DORNRÖSCHEN
die Lücke ist wieder gefüllt
3.+4.12.2021
Ciro Ernesto Mansilla (Akt 1). Foto: Stuttgarter Ballett
Wäre Agnes Su nicht bereits nach ihrem Tatjana-Debut in „Onegin“ vor ca. drei Wochen auf offener Bühne von Ballettintendant Tamas Detrich zur Ersten Solistin ernannt worden, hätte sie spätestens jetzt diese Beförderung erhalten. Innerhalb dieser doch kurzen Zeitspanne in zwei so grundverschiedenen anspruchsvollen Hauptpartien auf Anhieb so zu reüssieren, ist wirklich keine Selbstverständlichkeit. Die Amerikanerin beweist nach ihren dramatischen Gestaltungsfähigkeiten nun als Aurora eine ebenso verblüffende Leichtigkeit in Verbindung mit intuitiver musikalischer Phrasierung für große klassische Ballettkunst. Eine kurze, evtl. auch durch den Einsatz der vier Prinzen hervor gerufene Nervosität bei der ersten langen Balance im Rosen-Adagio war schnell beseitigt, im weiteren Verlauf dieses Bravourstücks demonstrierte sie eine ausgiebige gelöste Standsicherheit, die fast bedauern ließ, dass die Musik schon zu Ende war. Mit exquisiter, ganz klar und fein exekutierter Beinarbeit und weich fließenden Armbewegungen in den weiteren Solo-Variationen, vor Freude und Neugier strahlenden Augen bei ihrem Geburtstagsfest, traumverlorenem Blick in der Vision und siegessicherem Lächeln bei der Hochzeit erfüllt sie alle Anforderungen tief überzeugend. Damit hat sie die von Hyo-Jung Kang nach deren Wechsel nach Wien hinterlassene Lücke würdig geschlossen.
Adhonay Soares Da Silva, Agnes Su. Foto: Stuttgarter Ballett
Technisch aus dem Vollen schöpft auch der erstmals als Prinz angetretene Adhonay Soares Da Silva. Der Brasilianer knüpft als Desiré an große Vorgänger mit brillant schnellen und gleichmäßigen Pirouetten und Schraubsprüngen sowie spritzig gesteigerten Manegen an. Das alles in sauberster Qualität und mit jenem entscheidenden Funken Virtuosität, der die Stimmung anzuheizen vermag. Die eher etwas beschränkten, in einfachen Schablonen behafteten darstellerischen Möglichkeiten des Ersten Solisten fallen da nicht ins Gewicht, darf er hier doch einfach der Prinz sein, der der Vision Auroras mit Sehnsucht folgt und über ihre Erlösung strahlt. Zuvor hat er sich noch in eine mitreißende Auseinandersetzung mit Carabosse in Gestalt von Ciro Ernesto Mansilla geworfen, in der sich beide ein Duell an expressiv geladenen hohen Sprüngen liefern. Der argentinische Solist mit Hang zu exaltierter Verausgabung dürfte sich in der allein schon optisch heraus stechenden schwarzen Fee mit ihrer funkelnden Mimik und die Bühne vereinnahmenden Auftritten pudelwohl fühlen. Während Jason Reilly am Vorabend wieder mehr das Androgyne dieser Figur schillernd zum Vorschein brachte, betont Mansilla mehr die männliche, zynische Seite des Bösen. In der erstmals mit einer tragenden Rolle debutierenden Gruppentänzerin Alicia Torronteras hat er eine ihm schon recht bestimmt und selbstbewusst gegenüber tretende Fliederfee als Kontrahentin. Die zierliche Spanierin lässt die Macht des Guten mit edel schöner Attitude und feinen Bahnen auf Spitze wirken, nachdem sie tags zuvor bereits als Fee der Schönheit viel versprechende Solo-Qualitäten zeigte.
Veronika Verterich, Marti Fernandez Paixa, (2. Akt). Foto: Stuttgarter Ballett
Gegensätzlich dazu die irdisch direktere, trotz freundlicher Ausstrahlung etwas kühl ihres Amtes waltende, jederzeit tadellos auf Spitze balancierende Veronika Verterich. Unter ihrer Regentschaft waren wieder Rocio Aleman und Marti Fernandez Paixa als auch menschlich berührendes Paar im Einsatz. Die Mexikanerin hatte zwar nicht ihren besten Tag, füllt die Aurora aber mit zuverlässiger Spitzentechnik und lyrisch aparten Linien bis in die Hebungen hinein in jedem Moment menschlich berührend aus. Letzteres auch ein Verdient ihres attraktiven Partners, der seine Geschmeidigkeit in allen Varianten der danse d’école bis hin zu den fließend eingebundenen Hebefiguren bewahrt.
Unbedingt zu erwähnen ist der Blaue Vogel-Nachwuchs bei der Märchenhochzeit: Timoor Afshar stattet ihn trotz athletisch kraftvoller Größe mit dem erforderlichen leichten Flügelschlag und setzt die Choreographie flüssig aus; Elisa Ghisalberti, die ebenfalls neue Prinzessin an seiner Seite, behauptet sich mit gestaltungstechnischer Sicherheit, die kein Debut vermuten läßt. Das betrifft auch ihre Fee der Klugheit.
Alicia Torronteras (2. Akt). Foto: Stuttgarter Ballett
Am Abend danach erfreuten der nun ganz in den Part hinein gewachsene Christian Pforr durch klare körperliche Ausgeglichenheit, und Fernanda Lopes mit grazil feiner Technik.
Zu berichten ist auch von zwei neuen im Quartett der um Aurora werbenden Prinzen. Martino Semenzato (Süden) und Christopher Kunzelmann (Westen) fügen sich in unterschiedlicher Ausrichtung in deren diverse Sprungeinsätze mit verbesserungsbedürftiger Hilfestellung für Auroras Rosen-Adagio ein.
Mit Power und sensibel austariertem Einsatz fällt Mackenzie Brown sowohl als Fee der Kraft und als Rubin im Hochzeitsakt auf, da dürfte eine Entwicklung zu einer führenden Position vorgezeichnet sein. Und Adrian Oldenburger hat einen Aufstieg jetzt schon verdient, seine unter den Corps de ballet-Tänzern heraus ragende Sprungkraft bringt er als Ali Baba mit auf ihn zu geschnittenen Variationen effektiv zur Geltung.
Ein Schwachpunkt ist leider Louis Stiens, der mit dem Zeremonienmeister keinen glücklichen Eindruck macht und ihn mit Übertreibung ins Lächerliche verzerrt. Im direkten Kontrast zu Alessandro Giaquintos mit Geschmack und Liebe dosierter Zeichnung fällt es doppelt auf.
Wolfgang Heinz leitete das Staatsorchester Stuttgart mit antreibender Energie zu einem Wechsel aus delikater Klangschönheit und Vergröberungen, die wohl nur durch eine gründlichere Probenarbeit an Details vermieden werden könnten. Der opulenten Wirkung von Tschaikowskys farbenreicher Musik kann dies nichts anhaben.
Die erfreulichste Erkenntnis dieser Aufführungen: die Zukunft des Märchen-Klassikers ist durch würdige Nachkommen gesichert.
Udo Klebes, 10.12.21
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
„DORNRÖSCHEN“
Stream der Wiederaufnahme-Premiere
Wiederaufnahme-Premiere vom 18.Dezember 2019
Strahlend natürliches Paar: Elisa Badenes (Aurora) und Friedemann Vogel (Prinz Desirée). Copyright: Stuttgarter Ballett
Als Reminiszenz an die letztjährige vorweihnachtliche Rückkehr des Ballettklassikers auf die Bühne des Stuttgarter Opernhauses stellte das Stuttgarter Ballett in der derzeit still gelegten Live-Kultur einen Mitschnitt der Wiederaufnahme-Premiere für die letzten Tage des Jahres auf seiner Homepage zur Verfügung. Eine Aufführung der traditionell orientierten, aber besonders hinsichtlich der bösen Fee Carabosse dramaturgisch und tänzerisch ungemein aufgewerteten Choreographie von Marcia Haydée in der ästhetisch unübertrefflich geschmackvollen Ausstattung von Jürgen Rose mit optimaler Besetzung der Hauptrollen in bester Verfassung und dem weiteren höchst animierten Ensemble, die auch jetzt beim Wiedersehen einen dauerhaften Erhalt auf DVD wünschenswert macht.
Auf dem Bildschirm rücken so manche Sequenzen noch näher ans Auge heran als von einem Parkettplatz aus betrachtet und lassen so vor allem wieder neue Zwischentöne im Minenspiel, aber auch in der Gliederung der Gruppen erkennen. Dabei sind schon alleine die farblich und stilistisch bis in kleinste Details entworfenen Kostüme sowie das sich von Akt zu Akt jahreszeitgemäß verwandelnde Grundbühnenbild einer hinten mittels Treppen erreichbaren Galerie eine Betrachtung wert. Wann lässt sich so etwas im Genre der Bühnen- und Gewandgestaltung sonst noch sagen?!
Besetzungstechnisch bedeutet diese Wiederbegegnung das lange ersehnte Zusammenwirken eines sich in jeder Hinsicht auf Augenhöhe befindenden Hauptpaares, das aus Aurora und Prinz Desirée über den Rahmen eines Märchens hinaus in die Befindlichkeiten durch Glück vereinter Liebender durch natürliche Ausstrahlung und Interpretation tiefer blicken lässt als dies meist der Fall ist. Elisa Badenes ist ein Dornröschen an der Schwelle vom Teenager zur jungen Frau, ihren Trieben folgend, aber auch schon überlegt ihren Charme einsetzend und die Avancen der weiteren vier Prinzen (unter denen Marti Fernandez Paixa als stolz gezeichneter Abgesandter des Südens herausragt) nuanciert abwägend. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Höchstschwierigkeiten des klassischen Kanons, zumal die langen Balancen des Rosen-Adagios bewältigt, ohne die Gestaltung zu vernachlässigen, begeistert unmittelbar. Das Glück, nach dem Abgang ihres langjährigen idealen Partners vor ein paar Jahren in Friedemann Vogel nun endlich wieder einen adäquaten Partner zu haben, steht ihr ins Gesicht geschrieben und bewirkt in den Pas de deux sichtbar eine optimale Entfaltung ihrer ohnehin bewundernswerten Möglichkeiten.
Vogel, jüngst anlässlich seines 40. Geburtstages mit einer Fernseh-Dokumentation sowie als Krönung seiner Laufbahn mit dem Deutschen Tanzpreis geehrt, zeigt auch in dieser klassischen Prinzen-Rolle als nur eine seiner vielen charakterlichen Facetten, was seinen Sonderstatus als international führender Tänzer deutscher Provenienz ausmacht. Zwischen gewinnendem Strahlen und nachdenklichen Zügen vermittelt er als Desirée kraft seiner nie manierierten Poesie eine unmittelbare Sympathie, die technisch in einer perfekten körperlichen Ausgeglichenheit ihre Entsprechung findet.
Der Hochzeits-Pas de deux gerät so zum Triumph eines über dunkle Mächte siegenden Paares. Dabei hatten sie in Jason Reilly als Carabosse einen durchaus starken, ja ebenbürtigen Gegenspieler, der die hier oft zum Showstehler des Paares gewordene Partie der im tiefsten beleidigten schwarzen Fee mit jahrelang gereifter Anverwandlung und Sprung-Emphase in jedem Moment bis in die langen Fingerspitzen ausfüllt.
Miriam Kacerova sorgt als Fliederfee überzeugend für den Sieg des Guten, auch wenn die des Platzes verwiesene Carabosse ganz am Ende wieder auf der Vorderbühne erscheint -das Böse bleibt auch weiterhin präsent.
Über die kleineren, technisch teils höchst anspruchsvollen Rollenvertreter sei das Fazit einer guten Präsentations-Qualität wiederholt, wie es bereits in der Rezension zu dieser Aufführung am 18. Dezember 2019 angemerkt wurde.
Auch mit eingeschränktem Klang-Niveau am PC gerät der Einsatz des Staatorchesters Stuttgart unter der Leitung seines neuen Ballett-Musikdirektors Mikhail Agrest nicht ins Hintertreffen und macht auf einige bislang etwas unterbelichtet gebliebene Nuancen aufmerksam.
Danke für die Möglichkeit, noch einmal in den Genuss dieses Ballettfestes als Trost für die anhaltenden Vorstellungsausfälle gekommen zu sein.
Udo Klebes, 11.1.2021
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
„RESPONSE II“. Fortsetzung der Antworten auf Corona
Ein Tisch als Waagschale zwischen Miriam Kacerova und Roman Novitzky in „Aedis“ von Alessandro Giaquinto. Foto: Stuttgarter Ballett
30.10. 2020 (Premiere)
Mit tief bewegter Stimme begrüßte Intendant Tamas Detrich das im Schauspielhaus auf zwangsweise nicht einmal zweihundert Plätze reduzierte Publikum, brachte einerseits das Glück, diese Premiere sowie je 2 Doppelvorstellungen am Wochenende vor der erneuten Schließung des Kulturbetriebes noch bestreiten zu können, zum Ausdruck, als auch die unverhohlene Kritik an der seitens der Politik als lockdown light bezeichneten Maßnahme, die aber für alle Kunstschaffenden in Wahrheit ein lockdown hard bedeute.
Was an dieser Stelle ohne Corona im Rahmen der Jubiläumsspielzeit des Stuttgarter Balletts (60 Jahre) wohl auf dem Spielplan gestanden hätte, darf sich der Ballettfreund besser gar nicht erst ausmalen, und muss wie die Tänzer selbst mit dem zufrieden sein, was unter diesen Umständen machbar ist. Hauptsache, sie können tanzen, nicht nur probeweise, sondern auch vor Zuschauern. Und so durften an der Choreographie interessierte TänzerInnen der Compagnie ihrer Phantasie freien Lauf lassen und sich mit den Umständen und Folgen der Virus-Pandemie beschäftigen.
Gruppentänzer Alessandro Giaquinto schickt in dem seiner italienischen Heimat gewidmeten „AEDIS“ 4 TänzerInnen in schwarzen Hosen und freien Oberkörpern zu zuerst groovend widerhallender und von lautem Atem begleiteter, dann sanft klagender geistlicher Musik auf einen sich in aggressiver Entäußerung entladenden Kurs. Dabei zeigt er, auf verschiedene Lichtquadrate verteilt, dass nicht nur Singles wie der körperlich immer mehr Profil gewinnende Timoor Afshar oder die erstmals so hervorstechend solistisch eingesetzte Anouk van der Weijde einen Kampf mit sich selbst austragen. Auch die in Wirklichkeit ein Paar bildenden Ersten Solisten Miriam Kacerova und Roman Novitzky müssen sich im täglichen Miteinander zuhause beweisen – ein Tisch wird hier zur wechselnd ausschlagenden Waagschale. Giaquinto ist wohl stilistisch noch auf der Suche, vermag aber seine Interpreten deutlich als Ausdruckträger einzusetzen.
Die schon mehrfach choreographisch erfolgreiche Gruppentänzerin Aurora De Mori konzentriert sich in „ALIUNDE LEVI“ auf eine Tänzerin, die zu Beginn wie ein Schatten vor blauem Hintergrund erscheint und sich dann in Naturstimmungskulisse in ihrer Einsamkeit ergeht. Traditionelle Trommel- und Flötenmusik bildet die dynamisch abwechslungsreiche Basis für den Versuch der in der Verbindung von Stärke und Angreifbarkeit wieder einmal sehr für sich einnehmenden Hyo-Jung Kang eine Balance zu halten und dann doch wieder an Fassung zu verlieren. Am Ende signalisiert eine Lichtschneise mit Nebel im Hintergrund einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass wieder bessere Zeiten unter normalen Bedingungen kommen werden.
Formell geschlossen präsentiert sich Vittoria Girelli als Tanzschöpferin in „CHRYSALIS“, wo vier TänzerInnen ihrer Isolation in etwas ausartenden Bewegungsmustern ihren Gefühle im Umgang mit der Corona-Situation freien Lauf lassen. Zuerst zu Popularmusik („For Ever and Ever and Ever Alone“), dann zu klassischen Klängen (Schubert D.821) hat jeder der vier Solisten in eindrucksvoll farb-mäandernden Pluderhosen Gelegenheit auf sich aufmerksam zu machen. Elisa Ghisalberti muss sich als solistisch noch wenig erfahrene Künstlerin vor allem gegen den charakterstarken Fabio Adorisio und den athletisch ausdrucksvollen Matteo Miccini behaupten, während Flemming Puthenpurayil als weicherer Typ mehr auf ihrer Wellenlänge liegt.
Viel Symbolkraft hat Solistin Agnes Su in „RESONANZ“ gelegt, vor hohen Lichtschneisen hängt mitten auf der Bühne eine einsame nackte Glühbirne, die erst später brennen wird, wenn die vier TänzerInnen bäuchlings balancierend ihre Hände nach dem Lichtstrahl ausstrecken. Im ersten Teil ist die Choreographie, angetrieben von elektronisch verstärkten Klapper-Geräuschen (Clapping Music von Steve Reich) von mechanisch abspulenden, wie abgezirkelt geometrischen Linien bestimmt. Zu einem harmonisch beeindruckenden Hymnus für Celli von Julius Klengel lösen sich die Schrittfolgen in natürliche Raster auf, Rocio Aleman, Daiana Ruiz, Clemens Fröhlich und Christian Pforr bilden in beige bis ocker gehaltenen Kostümen ein rhythmisch auffallend gut abgestimmtes Ensemble, aus dem sich keiner vorpreschend abhebt, aber trotzdem jeder sein eigen Ding macht.
Bizarr inspiriert: Angelina Zuccarini und Louis Stiens in „Mehlberg“ von Shaked Heller. Foto: Stuttgarter Ballett
Von Shaked Heller war nach seinen hervorstechenden bisherigen Arbeiten auch jetzt wieder etwas Besonderes, aus dem Mainstream Ausbrechendes zu erwarten. Der Gruppentänzer aus Israel lässt in einem bunkerartigen Aufbau mit einer beidseitigen Flucht von Durchgängen in farblosen einteiligen Kurzhosen-Kleidern drei Gestalten in mehreren, von Vivaldi und Rameau-Musik inspiriert angestachelten Abschnitten auf bizarre, sehr eigenständige Weise eine Strategie gegen die Folgen einer Pandemie ausleben. Elisa Badenes, Angelina Zuccarini und der ideell besonders gut zu Hellers Stil passende Louis Stiens faszinieren in ihrer breit aufgestellten Anverwandlung unterschiedlichster Aufgaben auch über so manches Fragwürdige hinaus, das letztlich auch für die Bezeichnung dieser Schöpfung mit „MEHLBERG“ gilt. Ein Beispiel, wo Tanzkunst dank besonderer Interpreten auch jenseits von Nachvollziehbarkeit funktioniert.
Spürbar erfüllt vom Glück in diesen Zeiten überhaupt so etwas sehen zu können, fiel der Applaus für alle fünf Beiträge überaus großzügig und unterstützt von viel Begeisterung für alle Beteiligten aus.
Udo Klebes, 5.11.2020
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
DORNRÖSCHEN
eine Sternstunde als Weihnachtsballett
18.12.2019 (WA)
Seit er im Frühjahr mit der neuen Ausstattung von Sir Kenneth MacMillans „Mayerling“ für einen triumphalen Einzug dieses Historienballetts ins Stuttgarter Repertoire gesorgt hat, ist Jürgen Rose hier, wo er u.a. die großen Cranko-Ballette in ein zeitlos klassisches Gewand gekleidet hat, wieder in aller Munde. Nun kehrte der Grandseigneur der Bühnen- und Kostümbildner erneut zurück, um dafür zu sorgen, dass sein 1987 für Marcia Haydée eingerichteter Märchen-Klassiker unverändert in allen stilistischen und farblichen Details für weitere Aufführungsserien auf die Bühne zurück kommt.
Was Rose hier an Feinarbeit und unübertrefflicher Farb-Ästhetik in atmosphärischen Bühnenbildern und phantasiereichen Kostümen geleistet hat, stiehlt den Tänzern zwar nicht die Show, aber die von ihm geschaffene Optik ist alleine schon einen Aufführungsbesuch wert und kann durchaus über eine vielleicht mal nicht so glückvolle Besetzung oder eine schlechte Disposition der TänzerInnen hinweg einen Gewinn darstellen. Davon konnte in dieser Wiederaufnahme-Vorstellung mit den mit ersten Kräften besetzten Hauptrollen und einem insgesamt gut aufgelegten Corps jedoch keine Rede sein. Im Gegenteil ereignete sich ein Gipfeltreffen der Stuttgarter Stars, die in jeglicher Beziehung für pure Erfüllung aller Anforderungen sorgten und in dieser Verfassung ohne Wenn und Aber für die Ewigkeit auf DVD festgehalten werden sollten – dies zumindest ein naheliegender Gedanke, wo das Stuttgarter Ballett nun dabei ist endlich die Cranko-Hits für dieses Medium festzuhalten.
Idealere Titelrollen-Darstellerinnen wie Elisa Badenes dürfte es derzeit in dieser Vollkommenheit aus technischer Perfektion und spielerischer Überzeugungskraft nur wenige geben. Mit der Leichtigkeit eines Spaziergangs nimmt sie die langen Balance-Akte des Rosen-Adagios, so dass sie sich während ihres Spitzen-Parcours mimisch völlig natürlich und entspannt den sie umwerbenden vier Prinzen (charakterlich differenziert und sprung-adäquat besetzt mit Marti Fernandez Paixa, Timoor Afshar, Fabio Adorisio und Daniele Silingardi) widmen kann. Die Spanierin ist eine Perle an körperlicher Eloquenz und intuitiv wissendem Ausdrucks-Geschick und zusätzlich durch ihre Flexibilität auch eine dankbare Partnerin für ihren Prinzen. Der gemeinsame Auftritt mit Friedemann Vogel steht denn nicht nur ihr, sondern auch ihm ins Gesicht geschrieben, so gelöst und selbstverständlich begegnen sich da zwei Spitzen-Kräfte, gekrönt von einem in allen herausfordernden klassischen Apercus bravourös und zuletzt strahlend erfüllten Hochzeits-Pas de deux. Vogel glänzt nicht erst da mit seiner Mischung aus reifer Gestaltung und bewahrter Jugendfrische, mit gleichmäßigen Drehungen und einer ausgeglichen durchgezogenen Manège, schon vor Auroras Wachküssung besticht er durch klar konturierte Sprünge und ein poetisch wirkendes Port de bras.
Am Zenit seiner Karriere steht auch Jason Reilly, der im Laufe vieler Jahre nun vollkommen in den Part der bösen Fee Carabosse hinein gefunden hat, die in Haydées choreographischer Fassung mit wilden Sprüngen und Verrenkungen besonders markant gezeichnet und in Roses farbbunten Räumen durch seinen langen schwarzen Umhang ein signalartiger Fremdkörper ist. Mit ungebändigter Lust wirft sich der Kammertänzer in die die Bühne vereinnahmenden Tollereien und bewegt sich im Gesichtsausdruck virtuos auf dem schmalen Grat eines Zwitterwesens. Leuchtende Güte verströmt die fraulich potente und ganz sicher und geschmeidig ihre Bahnen ziehende Miriam Kacerova als Fliederfee.
In den weiteren, z.T. kaum weniger anspruchsvollen Partien präsentierten sich TänzerInnen aus der vorderen Garde: Adhonay Soares Da Silva und Agnes Su hatten als Blauer Vogel und Prinzessin im vierteiligen Pas de deux beide die verlangte Feder-Leichtigkeit und technische Präzision, Ciro Ernesto Mansilla debutierte ebenfalls als Ali Baba und ließ bei aller passend exaltierten Sprung-Emphase nur vorläufig eine durchgehendere Bewegungs-Koordinierung vermissen. Die Edelsteine wurden von Ami Morita (mit guten Voraussetzungen für die Titelrolle) und Rocio Aleman, die bereits davor als Fee der Schönheit und als Verlobte des Prinzen in kleinen Soli ihre Wandlungsfähigkeit zeigte, angeführt. Äußerst nuancenreich entzückend verwandelten sich Louis Stiens und Aurora de Mori in den Gestiefelten Kater und das Kätzchen, effektiv geriet auch die Auseinandersetzung von Rotkäppchen und dem bösen Wolf erstmals in Gestalt von Diana Ionescu und Flemming Puthenpurayil. Als verschiedene Symbole bedienende Feen hatten u.a noch Daiana Ruiz und Fernanda De Souza Lopes ihre Premiere.
Ein Pauschallob all den kleinen Märchenfiguren der Hochzeit, darunter Schneewittchen (Anouk van der Weijde) und die sieben Zwerge, wo ebenso wie im Walzer mit Rosengirlanden Schüler der John Cranko Schule eingesetzt waren.
Das Märchenreich wurde repräsentiert vom Königspaar Sonia Santiago und erstmals Matteo Crockard Villa. Den Dornröschenschlaf haben sie ihrem unachtsamen Zeremonienmeister Catalabutte (Alessandro Giaquinto mit herrlich blasiertem Stolzieren) zu verdanken, der Carabosse in der Gästeliste für Auroras Taufe vergessen hatte. In neuen Amme-Händen lag auch das Baby, Magdalena Dziegielewska hat sich nach Beendigung ihrer Tänzer-Laufbahn überzeugend aufs Charakter-Fach verlegt.
Der künftige Musikdirektor des Stuttgarter Balletts Mikhail Agrest leitete das teils glänzend aufgelegte Staatsorchester Stuttgart einiger im Repertoire-Betrieb wohl unvermeidbaren Grobheiten zum Trotz mit phasenweise mehr Transparenz und Delikatesse durch Tschaikowskys üppige Partitur als sein Vorgänger.
Im lautstarken (auch immer wieder dazwischen ausbrechenden) Publikumsjubel durfte auch mal wieder Marcia Haydée baden, die bei jeder Wiederaufnahme ihrer Schöpfung an ihre langjährige Wirkungsstätte zurück kehrt, um letzte Hand anzulegen. Fairerweise hätte zuletzt auch Jürgen Rose als Teilhaber dieser beispielhaft schönen und geschmackvollen Schöpfung wieder auf die Bühne geholt gehört. Sternstunden wie diese sind ein edles Geschenk zum bevor stehenden Weihnachtsfest.
Fotos (c) Stuttgarter Ballett
Udo Klebes, 21.12.2019
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online
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