DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Léo Delibes: LAKMÉ

Einmalige konzertante Aufführung in der Philharmonie am 27.9.2022

Mit jeder Menge Fettnäpfchen, Stolpersteinen und Fallstricken gepflastert sein dürfte und ist in Zeiten von Cancel Culture der Weg zu einer szenischen Realisierung von Opern wie Delibes‘ Lakmé, wie Madama Butterfly, Thais, Turandot oder Die Afrikanerin mit dem Aufeinandertreffen von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und Kulturen und der bedingungslosen Unterwerfung eines weiblichen Wesens unter die Forderungen eines männlichen. Deshalb ist es allemal besser, ein Werk konzertant aufzuführen als gar nicht oder es bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen. Lange Zeit waren gerade diese Opern besonders beliebt, entsprachen in den Zeiten des Kolonialismus, der Weltausstellungen und Überseehäfen dem Verlangen auch nach kultureller Aneignung des Fremden eine bedeutende Rolle. Inwiefern man dabei von völlig falschen Vorstellungen ausging, ist eine andere Frage. Und auch die Adaption von Klängen aus der fremden Welt war eine recht bescheidene, noch bescheidener in der Fassung der Deutschen Oper, die ohne das in Paris unverzichtbare Ballett auskommt.

Thais und Lakmé verschwanden dann aus dem Repertoire zumindest der deutschen Bühnen weitgehend, in Wunschkonzerten und in der Werbung sowie im Film überlebten immerhin die Glöckchenarie aus Lakmé und das Duett Lakmés mit ihrer Gefährtin Mallika. Weder La Stupenda noch Nathalie Dessay wollten auf die Bravourarie, die Delibes für die Primadonna Marie van Zandt, gefeierte Manon, Mignon und Dinorah, komponiert hatte und die in der Ossia-Fassung ein dreifaches hohes E aufweist, verzichten. Im Moment scheint es auf eine Art Mini-Renaissance des Werkes, das konzertant auch in Lüttich, szenisch in Paris an den Champs-Élysées und 2023 in Zürich gegeben wird, hinauszulaufen.

 

Kein Regisseur und auch keine Regisseurin ist im Programmheft verzeichnet, und doch wurde an diesem Abend in der Philharmonie durchaus „gespielt“, nahmen die Personen Bezug aufeinander, bewegten sich, wenn auch auf engem Raum vor dem Orchester, und am Schluss ließ sich die sterbende Lakmé sogar von ihrem Gérald in die Arme nehmen und auf einen bereitstehenden Stuhl betten. Die Hauptaufmerksamkeit aber galt natürlich den sängerischen Leistungen, und da hatte das Besetzungsbüro gute Arbeit geleistet und ein Ensemble zwar nicht mit bekannten Stars, aber mit vorzüglichen und dazu noch auch optisch ihren Rollen entsprechenden jungen Kräften zusammengestellt. Phänomenal war die Lakmé der tatarischen Sängerin Aigul Khismatullina, die souverän alle Tücken der Glöckchenarie meisterte, deren Extremhöhe nie angestrengt oder scharf klang und die sich auch nicht durch den vorzeitigen Applaus mitten in ihre Arie hinein irritieren ließ. Facetten- und nuancenreich gestaltete der Sopran die schwierige Partie, die sie nie als farblose Produzentin von Koloraturen erscheinen ließ, sondern der sie viel bezaubernde Persönlichkeit verlieh. Das Duett mit der Gefährtin Mallika litt ein wenig darunter, dass die Stimme des Soprans relativ und angenehm dunkel timbriert ist, während der Mezzo von Mireille Lebel ein recht heller ist, so dass man sich den Kontrast zwischen beiden Stimmen bedeutender gewünscht hätte.

 

 

Einen angenehmen lyrischen Tenor setzte der Kanadier Josh Lovell für den Gérald ein, ließ im 3. Akt fein ätherische Klänge, durchweg Idiomatisches und ein farbiges Piano hören. Seinen Freund Frédéric, eine Art besorgt warnender Sharpless, beide Stoffe stammen von Loti, sang Dean Murphy mit warmem, fein konturiertem Bariton. Aus dem Ensemble hatte Thomas Lehman sich aus Bariton- in Bassgefilde begeben und verlieh dem hasserfüllten Nilakantha imponierende Töne. Sehr berührend gestaltete Thomas Cilluffo die Arie des treuen Hadji, einen frischen Sopran hatte Hye-Young Moon für die Ellen, auch Arianna Manganello als Rose und Sylvie Brunet-Grupposo als Mistress Benson erfüllten ihre Partien mit Wohlklang. So präzise wie klanggewaltig konnte der Chor (Jeremy Bines) besonders zu Beginn des 2. Akts überzeugen, Daniela Candillari bewies am Dirigentenpult, dass Lakmé überhaupt nicht kitschig erscheinen muss, sondern einfach nur schön klingen kann. 

Noch wird im Orchestergraben in der Bismarckstraße renoviert, und deshalb gibt es am 20. und 22. Oktober im Haus der Berliner Festspiele Semiramide, sogar mit einer „Szenischen Einrichtung“. Man kann gespannt sein, von welchen Sängerleistungen man dann überrascht wird.

 

 

Übrigens wurde die Aufführung von Lakmé leicht zeitversetzt von RBB Kultur übertragen und ist noch 30 Tage lang abrufbar.   

 

28.8.2022 / Ingrid Wanja

 

Fotos Marcus Lieberenz

 


 

EINE FLORENTINISCHE TRAGÖDIE u. a.

Saisonbeginn an der Deutschen Oper Berlin im Konzerthaus am Gendarmenmarkt

Große Verdienste um die Rehabilitierung der jüdischen Komponisten aus dem deutschen Sprachraum, die sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Opernbühnen erobert hatten, die mit der Herrschaft der Nazis von ihnen verbannt worden und ins Exil getrieben worden waren und die sich zunächst nach dem Krieg ihre alten Positionen nicht wieder einnehmen konnten, hat sich die Deutsche Oper Berlin, so mit nicht nur einer Produktion von Korngolds Die tote Stadt, mit der Inszenierung des Wunders der Heliane, erst unlängst von Schrekers Der Schatzgräber und davor von Zemlinskys Der Zwerg. Auch wenn wieder einmal wegen Corona oder wie jetzt wegen Renovierungen im Haus der große Saal bis Ende Oktober nicht bespielt werden kann, will man auf diese lobenswerte Gewohnheit nicht verzichten und hat sich Ersatzspielräume wie das Parkdeck in der Bismarckstraße, die Philharmonie, die Tischlerei, das Haus der Berliner Festspiele oder das Tempodrom gesichert für allerlei nicht unbedingt opernhafte Unternehmungen, aber durchaus auch solche wie Delibes‘ Lakmé in der Philharmonie oder im Konzerthaus mit Werken gleich zweier der genannten Komponisten, nämlich Zemlinskys Eine florentinische Tragödie und Korngolds Suite zu Shakespeares Komödie Viel Lärm um nichts, dazu Alban Bergs Sieben frühe Lieder.

 

Vor die Aufführung von Der Zwerg hatte Regisseur Tobias Kratzer in der Deutschen Oper ein Spiel um die verzweifelte Liebe Zemlinskis zu Alma Mahler gesetzt, das noch besser zur Florentischen Tragödie gepasst hätte, in der der Komponist das Verhalten Almas gegenüber dem Gatten gesehen haben wollte. Wie Strauss‘ Salome basiert die Oper auf einem Stück von Oscar Wilde, der offenbar verliebten Frauen eine ganz besondere Grausamkeit zutraute wie eine absonderliche, mit der Vernichtung des begehrten Objekts einhergehende Sexualität, wenn Bianca ihre Liebe zum Gatten just in dem Moment entdeckt, in dem er sich durch besondere Brutalität hervorgetan hat. Wahrlich kein schönes Frauenbild! „Man töte dieses Weib“ wäre auch hier angebracht.

 

Im Konzert am Gendarmenmarkt sorgte zunächst Korngolds Suite für ausgesprochen gute Laune durch einen rasanten Beginn, durch schwelgerische Melodik und das Unterstreichen dessen, was Dirigent Marc Albrecht das „Poppige“ genannt hatte. Geschickt wurden alle Möglichkeiten der reichen, entfernt bereits an Filmmusik erinnernden Partitur ausgereizt, ein schönes kurzes Cellosolo erfreute ebenso die Ohren wie der Einsatz der Tutti einschließlich Harmoniums, gekrönt noch von einem höchst effektvollen Schluss.

 

Es ging weiter mit Alban Bergs Sieben frühen Liedern in der Fassung für mittlere Stimme, wofür man den ungarischen Mezzosopran Dorotthya Láng gewonnen hatte. Die sich auf eine Erda hin entwickelnde, bis in die Höhen hinauf dunkel gefärbte Stimme schwebte siegreich über dem Orchester und passte zugleich sehr gut zu den teilweise schwülen, geheimnisvollen Texten. Leider war die Diktion recht verwaschen, so dass der volle Genuss für den Hörer nur gegeben war, wenn er die Gedichte gut kannte. Die bereitgestellten Texthefte hatten längst nicht für alle im Publikum gereicht. Auf jeden Fall aber lohnte sich die Bekanntschaft mit dieser für Berlin neuen, farbigen und geschmeidigen Stimme.

 

Eigentlich sollten sich die Mitwirkenden auch vor einer konzertanten Aufführung Gedanken über ihre Optik machen und sich um eine gewisse Einheitlichkeit bemühen. So aber traten für Zemlinskys Eine florentinische Tragödie der Tenor im Frack, der Bariton im über die Hose fallenden Schlabberhemd und der Dirigent im dunklen Anzug auf. Der Orchesterapparat für den Einakter ist ein enormer, und so hat zwar Zemlinsky reichlich Anweisungen wie „devot und freundlich“ oder „harmlos geschwätzig“ an die Sänger gegeben, macht es diesen aber durch den fast durchweg in immenser Lautstärke sich äußernden Orchesterapparat fast unmöglich, diese zu befolgen. So kam es zwangsläufig zu einem immerhin machtvollen und ungefährdeten Dauerforte auch für die Sänger, den gehörnten Kaufmann Simone, vertreten durch den Heldenbariton Wolfgang Koch, und für den Tenor AJ Glueckert, der als Prinz Guido ebenfalls eher durch Ausstellung seiner vokalen Kraft als durch die ihm von Simone zugesprochene „süße Melodie“ imponierte. Jennifer Holloway war eine hübsche Bianca mit strahlendem Sopran. Ein tief im Orchestergraben versenktes Orchester wäre wahrscheinlich Sängern und Publikum dienlich gewesen.

 

6.9.2022 / Ingrid Wanja

Leider keiner Bilder

 


 

Die Deutsche Oper Berlin geht raus

Zemlinsky zum Zweiten

Im Haus an der Bismarckstraße wird bis Ende Oktober der Orchestergraben renoviert und erweitert, weshalb der Spielbetrieb bis dahin an anderen Orten stattfindet. Auftakt dieser Serie auswärts war am 5. 9. 2022 ein Abend im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, mit dem die Deutsche Oper einen fulminanten Saisonstart hinlegte. Zemlinskys Eine florentinische Tragödie kombinierte Dirigent Marc Albrecht mit zeitgenössischen Kompositionen von Korngold und Berg, die im ersten Teil des Konzertes erklangen.

 

Korngold bekam 1918 von der Wiener Volksbühne den Auftrag für eine Schauspielmusik zu Shakespeares „Viel Lärm um Nichts“, doch realisierte erst das Burgtheater eine Aufführung des Werkes in Schönbrunn. 1920 stellte der Komponist fünf Nummern zu einer Suite zusammen, die Albrecht an den Anfang des Programms stellte.

 

Die Ouvertüre bietet einen tänzerisch-munteren Auftakt, dem ein lebhaftes Thema folgt. „Mädchen im Brautgemach“ ist ein langsamer, melodienseliger Satz, „Holzapfel und Schlehwein“ ein gewichtig stampfender Marsch. Nach einem träumerischen Intermezzo endet die Suite mit einer „Hornpipe“ von ausgelassenem Tumult. Marc Albrecht konnte schon hier seine große Affinität zur Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts ausstellen und die unterschiedlichen Stimmungen der einzelnen Sätze faszinierend einfangen.

 

Die Sieben frühe Lieder komponierte Berg zwischen 1904 und 1908, machte sich aber erst 1928 an deren Orchestrierung. Ungewöhnlich ist die Interpretation durch einen Mezzosopran, wie man sie im Konzert erlebte. Doch die Bekanntschaft mit der ungarischen Sängerin Dorottya Láng war ein Glücksfall. Die voluminöse, das Orchester mühelos dominierende Stimme mit reizvoll androgyner Tiefe betörte mit einer Fülle von Farben und Ausdrucksnuancen – traumverloren, trunken, rauschhaft, ekstatisch. Auch die exponierten Töne waren stets gerundet im Klang, schwebend und leuchtend. Albrecht ließ das Orchester der Deutschen Oper Berlin in vielen Facetten schillern und rauschen, doch war die Mezzosopranistin allen Klangballungen souverän gewachsen.

 

Zemlinskys Oper nach Oscar Wildes A Florentine Tragedy wurde 1917 in Stuttgart uraufgeführt. Das Hauptwerk des Konzertes war gleichfalls kompetent besetzt, erfordert es doch vor allem für die Partie des Kaufmanns Simone, der seine Frau Bianca nach Rückkehr von einer Reise mit einem Liebhaber überrascht, eine heldische Stimme von immensem Anspruch. Da gilt es, den gigantischen Klangblöcken des Orchesters standzuhalten und die Partie konditionell zu bewältigen. Mit Wolfgang Koch war ein Sänger aufgeboten, der mit gewaltigem Potential dem hohen Anspruch jederzeit gewachsen war. Der energische, körnige Bariton mit brutal-gefährlicher Tongebung entsprach der Figur perfekt. Sein despotisches Auftreten gegenüber Bianca war Furcht einflößend. AJ Glueckert als Liebhaber Guido wartete mit heroischem Tenor und makelloser Diktion auf. Die wenigen Einwürfe Biancas absolvierte Jennifer Holloway mit hellem Sopran, konnte am Schluss nach Guidos Ermordung durch ihren Mann gemeinsam mit ihm in der aufrauschenden Kantilene ihre Salome-Erfahrungen einbringen. Nach dem schrill dissonanten Auftakt der Ouvertüre setzte Albrecht den Wechsel der stürmischen und schwelgerischen Passagen effektvoll ein. Auch den Kontrast zwischen den riesigen Klangmassen und den flirrend-filigranen Gespinsten arbeitete er prägnant heraus und setzte mit der aufgepeitschten Spannung des beklemmend ausmusizierten Duells den Höhepunkt. Starker, lang anhaltender Beifall.

 

Bernd Hoppe, 9.9.22

Leider keine Bilder

 


DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG

Premiere am 12.6.2022

Ehrt eure deutschen Meister nicht, verhunzt mir ihre Kunst

Der gewissenhafte Rezensent wartet nicht auf den Premierenabend, um sich ein Bild von einer Neuinszenierung zu machen, er versucht bereits im Vorfeld aus Interviews, Vorabankündigungen und sonstigem Material etwas über die Intentionen eines Regieteams zu erfahren und ist dann am Premierenabend oft bass erstaunt und manchmal auch erfreut darüber, wie wenig von den hochgestochenen Plänen noch am Premierenabend wahrnehmbar ist. Ohne die Lektüre des Programmhefts weiß der arglose  Opernbesucher meistens gar nicht, was alles Schreckliche man sich eigentlich vorgenommen hatte.

Vorab äußerte sich auch der Regisseur der neuen Meistersinger an der DOB, Jossi Wieler :„Hierarchie, Macht, Missbrauch. Das ist, was uns interessiert.“ Und „die Me- Too-Skandale“  bleiben natürlich nicht unerwähnt. Na klar, in der Schusterstube wird dergleichen ganz deutlich in Evchens Worten: „….was wär ich ohne dich….erwecktest du mich nicht?“

Von der „unsäglichen Schlussapotheose durch die Figur des Hans Sachs“ ist die Rede, und deren Aussage kann man natürlich nur gutheißen, wenn man weiß, dass durch die Wahl des jeweiligen deutschen Königs auch durch drei Erzbischöfe der Einfluss des Papstes diesseits der Alpen ein nicht zu unterschätzender und oft missbrauchter war, dass ausländische Fürsten versuchten, durch Bestechung der Kurfürsten die Macht in Deutschland zu erhalten, dass der deutsche König als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs mehr mit „welschen“ als deutschen Angelegenheiten befasst war, dass die deutsche Sprache der Verachtung preisgegeben war- und im Unterschied zu Hans Sachs müsste das Regieteam Kenntnis davon haben, dass im auf ihn folgenden Jahrhundert sich ausländische Heere 30 Jahre lang auf mitteleuropäischem Boden austobten. Eigentlich dürfte dem Regieteam auch nicht entgangen sein, dass die Premiere der Meistersinger stattfand, ehe die Reichseinheit erreicht war. Wenn von der „antisemitischen Figur des Beckmesser“ die Rede ist, dann unterstellt man, dass dessen unangenehme Eigenschaften typisch jüdische seien.

Ein ganz schlimmer Vorwurf ist natürlich, „wie wenig seine (Sachs‘) Manipulationen den Träumen der jungen Leute heute gerecht werden“ – Schande über Hans Sachs und Schande über Richard Wagner, die keine Rücksicht darauf nahmen, die Träume junger Leute von heute nicht 500 bzw. 150 Jahre zuvor bereits vorausahnten und berücksichtigten. Durchaus zumuten allerdings dürfte man den jungen Leuten von heute, sich in die Menschen vergangener Jahrhunderte hineinzuversetzen und sich zu bemühen, sie zu verstehen. Das kann ganz ungemein bereichern! So aber wird einmal mehr und längst mit Überdruss zur Kenntnis genommen, dass wieder einmal  alles ins geschichtslose Jetzt und charakterlose Hier, in diesem Fall in eine heutige Musikakademie, versetzt wird. Aus Figuren, die in ihrer Zeit und ihrem Ambiente unseren Respekt, oft auch unsere Liebe verdienen, werden zu Deppen oder Finsterlingen.

Oft kommt es nicht so schlimm, wie es Vorabäußerungen befürchten ließen, und diese Hoffnung nährte auch die Rezensentin, bis ihr, sicherlich als eine freundliche Geste und Zeichen der Fürsorglichkeit gedacht, die Pressestelle vorab das Programm zu den Meistersingern zuschickte. Darin befindet sich auch eine „Inhaltsangabe“ von Jossi Wieler, in der zu lesen ist: „In Dr. Pogner’s (falsch gesetzter Apostroph) Privat-Konservatorium. Pogner möchte das von ihm gegründete und geleitete Institut der öffentlichen Hand übergeben…..Sein Nachfolger muss in die Ehe mit seiner Tochter Eva einwilligen, über die er die Geschicke des Instituts auch nach seinem Rückzug mitzugestalten gedenkt. Dass Eva ein heimliches Verhältnis mit dem an seinem Institut angestellten Musik-Dozenten und Therapeuten Hans Sachs pflegt, weiß er nicht.“ Der Schluss der „Inhaltsangabe“ lautet: „Walthers Vortrag entzückt alle Anwesenden, doch die Pogner-Nachfolge schlägt Walther aus.“ Da wurde flugs aus einer schlüssigen, interessanten, historisch und geographisch solide verankerten Geschichte eine trübe Vorlage für eine RTL-ZWEI-Reality-Show.

Der Einheitsschauplatz für Kirche, Johannisnacht, Schusterstube und Festwiese ist ein nüchterner Mehrzweckunterrichtsraum im Stil der Dreißiger, in dem man auch noch den Flügel aus dem Ring unterbringen konnte, die Kostüme könnten aus dem Fundus sein, voriges Jahrhundert, bunt und in keiner Weise unverwechselbar.  Für beides werden nur Ko-Bühnenbildner bzw. Ko-Kostümbildnerin angeführt. Dafür gibt es neben Jossi Wieler mit Anna Viebrock und Sergio Morabito noch zwei weitere für die Inszenierung Verantwortliche.

Während im ersten Akt Musikstudenten von ihren Professoren schikaniert werden, die Freiung Stolzings hingegen ihren beinahe schon gewohnten Gang nimmt, wechselt man im zweiten Akt zwischen Vögeln und Prügeln, im Hintergrund die entfesselten Studenten, im Vordergrund Sachs und Eva, die ein rechtes Flittchen zu sein scheint, und da Sachs schließlich Schuster ist, wird ein Sack voller Badelatschen über die Bühne gekippt. Am Schluss liegt Sachs temporär bewusstlos am Boden, wo Stolzing bis zum Sinken des Vorhangs verharrt. Es gab dann noch einen dritten Akt, den die Rezensentin sich nicht zumuten wollte, denn wie sollte es für die Festwiese noch Steigerungen geben, was war vom Schlussmonolog Sachs#, den die Inhaltsangabe für nicht erwähnenswert hielt, noch zu erwarten, war doch die Antipathie der Regie gegenüber dieser eigentlichen Lichtgestalt der Opernliteratur aus jeder Zeile des vorab Geäußerten unüberhörbar ?   Wenn es wenigstens neben versagter Augen- eine tröstliche Ohrenweide gegeben hätte. Generalmusikdirektor Donald Runnicles hatte wegen einer kranken Schulter die Produktion absagen müssen. Oder war es sein Rückgrat gewesen, das ihn lieber Verzicht üben und nicht Protest laut werden ließ? Das ist freilich reine Spekulation, mag sich der Gedanke noch so sehr aufdrängen. Nun drang aus dem Orchestergraben, in dem Markus Stenz wirkte, ein fast Dauerforte ohne Rücksicht auf Detailverluste, auf das Aufblühen feiner Stimmungen, und wenn es so richtig   turbulent werden sollte, war kaum noch eine Steigerung möglich. Augen zu und durch war also auch nicht zu empfehlen. Dabei hätten die Sänger es fast durchweg verdient, durch die Regie und die Begleitung mehr Unterstützung zu erfahren. Mit ausgesprochen schönen Stimmen konnten die beiden Damen prunken, Heidi Stober mit einem strahlenden, warm und rund wirkenden Sopran als Eva, Annika Schlicht mit einem dunkel glühenden Mezzosopran aus einem Guss für die Lene. Einen hochkultivierten Bariton schöner Farbe setzte Philipp Jekal für den Beckmesser ein und konnte gegenüber einem von der Regie nicht geliebten Sachs sogar Sympathiepunkte sammeln. Johan Reuter musste mit greller Kleidung und Barfüßigkeit  zeigen, dass er nur in Äußerlichkeiten aus der Menge der Meister hervorstach. Sein Fliedermonolog, obwohl schön gesungen, ging fast unter und bekam noch nachträglich jede Poesie abgesprochen, wenn sich David und Beckmesser eines Fliederstraußes als Prügel bedienten. Etwas hohl klang der Bass von Albert Pesendorfer, der einen eitlen Gecken als Pogner geben musste, höchst sonor die Stimme von Thomas Lehman als Kothner. Hoch musikalisch verhielt sich Ya-Chung Huang als vorbildlich textverständlicher David mit genau der richtigen frischen Tenorstimme für sein Fach. Der Tenor von Klaus Florian Vogt hat in den letzten Jahren viel an Metall gewonnen, hat aber nichts an Schmelz verloren, und auch optisch war er ein sehr attraktiver Stolzing , erfreute sich offensichtlich auch der Sympathie des Regieteams und blieb ungeschoren von den Schöngesang gefährdenden Einfällen. Kein Wunder, dass Evchen für ihn Sachs sausen ließ. Sein Preislied hätte man gern gehört.

Was tut man mit einem angebrochenen Abend? In diesem Fall konnte man die DVD mit der Götz-Friedrich-Inszenierung von der DO aus dem Schrank holen und eine zu Herzen gehende Schusterstube und eine glanzvolle Festwiese genießen, ja, auch ein „Verachtet mir die Meister nicht “ ohne Wenn und Aber und ohne falsche Verdächtigungen.  

 

Ingrid Wanja / 12.6.2022

 

Fotos Thomas Aurin

 


DER SCHATZGRÄBER

Zweite Vorstellung am 6. Mai 2022 (Premiere am 1. Mai 2022)

Kalt lassende Perfektion

Das Allerschlimmste, Deportation und Ermordung durch die Nationalsozialisten blieb ihm erspart. Die Verfolgung durch die Nazis hatte der jüdische Komponist aus Österreich Franz Schreker durchaus erfahren müssen, hatte seine letzte Oper Christopherus, die 1932 in Freiburg uraufgeführt werden sollte, zurückziehen müssen. Posthum wurde er in die Künstlerschar aufgenommen, der „entarte Kunst“ zum Vorwurf gemacht wurde, seine Werke, die in der ersten Hälfte der Zwanziger häufiger aufgeführt wurden als die von Richard Strauss, verschwanden von den Spielplänen.

Heute ruht er in einem Ehrengrab auf dem Dahlemer Waldfriedhof, und inzwischen haben alle drei Berliner Opernhäuser ihm ihre Reverenz erwiesen. Bereits zu DDR-Zeiten führte die Staatsoper Der Schmied von Gent auf, nach der Wende Der ferne Klang in der Regie von Peter Mussbach. Die Komische Oper folgte mit Die Gezeichneten in der Regie von Calixto Bieito, und am 1.5. dieses Jahres gab es die Premiere von Der Schatzgräber an der Deutschen Oper in der Regie von Christof Loy. Mitte der 70er Jahre hatte der Versuch einer Renaissance mit und nach einem Kongress in Graz begonnen. Besondere Verdienste erwarb sich Kirsten Harms in ihrer Bielefelder Zeit mit der Inszenierung von Flammen, Christopherus und Das Spielwerk und die Prinzessin. Aber eine Schreker-Schwemme wie in den Zwanzigern, als Der Schatzgräber an über 50 Theatern aufgeführt wurde, sollte es nicht mehr geben. Damals hatte der Komponist, der abgesehen bei Flammen auch sein eigener Librettist war, den Nerv der Zeit getroffen mit seinen zumindest erotisch emanzipierten Frauen, beeinflusst von Freud und Hirschfeld und dem Taumel von Lebensgier und Verzweiflung nach einem verlorenen Weltkrieg. Komponiert wurde das Werk in den letzten Jahren des Kriegs, uraufgeführt in Frankfurt 1920. Jahrzehnte nach den ersten veristischen Opern kehrt die Gattung zum Märchen, allerdings zum desillusionierten und desillusionierenden, zurück.

Dass man den Abend in der Deutschen Oper mit Interesse verfolgt, aber danach nicht den Wunsch verspürt, sich ihm noch einmal auszusetzen, liegt an der Unvereinbarkeit der Ingredienzien, aus denen er zusammengesetzt ist. Da ist einmal die schwelgerische, in raffinierten Harmonien funkelnde Musik, die, abgesehen von den eingestreuten schlichteren Balladen, nicht von einem Höhepunkt zum anderen eilt, sondern nur aus solchen zu bestehen scheint. Dazu gibt es einen schrecklichen mittel-altertümelnden Text mit vielen Wagnerpeinlichkeiten wie „wonnig und hehr“ oder unzähligen „Horten“. Zu dem nun wieder passt absolut nicht die perfekt gemachte Bühne von Johannes Leiacker in beinahe faschistoider schwarzer Marmorpracht als Einheitsspielort voller mal höfisch gesitteter, mal hemmungslos kopulierender gemischter Militär- Zivilgesellschaft, in der zumindest Els, der so ziemlich alle angeblich verfallen sind, hoffnungslos untergeht in ihrem unschuldigen Servierschürzchen inmitten anderer Servicekräfte. Sogar die Königin, ein stumme Rolle, kann ihr in lasziver Hinfälligkeit, wie auch zu Kräften gekommen nach der Rückkehr des Schatzes und paarungswillig, die Show stehlen. Es scheint eine Gemeinsamkeit aller drei Loy-Inszenierungen an der Deutschen Oper zu sein, dass es hoch her geht auf der Bühne, dass sie dabei aber Kühle, wenn nicht Kälte ausstrahlt.

Nicht leicht haben es die Sänger, sich gegenüber dem Orchester zu behaupten, obwohl Marc Albrecht ihnen durchaus akustischen Raum zu schaffen versucht, überhaupt der denkbar beste Anwalt der Musik Schrekers zu sein scheint, ja es wohl ist. So sind der Els von Elisabet Strid spätestens im Epilog schöne Momente vergönnt, hat sie im Verlauf der über drei Stunden aber auch häufig damit zu kämpfen, sich gegen das Orchester durchzusetzen, was auf Kosten des Timbres geht. Von Textverständlichkeit kann dann kaum noch die Rede sein. Die garantiert am ehesten der Narr von Michael Lawrenz, nicht nur rein optisch ein Farbtupfer im Schwarz-Weißen mit seiner roten Narrenkappe, sondern die menschlichste Figur und die die prägnantesten Töne verbreitende dazu. Einen soliden Tenor führt der schwedische Sänger Daniel Johansson ins Feld, der auch das italienische Repertoire singt, aber doch eher dem Deutsch-Heldischen zuzuneigen scheint. Clemens Bieber bewährt sich einmal mehr als Ensemblemitglied in der Partie des Kanzlers, tadellose Leistungen kommen auch von Thomas Johannes Mayer als Vogt, Patrick Cook als Albi und Tuomas Pursio als König. Doke Pauweis schwebt anmutig als Königin durch die Szene. Bei allen konnte man sich über die aufmerksame Personenregie freuen, die ihnen zuteil geworden war. Nur einen kurzen, aber eindrucksvollen Auftritt hat der Chor (Jeremy Bines). 

„Die Tat allein macht stolz und frei“, heißt es an einer Stelle im Schatzgräber, und die Deutsche Oper kann stolz darauf sein, dieses Unternehmen gestemmt zu haben, ob die heute so vehement geforderte Nachhaltigkeit damit erreicht wird, bleibt abzuwarten. 

Ingrid Wanja / 7. Mai 2022

Fotos: Monika Rittershaus

 

 

Les Vēpres Siciliennes

Premiere am 20. März 2022

Palermo - Algier - Odessa?

Leicht gemacht haben es Librettist Eugen Scribe und Komponist Giuseppe Verdi damaligen und jetzigen Regieteams, denn kaum eine andere Oper ist chronologisch und geographisch so exakt in der historischen Wirklichkeit verankert wie Les Vēpres Siciliennes, die am Ostermontag des Jahres 1282 beim Läuten der Vesperglocken in Palermo ihren traurigen Höhe- und Endpunkt hat. Auch das Personal der Oper lässt sich identifizieren, so Giovanni Procida, Leibarzt Friedrichs II. und  Anführer des Aufstands gegen Karl von Anjou, dazu Montfort, allerdings im Gefängnis verstorben, und Hélène, die ihren von den Franzosen hingerichteten Bruder rächen will, müsste mit diesem Friedrich von Österreich meinen, der gemeinsam mit seinem Freund Konradin, dem letzten, erst 16jährigen Stauferspross nach der glücklichen Zeit Siziliens unter der Herrschaft Friedrichs II., auf der Piazza del Popolo von Neapel enthauptet wurde. Um auch eine Liebesgeschichte in der Oper unterzubringen, musste allerdings heftig geschummelt werden, denn die historische Helene war bereits Witwe und für die wüste Geschichte von der heimlichen Ehe zwischen Montfort mit einer Sizilianerin, aus der in Sohn entspross, gibt es keinen Hinweis. Wenn also Scribe mogelte, um eine rührende Handlung nicht nur um Kampf und Tod, sondern auch um Liebe auf das Papier zu zaubern, dann blieb Verdi in seiner Musik umso ehrlicher dem Handlungsort verbunden, unter anderem mit einer Tarantella und einer Siciliana, das den Anforderungen an eine Grand Opera geschuldete Ballett aber strich er aus der italienischen Fassung des Werks, deren Uraufführung der französischen im Jahre 1855 auf dem Fuße folgte. Diese Version erlangte denn auch trotz des Erfolgs der französischen Fassung in Paris weltweit eine ungleich größere Popularität als die Urfassung, erst in der letzten Zeit haben sich viele Opernhäuser wie München, Amsterdam, London, Palermo (!), Rom, Genf oder Bonn der französischen Fassung angenommen, an der Lindenoper gab es kurz vor der Wende die italienischen Vespri in einer durch Mauer und Stacheldraht verunzierten Produktion von Harry Kupfer/Kurt Schawernoch.

Wer den Briefwechsel Verdis mit seinen Librettisten kennt, der weiß, dass es dem Komponisten um die leidenschaftlichen Konflikte zwischen den Individuen ging, die er immer wieder einforderte, um die er geradezu flehentlich bat. Moderner Regie scheint es eher um Ort und Zeit einer Handlung zu gehen als um die in ihnen lebenden Persönlichkeiten. Bei der Suche nach einem „tagesaktuellen Bezug Scribes und Verdis“ glaubte Olivier Py “hinter der Fassade“ der Sizilienoper „einen Kommentar… zur Eroberung Algeriens….freigelegt“ zu haben und siedelte das Stücks flugs um in das nordafrikanische Land und in die Entstehungszeit der Oper, zeigt allerdings auch moderne Feuerwaffen.  Eine sehr unglückliche Idee, da Frankreichs Herrschaft über das Land nicht erschüttert, sondern befestigt wurde in der angepeilten Zeit, da Frauen keine führende Rolle im algerischen Freiheitskampf spielten, da die Musik zu großen Teilen von Sizilien erzählt und Volksszenen wie eine fröhliche Hochzeit im Freien im islamischen Land nicht stattfanden. Dem Wunsch, eine ganz tolle Idee von Aktualisierung ( na ja, auch schon fast 200 Jahre her) einer zeitlich und geographisch anders zu verortenden Oper überzustülpen, führt einmal mehr zu einer Missgeburt, wie sie das schlimmste Libretto nicht zustande gebracht hätte. Vor noch Schlimmerem bewahrt hat die Verdi-Oper und die Zuschauer allerdings der späte Beginn des Kriegs in der Ukraine, denn zu weit waren die Proben bereits gediehen, als dass man aus Palermo nicht Algier, sondern schnell noch Odessa hätte machen und eine ukrainische Fahne zum Schluss hätte zeigen können. Aber vorstellen darf man es sich, wie Olivier Py es uns zugesteht, und so kann man nur hoffen, dass nicht allzu viele Zuschauer nächtens von einem Montfort- Putin-Gespenst heimgesucht werden.

Schlimmer als alle chronologischen Extravaganzen sind Regieeinfälle, die es den Sängern erschweren, den bestmöglichen Eindruck beim Publikum zu hinterlassen, so wenn ein Montfort seine große Arie in Schiesser-Feinripp singen muss, dazu drei Kronleuchter unermüdlich hoch- und runtergefahren werden, der Dirigent im Spiegel auf der Bühne bei der Arbeit zu sehen ist und eine Untote mit Kinderwagen das Baby Henri über die Bühne kutschiert und sich zu allerlei gymnastischen Übungen hinreißen lässt. Ähnlicher Sünden gibt es einige und auch die Bühne und die Kostüme von Pierre-André Weitz in ihrem trostlosen Grau entsprechen nicht der Musik, auch wenn mangelnde Farbe durch ein andauerndes Drehen und Wenden der Kulissen ersetzt werden soll. Will man auf das Ballett, das den Konventionen der Grand Opéra geschuldet ist, nicht ganz verzichten, dann ist ein Fußballspiel mit einem menschlichen Kopf anstelle des Balls keine gute Idee, so wenig wie die Bebilderung der Sinfonia, die ein Potpourrie der bekanntesten Melodien darstellt. So anfechtbar, wenn auch nicht so schrecklich wie bereits Erlittenes, die optische Umsetzung war, so hocherfreulich waren die musikalischen Leistungen, angefangen bei einem hörbar hochmotivierten Chor unter Jeremy Bines, von dem einige Mitglieder Masken tragen mussten (ungeimpft?). Auch das Orchester unter Enrique Mazzola, bereits oft erprobter Dirigent in italienischer und französischer Oper, sah sich zu Höchstleistungen animiert, die Sänger wurden auf Händen getragen. Da fehlte weder der Mut zu einem getragenen ersten Finale noch der zu einem rasanten Brio für diese eigentlich doch sehr italienische Oper.

Vielleicht noch wohler in der italienischen Fassung hätten sich die Sängersolisten gefühlt, so der Henri von Piero Pretti, der bereits in Turin den Arrigo gesungen hat und der mit einem elegant geführten Tenor, der auch seine letzte Arie noch in schöner Frische und ohne Furcht vor den extremen Acuti sang, nachdem er bereits in seiner großen Arie facettenreich überzeugen konnte. Zunächst durch pure vokale Kraftentfaltung überzeugen wollte wohl Thomas Lehman, ehe er zunehmend und dann perfekt in seiner Arie nicht nur durch einen heldischen Bariton, sondern auch durch feine Schattierungen überzeugte. Bereits mit seinem allerersten Ton, einem wie aus dem Nichts erwachsenden Crescendo, verblüffte Roberto Tagliavini als Procida, der seine Arie auf „Palerme“ von aller Wunschkonzertbehäbigkeit befreite und so erklingen ließ, als höre man sie zum ersten Mal. Mit ihm erlebte man einen geradezu idealen basso profondo. Große Erwartungen hatte Hulkar Sabirova als Einspringerin in Don Carlo erweckt und konnte ihnen an diesem Abend aufs schönste entsprechen. In ihrer Stimme verbinden sich Koloraturgeläufigkeit und dramatische Durchschlagskraft miteinander, ihr Piano ist von bemerkenswerter Farbigkeit und Präsenz und die vielen schwierigen Intervallsprünge in ihrer Partie klangen sicher, die Intonation auch in den A- capella-Teilen makellos. Nicht nur die vier Protagonisten, sondern auch alle anderen mussten viel aus leeren Fensterhöhlen, in denen das Grauen wohnte, stieren, und sie taten das mit Anstand wie Arianna Manganello als Ninetta, Andrew Dickinson als Danieli und Martina Metzler-Champion als Mére Palerme, die mit dem Feudel unermüdlich über den Boden fegte, als sei schon wieder die Götterdämmerung auf dem Spielplan.    

Fotos Marcus Lieberenz

20. März 2022 / Ingrid Wanja

 

 

In Erinnerung an Götz Friedrich und Karan Armstrong

Preisverleihung am 21. Februar 2022

Eigentlich hätte die diesjährige Verleihung des Götz-Friedrich-Preises in Friedrichs Zehlendorfer Villa stattfinden sollen, und die Hausherrin Karan Armstrong, seine Witwe, wäre sicherlich eine glänzende Gastgeberin gewesen. Nun ist die Diva der Moderne bereits im vergangenen September in Marbella verstorben und ruht auf dem Zahlendorder Waldfriedhof neben ihrem Gatten. Zwar zum vorgesehenen Termin, aber im Rangfoyer der Deutschen Oper, beider Ehegatten Wirkungsstätte, fand nun die Preisverleihung statt. Seit die Null-Zins-Politik der Europäischen Zentralbank es unmöglich gemacht hat, die Prämien aus den Erträgen des Stammkapitals  der Götz-Friedrich-Stiftung zu finanzieren, ist die Opernkonferenz als Spender eingesprungen. Zu den Preisträgern gehörten unter anderen Sebastian Baumgarten, Stefan Herheim und Benedikt von Peter, die teilweise ausgerechnet Götz-Friedrich-Inszenierungen an der Deutschen Oper abgelöst haben, so mit dem Ring oder Aida, ob zur Freude des Publikums, sei dahin gestellt.

Neben dem Hauptpreis gibt es einen des Opernhauses Zürich, dessen Intendant Andreas Homoki gerade in Berlin an der Komischen Oper inszeniert, und eine „lobende Erwähnung“ für ein durch Corona-Beschränkungen ausgelöste neuartige Präsentation eines Musikstücks.

Franziska Angerer hat am Staatstheater Darmstadt als filmisches Musiktheater Christian Josts Aneignung von Heine/Schumanns Dichterliebe inszeniert, und wie die Werke der beiden anderen Preisträger wurde auch dieses in einem kurzen Filmausschnitt gezeigt, dessen Witz wohl darin besteht, dass eine mittelalterliche Dame zu „Ich hab‘ im Traum geweinet“ eine tiefe Grube gräbt, in die sie schließlich ein kleines Bäumchen pflanzt . Dazu erklingt eine sehr basslastige, hämmernde Begleitung. Die junge Regisseurin wurde wie ihre beiden Kollegen vom Moderator Martin G. Berger auf launige Art ins Gespräch gezogen und konnte sich bei allen Förderern bedanken. Den Zürcher Preis nahm Maximilian Berling für seine Arbeit an Menottis Das Medium am Theater am Gärtnerplatz in München entgegen, „frei darin, mit den Formen zu spielen“ und „erfrischend unprätentiös“. Sein Anliegen: Uraufführungen anstelle des abgespielten Repertoires. Anna Katharina Bernreitner empfing den Hauptpreis von 7500 Euro für ihre Regie von Rihms Oper Proserpina mit dem Text Goethes, aufgeführt an der Neuen Oper Wien. Sängerin Rebecca Nelson wurde zu einer beängstigenden Fülle von Mimikvariationen angehalten, bewegte sich zwischen Küchenmöbeln und Seerosenteich, um schließlich die einzige Frucht an einem Granatapfelbaum zu pflücken. Ungewöhnlich war die Ansiedlung der Szene im Orchestergraben, belobigt wurden „Sensibilität“ und „Genauigkeit“ der Regie.

Vor dieser Preisverleihung wurde Karan Armstrongs gedacht, von André Schmitz aus der damaligen Kulturverwaltung, Sängerin und Armstrong-Schülerin Andion Fernandez und Kollege Clemens Bieber die große Bannbreite ihres Repertoires, ihre Fähigkeit zum Ausgleichen, ihre Hilfsbereitschaft gegenüber Kollegen und ihre Menschlichkeit gerühmt. Ihre große Künstlerschaft stellte noch einmal ein zum Glück recht umfangreicher Ausschnitt aus Die tote Stadt mit Partner James King unter Beweis. Martin G. Berger musste mehrfach von „altmodisch“ angesichts der Szene murmeln, auf der Hauptbühne triumphierte jedoch die Szene des zweiten Akts von La Bohéme in der Regie von Götz Friedrich, und wer einen Blick durch die halb geöffnete Tür riskierte, konnte sich darüber freuen, dass es noch eine ganze Reihe „altmodischer“ Inszenierungen im Repertoire gibt, die den Opernbesucher zufrieden stellen, der im Opernhaus Beglückung durch die Schönheit der Musik und die Kunst begnadeter Sänger sucht.

21. Februar 2022 / Ingrid Wanja    

Foto: Wanja       

 

 

Rued Langgaard: ANTIKRIST

Premiere am 30. Januar 2022

Schwieriges Werk in brillanter Umsetzung

Um fast zwei Jahre verschoben werden musste die Premiere von Rued Langgaards Oper Antikrist, aber das Warten darauf hat sich gelohnt, sowohl wegen des Stücks selbst als auch wegen der Art und Weise seiner Realisierung an der Deutschen Oper Berlin. Der Antichrist, ein von Satan geschaffenes Wesen, das die Menschheit zu allen möglichen Lastern und Sünden verführen soll, ehe diese in ewiger Verdammnis zugrunde geht, dessen Wirken aber auch von Jesus Christus Einhalt geboten wird, ehe das Letzte Gericht beginnt, ist an vielen Stellen des Neuen Testaments erwähnt, so in der Offenbarung und den Briefen des Johannes, als religiöses Thema für die seit eh und je eher heidnische Stadt Berlin allerdings eher weniger interessant, so wie der dänische Komponist, frommer Orgelspieler und musikalisch auf den Spuren Wagners und Strauss' wandelnd, aber auch Ligeti interessierend, ein bisher fast völlig Unbekannter war.

 

Immer wieder und unverdrossen hatte Langgaard seine Oper, in den Jahren 1921 bis 1924 entstanden und 1926 bis 1930 umgearbeitet, der Kopenhagener Oper und dem dänischen Rundfunk angeboten, lediglich das 5. und 6. Bild und der Schluss wurden 1940 im Rundfunk aufgeführt, 1980 entstand eine Aufnahme unter Michael Schonwandt, 1999 gab es die szenische Uraufführung am Tiroler Landestheater Innsbruck, auch in Mainz war das Stück zu erleben und nun mit zwei Jahren Verspätung die Berliner Erstaufführung an der Deutschen Oper in deutscher Übersetzung. Sah allerdings der Komponist, der sein eigener Librettist war und sich von Benzons „Antikrist“ hatte inspirieren lassen, in den Grausamkeiten und Ausschweifungen von Krieg und Nachkriegszeit das hässliche Antlitz des Antichrist, übte wohl auch Kritik an der eigenen Kirche, so meint Regisseur Ersan Mondtag, bürgerlich Ersan Aygün, nach Aussage im Programmheft das Erstarken des Faschismus, Klimagefährdung, Spaltung der Gesellschaft als Kräfte des Bösen zu entlarven. Sogar Gott bekommt sein Fett weg, indem ihm unterstellt wird, er habe das Böse nur deshalb in die Welt gerufen, um Eindruck mit dem Besiegen desselben zu machen. Dazu passt nun gar nicht, dass er Gott als Frau, da mit Vulva und nicht mit Penis versehen, auf die Bühne stellt, zwar nicht behindert, schwarz oder divers, aber immerhin doch weiblich und damit nicht vollkommen verwerflich. Dafür ist die große Hure mit einem männlichen Geschlechtsteil ausgestattet, das ihr allerdings abgerissen wird, und der leibhaftige Gott ist dann so beschaffen, wie ein Mann beschaffen sein muss. Wie so oft ist auch bei dieser Produktion die Realisierung auf der Bühne weniger radikal als das Programmheft - und das ist auch gut so, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass der Regisseur meint, er entscheide sich „meistens für einen Entwurf, der in einer gewissen Diskrepanz zum Inhalt steht“. Vieles bleibt allerdings rätselhaft, was auch daran liegen mag, dass der Komponist in der zweiten, der in Berlin aufgeführten Fassung auf jegliche Handlung verzichtet.

 

Aktualisierung nun trifft auf die Optik des Auch-Bühnen-und-Kostümbildners gar nicht zu, denn die erinnert stark an die Bilder von Ernst Ludwig Kirchner oder Christopher Nolans Film „Inception“ und scheint insofern der Entstehungszeit des Werks zu entsprechen. Wie beim Ring-Zeittunnel wird fast die gesamte Tiefe der Bühne genutzt, im Hintergrund kann es je nach Stimmung feurig rot, dunkel oder neblig heraufwallen. Es spricht für die Musik Landgaards, dass sie sich gegenüber der bildmächtigen, geradezu überwältigenden Szene nicht nur behaupten kann, sondern dass die Opulenz des Optischen die des Akustischen noch zu verstärken scheint. Allerdings scheint im Orchestergraben, wo Stephan Zilias seines Amtes waltet, Lautstärke auch um ihrer selbst willen erzeugt zu werden, ist dem Komponisten anzulasten, dass Melodienbögen in endloser Wiederholung und Steigerung sich im Unendlichen zu verlieren scheinen. Dem Orchester der Deutschen Oper ist übrigens Langgaard kein ganz Unbekannter, denn es führte unter Donald Runnicles, inzwischen Sir Donald, bereits 2016 beim Berliner Musikfest seine „Sphärenmusik“ auf.

 

Über weite Strecken hinweg wird in dieser „Kirchen-Oper“ nicht gesungen, so dass es eine gute Idee ist, über die vollen 90 Minuten hinweg das Ballett einzusetzen (Choreogaphie Rob Fordeyn), das ausdrucksstark und unermüdlich das Geschehen kommentiert, ja eigentlich erst Geschehen ermöglicht. Viel Phantasie wurde auf die Kostüme verwandt, bei denen Annika Lu Hermann mitwirkte und für Drastik und Anschaulichkeit sorgte, den Tänzern ihre Kostüme auf den Leib gemalt zu haben scheint.

Obwohl es Coronas wegen in den letzten Wochen viele Absagen von Vorstellungen geben hatte, musste man an diesem Abend nur eine Umbesetzung vornehmen. Anstelle von Clemens Bieber spielte Miguel Collasdo Sanchez den Mund, der große Worte spricht, während Thomas Blondelle mit heldisch gewordenem Tenor von der Seite her sang. Als Luzifer konnte Thomas Lehman, in der letzten Zeit mit Verdi-Lorbeeren gekrönt, seinen kraftvollen Bariton einsetzen und war auch Eine Stimme. Warme, weiche Mezzofarben verlieh Irene Roberts der Rätselstimmung, Valeriia Savinskaia eiferte ihr als Echo der Rätselstimmung darin nach. Vollmundig verkörperte Flurina Stucki Die große Hure, akustisch nicht ausufernd wie deren Körperfülle, aber von beachtlicher vokaler Statur. Jonas Grundner-Culemann war Gottes Stimme, AJ Glueckert setzt einen schneidigen Tenor für das Tier in Scharlach ein, Die Lüge wird von Andrew Dickinson, einem echten Tenorbuffo, gesungen und köstlich gespielt, Der Hass von Jordan Shanahan mit markigem Bariton verkörpert.

 

Der Abend in der Deutschen Oper wurde zum umjubelten, unwidersprochenen Erfolg für Stück und Ensemble, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Werk durch seinen kruden Text, seine oft doch recht epigonenhaft klingende, wenn auch effektvolle Musik und seine Thematik befremdet. Kein Zweifel jedoch besteht daran, dass es sich lohnt, es kennen zu lernen.

 

Ingrid Wanja / 30.1.2022

 

© Fotos: Thomas Aurin

 

 

 

 

IL BARBIERE DI SIVIGLIA                      

Aufführungen am 30.12.21 und 2.1.22

 

Es war interessant, einen Blick auf eine Inszenierung zu werfen, die in den seit ihrer Entstehung vergangenen Jahren immer sehr erfolgreich war. Seit Jahrzehnten in Italien lebend, schienen mir die Heiterkeit auslösenden Momente nicht so sehr aus der Musik generiert, als von einem leicht verzerrten Blick der Regisseurin Katharina Thalbach auf italienischen Humor. Für sie sind die ersten Szenen in moderner Gewandung (Kostüme: Guido Maria Kretschmer) nur der Rahmen für eine Handlung, die dann mit wie in der der Commedia dell'Arte gekleideten Figuren bestritten wird.   Die Seitenfläche eines während der Ouverture hereingebrachten Lasters wird aufgeklappt, und ein aus Kaffeehausbesuchern, Flanierenden und Badegästen mit entsprechender Ausrüstung bestehendes Publikum folgt den Geschehnissen auf dieser kleinen „Bühne“ (das den LKW umgebende Bühnenbild von Momme Röhrbein mit seinen spanischen Hausfassaden ist sehr hübsch). Damit wird einerseits das Problem (wenn man es denn als solches sehen will) einer heute nicht mehr aktuellen Vormund-Mündel-Beziehung umgangen, andererseits der Eindruck eines „avanspettacolo“ (das waren in Italien früher Varietéprogramme vor der Filmvorführung) erweckt. Die Blödelei wird nämlich übertrieben, die Figuren werden viel herumgestoßen, viel zu oft müssen sich die Sänger auf den Boden werfen usw. Die Figuren scheinen damit nicht ernst genug genommen.Dagegen wird die Verleumdungsarie zu ernsthaft illustriert, wenn sich ein wegen angeblicher Kinderverführung gemobbter Mann das Leben nehmen will.

 

 

Die musikalische Realisierung war auf hohem Niveau, denn das Orchester des Hauses folgte dem in Berlin debütierenden Matteo Beltrami mit hörbarer Genauigkeit und entwickelte einen funkelnden Klang, als stünden die vom Dirigenten verlangten furiosen Crescendi ständig auf dem Programm der Musiker. Ausgezeichnet am Fortepiano Elda Laro.

Von der Besetzung ist als erstes die Russin Aigul Akhmetshina zu nennen, eine Rosina, die ihren – ebenfalls russischen – Kolleginnen der Herbstpremieren in Wien und Mailand turmhoch überlegen war. Es handelt sich bei ihrer Stimme um einen echten, volltönenden Mezzo mit der nötigen Tiefe für die in Altbereiche führenden Passagen. Wie nachzulesen war, hat die junge, spielfreudige Sängerin bereits Verträge mit New York, Paris, München und Barcelona. Ihr Almaviva war der fesche Spanier Juan De Dios Mateos, dessen flinker Koloratur auch große körperliche Wendigkeit entsprach. Die Titelrolle wurde von dem Australier Samuel Dale Johnson mit üppig klingendem Bariton und ungeahnten körperlichen Reserven verkörpert (ihm wurden die heftigsten gymnastischen Leistungen abverlangt). Der Amerikaner Noel Bouley ließ mit einem angenehm timbrierten, für die Bufforolle des Bartolo fast zu „schönen“ Bariton aufhorchen und musste einen alten Trottel mimen. Ein anderer Amerikaner, Patrick Guetti, verfügte für den Basilio über imposantes Bassmaterial, dem der Feinschliff leider noch in hohem Maße abgeht. Erfreulich klang der südkoreanische Stipendiat Samueol Park als Fiorillo, während sich seine Landsfrau Antonia Ahyoung Kim, gleichfalls Stipendiatin, mit der Berta noch plagte.

 

 

Die beiden Aufführungen waren mehr oder weniger auf dem selben Niveau, nur Johnson wirkte am 2.1. gegen Ende etwas ermüdet. Das Publikum im relativ gut besuchten Haus spendete beide Male begeisterten Beifall (man möge also meinen Bemerkungen nicht zuviel Gewicht verleihen).

 

Eva Pleus 20.1.22

Bilder (c) Bettina Stöß

 

 

Un Ballo in Maschera

Premiere am 19.12.1993

98. Vorstellung am 20.12.2021

Opernglück trotz Absagepechs

Immer guten Mutes in die Deutsche Oper Berlin gehen kann man, wenn eine der alten Inszenierungen von Götz Friedrich, bis 2000 Intendant des Hauses und sein bedeutendster Regisseur bereits davor, auf dem Spielplan steht. Da kann man sich über eine Süße wie Bitternis des Künstlerlebens in Paris deutlich machende La Bohéme, einen so zauberhaften wie tieftraurigen Eugen Onegin, geistreiche Nozze di Figaro, einen tief berührenden Rosenkavalier und eine ebenso tragische Traviata freuen und in diesen Dezembertagen über mehrere Vorstellungen von Un Ballo in Maschera.

 

 

Viel länger als die Liste der noch auf dem Spielplan stehenden Produktionen von Friedrich ist die der davon gestrichenen und durch neue Inszenierungen ersetzten, die fast durchgehend eher ein Ärgernis als ein Grund zur Freude waren und sind. Da verstören und verärgern eine nur in der Einbildung des Radames bestehende Aida mit Wurststullen schmierender Amneris und im Publikum verteiltem Chor, eine Così fan tutte mit Erdölbohrer und Entjungferung auf dem Souffleurkasten,  ein Falstaff in der Gosse vor der Fensterfront eines spießigen Jetztzeithotels, schon der zweite Holländer nach einem mit gegenseitiger Abmurkserei, ein Schwindler von Lohengrin mit lächerlichen Engelsflügeln, ein von Alzheimer und Parkinson geschlagener Tristan und eine Turandot, an deren Schluss die beiden Altchen Timur und Altoum mit Plastiktüten über die Szene wanken, ehe sie von ihren Kindern ins chinesische Jenseits befördert werden. Lediglich Parsifal und Tannhäuser fanden mit den Regisseuren Stölzl und Harms würdige Nachfolger. Über den neuen Ring gibt es im Opernfreund bereits viel und kaum Gutes zu lesen. Wenig Hoffnung kann man nach bisherigen Erfahrungen mit dem Regieteam haben, dass sich noch in dieser Saison der Meistersinger annehmen und die wunderbare Produktion von Götz Friedrich ersetzen wird, die sich durchaus nicht vor dem Thema Nürnberg und die Nazis gedrückt hatte.

 

 

Nun also und hoffentlich nicht zum letzten Mal Un Ballo in Maschera fast auf den Tag genau 28 Jahre nach ihrer Premiere  in einer Produktion, an der es auch aus heutiger Sicht  nichts auszusetzen gibt, werden doch Feminismus mit aktiven bis aggressiven Damen bei Ulrica und Homosexualität in ihrer zartesten Form zwischen Oscar und dem König berücksichtigt, und die ersten Vorstellungen sang sogar eine schwarze Sängerin mit der Amelia von Michele Crider.     

Erfreulich gut gefüllt war das Haus mit auch vielen jungen Leuten, die der Titel Ein Maskenball vielleicht auch deshalb angelockt hatte, weil in Clubs und Diskotheken das Tanzen augenblicklich verboten ist. Sollte da ein neues, junges Publikum die Oper für sich erobern, dann wäre das so ziemlich die einzige gute Seite an Corona. 

Leider war die Aufführungsserie vom Absagepech für gleich drei der fünf Hauptpartien verfolgt.

 

 

Anstelle von Angela Meade, Carlos Alvarez und Meechot Marrero sangen nun Irina Churilova, Thomas Lehman und Heidi Stober. Der Hausbariton machte seine Sache sehr gut, gewann nach leichten Unsicherheiten zu Beginn  immer mehr an vokalem und darstellerischem Format und konnte spätestens mit Renatos „Eri tu“ mehr noch als mit den beeindruckenden Fermaten beweisen, dass er mehr als nur ein Ersatz für den vorgesehenen Starbariton war. Eine recht unausgewogene Leistung zeigte die junge Russin, die neben wunderschönen, engelsgleichen Tönen auch eine wenig markante Mittellage und insgesamt eine Stimme alles andere als aus einem Guss präsentierte, für die die erste Arie der Amelia fast zu dramatisch schien, erst „Morrò“ ihre schönen Qualitäten offenbarte. Heidi Stober war ein wunderbar umtriebiger Oscar, der insbesondere im Hause Anckarström quirlig Silbriges verbreitete. 

 

 

Dass er sich auch ohne die berühmte Gattin behaupten kann, bewies Yusif Eyvazov in der Partie des Gustavo, in der er mit extremem darstellerischem Engagement beeindruckte, mit einer schön gedeckten Höhe und unermüdlichem vokalem Einsatz. Er gab an diesem Abend wirklich alles, was auch vom Publikum honoriert wurde, aber das Timbre des Tenors ist nun einmal ein sehr undankbares und das Vermögen, Schattierungen, Nuancen auszufeilen, ein begrenztes. So blieb er der elegantesten aller Verdi-Tenor-Partien nicht nur im „È scherzo“ doch einiges schuldig. Pures Hörvergnügen bereitete Judit Kutasi als Ulrica mit kostbarem Mezzo wie aus einem Guss. Imponierend war der Auftritt von Tyler Zimmerman als Ribbing, angemessen der von Patrick Guetti als Horn, Samueol Park gab einen angemessenen Christian. Mit Jörg Schörner war einmal ein Giudice auf der Bühne, der viel mehr als nur Stimmreste anzubieten hatte. Noch einige Unstimmigkeiten gab es zwischen Bühne und Orchestergraben, wo  Michelangelo Mazza seines Amtes waltete und viel Schönes bot, so eine sehr einfühlsame Begleitung zu Amelias „Morrò“. In seiner auf dem Besetzungszettel veröffentlichten Biographie steht, dass er sich dem Paar Netrebko/Eyvazov eng verbunden fühlt. Da wäre es doch schön, wenn die Diva ihre Freundschaft auch dadurch beweisen könnte, dass sie durch Anwesenheit auf unserer Bühne glänzt.

 

Fotos Marcus Lieberenz

21.12.2021   Ingrid Wanja      

 

 

 

DON CARLO

Premiere am 23.10.2011

28. Aufführung am 15.12.2021

Trotz vieler Unbilden einfach schön

So tapfer wie umsichtig hat sich die Deutsche Oper Berlin bisher durch die Corona-Misere gekämpft, hat, wenn es irgendwie durchführbar war, dem Publikum alternative Möglichkeiten des Opernerlebens angeboten. Da wurde bei annehmbaren Temperaturen das Parkdeck als Bühne wie Zuschauerraum benutzt und sogar außerhalb des Ring-Zyklus ein eigenständiges Rheingold aufgeführt, es wurde, wenn auch nicht in der vorgeschriebenen Reihenfolge, ein neuer Ring gestemmt, davon zwei vollständige Zyklen im November angeboten, und ein weiterer, dritter ist für den Januar vorgesehen. In der Tischlerei gab es Uraufführungen, eine Schneekönigin für die Kleinen, im Parkettfoyer an jedem Tag weihnachtliche Kammermusik und Rezitationen.

 

 

Es wurden Maskenpflicht auch am Platz oder eine Belegung nur von 50% der Plätze eingeführt, Abende wie The best of sei es Carmen oder Traviata oder Gioconda in teils höchstkarätiger Besetzung geplant und durchgeführt. Im Dezember stehen Verdi und Puccini in guter Besetzung auf dem Programm und theoretisch könnte das Haus voll, könnten 1800 Karten verkauft sein. Für Hänsel und Gretel am Nachmittag ist das auch fast so, die wenigen Restkarten werden bis zum Aufführungstag auch noch vergeben sein, im Don Carlo, viermal auf dem Spielplan im Dezember, sah es zunächst bedenklich aus. Eltern und Kinder lassen sich von Corona nicht von einem Theaterbesuch abschrecken, Touristen und das alte Westberliner Publikum aber können oder mag nicht kommen, und es wäre wahrscheinlich noch schlimmer , wenn 2G+ nicht Genesen oder Geimpft plus Maskenpflicht, sondern plus Testen hieße. Es scheinen auch noch größere Gruppen kurzfristig wieder abzusagen, denn bis einen Tag vor der Vorstellung sah ich mich auf einem Sitzplan noch inmitten einer Gruppe platziert, die urplötzlich verschwunden war, deren Plätze wieder verkäuflich waren.

 

 

 

War die Lage also am späten Nahmittag noch recht trostlos, so scheinen sich mangels anderer Vergnügungen junge Leute doch noch spät entschlossen und ganz spontan für Oper entschieden zu haben, denn am Abend war das Haus dank ihres Escheinens doch noch bis ungefähr zur Hälfte verkauft, gab es zwar zu Beginn einen kurzen, aber lauten Streit um Maskenpflicht oder nicht, aber dann konnte die Vorstellung mit einigen Minuten Verspätung beginnen- allerdings nicht wie von Verdi gedacht und vom Haus geplant, sondern „aufgrund eines hohen Infektionsgeschehens innerhalb des Chores ohne Mitwirkung“ desselben, also ohne Autodafè und den Volksaufstand nach Posas Tod.

Die Produktion von Marco Arturo Marelli mit den wuchtigen verschiebbaren Mauerteilen, die immer wieder zu einer Kreuzesform finden, erlebte ihre 28. Aufführung seit ihrer Premiere im Jahre 2011 und erwies sich wieder als eine der für das Repertoire brauchbarsten aus den letzten zehn Jahren, denn sie ist so publikums- wie sängerfreundlich.

 

 

 

Dem historischen Don Carlos näher stehend als dem schillerschen bzw. verdischen ist in dieser Produktion der unselige Infant, der sich schon zu Beginn an der Rampe zuckend windet und der in dem amerikanischen Tenor Robert Watson auch akustisch nicht die angenehmste Verkörperung fand mit einer eher larmoyanten als tragisch umflorten Stimme, mit Vokalverfärbungen und fern aller Italianità. Vom Leporello zum Filippo entwickelt hat sich Alex Esposito, ein ungewohnt kleiner und zierlicher Monarch mit allerdings erstaunlich groß gewordener Stimme und dem von ihm gewohnten intensiven darstellerischen Einsatz. Ein optisch idealer Rodrigo ist der Kanadier Etienne Dupuis, am Haus und vom Publikum seit langem geschätzt und auch an diesem Abend die erfreulichste Erscheinung, allerdings oft mit unnötig übertriebenem Krafteinsatz seiner schönen Stimme die Grenzen des Schöngesangs sprengend. Ganz anders die Elisabetta von Nicole Car, im realen Leben seine Gattin, die von Beginn an sehr zart, sehr vorsichtig zu Werke ging, so dass es keine Überraschung war, als sie vor dem letzten Akt als indisponiert angesagt wurde, die Rolle nur spielte, während die zu Proben für die Rosalinde bereits in Berlin weilende usbekische Sängerin Hulkar Sabirova die Partie von der Seite her sang und das so wunderbar leuchtend, so warm und rund, dass es der Rezensentin das seit Jahren erste spontane Brava entlockte.

 

 

Da kann man sich schon auf ihre Elena in Verdis Vespri Siciliani im Februar freuen. Eboli war Yulia Matochkina mit machtvollem Don fatale und, abgesehen von den nicht besonders leichtgängigen Koloraturen schöner Canzone del Velo, auch durch intensives Spiel ein Gewinn für die Aufführung. Die hübsche zarte Stimme des Tebaldo von Georgina Meville wurde leider vom Orchester zugedeckt, das ansonsten unter dem eingesprungenen Ivan Repušić nach vielem Wagner bewies, dass es auch noch Verdi kann. Imponierend durch optische Erscheinung wie imponierenden Stimmeinsatz war Albert Pesendorfer als Gran Inquisitore, als dritter Bass ( die flandrischen Deputierten blieben an diesem Abend stumm, wurden aber immerhin erschossen) konnte Byung Gil Kim als Mönch vokal reüssieren. Trotz aller Misshelligkeiten ein schöner Abend, den es noch einmal zu erleben gibt, außerdem kommt noch vor Weihnachten Un ballo in maschera. Berliner, geht in eure Oper, es lohnt sich!

 

Fotos Barbara Aumüller        

16.12.2021 Ingrid Wanja

 

 

 

 

Der Ring des Nibelungen

NI vom 9. bis 14. November 2021

Statt „Parsifal“-Bett nun „Ring“-Klavier, oder:

Stefan Herheims Unterwäsche-Party im Koffer-Nirwana

Nun fand sie trotz aller Corona-Unsicherheit und -Verschiebungen doch endlich statt, die lang und mit Spannung erwartete zyklische Aufführung des neuen Berliner (DOB) „Ring des Nibelungen“ durch den norwegischen Regisseur Stefan Herheim, nachdem man noch 2019 den Vorabend, „Das Rheingold“, durchaus erfolgreich auf dem Parkdeck über die Bühne hatte gehen lassen. Damit ist nun die fast eine Ewigkeit gespielte und richtungweisende „Tunnel“-Produktion des „Ring“ von Götz Friedrich, die schon Kultstatus erreicht und verfestigt hatte, endgültig Vergangenheit - eine glorreiche für die DOB! Große Fußstapfen also, in die sich der Regisseur der neuen Produktion hineinwagen musste. Aber von Stefan Herheim, der sich mit dem Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach auch als Wagner-Regisseur mit seinem beeindruckenden „Parsifal“ 2008 in Bayreuth und einem phantasievollen „Tannhäuser“-Potpourri in Oslo 2010 einen Namen machte, schienen diese nicht zu groß. Jörg Königsdorf kam an der Bismarck-Straße als weiterer Dramaturg hinzu. Was in dieser Neuproduktion zu sehen war, lässt allerdings keine große Hoffnung auf einen neuen Berliner „Ring“-Weitwurf von Friedrichschen Dimensionen zu.

 

Im „Rheingold“ sehen wir im Bühnenbild von Herheim und Silke Bauer und mit der Lichtregie von Ulrich Niepel eine Gruppe von Flüchtlingen mit ihren alten Koffern. Mann assoziiert mit den Koffern die Wagnersche Darstellung aller „nur denkbaren Realitäten und Wirklichkeiten … in gedrängter, deutlicher plastischer Gestaltung“. So hat also jedes Individuum bei Herheim einen Koffer. Es sind über 30 Statisten, die später immer wieder auch andere Rollen einnehmen, aber allesamt von Wagner nicht vorgesehen waren. In der Mitte der Bühne steht ein Konzertflügel, also ein Klavier, an dem der Flüchtlingsstrom zunächst anhält. Die, so möchte man in der Tat glauben, vor ihrer Vorgeschichte Flüchtenden, aber allein schon aufgrund der Optik schnell mit den vor dem Nazi-Regime flüchtenden Juden assoziiert werden können, halten hier inne und beginnen, so der Wunsch Herheims, nun ein Spiel, ein Spiel um den „Ring des Nibelungen“, in das auch die Protagonisten hineingezogen werden. Der Konzertflügel wird dabei als „musikalisch-optisches Tor zur Phantasie“ gesehen und ist alltägliches Instrument des Opernalltags zugleich. Allein, er wird nicht nur die Handlung des Vorabends der Tetralogie an sich ziehen sondern auch die der anderen drei Abende. Und da haben wir dann eine direkte Parallele zu dem Bett, das Herheim in seinem sehr beeindruckenden „Parsifal“ ins Zentrum der Bayreuther Bühne stellte. Aus ihm stiegen immer wieder Figuren empor oder sie verschwanden darin, genau wie nun immer wieder in diesem Klavier mit seinem perfekt mechanisch gesteuerten Deckel. Nur findet das in seinem Berliner „Ring“ alles viel spektakulärer und ein offensichtlich auf optische Wirkung und Sensation ausgerichtetes Unterfangen statt. Das in vier langen Gesprächen mit dem Dramaturgen Königsdorf in den Programmheften dargestellte Regiekonzept lässt sich da keineswegs klar erkennen oder gar nachvollziehen.

 

Der Klavier-Gedanke ist aber durchaus nicht uninteressant. Meier-Dörzenbach bezieht sich auf Wagners Formulierung des mystischen Bayreuther Grabens als des „technischen Herdes der Musik“ und seine Verkleinerung in Form des Klaviers, aus dem alles entsteht. Hier wird ein Stück zuerst gespielt, damit lernt der Sänger. Bekanntermaßen fand an ihm auch die Premiere des 1. Aufzugs der „Walküre“ 1856 im Genfer Hotel Baur au Lac statt, wo Wagner am Flügel saß, Siegmund und Hunding sang und Emilie Heim die Sieglinde. So sieht das Regieteam das Klavier als das Instrument, „aus dem alles tönt, Welten entstehen und die Kunst für ein Publikum herausgespielt wird …“. Möglicherweise ein Baustein für ein Regiekonzept, aber nach dem, was hier zu sehen war, nicht unbedingt ein tragfähiger, im wahrsten Sinne des Wortes dieser Produktion.

 

„Das Rheingold“ wirkt szenisch und dramaturgisch flach, ja bisweilen oberflächlich wie eine Kasperliade, gerade in der Figur des Alberich. In dieser Überziehung des von Herheim postulierten Spielcharakters, der sich in der Musik nicht offenbart oder darstellt, verliert die Inszenierung schnell an Glaubwürdigkeit und innerer Spannung. Szene und Musik fallen auseinander, und die Konzentration auf die Musik wird durch den Aktivismus auf der Bühne erschwert. Wie anders machte das doch noch Brigitte Fassbaender bei ihrem „Rheingold“ dieses Jahr in Erl bei der Tiroler Festspielen! Da stand die viel beschränktere aber umso aussagekräftigere Handlung bei stimmiger Personenregie in völliger Harmonie mit der musikalischen Aussage, und das ohne jeden Statisten... Mit den Kostümen von Uta Heiseke scheint Herheim zudem das Ziel zu verfolgen, stets immer wieder Zitate aus der Aufführungstradition des „Ring“ zu bringen, bis zurück zur Uraufführung. Ist das wirklich so eine große Idee, oder gar Kunst?! Ein Zitat ist immer eine Wiederholung, nie eine authentische Eigenleistung. Es entsteht dabei in der Oper immer eine Collage von lange Bekanntem. Mir ist das für einen „Ring“ in Berlin zu wenig. Im Übrigen ist es immer wieder schon woanders gemacht worden. Man denke nur an den Günter Krämer-„Ring“ im Jahre 2013 an der Opéra de Bastille von Paris.

 

Von der „Rheingold“-Sängergilde lässt sich hingegen Besseres berichten. Thomas Blondelle hauchte diesem Koffer-„Rheingold“ als die Strippen ziehender Loge durch sein intelligentes, hochkonzentriertes und mephistohaftes Spiel doch noch einige Dynamik ein. Dazu lieferte er auch eine gute gesangliche Leistung. Derek Welton gab einen „Rheingold“-Wotan mit eher leichterem bassbaritonalem Aplomb. Markus Brück war ein guter erprobter Alberich mit Clownsnase, immer und überall zu finden, wo er gar nicht hingehörte. Ya-Chung Huang sang einen engagierten Mime Andrew Harris als Fasolt sowie Tobias Kehrer als Fafner beeindruckten durch kraftvolle Bässe und einen Auftritt im Riesen-Kofferformat. Annika Schlicht war eine überzeugende Fricka mit gutem Mezzo, ebenfalls gut spielend und Flurina Stucki eine ansprechende Freia. Joel Allison als Bettina Volle Stipendiat sang eine guten Donner im Finale und Attilio Glaser einen kraftvollen Froh. Einen Mezzo der Extraklasse führte Judit Kutasi als Erda vor. Die drei Rheintöchter, Valeriia Savinskaia als Woglinde, Arianna Manganello als Wellgunde und Karis Tucker als Flosshilde, ebenfalls Stipendiatinnen, sangen und agierten auf hohem Niveau.

 

Unzählige alte Koffer bevölkern auch die „Walküre“-Bühne, als Hundings Hütte noch an das freilich sängerfreundliche Halbrund der Böcklinschen Toteninsel in Chéreaus Bayreuther Jahrhundert-„Ring“ erinnernd. Wieder einmal beginnt eine Oper erst mal ohne Musik, eine Unart, die sich immer mehr einzuschleichen scheint, wohl, um wieder mal etwas anders zu machen, als der Zuschauer und -hörer gewohnt ist. Neues um des Neuen willen… Aber davon kommt noch mehr an diesem Abend. Man sieht Sieglinde hektisch ihren Koffer packen, sie will wohl weg aus Hundings Zwang. Unter Blitz und Donner fährt der Konzertflügel auf einem (Tuch)-Feuerstrahl in die Höhe - die Bude spielt verrückt. Ein großer Schäferhund kommt aus dem Souffleurkasten! Er sieht wie einer der Wölfe Wotans aus und schnüffelt die ganze Hütte ab. Es wird bei aller Herheimscher Detailverliebtheit nicht klar, ob es Geri oder Freki ist.

 

Da ich „Die Walküre“-Premiere Ende September 2020 bereits gesehen und ausführlich besprochen habe, und die Rezension im Oktober-Merker 2020 zu sehen ist, möchte ich mich zu ihr relativ kurz fassen.

 

Nicht anfreunden konnte ich mich mit dem „Hundingling“, einem kleinen Burschen (Eric Naumann), der Sohn Hundings und Sieglindes (!). Seine ständige Bedrohung Siegmunds mit einem Messer wird schnell langweilig. Gewöhnungsbedürftig ist Herheims abstruse Begründung für diese völlig überflüssige stumme Rolle. Er fand die Szene, in der eine mit Gewalt in die Ehe gezwungene Frau sich als Sünderin wider wahrer Liebe und Täterin selbst anklagt, immer höchst problematisch und in unserer Zeit nicht vertretbar.“ Mit der Hinzudichtung des Kindes von Hunding und ihr will er sie „psychologisch anders disponieren und ihr Trauma materialisieren.“ Um mit Siegmund neu beginnen zu können, meint Sieglinde nun, das Kind umbringen zu müssen, „denn erst mit der Schwangerschaft durch den Wälsen gewinnt sie neuen Lebenswillen, eine Art Medea.“ Übrigens taucht der Hundingling als gefallener Held später wieder bei den Walhall-Helden auf - auch nicht ganz einsichtig...

 

Das Hauptthema oder Regiekonzept des Herheim-„Ring“ ist also die Flucht, und um die geht es natürlich in der „Walküre“ in ganz exzessivem Ausmaß. Bis auf Hunding und Fricka sind hier ja alle auf der Flucht. Ein Besuch im Stelen-Wald des Jüdischen Denkmals in Berlin hat Herheim dazu animiert, ebenso wie die Rolle der Stadt in der Nazi-Zeit und alles, was mit der Verfolgung insbesondere der Juden sowie dem Holocaust zu tun hat. Aber ist das gerade aus der heutigen Perspektive nicht zu kurz gegriffen?! Es sind derzeit weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht, aus den unterschiedlichsten Gründen und den unterschiedlichsten Nationen und Regionen. Wäre da eine globalere Herangehensweise nicht angebrachter, wenn man schon auf das Thema Flucht abstellen will?! Kostümbildnerin Heiseke setzt bei Wotan und den hier äußerst aktiven Wahlhall-Helden auf den neuen stereotypischen Topos, weiße Unterwäsche - nun auch im Wagner-Theater und eben nicht mehr nur im dramatischen Theater präsent! Na bitte. So spielt Wotan in Unterhose wie ein Besessener zu Beginn des 2. Aufzugs neben Brünnhilde alle acht Walküren aus dem Klavier heraus…

 

Im 3. Aufzug konnte man langsam das Interesse an weiteren abstrusen Ideen und deren skurrilen optischen Umsetzungen auf der Bühne verlieren. Eine Überraschung gab es dann allerdings doch noch, als im Finale der Deckel des Flügels nochmal hochging und Sieglinde in den Wehen offenbarte, während sich Mime als Richard Wagner mit Barett, aber in KZ-Hemd, damit befasste, ihr das Baby Siegfried aus dem Bauch zu ziehen. Selbst Wotan schaute von seinem Gerüst oben perplex herunter… Kurz, was man so ganz anders von Stefan Herheim gewohnt war, eine genau durchdachte, konsequent in ein überzeugendes und tragfähiges Regiekonzept eingebaute, durchaus immer wieder unkonventionelle Dramaturgie mit oft faszinierenden, aber verständlichen Regieeinfällen, war an diesem Abend nicht zu erkennen. Seine „Walküre“ wirkt vielmehr wie ein Sammelsurium vieler, zum Teil absurder und vordergründiger Einzeleinfälle, die in ihrer Gesamtheit keine wirklich schlüssige Werkinterpretation ergeben.

 

Das „Walküre“-Sängerensemble hinterließ dagegen insgesamt einen sehr guten Eindruck, mit einigen Abstrichen. Natürlich brillierte die bewährte Nina Stemme mit der Brünnhilde, auch wenn es ein paar Probleme mit der Homogenität der vokalen Struktur gab. Iain Paterson war ein Wotan mit klangvollem und gut geführtem Bassbariton, der der Rolle auch starke Charakterzüge verlieh. Eine sehr gute Leistung brachte Brandon Jovanovich. Optisch ist er ein idealer kämpferischer Siegmund und stimmlich entsprach sein Vortrag mit heldentenoralem Aplomb genau diesem Bild. Elisabeth Teige sang und spielte eine einnehmende Sieglinde. Annika Schlicht war Wotan mit ihrem guten Mezzo eine kraftvolle Gegnerin. Darstellerisch musste sie wieder einmal die klassische Furie geben. Tobias Kehrer sang den Hunding mit einem guten und wortdeutlichen Bass. Das Walküren-Oktett sang bei den chaotischen und skurrilen Regieanweisungen weitgehend homogen. Flurina Stucki war Helmwige, Aile Asszonyi Gerhilde, Antonia Ahyoung Kim Ortlinde, Simone Schröder Waltraute, Ulrike Helzel Siegrune, Karis Tucker Roßweiße, Anna Lapovskaja Grimgerde und Beth Taylor Schwertleite.

 

Im „Siegfried“ ging es letztlich wenig überraschend mit einer Bild- und Statistenüberflutung weiter, dass die gute musikalische Leistung des Orchesters der Deutschen Oper Berlin unter der Wagner-erprobten Hand von GMD Sir Donald Runnicles gar nicht recht zur Wirkung kam, beziehungsweise wahrgenommen werden konnte. Es war wieder einmal mehr Theater als Musik, jedenfalls kein Musiktheater!

 

Es geht Herheim offenbar um die optisch so explizit wie mögliche Darstellung von Gefühlen und Situationen der Protagonisten durch über 30 Statisten. Diese bevölkern mehr oder weniger ständig inmitten von kaum noch übersehbaren Altkofferbergen die Bühne, beäugen die Sänger und kommentieren deren Verhalten und Gesang sogar untereinander, gestisch natürlich. Damit wird die auch durch die Musik - der in dieser Inszenierung offenbar kaum noch etwas geglaubt wird, ein ganz großer Schwachpunkt des Regiekonzepts! - von Wagner so wunderbar suggerierte Intimität zentraler Szenen und Momente verflacht, wenn nicht gar völlig aufgehoben. Das war schon bei Wotans Abschied in der „Walküre“ so und findet nun einen weiteren Höhepunkt, wenn etwa 15 binäre und diverse Pärchen, sorgsam alle mit weißer Unterwäsche bekleidet, sich genussvoll, allerdings sehr bemüht wirkenden Kopulationsszenen hingeben. Dem zugrunde liegt Herheims Auffassung, dass wir mit den (nach dem Rat für deutsche Rechtschreibung nicht-normgerechten Gender-Formulierungen) „das Geschlecht ebenso wenig binär betrachten, wie wir eine alltagstaugliche, emanzipierte, dialektische Synthese gefunden haben.“ So ist das Zusammenfinden Siegfrieds und Brünnhildes nicht „auf eine physische Mann-Frau-Zusammenführung zu begrenzen, sondern im Augenblick ‚höchster Lust‘ müssen heute sämtliche Grenzen transzendieren, auch die des Genders.“

 

Auf der Bühne sieht es dann allerdings ganz profan eher so aus, als müsse man dem nach Wagner noch binären Liebespaar zeigen, wie es geht oder eventuell gehen könnte. Ein noch platteres „Siegfried“-Finale habe ich in der visuellen Wirkung, und um die geht es bei allen (pseudo-)intellektuellen Deutungsversuchen am Ende immer noch, bisher nicht erlebt, und es erschien mir nie als Mangel. Richard Wagner ist hier sinnvoll zu zitieren: „Was vor aller Welt vorgeht, hat für mich keinen besonderen Reiz, das Intime, worauf es Menschen unserer Art einzig noch ankommt, verliert sich hier immer.“

 

Selbst Nina Stemme als Brünnhilde auf dem Zentrum allen Handelns dieser eigenartigen Produktion, dem Konzertflügel mit wundersamem Deckel, schaut verdattert drein… Das Schicksal, mehr oder weniger früh am Abend in weißer Unterwäsche dazustehen, ereilt übrigens auch viele Protagonisten dieser Inszenierung. Es drängt sich bisweilen der wohl unrichtige Eindruck auf, Stefan Herheim wolle in Konkurrenz mit den letzten Palmers-Kreationen treten, oder ist es - zumal mit den gezeigten sexuellen Handlungen - eine erotische Obsession?! Interessanterweise hat er in den seitenlangen Gesprächen mit Dramaturg Königsdorf nicht einmal Bezug auf die optische Dominanz der weißen Unterwäsche genommen oder sie gar erklärt. Hinzu kommt eine offenbare Verliebtheit in das durchaus antiquierte Bühnenbild-Stilmittel wallender weißer Tücher, die immer wieder im Klavier verschwinden oder aus ihm herauskommen, und an deren kleineren Ausgaben auch gern mal geschnüffelt wird. Bis auf einige in der Tat beachtliche Momente wuselt der Abend mit solchen Geschäftigkeiten im tristen und alles umfassenden Koffermilieu vor sich hin. Diese gehören sicher zu den Gepäckstücken, die man bei Verlust gar nicht mehr vermissen würde oder nochmals sehen will…

 

 

Gesungen wurde aber gut bis sehr gut. Der US-Amerikaner Clay Hilley stellte sich zum ersten Mal als Siegfried an der DOB vor und hat einen kräftigen Heldentenor, der meines Erachtens mehr Facettierung oder Nuancenreichtum und damit Ausdruckskraft haben könnte. Aber die großen Herausforderungen der Riesenpartie meisterte er ohne Probleme. Nina Stemme gab die gewohnt gute Brünnhilde im letzten Aufzug mit ihrer vollen und wohlklingenden Mittellage wieder beeindruckend, etwas an der Grenze der vokalen Möglichkeiten bei den Spitzentönen. Ob sie sich in dieser Rolleninterpretation wohl fühlte, möchte ich hier nicht unbedingt bestätigen. Iain Paterson sang nach dem „Walküre“-Wotan nun auch den Wanderer, der ihm ob seiner Lyrik noch besser zu liegen scheint. Er schafft mit seinem eher hell timbrierten Bassbariton natürlich beeindruckende Höhen.

 

Jordan Shanahan ist ein ungewöhnlich stimmstarker und prägnanter Alberich, der auch zu den unmöglichsten Momenten auf die Bühne kommen musste oder schon auf ihr war, bevor es überhaupt losging… Dass er wieder oder immer noch mit Clownsnase auftritt, ist der globalen Spiel-Idee Herheims geschuldet, die sich aber über die Länge dieses „Ring“ verwässert, sodass die rote Nase und die weißen Augendreiecke bei diesem Alberich auch schon wieder wie Zitate der Vorgeschichte wirken, jedoch dramaturgisch keinen nachvollziehbaren Sinn machen. Schon gar nicht, wenn wir in die Musik hineinhören. Aber Zitate hat der Regisseur ja gern, vielleicht auch welche von sich selbst… Der erst 32jährige taiwanische Tenor Ya-Chung Huang spielte und sang einen ungemein eindrucksvollen Mime, der hier wieder als Richard Wagner-Parodie mit KZ-Hemd gezeigt wurde, womit sich der Regisseur zwischen seiner imaginierten Spiel-Konzeption und der konkreten Judenverfolgung verhaspelte. So wirkte es jedenfalls, wenn man die Augen aufmachte. Tobias Kehrer war ein kraftvoll singender und sterbender Fafner und lag zum Schluss ebenfalls in seiner Unterwäsche und 30kg Übergewicht auf dem Souffleurkasten. Judit Kutasi war nach dem „Rheingold“ auch eine starke Erda im „Siegfried“ mit kraftvollem Mezzo und einem unmöglichen Kostüm, das etwa meine Oma vor dem Fernseher trug. Nun ist sie nach Herheim aber auch nur Souffleuse, und bei denen achtet man ja nicht auf die Kleidung, weil man sie gar nicht sieht. Immerhin blieb ihr die weiße Unterwäsche erspart. (Loriot hätte gesagt: „Schwein jehabbt“). Sebastian Scherer, Solist des Knabenchores der Chorakademie Dortmund e.V., sang den „Waldvogel“ mit mannigfacher Bühnenaktion so falsch wie eben möglich. Dem Publikum gefiel‘s. Herheim meint in seinem Gespräch mit dem Dramaturgen, dass es ein Junge sein sollte, der „Siegfried in seinem unbewussten Initiationsprozess begleiteten sollte, zumal ihm erst in der allerletzten Szene eine Frau begegnet.“ Auch Wagner hatte ursprünglich an einen Jungen für den Waldvogel gedacht. Er wird schon gewusst haben, warum er sich schließlich anders entschieden hat - so, wie für eines von vier „Götterdämmerung“-Finalis. Aber das spielt für den Regisseur keine Rolle.

 

Nach der „Götterdämmerung“ wurde das leading team mit einer signifikanten Buh-Reaktion großer Teile des Publikums empfangen. Nur einmal zeigte sich Herheim mit Ko-Bühnenbildnerin Silke Bauer, Kostümbildnerin Uta Heiseke und (wahrscheinlich) Beleuchter Ulrich Niepel dem Publikum. Als der wohl nicht nur aus meiner Sicht zu Recht anhaltende Protest nicht enden wollte, vollzog Herheim einen wie eine Erlösung wirkenden Sprung auf der Bühne und dankte den Mitwirkenden überschwänglich, verständlich. Einige von ihnen hatten wirklich viel mehr zu leisten oder auszuhalten als selbst unter nur relativ normalen Bedingungen von einem Wagner-Sängerdarsteller im „Ring“ verlangt wird.

 

Wenn es alles einen durchgängigen oder wenigstens in großen Linien nachvollziehbaren Sinn ergeben hätte, wäre ja nicht einmal so viel dagegen einzuwenden gewesen. Aber allzu viele „Ideen“ und Einfälle, ja auch unzählige Gags, die sich immer wieder von der rein intellektuellen und kopfbetonten Regiekonzeption Herheims entfernten, beziehungsweise sie verwässerten oder gar nicht erst erkennen ließen, machten mit ihrer ständigen visuellen Reizüberflutung auch diese „Götterdämmerung“ ähnlich wie schon den „Siegfried“ zwei Tage zuvor zu einem Abend, der nahe an der Farce vorbeischrammte. Dazu trugen auch wieder die über Gebühr in der Szene wuselnden über 30 Statisten bei, die sich mehrmals bis auf ihre weiße Unterwäsche entkleiden mussten, aus welchen Gründen auch immer.

 

Der 1. Aufzug begann im großen Foyer der Deutschen Oper. Herheim wollte mit diesem realen Raum eine Ort der Gegenwart wählen, der „sowohl für die gesellschaftliche Institutionalisierung des Mythos als für seine Wandelbarkeit in der Rezeption steht.“ Das Publikum sollte sich hier das Spiel um den „Ring“ zu eigen machen! Damit wollte man, wie Wagner, sich dem Thema der gesellschaftlichen Missstände seiner Zeit annähern. Ob das jeder verstanden hat, ohne sich ins Programmheft zu vertiefen?! Hagen stand in Spießerkleidung schon da und nahm sein Pausenbier - wie seine Betrachter es zwei Stunden später auch machen würden. (Die redeten dann aber sicher über etwas anderes…). Dabei schaute er - unpassend gerade bei d e r Figur, mit Clownsmalereien auf dem Gesicht, denn er ist ja der Sohn Alberichs (Hoihe! Das wissen wir!) - gelangweilt den Nornen zu. Kaum bot Siegfried Gunther die Blutsbrüderschaft an, mussten beide sich schnellstens bis auf die Unterwäsche ausziehen und in Fracks schmeißen, denn man wollte offenbar schon auf dem Brünnhilde-Felsen Eindruck machen… (Dabei hätte man sich ja erst zum 2. Aufzug standesgemäß anzuziehen brauchen). Hagen sang seine Wacht aus der ersten Reihe des Parketts mit Blick zu Alberich auf der Bühne, nicht ganz Corona-sicher. Bei vermeintlich oder tatsächlich wichtigen Momenten ging störenderweise - wie schon an den Vorabenden - immer wieder das Saallicht an, ähnlich schreckhaft wie jenes bei Tristan und Isolde am Ende des 2. Aufzugs. Also der bekannte Wink mit dem Zaunpfahl: Es geht Euch alle an! Wie schon im Foyer zu Beginn, eine gewisse Oberlehrerart. Ich denke, man kann sich auch im Dunkel des „Ring“ seinen Teil denken. Das hat jedenfalls bei vielen bisher immer gut funktioniert. Torge Møller steuerte einige weniger stark als sonst auffallende Videos bei, vor allem auf die unseligen weißen Tücher.

 

Aber sowohl der Musik wie dem Verständnispotenzial des Publikums wird von Herheim nicht allzu sehr vertraut. So muss Siegfried nach Hagens Todesstoß mit Wotans Speeres-Stück hinter der Szene auch noch der Kopf abgeschnitten werden, mit dem Gutrune dann wie Salome entgeistert über die Bühne wandelt. So etwas Geschmackloses und auch Unrichtiges hätte ich mir bis dahin nicht vorstellen können. Die bis zum Abwinken hereinflatternden, -gezogenen und wieder umständlich zu entsorgenden Tücher, unter denen oft alberne Versteckspiele stattfinden, und das nahezu besinnungslose Pseudo-Klavierspiel fast aller Protagonisten, wenn ein anderer, ob Feind oder Freund, singt, mögen zwei weitere Beispiele eines großen Kataloges von teilweise heftig nervenden Entbehrlichkeiten und sinnfreien Aktionen der Spiel-Regie sein. Dazu gehört auch das ständige Nachsehen der Sänger in der jeweiligen Partitur des Abends, wie es denn nun sängerisch weiterginge.

 

Einige wenige starke Bilder, so die Sammlung der Altgermanen auf den Kofferbergen um Alt-Wotan herum, können für das allgemeine szenische und optische Versagen dieser Produktion nicht entschädigen. Während des herrlichen und unmissverständlichen Mutterliebe-Motivs der Sieglinde aus dem 3. Aufzug der „Walküre“ steht am Ende das nun verstaubte Klavier auf der leeren Bühne, und eine Putzfrau zieht mit stoischer Ruhe langsam fegend über diese. Es wirkte wie ein Schlag ins Gesicht angesichts der Musik, die da zu hören ist, aber man konnte es fast erwarten. (Ein ganz alter Hut sind die Putzfrauen im „Ring“ oder generell bei Wagner ohnehin schon seit Jahren). Herheim möchte die werkimmanente Bedeutung des Mutterliebe-Motivs aus der „Walküre“ letztlich offen lassen, „da sich unsere Erlösung nicht in hehrer Kunst auf großer Bühne materialisieren lässt.“ Aber war da nicht ständig die Rede davon, dass Kunst eben alles kann, vieles jedenfalls, was in der Realität nicht möglich ist?! Dann hätte man sich zu den großartigen finalen Takten der „Götterdämmerung“ sicher etwas Inspirierenderes einfallen lassen können als eine über die Bühne wischende und ein altes Klavier abstaubende Putzfrau! Man könnte so etwas auch eine szenische und dramaturgische Bankrotterklärung nennen.

 

Clay Hilley bestätigte seine gute stimmliche Leistung als Siegfried. Er müsste die Rolle aber noch differenzierter spielen und sich auch um eine stärkere vokale Facettierung mit dunklerer Tongebung kümmern, um situationsgerechten Ausdruck besser treffen zu können. Beachtlich sein genüsslich in den Raum geschmettertes Hohes C zu Beginn des 3. Aufzugs! Nina Stemme gab wieder alles als Brünnhilde und überzeugte vor allem mit ihrer klangvollen und ausdrucksstarken Mittellage und ihrer guten Mimik. Die Spitzentöne der 4. Szene des 1. Aufzugs und des 2. Aufzugs wirkten allerdings oft aufgesetzt, leicht schrill. Das wohl brachte ihr am Ende auch einige Buh-Rufe ein. Jordan Shanahan war wieder ein eindrucksvoller Alberich, sowohl darstellerisch als auch vokal. Er war immer wieder auf der Bühne, wenn er dort nicht hingehörte, hätte aber viel besser als die Putzfrau an das Ende gepasst, wie es einst Ulrich Melchinger in Kassel und Harry Kupfer in Bayreuth machten. Albert Pesendorfer sang einen exzellenten Hagen mit profundem und ausdrucksvollem Bass, ein absoluter Kenner der Partie, leider als Clown veralbert! Thomas Lehman war ein als totaler Spießer gestylter Gunther mit gutem Bariton und Aile Asszonyi eine ebenso gute Gutrune. Okka von der Damerau bestach einmal mehr mit ihrer großen Gesangskultur als Waltraute. Ich bin gespannt auf ihre Stuttgarter Brünnhilde, möglicherweise ein Wagnis. Die Nebenrollen waren ebenfalls gut besetzt.

 

Sir Donald Runnicles suchte sich mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin bei diesem „Theaterstück“ musikalisches Gehör zu verschaffen, und das gelang ihm auch weitgehend aufgrund seiner nicht zuletzt mit dem „Ring“ in Bayreuth, den vielen in Berlin und jenem in San Francisco gewonnenen Erfahrung. In einem Gespräch mit Dramaturg Königsdorf meint Runnicles, es sei für ihn „sehr inspirierend, die Regie von Stefan Herheim in ihrem Detailreichtum mitzuerleben - ich sauge das geradezu auf.“ Dann sagt er aber auch, „für mich geht es sozusagen darum, einen organischen Bezug von Ein- und Ausatmen zu erreichen, um eine großräumige Spannung und Sogwirkung stehen zu lassen, die Wagner auf orchestraler Ebene anstrebte.“ Hier scheint mir jedenfalls nicht die allergrößte Kongruenz zu liegen. Man hätte sicher mehr der hörenswerten Einzelheiten und Momente der Wagner-erfahrenen Musiker im Graben genießen können, wäre man nicht dauernd dermaßen von der interpretationsheischenden Hyperaktivität auf der Bühne abgelenkt worden. Dass Gute war jedoch, das man sich bei Runnicles trotz allen Gewusels auf der Bühne musikalisch stets in sicheren Händen fühlen konnte, wie immer in den Berliner „Ring“-Aufführungen. Und das spricht musikalisch sicher für die DOB. Der Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin, einstudiert von Jeremy Bines, sang bei guter choreografischer Intensität stimmstark und mit großer Transparenz der einzelnen Gruppen, war also ein belebendes Kollektiv in der „Götterdämmerung“.

 

Stefan Herheim hat der Landeshauptstadt einen „Ring“ beschert, bei dem einmal wieder Theorie, also ein allzu intellektuell ausgeklügeltes Regiekonzept, mit der Wirklichkeit, also der szenischen und dramaturgischen Umsetzung, auseinanderklaffen. Kann Wagners Tetralogie wirklich im Sinne Herheims als Spiel verstanden und so inszeniert werden?! Dieser „Ring“ ist szenisch überladen, dramaturgisch übertrieben und zeitweise irritierend - und er hört nicht wirklich auf Wagners Musik. Und damit auch nicht auf sein Konzept des Gesamtkunstwerkes. Nach dem Kult-„Tunnel-Ring“ von Götz Friedrich müssen zumindest die DOB-Berliner nun eine Zeitlang mit diesem „Ring“ leben. Möglicherweise sehr lange. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich das entwickelt. „Weißt du, wie das wird?“ fragt bekanntlich die Norn. Ich bin jedenfalls skeptisch. Ich würde sagen, dass die Staatsoper unter den Linden nun den besseren „Ring“-Zyklus hat und frage mich, warum sie nun auch einen neuen - mit übrigens ausschließlich eigenen Sängern - machen will. Klar erscheint mir allerdings schon jetzt zu sein, dass Stefan Herheim mit seiner Unterwäsche-Ästhetik als Intendant des Theaters an der Wien und Regisseur an diesem Hause nicht weit kommen wird…

 

Fotos: Bernd Uhlig/Letztes: K. Billand

 

Klaus Billand/07.12.21

www.klaus-billand.com

 

 

 

Galakonzert für die deutsche AIDS-Stiftung

27.11.2021

 

 

Es sollte so schön werden wie bereits sechsundzwanzigmal zuvor und nur einmal, 2020 wegen Corona, nicht: roter Teppich und Baldachin vor dem Eingang, Treppenhaus und Foyers voller kostbarer Blumengestecke, kleine Orchestergruppen zur Einstimmung spielend, eine Tombola, Herren- und Damenspenden, Champagner-, Bier- und Weinbars an allen Ecken und Enden, ein Galadiner und ein Ball und natürlich ein Konzert mit Sängerstars , Chor und Orchester der Deutschen Oper, alle Mitglieder wie die Zuschauer mit der roten Schleife der Aidshilfe am Revers. Und es wurde schön bei der 27. AIDS-Gala der Deutschen Oper , auch wenn anstelle des roten Teppichs so strenge wie freundlich-fähige Kontrolleure Impfstatus und Personalausweis prüften, nur der Bühnenrand mit Blumen geschmückt war, man sein bescheidenes Glas Wein selbst bezahlen musste und manches Gesicht oberhalb der ausnahmslos gewissenhaft getragenen Masken eigenartig fremd erschien.

Covid-19 hat fast vergessen lassen, dass es nach wie vor eine weitere Bedrohung der Menschheit mit der immer noch unheilbaren, wenn auch behandelbaren AIDS-Krankheit gibt, für die die Einnahmen aus den Eintrittskarten für die Gala bestimmt sind. Daran erinnerten die drei Redner vor Beginn des Konzerts: Intendant Dietmar Schwarz, Der Noch-Regierende Bürgermeister Michael Müller, neuerdings Abgeordneter im Deutschen Bundestag, und das Mitglied des Vorstands der Deutschen AIDS-Stiftung Kristel Degener.

 

 

 

Besonders an zwei von der Stiftung unterstützte Unternehmungen wurde erinnert: das Haus in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg, das Kranke aufnimmt, und die Hilfe für Erkrankte in Südafrika.

Immer wieder gelingt es den Verantwortlichen für das Konzert, hochkarätige Künstler dazu zu bewegen, unentgeltlich in der Deutschen Oper aufzutreten. In diesem Jahr, in dem Reisen nicht ungefährlich ist, waren es vor allem Sänger, die im Monat Dezember, in dem nach langer Ring-Zeit wieder italienische Oper auf dem Programm steht, ohnehin in Berlin weilen. Zu ihnen gehört Alex Esposito, der sich längst vom Leporello zum Filippo im Don Carlo entwickelt hat, auch wenn sein Bassbariton noch kein wirklicher basso profondo sein dürfte. Mit der Arie des Mefistofele aus Boitos gleichnamiger Oper konnte er auch sein komisches Talent zur Geltung bringen einschließlich vorgetäuschter gellender Pfiffe. Ebenfalls in Don Carlo wird Nicole Car als Elisabetta zu erleben sein. In der Gala sang sie eine das Terzett „Soave sia il vento“ aus Così fan tutte dominierende Fiordiligi, deren „Come scoglio“ und war Teil der Barcarole aus Les Contes D’Hoffmann. Der Mozartdame ist sie wohl bereits entwachsen, auf Verdi und Puccini darf man gespannt sein.

 

 

Den beiden Sängern wird sich als Rodrigo im Don Carlo Etienne Dupuis zugesellen, der in der Aids-Gala die zweite Arie des Renato aus Un Ballo in Maschera mit düster-sonorem Bariton eher als Rache-, denn als Arie wehmütiger Erinnerung sang. Nicht in Berlin, aber in Dresden singt Riccardo Massi den Don Carlo, ein attraktiver italienischer Tenor, der an der Deutschen Oper mit seines Namensvetters letzter Arie und dem unvermeidlichen „Nessun dorma“ auf Fermatenseligkeit setzte. Einen eher im Belcanto angesiedelten Tenor präsentierte Edgardo Rocha mit einem emphatischen Gounod-Romeo, einer Zarzuela-Romanze von Pablo Sorozábal und im Sextett aus Lucia di Lammermoor. Erst so richtig auftrumpfen konnte der Mezzosopran Rihab Chaieb mit Dalilas „Mon coeur“. Zahlreicher vertreten waren die Soprane mit Nina Minasyan mit rasanten Koloraturen für Gilda und das Lucia-Sextett anführend, mit Aida Garifullina als mädchenhafte Norma und umwerfend in der Zarzuela, Asmik Grigorian, einen Schritt weiter ins Dramatische gehend, erfreute mit einer reichen Puccinistimme für Manon Lescaut und einer berührenden Rusalka.

 

Der Chor der Deutschen Oper bewies, dass er bereits fleißig Verdis Sizilianische Vesper auf Französisch probt, dem Orchester war das einzige deutsche Stück, das Vorspiel zum 3. Akt zu Lohengrin vorbehalten. Am Dirigentenpult stand die Kanadierin Keri-Lynn Wilson, die nicht nur modisch mit einem Frackkleid mit Cutouts an den Schultern, sondern auch mit einer fürsorglichen, umsichtigen Begleitung für die Sänger auffiel. Die Moderation besorgte wieder Max Raabe, der inzwischen in die Schuhe des unvergessenen Loriot hineingewachsen ist und nur noch selten, so mit einem Amelia mit der Betonung auf „li“ und einer Verortung von „Eri tu“ nach der Schlussarie Riccardos zeigte, dass er nicht ein so großer Opernkenner wie das verehrte Vorbild ist. 

Hoffen wir, dass die 28. Aids-Gala 2022 genauso schön wird, aber unter günstigeren Umständen stattfinden kann.  

 

Fotos Marcus Lieberenez

18.11.2021 Ingrid Wanja

 

            

RHEINGOLD, DIE WALKÜRE, SIEGFRIED

Premieren: 12.6., 27.9. und 12.11.2021
Besuchte Vorstellungen: 16., 17. und 19.11.2021

 

Reden wir zuerst von der Musik – denn es ist zu allererst die Musik, die den Ring bis heute am Leben erhielt. Wenn das Orchester der Deutschen Oper Berlin und sein Leiter Donald Runnicles nach und vor den Anfängen der Walküre-Akte und dann, verstärkt, in den Siegfried-Vorstellungen bejubelt werden, wird klar, auf wessen Seite die größten Sympathien des Publikums liegen, das gerade den zweiten kompletten Ring-Zyklus in der Inszenierung Stefan Herheims besucht. Das musikalische Ensemble produziert ja auch meistens Kostbares. Selten hat man die aufkeimenden und dann aufbrechenden Liebesgefühle Siegmunds und Sieglindes so deliziös vernommen. Gewiss: Es ist keine Kunst, ein Solocello und einige wenige Streicher oder Holzbläser apart spielen zu lassen, aber eine gesamte zweite Hälfte des ersten Walküre-Akts quasi impressionistisch, bei allen Exaltationen zart und luftleicht zu bringen: das ist wirklich eine hohe Kunst. „Rheingold“, so befand 1876 Camille Saint-Saens bei den Bayreuther Festspielen, „ist eine Goldschmiedearbeit“ – in Berlin hören wir eben diese Preziose, ohne das Gefühl zu haben, dass Runnicles und seine Musiker das Drama und das Konversationsstück zugunsten eines akustischen Glasperlenspiels vernachlässigen. Hört man den wunderbaren Iain Paterson im zartesten und intimsten Wotansabschied, den zumindest ich (und vermutlich nicht allein ich) im persönlichen Ring-Leben gehört habe, und lauscht man mit Clay Hilley einem ungewöhnlich sanften und leisen Siegfried in den schönsten Passagen des zweiten Siegfried-Akts, begreift man von Neuem, dass Wagner ein nach wie vor unausgeschrittener Kosmos ist; dass man selbst nach vielen Live-Ringen immer noch „neue“ Passagen hört – hier eine Klarinettenmelodie, dort ein Hornquartett, schließlich ein paar rhythmisch attraktive Bewegungen der Streicher -, zeigt einem, wieso es sich immer lohnt, einen Ring zu besuchen: weil es unmöglich ist, mit einem Mal alle Stimmen, von denen keine eine sog. Nebenstimme ist, zu erfassen. Musikalisch gesehen ist diese zweite Ring-Serie eine große Freude – sehen wir einmal davon ab, dass Nina Stemme mit den beiden ersten Brünnhilden, die ich hören konnte, am insgesamt noblen Ende ihrer Brünnhilden-Laufbahn angekommen ist. Sie bewältigt die Partien, aber sie gestaltet sie mit einer Stimme, die klangfarblich eher für die reifere Siegfried-Brünnhilde als für die junge Walküre geeignet ist. Dagegen überrascht Clay Hilley mit einer Mischung aus heldischer Dramatik, Ausdruckskraft und einem bemerkenswerten Sinn für das doppelte piano. Mit dem jungen Ya-Chung Huang (Jahrgang 1989) steht ihm der perfekte Partner zur Seite. Einen sympathischeren und liebenswürdigeren Mime habe ich in 38 Jahren und 15 Live-Ringen nicht erlebt. Kommt hinzu, dass Huang – wie fast alle Sänger dieser Tetralogie – durchwegs klar artikuliert und damit der Figur eine auch stimmliche Kontur schenkt, die zwischen Wagners radikalen Vokal-Anweisungen und unserem Ideal eines zwar charakteristischen, aber „ausgewogen“ singenden Mime vermittelt. Schade also, dass der kleine Kerl schon im 2. Akt das Zeitliche segnen muss (und, aber dazu später, sich noch kurz vor Schluss ebenso ausziehen muss wie seine bemitleidenswerten Kollegen). Gebührt einem der Solisten der ersten drei Teile die Goldene Palme? Vielleicht müssten sie sich neben Paterson der glänzende Loge Thomas Blondelles – ein agiler Mephisto von Gustav Gründgens‘ Gnaden, eine Stimme von äußerster Klarheit und Prägnanz - und Fricka – die stimmlich dunkelgefärbte und szenisch herausragende Annika Schlicht – teilen. Wie sie die Göttergattin gibt, deren Gefühle in der Walküre zwischen Zorn und Spott changieren, ist schlichtweg grandios. Und gesungen wird, wie gesagt: meist erstklassig; den Fasolt möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich ausnehmen.

 

Der Ring, der - das ist banal, muss aber offensichtlich gelegentlich gesagt werden – muss optisch und szenisch gedeutet werden, um ihn wenigstens in Teilen sichtbar zu machen. Als Götz Friedrich, der Generalintendant der Deutschen Oper, an der er einen Ring mit Kultstatus inszenierte, einmal gefragt wurde, wo der Ring denn eigentlich spiele, gab er die einzige mögliche richtige Antwort: „Auf dem Theater.“ Inzwischen hat sich sein Grundsatz, der beim Publikum der frühen 80er Jahre noch nicht zum Gemeingut gehörte und mit dem man noch heute Opernbesucher überraschen kann, in die Praxis vieler Ring-Inszenierungen geflüchtet. Bei Stefan Herheim wird, das ist nicht neu, Theater auf dem Theater gespielt. Um es geradeheraus zu sagen: das Problem dieses Ring besteht darin, dass Vieles nicht neu ist. Zugegeben: Kein Regisseur kann mit dem Ring das Rad neu erfinden, aber allzuviele Referenzen – seien sie bewusst oder unbewusst – hinterlassen zumindest bei Ring- und Opernkennern den Eindruck, dass das bereits Bekannte zumindest so gut sein sollte, dass sich das wiederholte Zuschauen lohnt. Dass sich aus einem Heer von koffertragenden Statisten (als „Flüchtlinge“) ein paar Gestalten lösen, um den Ring an dem zentralen Objekt aller vier Abende, einem Flügel, beginnen zu lassen und zu spielen, ist zwar, rein theoretisch argumentiert, nicht falsch, indem es den Ring als Geschichte in einem scheinbar ewigen Zeit-Reise-Kontinuum behauptet („dass die von ihrer Vorgeschichte Flüchtenden sich der Musik bemächtigen und ihre Geschichte neu gestalten“, wie Herheim sagte) – aber die Umsetzung wird spätestens dann problematisch, wenn sich die stummen Gestalten immer wieder ins Spiel drängen: in Feinripp-Unterwäsche, am Beginn des Rheingold und am Ende des Siegfried lächerliche Kopulations-Bewegungen (wie gesagt: im Feinripp) ausführend. Ich erinnere an den aktuellen Kasseler Ring und seine Statisten, die Bürger der Stadt Kassel. Alle haben Sex, nur Alberich nicht: die Setzung ist, mit diesem äußerst verbrauchten szenischen und höchst selten gestisch überzeugenden Mittel, eines Herheim nicht würdig. Man könnte lange darüber streiten, ob der ubiquitäre Einsatz eines großen Tuchs, auf dem diverse Lichtspiele projiziert werden, und das zu Walhalls Gebirge wie zu einem Schutztuch werden kann (im Siegfried tanzen sie in der Darstellung Fafners unter den Tüchern wie zu einem Reigen unseliger Geister), schon dadurch legitimiert werden kann, weil es 1. ein Mittel eines „armen“ (dabei technisch aufwendigen) Theaters und 2. ein Zitat jenes „gezogenen Segeltuchs“ ist, das ein Kritiker im Bayreuth des Jahres 1876 bemäkelte. Eine befreundete Opernkennerin fühlte sich an billiges Schultheater erinnert – mit dem Tuch lassen sich allerdings, wovon nicht allein Wotan weiß, in Kürze große Bilder bauen. Richtig groß aber wird es im Siegfried, wenn aus einem der zentralen Bildelemente dieses Ring, den Koffern, ein prachtvolles Koffergebirge erwächst; in der Walküre diente eine prachtvolle, gegossene Kofferkonstruktion als Hundings Hütte. Das Herheim, die Bühnenbildnerin Silke Bauer und die Techniker die Kofferberge zum Tanzen bringen, versteht sich von selbst, der Drache, der immer ein Problem ist, wird im zweiten Siegfried-Akt aus dem Gebirge gebaut, während die Zähne aus riesigen goldglänzenden Schalltrichtern bestehen – so wie das Rheingold die Trompete Alberichs „ist“: das Instrument einer Zirkusgestalt, die sich nach der Zurückweisung und Demütigung durch die aus dem Flüchtlingsvolk auftauchenden Rheintöchter in einen Horrorclown verwandelt.

 

Man sieht: in Herheims Inszenierung geht es bildmäßig nicht um irgendeinen Realismus. Er aber herrscht dort, wo Herheim, dem das Dreamteam seiner einstigen Bühnenbildnerin und Kostümgestalterin abhanden kam, am stärksten ist: in der Darstellung menschlicher Beziehungen. Siegmunds Annäherung an die Schwester, ihr leidenschaftlicher Kuss noch vor Hundings Auftritt, die Auseinandersetzung mit dem Hundingling, also Sieglindes und Hundings behindertem Sohn: diese Szenen gehören zu den Höhepunkten dieser Tetralogie, die immer wieder zu berührenden Momenten findet. War Wagner in Herheims Rigaer Inszenierung des Rheingold noch Alberich und Wotan, so hat er hier die Gestalt Mimes angenommen. Wir sehen tatsächlich, die Maske und der humpelnde Gang machen es möglich, einen Zwerg bei der Werkarbeit – und nicht allein dann, wenn er des Wanderers majestätischen Auftritt herbeidirigiert. Es wird überhaupt viel in Musikproduktion gemacht. Wir kennen das schon aus Herheims Dresdner Manon Lescaut: dass der Meister selbst seine Opernfiguren dirigiert und damit quasi im Moment schöpft. Immer wieder setzen sich die Figuren an den Flügel, um, musikalisch durchaus passend, aber szenisch zunehmend langweilend, die Partner wie in einer Konzertsituation zu begleiten. Dem Spiel im Spiel haftet bei aller Konsequenz dort etwas extrem Künstliches an, wo ansonsten so agiert wird wie in jedem normalen, guten Opern-Theater – dass Siegfried wie ein Heldentenor von Anno Dutt aufzutreten hat, kann mit dem Pasticcio-Charakter dieser Inszenierung erklärt, aber kaum entschuldigt werden. Denn die Peinlichkeit eines wenn auch parodierten „werktreuen“ Theaters ist größer als irgendein szenischer Erkenntniswert.

 

Herheim kommt (auch) vom Puppenspiel, seine Liebe für die großen und kleinen Zauberkünste ist unübersehbar. Am Ende retten sie, wie die Erscheinung der Riesen als wirklich riesige Kofferköpfe und die unmerkliche Umwandlung des lächelnden und weinenden Schild-Gesichts der Brünnhilde, und die Genauigkeit der Menschen-Interpretationen die ersten drei Abende (über die ich hier berichten kann) über manch Primitivität; der Satz „Ich kann kein Feinripp mehr sehen!“ dürfte vielen Zuschauern leicht vom Mund gegangen sein, während er sich auf die nächste Szene freute. In der Ringzeitreise, die Götz Friedrich in einem „Zeittunnel“, der präzisen, gleichfalls auf den Krieg bezogenen Entsprechung für Herheims Kofferberge, spielen ließ, in diesem Durchgang durch Makro- und Mikrogeschichten sind es immer wieder die Begegnungen, die den Rang dieser Arbeit verbürgen: das letzte Treffen Wotans mit Brünnhilde und sein mildmelancholischer Abschiedsgesang, sitzend, die Tochter zu seinen Füßen, die Begegnung Sieglindes mit der Erscheinung ihres toten, von ihr im Liebesrausch getöteten Sohns auf dem Walkürefelsen des dritten Akts, das Duell zwischen Alberich, der sich als „Riesenwurm“ in ein Heer von gespenstisch maskierten Wehrmachtssoldaten verwandelt, mit Loge und Wotan in Nibelheim, die Interaktion zwischen dem Waldvogel, einem Knaben, der sich, als unschuldiges Naturwesen, nach der Ermordung Fafners durch Siegfried vor dem Drachentöter fürchtet, schliesslich Sieglindes traurige Anrede an dem am Klavier sitzenden Wotan: „Kehrte der Vater nun heim…“: diese Szenen werden im Gedächtnis bleiben, wenn das Kopfschütteln und Lachen über die Unterhosenträger (einschließlich Siegmunds und Wotans) längst verweht sind. Natürlich ist es eine reine Geschmacksfrage, ob die Traumerscheinung der toten Eltern im Waldweben als geflügelte Genien (die sich während Siegfrieds schrecklichen Blasversuchen lustig die Ohren zuhalten, was die gefürchtete Szene vor aller Peinlichkeit bewahrt) geschmackvoll oder sog. Kitsch ist – wenn sie als schwarzbeflügelte Engel in der Auseinandersetzung Wotans mit Siegfried als Stellvertreter der Raben fungieren, bekommt die erste, reinweiße Erscheinung einen Hintersinn, dem man sich kaum entziehen kann. Nicht zauberhaft, sondern bewusst nüchtern mutet dagegen Erda an. Als Souffleuse dieses Ring wird sie, man hat das beispielsweise in Weimar gesehen, von Wotan zur ewigen Ruhe gebracht, indem er ihr buchstäblich den Hals umdreht. Brutal, aber die glänzende Judit Kutasi wäre bekanntlich sowieso nicht mehr aus ihrer Versenkung aufgetaucht.

 

Was bleibt sonst noch haften: Freias goldene Apfelbommelbrüste? Der echte Wolf, der wähend des Walküre-Vorspiels über die Bühne streicht? Die Schlüsse, mit denen zum nächsten Werkteil übergeleitet wird: der aus den Tüchern gestaltete Baum, in dem die Zwillingsföten Siegmunds und Sieglindes in der Krone erscheinen, die Geburt Siegfrieds und sein Raub durch Mime am Ende der Walküre (natürlich im Flügel)? Ein Hunding, der zunächst auch konziliante Seiten hat? Das schlagartige Licht, mit dem sich Wotan im Zuschauerraum „das Ende“ herbeiwünscht? Oder die Todverkündigung, die – das macht das allgegenwärtige Tuch – allzu sehr an Chéreaus Interpretation dieser Szene erinnert? Oder der Furor, mit dem immer wieder die Textbücher der Stücke in die Hände genommen werden – dass einige Seiten des Siegfried im Feuer der Schmiede tanzen, hat die reizende Anmutung eines Kindertheaters. Die Auftritte Wotans und Alberichs, mit denen sie die Szene schon zu Beginn des Siegfried umlauern? Das Erwachen Fafners nach seinem Tod (alles nur Theater)? Die szenisch primitive Vergewaltigung der acht Walküren durch die acht toten Krieger? (Ich wiederhole: Auch das ist Herheims unwürdig). Mime am Ende, in dem er sich demaskiert, wobei er leider, wie Wotan in der Walküre, in der Unterhose dasteht, um seine letzten Zeilen zu singen? Als ein „Mensch wie alle“, wie Gurnemanz sagen würde? Oder die an einen KZ-Anzug erinnernde Arbeitskleidung Mimes, womit auf die antisemitisch gemeinten Elemente der Figur hingewiesen wird? Was man als geschmacklos abtun könnte, wenn nicht klar wäre, dass im Durchgang durch den „Ring“, wie ihn Herheim vorgelegt hat, in der Erinnerung an Wagner auch, wenn auch eher zart, die dunklen Seiten des Genies beleuchtet werden. Denn schließlich besitzt Mime ja, wenn nicht alles täuscht, in dieser Deutung viel mehr unsere Zuneigung als unsere Abscheu.

 

So machen am Ende vor allem die Sänger die Abende. Habe ich wen vergessen? Markus Brück spielt, zunächst stimmlich eher klein (er findet sich herein in die Partie) einen intensiven Alberich, Elisabeth Teige eine berührende, stimmlich kostbare Sieglinde, Brandon Jovanovich einen lyrisch wie heldisch höchst nuancierenden Siegmund. Tobias Kehrer ist ein erstrangiger Hunding, der als Fafner seinen Bruder in Sachen Stimmschönheit, dramatischer Präzision und ausgewogener Wucht wesentlich überflügelt.  Derek Welton singt den jungen Wotan ohne Makel, doch wenig beeindruckend. Joel Allisons Donner, Attilio Glasers Froh (ein Figur in weissem Gay-Kostüm) und Flurina Stucki als komische Freia ergänzen das Götterensemble, wobei Glasers Froh sich im schönsten Schöngesang auf die lyrische Brücke begibt. Im Terzettzusammenklang schlichtweg vollkommen: die Woglinde der Valeriia Savinskaia, die Wellgunde der Arianna Manganello und die Flosshilde der Karis Tucker. Nicht zu vergessen: der Knabensopran Sebastian Scherer als Waldvogel, einer Mischung aus Siegfrieds jugendlichem alter ego und einer Seelenerscheinung der Mutter (wie Wagner den Vogel sich vorstellte) und der Hundingling Eric Naumann, der im ersten Walküre-Akt eine Haupt- und im dritten Aufzug eine wichtige Nebenrolle spielt: das schlechte Gewissen Sieglindes, so Herheim, kann sich heute nicht mehr aus einem Ehebruch, sondern muss sich aus einer gravierenderen Tat ergeben: wie der der Tötung des eigenen Kindes. Kein Einspruch, Euer Ehren – es funktioniert ja auch szenisch, weil der „Fremdkörper“ des Sohns, der zunächst den Eindringling töten will und sich dann auf seine Seite schlägt, für eine ganz eigene Spannung sorgt.

 

Und die Walküren? Ich nenne nur eine, stellvertretend: Ulrike Helzel. Wie sie, einst in Bayreuth als Rheintochter, Knappe und Blumenmädchen zu erleben, die Siegrune spielt, zunächst als „normale Frau“, mit einem Lover zugange, der gleich als toter Krieger auftreten wird, und dann singt: dies anzuschauen und zu -hören macht einfach Spaß. So wie vieles in diesem Ring, der, rein szenisch beurteilt, zwischen Banalität und Großartigkeit, Holzhammerpädagogik und genauester Psychologie changiert – so dass man zuletzt wieder von der Musik zu reden beginnt.

 

Frank Piontek, 21.11. 2021

 

 

SIEGFRIED

Ringelreihen der Flüchtlinge

Der neue Ring der Deutschen Oper ist geschmiedet. Mit dem Zweiten Tag der Tetralogie, Siegfried, fand Stefan Herheims Inszenierung ihren Abschluss. Sie bietet die bekannten Bilder der vorangegangenen Teile, die Herheim und seine Bühnenbildnerin Silke Bauer erdachten. Man sieht die hoch getürmte Kofferlandschaft, den Konzertflügel, der sich mehrfach öffnet und schließt, um Personen erscheinen und wieder verschwinden zu lassen, sowie die riesige weiße Stoffbahn, auf welche für Siegfrieds Heldentum die Weltkugel, das Waldweben grüne Blätter und den 3. Aufzug der Feuerzauber projiziert werden (Videos: Torge Møller). Und wie zu erwarten war, sind pünktlich zur Kuss-Szene von Siegfried und Brünnhilde im letzten Aufzug auch die Flüchtlinge wieder zur Stelle. Sie drängen sich dicht um das Paar auf dem Konzertflügel, spenden ihm sogar Beifall und vereinen sich zum Ringelreihen rings um das Instrument. Die Szene wird noch peinlicher, wenn alle in Unterwäsche in unterschiedlichsten Konstellationen und Stellungen kopulieren – ein Paar besonders exponiert auf dem Souffleurkasten an der Rampe. Nach eigener Aussage wollte der Regisseur damit die aktuelle Gender-Debatte bedienen und hat mit dieser lächerlichen Sex-Orgie doch nur für den Tiefpunkt seiner Inszenierung gesorgt.

 

Noch einige andere Inszenierungsdetails sind befremdlich, so wenn im 2. Aufzug beim Waldweben in der projizierten grünen Baumkrone zwei Engel mit riesigen weißen Flügeln aufscheinen, die mit dem Waldvogel sogar zum Standbild einer Pietà vereint und später beim Liebesduett zwischen Siegfried und Brünnhilde zu Todesengeln mit schwarzen Flügeln werden. Irritierend ist der Schluss der Szene zwischen dem Wanderer und Erda, wenn er der Urmutter scheinbar das Genick bricht und diese leblos niedersinkt. Wird schon der Einfall, fast jede Figur auf dem Tasteninstrument spielen zu lassen, zur Manier, ist die Idee, dass Siegfried und Brünnhilde im Finale immer wieder zum Klavierauszug greifen, geradezu unverständlich. Denn es scheint, dass Siegfried sich fast mehr für die Flüchtlinge interessiert, sich zu ihnen gesellt und ihnen die Noten erklärt, damit Brünnhilde immer wieder allein lässt. Das nimmt der Liebesszene des Paares die Dichte, die Spannung und erotische Steigerung.

 

Auch musikalisch gehört das Duett zu den Schwachpunkten der Premiere am 12. 11. 2021. Nina Stemme kann mit dieser Brünnhilde nicht an ihre vorherigen Leistungen anknüpfen. Ihr Sopran tremoliert und lässt schneidend scharfe Spitzentöne hören. Das finale C ist kaum mehr als gesungene Note zu goutieren. Auch Clay Hilley als Titelheld hat hier erstmals konditionelle Probleme. Dabei verfügt sein Siegfried sonst über staunenswerte Kraft, so dass das Schmelz- und Schmiedelied ihre Wirkung nicht verfehlen. Im Angesicht von Brünnhilde ist der Tenor auch zu zärtlich-innigen Tönen fähig. Unterschiedliche Eindrücke hinterlässt der Wanderer von Iain Paterson – oftmals matt und konturlos wie zu Beginn der Szene mit Erda. Seine „Wache, Wala!“-Rufe sind kraftlos und entbehren der göttlichen Autorität. Später weiß er sich zu steigern, wohl auch inspiriert durch die glänzende Leistung von Judit Kutasi, die mit gleichermaßen geheimnisvollen wie orgelnden Tönen aufwartet. Ihr Outfit in Plisseerock, Bluse und Strickweste (Kostüme: Uta Heiseke) zählt zu den optischen Entgleisungen der Produktion. Noch schlimmer trifft es Tobias Kehrer, der dem Fafner zwar profunde Basstöne verleiht, als von Siegfrieds Schwert tödlich Verletzter aber im Fat-Suit und in Feinripp-Unterwäsche aus der Höhle hervorkommen muss und einen entwürdigenden Anblick bietet. Dabei besitzt die Szene anfangs mit dem Aufscheinen zweier Riesenpupillen und einem schuppigen Leib durchaus ihren Effekt.

Die Inszenierung hat ihre stärksten und sogar unterhaltsamsten Momente im 1. Aufzug, denn Ya-Chung Huang ist ein agiler Mime (im grau gestreiften KZ-Hemd und mit Wagners Barett), der sich nach anfänglicher Verhaltenheit auch stimmlich steigert und der Partie die gebührende Charakterschärfe verleiht. Ihm sind einige komödiantische Auftritte zu verdanken, so wenn er zu Siegfrieds Schmiedelied den Takt der Hammerschläge mit dem Löffel auf dem Kochtopf nachahmt. Solide bleibt Jordan Shanahan als Alberich in Clownsmaske, achtenswert ist der Versuch, den Waldvogel mit einem Knaben zu besetzen, wie es Wagner ursprünglich beabsichtigte. Sebastian Scherer von der Chorakademie Dortmund lässt einige staunenswerte Spitzentöne hören, findet aber insgesamt nicht zu einer durchgängigen Gesangslinie.

Mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin hat Donald Runnicles beim Siegfried seinen besten Abend, sorgt für Höhepunkte von dramatischer Spannung wie bei den Liedern des Titelhelden im 1. Aufzug oder dem finalen Duett zwischen ihm und Brünnhilde. Deren Erwachenszene, „Heil dir, Sonne!“, stattet er mit leuchtendem Streicherglanz aus, für das Waldweben findet er mit dem Orchester zu impressionistisch flirrendem Klang. Der Dirigent sah sich am Ende – gemeinsam mit den Sängern – vom Premierenpublikum gefeiert. Das Inszenierungsteam zeigte sich nicht.

 

Bernd Hoppe, 16.11.2021

 

 

 

Neue Szenen V: Scheiterhaufen

Uraufführung am 6.11.2021

Besuchte Vorstellung am 7.11.2021

 

Zum fünften Mal präsentiert die Deutsche Oper Berlin auf ihrer Studiobühne in der früheren Tischlerei des Hauses die Ergebnisse eines Wettbewerbs junger Librettisten und Komponisten, diesmal unter dem Titel „Scheiterhaufen“, und schon jetzt ist der 6. Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem auch der Abgabeschluss für die Partituren bereits feststeht: der 1.11.2022. Aus den eingeschickten Exemplaren werden jeweils die drei Preisträger ausgewählt und ihre Stücke gemeinsam von Deutscher Oper und den Studierenden der Hochschule Hanns Eisler in Berlin in Szene gesetzt.

Im Grußwort, veröffentlicht im Programmheft zu den drei Vorstellungen nach der Uraufführung am 6.11., beschreibt Intendant Dietmar Schwarz die Zielsetzung des Unternehmens, nämlich „Fragen unserer Zeit thematisieren und nach Klangfarben unserer Zeit suchen“. Diese sieht er im „hinterfragen…, inwieweit Opfer-und Täternarrative der frühen Neuzeit heute, im Kontext aktueller Diskussionen zu Rollenzuschreibung, Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen, einer Revision bedürfen“.

 

 

Im sich anschließenden Beitrag von Claus Unzen von der Hochschule Hanns Eisler wird festgestellt, wenn nicht beklagt, dass es nur wenige Uraufführungen im letzten Jahrhundert gab, dass die wenigen neuen Werke kaum nachgespielt werden und das Repertoire der Opernhäuser sich im wesentlichen auf Mozart, Wagner, Verdi und Puccini beschränkt. Für seine Studenten empfindet er es als großen Vorteil, dass sie durch die Chancen, die der Wettbewerb darstellt, darüber hinaus gehen können. Liest man die Ausführungen von Dramaturgen und Regisseuren im Programmheft, dann vermeint man zu erkennen, warum moderne Opern keinen nachhaltigen Erfolg erzielen. Verdi verlangte von seinen Librettisten nicht mehr und nicht weniger, als dass sie ihm „Stoffe voller Leidenschaft“ bereitstellten, was die heutigen Librettisten abliefern sind Fallbeispiele zu soziologischen und psychoanalytischen Abhandlungen, dazu noch Kapitalismuskritik, die Musik muss sich damit zwangsläufig jedem Kulinarischen entziehen, jede Möglichkeit zur Identifizierung ist dem Zuschauer genommen, denn wer will sich schon in Vatermörderinnen, Sex mit Minderjährigen Ausübenden, egal ob homo- oder heterosexuell, oder in sich Häutende hineinversetzen. Womit nichts gegen Vatermörderinnen in der Oper gesagt sein soll, nur sollte es um l’amore, la patria oder sonst etwas Heiliges, ja, auch mal um l’onore, il tradimento oder la vendetta, gehen und nicht um das Betrachten von Pornos. Aber es geht ja auch nicht mehr um prima la musicaprima la parola, sondern um prima l’ideologia.

 

 

Glücklich wer sich vor der Vorstellung über den Inhalt der einzelnen Szenen informiert hatte, denn die Inszenierungen dienten eher der Verschlüsselung als der Erhellung des Geschehens. Immerhin konnte man anhand der quer über die Bühne geklebten Buchstaben, die ein GEILE LESBE bildeten, erkennen, dass es mit Mythos begann, der Text von Dorian Brunz, die Musik von Sara Glojnaric stammend, wofür Nora Krahl den schönen Einfall hatte, daraus das Wort Liebe entstehen zu lassen. Ansonsten ging es mit üblen Pornobildern , die sich mit Griechischem (Priamos und Thisbe) und einem strengen Frauenantlitz abwechselten, wüst her.  Als Mythos, der Titel der Szene, hätte sich eher Sappho angeboten, denn es ging um die Liebe einer Heranwachsenden zu einer noch Minderjährigen im Sommer 87 in der DDR, wozu zu das Orchester unter Christian Schüller mit dem an sich fast traditionell bestückten Orchester mal Lautes mit viel Schlagzeug, mal nur als Hintergrundmusik Vernehmbares beisteuerte.  „Wir wollen kein Mythos werden“, beteuern die beiden Sängerinnen ( Clara Maria Kastenholz und Constanze Jader), die sich auf der Bühne Karin und Hannah nennen, und diese Gefahr dürfte kaum bestehen.

 

 

Das zweite Stück, Haut betitelt, soll, glaubt man der Inhaltsangabe, von einer schönen Frau handeln, die sich häutet und damit ihre Umwelt erschreckt und sich damit außerhalb der Gemeinschaft stellt. Das Libretto stammt von Lea Mantel, Musik von Lorenzo Troiani, aber es ist die Regie von Andrea Tortosa Baquero, die das Interesse der Zuschauer zu erwecken versteht mit einer schönen Choreographie für Sänger und Tänzer in phantasievollen Kostümen. Man kann das Ganze genießen, wenn man daraus verzichtet, einen Sinn darin zu erkennen, warum man tafelt, sich schubst, fällt, wieder aufsteht, begleitet von untermalendem Raunen durch das Orchester, dank Trockeneis wie auch die dritte Szene von Geheimnis umweht, durchgehend aber enttäuschend, wenn man gehofft hatte, junge Stimmen zu hören, die zu allem kompositorischen Übel noch durch Miniports vergrößert wurden. Aus diesem Grund ist es auch unmöglich, ihre Leistung zu beurteilen. Genannt werden soll immerhin die Sängerin der Sie: Sonja Isabel Reuter.

 

 

Schön blasphemisch ist schon der Titel der dritten Szene mit unser Vater/Vater unser, in der ein den Töchtern alle Lustbarkeiten der modernen Welt verweigernder Vater umgebracht wird, selbst die Verwandlung in den alles bereitstellenden Gottseibeiuns rettet ihn nicht vor dem Schuss aus dem Pistol. In der Regie von Ana Cuéllar Velasco gibt es eine ganze Schar von als Bienen verkleideten Töchtern, die emsig Pakete von Amazon umpacken, infernalisch ist die Musik von Sergey Kim, „Ich will frei sein“, lässt das Libretto von Peter Neugschwentner die Damen bekennen, aus deren Schar Felicia Brembeck (Lucinde) und Liudmila Maytak (Samuela !) herausragen.

Ist das die Oper der Zukunft? Nein, bitte nicht! Wann gibt es wieder Tosca von 1969 in der Regie von Boleslav Barlog?   

  

Fotos Eike Walkenhorst

7.11.2021 Ingrid Wanja

 

 

Götterdämmerung

Premiere am 17.10.2021

Orchestraler und vokaler Glanz gegen szenischen Mischmasch

Wie fühlt sich der Besucher von Wagners Götterdämmerung in der Regie von Stefan Herheim, wenn er nach 6 1/2 Stunden das Haus an der Bismarckstraße verlässt? Die Verheißung im Programmheft der Deutschen Oper hatte davon gesprochen, dass wir „durch kollektive Kunsterfahrung zu Göttern werden“, eine Erfahrung, die nicht jedem der Besucher zuteil geworden sein mag, eher die der Erschöpfung . Die Wagner-Götter glänzen ja bekanntlich in der Götterdämmerung durch Abwesenheit, in der alten Götz-Friedrich-Inszenierung sah man sie im brennenden Walhalla verglühen, nun sind sie überaus und in großer Zahl einschließlich aller Walküren präsent, teilen mit den Flüchtlingen aus Rheingold und Walküre die Liebe zu Schiesser-Feinripp (Kostüme Uta Heiseke) , und noch immer oder wieder  füllen Berge von Hunderten von Fluchtkoffern die Bühne, obwohl die Flüchtlinge, wenn nicht gerade zu Göttern, dann doch zu Besuchern der Deutschen Oper mutiert sind, die im auf die Bühne versetzten Parkettfoyer samt seinem Mobile, dieses allerdings außer Funktion, mit Sektgläsern in der Hand flanieren.

 

 

Und dank der Regie haben sich auch die Chordamen, allerdings stumm bleibend, die Götterdämmerung erobert. Das Gebäude scheint eine große Anziehungskraft und Nachahmungssucht auf Regisseure und ihre Bühnenbildner auszuüben, denn im „Rigoletto“ sah sich der Besucher des 1. Rangs seinem Spiegelbild auf der Bühne gegenüber, und in „Aida“ wurde gar der gesamte Zuschauerraum bespielt, und der arglose Besucher staunte, wenn sein Nachbar plötzlich zu singen anfing.

Nicht nur was die Anwesenheit von Damen abgesehen von den von Wagner konzipierten betrifft, ist Herheim schöpferisch tätig geworden, auch in der Behauptung, Hagen würde zu seinen Untaten nicht von Alberich, sondern von Wotan, der auch mal am viel, so als Scheiterhaufen, beanspruchten Flügel sitzen und wie die anderen in die Tasten hauen darf. Ähnlich vielseitig ist der Einsatz von riesigen weißen Tüchern, natürlich als Brautschleier, Leichentuch, Betttuch, Zudecke, Fanggerät und des Rheines Fluten. Sehr oft hat man den Eindruck, die Inszenierung erstarre in der Ausstellung des Dekorativen (Mitbühnenbildnerin Silke Bauer) , statt dass Interaktion zwischen den Figuren stattfindet.

 

 

Und wenn Alberich, Siegfried und Gunther mit Clownsmasken auftreten ( Gunther auch bei der Überwältigung Brünnhildes dabei ist   und die Nacht mit ihr verbringt, dann fragt man sich, wie der Verdacht aufkommen kann, Siegfried habe nicht Nothung zwischen sich und die Braut des Blutsbruders  gelegt), dann reiht sich eine Ungereimtheit an die andere. Es gibt viele Gründe, warum man nach wie vor dem Friedrich-Ring nachtrauern muss und einer davon ist die Gestaltung der Szene mit dem Vergessenstrunk. Während im alten Ring eine wundersame Verwandlung Siegfrieds ins Wesenlose stattfand, stürzt er sich nun auf Gutrune, um ihr sofort an die Wäsche zu gehen. Viele alte Regiehüte werden noch einmal ausgekramt, so die Lichtkegel ins Publikum, das Abgehen des Chors, der, was die Damen betrifft, keiner ist, durch die Saaltüren, die Benutzung der Rampen seitlich über dem Orchestergraben für Aktionen, das Platzieren eines Solisten unter den Zuschauern, alles schon gehabt und nie für gut befunden. Und wenn Hagen Siegfried nicht nur ersticht, sondern ihm auch noch den Kopf abschlägt, dann setzt es doch sehr in Erstaunen, dass der abgeschlagene Kopf eine andere Frisur hat als der kurz zuvor noch auf dem Rumpf befindliche, ganz abgesehen von Assoziationen mit Salome, wenn die Damen sich des Hauptes annehmen.

 

 

Den Anspruch, den der Text im Programmheft erhebt, löst die Aufführung nicht ein, die am besten gelingt, wenn all der erwähnte Schnickschnack entfällt wie in der Szene mit Waltraute oder der mit den Rheintöchtern. 

Keine bessere Brünnhilde als die von Nina Stemme kann sich ein Haus wünschen, und auch an diesem Abend erfüllte sie alle hochgespannten Erwartungen mit einem dunkel strahlenden, unermüdlichen Sopran der unangefochtenen Höhensicherheit und mit einer der Wotanstochter würdigen Darstellung trotz des schlichten Flatterhemdchens, das ihr für den gesamten Abend verordnet worden war. Fast zu einer Karikatur hatten Regie und Kostümierung den Siegfried von Clay Hilley gemacht, von Kopf bis Fuß oder Flügelhelm bis Wadenbändern das Klischee eines germanischen Helden erfüllend, dann aber auch im Frack und, angesichts der Körperfülle des Sängers grenzwertig, ebenfalls in Schiesser-, ja Feinripp. Voll entschädigen für die verstörende Optik konnte der Sänger mit einem nimmermüden, nie matt werdendem Heldentenor, der sich unterschiedslos großzügig nie verausgabte, so aber auch zu keiner Steigerung mehr für Brünnhilde, die heilige Braut fähig war, sondern sein bemerkenswertes Stimmmaterial unterschiedslos verschwendete. Im Gegensatz dazu ließ der Hagen von Gidon Saks, als indisponiert angesagt, nur einen Schatten von Bassgewalt vernehmen, brüchig und unausgeglichen und auch optisch nicht die Erfüllung. Mit einem sonoren Bariton und mit der besten Diktion des Abends erfreuend, war Thomas Lehman ein vorzüglicher Gunther, Aile Asszonyi gab das Dummchen von Gutrune mit schönem lyrischem Sopran.

 

 

Jürgen Linns Bariton war fast zu klangvoll für den bösen Alberich, für den eigentlich Markus Brück vorgesehen war. Okka von der Damerau glänzte durch eine eindringliche, klangvolle Bittstellerin Waltraute und konnte bereits in der ersten Pause den jubelnden Beifall des Publikums entgegennehmen. Schöne junge Stimmen aus dem Ensemble konnte die Deutsche Oper für Rheintöchter ( Meechot Marrero, Karis Tucker, Anna Lapkovskaja) und Nornen ( Anna Lapkovskaja, Karis Tucker, Aile Asszonyi) aufbieten. Der Herrenchor ließ sich durch die Anwesenheit der Damen nicht irritieren, sondern ließ die Mannen so machtvoll wie kultiviert schmettern (Jeremy Bines) . Im schimmernden, glanzvollen Orchesterklang, der den Hörer in den ersten Momenten, da nach langer Zeit mit coronabedingter Zimmerlautstärke entwöhnt, fast erschlug, konnte man genussvoll baden, ohne zu überhören, wie fein und nuancenreich im Orchestergraben ausgelotet wurde, was auf der Bühne oft in allgemeiner Betriebsamkeit unterging. Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles hat aus seinem Klangkörper ein wunderbares Wagnerorchester gemacht.  

Der noch fehlende Siegfried wird im Rahmen mehrerer Ringzyklen im November und Dezember nachgeholt.   

 

Fotos Bernd Uhlig

18.10.2021    Ingrid Wanja

 

 

Britten

War Requiem

Einmalige Aufführung am 10.9.2021

 

Kein Zufall sollte es sein, dass der Beitrag der Deutschen Oper Berlin innerhalb der Berliner Festspiele genau auf den Vorabend des 20. Jahrestages der Terroranschläge am 11.9. 2001 gefallen ist, denn welches Musikstück drückt besser als Benjamin Brittens War Requiem den Zustand zwischen wenn auch säkularisierter Glaubensgewissheit und Zweifel aus, in dem sich die westliche Welt seitdem befindet. Und wenn am Schluss des Requiems, das zur Einweihung der wiederaufgebauten Kathedrale von Coventry 1962 uraufgeführt wurde, die bisherigen Feinde in einem Duett ihre Stimmen miteinander vereinen, dann dürfte der Zweifel vorherrschen, dass jemals eine Versöhnung und Verständigung zwischen den heute sich feindselig gegenüberstehenden Lagern möglich sein wird. Ein Requiem, in dem ein amerikanischer Tenor und ein islamistischer Bariton ihre Stimmen miteinander vereinen wie bei der Uraufführung Peter Pears und Dietrich Fischer-Dieskau, dürfte es wohl nie geben, eine Einsicht, die ihren Schatten auch auf den wunderbaren Abend in der Berliner Philharmonie wirft. So dürfte der Vorspruch des Dichters Wilfred Owens zu seinen Gedichten, die von Britten mit der lateinischen Liturgie verflochten wurden, zur traurigen Gewissheit werden: Der Dichter kann nichts ändern, er kann nur warnen.

 

 

Das ändert natürlich nichts daran, dass dem die Philharmonie fast bis auf den letzten Platz füllenden Publikum ein erlesener Kunstgenuss geboten wurde, schließlich ist der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper, Sir Donald Runnicles, der wohl beste Kenner und zugleich auch Anwalt des britischen Komponisten, und es ist kein Zufall, dass auf dem Spielplan des Hauses Billy Budd, Ein Sommernachtstraum (gerade wieder zu erleben), Der Tod in Venedig und Peter Grimes stehen. War Fischer-Dieskau nach eigener Aussage „innerlich völlig aufgelöst“ nach der Aufführung des Requiems, so verhalf der Dirigent dem Werk zu langen Augenblicken der absoluten Stille, indem er die Arme nach dem Verklingen des letzten Tons gar nichtmehr sinken lassen wollte. Danach aber entlud sich die Begeisterung des Publikums in schier endlosem Applaus für eine Aufführung, an der Chor und Kinderchor, großes Orchester wie Kammerorchester und die drei Gesangssolisten gleichermaßen ihren Anteil hatten.

 

D

er Sopran von Flurina Stucki, die am Haus bereits u.a. Konstanze und Erste Dame sang, klang frisch, rund und wunderschön aufblühend in der Höhe für die liturgischen Teile bis hin zum und einschließlich des Libera me. Tenor Matthew Newlin Hatte die Peter-Pears-Partie übernommen und erfüllte sie mit einer schlanken, klaren, eindringlich beschwörenden Stimme. Bariton Markus Brück glänzte wie gewohnt durch ein besonders schönes Timbre, durch eine hervorragende Diktion, durch Facettenreichtum und Eindringlichkeit. Der Kinderchor (kein Knabenchor) unter Christian Lindhorst hatte sogar eine Art Choreographie einstudiert, wahrscheinlich weil seine Mitglieder nicht geimpft sein konnten, hielt aber stets eine räumliche Trennung der einzelnen Mitglieder ein und sang ein besonders eindringliches Domine. Der Chor der Deutschen Oper unter Jeremy Bines machte auch an diesem Abend seinem Ruf alle Ehre, so durch ein wunderbares Crescendo im Sanctus, mit einer Steigerung ins fast Unerträgliche im Libera me. Extrem weit war die die Spanne, die das Orchester zwischen dem filigranhaften Zusammenspiel mit dem Bariton und dem gewaltigen Einsatz von Bläser und Schlagzeug im Dies irae durchmaß, das Engagement seines Dirigenten für das Werk hatte sich hörbar auf das Orchester übertragen und beflügelte es zu einer mitreißenden Aufführung. So ging der Besucher tief aufgewühlt und beglückt zugleich, aber nicht wie der Konzertgänger des Jahres 1962 in der freudigen Hoffnung auf Versöhnung in die Berliner Nacht hinaus.   

 

11.9.2021    Ingrid Wanja   

Bilder (c) Marcus Lieberenz      

 

 

Das Rheingold

Premiere am 12.6.2021

Optisches Kunterbunt zu akustischer Wagnerfeier

Ungemein motivierend muss für alle an der Produktion Mitwirkenden die Probenarbeit Stefan Herheims an Wagners Rheingold gewesen sein, sollte er auch ihnen seine Sicht auf Welt und insbesondere Oper mitgeteilt haben, die er auf einer der Premiere vorangehenden Pressekonferenz geäußert haben soll: Es gehe um nichts Geringeres und Betrüblicheres als die Totenfeier für die Gattung Oper. Das beflügelt doch die Schaffenskraft und –freude ungemein, lässt aber umso mehr in Staunen geraten, wenn man auf der Bühne nicht allüberall Särge, sondern Fluchtkoffer sieht, diese doch nun zum unsäglich großen Überdruss immer wieder von Renaissanceoper bis modernem Musikdrama missbrauchten Gebrauchsgegenstände, die neben dem Flügel, der bereits Hundings Hütte zierte, die Bühne beherrschen.

 

 

Herheims Ring ging an der Deutschen Oper der von Götz Friedrich voraus, und auch in ihm traten Menschen unserer Zeit auf und zwar, als Walhall in Flammen aufgeht und eine schüchterne Schar sich am Bühnenrand drängte, voller Furcht, aber auch sichtbar von Hoffnung auf einen Neuanfang beseelt. Einer durch die Musik gerechtfertigten Hoffnung, da die zum Menschsein verurteilte Walküre durch die Rückgabe des Rings an den Rhein den Zustand der ursprünglichen Harmonie wieder hergestellt hatte. Herheim entzieht sich dem Drama um Götter, Halbgötter und Fabelwesen, indem er aus dem Weltendrama ein gesellschaftskritisches Stück macht mit den Göttern als Aristokraten, den Riesen als Bürgertum und den Nibelungen als Proletariat. Platter geht’s nimmer! Die Existenz des Flügels auf der Bühne rechtfertigt die Regie mit den schönen Worten, er sei das „musikalisch-optische Tor zur Phantasie“, da er beim Schaffensprozess präsent gewesen sei. Da dürfte wohl kaum eine Operninszenierung mehr ohne denselben auskommen. Ein weiteres Moment der Inszenierung sind Utensilien wie die Mephistomaske von Gustav Gründgens für Loge oder der Hitlergruß deutscher Soldaten (=gleich Nibelungen, aber in der Wehrmacht erst nach dem 20.7.44 Pflicht) von der Regie damit begründet, dass die Berliner Oper viel Wagner, so auch in der Nazizeit gespielt habe. Dabei wird übersehen, dass die Städtische Oper, die Vorgängerin der Deutschen, eine Gründung der Charlottenburger Bürger als Gegenstück zur Residenzoper, der Staatsoper, war.

 

 

Einmal mehr wird hier ein Weltbild nicht aus den Tatsachen heraus entwickelt, sondern eine individuelle Sicht der Dinge den Tatsachen übergestülpt.

Ist die Inszenierung als Totenfeier für die Gattung Oper gedacht, dann hat diese wenigstens einmal mehr vielen Menschen einen Arbeitsplatz verschafft, eben den bereits erwähnten Kofferträgern, die sich schnell nicht nur derselben, sondern auch ihrer Kleidung bis auf die Unterwäsche, natürlich Schiesser-Feinripp (später auch Wotans Lieblingsmarke, Kostüme Uta Heisecke), entledigen und mit oder ohne Rheintöchter und ohne Rücksicht auf das Geschlecht sich allerlei sexuellen Vergnügungen hingeben. Sind diese ca. 30 Statisten mal nicht auf der Bühne, weil sie auch nicht für die Bewegung unendlicher Stoffbahnen Bühne neben Herheim Silke Bauer) benötigt werden, dann können sehr packende Szenen entstehen, denn der Regisseur versteht etwas von Personenregie und provoziert die Sänger zu darstellerischen Höchstleistungen, auch wenn diese nicht immer goutiert werden können, so wenn Freia, zunächst ein hirnloses Dummchen, später, durch die Liebe Fasolts erweckt, zur hingebungsvollen Geliebten wird. Insgesamt sind die Götter rechte Deppen, und was bei Wagner noch leichte Ironie ist, so die Eifersucht Frickas, wird in der Herheim-Produktion zur schonungslosen Satire. Wenig nachvollziehbar ist, dass Alberich einer der Flüchtlinge bzw. Kofferträger, das Rheingold sein Blasinstrument ist- wozu dieses dann noch rauben? Die Regie verstrickt sich in viele Widersprüche und Ungereimtheiten, deren letzte der der Zwillinge im Uterus von Erda ist, die bekanntlich Mutter der Walküren, aber nicht von Siegmund und Sieglinde ist. Da hat sich Wotan wohl im Souffleurkasten, in den er zu einem Schäferstündchen mit Erda gestiegen ist, anstatt mit Fricka nach Walhalla zu wallen, vertan.

 

 

Hervorragend und damit den Rezensenten versöhnlich stimmend, sind die meisten Sängerleistungen und zu recht erscheinen zuerst einmal Wotan, Alberich und Loge zum Schlussapplaus vor dem Vorhang. Derek Walton ist ein sehr jugendlicher Göttervater, attraktiv auch im Schiesser-Slip, mit farbigem, angenehm timbriertem Bassbariton und lobenswerter Textverständlichkeit. Für Markus Brück hätte man sich gewünscht, dass er seinen so wunderschönen Bariton am Vorabend hätte dem Rodrigo angedeihen lassen können. Als Alberich begann er verhalten, verhalf der Boshaftigkeit des Nibelungen durch Timbreverfärbungen Gehör und konnte voll überzeugen mit der Verfluchung der Liebe wie der des Ringes, machte aus dem Nachtalben eine tragische Figur. Kaum eine Wagnerpartie ist dankbarer als die des Loge. Thomas Blondelle, gerade erst an der Komischen Oper der Zigeunerbaron, zog alle Register eines alle Qualitäten eines lyrischen wie eines Charaktertenors besitzenden Sängers und dazu eines großen darstellerischen Talents, das durch die Regie häufig in Puck-Nähe gerückt wurde. Grosssprecherische Tölpelhaftigkeit bzw. eitles Schönlingsgetue kennzeichnen Donner und Froh. Die Sänger Thomas Lehman und Matthew Newlin mussten dies in überzogener Form darstellen, waren vokal sehr ordentlich. Als Richard-Wagner-Karikatur mit entsprechendem Barrett, in KZ-Jacke, dazu mit einem durchdringenden Charaktertenor begabt, war Ya-Chung Huang ein hervorragender Mime. Denkt man an „Siegfried“, dürfte ein Protest gegen diese Sicht angesagt sein. Andrew Harris und Tobias Kehrer verkörperten Fasolt und Fafner, beide mit markanten Bässen begabt. Annika Schlicht hatte für Fricka das Königinnenmuttergehabe in der Darstellung und ließ einen wunderschön ebenmäßigen Mezzosopran strömen. So blond wie ihre Perücke war der Sopran, den Jacquelyn Stucker für eine Freia einsetzte, die die jugendspendenden Äpfel als ihre Brüste vor sich hertrug. Kein Wunder, dass die Kerle andauernd danach grapschten. Judit Kutasi, die bereits am Abend zuvor als Eboli triumphiert hatte, war die warmstimmigste Erda, die man sich denken kann. Harmonisch fügten sich die Stimmen der drei Rheintöchter Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker zueinander.

Hätte man sich als Rezensent die Erlaubnis gegeben, mit geschlossenen Augen die Vorstellung zu verfolgen, dann hätte man höchstes Rheingold-Glück genießen können, denn auch das Orchester unter Donald Runnicles war in Hochform, zeichnete feinste Stimmungen und erfüllte das Herz mit Andacht, akustisch war das keine Totenfeier für die Oper, sondern ein Wiederauferstehungsfest.

 

Fotos Bernd Uhlig

13.6.2021 Ingrid Wanja

 

The Best of Don Carlo

1.Vorstellung am 11.6.2021

Endlich wieder Oper live

 

„Warum machen die das nicht immer so“, konnte man nach The Best of Don Carlo aus dem Kreis der Zuschauer in der Deutschen Oper hören, und tatsächlich war man selten so ergriffen und begeistert nach einer Aufführung der Verdi-Oper gewesen. Zwar fehlten Abschied von der d‘Aremberg, Parkszene, Autodafè und der Auftritt des Großinquisitors, und schade war es, dass das Schlussduett Carlo-Elisabetta arg beschnitten worden war, aber dafür blieb man von Regieuntaten verschont, obwohl die Carlo-Produktion noch zu den besseren der letzten Jahre gehört. Gerlinde Pelkowski, die Erfahrene, hatte sich einiger Utensilien wie des die Farbe wechselnden Kreuzes bedient, einiger Regieeinfälle wie den der Königin im Bett Filippos oder der ständig spionierenden Inquisitionsspione, und ansonsten alles so arrangiert, dass die Sänger alle Möglichkeiten hatten, sich in das beste Licht zu setzen, und in keiner Weise daran gehindert wurden, sängerisch das Bestmögliche zu bieten. Und dass dieses auf allerhöchstem Niveau war, dafür hatte das Besetzungsbüro gesorgt, auch dafür, dass zwei ehemalige Ensemblemitglieder als inzwischen international gefragte Stars an die Deutsche Oper zurückkehrten.

Als weniger geglückt muss man den Auftritt von Ulrich Matthes als Moderator ansehen, der unter Verwendung vieler Ähs zunächst von seiner Beziehung zu Schillers Don Carlos berichtete, um danach jeweils, und das nicht einmal fehlerfrei, den Inhalt der seinen Auftritten folgenden Szenen zu erzählen, statt dem Publikum zu vermitteln, was zwischen diesen gestrichen worden war.

 

 

Vor dem im Hintergrund der Bühne postierten Orchester spielte sich in annähernd historischen Kostümen das Geschehen ab, mit ein paar Bänken, einer Art Katafalk und ansonsten viel Bewegungsspielraum. Generalmusikdirektor Donald Runnicles hatte es sich, obwohl am Tag darauf auch für die Rheingoldpremiere verantwortlich, nicht nehmen lassen, das Orchester an dieser ersten Vorstellung nach vielen Monaten der Spielpause zu dirigieren.

Einmal wieder an den Ort seiner Anfänge als Sänger zurückgekehrt war Yosep Kang, optisch ein idealer Carlo und inzwischen vokal mit metallischem Tenor, beachtlichem Squillo und ebenmäßiger Stimmfarbe ein echter tenore lirico spinto, dem man schon bald auch noch dramatischere Partien zutrauen könnte. Besonders erfreulich ist auch seine bei asiatischen Sängern nicht häufig zu findende Bereitschaft zu agogikreichem Singen. Ein zweiter Rückkehrer war an diesem Abend Ante Jerkunica als Filippo mit zugleich schlankem und dabei ungemein farbigem Bass und großer vokaler wie darstellerischer Intensität. Kein sonnendurchglühtes Timbre, aber eine spürbare Identifizierung mit der Partie des Rodrigo ließen Bogdan Baciu zu einer weiteren Säule der Aufführung werden und zum Garanten dafür, dass die Szene zwischen ihm und dem König zu einem der Höhepunkte des Abends wurde.

 

 

Einen Sopran voll dunkler Glut, die auch in der Höhe nicht abhanden kam, ließ Dinara Alieva für die Elisabetta leuchten, war dazu eine äußerst anmutige Erscheinung. Flirrende Sinnlichkeit zeichnete den farbigen Mezzosopran von Judit Kutasi aus, leider verlor er in der Extremhöhe etwas an Farbe. Ihr Don fatale war einfach eine Wucht, der Canzone di Velo schien sie eher bereits entwachsen. Kurze Auftritte hatten Patrick Guetti als Gran Inquisitore, Byung Gil Kim als Monaco und Meechot Marrero als Tebaldo. Eine schöne Ausgewogenheit zwischen Solisten und Orchester war wohl nicht zuletzt der Positionierung beider auf der Bühne geschuldet, es fehlte nur noch der Chor, um das Opernglück vollkommen zu machen. Am 13.6. gibt es die Produktion nachmittags noch einmal zu erleben.

 

Bilder (c) Marcus Lieberenz

 

 

12.6.2021

Ingrid Wanja 

 

FRANCESCA DA RIMINI

Kühle Optik zu heißer Musik

Googelt man nach den Begriffen Berlin und Zandonai, dann erfährt man über mehrere Seiten hinweg viel über eine Bäckerei eines gewissen Andreas Zandonai in der deutschen Hauptstadt, die sich eines hervorragenden Rufs zu erfreuen scheint, nichts jedoch über Aufführungen einer der Opern des italienischen Komponisten Riccardo gleichen Namens. Zumindest nach dem Krieg ist wohl auch seine bekannteste Oper Francesca da Rimini hier nicht mehr aufgeführt worden, und noch in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts erntete man in der Chefetage der Deutschen Oper Berlin nur ein so verlegenes wie mitleidiges Lächeln, wenn man nach diesem Werk oder nach Cileas Adriana Lecouvreur fragte. Inzwischen ist dank der Wünsche der Diven Angela Gheorghiu und Anna Netrebko die Adriana bereits zweimal, wenn auch nur und wahrscheinlich zum Glück konzertant aufgeführt worden, und nun endlich kommt dank des Bestrebens von Regisseur Christof Loy, selbstbewusste, ihrem Schicksal trotzig die Stirn bietende Frauen auf die Bühne zu stellen, auch Francesca auf die der Deutschen Oper. Die erste dieser Damen war die Heliane Korngolds, der Francesca soll in Bälde die Els Schrekers aus seinem Schatzgräber folgen. In Italien übrigens brach die Aufführungstradition nie ab, Magda Olivero war eine raffinierte Francesca, Raina Kabaivanska mit den Partnern Franco Tagliavini oder William Matteuzzi eine würdige Nachfolgerin, mit Daniela Dessì und Fabio Armiliato gibt es aus Macerata und Rom eine Aufnahme in üppigster Ausstattung. Auch die Met verfügte mit Renata Scotto und Placido Domingo über ein attraktives Liebespaar.

 

Der erste und berühmteste Hinweis auf das Schicksal Francescas stammt aus Dantes Göttlicher Komödie, in der die Tochter aus der Familie Polenta in Ravenna, bei deren Neffen der Dichter zu Gast war, als unseliger Schatten an der Seite ihres Geliebten Paolo in der Hölle schmachtet, ihn beschuldigt, sie durch die Lektüre der Sage von Lancelot und Ginevra zum Ehebruch verführt zu haben. Erst Boccaccio macht Francesca in seinen Esposizioni sopra la Commedia di Dante zur Heldin, unschuldig und willensstark, durch einen Betrug des eigenen Bruders in eine ungeliebte Ehe gezwungen und sich opferbereit vor den Geliebten werfend, als der Gatte den Ehebruch rächen will. Gabriele d’Annunzio, der mit seinem Versroman die Vorlage für Tito Ricordi, den Librettisten Zandonais, schuf, schmückte die Geschichte weiter aus, bezog Tristan und Isolde mit ein und war nicht der einzige, denn neben vielen anderen nahmen sich John Keats, Paul Heyse, Ernst von Wildenbruch der Geschichte an, die unter anderen von Mercadante, Liszt, Tschaikowski, Thomas und Rachmaninow vertont wurde.

 

Die Freude an Schönheit und Üppigkeit des Rinascimento kennzeichnete die oben erwähnten Produktionen, Anklänge an das Vittoriale D’Annunzios am Gardasee manchmal erahnbar. Christoph Loy und sein Bühnenbildner Johannes Leiacker verirren sich zwar nicht in Hässlichkeit und Dürftigkeit, verschonen den Zuschauer mit Videosequenzen und schriftlichen Bekundungen ihres politischen Standpunkts. Ihre Optik ist schön und elegant, aber so kalt, dass sie als Gegensatz zur leidenschaftlichen Handlung und Musik erfahren wird.  Letztere findet in Carlo Rizzi einen kompetenten Anwalt, das Orchester der Deutschen Oper zeigt sich an diesem Abend in Hochform. Für die Deutsche Oper ist wieder wie schon bei der Heliane ein hoher kühler Raum mit wenig Mobiliar, aber Zimmerpalmen entstanden, ein Einheitsbühnenbild für Ravenna und Rimini, für Turm und Schlafgemach. Man sieht auf eine Gebirgslandschaft, die nichts mit Ravenna und nichts mit dem angeblich sichtbaren Meer zu tun hat. Die Kostüme von Klaus Bruns passen in das frühe 20. Jahrhundert, nur in der letzten Szene taucht noch einmal der Sänger aus dem ersten Akt als Statist in Renaissancegewandung auf. Ansonsten gibt es Schuluniformen oder Blümchenkleider für die Gespielinnen Francescas, für sie selbst durchgehend elegantes Schwarz.

 

Trotz der Zeitversetzung und der damit verbundenen Unwahrscheinlichkeiten  ist die Welt für den Opernfreund bis zum vorletzten Bild durchaus noch in Ordnung. Doch dann kommt es gleich ganz dicke , wenn Francesca mit Maletestino eine dolle Nummer abzieht, in dieser Szene kippt der Abend , und der Zuschauer denkt: Zu Recht schmorst du in der Hölle. Aber auch zu Beginn kam man schon schnell zur Sache, wenn sich die beiden Liebenden bereits im ersten Akt leidenschaftlich küssen und damit dem 3. Akt viel an Brisanz nehmen. Ein toller Gag ist der schnelle Wechsel der Bräutigame, denn husch husch ist Paolo il Bello verschwunden vom Tisch, an dem der Ehevertrag unterzeichnet wird, und sein älterer, eigentlich gar nicht so übel aussehender Bruder hat seinen Platz eingenommen. So kann man ohne Unterbrechung in den zweiten Akt überwechseln.

 

Die überaus anspruchsvolle Partie der Francesca war bei Sara Jakubiak in den besten Händen, hingebungsvoll gespielt, und auf den besten Stimmbändern platziert, die schöne, weiche Töne im 3. Akt hören ließen, der schillernden Partie besonders in der Mittellage gerecht wurden, sicher , wenn auch ein wenig anonym in der Höhe im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen. Ein wirklich zu Recht il Bello genannter Paolo war Jonathan Tetelman mit angenehmem Timbre, nie ermüdend und ein wunderschönes „Francesca“ zum Schluss des dritten Akts singend.

Beinahe sympathisch erschien der ehrlich liebende Gianciotto von Ivan  Inverardi, in seiner Verzweiflung über den doppelten Verrat fast bemitleidenswert werdend und zudem mit einem gar nicht brunnenvergiftenden, sondern schönen Bariton begabt. Charles Workman gab mit durchdringendem Charaktertenor den intriganten Malatestino. Mit guter Diktion sang Samuel Dale Johnson den Bruder Francescas, eine schöne Stimme stellte Dean Murphy mit dem Narren vor. Ganz vorzüglich waren die vielen Frauenrollen besetzt. Besonders Meechot Marrero als anrührende Biancofiore, Amira Elmadfa als Smaragdi mit warmer Mezzostimme und Barbara Hutton als Samaritana mit weich fließendem lyrischem Sopran konnten sich profilieren. Da ihre Rolle sich auf den ersten Akt beschränkte, durfte Letztere die Zuschauer in der Pause durch das Opernhaus führen.

 

Mit dieser Produktion ist der Deutschen Oper ein wahrer Coup gelungen, repertoirefähig und eine echte Bereicherung für das Berliner Opernleben. Am 14.3. war sie als Stream zu erleben und wird es weiterhin, bald aber nicht mehr ohne Bezahlung sein. Ab Anfang April hofft man wieder das Publikum im Haus an der Bismarckstraße begrüßen zu können.

 

Fotos Monika Rittershaus

 

14.3.2021  Ingrid Wanja

 

 

LIEBLINGSSTÜCKE LIVE I

Hunger nach Klassik

Wie groß das Verlangen nach Live-Kultur ist, zeigte auch die Wiederholung von Lieblingsstücke Live I am 24.10., denn die Deutsche Oper war, natürlich im Rahmen von Corona-Vorsichtsmaßnahmen, wieder so gut wie ausverkauft. Im Vergleich zu Lieblingsstücke Live II war das Programm noch interessanter, da es auch weniger bekannte Musik bot, so eine Arie des Massimiliano aus Verdis I Masnadieri (nach Schillers Räubern) von Giuseppe Verdi, die der Bass Patrick Guetti nach humorvoller Eigen-Moderation mit gewaltigem Material, das noch ein wenig des Feinschliffs bedarf, zum Besten gab. Später ließ er als nicht nur stimmmächtiger, sondern auch durch Körpergroße beeindruckender Osmin den beiden Einlass in das Serail begehrenden asiatischen Tenöre eigentlich keine Chance. Begonnen hatte es wie beim Alternativabend mit der Hallenarie aus Tannhäuser, und auch diesmal war sichtlich das Auditorium des Hauses gemeint, dass die Sopranistin Flurina Stucki besang, wie ihre Vorgängerin mit einigem Metall in der Mittellage, aber zu angestrengt und damit tremolierend in der Höhe. Viel besser lag ihr später die Fiordiligi im „Soave sia il vento“ (wunderbar begleitet am Flügel von John Parr) und im „Prenderò quell‘ brunettino“, wo sich die Stimme hörbar wohl fühlte und entsprechend angenehm klang. Ihre Mezzopartnerinnen waren Arianna Manganello und Karis Tucker. Erstere hatte als Bellinis Romeo viel Sinn für dessen unendliche Melodie gezeigt, gefiel durch Geschmeidigkeit, eine gute Tiefe und bei der Wiederholung auch durch eine präsente Höhe. Wie alle anderen war auch ihr mit einer Requisite, in ihrem Fall ein Degen, die Möglichkeit gegeben, zumindest halbszenisch tätig zu werden. Letztere hatte ebenfalls Bellini für ihren großen Auftritt gewählt und hatte als Adalgisa durch das schöne Ebenmaß der Stimme, einen beachtlichen Schwellton gefallen können.

 

Nicht nur Stipendiaten, sondern auch bereits fest zum Ensemble gehörende Sänger traten an diesem Abend auf, so der Bariton Thomas Lehman mit dem großen Monolog des Ford, den er mit imponierender Stimmkraft und einfühlsamem Spiel gestaltete. Gleichzeitig als Virtuosin und als Komödiantin begeisterte Alexandra Hutton mit „Glitter and be gay“ aus Bernsteins Candide, nachdem Gideon Poppe mit farbiger Mittellage die Szene der Titelpartie gestaltet hatte. An Tenören mangelte es an diesem Abend nicht. Michael Kim zeigte schönes Material in „Un aura amorosa“, eine angenehm leichte Emission der Stimme und ein feines Piano. Ya-Chung Huang war Pedrillo und Mime und schwankt wohl noch zwischen den beiden Fächern. Patrick Cook wagte sich an Jung-Siegfrieds Schmiedelieder, klang zwar heldisch, aber nicht jung und strahlend genug, sein Mut wurde aber durchaus vom Publikum mit Beifall belohnt. Mit viel Spielfreude, der Fähigkeit, mit dem Publikum zu kommunizieren und mit einem leichtgängigen Bass sang schließlich Tyler Zimmerman Massenets Sancho. Auch dieser Abend wollte für den Schlussakzent nicht auf die Fuge aus Verdis Falstaff verzichten.

Durch den Abend führte der Tenor Jörg Schörner, über Opern-Inhalte und Karriereverläufe informierend. Glücklich schätzen können sich die Sänger, die die Dienste der beiden Pianisten Elda Laro und John Parr in Anspruch nehmen dürfen, beide als Korrepetitor bzw. Spielleiter am Haus tätig. 

 

Foto vopm Autor

25.10.2020   Ingrid Wanja   

 

 

Lieblingsstücke live II

Nachdem junge Sänger der Deutschen Oper das nach Musik lechzende Publikum bereits mit dem Streamen ihrer Darbietungen erfreut hatten, bot das Haus nach Erstellung eines raffinierten Hygienekonzepts nun auch Live-Konzerte an, wobei zwar der auf dem Besetzungszettel noch vorhandene Mozart abhanden gekommen war, als „u.v.m.“ aber immerhin zwei Nummern aus Bizets Perlenfischern zu goutieren waren. Das Allerbeste allerdings gab es gleich am Anfang zu bestaunen, einen mitreißende Pagliacci-Prolog, gesungen von Markus Brück, der auch die Moderation des knapp anderthalbstündigen Abends übernommen hatte und mit noch machtvoller gewordenem Bariton, der die Schönheit des Timbres bewahrt hatte, schon einmal für das lustvolle Erschauern gesorgt hatte, das dem Opernfreund erst den richtigen Genuss bereitet. Auf der Bühne begrüßte man zudem voller Freude das Sofa aus der Andrea-Chénier-Produktion der Deutschen Oper, dazu eine kleine Bar, eine Tür und einen Paravent hinter dem Flügel, an dem nacheinander drei Pianisten, Rupert Dussmann, John Parr und Maxime Perrin, die Sänger begleiteten. Gerlinde Pelkowski und Philine Tiezel hatten kleine Spielszenen für die Auftritte der Sänger ersonnen, Markus Brück berichtete knapp über deren bisherigen Karriereweg.

Lieblingsstücke waren durchaus nicht nur gängige, allseits bekannte Arien, sondern auch ein Händelblock mit Musik aus Orlando und Rinaldo. Padraic Rowans Bassbariton wetteiferte in „Sorge infausta“ mit der Beweglichkeit des aus unzähligen schimmernden Streifen bestehenden Vorhangs an der Rückseite der Bühne, metallischer noch klang dieselbe Stimmlage bei Joel Allison in „Sibillar gli angui d’Aletto“; zum Duett mit Alexandra Hutton, die einen frischen, geschmeidigen Sopran präsentieren konnte, kehrte Padraic Rowans zurück. Für den Händelblock war eine kleine Szene erfunden worden, in der sogar Degen zum kämpferischen Einsatz kamen.

Byung Gil Kim hatte zuvor als Kaspar mit „Schweig, Schweig“ bewiesen, dass er über die scheinbar miteinander unvereinbaren Fähigkeiten eines dramatischen Koloraturbasses verfügt, handhabte dazu noch das Gewehr des Jägerburschen. Der Zuschauerraum der DO war offensichtlich für die Elisabeth von Rebecca Pedersen die „teure Halle“, in der sie eine schöne Mittellage und eine noch um Rundung und Fülle bemühte Höhe zeigte.

Einen vielfarbigen, geschmeidigen Sopran setzte Meechot Marrero für Donizettis Norina ein, dazu viel überschäumendes komödiantisches Talent. Dean Murphy als Malatesta war dazu der adäquate Partner mit farbschönem, gewandtem Bariton. Als Zurga bewies er später noch, dass ihm auch das französische Fach liegt.

Aus Puccinis Erstlingswerk Le Villi hatte der Tenor Andrei Danilov seine Lieblings-Arie gewählt und konnte mit einem schönen italienischen Timbre und eindrucksvollem Squillo reüssieren dazu mit einem geradezu herzzerreißenden „morta“. Auch den schlankeren Nadir bewältigte er im Tempelduett mit John Allison mehr als zufriedenstellend. Eine gewaltige Röhre zur imponierenden Gestalt hatte Patrick Guetti für Rossinis Calunnia, deren „colpo di cannone“ nichts zu wünschen übrig ließ. Wenn ein Sänger Spaß daran hat, sich zu exhibieren, dann bereitet das auch dem Publikum Freude. Bereits bei der Verdi-Gala hatte sich Irene Roberts mit dem „Don fatale“ vorgestellt, das sie nun vor der zum Spiegel verwandelten Bar wiederholte.

Zum Schluss vereinigten sich die Stimmen fast aller bis dahin Mitgewirkthabenden und noch einiger Sänger dazu zu der Schlussfuge aus Falstaff, zum „tutti gabbati“ ging das Licht im Saal an und erinnerte an die wunderbare Götz-Friedrich-Produktion, die inzwischen von einer Trübsinn verbreitenden abgelöst wurde.

Natürlich gibt es auch ein Lieblingsstücke I, das am 24.10.wiederholt wird. Der Besuch beider kann nur empfohlen werden.

 

Foto vom Autor

11.10.2020 Ingrid Wanja

 

 

Zweite Premierenkritik:

DIE WALKÜRE

Premiere am 27. September 2020

Statt „Parsifal“-Bett nun „Ring“-Klavier

Nun fand sie trotz aller Corona-Unsicherheit doch endlich statt, die lang und mit Spannung erwartete neue „Walküre“ an der DOB durch den norwegischen Regisseur Stefan Herheim, nachdem man den Vorabend, „Das Rheingold“, durchaus erfolgreich noch auf dem Parkdeck über die Bühne gehen lassen hatte. Damit ist nun die fast eine Ewigkeit gespielte und richtungweisende „Tunnel“-Produktion des „Ring“ von Götz Friedrich, die schon Kultstatus erreicht hatte, endgültig Vergangenheit – eine glorreiche für die DOB! Große Fußstapfen also, in die sich der Regisseur der neuen Produktion hineinwagen musste. Aber von Stefan Herheim, der sich mit dem Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach auch als Wagner-Regisseur mit seinem beeindruckenden „Parsifal“ 2008 in Bayreuth und einem äußerst fantasievollen „Tannhäuser“-Potpourri in Oslo 2010 einen Namen gemacht hat, schienen diese nicht zu groß. Jörg Königsdorf kam an der Spree als weiterer Dramaturg hinzu.

Man soll den „Ring“ ja nicht vor den letzten Takten der „Götterdämmerung“ loben. Aber was gestern in Berlin zu sehen war, lässt keine große Hoffnung auf einen neuen Berliner „Ring“-Weitwurf zu.

 

Unzählige alte Koffer bevölkern die Bühne Herheims und Silke Bauers, als Hundings Hütte noch an das freilich sängerfreundliche Halbrund der Böcklinschen Toteninsel in Chéreaus Bayreuther Jahrhundert-„Ring“ erinnernd. Wieder einmal beginnt eine Oper erst mal ohne Musik, eine Unart, die sich immer mehr einzuschleichen scheint, wohl, um wieder mal etwas anders zu machen, als der Zuschauer und -hörer gewohnt ist. Neues um des Neuen willen… Aber davon kommt noch mehr an diesem Abend. Man sieht Sieglinde hektisch ihren Koffer packen, sie will wohl weg aus Hundings Zwang. Unter Blitz und Donner fährt ein mitten im Raum stehender Konzertflügel auf einem (Tuch)-Feuerstrahl in die Höhe – die Bude spielt verrückt. Ein großer Schäferhund kommt aus dem Souffleurkasten! Er sieht wie einer der Wölfe Wotans aus (ist aber wohl keiner – Tierschutzgesetze, bedrohte Arten!) und schnüffelt die ganze Hütte ab. Es wird bei aller Herheimscher Detailverliebtheit nicht klar, ob es Geri oder Freki ist.

Dann bricht Siegmund herein, Sieglinde schmeißt sich ihm Minuten später schon an den Hals, und im allgemeinen Krachen wacht ein gewisser „Hundingling“ auf, ein kleiner Bursche (Eric Naumann), der Sohn Hundings und Sieglindes (!). Er beginnt sofort, den Eindringling mit dem Messer zu bedrohen, was eine Zeit lang immer langweiliger werdend so weitergeht. Dann wird er von Hunding vereinnahmt, und schließlich findet er Gefallen an der Liebe der beiden Geschwister, was Sieglinde aber nicht davon abhält, ihm im Sturm der Begeisterung über ihre Befreiung durch den Bruder die Gurgel durchzuschneiden. Die abstruse Begründung für diese völlig überflüssige stumme Rolle: Herheim fand die „Szene, in der eine mit Gewalt in die Ehe gezwungene Frau sich als Sünderin wider wahrer Liebe und Täterin selbst anklagt, immer höchst problematisch und in unserer Zeit nicht vertretbar.“ Mit der Hinzudichtung des Kindes von Hunding und ihr will er sie „psychologisch anders disponieren und ihr Trauma materialisieren.“ Um mit Siegmund neu beginnen zu können, meint Sieglinde nun, das Kind umbringen zu müssen, denn erst mit der Schwangerschaft durch den Wälsen gewinnt sie neuen Lebenswillen, eine Art Medea. Übrigens taucht der Hundingling als gefallener Held später wieder bei den Walhall-Helden auf – auch nicht ganz einsichtig...

Nach all dem theatralisch-technischen Wunderwerk, das im weiteren Verlauf bisweilen auch die Form puren Schnick-Schnacks annimmt, fällt die Kofferwand beim tuchbasierten und beleuchteten Wonnemond - man sieht ihn wirklich, den Mond - schnell zusammen und bildet Kofferberge bis zum Finale. Bei Wotans Bannspruch, nachdem er die glühende Spitze sachgerecht angeknipst hat, kommt auch noch eine Extra-Kofferladung vom Schnürboden herunter. Also, man kann sich schon denken, was gemeint ist: Koffer beinhalten persönliche Dinge, Dinge, an denen man hängt und die man liebt, die man auf keinen Fall verlieren will. All das ist von der Rampe in Auschwitz und den dortigen Museums-Vitrinen nur zu bekannt, zumal die DOB-Koffer genauso aussehen. Dieser Topos wurde aber in Wagner-Inszenierungen schon mehrfach verwendet. So relevant und wichtig er einst erschien, bietet er nichts Neues mehr.

 

Es bedurfte also einer seziererischen Durchsicht des Programmheftes, das die „Normal“-Besucher – aus welchen Gründen auch immer – an diesem Abend nicht in der üblichen Papierform bekamen. Man assoziiert hier mit den Koffern die Wagnersche Darstellung aller „nur denkbaren Realitäten und Wirklichkeiten … in gedrängter, deutlicher plastischer Gestaltung“. So hat also jedes Individuum bei Herheim/Dörzenbach einen Koffer. Sieglinde, immerhin, beschränkt sich auf ein handliches OnBoard-Format. Alle anderen Protagonisten haben auch einen Koffer, Fricka im weißen Pelz standesgemäß einen schicken weißen. Aber auch Wotan trägt einen, dessen Haarschnitt - das kann doch kein Zufall sein - jenem des Verursachers genau der Grausamkeiten entspricht, deretwegen einst so schnell so viele Koffer gepackt wurden. In diesem Kofferrahmen soll laut Regieteam nun ein Spiel mit den unterschiedlichsten Facetten entstehen, ein „Wagnersches Spiel“.

Das Hauptthema oder Regiekonzept des Herheim-Rings ist also die Flucht, und um die geht es natürlich in der „Walküre“ in ganz exzessivem Ausmaß. Bis auf Hunding und Fricka sind hier ja alle auf der Flucht. Ein Besuch im Stelen-Wald des Jüdischen Denkmals in Berlin hat Herheim dazu animiert, ebenso wie die Rolle der Stadt in der Nazi-Zeit und alles, was mit der Verfolgung insbesondere der Juden sowie dem Holocaust zu tun hat. Aber ist das gerade aus der heutigen Perspektive nicht zu kurz gegriffen? Es sind derzeit weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht, aus den unterschiedlichsten Gründen und den unterschiedlichsten Nationen und Regionen. Der „Ring des Nibelungen“, ein universales Meisterwerk der Musiktheater-Literatur mit beachtlichem sozio-politischem Potential, wäre doch mit diesem Thema ein bestens geeignetes künstlerisches Vehikel, die globale Flüchtlingsproblematik auch global anzugehen. Dann gehören aber auch Schwarzafrikaner, Nordafrikaner, Afghanen, Syrer, Jemeniten, Pakistanis et al. auf die Bühne. Christoph Schlingensief hätte das sicher so gemacht. All diese sah man aber nicht unter den Kofferträgern, die da unter erbärmlichen Umständen auf der somit gedanklich und konzeptionell zu eng ausgelegten Berliner Bühne zu sehen waren. Für die entsprechenden Kostüme war Uta Heiseke zuständig, die einmal mehr bei Wotan und den hier äußerst aktiven Wahlhall-Helden auf den neuen stereotypischen Topos setzt: weiße Unterwäsche - nun auch im Wagner-Theater und eben nicht mehr nur im dramatischen Theater präsent! Na bitte.

Aber es gibt noch ein zweites Thema in dieser „Walküre“, eben das schon erwähnte Klavier, der Konzert-Flügel in der Mitte der Bühne aller drei Aufzüge. Er erinnerte sofort an das „Parsifal“-Bett Herheims in Bayreuth, eine Art Wunderbett, aus dem alle möglichen Figuren aufstiegen und in dem sie bisweilen auch wieder verschwanden - damals eine gewisse inszenatorische Sensation. Hier treibt er es damit zur Exzessivität, denn fast alles von Bedeutung kommt aus dem Klavier, verschwindet wieder darin oder findet auf ihm statt. Barrie Kosky, bei dessen Bayreuther Meistersinger-Inszenierung verschiedene Altersausgaben des David dem Klavier in Villa Wahnfried entsteigen, lässt grüßen. Der Deckel ist fast ständig in Bewegung, getreu der bekannten Devise „Sesam, öffne dich!“ Nur Wotan hat den Luxus, zu Beginn des 2. Aufzugs in eben weißer Unterwäsche aus dem Souffleurkasten zu steigen, wo er mit der Souffleuse Erda offenbar wenig zuvor Brünnhilde gezeugt hat, die allerdings eine Minute später mit etwa Mitte zwanzig (an diesem Abend nicht eingehalten) in historisierendem Kostüm mit feschem schneeweißem Federhelm auf der Bühne steht, natürlich dem Klavier entsteigend. Da wurde es sogar etwas kitschig! Zu solchen und ähnlichen Ungereimtheiten, wie auch dem redundanten „Walküre“-Spiel-Drehbuch, aus dem alles krampfhaft entwickelt wird und aus dem die Walküren bürokratisch ihre kurzen Einsätze singen (müssen), bis es Sieglinde mit den Schwertstücken mitgehen lässt.

Der Klavier-Gedanke ist aber nicht uninteressant. Meier-Dörzenbach bezieht sich auf Wagners Formulierung des mystischen Bayreuther Grabens als des „technischen Herdes der Musik“ und seine Verkleinerung in Form des Klaviers, aus dem alles entsteht. Hier wird ein Stück zuerst gespielt, damit lernt der Sänger. Bekanntermaßen auch die Premiere des 1. Aufzugs der „Walküre“ 1856 im Züricher Hotel Baur au Lac, wo Wagner am Flügel saß, Siegmund und Hunding sang und Emilie Heim die Sieglinde. So sieht das Regieteam das Klavier als das Instrument, „aus dem alles tönt, Welten entstehen und die Kunst für ein Publikum herausgespielt wird …“. Sicher ein nachvollziehbarer Baustein für ein Regiekonzept, aber nach dem, was zu sehen war, nicht unbedingt ein tragfähiger, im wahrsten Sinne des Wortes dieser Produktion. So spielt Wotan in Unterhose wie ein Besessener zu Beginn des 2. Aufzugs neben Brünnhilde all acht Walküren herbei. Hunding mit seinen Männern kommt auch gleich mit. Ein unglaubliches Chaos spielt sich auf der Bühne ab, in dem jeder Erklärungsversuch zum Scheitern verurteilt ist. Auch Fricka darf später mal ans Klavier. Es ist immer unverständlich, warum Hunding zum Kampf mit Siegmund mit dem Schwert oder einer Stange antritt, während seine Mannen mit geladenen Gewehren um ihn herumstehen. Auf Wink Wotans kommen sie mit Luftschüssen alle ums Leben.

 

Im 3. Aufzug wird ebenfalls hemmungslos und dramaturgisch völlig überzeichnet agiert. Wotan wuselt mit Speer und Schild schon lange vor der Ankunft Brünnhildes mit Sieglinde hinten auf den Koffern herum. Hat Wagner das musikalisch und textlich nicht ganz anders geschrieben? Was bringt diese Änderung? Die gefallenen Helden, die eigentlich nach Walhall sollen, übernehmen hier gar die Kontrolle über die Walküren, drehen also mit deren Speeren den Spieß um und treten wie zum Anschauungsunterricht für Brünnhilde zur trockenen Rudelbegattung an den Jungfrauen an, als Wotan ihr das zu erwartende traurige Schicksal unterbreitet - natürlich alle acht „Helden“ in blutverschmierter weißer Unterwäsche! Musste das sein? Hier konnte man langsam das Interesse an weiteren abstrusen Ideen und deren skurrilen optischen Umsetzungen auf der Bühne verlieren. Eine Überraschung gab es dann allerdings doch noch, als im Finale der Deckel des Flügels nochmal hochging und Sieglinde in den Wehen offenbarte, während sich ein kleiner Gnom mit Barett, offenbar eine Parodie Richard Wagners, damit befasste, ihr das Baby Siegfried aus dem Bauch zu ziehen. Vielleicht war das ja nicht die einzige Parodie an diesem Abend. Selbst Wotan schaute von seinem Gerüst oben perplex herunter…

Hinzu kamen auch noch einige dramaturgische Effekte aus der Klamottenkiste, so der auf einem riesigen, an Stricken aufgezogenen und so nach oben zuckenden Bettlaken projizierte Feuerzauber. Man könnte annehmen, die ganz besonderen technischen Möglichkeiten der Film-, Laser- und Videotechnik, intelligent und wohldosiert eingesetzt wie es Mikki Kunttu im neuen „Ring“ von Helsinki gerade vormacht, seien an Stefan Herheim vorbeigegangen. Für das konventionelle Licht war Ulrich Niepel verantwortlich und für ein szenisch eher begrenztes Video-Design William Duke und Dan Trenchard. Kurz, was man so ganz anders von Stefan Herheim gewohnt war, eine genau durchdachte, konsequent in ein überzeugendes und tragfähiges Regiekonzept eingebaute, durchaus immer wieder unkonventionelle Dramaturgie mit oft faszinierenden Regieeinfällen, war an diesem Abend nicht zu erkennen. Seine „Walküre“ an der DOB wirkt vielmehr wie ein Sammelsurium vieler, zum Teil absurder Einzeleinfälle, die in ihrer Gesamtheit keine wirklich schlüssige Werkinterpretation ergeben. Hoffentlich ändert sich das im „Siegfried“ im Januar 2021.

 

Das Sängerensemble hinterließ insgesamt einen sehr guten Eindruck, mit einigen Abstrichen. Natürlich brillierte die bewährte Nina Stemme mit der Brünnhilde, auch wenn hier und da doch kleinere Unebenheiten wie Tonverschleppungen zu hören waren. John Lundgren war ein guter Wotan, aber nicht mehr. Der Stimme fehlt es an Resonanz und bassbaritonaler Färbung, so wichtig gerade für die „Walküre“. Man denke nur an Hotter, London, Stewart, Adam, Morris et al. Immerhin sind wir an der DOB. Lise Davidsen sang eine stimmstarke, für meine Begriffe aber zu metallische und auch deshalb zu wenig empathisch klingende Sieglinde. Ihrer Stimme fehlt es an Wärme, die man beispielsweise bei Elisabet Strid vernimmt. Eine sehr gute Leistung brachte Brandon Jovanovich. Optisch ist er ein idealer kämpferischer Siegmund, und stimmlich entsprach sein Vortrag mit heldentenoralem Aplomb genau diesem Bild, nicht immer ganz stimmschön. Annika Schlicht sang als Fricka zu facettenarm. Die Rolle liegt scheinbar über ihrem Fach. Darstellerisch musste sie wieder einmal die klassische Furie geben. Andrew Harris war ein stimmlich weitgehend überzeugender Hunding, wenn auch ohne jede angsteinflößende schwarze Bassgewalt. Darstellerisch wirkte er eher wie ein Hausmeister, wobei ihm zu Beginn des 2. Aufzugs aber auch übel mitgefahren wurde. Das Walküren-Oktett sang bei den chaotischen und skurrilen Regieanweisungen weitgehend homogen. Flurina Stucki war Helmwige, Aile Asszonyi Gerhilde, Antonia Ahyoung Kim Ortlide, Irene Roberts Waltraute, Ulrike Helzel Siegrune, Karis Tucker Roßweiße, Nicole Piccolomini Grimgerde und Beth Taylor Schwertleite.

Donald Runnicles dirigierte das Orchester der Deutschen Oper Berlin mit seiner großen „Ring“-Erfahrung für die Art und Weise, was auf der Bühne abging, etwas zu zurückhaltend. Der eine oder andere orchestrale Schwerpunkt hier und da hätte die musikalische Spannung sicher erhöht, die beispielsweise während der Todesverkündigung im 2. Aufzug fast ganz verloren ging. Am besten gelangen die zärtlichen Momente zwischen Siegmund und Sieglinde im 1. Aufzug bei einer insgesamt dem generell hohen Niveau des Hauses entsprechenden Gesamtleistung. Sprühende musikalische Funken entstiegen dem Graben diesmal nicht. Es gab sie stattdessen in oft zu hohem Maße eine Etage höher. Von den 1.860 Plätzen waren wegen der Corona-Hygieneauflagen nur knapp 800 besetzt, sodass der Applaus auch in seiner Stärke begrenzt blieb. Für das Regieteam um Stefan Herheim gab es auch erhebliche Buhrufe.

 

Klaus Billand/1.10.2020

www.klaus-billand.com

Fotos: Bernd Uhlig

 

 

Erste Premierenkritik:

DIE WALKÜRE

Großtat in schwerer Zeit

Fest vorgenommen hatte man es sich, dem alten Götz-Friedrich-Ring im Zeittunnel nicht mehr nachzutrauern, den neuen von Stefan Herheim anzunehmen, zu mögen, ja vielleicht sogar zu lieben- und dann gab es am 27. 9. die große Enttäuschung mit einem heillosen Sammelsurium von Regieunsinn, zusammengetragen aus allen möglichen Stilrichtungen, unausgegoren und nicht einmal dazu angetan, sich wirklich dagegen zu empören. Als die Geschichte endloser Fluchten sieht die Regie die Trilogie laut Programmheft, und so tummelten sich zu Zeiten, in denen man über jede Oper ohne Chor und damit erhöhter Ansteckungsgefahr froh ist, armselige Statistengestalten auf der Bühne, schienen unendlich viel Zeit zu haben, die Protagonisten zu allen Schauplätzen zu begleiten und gestisch und mimisch das Geschehen zu kommentieren.

Als besonders unselige Idee erwies sich die Erfindung eines Sprosses aus der Verbindung von Sieglinde und Hunding, eines geistig behinderten Halbstarken, der messerfuchtelnd den ersten Akt durchlebte, ehe ihm die Mutter kurzerhand die Kehle durchschnitt. Das kostete sie natürlich nicht wenige Sympathien beim Publikum, denn selbst Hunding, geschweige denn Siegmund hatte einige Zuneigung gegenüber dem armen Kerl bekundet, und so konnte man ganz am Schluss, als sie mit Siegfried in den Wehen lag und ihr ein Mime mit Wagnerbarrett das zullende Kind entriss, auch nicht viel Mitleid mit ihr aufbringen. Wie alt sind die Zwillinge eigentlich, wenn Sieglinde bereits ein halbwüchsiges Kind hat? Mitte dreißig? Dann war es kein Wunder, dass sie sich mit der Zeugung Siegfrieds beeilen mussten, diese durch Schiesser Feinripp hindurch sofort auf dem Flügel, der die Mitte der Bühne einnahm, in Angriff nahmen. In dieser auf deutschen Bühnen häufig anzutreffenden Wäschemarke entstieg auch Wotan dem Souffleurkasten, als käme er schon wieder von einem Besuch bei Erda. Eine weitere personelle Zutat waren äußerst (im ursprünglichen Sinne) geile Helden, die trotz vielfältiger blutender Wunden die Walküren sexuell bedrängten, ihren Rüstung und mehr von den Leibern rissen und wohl die Bezeichnung „Wunschmaid“ missverstanden hatten.

Soviel über die Aufstockung des Personals, und nun zur Bühne ( außer Stefan Herheim Silke Bauer), die aus einer Auftürmung von Hunderten, wenn nicht Tausenden von Koffern bestand, ein Teil davon als Mauerwerk zu Hundings Haus, nach Programmheft im Rheingold von den Flüchtlingen erbaut. Im Mittelpunkt der Bühne steht alle drei Akte hindurch ein schwarzer Flügel, der bis in den Bühnenhimmel fahren, aber auch alles, was auf der Bühne gerade überflüssig ist, in sich aufnehmen kann, der Esche mit haftendem Schwert ebenso ist wie der Felsen, auf dem Brünnhilde ruht und aus dem sich hin und wieder Ballons erheben, so mit freundlichem Grün gefüllt zu „Winterstürme wichen dem Wonnemond“. Verfremdungseffekte werden mit gelegentlichem Griff zur Partitur erzielt, und der Feuerzauber hätte, mit flatternden Stoffbahnen, zu spät rot angestrahlt, einer ambitionierten Schüleraufführung Ehre gemacht. Ach ja, mit einem sehr schönen Schäferhund, der eine Runde in Hundings Haus drehte, war das Personal dann wirklich komplett. 

Hätte die Regie auf viele dieser Ingredienzien verzichtet, hätte man sich uneingeschränkt über eine sehr stimmige, sehr feinsinnige, sehr detailliert gezeichnete Personenregie freuen können, die nun in diesem Wust unangebrachter „Zutaten“ fast unterging.

Und die akustische Seite? Da konnte man schwelgen ohne Ende mit einem Orchester unter Donald Runnicles, das strahlte, das sonst nie vernommene Details auskostete, das den großen Atem für die große Musik hatte und die Könner für die solistischen Stellen und das deshalb zu Recht den rauschendsten Applaus verdient hatte. Auch die Sänger ließen kaum einen Wunsch offen. Eine hoheitsvolle Fricka, natürlich wieder in weißem Pelz (Kostüme Uta Heiseke), dazu ein weißes Köfferchen, war Annika Schlicht mit machtvollem, Autorität heischendem Mezzosopran wie aus einem Guss und von schöner Farbe. Eine attraktive Sieglinde, die alle überragte, gab Lise Davidsen mit klarem, glockenreinem, durchschlagskräftigem Sopran, der in der Höhe wunderschön aufblühen konnte, nur ganz selten einige Schärfe verriet. Natürlich ist augenblicklich Nina Stemme, wenn es um die Brünnhilde geht, die allererste Wahl, und einmal das Hojotoho beachtlich gestemmt, war sie nicht nur eine die Herzen berührende, perfekte Darstellerin der Wotanstochter, sondern erfreute auch mit einem ausgeruhten, in warmen Farben leuchtenden, zu vielen Nuancen fähigen Heldensopran.

Die Walküren konnten auf erfahrene, altgediente Kräfte wie Ulrike Helzel oder Nicole Piccolomini ( War die nicht schon im Friedrich-Ring dabei?) wie auf junge Stars wie Irene Roberts oder Stipendiatinnen wie Karis Tucker bauen.

Einen angemessen dräuenden, abgrundtiefen Bass hatte Andrew Harris für den Hunding. Mit herbem, baritonal gefärbtem Tenor sang Brandon Jovanovich einen darstellerisch agilen Siegmund. Seine Wälse-Rufe dürften zu den ausdauerndsten, nicht unbedingt den schönsten gehören. Inwiefern teilweise sprechend herausgestoßene Phrasen Regieeinfälle und nicht Ermüdungserscheinungen waren, ist beim Wotan von John Lundgren kaum auszumachen, insgesamt hätte man sich von ihm besonders für Wotans Abschied eine großzügigere Phrasierung, noch mehr vokale Autorität gewünscht. Und da war noch dieser Unglückswurm von Hundingling, in akrobatischer Gewandtheit gespielt von Eric Naumann, dessen Schuld es nicht war, dass er wie ein überflüssiger Fremdkörper wirkte.

Die Weichen für den neuen Ring der Deutschen Oper sind gestellt, und bisher spricht nichts dagegen, dass sie, so wunderbar die musikalische Seite auch sein mag, aufs Abstellgleis führen.

 

Fotos Bernd Uhlig

28.9.2020   Ingrid Wanja

 

 

 

 

LA GIOCONDA

Oper macht glücklich

Wenn sich Zuschauer nach dem Verklingen des letzten Tons jubelnd (und mit Maske) in die Arme fallen, dann ist die Welt der Oper wieder in Ordnung. So geschehen in der Deutschen Oper Berlin beim dritten ihrer konzertanten italienischen Abende, nach der Verdi-Gala und den Aida-Highlights mit Ponchiellis La Gioconda, von der das Haus noch eine Produktion in den Dekorationen aus der Entstehungszeit aus dem Jahre 1974 im Repertoire hat. Der Technik war es gelungen, Teile der Kulissen in die Konzertmuschel hinein zu bauen, sogar Enzos Schiff, das zwar etwas verfrüht, aber doch effektvoll abbrannte bzw. wetterleuchtete. Jedoch war nicht das die Sensation, sondern die exzellente Besetzung mit einer Hui He als Einspringerin ohne Orchesterproben, die sich nach gelungenem Hasardstückchen die Tränen aus den Augen wischte. Aber nicht nur die Besetzung der Titelpartie garantierte pures Opernglück.

George Gagnidze ignorierte vom ersten Augenblick an, dass es sich um eine konzertante Aufführung handelte, spielte den bitterbösen Barnaba mit allen Facetten der Brunnenvergifterei und rang seinem kraftvollen Bariton ebenso viele Ausdrucksmöglichkeiten bis hin zum Wutschrei der Enttäuschung angesichts der nicht mehr erreichbaren Gioconda ab. Zurückgekehrt auf die Bühne war der vor der Verdi-Gala erkrankte Marko Mimica und sang mit einem so abgrundtief schwarzen wie schlanken Bass den unversöhnlichen Alvise. Zwei wunderbare Mezzosoprane gehörten mit Beth Taylor als Cieca und Judit Kutasi als Laura zum Ensemble. Die junge Schottin krümmte sich zur hutzeligen Alten und ließ dabei einen jungen, ebenmäßigen Mezzo warmer Farben vernehmen. Das Rosenkranzmotiv war reiner Balsam für die Ohren. Der rumänische Mezzo hat im Timbre das ganz besondere Etwas rumänischer Stimmen und sang eine sinnliche, aufmüpfige Laura mit viel erotischem Flair. Joseph Calleja begann als Enzo etwas verhalten, konnte dann aber mit einem hoch poetischen Cielo e mar begeistern, ließ seinen Tenor siegreich über dem Ensemble am Schluss des dritten Akts triumphierend strahlen und bewies einmal mehr, dass er einer der Zuverlässigsten und Erfreulichsten seines Fachs ist. Hui He hatte die Gioconda bereits an der DO gesungen, war sofort in ihrem Element und lieferte sich im zweiten Akt ein so leidenschaftliches wie klangschönes Duell mit der Rivalin um Enzos Liebe. Zu einem der Höhepunkte des Abends wurde ihr Suicidio, das, unterstützt von einem ebenso engagiert und leidenschaftlich dazu beitragenden Orchester, beim Hörer Gänsehaut erzeugen konnte.

Die Oper hat viele Chorszenen, die weitgehend ausgespart wurden. Wenn man auf ein Highlight wie den 3. Aktschluss nicht verzichten wollte, hatte man als sehr gute Lösung sieben junge Ensemblemitglieder als fast vollwertigen Chorersatz eingesetzt. Meechot Marrero, Arianna Manganello, Karis Tucker, Patrick Cook, Gideon Poppe, Tyler Zimmerman und Padraic Rowan entledigten sich dieser Aufgabe mit sichtlicher Freude und ebensolchem Engagement. Das Orchester unter dem erfahrenen Ivan Repušić war trotz großer Beanspruchung durch die letzten Proben zur Walküre mit Lust und Laune bei der Sache und spielte auch einen duftigen Tanz der sieben Stunden.

Es gab auch eine Moderation durch den Haustenor Jörg Schörner, die der Mehrheit des Publikums hörbar zusagte, die jedoch, gemessen an dem Glanz und der Leidenschaft, die von den Musikern verströmt wurde, recht bieder witzelnd ausfiel.

Alles in allem aber kann man nach einem solchen Abend nur sagen:“Oper macht glücklich.“

 

Foto vom Autor

26.9.2020 Ingrid Wanja

        

 

 

VERDI GALA

Wie die beiden anderen Berliner Opernhäuser hat auch die Deutsche Oper ihren ganz eigenen Weg gefunden, das Bestmögliche aus der Corona-Krise zu machen, hat ihr Parkdeck zum dritten Spielraum neben großem Saal und Tischlerei gemacht und bereits vor wie auch nach der Sommerpause ein halbszenisches Rheingold mit reduzierter Orchesterbesetzung aufgeführt, eine große Duke-Ellington-Hommage, gestaltet durch die hauseigene Big Band stattfinden und mit dem Dschungelbuch Ein Jazzabenteuer für Familien aufführen lassen. An drei Abenden, und da kam endlich wieder die Hauptbühne zur Aktion, wurde ein grenzüberschreitendes Unternehmen mit Beethovens 7. Sinfonie plus Klezmermusik, Tanz und Dokumentartheater, das Schicksal von aus Afrika nach Europa flüchtender Frauen zu Thema habend, für Deutschland aus der Taufe gehoben. „Echte“ Oper gab es endlich am 12. September mit einer Verdi-Gala mit Arien und Szenen aus Macbeth, Nabucco, Don Carlo und Un Ballo in Maschera.

Damit das Konzert- und bald noch weitere- stattfinden konnte, hatte man sich ein umfassendes Hygienekonzept erarbeitet. Ungefähr nur jeder sechste Platz war verkauft worden, gelbe Stoffbänder auf den nicht zu besetzenden werteten die alten Stühle noch einmal auf, Gastronomie fand nur im Freien statt, der Besucher wurde zu einem der beiden Zugänge geführt, damit Ansammlungen vermieden wurden, und erst auf dem Sitzplatz angekommen durfte man seine Maske abnehmen. Einige ältere Besucher waren offensichtlich so sehr von Corona verängstigt, dass sie ihren Schutz auch während der ungefähr hundert Minuten dauernden pausenlosen Darbietung aufbehielten. So hielten sich zunächst Vorfreude auf das lange vermisste Genießen großer Musik und eine gewisse Beklemmung wegen der notwendigen Einschränkungen die Waage.

Von einer Gala erwartet man besonders hervorragende Leistungen, und das Aufgebot an Sängern war vielversprechend, so mit der spanischen Sopranistin Saioa Hernández und dem mongolischen Bariton Amartuvshin Enkhbat. Erstere hatte sich im Dezember 2018 bei der Scalaeröffnung als Odabella einen Sensationserfolg ersungen, letzterer bereits auch an der DO als Nabucco sehr zu gefallen gewusst. Leider schlug Corona zu und verhinderte die Reise des Sängers aus seiner Heimat nach Berlin trotz aller Bemühungen des Hauses um sein Erscheinen. Für ihn sprang   gleich in allen vier Opern der Kanadier Etienne Dupuis ein, dem Berliner Publikum bereits bestens bekannt als Eugen Onegin und vielen Partien des italienischen und französischen Fachs. Außer auf den mongolischen Bariton musste man an diesem Abend auch auf den kroatischen Bas Marko Mimica verzichten, jahrelang Ensemblemitglied und inzwischen sogar in der Arena di Verona geschätzt.

Für ihn sprang der Koreaner Byung Gil Kim ein und konnte sowohl als Zaccaria wie als Banco mit einem dunkelglühenden, höhensicheren Bass erfreuen und mit einer besonders geschmackvollen Fermate. Das Mezzosopranfach wurde von Irene Roberts vertreten, die eine elegante, tragikumflorte Eboli sang, die Stimme wie aus einem Guss, ohne brustige Tiefe und mit dunklen Mezzofarben bis in die Extremhöhe, mit einem schönen Glockenton und auch in der mezza voce gut tragender Stimme. Weniger gut war es um das Tenorfach bestellt. Zwar kann man dem amerikanischen Sänger Patrick Cook nicht absprechen, über eine durchdringende, hochpräsente Stimme zu gebieten, aber über ein Verditimbre verfügt sie nicht, ist recht grell, und wer die Klage des Macduff um die gemeuchelte Familie mit einem gewinnend erscheinen sollenden Lächeln beschließt, handelt wohl auch nicht im Sinne des Komponisten. Als zweiter Tenor beschloss Robert Watson den Abend mit dem Freundschaftsduett aus Don Carlo, wirkte zunächst wie ein Tenorino und irritierte durch ein wie aus einem alten Handbuch für Operngestik entnommenes Gebaren. 

Im Mittelpunkt des Abends und des allgemeinen Publikumsinteresses standen Sopran und Bariton. Etienne Dupuis hat an der DO schon viele berechtigte Erfolge errungen und gefiel dem Publikum auch an diesem Abend. Leider hatte er kaum berücksichtigt, dass er nicht weit entfernt von demselben über ein großes Orchester hinweg singen musste und so war er zunächst bei allen Meriten vor allem laut, eher martialisch als nobel, oft a squarcia gola singend, beeindruckend, aber nicht berührend. Unglücklich war die Entscheidung, den Posa erst mit O Carlo, ascolta-Io morró beginnen zu lassen, so dass der Eindruck veristischen Singens entstehen musste, war der Nabucco zwar kraftvoll, aber nicht balsamisch, wenn er es sein müsste, konnte man sich mit ihm erst im feurigen Freundschaftsduett, aber auch mit einem gespenstisch klingenden Macbeth in Mi si affaccia pugnai anfreunden.

Große Erwartungen hatten sich an das Erscheinen von Saioa Hernández geknüpft, und sie enttäuschte nicht, hatte wundervoll gleisnerische Töne für die Lady, sichere Intervallsprünge für die Abigaille, eine schneidende Höhe, aber auch eine schöne Melancholie für die sanfteren Gefühle und für eine schöne Kadenz. Man kann nur hoffen, dass sie nicht durch übermäßigen Einsatz im Turandot-Abigaille-Lady-Fach zu sehr strapaziert wird.

Dem Orchester der Deutschen Oper merkte man an, wie froh es darüber war, wieder im großen Saal spielen zu dürfen, und Roberto Rizzi Brignoli war der richtige Dirigent vor allem für den frühen Verdi, den er mit fröhlicher Robustheit und viel italienischem Brio zu gestalten wußte.

Etwas befremdlich war die Kleiderordnung, wenn das Orchester in Frack und Abendkleid, die beiden Solistinnen in schönen Glitzerkleidern, die Herren an ihrer Seite jedoch im lässigen Straßenanzug auftraten.  

Es folgen im September noch zwei Verdi-Abende, jeweils ca. 90 Minuten und ohne Pause, für Aida und für La Gioconda. Und da kommt mit Joseph Calleja auch ein toller Tenor.

13.9.2020

Ingrid Wanja

 

      

Pressemitteilung

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir sind froh, unserem Publikum nach den langen opernlosen Wochen seit dem 12. Juni sechs Vorstellungen eines halbszenischen RHEINGOLD auf dem Parkdeck bieten zu können, bevor am 30. Juni die Sommerpause beginnt. Und da zu vermuten ist, dass die Abstandsgebote und Vorsichtsmaßnahmen uns auch zu Beginn der neuen Saison begleiten, haben wir – einstweilen für die Wochen vom 21. August bis 26. September – einen neuen Spielplan erstellt, der diesen Bedingungen Rechnung trägt. Über die Realisierung der für den Fortgang der Saison geplanten Produktionen informieren wir Sie ab Mitte August, wenn der dann gesteckte Rahmen sich klarer abzeichnet.

 

Die Vorstellungen im August finden auf dem Parkdeck, also unter freiem Himmel statt. In die Saison starten wir am 21. August mit drei weiteren Vorstellungen des RHEINGOLD in der von Jonathan Dove für 22 Musiker orchestrierten und gekürzten Fassung der Birmingham Opera Company. Weiter geht es dann mit zwei Jazz-Produktionen der BigBand der Deutschen Oper Berlin für Erwachsene und für Kinder: Am 25. und 26. August laden die Musiker*innen zu einer großen Duke-Ellington-Hommage ein, die von Rezitationen durch Schauspieler Maximilian Held ergänzt wird. Für Kinder entsteht eine neue Fassung von Rudyard Kiplings Dschungelbuch, gelesen von Christian Brückner und mit Musik von Martin Auer, zu erleben am 29. und 30. August.

 

Im September bieten wir konzertante, gekürzte Aufführungen von Repertoirewerken sowie die Premiere einer Inszenierung der französischen Regisseurin Marie-Ève Signeyrole, die Beethovens 7. Symphonie zum Ausgangspunkt eines grenzüberschreitenden Konzert-Projekts gemacht hat: Deutsche Sinfonik und jiddische Klezmer-Musik begegnen sich, und aktuelle Berichte von nach Europa geflüchteten Frauen treffen auf Beethovens Anspruch eines weltumspannenden Humanismus. BABY DOLL. Eine Flucht mit Beethovens 7. Sinfonie ist ein Abend zwischen Sinfoniekonzert und Klezmer-Session, zwischen Tanz, Dokumentartheater und Video-Installation mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin, dem Klezmer-Komponisten Yom und weiteren Gästen unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Donald Runnicles. Die Produktion entstand unter Federführung des Orchestre de Chambre de Paris und wurde für die Cité Musicale Metz premierenreif geprobt, bis der Lockdown Mitte März die Uraufführung vereitelte.

 

Weiter geht es am 12. und 13. September mit einer Verdi-Gala, in der Auszüge aus MACBETH und NABUCCO konzertant präsentiert werden. Mehr als die Hälfte seiner Opern schrieb Giuseppe Verdi in dem Jahrzehnt zwischen 1840 und 1850. Die Gegenüberstellung seiner beiden bekanntesten Werke aus dieser Zeit, die im Zentrum der Verdi-Gala stehen, zeigt auf faszinierende Weise die Entwicklung von Verdis musikdramatischer Charakterisierungskunst, gerade weil die Hauptpartien in NABUCCO und MACBETH für ganz ähnliche Stimmen geschrieben sind: Sind die beiden Titelrollen die ersten großen Beispiele für den Verdi-Bariton, stellen die Abigaille im NABUCCO und die Lady Macbeth mit ihrem unbedingten Machtwillen dämonische Gegenbilder zu den zarten, hilflosen Sopranfrauen der romantischen Oper dar. Im Gala-Konzert werden diese charismatischen Bühnenfiguren von zwei Ausnahmesängern gestaltet: Der junge mongolische Bariton Amartuvshin Enkhbat feierte bei seinem Debüt an der Deutschen Oper Berlin in der Titelpartie des NABUCCO einen triumphalen Erfolg, die spanische Sopranistin Saioa Hernández hat sich seit ihrem Debüt an der Mailänder Scala 2018 mit der Odabella in ATTILA weltweit als Interpretin der großen dramatischen Verdi-Partien profiliert. Ihnen zur Seite stehen Irene Roberts, Marko Mimica, Patrick Cook und das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Roberto Rizzi Brignoli.

 

Am 19. und 20. September laden wir zu einem Best of AIDA unter musikalischer Leitung von Giampaolo Bisanti ein. Dass Verdis AIDA eine der meistgespielten Opern ist, hat nicht nur mit dem legendären Triumphmarsch zu tun, sondern auch mit Arien wie „O patria mia", „Celeste Aida" oder dem Schlussduett „O terra addio". Als Aida ist die junge russische Sopranistin Elena Stikhina zu erleben, die als Preisträgerin des Operalia-Wettbewerbs für Aufsehen sorgte und in kürzester Zeit die großen Bühnen weltweit eroberte. Judit Kutasi begeisterte mit ihrer Amneris u.a. schon in der Arena di Verona und ist eine der gefragten Erdas (DAS RHEINGOLD) sowie Lauras (LA GIOCONDA), so auch an der Deutschen Oper Berlin. Und Jorge de León, häufiger Gast im Haus an der Bismarckstraße, leiht seinen tenoralen Glanz dem ägyptischen Feldherrn Radames.

 

Mit LA GIOCONDA schrieb Amilcare Ponchielli Musikgeschichte: Das Werk erzählt von einer Sängerin, genannt „La Gioconda", „die Heitere", die sich opfert, um dem von ihr unglücklich geliebten Enzo ein neues Leben mit einer bereits verheirateten Frau zu ermöglichen – Laura, der Frau des venezianischen Politikers Alvise Badoero. Es ist zentrales Meisterwerk der italienischen Oper zwischen Verdi und Puccini, zwischen Melodramma und Verismo, melodiensatt und zugleich dramatisch zupackend. Und es ist jene Oper, deren populärste Nummer mit dem „Tanz der Stunden" ausgerechnet die Ballettmusik des dritten Aktes ist. Diese erklingt in der konzertanten Aufführung Best of LA GIOCONDA am 25. und 26. September neben weiteren Ausschnitten, darunter etwa Giocondas Arie „Suicidio!" oder Enzos „Mare e ciel".

Als Enzo wird mit Joseph Calleja einer der gefragtesten Tenöre unserer Zeit zu erleben sein. An seiner Seite steht mit dem Bariton Roman Burdenko als sein intriganter Gegenspieler Barnaba ein ebenfalls regelmäßiger Gast im Haus an der Bismarckstraße – neben zwei jungen Sängerinnen, die zu den aufstrebenden Stars der Opernwelt zählen: Judit Kutasi als Laura sowie in der Titelpartie die jungen russische Sopranistin Irina Churilova. Es spielt das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Ivan Repuši

ć, als Moderator führt Jörg Schörner durch den Abend.

 

 

Da die behördlichen Bestimmungen entsprechend des aktuellen Infektionsgeschehens in Bewegung sind, starten wir am 22. Juni zunächst mit dem Vorverkauf für den Monat August, der Vorverkauf für September beginnt am 17. August. Dementsprechend freuen wir uns über Ihre Pressekartenbestellungen für den Monat August ab sofort, bitten allerdings um Verständnis, dass wir wegen der sehr begrenzten Platzkapazität nur eine Pressekarte (keine Begleitkarten) reservieren können. Da sich das Platzangebot im großen Haus möglicherweise noch ändern kann, würden wir Sie bitten, uns Ihre Bestellungen für September erst nach der Sommerpause mitzuteilen.

 

 

 

 

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