DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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PARSIFAL

WA am 3. April 2022

Wagners Abschiedswerk in eindrucksvoller Interpretation der Werkaussage

Vor mittlerweile schon wieder fünf Jahren fand an der Sofia Oper und Ballett die bulgarische Erstaufführung von Richard Wagners Abschiedswerk „Parsifal“ statt. Damals wie heute stand Constantin Trinks am Pult des Orchesters der Sofia Oper. Er, der viel von Richard Trimborn lernen konnte, der wiederum bis zu seinem Tode kongenialer Partner von Prof. Plamen Kartaloff war, dem Generaldirektor der Sofia Oper und Regisseur dieser Produktion, bewies auch an diesem Abend wieder sein tiefes Verständnis von Wagners genialer Partitur. Es begann schon im Vorspiel, welches er - fast könnte man sagen, à la Hans Knappertsbusch - zu zelebrieren schien und setzte sich über den ganzen langen Abend mit einem detailverliebten, immer aber den großen Bogen im Augen behaltenden Dirigat fort. Durch die getragenen Tempi erinnerte der 1. Aufzug an die Bayreuther Dimensionen eines James Levine. Aber eines ist auch sicher: Selbst allzu getragene Tempi können dem „Parsifal“ nichts anhaben. Begründungen dafür finden sich gerade in diesem Werk zur Genüge. Man hat zu dieser Wiederaufnahme im Rahmen des Wagner/Strauss-Festivals 2022 neue Glasglocken bestellt. Und zwar handelt es sich um ein Set von vier resonanten Metallplatten, das von Matt Nolan entworfen wurde, von der Sofioter Produktion als extravagant und selten bezeichnet. Die Platten klingen durchuas interessant, aber noch zu hell, um dem dunklen Bayreuther Gralsglocken-Klang, den man dort bei der Klaviermanufaktur Steingräber persönlich anschlagen kann, nahe zu kommen. In jedem Fall stellen sie eine originelle Lösung des immer wieder als schwierig und nicht eindeutig zu fassenden Gralsglocken-Problems dar.

Die analytische und intensiv Akzente setzende musikalische Interpretation Trinks‘ passt bestens zur Ästhetik der Inszenierung von Plamen Kartaloff, der ebenfalls die Handlung in einer Wagners Intentionen und Aussage sehr nahen Art und Weise interpretiert. Von Wagnerschem Regietheater hält man in Sofia wenig bis gar nichts. Und was man dem hier entgegenzusetzen hat, kann sich auch international sehen lassen. Denn Kartaloffs Sicht des „Parsifal“ kommt von innen heraus, aus den tiefsten Tiefen dieses so vielschichten Oeuvres und seiner Thematik, mit dem Wagner einen solchen mystischen und transzendentalen Schlusspunkt unter sein geniales Schaffen setzte. Kartaloff geht es bei der Konzeption dieses „Parsifal“ vor allem um die Vermittlung emotionaler Inhalte, wobei die Kategorien Brüderlichkeit, Menschlichkeit und Nächstenliebe eine Verbindung mit göttlicher Strahlkraft und spiritueller Heilung eingehen. Das spirituelle Mysterium der „Parsifal“-Legende sowie die philosophischen Botschaften der Charaktere und ihr Verlangen nach einem „finalen Nirwana“ sollten im Mittelpunkt stehen. Das zu zeigen verlangt einen hohen Grad an Abstraktion und eine fein ausgefeilte Personenregie, was beides bereits im 1. Aufzug und durch das ganze Stück hindurch eindrucksvoll zu erleben ist. Gurnemanz und die Ritter erscheinen in von Stanka Vauda geschmackvoll gestalteten weißen Kostümen mit den typischen Mönchskapuzen und geben damit einen wirksamen Kontrast zu den eher dunklen Bühnenbildern von Sven Jonke. Das Lichtdesign von Andrej Hajdinjak ist stets auf die Bilder abgestimmt.

Bei der Gurnemanz-Erzählung, die damit keinen Moment langweilig wird, sehen wir Momente aus der Vorgeschichte an der Seite, so wie Klingsor Amfortas in seiner Liebesnacht mit Kundry den Speer entwendet und dem Gralskönig die Wunde zufügt. Auch Kundry kommt hier auch immer wieder vor, begünstigt durch die sich manchmal zu viel drehende Drehbühne. Hochemotional wirkt der von Parsifal tödlich verletzte Schwan. Er wird von einem jungen gefiederten Tänzer verkörpert, der auf der Bühne zusammenbricht und Parsifal noch einen letzten verzweifelten Blick zuwirft, sodass dieser bereits weit über sein Toren-Dasein hinaus betroffen ist. Er hört später auch, noch auf der Bühne verweilend, die Stimme aus der Höhe und damit eine Art Auftrag für seine Mission - Regieeinfälle, die einen kausalere Dramaturgie ermöglichen.

Über das Regiekonzept ist anlässlich der Premniere 2017 schon das meiste an dieser Stelle gesagt worden. So soll nur noch eine Idee genannt werden, die immer wieder in diesem „Parsifal“ für Erstaunen sorgt. In der Verwandlung im 1. Aufzug wird die Gralsschale durch unten und oben gegeneinander rotierende Seile zu einem den gesamten vertikalen Bühnenraum umfassenden Phänomen inszeniert. Bei der Apotheose im 3. Aufzug werden statt der Seile genau fokussierte Laserstrahlen sichtbar, die natürlich der Gralserscheinung eine noch viel größere Aura verleihen. Und dazu die finalen Takte zu hören ist dann schon etwas ganz Besonderes! Wenn der junge Gralskönig Parsifal mit dem senkrecht erhobenen Speer unter diesen Strahlen-Dom tritt, wird die Vereinigung von Gral und Speer auf eine fesselnde und nahezu perfekte Art und Weise sichtbar.

Martin Iliev ist diesmal Parsifal und verleiht mit seinem heldisch timbrierten Tenor, der ihn bekanntlich auch zu einem sehr guten Tristan, Siegmund und Siegfried macht, mit bisweilen tragischer vokaler Note einen leidvoll Suchenden, der schließlich einen emotional mitnehmenden Schlussgesang beschert. Atanas Mladenov ist weiterhin das ganz große Talent nicht nur als Amfortas, sondern auch für andere Wagner-Rollen. Er kann das furchtbare Leiden des alten Gralskönigs mit einer Intensität spielen, die unter die Haut geht und dazu noch mit seinem facettenreichen und klangvollen Bassbariton veredeln. Angel Hristov ist sicher ein souveräner Gurnemanz, der ausreichende Bassgewalt für diese so lange Rolle mitbringt und auch die erforderliche Autorität in ihrer Darstellung. Es fehlt ihm allenfalls etwas an Wärme in der Stimme, die man, wenn man dem Dritten Knappen genau zuhört, vom „Väterchen“ auch erwarten kann. Hristov steigerte sich aber noch im 3. Aufzug beim Karfreitagsszauber. Veselin Mihaylov ist hingegen ein perfekt intonierender Klingsor mit kraftvoller Stimme und viel Ausdruck seines Bassbaritons und auch im Spiel. Seine wilden Aktivitäten zu Beginn des 2. Aufzugs sind recht eindrucksvoll und in dieser Intensität selten zu sehen. Radostina Nikolaeva ist wieder die verführerische Kundry und hat ihre Souveränität in der Rolle weiter verstärkt. Mit ihrem für eine Kundry realiv hellen Timbre fallen ihr die Höhen besonders leicht. Petar Buchkov ist der gewohnt dunkel orgelnde Titurel. Die Blumenmädchen dürfen in Sofia auch einmal sexy sein, was ja weiter westlich bei den dort rasant zunehmenden sexuellen Verkrampfungen auf der Wagner-Bühne immer mehr verpönt zu sein schein. Hier passt neben der Choreographie auch alles stimmlich Lyubov Metodieva, Ayla Dobreva, Stanislava Momekova, Yuliana Katinova, Aleksandrina Stoyanova und Angelina Mancheva sind die Schönen). Bei den Gralsrittern und Knappen gibt es vokal hingegen Licht und auch Schatten.

Eine ganz besondere Würdigung verdient der wie immer von Violeta Dimitrova einstudierte Chor der Sofia Oper, der zu seinen großen Auftritten in den Randaufzügen exzellent choreografiert und stimmlich immer stärker werdend in den Vordergrund tritt wie in einem großen Keil. Elektrik.Me schafft mit Multimedia-Technik ständig interessante Assoziationen der Ritter figurativ auf den großen Tuchbahnen im Hintergrund, sodass die Bilder stets wie in sanfter Bewegung erscheinen.

Mit dieser „Parsifal“-Produktion hat die Sofia Oper ein eindrucksvolles Zeichen dafür gesetzt, wie intensiv Wagners Musikdramen aus sich heraus wirken können, wenn man nahe an der Werkaussage bleibt, also dem Komponisten vertraut und dazu noch eine erstklassige musikalische Leistung bieten kann.                                                                       

Fotos: Setoslav Nikolov

Klaus Billand/17.5.2022

www.klaus-billand.com

 

 

TOSCA

am 12. Dezember 2021

Auch nach zehn Jahren immer noch frisch und lebendig!

Die etwa zehn Jahre alte „Tosca“-Inszenierung von Giacomo Puccinis Meisterwerk durch den Generaldirektor der Oper und Ballett Sofia, Prof. Plamen Kartaloff, ist auch nach so langer Zeit noch frisch und von einer emotionalen Direktheit, die man nicht oft hat an einem Repertoire-Theater. Es ist die Einfachheit des Bühnenbildes von Miodrag Tabacki, das diese Inszenierung so überzeugend macht, mit einem exzellenten Lichtdesign von Andrei Hajdinyak und Emil Dinkov, wie auch eine hervorragende Personenführung der Sängerschauspieler, die aber auch große Freiheiten in der Interpretation ihrer Rollen haben. Ein riesiges christliches Kreuz, das über der Bühne hängt, dominiert den ersten und dritten Akt. Es ist mit stückbezogener Malerei versehen und sorgt so für eine gewisse Interpretation und stimmige Assoziationen zur Handlung. Auf dem Kreuz sind nämlich eine biblische Kreuzigungsdarstellung und das Kuppelgewölbe mit der Apsis der Kirche Sant’Andrea della Valle sowie das Porträt der Attavanti zu sehen. Als Boden ist der Marmorbelag der Kirche erkennbar. Cavaradossi malt im 1. Akt sozusagen im Stehen von unten am Bild der Attavanti. Tosca wirft einen Pinsel wütend in die Höhe, um das Bildnis zu treffen, als sie bemerkt, dass nicht sie das Motiv ist… Im 3. Akt sehen wir hingegen die grauen Pflastersteine der obersten Plattform der Engelsburg.

 

Der 2. Akt hebt sich stark von den Randakten ab. Wir sehen in einen eleganten Salon des Palazzo Farnese mit hohen, sich zum dramatischen Ende hin bewegenden Vorhängen und schlichtem New Age Mobiliar sowie einem fast rotglühenden großen biblischen Bildnis im Hintergrund. Der Teppich ist nun mit Judenstern-Assoziationen bestickt.

 

Was in diesem an sich schlichten, aber umso eindringlicheren Bühnenbild vonstatten geht, ist jedoch äußerst bemerkenswert und lässt den Eindruck entstehen, man habe hier eine Neuinszenierung vor Augen. Wir sehen Bewegungen, die normalerweise in keiner "Tosca"-Produktion zu sehen sind. So der Marsch von Cavaradossi zeitgleich mit dem Trommeln auf der Vorderbühne zur Engelsburg - während dahinter Scarpia Tosca zu überwältigen versucht - oder das Fehlen eines Erschießungskommandos am Ende. Der Schuss kommt umso erschreckender und unvermutet aus dem Off. Sehr berührend auch, dass der Schließer auf der Engelsburg den goldenen Ring von Cavaradossi betroffen zurückweist und ihm dennoch das Schreibpapier gibt. Eine kleine Geste, aber von starker Wirkung in der Erkennung von Cavaradossis trauriger und auswegloser Lage. So ist ihm auch kaum noch der Glaube an eine Rettung anzumerken als er die schöne Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft mit Tosca besingen muss. Das Finale hält eine weitere Überraschung bereit. Statt von der Brüstung zu springen, steigt Tosca von hinten auf das riesige sich langsam zu Boden senkende Kreuz, von dem sie ihren finalen Appell an Scarpia singt und welches dann wieder in die Höhe fahrend auch den toten Cavaradossi aufnimmt. In gewisser Weise eine Vereinigung im Tode wie bei Tristan und Isolde - eine schöne Idee! So kommen beide in den Himmel - bewegende Wendung eines schrecklichen Endes…

 

An Intensität und Spannung kaum zu überbieten ist jedoch der 2. Akt! Der Rumäne Ionat Pascu spielt den Scarpia als wirklich lustgierigen, sadistisch-frivolen und völlig empathielosen römischen Polizeichef, dass einem Angst und Bange werden kann. Am Ende geht es im Kampf um die ihm an darstellerischer Intensität nicht nachstehende Tosca Radostina Nicolaeva, unter anderem auch die Sofioter „Siegfried“- Brünnhilde, Isolde und gar Kundry, um wirklich alles. Er zieht sogar sein Hemd aus und muss schließlich zusehen, wie ihm nach dem Messerstich das Blut über die Brust rinnt. Das war theatralisch einmalig und sehr authentisch gemacht! Verismo at its best. Auch Spoletta kommt in diesen Szenen zu einem dezidierten Einsatz.

 

Radostina Nikolaeva singt und agiert als Tosca auf internationalem Niveau und könnte diese Rolle in jedem größeren Haus in Westeuropa singen. Gut aussehend und damit besonders reizvoll, spielt sie erst die Getroffene von Cavaradossis vermeintlichem Betrug, macht aber schließlich den ihr unglaublich schwer fallenden Mord an Scarpia vollkommen nachvollziehbar ebenso wie im 3. Akt den Glauben an die finale Rettung. Für Hrisimir Damyanov mit seinem leichten, lyrisch timbrierten und recht schönen Tenor ist der Cavaradossi eine Nummer zu groß. Gesanglich gibt er sein Bestes, bemüht sich ernsthaft auch mit einigermaßen sitzenden Höhen. Das ist schon einiges, aber auch nicht genug. Schauspielerisch und emotional macht er eine sehr gute Figur, besonders in der Tristesse und Verzweiflung des 3. Akts. Angel Hristov ist eine glänzende Besetzung des Angelotti mit seinem profunden und ausdrucksstarken Bass. Auch Anton Radev als Mesner und Nikolay Pavlov als Spoletta singen sehr gut und agieren mit starkem Engagement. Der schon entsprechend erwähnte Ionat Pascu ist ein besonderes Erlebnis als Scarpia, der tatsächlich Tosca zu vergewaltigen versucht, bis sie ihm mit dem Messer in den nackten Oberkörper sticht. Auch sein dunkel timbrierter Bariton passt stimmlich gut zur Rolle, ist kraftvoll und durch seinen Nuancenreichtum sehr ausdrucksstark. Petar Buchkov ist eine Edelbesetzung für den Schließer, und Aleksandar Georgiev gibt einen guten Sciarrone. Antonia Ivanova zieht zu lyrisch feinen Versen ein kleines Unschuldslamm über die Plattform der Engelsburg, bevor es dort ernst wird. Ein melancholischer Kontrast zum kommenden Geschehen…

 

Evan Alexis Christ dirigiert diese „Tosca“ mit großem Elan und beweist einmal mehr, dass er nicht nur im deutschen, sondern auch im italienischen Repertoire zu Hause ist. Er hebt die dramatischen Höhepunkte hervor und lässt auch die besinnlichen Momente fein ausmusizieren. Das Opern- und Ballettorchester Sofia scheint ihm gut und mit großer Motivation zu folgen. Christ dirigiert mit viel Verve, die alle erreicht. Auch der wie immer von Violeta Dimitrova einstudierte Chor kann voll überzeugen. Besonders spannend ist das Te Deum im 1. Akt, wenn am Ende langsam die höchsten kirchlichen Würdenträger in überwältigender Optik und Ornat (exzellente Kostüme: Leo Kulas) auf die Bühne kommen und der Chor im Forte singt ...                      

 

Klaus Billand/28.12.2021

www.klaus-billand.com

 

DAS RHEINGOLD

WA am 10. Dezember 2021

Ein neuer musikalischer Zugang

Über die international viel Aufmerksamkeit erhaltende Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner an der Sofia Oper und Ballett durch deren Generaldirektor, Prof. Plamen Kartaloff, ist hier schon viel geschrieben worden. Deshalb möchte ich im Wesentlichen nur auf die beachtliche musikalische Neueinstudierung durch Evan Alexis Christ und die Sänger eingehen.

 

Seit fast einem Jahr ist der US-amerikanische Dirigent Evan Alexis Christ an der Sofia Oper sehr aktiv und dirigiert in erster Linie das deutsche Fach, immer wieder aber auch Opern des hier traditionellerweise sehr beliebten italienischen Fachs. Zwei Tage nach diesem „Rheingold“ hörte ich von ihm und dem Orchester der Sofia Oper im selben Saal eine sehr gute „Tosca“ (Rezension weiter oben). Gerade hat er eine Neuinszenierung der „Ariadne auf Naxos“ einstudiert, gemeinsam mit Anna Tomowa-Sintow, die die Sänger orientierte. Die Premiere wurde Corona-bedingt auf Mai 2022 vertagt.

 

Bis auf eine Aufführung open air am Lake Pancharevo im Juli des letzten Jahres hatte das Orchester kein Stück des „Ring“ mehr aufgeführt. So galt es also, „Das Rheingold“ wieder nachhaltig einzustudieren. Christ kommt dabei zugute, dass er in seiner Zeit als Generalmusikdirektor der Oper Cottbus in Deutschland einen kompletten „Ring“-Zyklus einstudiert und über mehrere Spielzeiten immer wieder dirigiert hat. Vor nahezu vollbesetztem Haus, wenn man vom Parkett absieht, auf dem die beim „Ring“ ja zahlreicheren Musiker aus Corona-bedingten Gründen in größeren Abständen sitzen konnten, wurde die musikalische Neueinstudierung ein voller Erfolg. Man merkte dem Orchester eine wesentliche stärkere und auf Dramatik setzende Intensität beim Spielen als sonst im „Ring“ an. Die so wesentlichen Übergänge zwischen dem 2., 3. und 4. Bild wurden zu besonderen Klangerlebnissen, beim Abstieg nach Nibelheim mit der Intensität der von Kindern auf der Bühne als Nibelungen geschlagenen Ambosse noch verstärkt. Christ wusste sie sehr exakt einzusetzen.

 

Überhaupt war dem Orchester, das ich von der 1. Reihe im 1. Rang sehr gut sehen konnte, anzumerken, dass es mit einer besonderen Motivation und wohl auch Freude spielte, endlich wieder ein Werk aus dem „Ring“ musizieren zu können, den man sich in langer Kleinarbeit mit P. Kartaloff und Richard Trimborn sowie Velizar Genchev von 2010-13 erarbeitet hatte. Vieles spricht nun dafür, die Tetralogie musikalisch ganz zu überarbeiten und wieder einmal ein kleines Wagner-Festival in Sofia damit und dem einen oder anderen Werk des Bayreuther Meisters aufzuführen. Im Oktober 2022 wird ja eine Neuinszenierung des „Fliegenden Holländer“ in der Regie von Plamen Kartaloff beim Königswinkel-Festival in Füssen im bayerischen Allgäu zu erleben sein, wo man 2015 mit dem ganzen „Ring“ schon erfolgreich zu Gast war.

 

Szenisch ist nichts nachzubessern. Die Multi-Media Show von Vera Petrova, Georgi Hristov und Lora Runevska auf dem riesigen weißen Ring-Gebilde, das szenenabhängig wieder wirkungsvoll in einzelne Segmente zerlegt wird, ähnlich wie bei Wolfgang Wagners „Ring“ 1971 in Bayreuth die „zerworfene Scheibe“, übte auch an diesem Abend ihre ganz spezielle Faszination aus. Das galt besonders für den langsamen farbigen Aufbau Walhalls mit der Regenbogenbrücke über die fünf kegelförmigen Konusse, die auch eine schöne Illusion für das Erscheinen des Rheingolds im 1. Bild abgeben. Hier glänzten wieder die Rheintöchter mit ihren Trampolinkünsten und damit der Unerreichbarkeit für Alberich. Es gelingt dem Regieteam, mit den Bühnenbildelementen und fantastischen Figurinen von Nikolay Panayotov sowie dem facettenreichen Multimedia-Design in Zusammenarbeit mit Electrick.me, den Mythos des „Ring“ mit einer nahe an Wagners Regieanweisungen operierenden Dramaturgie und entsprechender Personenregie mit großem Unterhaltungswert zu verbinden.

 

Aber auch stimmlich und sogar darstellerisch wirkten die Sänger, die schon von Anfang an dabei waren, frischer und beweglicher. Das trifft vor allem für den Wotan von Nikolay Petrov, den Loge von Daniel Ostretsov und den Mime von Krasimir Dinev zu, die sehr gute vokale und darstellerische Leistungen brachten. Mit Mariana Tsvetkova hat man nun auch eine stimmlich viel ansprechendere Fricka als früher. Plamen Dimitrov gab als Alberich sein Rollendebut und hätte sicher noch mehr Proben gebraucht, um sein gutes vokales Potenzial besser in Zusammenhang mit der Aktion ausschöpfen zu können. Er agierte sehr engagiert, aber noch nicht mit dem erforderlichen Schliff. Stefan Vladimirov und Petar Buchkov waren wieder bewährte Riesen und Tsvetana Bandalovska eine Edelbesetzung für die Freia. Sonst singt sie die Sieglinde! Milena Gyrova, Silvia Teneva und mehr noch Aleksandrina Stoyanova-Andreeva waren stimmlich und natürlich akrobatisch erstklassige Rheintöchter. Weniger überzeugen konnten Hrisimir Damyanov als Froh und gar nicht Krystan Krystanov als Donner, der für den erkrankten Stammsänger für diese Rolle eingesprungen war. Leider kann auch Blagovesta Mekki-Tsvetkova weiterhin stimmlich nicht in der so bedeutsamen Rolle der Erda überzeugen.

 

In jedem Falle war es eine gute Entscheidung der Direktion, wieder einmal ein Stück des „Ring“ aufzuführen und dann gleich mit einer musikalischen Neueinstudierung.

 

Fotos: Setoslav Nikolov

 

Klaus Billand/28.12.2021

www.klaus-billand.com

 

 

 

 

Lake Pancharevo

LA DONNA DEL LAGO

NI am 15. und 16. Juli 2021

Romantisches Spiel auf dem See

Das Sommer-Wagner-Festival der Sofia Opera and Ballet unter der Leitung von Prof. Plamen Kartaloff, „Die Musen des Wassers“ ging in diesem Sommer auf dem Lake Pancharevo mit der Rossini-Oper „La donna del lago“ – also see- bzw. wassergerecht – weiter. Kartaloff hat hier in seiner schier unbegrenzten Phantasie, ständig neue open air-Spielstätten für seine Opern-Neuinszenierungen und das Repertoire zu entdecken, eine ganz formidable neue Bühne gefunden. Der Hauptsponsor hat seit dem ohnehin schon beachtlichen „Rheingold“ des Vorjahres (Merker 08+09/2020) die Spielstätte auf dem Ponton am Ufer des Sees Pancharevo durch erhebliche Umbauten in eine feste Seebühne umgestalten lassen, mit einer bequemen Zuschauertribüne, die während der ersten vier Aufführungen der „Donna del lago“ mit etwa 700 Besuchern praktisch immer ausverkauft war. Man hat nun die Zuschauertribüne fester gestaltet und vor der Bühne eine breite Fläche zur ersten Sitzreihe zementiert. Hier könnte ähnlich wie im oper air-Theater von Belogradschick Rocks einmal das Orchester, also direkt vor der Szene, platziert werden.

 

Das selten gespielte Stück Rossinis kommt in der Inszenierung Kartaloffs mit guter Personenregie und eindrucksvollen Bildern aus dem See. Das Stück, welches auf einem romantischen Versepos von 1810 „The Lady of the Lake“ von Sir Walter Scott basiert und der Gattung der opera seria angehört, wurde von Rossini nach dem Libretto von Andrea Leone Tottola vertont und 1824 im Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführt. Das Stück handelt von der geheimnisvollen „Dame vom See“, Elena, die von drei Männern gleichzeitig begehrt wird. Offiziell ist sie von ihrem Vater Douglas dem Anführer der Hochländer, Rodrigo, versprochen. Die Hochländer liegen in Fehde mit dem König von Schottland. Heimlich lieben sich aber Elena und der kämpferische Malcolm, ebenfalls ein Hochländer, bei Rossini eine Hosenrolle. Der dritte ist der sich zunächst nicht zu erkennen gebende König von Schottland Giacomo V., der sich gegenüber Elena als Uberto di Snowdon ausgibt und ihr Hilfe in Not verspricht. Martialische Chorszenen der Hochländer dokumentieren kriegerische Handlungen. Wenn es darum geht, im Königspalast Fürsprache für ihren Vater und Malcolm zu erheben, Rodrigo ist mittlerweile gefallen, erinnert Elena sich an das Versprechen, zeigt den einst ihr von Uberto geschenkten Ring und stellt fest, dass er selbst König Giacomo V. ist. Dieser verzichtet auf Elena, vergibt Douglas und Malcolm und führt ihn mit Elena zusammen. Der Friede ist wieder hergestellt.

 

Kartaloff ist mit Boryan Belchev auch für das phantasievolle und der Umgebung der schottischen Highlands, hier also das der den See umgebenden Hügellandschaft angepasste Bühnenbild verantwortlich. Dieses Ambiente verschafft dem Handklungsverlauf eine gewisses Maß an Authentizität. So kommt zu Beginn Elena mit einem kleinen Segelkahn aus dem See in die Szene – und auf den See wird sie am Ende auch wieder entschwinden, mysteriös eben… Auf der Szene haben die Bühnenbildner einen stilisierten und sich oft verändernden Wald konfiguriert, der bestens zum Regiekonzept passt. Hier wird auch am Schluss eine eindrucksvolle Szene im Palast des Königs gestaltet. Scheller Szenenwandel ist eine besondere Kunst der Bühnenarbeiter der Sofia Oper. Da hat man mit den vielen open air-Aufführungen große Erfahrung gewonnen.

 

Hristina Mihaleva-Zorbalieva hat die teils opulenten und der historischen Vorlage entsprechenden Kostüme entworfen. Vor der Schlacht zwischen den Hochländern und den königlichen Truppen nahm sich der Kartaloff die Freiheit heraus, eine sehr professionell wirkende Dudelsack-Nummer mit einer rituellen Beschwörungszeremonie einzulegen - durchaus bemerkenswert, musikalisch, wie dramaturgisch!

 

Die wichtigsten Protagonisten wurden an beiden Abenden unterschiedlich besetzt. Maria Radoeva als Gast, BBC Cardiff Singer of the World 2011, sang am ersten Abend eine wunderbar verinnerlichte Donna del lago mit einem äußerst farben- wie facettenreichen sowie tief timbrierten Sopran sowie einer auch schauspielerisch voll überzeugenden Leistung. Die Carmen des Vorjahres im bulgarischen Tsari Mali Grad, Violeta Radomirska, sang und spielte einen engagierten Malcolm als Hosenrolle, mit einem auch im tieferen Register bestens ansprechenden Mezzo. Hrisimir Damyanov war ein vor allem tenoral überzeugender Uberto bzw. König Giacomo V., mit leichter Anstrengung in den Spitzentönen. Besonders beeindrucken konnte der Gast Valerio Borgioni aus Italien, der den Rodrigo mit atemberaubenden tenoralen Spitzentönen in der herausfordernden Arie gab. Stefan Vladimirov verkörperte den Vater der Donna, Douglas, mit einem charaktervollen und prägnanten Bass. Reinaldo Droz war ein guter Serano und Vesela Yaneva eine ansprechende Albina, beides kleinere Rollen.

 

Am Folgeabend sang Stanislava Momekova die Elena mit einem charaktervoll dunkel timbrierten Sopran und einfühlsamem Spiel. Aleksandrina Stoyanova war ein Malcolm mit sehr dunklem Mezzo und einer männlicheren Erscheinung in der Hosenrolle als Violeta Radomirska am Abend zuvor. Auch Stoyanova konnte mit ihrer Stimme und sehr intensivem Spiel voll überzeugen und das Publikum für sich einnehmen. Der chilenische Gast Diego Godoy sang ebenfalls einen impressionanten Rodrigo mit enormen Höhen und einem ebenfalls guten Tiefenregister in der erwähnten fast halsbrecherischen Arie. Francisco Brito meisterte die tenoralen Herausforderungen des Uberto sehr gut. Petar Buchkov war ein verlässlicher Douglas. Angel Antonov gab einen prägnanten Serano mit baritonal unterlegtem Tenor und Tsveta Sarambelieva eine bemerkenswerte Albina.

 

Der bei den sommerlichen open air-Veranstaltungen Kartaloffs bereits bewährte Francesco Rosa leitete das Orchester der Sofia Opera und Ballett mit viel Rossini-Verve aus einer nun auch fest gebauten Box neben der Bühne. Akustische Anpassungen könnten die Leistungen des Klangkörpers sicher noch besser zur Geltung bringen. Der Männerchor intonierte kämpferische Parolen, reichte dabei aber nicht an die Harmonie der Gesangs des Damenchores heran. Violeta Dimitrova war wie immer für die Choreinstudierung verantwortlich. Emil Dinko steuerte eine gute Lichtregie bei, die bestens auf die langsam einsetzende Dämmerung und dann auch die Nacht abgestimmt war. Es war wie schon im Vorjahr ein in guter Erinnerung bleibender Abend am Lake Pancharevo, das man nun als das „kleine bulgarische Bregenz“ bezeichnen könnte.  

 

Fotos: Svetoslav Nikolov                                       

 

Klaus Billand/3.9.2021

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ELEKTRA

Premiere am 26. und 1. Reprise am 29. November 2020

Zum ersten Mal „Elektra“ in Bulgarien!

Aus Sofia ist in diesen trüben Tagen eine kleine Sensation zu vermelden: Hier erlebte die „Elektra“ von Richard Strauss an der Sofia Oper und Ballett ihre bulgarische Erstaufführung, also 111 Jahre nach der Uraufführung. Der Regisseur Plamen Kartaloff, auch Generaldirektor des Hauses, fährt somit weiterhin in tiefem Fahrwasser der Opernliteraur, nachdem er hier ja schon den „Ring“, „Tristan und Isolde“ sowie „Parsifal“ von Richard Wagner inszeniert hat.

 

Von Beginn an reißt diese „Elektra“-Produktion den Betrachter mit. Schon bevor das initiale Agamemnon-Motiv donnert, sieht man Elektra, wie sie sich in ihrer Verzweiflung die Haare wie wild geworden abschneidet. Es wird also gleich offenbar, dass das Geschehen am Atriden-Palast auf einen Höhepunkt zusteuert, zu dem es in ungewöhnlich dynamischer Art und Weise dann auch eindrucksvoll kommt. Bühnenbildner Sven Jonke, mit dem Kartaloff zuvor schon „Parsifal“ und „Yanas Neun Brüder“ gemacht hatte, schuf einen geometrischen, in der Höhe schräg zulaufenden, schwarz-grauen Atriden-Palast mit semitransparenten Wänden. Mit einer Drehbühne verwirklicht Kartaloff dann seine Sicht der „Elektra“ als einer Aneinanderreihung von Episoden im Sinne eines Kaleidoskops, die in Verbindung mit der in der Tat „vulkanischen Macht und theatralischen Wirkung“ der Musik ständig wechselnde Szenen erzeugt. Durch Rotation des Einheitsbühnenbildes werden somit immer wieder neue Optiken und Momentaufnahmen im Sinne einer vom Regisseur beabsichtigten kontinuierlichen Dynamik frei, die durchaus etwas Filmisches haben. Ja, er spricht im Programmheft sogar von einer „galoppierenden Entwicklung“. Das verlangt eine ausgefeilte Personenregie, denn jede noch so kleine Szene, und manche sind bei dieser Konzeption natürlich sehr kurz, verlangt eine ganz spezielle Interpretation. So ist zum Beispiel die Szene zwischen Elektra und Klytämnestra in zwei große Blöcke – einen, bevor Klytämnestra und ihr Hofstaat, und den anderen, als sie mit Elektra allein ist - mit unterschiedlicher Perspektive unterteilt. Das macht dramaturgisch sehr viel Sinn. Bei der traditionell guten Personenregie Kartaloffs gelingt das auch durchgehend.

 

Dabei erleben wir auch eine Reihe neuer und durchaus interessanter Einfälle. So beginnt das Stück mit Elektra am Grab ihres geliebten Vaters, der während des Monologes mit der Königskrone im Hintergrund angedeutet sogar zu sehen ist. Elektra ist offenbar von ihren Mühen um Rache so zermürbt, dass sie nicht nur psychischen, sondern auch schon physischen Schaden genommen hat. Immer wieder knickt sie krankhaft mit dem Kopf ein. Zum Schlussakkord wird sie mit der Ägisth abgenommenen Krone des Agamemnon über dessen Grab zusammenbrechen – ihr Kreislauf hat sich geschlossen. Zuvor hat sie in einer Assoziation an dessen Mord dem aus dem Bade kommenden Ägisth ein Netz übergeworfen, in dem er mit der von ihr übergebenen Taschenlampe zappelt. Die folgende Ermordung durch Orest und seinen Pfleger ist im Wegdrehen der Bühne noch ansatzweise drastisch zu sehen. Dass der Palast sich da sofort blutrot verfärbt, machte zwar Sinn, nicht aber, dass diese Beleuchtung schon nach einigen Sekunden vorbei war… Auch mit der Verstärkung der letzten verzweifelten Rufe des Ägisth klappt es nicht wie erwartet. Im Finale zerfallen die Plastikwände des Palastes durch Wassereinwirkung spektakulär in ihre Einzelteile. Zumindest diese Tyrannei fand ein Ende!

 

In einem komplett bulgarischen Sängerensemble beeindruckt Lilia Kehayova mit einer großartigen Darstellung der Titelrolle mit einem stabilen, leuchtenden und auch höhensicheren Sopran bei guter Direktion. Man kann sagen, dass sie, die immer wieder die Titelrolle in der Nationaloper „Yanas Neun Brüder“ gab, diese schwere Rolle sängerisch sowie darstellerisch verinnerlicht hat. Im Grab Agamemnons hat sie auch die große blinkende Axt aus Aluminium vergraben, die im Zwiegespräch mit Chrysothemis eine Rolle spielt. Tsvetana Bandalovska verkörpert die Rolle der von Elektra verachteten Schwester sehr intensiv und glaubwürdig und legt sängerisch einen hohen Grad an Musikalität an den Tag. In der Mittellage ist ihr Sopran intonationssicher, gerät aber bei den Spitzentönen - und an Dramatik hält auch diese Rolle allerhand bereit - hörbar unter Druck. Ihr weißes Kostüm mit einer langen roten Schärpe setzt sich auch dramaturgisch sinnvoll vom düsteren rot-schwarzen Gewand Elektras ab. Für die generell bestens gestalteten Kostüme zeichnet Leo Kulas verantwortlich.

 

Klytämnestra wird ebenfalls schon von ihren Ängsten gezeichnet dargestellt. In einem spektakulären Gewand mit edelsteinbesetzten Handschuhen mit ausgezogenen Fingerspitzen macht sie einen skurrilen Eindruck. Gergana Rusekova erfüllt mit ihrem vollen und schön timbrierten Mezzo hier alle stimmlichen Erwartungen und bringt auch die entsprechende gestalterische Note ein - ein Bühnenvieh! Der überaus talentierte Atanas Mladenov, auch der Amfortas in Sofia, singt einen jungen und ruhigen Orest mit seinem ausdrucksvollen Bariton und exzellenter Diktion. Die Choreografie von Fredy Franzutti weist den fünf Mägden und der Aufseherin nach ihrem ersten sängerischen Auftritt während des gesamten Stücks die Rolle des erklärenden Chores des griechischen Theaters zu, ein interessanter und viele Bilder belebender Regieeinfall. Als am Ende in der Bühnendrehung die beiden Ermordeten hinter der triumphierenden Elektra zu sehen sind - ein starkes und so wohl noch nie gesehenes Bild - liegen konsequenterweise auch die fünf Mägde sowie die Aufseherin am Boden. Ihr letzter Kommentar dessen, was geschehen ist…

 

In den Nebenrollen gab es Licht und Schatten. Stark beeindrucken kann Petar Buchkov als Pfleger des Orest, und gute stimmliche sowie schauspielerische Leistungen geben Emil Pavlov als Ägisth, Silvana Pravcheva und Stanislava Momekova als Vertraute und Schleppträgerin (die übrigens immer hinter Klytämnestra mit der Schleppe stehen…). Unter den Mägden beeindrucken die 2. Magd, Violeta Radomirska, und die 3. Magd, Alexandrina Stoyanova-Andreeva mit gutem Mezzo sowie die Sopranistin Silvia Teneva als 5. Magd mit guten stimmlichen Leistungen. Auch der Alte Diener ist mit Dimitar Stanchev gut besetzt. Stimmlich gar nicht überzeugen kann Rumyana Petrova als 1. Magd, Bayasgalan Dashnyam als Aufseherin und Angel Antonov als Junger Diener. Einige stimmliche Schwierigkeiten hat auch Ina Petrova als 4. Magd.

 

Der US-amerikanische Dirigent Evan-Alexis Christ konnte für die musikalische Einstudierung - man spielte die leicht reduzierte Orchesterfassung des Komponisten Richard Strauss - und die Leitung dieser „Elektra“ gewonnen werden. Er motivierte mit großem Engagement das Orchester der Sofia Oper und Ballett zu einer außergewöhnlichen Leistung bei recht schnellen Tempi und ließ das Stück in einer Stunde und 45 Minuten spielen. So motiviert habe ich die Musiker hier noch nicht spielen gehört, von einigen kleineren Unsicherheiten, besonders zu Beginn, abgesehen, wohl auch durch die komplizierte Mägde-Szene bewirkt. Christ hatte bei unglaublicher Konzentration und exakten Einsätzen des vor ihm weit verteilt in Parkett und Graben sitzenden Orchesters im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun und hätte manchmal auch noch eine dritte brauchen können. Seine große Kenntnis der Partitur - er hatte „Elektra“ schon mehrmals als GMD am Staatstheater Cottbus dirigiert - sicherte aber einen guten musikalischen Abend. Die spürbar große Motivation und Energie des Dirigenten sprangen offensichtlich auf die Musiker über. Auf den Chor im Finale hatte man wegen der Corona-Gefahren verzichtet - es fiel angesichts der spannenden Schlussbilder überhaupt nicht auf!

 

Den strengen Hygieneauflagen wurde also damit Rechnung getragen, dass das Orchester auf einer Holzüberdeckung des Parketts und im leicht abgesenkten Graben saß und das Publikum auf dem Balkon und den Rängen. Damit ergab sich auch ein transparenteres Klangbild. Man konnte vom Balkon Einzelinstrumente sehr gut heraushören, insbesondere die Erste Flöte und die Klarinetten, aber selbst auch einige Streicher. Herrlich klangen die Wagner-Tuben. In gewisser Weise wurde das Orchester durch seine Platzierung zu einem Teil der Inszenierung.

 

Da der Kultusminister Boil Banov, der selbst einen Theaterhintergrund hat, die Entscheidung getroffen hatte, dass auch im Corona-bedingten Lockdown 30 Prozent der Sitzplätze aufgelegt werden, konnten beiden Vorstellungen jeweils etwa 200 Zuschauer beiwohnen. Dazu konnte ich Minister Banov auch interviewen (Link zum Video). Die Besucher waren am Ende begeistert und spendeten langen Applaus. Die „Elektra“ von R. Strauss und Hugo von Hofmannsthal feierte auf bulgarischem Boden einen packenden Einstand!

 

 

In der 1. Reprise gab es auch eine gute Zweitbesetzung

 

In der 1. Reprise konnte Plamen Kartaloff in den Hauptrollen eine Zweitbesetzung aufbieten, die sich kaum hinter der Erstbesetzung verstecken musste. Diana Gouglina sang mit schlankem und farbenreichem Sopran die Titelrolle, erheblich lyrischer als ein paar Tage zuvor Liliya Kehayova. Das führte zu sehr schönen vokalen Momenten in den ruhigeren Szenen mit Chrysothemis und natürlich in der Erkennungsszene mit Orest, wo ihr herrlich lange Bögen gelangen. Bei den vielen Spitzentönen geriet ihr Sopran allerdings schnell an seine Grenzen, denn er ist nicht hochdramatischer Natur. Jordanka Milkova sang die Klytämnestra als attraktive, durchaus noch nicht gealterte Frau mit ansprechendem Mezzo, der allerdings angesichts der Lautstärke der Strauss’schen Musik nicht immer klar zu hören war. Gergana Rusekova hatte in der Premiere mehr power zu bieten. Radostina Nikolaeva war diesmal die Chrysothemis mit einem klangvollen Sopran, darstellerisch und musikalisch nicht so stark wie Tsvetana Bandalovska in der Premiere, aber stimmlich ausgewogener, wenn auch nicht immer ganz auf Linie mit dem Dirigat. In jedem Falle eine gute Chrysothemis, die ja in Sofia auch die Isolde singt. Wie schon in der Premiere bestach Atanas Mladenov wieder mit einer eindrucksvollen und äußerst wortdeutlichen Interpretation des Orest.

 

Diese „Elektra“ soll auch im Januar und Februar 2021 und im Frühjahr wieder auf dem Spielplan stehen, je nachdem, wie sich die Corona-Problematik entwickelt.

 

Fotos: Svetoslav Nikolov 1-8, 10, Julide Hamzova 9_

 

Klaus Billand/10.12.2020

 

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TSARI MALI GRAD bei SOFIA

YANAS NEUN BRÜDER und CARMEN

am 29. und 30. August 2020

Bulgarische Nationaloper am Ort ihres Geschehens…

Die Sofia Oper und Ballett gehört zu den ersten Opern-Kompagnien der Welt, die während der Corona-Krise im Sommer 2020 live auftraten. Unter der Leitung des Generaldirektors Plamen Kartaloff trat die Kompagnie trotz der sozialen Isolation aufgrund des Corona-Virus und der schwierigen finanziellen Situation in der Sommersaison 2020 auf sieben Bühnen auf, sechs davon open air. Beim ersten Sommerfestival „Portal der zwei Welten“ auf der spätantiken Festung Tsari Mali Grad, etwa 80 km von Sofia entfernt in einem Eichenwald mit Weitblick auf die Ebene von Belchin, zeigte Kartaloff zwei Opern, „Carmen“ von Georges Bizet und „Yana’s Nine Brothers“ des bulgarischen Komponisten Ljubomir Panajotow Pipkov. Dieses Werk wird heute als ein Wendepunkt in der bulgarischen klassischen Musik gesehen. Auf dem reichen Schatz der Volksmusik aufbauend wollte Pipkov einen neuen bulgarischen Musikstil kreieren, der das Erbe der klassischen Musik der Welt mit dem reichen Erbe der nationalen Lieder, Gesänge und Rhythmen sowie dem historischen Gehalt des Stückes verbindet. Pipkov, zu jener Zeit Schüler von Paul Dukas in Paris, befand sich zur Zeit der Komposition der „Yana“ 1929 in einer politisch dramatischen, ja nahezu traumatischen Situation. Man spürt das immer wieder in diesem Werk. „Yana“ ist eine große bulgarische Nationaloper, die historischen Stoff mit - leider - großer Aktualität verbindet. Sie erlebte 1937 ihre Uraufführung.

 

Plamen Kartaloff kannte Pipkov selbst noch gut und inszenierte das Stück 2018 zum zweiten Mal nach 30 Jahren. Er brachte diese Inszenierung nun mit Hilfe eines Großsponsors auf die spätantike Festung Tsari Mali Grad. Das Stück spielt von der Bulgarin Yana, die neun Brüder hat, die alle in den unmenschlichen Minen des Rila-Berges schuften. Unter ihnen ist der hässliche Georgi, der dem schönen und künstlerisch begabten jüngeren und von Mutter wie Yana weit mehr geliebten Bruder Angel aus Neid das Leben schwer macht, auch auf sein höheres Alter pochend. Es gleicht der Kain- und Abel-Situation des 1. Buches Mose. Denn Georgi hackt dem Holzschnitzer Angel schließlich beide Hände ab, womit dieser als armer Bettler sterben muss. Als die rote Pest aus Bosnien kommt - Assoziationen mit der gegenwärtigen Corona-Pandemie drängen sich unmittelbar auf - macht sich Georgi diese über das Mitspiel einer Zigeunerin zunutze, um auch seine übrigen sieben Brüder umzubringen. Am Schluss sterben seine erblindete Mutter und er selbst. Nur Yana bleibt als Geläuterte zurück, im Angesicht der durch die anrückenden osmanischen Besatzer in Brand gesetzten bulgarischen Dörfer - eine Oper mit wahrhaft nationalen und visionären Dimensionen!

 

Kartaloff schafft mit einer oft bizarren, aber immer stimmungsvollen Beleuchtung in den mystisch wirkenden Mauern der Römerfestung mit einfachen symbolischen Bühnenbildern von Sven Jonke und aus der Zeit des Stückes genommenen Kostümen von Stanka Vauda eine optische Ästhetik, die ganz auf Symbolismus setzt. Mit einer starken Personenregie wird dezidiert das Schicksal der Protagonisten dargelegt und auf dramatische Entscheidungen hingearbeitet. Lilia Kabanova sang eine gestaltungsintensive Yana mit klangvollem Sopran und eignete sich auch für den zeitweise vorherrschenden Sprechgesang sehr gut. Hrisimir Damyanov singt den schöngeistigen Angel mit einem lyrisch timbrierten leichteren Tenor. Gergana Rusekova ist eine üppige und mit einem farbig-hochdramatischen Mezzosopran agierende Zigeunerin. Petar Buchkov gestaltet den hässlichen Georgi mit intensiver Gestik und einem kraftvollen Bassbariton bei guter Tiefe. Rumyana Petrova singt die Mutter mit einigen vokalen Mangelerscheinungen ihres Mezzosoprans. Bis auf ganz wenige Ausnahmen sind die weiteren 33 (!) Nebenrollen gut besetzt. Der Chor der Sofia Oper, von Violeta Dimitrova bestens einstudiert, singt kraftvoll und war von Riolina Topalova lebhaft choreografiert.

 

Am Abend darauf gab es „Carmen“, ebenfalls in einer Inszenierung von Plamen Kartaloff aus dem Jahre 2017. Ihm geht es vor allem um die intensive Thematisierung der miteinander verbundenen Schicksale der drei Protagonisten. Um eine rotierende Scheibe (Bühnenbild: Miodrag Tabacki), auf der sich deren Schicksal abspielt, stehen drei Moirai, griechische Schicksalsgöttinnen, hier von Männern gespielt, jeweils mit einem langen Seil, die die drei Protagonisten mit diesem Schicksalsseil verbinden. Neben einer Anlehnung an die griechische klassische Tragödie zitiert Kartaloff auch das alte japanische Noh-Theater, insbesondere in Form der weißen Masken und schwarzen Roben (Kostüme: Hristiyana Mihaleva Zorbalieva) des Chores. Damit löst er sich von allen gängigen „Carmen“-Klischees, wie die Zigarettenfabrik, die Kneipenästhetik bei Lillas Pastia, oder die Stierkampfarena. Mit effektvollen Tanzeinlagen zeigt die Sofia Oper, über welch hochklassige Ballettkompagnie sie verfügt.

 

Violeta Radomirska singt und spielt eine attraktive und sinnliche Carmen mit einem schön und facettenreich klingenden, nicht allzu großen Mezzosopran. Daniel Damyanov kann ihr mit einem zu wenig klingenden Tenor und angestrengten Höhen sowie relativ geringem Volumen nicht auf Augenhöhe begegnen. Auch darstellerisch lässt er Wünsche offen. Veselin Mihaylov hingegen sprüht nur so vor Spielfreude und singt den Torero mit einem ansprechenden Bariton. Tsvetana Bandalovska gibt eine emphatische Micaela, gerät aber bei den Spitzentönen an ihre vokalen Grenzen.

 

Zhorzh Dimitrov dirigierte das Orchester der Sofia Oper, das in einem Zelt seitlich der Bühne platziert war, mit sicherer Hand und besonderer Acht für die Sänger, die von großen Monitoren aus geführt wurden. Das klappte erstaunlich gut, wenn auch die Lautstärke des Orchesterklanges hier und da etwas intensiver hätte sein können. Insgesamt zwei denkwürdige Abende in der wundervollen Waldlandschaft um Belchin!

 

Fotos: Svetoslav Nikolov

 

Klaus Billand/20.9.2020

 

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SOFIA/Pancharevo-See

DAS RHEINGOLD open air -

Premiere am 24. Juli 2020

“Das Rheingold” so nah am Wasser wie noch nie…

Es hat stattgefunden! Ausgerechnet in Corona-Zeiten! Das ist schon sensationell an sich.

Nach langen Jahren der Überlegung hat Prof. Plamen Kartaloff, Generaldirektor der Sofia Opera, nun seinen Plan verwirklicht, „Das Rheingold“ aus seiner hier schon besprochenen und so bemerkenswerten Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ open air aufzuführen. In seiner schier unerschöpflichen und seinesgleichen suchenden Fantasie, wo und wie man solche Veranstaltungen durchführen kann, kam er auf den nahe bei Sofia gelegenen Lake Pancharevo. Dort stellte ein gut meinender Sponsor ein passendes Grundstück mit einem großen Stahl-Ponton zur Verfügung. Im Rahmen des „Festivals der Opernabende der Sofia Opera‚ ‚Wasser-Musen‘“ hatte der Vorabend von Wagners Tetralogie unter der musikalischen Leitung von Erich Wächter einen Abend vor dem alljährlich wiederkehrenden Premieren-Tag der Bayreuther Festspiele Premiere.

Die Rheintöchter mit Alberich

Das Bühnenbild von Nikolay Panayotov, der auch die extravaganten Kostüme geschaffen hat und extra aus Paris angereist war, wurde sehr effektvoll auf die See-Szenerie angepasst. Die Burg Walhall (eine Gruppe von sechs konischen Trichtern, die Zinnen der Burg andeutend) ruhte mit immer wieder eindrucksvoller und stets szenengerechter Bestrahlung auf dem gegenüberliegenden Seeufer. Zentrum des Geschehens bildete wieder der riesige mobile Ring, beleuchtet mit dem bestechenden Multimedia-Design von Vera Petrova, Georgi Hristov und diesmal auch noch Vladimir Grancharov, mit einigen Spezialeffekten von Electrick.me. Das Bühnenbild ging mit der Naturstimmung der untergehenden Sonne und dem Wasser des Sees eine perfekte und bisweilen faszinierende Verbindung ein.

Wotan mit dem Ring

Man hörte die bekannte Sofioter „Rheingold“-Besetzung, die Kartaloff seit Beginn der Arbeit an der Tetralogie vor mittlerweile 11 Jahren (!) unter Mitarbeit von Richard Trimborn und Velizar Genchev sehr gut an die Umsetzung der Wagnerschen Figuren herangeführt hat.

Unter den Protagonisten ragten heraus Martin Tsonev als Wotan mit einem stimmlich prägnanteren Wotan als zuvor, Daniel Ostretsov als Loge, der effektvoll und mit Nachdruck die Fäden zog und dabei einen ausdrucksstarken Tenor hören ließ, Biser Georgiev als Alberich, der mich mehr noch als in den Vorjahren mit einem kräftigen, genau zur Rolle passenden Bassbariton überzeugte. Alexandrina Stoyanova-Andreeva sang und spielte eine agile Flosshilde mit sehr klangvollem Mezzo und Hrisimir Damyanov gab einen lyrisch-klangschönen Froh. Ayla Dobreva als Woglinde und Ina Petrova als Wellgunde vervollständigten vokal gut das fansievoll agierende Rheintöchterterzett. Stefan Vladimirov sang den Fasolt mit kantablem Bass, sein Bruder Fafner war der düstere Petar Buchkov. Silvana Pryvcheva gab die Freia mit anmutigem Sopran, und Krasimir Dinev hatte einen ansprechenden Kurzauftritt als Mime. Rumyana Petrova als Fricka und Blagovesta Mekki-Tsvetkova als Erda ließen mit ihren Mezzos wieder zu wünschen übrig.

Nibelungenschatz

Erich Wächter wählte zügige Tempi und dirigierte dieses „Rheingold“ in nur etwas mehr als 2,5 Stunden. Das Orchester saß abseits in einem regengeschützten goldenen Pavillon, wobei das Dirigat über zwei große Monitore und für die Sänger gut sichtbar über der Publikumstribüne mit etwa 280 voll besetzten Plätzen in Corona-hygienegerechter Sitzordnung übertragen wurde. So hätte man auch bei Wasser von oben spielen können - nicht umsonst nannte Kartaloff das Festival also wohl „Wasser-Musen“… Dafür, dass man mit der Übertragungstechnik hier im wahrsten Sinne des Wortes Pionierterrain betrat, war das Ergebnis auch akustisch gut, wenngleich der orchestrale Teil gelegentlich eine höhere Aussteuerung vertragen hätte, zumal die Sänger mit Mikroports sangen.

Zu den bombastischen, tönern und hohl wirkenden Klängen des Finales fährt Wotan im Kahn auf sein Walhall zu… Es war eine außerordentliche Erfahrung, dieser Abend am Pancharevo-See mit dem „Rheingold“ unter dem Abend- und Nachthimmel Bulgariens. So etwas kann man wohl nur in Sofia erleben…   

 

Fotos: Svetoslav Nikolov                                                          

 

Klaus Billand/2.8.2020

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TRISTAN UND ISOLDE

WA am 10. Juli 2019

Völlige Einheit von Bild und Musik

Das Sommer-Wagner-Festival an der Sofia Opera and Ballet unter der Leitung von Prof. Plamen Kartaloff, dem großen Visionär und Initiator der Wagnerschen Spätwerke auf dem Balkan, ist dieses Jahr mit Wiederaufnahmen von „Tristan und Isolde“, zweimal, und „Parsifal“ in seine mittlerweile 7. Runde gegangen. Wieder kamen viele Gäste aus dem Ausland, so eine große Gruppe zum „Parsifal“ aus Großbritannien - noch besteht ja Reisefreiheit - und auch wieder das mittlerweile schon berühmte, überaus elegante Ehepaar aus New York, das auch beim Sofioter „Ring“ in Füssen war und ganz begeistert von den Inszenierungen Kartaloffs ist.

Dieser konnte den international bekannten Dirigenten Constantin Trinks für alle drei Abende gewinnen, einem Rat des 2017 leider verstorbenen großen Freundes Richard Trimborn folgend, der wesentlichen Anteil an der Vorbereitung der Wagnerschen Werke an der Sofia Opera hatte. Was deren Orchester, ohnehin schon seit Jahren mit der Musik Richard Wagners vertraut, an diesen beiden Abenden leistete, war das weitaus Beste, was ich hier in den letzten Jahren gehört habe. Trinks konnte das Orchester zu unglaublicher musikalischer Sensitivität und Transparenz animieren, bei einem praktisch fehlerfreien und äußerst engagierten Vortrag. Es begann im „Tristan“ schon mit einem fein ziseliert musizierten Vorspiel, in dessen Verlauf Trinks den Höhepunkt sorgsam und mit beeindruckender Einfühlsamkeit auf die einzelnen Musiker eingehend vorbereitete und das Vorspiel dann langsam wie in die Unendlichkeit der weiten See verklingen ließ.

Zuvor konnte man in einem schemenhaft im Dunkel angedeuteten Kampf Tristans mit Morold unter den Augen der beiden Könige und ihres Gefolges die Vorgeschichte sehen. Isolde, erkennt sogar die Scharte in Tristans Schwert! Als sie ihn daraufhin töten will, schreckt sie zurück, als er ihr „in die Augen sah…“, was man ja gleich darauf in ihrer Erzählung zu Brangäne hören wird. Eine beeindruckende Szene, die sich schließlich in mysteriös raunender und umnebelter Finsternis einer lange vergangen scheinenden Vorzeit auflöst… Regisseur Kartaloff liebt diese Zitate der Vorgeschichte, die er beispielsweise auch in der „Walküre“ seiner „Ring“-Inszenierung wirksam einbringt und die immer bereichernd in seine Dramaturgie passen.

Große Wirkung erzielte seine inszenatorische Optik. Mit seinem Bühnenbildner Miodrag Tabacki sowie dem Licht-Designer Andrei Hajdinjak, dem Multimedia-Designer Georgi Hristov und dem geschmacksicheren Kostümbildner Leo Kulas entsteht Wagners opus summum als Musikdrama im besten Sinne des von Wagner geschaffenen Begriffs des Gesamtkunstwerks. Man erlebt ein intensives thematisches Ineinanderwirken von Szene - besonders mit einem sehr variablen Bühnenbild - gesanglicher Gestaltungskraft und Musik. Kartaloff wählte diese Interpretation aus der Überzeugung heraus, dass Wagners „poetisches Meisterwerk“, wie er es nennt, in einer verständlichen, emotionalen, dynamischen und musikalisch expressiven Theatersprache zu gestalten sei.

Diese Sprache zeigt sich auch darin, dass immer nur ganz wenige Personen in enger Interaktion, auf der mit wenigen Requisiten und wenigen dominanten Farben ausgestatteten Bühne sind, allenfalls einige Statisten dazu in völliger Ruhe wie bei Isolde zu Beginn des 2. Aufzugs. Das erhöht sowohl die jeweilige dramaturgische als auch die dramatische Intensität und lenkt die Augen auf das Wesentliche.

So taucht auch der Seemannschor immer nur dann aus einem Spalt im dunklen Bühnenboden auf, wenn er zu singen hat, was ihn in seiner Aussage umso stärker erscheinen lässt. Er wirkt dabei wie eine Art Kassandra, die vor den realen Konsequenzen der sich anbahnenden Beziehung zwischen Tristan und Isolde warnt. Im Prinzip zeichnen sich aber fast alle Bilder, insbesondere im 2. Aufzug, durch ein hohes Maß an Poesie aus.

Als Tristan wuchs Martin Iliev mit seiner leicht depressiven Aura insbesondere im 3. Aufzug über sich hinaus. Er spielte nicht nur den Tristan, er w a r Tristan mit Leib und Seele. Dazu kam sein klangvoller, besonders für diese schwere Rolle geeigneter Heldentenor. Die eher jugendlich dramatische Sopranistin Radostina Nikolaeva sah als Isolde im 1. Aufzug ihre stimmlichen Grenzen, konnte aber im 2. und erst recht mit ihrem auch emotional beeindruckenden Finale weitgehend überzeugen. Jukka Rasilainen, bewährter Wagnersänger an fast allen großen Häusern, war eine Luxusbesetzung für den Kurwenal und dokumentierte hohe, über lange Jahre gewachsene Gesangskultur. Petar Butchkov war ein etwas zu rauer Marke und Cveta Sarambalieva eine etwas zu spröde klingende Brangäne.

 

Fotos: Svetoslav Nikolov

Klaus Billand, 16.8.2019

 

RIGOLETTO

am 20. März 2019

 

Die Sofia Opera and Ballet verfügt über ein umfangreiches Repertoire des klassischen Opern-Kanons. Dazu gehört natürlich auch „Rigoletto“ von Giuseppe Verdi, den ich anlässlich eines Besuchs in der Stadt erleben konnte. Es handelt sich um eine bereits ältere Inszenierung des Generaldirektors der Sofia Oper, Prof. Plamen Kartaloff, noch aus der Zeit vor seinen auch international große Beachtung findenden Arbeiten zu Richard Wagner, mit seinem „Ring“, „Tristan“ und „Parsifal“. Letztere werden ja im Juli diesen Jahres im Rahmen eines Wagner-Festivals wieder zu sehen sein. Der „Rigoletto“ bewegt sich hingegen vollkommen im traditionellen Rahmen dessen, was ein konservativer Verdi-Freund erwarten würde. Gut erscheint die Idee, das Stück mit dem Hofnarren vor einem riesigen Bilderrahmen beginnen zu lassen, der auf seinen Wink das Bühnenbild freigibt. Es wird also sozusagen eine - wahrscheinlich unwahre - Geschichte aus seinem Leben gezeigt, wie das Bild in einem Rahmen nicht notwendigerweise die Realität wiedergibt bzw. geben muss. So wird die Dramatik des Finales etwas abgemildert. Man sieht sozusagen ein Theaterstück des Lebens. Folgerichtig kommt der Bilderrahmen am Schluss, als Rigoletto voller Schmerz über den Tod seiner Tochter die fatale Wirkung des Fluches beschwört, wieder herunter. Das normale Leben kann weitergehen…

Lubomir Jordanov hat ein opulentes Bühnenbild für den Hof des Herzogs von Mantua aufgebaut, mit rötlichen monumentalen Säulen und goldenen korinthischen Kapitelen. Im Laufe des Abends werden diese Säulen immer wieder verschoben, um andere Bühnenausschnitte zu bilden. Die Hütte Sparafuciles wird lediglich durch eine alte, vom Schnürboden herunterkommende Türe charakterisiert. Die Kostüme von Elena Ivanova passen historisch zu diesen Bildern. Man merkt ohnehin gleich, dass es Kartaloff in erster Linie auf die Personenführung ankommt. Er zeichnet den Hofnarren wohl genauso, wie Verdi ihn sich vorgestellt haben könnte, als von der Hofgesellschaft diffamierten Krüppel, der innerlich verzweifelt seine Späße“ am Hof treibt, aber im Grunde nur das eine vor Augen hat, das Wohlergehen seiner Tochter Gilda.

 Der Gast Carlos Almaguer aus Spanien gestaltete den Rigoletto auch mit einer Intensität, die wohl niemanden ganz ungerührt ließ. Er humpelte mit seinem Buckel und Narrenspiegel über die Bühne und war trotz seiner Behinderung immer der Protagonist des Geschehens. Sein dunkel timbrierter Bariton klingt sehr ausdrucksstark und charaktervoll, verliert in den letzten Höhen allerdings an stimmlicher Kraft. Seine Duette mit Ralitsa Ralinova, die die Gilda verkörperte, gehörten zu den Höhepunkten des Abends, insbesondere auch, weil Ralinova mit einem leuchtenden und mädchenhaft timbrierten Sopran begeistern konnte und damit stimmlich die beste Leistung dieser Aufführung brachte. Auch darstellerisch war sie eine sehr authentische Gilda. Ebenso konnte die noch recht junge und bildhübsche Alexandrina Stoyanova-Andreeva nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmlich mit einem vollen und flexiblen Mezzo in der Rolle der Maddalena überzeugen. Der etwas rau und damit durchaus zur Rolle passend singende sowie grimmig agierende Svetozar Rangelov war zu ihrer emotionalen Darstellung der richtige Gegenpol.

Kamen Chanev sang, und die Betonung liegt in der Tat auf Singen, den Herzog von Mantua. Das tat er durchaus nicht schlecht, erreichte alle geforderten Noten und Höhen, legte aber auch eine gewisse Steifheit sowohl in der Stimme als auch im Spiel an den Tag. Da hätte man sich mehr Engagement und Intensität der emotionalen Momente gewünscht. Rumyana Petrova sang eine gute Giovanna, Nikolay Petrov einen polternden Monterone und Atanas Mladenov einen stimmschönen, aber eben leider zu wenig singenden Marullo. Stoil Georgiev, Silvana Pravcheva, Nadya Koleva und Georgi Dukov waren in den restlichen Nebenrollen zu hören. Der wie immer von Violeta Dimitrova einstudierte Chor war erwartungsgemäß ein verlässliches Element der Aufführung.

Zhorzh Dimitrov dirigierte das Orchester der Sofia Opera and Ballet routiniert, durchaus mit großem Engagement, was aber bisweilen auch zu einer erhöhten Lautstärke führte. Es waren die Damen und Carlos Almaguer, die an diesem Abend die starken emotionalen Akzente setzten.        

 

Fotos (c) Svetoslav Nikolov                                                                                  

Klaus Billand 31.3.2019

 

 

YANA’S NINE BROTHERS

Premiere 22. März 2018

Eine interessante „Ausgrabung“

 

Der bulgarische Komponist Ljubomir Panajotow Pipkov schuf u.a. neben vier Sinfonien und verschiedenen Solo- und Klavierstücken sowie Filmmusiken auch eine Oper, „Yana’s Nine Brothers“, die heute als ein Wendepunkt in der bulgarischen klassischen Musik gesehen wird. Auf dem reichen Schatz der bulgarischen Volksmusik aufbauend wollte er einen neuen bulgarischen Musikstil kreieren, der von drei wesentlichen Faktoren bestimmt sein sollte, dem Erbe der klassischen Musik der Welt; dem reichen Erbe der nationalen Lieder, Gesänge und Rhythmen, sowie dem historischen Moment, der den Inhalt des Kunstwerks mitbestimmt. Und da befand sich Pipkov zur Zeit seiner Komposition der „Yana“ in einer ganz dramatischen, ja nahezu traumatischen Situation. Er schrieb das Stück 1929, in den blutigen Nachwirren des Staatsstreichs des Militärs vom Juni 1923 unter General Ivan Valkov. Er führte zu einer Ersetzung des später ermordeten Staatschefs Aleksandar Stamboliyski durch eine neue Regierung unter Aleksandar Tsankov. Hinzu kam das kommunistische Attentat auf die Regierung durch einen Anschlag auf die Sveta Nedelja-Kathedrale im April 1925, bei dem weit mehr als 100 Personen getötet wurden.

In jener Zeit war Pipkov Schüler für sechs Jahre von Paul Dukas in Paris. Dieser kannte unter anderen noch Franz Liszt, César Franck und Richard Wagner und stand mit Camille Saint-Saens in Kontakt… Debussy, der bekannterweise Wagner verehrte, war unter seinen Freunden. Der politische Atem jener Zeit ist in jedem Takt der großartigen Musik Pipkovs, dem von ihm mit Hilfe von Nikola Veselinov geschriebenen Libretto und der Dramaturgie des Stückes zu verspüren. Es ist eine große bulgarische Oper, ja vielleicht gar eine bulgarische Nationaloper, die historischen Stoff mit - leider - großer Aktualität verbindet. Sie erlebte 1937 ihre Uraufführung.

Der unermüdliche und visionäre Generaldirektor der National Oper und Ballett Sofia, Acad. Plamen Kartaloff, der u.a. in den vergangenen sieben Jahren sechs große Wagner-Werke auf die Sofioter Bühne stellte, darunter den ganzen „Ring des Nibelungen“, kannte Pipkov selbst noch gut und inszenierte das Stück nach 30 Jahren nun zum zweiten Mal. Es wurde eine hochinteressante „Ausgrabung“, denn anderswo ist die „Yana“ wohl (noch) nicht zu erleben. Das Stück spielt von der Bulgarin Yana, die neun Brüder hat, die alle in den unmenschlichen Minen des Rila-Berges schuften. Unter ihnen ist der hässliche Georgi, der dem schönen und künstlerisch begabten jüngeren und von Mutter wie Yana weit mehr geliebten Bruder Angel aus Neid das Leben schwer macht, auch auf sein höheres Alter pochend. Es gleicht der Kain- und Abel-Situation des 1. Buches Mose. Denn Georgi hackt dem Holzschnitzer Angel schließlich beide Hände ab, womit dieser als armer Bettler sterben muss. Als die rote Pest aus Bosnien kommt, macht sich Georgi diese über das Mitspiel einer Zigeunerin zunutze, um auch seine übrigen sieben Brüder umzubringen. Am Schluss sterben seine erblindete Mutter und er selbst. Nur Yana bleibt als Geläuterte zurück, im Angesicht der durch die anrückenden osmanischen Besatzer in Brand gesetzten bulgarischen Dörfer - ein Ende wie Wagners „Götterdämmerung“ und eine Oper mit wahrhaft nationalen und visionären Dimensionen.

Kartaloff schafft dazu mit seinem Bühnenbildner Sven Jonke und der einfallsreichen Kostümbildnerin Stanka Vauda sowie mit einer ebenso stimmungsvollen wie beeindruckenden Beleuchtung des künstlerischen Lichtdesigners Andrej Hajdinjak eine optische Ästhetik, die auf einen klaren und eingängigen Symbolismus setzt. Im Zentrum seiner Dramaturgie steht der Baum, der in der bulgarischen Folklore als „mytho-poetisches Bild“ wahrgenommen wird, welches die Einheit des Universums und der menschlichen Gesellschaft symbolisiert. Für den Regisseur ist der Baum auf seiner „Yana“-Bühne ein Symbol für das Leben, den Menschen, das Zu Hause, die Familie, das Schicksal und das Volk. Er spreizt seine Wurzeln breit auf der Erde aus, die als abgeschnittenes Rund der Weltkugel dargestellt wird, wie weiland in der Produktion des Bayreuther „Ring“ durch Alfred Kirchner und Rosalie.

 

Damit erinnert die hier gezeigte direkte Verbindung von Baum und Erde auch an die lateinamerikanische Pachamama, die in einigen Andenvölkern als Mutter der Erde und Verbinderin zwischen Ober- und Unterwelt verehrt wird. Natürlich ist da auch die Erda von Richard Wagner nicht weit… An diesem Baum, es sind derer gar zwei, spiegelt sich der Verfall des Hauses Yanas sowie ihrer Mutter und Brüder und damit symbolisch das Schicksal des ganzen bulgarischen Volkes angesichts der unmittelbar bevorstehenden osmanischen Besatzung wider. Am Schluss verdorrt der Baum - eine Assoziation mit Wagners Weltesche drängt sich geradezu auf…

Plamen Kartaloff ist die Umsetzung der dramaturgischen und musikalischen Intentionen des Komponisten auf das Beste gelungen, auch und gerade durch eine exzellente Bild- und Personeneregie. Der von Violeta Dimitrova bestens einstudierte, sehr transparent und kräftig singende sowie von Riolina Topalova auch lebhaft choreografierte Chor der Sofia Oper und Ballett spielt bei Kartaloff eine Rolle wie in der griechischen Antike. Auch das hätte Wagner wohl gefallen…

Das Stück hat eine unglaublich umfangreiche Sängerbesetzung von fast 30 Solisten, also fast so viele wie der viertägige „Ring des Nibelungen“! Kartaloff konnte wieder auf bewährte, ausschließlich bulgarische Ensemble-Mitglieder setzen. In den Hauptrollen brillierten Gabriela Georgieva mit einem zeitweise dramatisch artikulierten klangvollen Sopran als Yana, Gergana Rusekova als Zigeunerin mit einem hochdramatischen farbigen Sopran, der schon die Walküre erahnen lässt, Petar Buchkov mit einem ausdrucksstarken Bassbariton als Georgi, Kostadin Andreev mit einem heldischen, höhensicheren und zu großer Variabilität fähigen Tenor als Angel, sowie Ivanka Ninova mit einem guten Mezzosopran als Mutter. Alle spielten ihre Rollen mit großer Emphase, Andreev auch mit besonders beeindruckender Emotionalität. Im Gedächtnis blieb vor allem sein hinreißend gesungener Monolog in der 6. Szene des 3. Akts, kurz vor seinem Tod.

Bis auf ganz wenige Ausnahmen waren alle Nebenrollen ebenfalls gut besetzt. Darunter ragten an stimmlicher Qualität besonders Nikolay Petrov als Onkel Dimitar, Daniel Ostretsov als Erster Holzschnitzer, Tsvetan Tsvetkov als Zweiter Holzschnitzer sowie Atanas Mladenov als Dritter Holzschnitzer heraus. Auch der Alte Gherdan von Stefan Vladimirov soll nicht unerwähnt bleiben. Angel Hristov, immerhin der Hagen und Hunding des Sofioter „Ring“, hatte eine vergleichsweise kleine Rolle als König Yassen, die er natürlich bestens meisterte.

Der junge Zhorzh Dimitrov dirigierte das Orchester der Sofia Oper und Ballett mit sicherer Hand durch eine Partitur, die für alle Beteiligten absolutes Neuland darstellt. Im 1. und 2. Akt herrscht oft noch ein Sprechgesang vor, der von der Musik eher kommentiert wird. Sie spielt hier noch keine tonangebende Rolle, im wahrsten Sinne des Wortes. Das wird dann anders im viel dramatischeren 3. und 4. Akt, in denen eine weitaus stärkere musikalische Verdichtung und größere dramatische Intensität stattfindet. Dabei gibt es aber immer auch kontemplative Phasen. In diesen beiden Akten entwickelt die Musik Pipkovs ein facettenreiches Farbenspektrum und starken Ausdruck. Eine gewisse Nähe zu Wagner ist hier auch musikalisch unverkennbar. Aber es ist dennoch in jedem Takt der neue bulgarische Musikstil, den der Komponist entwickeln wollte und der damit eine Gezeitenwende in der bulgarischen Musikentwicklung darstellt.

Das Finale hat schließlich große emotionale und dramatische Fallhöhe. Das Premierenpublikum von Sofia wurde an diesem Abend Zeuge eines bedeutenden und zum Nachdenken anregenden Opernabends, der übrigens auch aus Anlass der Eröffnung des International Forum Meetings von Opera Europa stattfand. Denn was hier gezeigt wurde, ist leider nicht allzu weit von dem entfernt, was die Welt derzeit erlebt… Heftiger Applaus mit standing ovations für die Protagonisten. Die Sofia Oper und Ballett hat damit einen bemerkenswerten Beitrag zur Bulgarischen EU-Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 2018 geleistet.                                                                                                

Fotos: Svetoslav Nikolov/Klaus Billand

Klaus Billand, 30.3.2018

 

 

 

CARMEN

Premiere am 3. November 2017

Völlig ungewohnte Sicht auf Carmen

 

Schon beim Vorspiel wird dem Besucher dieser „Carmen“-Premiere in der Nationaloper Sofia klar, dass es sich um eine ganz und gar ungewohnte Interpretation des Meisterwerks von Georges Bizet handelt. Flashartig sieht man vor pechschwarzem Hintergrund einmal den weiß maskierten Chor in schwarzen Gewändern, dann eine Gruppe von Flamencotänzern; daraufhin drei Moirai, also griechische Schicksalsgöttinnen, hier von Männern gespielt, jeweils mit einem langen Seil, und schließlich Carmen, Don José und Micaela auf einer roten Scheibe im Mittelpunkt der Bühne, alle drei mit diesen Schicksalsseilen verwoben. Es wird sofort klar, Plamen Kartaloff, dem Generaldirektor der Nationaloper Sofia und Regisseur dieser Neuinszenierung, geht es um die Darstellung, ja intensive Thematisierung der miteinander verbundenen Schicksale dieser drei Protagonisten. Dabei nimmt er Anlehnung an die griechische klassische Tragödie, indem er deren drei zentrale Komponenten hervorhebt: Musik, Text und die Bewegung des Theaters. Kartaloff zitiert aber auch das alte japanische Noh-Theater, insbesondere in Form der weißen Masken des Chores, denn im Noh-Theater tragen die Hauptdarsteller meistens eine Maske. Das antike griechische und das alte japanische Noh-Theater bildeten für ihn einen Grund dafür, sich von allen gängigen Klischees zu trennen, die man gemeinhin mit einer Aufführung einer „Carmen“ verbindet, also u.a. der Zigarettenfabrik, der Kneipenästhetik bei Lillas Pastia, oder der Stierkampfarena. Bei Lillas Pastia zeigt die Oper Sofia mit einem effektvollen Ballett, über welch hochklassige Ballettkompanie sie verfügt.

Stattdessen gibt es eine vollständige Konzentration auf das Schicksal der Protagonisten Carmen, Don José und Micaela, was durch ihr Auftreten auf der rotierenden Scheibe optisch und dramaturgisch akzentuiert wird. Bei Auftritten Carmens und Don Josés kommen immer wieder die Moirais mit den drei Schicksalsseilen dazu. Und das wirkt nun bisweilen doch etwas Wagnerisch, die Nornenszene aus der „Götterdämmerung“ lässt grüßen. Diese Assoziation mag nicht allzu weit hergeholt sein, wenn man an die Begeisterung Plamen Kartaloffs für das Werk Richard Wagners denkt. Doch nochmal zu der Scheibe: Eigentlich ist sie die Oberfläche eines Zylinders, der durch seine Rotation immer wieder auch eine schiefe Ebene produziert und damit die jeweilige emotionale Lage der Akteure auch noch optisch untermalt. Seitlich und hinten um dieses Rondell herum befinden sich drei schwarze Tribünen wie in einem griechischen Amphitheater, von denen aus der maskierte Chor das Geschehen auf dem Rondell beobachtet und singend kommentiert. Damit kommt ihm in dieser Inszenierung eine weit größere dramaturgische Bedeutung zu als in einer konventionellen „Carmen“- Inszenierung. Im Vordergrund gibt es noch eine wiederum rote halbrunde, teilbare Spielfläche, auf der sich das Nebengeschehen abspielt, so zum Beispiel ein eher abstrakter Tanz von sechs Balletteusen wegen der Aufregung um Carmens Verletzung einer der Zigarettenarbeiterinnen. Vielleicht kommt diese Szene in dem im Endeffekt auf einen hohen Abstraktionsgrad abstellenden Regiekonzept etwas zu kurz, wie auch die Auftritte von Frasquita und Mercedes einerseits sowie von Dancairo und Remendado andererseits. So bedeutsam das Rondell für die Auftritte der Protagonisten ist, es engt doch den Spielraum für die Nebenfiguren ein.

Dieses Manko wird jedoch weitgehend durch die gute Choreografie von Antoaneta Alexieva und Svetlin Ivelinov wettgemacht. Das jedenfalls bestens auf das Regiekonzept von Plamen Kartaloff abstellende Bühnenbild wurde von Miodrag Tabacki geschaffen und die ebenfalls dazu passenden Kostüme von Hristiyana Mihaleva-Zorbalieva. Andrej Hajdinjak ist für die stimmungsbetonte Lichtregie verantwortlich, die gelegentlich im Hintergrund eine blaue Scheibe sehen lässt, die später nach Rot changiert. Die gesamte Optik wird von Schwarz-, Rot- und Grautönen beherrscht, in denen sich die weißen Masken des Chores effektvoll abheben und eine größere Dynamik bewirken. Fast durchgängig vermitteln die Bilder eine vornehmlich tragische Grundstimmung mit Blick auf das Schicksal Carmens.

Der erste dramatische Höhepunkt dieser „Carmen“ ist Nadia Krastevas Auftritt in der Titelrolle mit der Habanera auf dem Rondell. Mit der Intensität ihrer Darstellung und stimmlichen Aussage macht sie sofort klar, dass es an diesem Abend vor allem um sie und ihr Schicksal geht. Und Krasteva setzt den ganzen Abend über das um, was der Regisseur in Carmen sieht: eine tragische und einsame Figur, total unabhängig und isoliert. Für ihn ist „Carmen“ eine Tragödie der Persönlichkeit, bestimmt durch ihr Schicksal, dem sie nicht entrinnen kann, das für sie vorbestimmt ist. Und hier kommen eben die Moirai, die drei Schicksalsgöttinnen, ins Spiel. Carmen sieht die Welt als unpersönlich und seelenlos, sie zieht die Einsamkeit vor. Liebe und Freiheit sind für sie wichtiger als das Leben, und so resigniert sie auch nicht vor dem drohenden Tod. Diese Charakterisierung der Carmen gelingt mit der in dieser Rolle überaus erfahrenen Bulgarin Krasteva aufs Eindrucksvollste! Mit ihrem ausdrucksstarken und variationsreichen Mezzo und ihrem authentischen Spiel treibt sie sich selbst und Don José immer weiter in die Katastrophe, in jedem Moment vollständig nachvollziehbar. Kartaloffs intensive Personenregie trägt das ihre dazu bei. So umarmt sie José am Ende der Habanera nahezu inbrünstig und hinterlässt eine rote Rose auf dem Rondell, die dort den ganzen Abend demonstrativ zu sehen ist – weit mehr als die „fleur que tu m´avais jetée“…

Kostadin Andreev, der junge Siegfried des Sofioter „Ring des Nibelungen“, ist Don José und spielt ihn ebenso wie jenen mit großer darstellerischer Intensität und Emphase. Sein schön baritonal unterlegter, zum Heldischen neigender Tenor hat durchaus das erforderliche Potenzial für den Don José. Er wirkte an diesem Abend jedoch etwas müde, es fehlte der Stimme etwas an Geschmeidigkeit, und einige Höhen kamen leicht forciert. Wenn man bedenkt, dass es Andreevs Rollendebut war, wird er mit seinem guten Potenzial sicher noch weiter an der Partie arbeiten. Tsvetana Bandalovska singt und spielt die Micaela mit ihrem wohlklingenden und höhensicheren Sopran mit viel Empathie für Don José, und der Regisseur wies ihr unter den drei zentralen Protagonisten auf dem Rondell auch eine stärkere Rolle zu. Man hatte den Eindruck, dass ihre Stimme mit der Sieglinde im „Ring“ etwas schwerer und damit ausdrucksvoller geworden ist. Veselin Mihaylov gibt den Escamillo darstellerisch etwas zu verhalten. Sein Bariton verfügt nicht über die gewünschte Klangfülle für die Rolle, klang bisweilen etwas fahl. Er hatte seine besten Momente gegen Ende des 3. Akts. Ilia Iliev und Krasimir Dinev spielen und singen die Schmuggler Dancairo und Remendado mit guten tenoralen Farben, während Silvana Pravcheva und Georgana Petrova als Frasquita und Mercédès überzeugen können. Der Sergeant Moralès ist mit dem jungen Atanas Mladenov luxuriös besetzt, der immerhin den Amfortas in der Sofioter „Parsifal“-Produktion dieses Jahr gesungen hat. Den Zuniga singt Svetozar Rangelov aus dem Hintergrund solide.

Violeta Dimitrova hatte den Chor wie immer gut einstudiert und diesmal der besonderen Rolle des Ensembles im Sinne der griechischen Tragödie Rechnung zu tragen.

Der junge Japaner Keitaro Harada dirigierte das gut vorbereitete Orchester der Nationaloper Sofia mit großem Engagement und Temperament. Dennoch gerieten einige Tempi zu langsam, insbesondere wenn man an die Dynamik der „Carmen“ denkt. Am Schluss überlebt Carmen den Messerstoß Don Josés und hält in einer Art Siegerpose die rote Rose in die Höhe. Sie hat mit ihrer Überzeugung, dass Liebe und Freiheit wichtiger sind als der Tod, gesiegt. Ein großer vertikaler Spiegel reflektiert die Botschaft ins Publikum. Ein ungewöhnlicher, aber zum Regiekonzept vollkommen passender Schluss. Die Produktion wird im kommenden Jahr in Japan gastieren.

Klaus Billand 13.11.2017

Fotos (C) Svetoslav Nikolov                                      

 

 

Parsifal

Bulgarische Erstaufführung am 4. Juli 2017

Viel Emotion bei hohem Abstraktionsgrad

Mittlerweile hat sich die Nationaloper Sofia international einen Namen gemacht mit ihren sehenswerten Inszenierungen wichtiger Werke Richard Wagners, stets als bulgarische Erstaufführungen. Dabei wurde und wird großer Wert gelegt auf ein weitgehendes Befolgen Wagners Werkaussage und Regieanweisungen. Dem westeuropäischen Wagnerschen Regietheater erteilt man hier eine klare Absage. Der unermüdliche Motor hinter dieser Pionierbewegung ist der Intendant Prof. Plamen Kartaloff, der bisher einen viel beachteten „Ring des Nibelungen“ inszeniert hat, welcher bereits im Festspielhaus Füssen gastierte und im Mai des kommenden Jahres am Bolschoi Theater Moskau zu sehen sein wird. Im vergangenen Jahr kam Kartaloff mit einer ebenfalls großartigen Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ heraus. So war es kaum verwunderlich, dass als nächstes Werk des Bayreuther Meisters „Parsifal“ - gewissermaßen als Herzensangelegenheit - anstand, zumal Richard Trimborn, musikalischer Coach der bulgarischen Sänger bei der Einstudierung all dieser Musikdramen, auch den „Parsifal“ für die Sofioter Bühne präferierte. Diese beiden Männer scheinen menschlich und künstlerisch auf das Beste miteinander zu harmonieren, ganz gewiss ein Element des nun schon einige Jahre andauernden Erfolges. So kam es Anfang Juli also zur bulgarischen Erstaufführung des „Parsifal“, immerhin 135 Jahre nach der Uraufführung.

Kartaloff geht es bei der Konzeption dieses „Parsifal“ vor allem um die Vermittlung emotionaler Inhalte, wobei die Kategorien Brüderlichkeit, Menschlichkeit und Nächstenliebe eine Verbindung mit göttlicher Strahlkraft und spiritueller Heilung eingehen. Das spirituelle Mysterium der „Parsifal“-Legende sowie die philosophischen Botschaften der Charaktere und ihr Verlangen nach einem „finalen Nirwana“ sollten im Mittelpunkt stehen. Das zu zeigen verlangt einen hohen Grad an Abstraktion und eine fein ausgefeilte Personenregie, was beides bereits im 1. Aufzug und durch das ganze Stück eindrucksvoll zu erleben ist.

Nach einem getragen und mit mystischem Aplomb musizierten Vorspiel blickt man in den heiligen Wald aus kunstvoll miteinander verflochtenen Tuchbahnen, die sich bei der Verwandlung zur Gralsburg unmerklich in Säulen verwandeln. Dass die Zeit dabei zum Raum wird, legt das Wandeln von Gurnemanz mit Parsifal in diesem sich nahezu unmerklich wandelnden Bühnenbild nahe. In einer Retrospektive sehen wir auf der Drehbühne, wie Klingsor Amfortas den Speer entwendet. Amfortas wird auf einem Rollstuhl in einem weißen Gewand mit der Blutspur der Wunde hereingeführt – man kann ihn später im Bühnenhintergrund beim Baden im See gewahren. Gurnemanz und die Ritter erscheinen in von Stanka Vauda geschmackvoll gestalteten weißen Kostümen mit den typischen Mönchskapuzen und geben damit einen wirksamen Kontrast zu den eher dunklen Bühnenbildern von Numen+Ivanka Jonke. Das Lichtdesign von Andrej Hajdinjak ist stets auf die stimmungsvollen Bilder abgestimmt. Der verwundete Schwan ist ein gefiederter Balletttänzer, der so dem Tier eine stärkere Persönlichkeit verleiht und Parsifal umso intensivere Schuldgefühle abverlangt. Sehr fantasievoll und mit großer Symbolkraft wirkt die Gralserhebung im 1. Aufzug: Während Amfortas - und Titurel steht dabei vor ihm - die Hände hebt, bildet sich der Gral durch das Ineinanderlaufen mehrerer vom Bühnenplafond herunter hängender Seile, die das Gefäß in seiner Struktur erahnen lassen - nur ein Beispiel für den Abstraktionsgrad, mit dem der Regisseur hier arbeitet. Einen interessanten Akzent setzt Kartaloff am Schluss des 1. Aufzugs: Statt als „Gänser“ von Gurnemanz hinaus geworfen zu werden, geht dieser umgehend ab und Parsifal bleibt allein auf der Bühne zurück. Nach dem Erlebten erkennt man an seiner begeisterten Mimik, dass er seinen Auftrag, Amfortas zu erlösen, verstanden hat und sich also „wissend“ auf die Odyssee macht…

Im 2. Aufzug agiert Klingsor umtriebig auf einem bühnenweiten Podest, auf dem eine Stellage montiert ist, die einen Laserstrahl erzeugt - wohl Ausdruck seiner vergeblichen Versuche, eine Lösung für seine unlösbare Problematik zu finden. Der Zaubergarten entfaltet sich sodann im wahrsten Sinne des Wortes in Form eines riesigen roten Luftkissens, in dem die sechs Blumenmädchen der 1. und 2. Gruppe - der restliche Damenchor singt aus dem Off - und später Kundry um Parsifal buhlen. Immer wieder wirkt dieses Luftkissen wie ein großer roter Mund, ohnehin eine naheliegende Assoziation zu dem darin statt findenden Kuss. Im Hintergrund droht ständig Klingsors Wirkungsfeld, von hier wirft er auch den Speer auf Parsifal, was nicht so ganz klappt.

Im 3. Aufzug sehen wir wieder den heiligen Wald, nun etwas kontrastreicher beleuchtet, und die folgende Verwandlung zu den Säulen des Gralstempels in der letzten Szene. Nachdem Parsifal Amfortas mit von seiner Wunde befreit hat, führt er in der Bühnenmitte den Speer in die Höhe unter den sich wieder aus den Seilen bildenden Gral, die durch Lasereffekte nun viel heller erleuchten als im 1. Aufzug – die Vereinigung von Gral und Speer wird somit optisch wirkungsvoll dokumentiert. Die Gralsritter liegen im Kreis um Parsifal herum und deuten damit die Wiederherstellung des Gralsordens an. Kundry singt vorn entseelt zu Boden – alles genauso wie Wagner es haben wollte, wie es aber im Wagnerschen Regietheater heute unvorstellbar wäre… Dafür gelingt dem Regieteam mit relativ begrenzten szenischen Mitteln, die aber in ihrer optischen Assoziation sehr wirksam eingesetzt werden, ein hoher Aussagegrad des Stückes, der es auch dem bulgarischen Publikum, das es überwiegend noch nie erlebt hat, verständlich werden lässt. Entsprechend war auch der starke Applaus am Schluss.

Mit dem jungen Dirigenten Constantin Trinks ist dabei gelungen, was Plamen Kartaloff als Maxime für das Zusammenwirken von Musik und Handlung gerade bei diesem Werk Wagners aufgestellt hatte – die Visualisierung der Musik. Das Orchester der Sofia Oper und Ballett lässt sich von seiner besten Seite hören, mit feiner Tongebung bei meist getragenem Rhythmus, ohne je in unangemessenes Pathos zu verfallen. Man merkte in jeder Phrase, dass es über die vergangenen Jahre ein großes Verständnis und Gefühl für die Musik Wagners entwickelt hat. Nur die Glasglocken hätten besser intoniert werden können. Der von Violeta Dimitrova geleitete Chor der Sofia Oper war bestens choreografiert und sang kraftvoll bei guter Transparenz. Venetsia Karamanova leitete den Kinderchor des Bulgarischen Nationalradios.

Während all dieser Jahre hat Plamen Kartaloff einen beachtlichen Stamm guter Wagnersänger aufgebaut, mit der Hilfe Richard Trimborns und durch intensives Proben. Dieser Stamm erlaubt es ihm nun, die Hauptpartien sogar doppelt zu besetzen! Sämtliche Sängerinnen und Sänger absolvierten an diesem Premierenabend ihre jeweiligen Rollendebüts und dies bereits mit durchaus beachtlichem Ergebnis: Kostadin Andreev gab einen sehr baritonal unterlegten aber mit kräftigem tenoralen Aplomb versehenen Parsifal, der wie schon bei seinem Siegfried im „Ring“ sehr energisch agiert. Er muss allerdings weiter an seinem Deutsch arbeiten, um auch sängerisch besser verstanden zu werden. Der noch sehr junge Atanas Mladenov sang einen lyrisch betonten Amfortas bei bester Wortdeutlichkeit. Er war der Gunther im „Ring“. Angel Hristov, der Hagen und Hunding im „Ring“, gestaltete den Gurnemanz mit seinem tragfähigen, für diese Partie nicht allzu großen Bass, bei bester Wortdeutlichkeit fast kontemplativ.

Biser Georgiev gab einen eindringlichen Klingsor mit einem etwas zu gutturalen und nicht immer verständlichen Bassbariton, was er aber mit seiner intensiven Darstellung gut überspielen konnte. Die Sofioter Isolde Radostina Nikolaeva sang eine gute Kundry, wenn auch die blendenden Spitzentöne ihres Soprans mehr überzeugten als ihre Tiefe, die bei der Kundry ja auch gefragt ist. Darstellerisch machte sie ihre Sache bestens. Petar Buchkov war ein ansprechender Titurel. In den weitgehend gut besetzten Nebenrollen sangen Hrisinir Damyanov und Stefan Vladimirov als 1. und 2. Gralsritter. Rada Toreva, Ina Petrova, Krasimir Dinev und Kalin Dushkov verkörperten die Knappen. Gesanglich und optisch anregend agierten die Blumenmädchen der 1. und 2. Gruppe, Lyubov Metodieva, Mariela Alexandova, Ina Petrova, Mirela Yabandzhieva, Angelina Mancheva und Alexandrina Stoyanova-Andreeva.

Mit dieser „Parsifal“-Produktion hat die Nationaloper Sofia ihren so erfolgreichen Weg zu Richard Wagner eindrucksvoll fortgesetzt. Die Inszenierung würde manchem großen Haus in Westeuropa zur Ehre gereichen.

9.7.2017 Klaus Billand

Bilder (c) Svetoslav Nikolov / Nationaloper Sofia

 

 

 

 

DER RING DES NIBELUNGEN

WA - 21.-27. Mai 2016

nochmal im Ganzen besprochen

In diesem Jahr feiert die Nationaloper Sofia ihr 125jähriges Bestehen. Nicht zuletzt zu diesem hier besonders wichtigen Ereignis hat Generaldirektor Plamen Kartaloff die Internationalen Wagner Wochen ausgerufen, in deren Rahmen er eine Wiederaufnahme seines sehenswerten „Ring des Nibelungen“ vom 21. bis 27. Mai zeigte. Dieser „Ring“ wurde im letzten September auch im Festspielhaus Füssen im Allgäu mit großem Erfolg präsentiert.

Der „Ring“ in Sofia hatte mit dem „Rheingold“ unter der Stabführung von Manfred Mayrhofer mit dem Orchester der Nationaloper Sofia einen guten Start. Kartaloff hat mit seinem Story Board den „Ring“ aus der Musik und Werkaussage Richard Wagners inszeniert und damit eine außergewöhnlich große Harmonie zwischen Optik, fein ausgestalteter Personenregie und der Musik aus dem Graben erreicht. Wir erblicken im Wesentlichen einen beliebig variationsfähigen bühnengroßen Ring sowie einige kegelförmige Konusse, reduziert auf bestimmte symbolische Bedeutungen. Kartaloff setzt sie in ständiger Variation über den ganzen Zyklus hinweg dramaturgisch ein, wobei das Multimedia Design von Vera Petrova und Georgi Hristov sowie die Lichtregie von Andrej Hajdinjak eine ganz entscheidende Rolle spielen. Es gelingt dem Regieteam, mit den Bühnenbildelementen und fantastischen Figurinen von Nikolay Panayotov sowie dem facettenreichen Multimedia-Design, den Mythos des „Ring“ mit einer nahe an Wagners Regieanweisungen operierenden Dramaturgie mit großem Unterhaltungswert zu verbinden. Farbintensive und eindringliche Bilder waren da zu sehen, insbesondere die Regenbogenbrücke über die sieben hochstehenden Konusse auf dem Ring. Sie sehen wie Zinnen einer Burg, also Walhalls, aus.

Unterhaltsam waren wie immer in dieser Produktion die drei Rheintöchter, die auf Trampolinen unermüdlich mit ihren Sprüngen und Saltos (zeitweise von drei Akrobatinnen gedoubelt) eine Art Herumtollen im Rheinwasser suggerierten. Milena Gurova als Woglinde, Silvia Teneva als Wellgunde und Elena Marinova als Flosshilde sangen dazu klang- und ausdrucksvoll mit bestem Deutsch. Bühnenbeherrschend waren Nikolay Petrov als Wotan und Daniel Ostretsov als Loge. Und wenn diese beiden Figuren gut sind, kann im „Rheingold“ eigentlich nichts mehr schiefgehen – wie eben an diesem Abend. Petrov sang mit seinem gut geführten und kraftvollen Bassbariton einen beeindruckenden Wotan. Ostretsov gab einen sehr musikalischen und geschickt die Strippen ziehenden Loge. Biser Georgiev ist seit seinen letztjährigen Auftritten als Alberich noch besser geworden, sowohl stimmlich, wie auch darstellerisch – er lieferte eine beeindruckende Rollenstudie des Nibelungenfürsten. Stefan Vladimirov war ein wohlklingender Fasolt mit profundem Bass. Petar Buchkov stand ihm mit mehr Prägnanz in der Stimme kaum nach. Rumyana Petrova spielte als Fricka stark, blieb aber stimmlich etwas spröde. Silvana Pruchcheva war eine intensive Freia mit gut ansprechendem Sopran und großer Höhensicherheit. Svetozar Rangelov sang einen starken Donner mit viel Aktion auf der Bühne, und Hrisimir Damyanov gestaltete den Froh lyrisch klangschön. Plamen Papazikov war ein guter, fast baritonaler Mime, und Blagovesta Mekki-Tsvetkova ließ einmal mehr als Erda stimmliche Qualitäten vermissen - zu unscharf und klanglos ist ihr Mezzo für diese so wichtige Partie.  

In der „Walküre“ begeisterten wie immer die acht Streitrosse der Walküren, die nun auf den zu Pferdeköpfen stilisierten Konussen saßen. Die Bilder des Walkürenritts lösten so auch einen intensiven Szenenapplaus aus. Alle acht Wotanstöchter waren stimmlich einwandfrei und wirkten so besonders in den Ensembleszenen sehr stark. Ebenso eindrucksvoll war auch der romantisch gezeichnete Wonnemond im 1. Aufzug, in dem Martin Iliev als tragischer Held Siegmund mit dem melancholisch klingenden Timbre seines eher schweren Tenors glänzen konnte. Das „Wälsungenblut“ am Ende des 1. Aufzugs konnte Iliev spektakulär lange halten. Er spielte die Rolle auch mit einem hohen Maß an Emotionalität und Authentizität, sodass die Darstellung des Wälsungenpaars sehr intensiv zu erleben war. Seine Partnerin Tsvetana Bandalovska war mit einem für die Rolle vielleicht etwas leichten Sopran, eine aber dennoch stimmlich und noch mehr durch ihre emphatische Gestaltung gute Sieglinde. Sie konnte vor allem mit ihrer Facettierung der Partie und ihrer Höhensicherheit beeindrucken. Angel Hristov sang als Zombie verkleidet einen Furcht einflößenden Hunding mit großer Durchschlagskraft seines kräftigen Basses. Eine wahrlich beeindruckende Rollenstudie lieferte aber Nikolay Petrov als Wotan, der das Debakel des Gottes schon während des Zwiegesprächs mit Fricka mit einer außergewöhnlich intensiven emotionalen Darstellung über die Rampe brachte. Dieser Gott fiel tief bis hin zu sichtbarer Verwirrung! Auch stimmlich konnte Petrov mit seinem dunkel konturierten Bassbariton überzeugen, wenngleich er nicht immer in vollständiger Harmonie mit dem Orchester lag. Die Fricka von Rumyana Petrova klang hingegen mit einem nicht besonders gut geführten, etwas verquollenen Mezzo weniger gut, konnte aber darstellerisch die Rolle voll ausloten. Der Star des Abends und auch in der „Götterdämmerung“ war aber einmal mehr Iordanka Derilova als Brünnhilde. Mit welcher stimmlichen Intensität sie die Höhen und langen Bögen der Partie meisterte und dabei auch spielerisch gestaltete, war wieder äußerst beeindruckend. Hinzu kommt ein gutes und jugendliches Aussehen, sodass man ihr die „reisige Maid“, aber dennoch später auch das wissende Weib, optisch perfekt abnimmt.

Im „Siegfried“ erlebte man Szenen mit Retrospektiven aus den beiden Abenden zuvor, die zunächst Mimes Erzählungen im 1. Aufzug begleiteten und sodann Siegfried, ohne dass er es bemerkte, beim Waldweben erschienen, immer wieder in Form seiner Eltern Siegmund und insbesondere Sieglindes. Kostadin Andreev war mit seiner heldentenoralen und baritonal unterlegten Stimme sowie beeindruckender Vitalität des jungen Naturburschen ein einnehmender Siegfried, auch wenn seine deutsche Diktion einige Wünsche offen ließ. Krasimir Dinev gab einen Mime auf Augenhöge mit einem metallischen Tenor, der durchaus heldischen Aplomb hören ließ. Er legte einen unglaublich aktiven Zwerg auf die Bretter der Nationaloper - anders kann man es nicht sagen, wenn man sah, was Siegfried in seiner Mürrischkeit so mit ihm trieb. Martin Tsonev war ein souveräner Wanderer, sowohl was seinen klangvollen und technisch besten geführten Bassbariton wie sein überzeugendes und engagiertes Spiel angeht. Er konnte die Souveränität des als Wanderer daher ziehenden Gottes bestens verkörpern. Die junge Radostina Nikolaeva sang eine vornehmlich lyrisch geprägte Brünnhilde und schloss an diesem Abend mit großem Erfolg an ihre Isolde aus dem Vorjahr an. All ihre hier so fordernden Höhen sang sie mit Bravour und stets guter Resonanz. Ihr hohes C am Schluss konnte sie bedeutend länger halten als viele führende Rollenvertreterinnen. Biser Georgiev war wieder ein engagierter und stimmlich intensiver Alberich. Petar Buchkov sang den aus nun blutrot beleuchteten Konussen bestehenden Fafner mit kraftvollem Bass, der noch von einem Megaphon verstärkt wurde. Die Erda von Blagovesta Mekki-Tvetkova ließ stimmlich einmal mehr an Präzision und Klarheit zu wünschen übrig, konnte die Rolle aber ansprechend gestalten. Milena Gurova sang einen klangvollen und differenzierten Waldvogel, der im Hintergrund auf einer Schaukel auf und nieder "flatterte" - ein sehr poetisches Bild.

Die „Götterdämmerung“ begann mit einer eindrucksvollen Nornenszene, in der mit viel Aktion Tsvetana Sarambelieva als Erste, Ina Petrova als Zweite und Lyubov Metodieva als Dritte Norn ein gutes stimmliches Terzett bildeten. Das Vorspiel wurde aufgrund der vokal und darstellerisch großartigen Leistung von Martin Iliev als Siegfried und Iordanka Derilova als Brünnhilde einer der Höhepunkte des Abends und provozierte an seinem Ende wiederum Szenenapplaus. Atanas Mladenov sang einen klangvollen Gunther mit nicht allzu großer Stimme und die Sieglinde Tsvetana Bandalovska gab nun eine stimmlich etwas leichte Gutrune. Angel Hristov verkörperte einen finsteren Hagen mit kraftvollem und prägnantem Bass, hatte im 2. Aufzug aber etwas Mühe bei einigen Höhen. Biser Georgiev war ein eindringlicher Alberich, während Tsvetana Sarambelieva in der langen Solopartie der Waltraute mit einer etwas unsauberen Stimmführung nicht ganz überzeugen konnte. Bei den wiederum guten Rheintöchtern ersetzte Irina Zhekova Milena Gurova als Woglinde. Düster dräuend wirkten die Mannen mit ihren fledermausartigen Standarten, die an die Vögel im gleichnamigen Film von Alfred Hitchcock erinnerten. Der nicht allzu große, von Violeta Dimitrova geleitete Chor, war relativ weit hinten aufgestellt und verlor so etwas an Klangfülle. Stimmlich und von der Transparenz her war aber alles in Ordnung. Szenisch besonders beeindruckend war das Ende dieser „Götterdämmerung“, als man zunächst das sich in unendlich viele Splitter auflösende Walhall gewahrte und ganz zum Schluss zum Motiv der Mutterliebe Sieglindes ein Lichstrahl wie ein Zeichen der Hoffnung auf die leere Bühne fiel…

Manfred Mayrhofer hatte mit dem Orchester der Sofia Oper einen guten Start in diesen „Ring“, wobei kleinere Ungenauigkeiten einiger Musiker kaum ins Gewicht fielen. Er steigerte sich jedoch erheblich in der „Walküre“, in der er das Orchester zu großer Intensität anregte und sowohl die lyrischen Passagen wie die besonders dynamischen und dramatischeren Momente sehr gut heraus arbeitete. Musikalisch konnte sich dieser „Ring“ im „Siegfried“ weiter steigern. Denn hier war offenbar die ganze Erfahrung des Orchesters mit der Tetralogie aus dem Vorjahr wieder zugegen. Mayrhofer dirigierte ein erstklassiges Vorspiel zum 3. Aufzug und konnte auch das Durchschreiten des Feuers durch Siegfried mit guter musikalischer Facettierung dirigieren. Dass er die Tetralogie viele Jahre nicht dirigiert hatte, wurde  niemandem bewusst. Folgerichtig bekam der Dirigent nach der „Walküre“ und dem „Siegfried“ besonders emphatischen Applaus. Das hohe Niveau setzte sich schließlich in der „Götterdämmerung“ fort, sodass man am Ende von einem sehr guten musikalischen „Ring“ sprechen konnte, wobei Mayrhofer stets sehr engen Kontakt zwischen Graben und Sängern sicher stellte. Es gelang eine Tetralogie im Sinne des Gesamtkunstwerk-Begriffs Richard Wagners wie aus einem Guss. Großer Applaus für alle Mitwirkenden, teilweise mit signifikanten Bravi.

Am 27. Mai, dem Tag der „Götterdämmerung“, moderierte der Verfasser dieser Kritik wie schon in Füssen 2015 wieder ein Symposium zum Thema „Wagnersches Regietheater gegenüber traditionellen Inszenierungsstilen“. Es fand bei gutem Besuch  im Goethe-Institut Sofia statt.

Fotos bei den Einzelbesprechungen unten

Klaus Billand, 27.6.2016

 

 

 

 

DAS RHEINGOLD

Wiederaufnahme am 21. Mai 2016

In diesem Jahr feiert die Nationaloper Sofia ihr 125-jähriges Bestehen. Nicht zuletzt zu diesem hier besonders wichtigen Ereignis hat Generaldirektor Plamen Kartaloff die Internationalen Wagner Wochen ausgerufen, in deren Rahmen er eine Wiederaufnahme seines sehenswerten „Ring des Nibelungen“ vom 21. bis 27. Mai zeigt. Dieser „Ring“ wurde im letzten September auch im Festspielhaus Füssen im Allgäu mit großem Erfolg präsentiert.

Der „Ring“ in Sofia hatte mit dem „Rheingold“ unter der Stabführung von Manfred Mayrhofer mit dem Orchester der Sofia Oper gestern Abend einen guten Start. Wir erblicken im Wesentlichen einen großen, beliebig variationsfähigen bühnengroßen Ring, einige kegelförmige Konusse, reduziert auf wesentliche symbolische Bedeutungen. Kartaloff setzt sie in ständiger Variation dramaturgisch ein, wobei Multimedia Design und Beleuchtung von Vera Petrova und Georgi Hristov sowie die Lichtregie Andrej Hajdinjak eine ganz entscheidende Rolle spielen. Es gelingt dem Regieteam, mit den Bühnenbildelementen und fantastischen Figurinen von Nikolay Panayotov und dem facettenreichen Multimedia-Design, den Mythos des „Ring“ mit einer nahe an Wagners Regieanweisungen operierenden Dramaturgie und ausgefeilten Personenregie mit großem Unterhaltungswert zu verbinden. Farbintensive und eindringliche Bilder sind da zu sehen, insbesondere die Regenbogenbrücke über die sieben hochstehenden Konusse auf dem Ring. Sie sehen wie Zinnen einer Burg, also Walhalls, aus.

Unterhaltsam sind wie immer in dieser Produktion die drei Rheintöchter, die auf Trampolin unermüdlich mit ihren Sprüngen und Saltos (von drei Akrobatinnen gedoubelt) eine Art Herumtollen im Rheinwasser suggerieren. Milena Gurova als Woglinde, Silvia Teneva als Wellgunde und Elena Marinova als Flosshilde singen dazu klang- und Ausdrucksvoll mit bestem Deutsch. Bühnenbeherrschend sind Nikolay Petrov als Wotan und Daniel Ostretsov als Loge. Und wenn diese beiden Figuren gut sind, kann ein „Rheingold“ eigentlich nicht mehr schiefgehen – wie eben an diesem Abend. Petrov singt mit seinem gut geführten und kraftvollen Bassbariton einen beeindruckenden Wotan. Ostretsov gibt einen sehr musikalischen und geschickt die Strippen ziehenden Loge. Biser Georgiev ist seit seinen letztjährigen Auftritten als Alberich noch besser geworden, sowohl stimmlich, wie auch darstellerisch – er liefert eine beeindruckende Rollenstudie des Nibelungenfürsten ab.

Stefan Vladimirov ist ein wohlklingender Fasolt mit profundem Bass. Petar Buchkov steht ihm mit mehr Prägnanz in der Stimme kaum nach. Rumyana Petrova spielt als Fricka stark, bleibt aber stimmlich etwas spröde. Silvana Pruchcheva ist eine intensive Freier mit gut ansprechendem Sopran und großer Höhensicherheit. Svetozar Rangelov ist ein starker Donner mit viel Aktion auf der Bühne, und Hrisimir Damvanov singt den Froh lyrisch klangschön. Plamen Papazikov ist eine guter Mime, und Blagovesta Mekki-Tsvetkova lässt einmal mehr als Erda stimmliche Qualitäten vermissen - zu unscharf und klanglos ist ihr Mezzo für diese so wichtige Partie. 

Manfred Mayrhofer hatte mit dem Orchester der Sofia Oper ebenfalls einen guten Start in diesen „Ring“, wobei kleinere Ungenauigkeiten einiger Musiker kaum ins Gewicht fielen. Großer Applaus für alle Mitwirkenden, teilweise mit signifikanten Bravi. Man kann also gespannt sein auf die heutige „Walküre“. Am 27. Mai, dem Tag der „Götterdämmerung“ wird der Verfasser dieser Kritik wie schon in Füssen wieder ein Symposium zum Thema „Wagnersches Regietheater versus traditioneller Inszenierungsstil“ moderieren. Es findet im Goethe-Institut Sofia statt.

Fotos: Svetoslav Nikolov

Klaus Billand 22.05.2016

 

 

SIEGFRIED & GÖTTERDÄMMERUNG

Kurzbericht Sofia 7. – 9. Juli 2015

Vorgestern fast um Mitternacht ging die zyklische Aufführung des „Ring des Nibelungen“ an der Oper Sofia mit stehendem Applaus des zahlreich erschienenen und zu großem Teil internationalen Publikums zu Ende, allen voran für die Dessauer Brünnhilde Jordanka Derilova und Erich Wächtermit dem Orchester der Sofia Oper und Ballett. Es hatte über die letzten fünf Jahre, in denen dieser wahrlich sehenswerte „Ring“ entstanden ist, enorme Fortschritte gemacht. Im „Siegfried“ erlebte man den stimmstarken Kostadin Andreev als jungen Siegfried, der zwar mit beachtlichem Höhepotenzial aufwartete, aber im musikalischen Duktus, in Phrasierung und deutscher Aussprache noch einige Wünsche offen ließ. Dennoch, durch seine Aktivität auf der Bühne und sehr authentische Rollendarstellung konnte er einige Sympathien wecken. Radostina Nikolaeva, die hier eine gute Isolde in vergangenen Februar sang, war die Brünnhilde im „Siegfried“. Sie gestaltete die Partie mit einer vorwiegend sängerischen Note, wenngleich sie mit der Brünnhilde in ihrer noch so jungen Karriere etwas vorsichtig sein sollte. In der „Götterdämmerung“ war die in Dessau engagierte und dort das gesamte schwere Fach singende Jordanka Derilova als Brünnhilde der Star des Abends. Mit einer hervorragenden Leistung erhielt sie zu Recht den größten Applaus. Neben ihrer ausgezeichneten Technik und einem beachtlichen Durchstehvermögen ist sie auch bildhübsch und sollte Wagners Idee von einer jungen und attraktiven Brünnhilde sehr nahe kommen. Noch weniger als zwei Wochen zuvor hatte sie in Dessau – der Rezensent war auch dort und eine Rezension folgt – noch alle drei Brünnhilden im dortigen „Ring“ gesungen und gestaltet. Ihr Partner in Sofia war der Sofioter Tristan, Martin Iliev, der trotz geringer Ermüdungserscheinungen gegen Ende der „Götterdämmerung“ einen sehr musikalischen und charismatischen Siegfried gab, mit einem schönen, baritonal unterlegten Timbre und ebenfalls exzellenten Höhen. Martin Tsonev, beeindruckender Boris Godunov hier im Vorjahr, war ein sehr guter Wanderer mit exzellentem Deutsch, guter Phrasierung und großer Musikalität. Er empfahl sich an diesem Abend für die Besetzung auch des Wotans im „Rheingold“ und in der „Walküre“, die er schon 2013 sang (detaillierte Rezension unter http://klaus-billand.com/deutsch/rezensionen/ring-des-nibelungen/sofia-der-ring-des-nibelungen-ni-22-bis-29-juni-2013.html). Auch der Hagen von Angel Hristov konnte stimmlich und mit einer den allgegenwärtigen üblen Strippenzieher verkörpernden Darstellung voll überzeugen.

 Vom 12. bis 17. September d. J. wird dieser „Ring“ nun als Gastspiel im Festspielhaus Füssen zu erleben sein, wo einst das König Ludwig II Musical gespielt wurde. Im Anblick von Neuschwanstein und Hohenschwangau wird das im übertragenen Sinne eine Rückkehr Richard Wagners an einen wichtigen Ort seines künstlerischen Lebens, in gewissem Maße auch eine Hommage…. Man darf gespannt sein.

Klaus Billand 12.7.15

 

 

TRISTAN UND ISOLDE

Premiere am 26.2. und 1. Rep. 1.3.2015

 Nach einer überaus phantasievollen und auch beim internationalen Wagner-Publikum erfolgreichen Neuinszenierung von Richard Wagners “Ring des Nibelungen“ in den vergangenen Jahren, der übrigens Mitte September diesen Jahres am Festspielhaus Füssen im Schatten der Königsschlösser Neuschwanstein und Hohenschwangau gezeigt werden wird, hat sich der Direktor der Nationaloper Sofia, Acad. Plamen Kartaloff, nun Wagners opus summum, „Tristan und Isolde“ vorgenommen. Es wurde ebenso wie beim „Ring“ die Erstaufführung dieses Werkes in Bulgarien – 150 Jahre nach der Uraufführung! Das allein zeigt schon, welch große Momente die Nationaloper Sofia unter der visionären und engagierten Führung Kartaloffs in diesen Jahren, und das nicht nur hinsichtlich des Oeuvres des Bayreuther Meisters, erlebt.

 Hatte Richard Wagner „Tristan und Isolde“ unter anderem auch aus der Überlegung heraus komponiert, mit einer vermeintlich relativ leicht zu spielenden Oper – nur wenige große Sänger sind erforderlich – seiner prekären finanziellen Situation abzuhelfen und das Werk gar nur als eine „Handlung in drei Aufzügen“ bezeichnet, machte Plamen Kartaloff mit seinem Bühnenbildner Miodrag Tabacki sowie dem Licht-Designer Andrei Hajdinjak, dem Multimedia-Designer Georgi Hristov und dem geschmacksicheren Kostümbildner Leo Kulas daraus nun ein Musikdrama im besten Sinne des von Wagner geschaffenen Begriffs des Gesamtkunstwerks. Selten, wenn überhaupt, war bei diesem dramaturgisch ja nicht immer besonders handlungsintensiven Werk ein solch intensives thematisches Ineinanderwirken von Szene – hier besonders einem sehr variablen Bühnenbild – gesanglicher Gestaltungskraft und Musik zu erleben. Kartaloff wählte diese Interpretation aus der Überzeugung heraus, dass Wagners „poetisches Meisterwerk“ in einer verständlichen, emotionalen, dynamischen und musikalisch expressiven Theatersprache zu gestalten sei. In Anlehnung an die Ausführungen Schopenhauers zur Rolle der Musik in der Oper war es dem Regisseur ein Herzensanliegen, ihren tiefen philosophischen Charakter zur Grundlage der Regiearbeit zu machen: Diese Musik sollte in der Optik und Dramaturgie auf der Bühne in sublimer und poetischer Form sichtbar werden, und zwar mit einem Duktus, der den Zuschauer auf ganz natürliche Weise nachvollziehen ließ, wie eine große romantische Liebe nach einer alten Legende wieder auflebt.

 Daran hat sich Kartaloff den ganzen Abend stringent gehalten – und dazu sogar einen theatralischen Prolog geschaffen. Noch bevor das Vorspiel zum 1. Aufzug anhebt, gewahren wir in einem nebeligen Grau vergangener Tage, wie die Könige von Irland und Kornwall dem fatalen Kampf Tristans und Morolds zusehen – mit erklärenden Übertiteln. Isolde erkennt sodann an Tristans Schwert, wer ihren Verlobten getötet hat und erhebt es gegen ihn – der ihr genau in diesem Augenblick in die Augen sieht… Die Szene endet mit der durch Irlands König abgesegneten Überfahrt Isoldes mit Tristan nach Kornwall. Wenn auch der Kampf etwas weniger plastisch hätte ausfallen können, so war das doch eine ebenso ungewöhnliche wie beeindruckende Idee, in die Szene des 1. Aufzugs einzuführen, zumal der größte Teil des bulgarischen Publikums das Werk zum ersten Mal erlebt haben dürfte.

 Die Inszenierung lebt sodann in großem Einklang mit der Musik von stimmungsbezogenen Farbspielen, die manchmal an jene Heiner Müllers bei seinem Bayreuther „Tristan“ erinnern. Der Bühnenboden ist in mehrere Segmente unterteilt, die fast unmerklich gegeneinander verschoben werden und damit ständigen Wandel in der Optik bieten, immer in Einklang mit der jeweiligen Handlung. So kommt der Seemannschor schemenhaft aus einem Spalt aus dem Untergrund wie eine Warnung der Realität gegenüber der beginnenden Annäherung Tristans und Isoldes. Wenn diese allerdings den Liebestrank getrunken haben, bildet sich im Zentrum ein rotierendes Podest, auf das sie sich unmittelbar begeben – es stellt fortan „ihre“ Welt, gewissermaßen ihre Insel in dieser für sie so feindlichen Umgebung dar, in der während des 2. Aufzugs immer wieder Melot spionierend herum streicht. Während bei Heiner Müller die tristen Brustpanzer die ganze Konvention und Enge am Hofe König Markes ausstrahlten, lässt Kartaloff den König am Ende des 1. Aufzugs in überbordendem Ornat völlig versteift wie eine museale Figur auf die Bühne fahren. Auch Isolde ist zu Beginn des 2. Aufzugs in ein überdimensionales Stanniol-Korsett gezwängt, das sich über die ganze Vorderbühne ausbreitet – es wirkt wie ein riesiger Keuschheitsgürtel. Dazu halten neun junge Damen des Balletts Wache, die sich später auch an Tristans Krankenlager finden. Ein surrealistisch anmutender Wachtturm, ebenfalls die feindliche Umgebung der beiden Liebenden charakterisierend, dient später als Beobachtungsposten für König, Melot und Gefolge. Marke verabschiedet sich vor dem Gang zur Jagd überaus formell von seiner neuen Ikone, die offenbar jedem unerlaubten Zugriff entzogen sein soll. Das ändert sich schlagartig, nachdem die an der Wand abgebildete mondäne Leuchte erloschen ist und sich Isolde bei Tristans Auftritt aus dem Kostüm zwängt. Unmittelbar tritt zunächst wieder herzliche Menschlichkeit in der Begrüßungsszene ein. Was man in Sofia als Liebesduett nun zu sehen bekommt, könnte man als eine äußerst phantasievolle romantisierende Apotheose der Liebe bezeichnen, und es ist zweifellos der Höhepunkt des Abends. Kartaloff lässt die beiden auf zwei Hebebühnen zu schillernder romantischer Optik in die Höhe schweben. Beim Höhepunkt des Duetts scheinen sie wirklich dieser Welt entzogen, und das Konzept des Regisseurs, die ganze Poesie und Philosophie in Wagners Musik zu zeigen, geht hier voll auf.

 Im 3. Aufzug erscheint Tristan als Leidender im weißen Büßerkleid, sorgsam von Kurwenal betreut. Einen besonderen Akzent setzt hier der Hirte, den der Regisseur als den nahenden Tod in seinem kleinen Nachen darstellt, der immer wieder aus dem Bühnennebel an Tristans Krankenlager auftaucht. Auch das gesamte Englischhorn-Solo ist von diesem guten Einfall begleitet, der die Tristesse der Situation bildhaft untermauert. Die Szenen erinnern an Böcklins „Toteninsel“. Der finale Kampf gerät mit sechs Kampf-Statisten wieder etwas plastisch, aber all das hindert Tristan und Isolde nach deren Liebestod nicht, in inniger Umarmung auf ihrem kleinen Podest, ihrer Insel des Glücks, in die Welt der unbesiegbaren virtuellen Liebe zu entschweben…

 Wieder konnte man in Sofia einen Abend erleben, an dem alle Sängerdarsteller ihr jeweiliges Rollendebut gaben. Das ist als Hintergrund vor den gezeigten Leistungen zu betonen, obwohl diese in vielen Fällen ganz ausgezeichnet waren. Der bewährte Richard Trimborn hatte wieder die musikalisch-sprachliche Einführung in die Rollen vorgenommen. Martin Iliev, der Siegmund und „Götterdämmerung“-Siegfried des Sofioter „Ring“, sang einen – ganz zur Dramaturgie passend – leicht depressiven Tristan mit großer vokaler Präsenz, Musikalität und guter Diktion, sicher in der Höhe, im Halten auch der langen Bögen und mit einem schönen, leicht abgedeckten Timbre in der Mittellage. Er ist auch zu ansprechendem Legato fähig („Isolde, wie schön bist du!“). Radostina Nikolaeva gab ihre erste Isolde mit einer lyrischen und eher an den italienischen Gesangsstil erinnernden Note mit voller, leuchtender Mittellage und auch großer Leichtigkeit in den Höhen. Die beiden hohen Cs im 1. Aufzug waren ebenso wie die tückischen Höhen in der Begrüßungsszene des 2. Aufzugs perfekt. Wie Iliev ist auch sie ein ganz großes Talent für diese so bedeutende Rolle. Die Sofioter „Walküre“- Brünnhilde, Bayasgalan Dashnyam, sang die Brangäne, sicher etwas überraschend für die Besetzung dieser Mezzorolle, die eigentlich gegen die Isolde dunkel abgesetzt sein sollte. So fühlte sie sich besonders wohl im 1. Aufzug, sang auch die beiden Rufe sehr klangvoll. Im Zwiegespräch mit Isolde im 2. Aufzug offenbarten sich jedoch in den tieferen Lagen gewisse klangliche Defizite. Dashnyam spielte ebenso wie Nikolaeva ihre Rolle mit großem Engagement und viel Emphase. Angel Hristov sang den König mit voluminösem Bass, der aber in den dramatischeren Momenten etwas an Klangfülle einbüßte und es an Phrasierung missen ließ. Veselin Mihaylov spielte einen umtriebigen Melot, dem Tristan das Schwert zur Selbstverletzung entriss. Plamen Papazikov sang die Stimme des jungen Seemanns etwas dunkel, aber mit viril unterlegtem Tenor. Krasimir Dinev gab den skurrilen Hirten als Tod mit leichter Stimme, und Nikolay Petrov komplettierte als Steuermann. Der von Violeta Dimitrova einstudierte Chor sang stimmkräftig, aber teilweise etwas zu rau. Bei Biser Georgiev, dem beherzten und engagierten Kurwenal, machte sich im Laufe des Abends eine starke Indisposition bemerkbar – auch in Sofia ging die Grippewelle um.

 Für den musikalischen Leiter Constantin Trinks war dieser „Tristan“ ebenfalls ein Debut, das letzte Werk Wagners, welches ihm noch fehlte. Davon merkte man aber gar nichts. Mit sehr ruhiger, ja bedachtsamer Hand und unglaublich viel Gefühl für die Sänger ließ er die wunderbare Musik Wagners in vornehmlich zarten und lyrischen Tönen erklingen. Sehr getragen begann bereits das Vorspiel zum 1. Aufzug. Trinks kam es offenbar auf die psychologische Detailzeichnung an, damit dem Konzept Kartaloffs entgegen kommend, obwohl er dann auch gute und stets transparent und sorgsam gestaltete Staffelungen für die diversen Steigerungen und Höhepunkte dirigierte. Trinks und das Orchester der Oper Sofia bekamen für die gute musikalische Leistung auch einen starken Auftrittsapplaus vor dem 3. Aufzug. Auch am Schluss zeigte sich die Begeisterung des Publikums durch lang anhaltenden starken Applaus für alle Beteiligten. Mit diesem neuen „Tristan“ hat die Oper Sofia nach dem „Ring“ einen weiteren Eckstein zu einer bemerkenswerten Belebung des Ouevres von Richard Wagners in Bulgarien gesetzt.

 

1. Reprise am 1.3.2015

Mittlerweile hatte die Grippe auch Constantin Trinks heimgesucht, sodass er sich nach dem ersten Aufzug durch den ohnehin für eine spätere Reprise vorgesehenen Dirigenten Velizar Genchev, der das Stück auch mit dem Orchester einstudiert hatte, ersetzen lassen musste. Auch für Genchev, schon weit in den Sechzigern, war es eine Werks-Premiere! Er legte weit mehr als Trinks wert auf Expressivität und Dynamik, gegen Ende des 3. Aufzugs geriet allerdings manches zu laut. Es gab drei wichtige Zweitbesetzungen. Die Sieglinde des Sofioter „Ring“, Tsvetana Bandalovska, übernahm die Isolde und fiel gegenüber der Premierenbesetzung signifikant ab. Die Stimme, trotz guter Höhensicherheit, hat noch nicht ausreichend Volumen und Mittellage für die große Rolle, was auch zu einer unzureichenden Phrasierung und Wortdeutlichkeit führte. Mit etwas mehr Zeit und Erfahrung mag Bandalovska jedoch in die Rolle der Isolde hineinwachsen. Der junge Atanas Mladenov ersetzte des erkrankten Biser Georgiev als Kurwenal und überzeugte mit seinem hellen, sehr musikalischen und klar artikulierenden Bariton sowie großer Spielfreude. Petar Buchkov war nun als Marke zu hören, sang ähnlich wie Hristov mit einem voluminösen Bass, der aber mit etwas mehr Phrasierungskunst ausdrucksvoller hätte klingen können. Daniel Ostretsov sang nun den Melot mit seinem ins Charakterfach weisenden Tenor, den er schon als Loge im Sofioter „Rheingold“ vorstellte. Beeindruckend war wieder, wie Martin Iliev den Tristan nicht nur vokal, sondern auch konditionell nach nur zwei Tagen Ruhe wieder meisterte. Der Heldentenor Peter Svensson sang diese Rolle dann noch in der vorletzten Reprise.

Klaus Billand 15.3.15

Foto: Svetoslav Nikolov

 

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