sollte die Hauptperson nicht den Künstlernamen „Duca“ haben (im Jazz gab es ja auch „Duke“ Ellington, „Count“ Basie oder „Lady Day“)?

Am eindrucksvollsten agierte an diesem Abend Stefan Cerny, der den Sparafucile überzeugend darstellte und einen wirklich schwarzen Bass hat! Er hinterließ einen viel besseren Eindruck als die Sänger, die ich in den letzten Jahren an der Staatsoper in dieser Rolle gehört habe! Chapeau!

 

 

Pavel Valuzhin sang den Duca und hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Er hat eine gut geführte Mittellage, allerdings kämpfte er hörbar mit den Höhen und neigte da zum Falsettieren. Bei diesen Stellen veränderte auch sein Timbre – seine Stimme wurde da wirklich „weiß“. Da ist sicherlich Luft nach oben. Darstellerisch ist ihm nichts anzukreiden.

Der staatsopernerprobte Boaz Daniel, einer der vielen Rollendebütanten an der VOP an diesem Abend, spielte und sang überzeugend – manchmal erschien seine Stimme fast schon zu groß für das Haus. Gegen Ende der „Cortigiani“ schien es, dass er eine kleine Schwächephase hatte, allerdings war diese dann im darauffolgenden Duett mit Gilda wieder vergessen. Ich bin gespannt, ob sich bei den kommenden Vorstellungen (eine werde ich sicherlich besuchen) mein Eindruck ändern wird.

Auch Rebecca Nelsen gelang ein mehr als erfolgreiches Rollendebüt als Gilda. Nelsen ist im Juni im Dauereinsatz (am Tag davor sang sie noch die Pamina) und konnte überzeugend die Entwicklung des naiven Mädchens hin zur Liebenden, die trotz ihrer Erkenntnis, dass der Duca ein frauenverachtender Lüstling ist, ihr Leben für ihn gibt, auf der Bühne umsetzen. „Caro nome“ gelang ihr sehr gut – damit war ja auch schon die halbe Miete eingefahren.

 

 

Ich hätte mir von Martina Mikelic in der Rolle der Maddalena etwas mehr Tiefe gewünscht, sowohl was die Darstellung als auch den gesanglichen Ausdruck betrifft. Die Gesangstechnik ist gut, aber unter einer „Figlia dell‘amore“ stelle ich mir schon etwas anderes vor – es kann aber auch damit zusammenhängen, dass Mikelic im Vergleich zu den anderen Sängern extrem groß ist – und sich daher das Zusammenspiel mit Pavel Valuzhin etwas schwierig gestaltete. Trotzdem – unter dem Strich ergab sich eine selten unerotische Darstellung.

Andreas Mitschke als Graf Monterone hätte bedrohlicher wirken können, Alexandre Beuchat, Kirlianit Cortés und Marco Di Sapia rollendeckende Höflinge. Auch Elvira Soukop als Giovanna machte ihre Sache gut.

Holger Kristen war für die Einstudierung des Volksopernchors zuständig. Aus dem Orchestergraben klang es teilweise sehr rustikal (was aber unter Umständen auch meinem Sitzplatz zuzuschreiben ist – auch da bin ich auf einen zweiten Eindruck gespannt) – Dirigent Lorenz C. Aichner legte da keinen so großen Wert darauf die lyrischeren Teile der Partitur zu erkunden.

Alles in allem war es ein Abend, der einen sehr guten Eindruck hinterließ (es sei auch noch erwähnt, dass in der Originalsprache gesungen wurde!) und Lust machte, eine der Folgeaufführungen zu besuchen – in der Hoffnung, dass sich das eine oder andere dann „eingeschliffen“ hat.

 

Kurt Vlach, 10.6.2021

Bilder (c) Volksoper

 

 

 

Cabaret

… wenn es passiert, dass die Intensität des Stückes so groß ist, dass man nicht dazu kommt, die Darbietungen wirklich zu genießen…

Volksoper Wien, 22.10.2020

TRAILER

 

Die Volksoper ist,wie ich schon des öfteren geschrieben habe, das wichtigste Haus in Wien für „klassische“ Musicals. „Cabaret“ fällt, wie auch das parallel gespielte „Sweet Charity“, gerade noch in diese Periode. Schon ein paar Jahre später, beginnend mit „Godspell“ oder „Hair“, änderte sich dann die Instrumentierung – weg vom klassischen Big-Band-Sound hin zu rockigeren Tönen.

Trotz der Musical-Tradition der Volksoper feierte das Stück erst im Vorjahr seine Wiener Erstaufführung – und dem Leading Team ist da ein großer Wurf gelungen! Regisseur Gil Mehmert, Choreographin Melissa King erweckten das Berlin zu Ende der 20er-Jahre zum Leben, die Kostüme von Falk Bauer sind der Periode entsprechend. Die Bühnenbildnerin Heike Meixner setzte klug die Drehbühne ein, sodass die Szenenwechsel vom Kit-Kat Club zur Pension der Frau Schneider harmonisch und rasch ausgeführt werden können.

In unseren Breiten wurde das Stück besonders durch die grandiose Verfilmung aus 1972 bekannt – Liza Minelli als Sally Bowles setzte da einen Meilenstein und Joel Grey ist als Conférencier noch immer unübertroffen. Interessant ist, dass für die Verfilmung das Autorenteam John Kander und Fred Ebb noch drei Songs hinzufügten, die in der Bühnenversion nicht vorhanden waren. Die Volksoper entschied sich für eine Produktion in deutscher und englischer Sprache und übernahm vom Film auch das bekannte Lied „Mein Herr“.

Der viel zitierte „Tanz auf dem Vulkan“ beschreibt die letzten Jahre der Weimarer Republik, in denen, bedingt auch durch die Weltwirtschaftskrise, die Bevölkerung sich dem ganz linken und ganz rechten politischen Lager zuwendete (was man aktuell auch in den USA sehen kann, obwohl es ja dort nicht wirklich ein „linkes“ Lager gibt), gleichzeitig aber nicht daran glaubte, dass die braunen Horden tatsächlich so extrem agierten wie sie sich gebärdeten. Als Beispiel dafür sei in diesem Stück der Gemüsehändler Schulz genannt (unaufdringlich gespielt vom Volksopernboss himself, Robert Meyer), der ja bis zum Schluss die Angriffe auf sein Geschäft verharmlost – so lange, bis es für ihn zu spät ist. Das erinnert auch sehr auf eine Szene des „Ship of Fools“, in der Heinz Rühmann in der Rolle des Julius Löwenthal sinngemäß meint „Was können sie schon mit uns machen? Alle töten?“.

Oliver Liebl als Ernst Ludwig, ein höherrangiges SA-Mitglied, überzeugte sehr in seiner Darstellung – er beherrschte das Ende des 1.Aktes – die ersten Zeichen der Nazi-Herrschaft schlugen sich auch auf die Applausfreudigkeit des Publikums nieder – die Stimmung war da wirklich gedrückt.

Die Rolle des Conférenciers ist in diesem Musical eine ganz wichtige, und auch eingedenk des fast übergroßen Schattens von Joel Grey ist es besonders wichtig, hier eine ausdrucksstarke und überzeugende Persönlichkeit zu finden. Dies gelang in dieser Produktion – Ruth Brauer-Kvam ist ein androgyner Marionettenspieler, schauspielerisch und gesanglich herausragend und schwebte de facto als Todesengel über allen anderen Mitwirkenden.

Die weibliche Hauptrolle der Sally Bowles war bei Bettina Mönch bestens aufgehoben. Sally ist ja nicht wirklich eine Sympathieträgerin, sondern im Prinzip recht rücksichtslos. Das konnte Frau Mönch gut rüberbringen. Gesanglich ließ sie keine Wünsche offen – sie beherrscht die Technik bestens und hat eine echte „Rockröhre“. Der Clifford Bradshow wurde von Jörn-Felix Alt fast etwas zu brav verkörpert, allerdings passte diese Darstellung für einen Schriftsteller recht gut. Dagmar Hellberg setzte als Fräulein Schneider all ihre Routine ein und sorgte auch für die „Berliner Schnauze“ – sie ist die einzige, die nicht hochdeutsch sprechen musste. Sehr gut auch Johanna Arrouas als Fräulein Kost.

Für die kleineren Rollen sei hier ein Pauschallob ausgesprochen, ebenso für das Orchester der Volksoper Wien unter der Leitung von Lorenz C. Aichner.

Der Abend war sehr intensiv und machte sehr betroffen. Es ist ein wichtiges Stück in einer großartigen Produktion.

 

Kurt Vlach, 26.10.2020

Bilder (c) Barbara Palffy

 

 

 

 

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