RADEBEUL
26. August 2022 Friedenskirche Radebeul
Auftakt des „Musik-Festivals Radebeul“
Die Stadt an der Sächsischen Weinstraße schuf ein eigenes Festival
Im Nachgang der Moritzburger Festspiele des Corona-Jahres 2021 hatte der Sohn der Stadt Radebeul und Violinist Albrecht Menzel die Musiker Sindy Mohamed, Sacha Maisky und Andrei Ioniţâ eingeladen, mit ihm ein damals „ausgedünntes“ Konzert in seiner „Friedenskirche“ zu gestalten.
Der Erfolg des Konzertes und Wunsch auf eine Wiederholung führte fast zwangsläufig zur Idee für die Stadt vor den Toren Dresdens zwischen Weinbergen und Elbe ein kleines feines Musikfestival zu arrangieren, zumal mit den beiden Kirchen, im Weingut Schloss Hoflößnitz und im Industriedenkmal des ehemaligen VEB ZERMA geeignete Veranstaltungsräume zur Verfügung stehen.
Mit Unterstützung zahlreicher Helfer aus der Gemeinde und einiger Sponsoren konnte Albrecht Menzel als künstlerischer Leiter für den Zeitraum vom 26. August bis zum 4. September 2022 vier anspruchsvolle Konzerte mit seinen international erfolgreich tätigen Freunden und weiteren Musikern gestalten.
Am 26. August erlebten wir in der Friedenskirche Radebeul-Altkötschenbroda mit dem „4. Albrecht Menzel & Friends“ mit Albrecht Menzel, Violine; Sascha Maisky, Violine; Sindy Mohamed, Viola; Andrei Ioniţâ, Violoncello und Lily Maisky, Klavier das Eröffnungskonzert.
Gespielt wurde zu Beginn das Klavierquintett Es-Dur op. 44 von Robert Schumann (1810-1856) aus seiner Leipziger Zeit, welches 1843 unter Leitung des damaligen Gewandhauskapellmeisters Ferdinand David und der Klavier-Mitwirkung Clara Schumanns uraufgeführt worden war.
Besonders beeindruckte, wie die fünf Musiker die Moll-Stimmung des „Un poco largamente“ im Scherzo nachklingen ließen und aber im Finalsatz anmutigen Optimismus verbreiteten.
Mit des Individualisten Alfredo Casellas (1883-1947) „Fünf Stücken für Streichquartett op. 34“ aus dem Jahre 1920 folgte eine seltener gehörte Arbeit eines der originellsten Komponisten seiner Zeit.
Die unterschiedlich markant-rhythmischen Stücke belegten durchaus die Verbundenheit Casellas mit Debussy, Ravel, Mahler, Strauss und besonders der Rhythmik Strawinskys. Auch hatte ich den Eindruck, dass von den Hörern des Konzertes die divergiert-farbenreichen Stücke begeistern aufgenommen wurden, selbst als sich im schier endlosen vierten langsamen Trauer-Nocturne leichte Unruhe bemerkbar machte.
Zu einem Ereignis gestalteten die fünf Musiker Antonin Dvořáks Klavierquintett A-Dur Nr. 2 op. 81. Das Quintett gilt als Versuch, eine Synthese zwischen dem naiven Lyrismus Franz Schuberts bzw. Robert Schumanns und dem symphonischen Charakter des Klavierquintetts des Johannes Brahms herzustellen.
Mit dem gut fünfzehn-minütigen ersten Satz des großen Kammermusikwerkes erzählten die Musiker entspannt und souverän eine böhmische Heldengeschichte, so dass die Hörer, in die Dramatik des Werkes eingeführt, jeden folgenden Formteil, jede Imitation innerhalb der Stimmen, jeden eifrigen Dialog als leuchtenden Bilderbogen orchestraler Pracht empfinden konnten.
Der Wirkung des Konzertes kamen die gute, leicht trockene Klangentfaltung im Kirchenraum, die Spielfreude und die prachtvollen Instrumente der Musiker entgegen. Immer wieder begeistert uns die Stradivari „Lady Hallé/Ernst“ Albrecht Menzels sowie der eigentlich zurückhaltende Klang des von Andrei Ioniţâ gespielten Violoncellos aus der Werkstatt des Giovanni Battista Rogieri (1642-c1710), gebaut im Jahre 1671, mit seinen starken Bässen und den intensiven Obertönen.
Thomas Thielemann, 29.8.22
©
Nikolaj Lund Andrei Ionita und Sindy Mohamed
Anne Hornemann (Albrecht Menzel)
Andrej Grilc (Lily Maisky)
Privatarchiv (Sascha Maisky)
Der Besuch der alten Dame
Premiere: 26.05.2018
Schuld und Sühne
Liebe Opernfreund-Freund,
Friedrich Dürrenmatts Drama „Der Besuch der alten Dame“ ist Ihnen sicher ein Begriff, entweder, weil Sie es von der Theaterbühne kennen, weil es zu Schulzeiten zur Pflichtlektüre gehörte oder weil Ihnen die ARD-Produktion mit Elisabeth Flickenschildt in der Titelrolle unvergesslich ist. Bis heute ist die Aktualität des Sujets ungebrochen, ein jeder fragt sich „wie würde ich handeln“, lotet das Stück aus dem Jahr 1956 doch die Grenzen der eigenen Moral aus wie wohl kaum ein zweites. Die Opernversion des Dramas, zu dem Dürrenmatt selbst das Libretto verfasste, ist in der genialen musikalischen Umsetzung von Gottfried von Einem seit gestern in Radebeul zu erleben.
Claire Zachanassian kehrt nach fast 50 Jahren steinreich in ihr Heimatstädtchen Güllen zurück. Sie ist durch zahlreiche Ehen zu Geld gekommen, bietet der nun bettelarmen Stadt eine ihrer Milliarden als Spende an, verlangt allerdings Gerechtigkeit. Der Krämer Alfred Ill hatte sie seinerzeit geschwängert, mit Schimpf und Schande hatte sie den Ort entehrt verlassen und sich als Prostituierte verdingen müssen. Nun soll Ill sterben, dafür erhält der Ort Wohlstand. Die Einwohner weisen das Angebot erst brüsk zurück, erliegen dann aber der Gier nach dem versprochenen Geld. Gottfried von Einem hat daraus 1971 eine Oper gemacht, ein klanggewaltiges Werk – wie alle Kompositionen von Einems der Tonalität verpflichtet, das nach einer Mischung aus Richard Strauss und Zemlinsky klingt, in das er aber auch immer wieder Walzer-, Marsch- oder Jazzmotive einflicht. Die dramatische Wucht der Vorlage wird von dem Österreicher, dessen Geburtstag sich 2018 zum 100. Mal jährt, gekonnt in musikalisches Drama gegossen, zu dessen Höhepunkten sicher die Umsetzung des Angebots der alten Dame gehört.
Und die hätte man auch anderswo nicht besser besetzen können, denn in Radebeul wird Ensemblemitglied Stephanie Krone in den zweieinhalb Stunden zur eindrucksvollen Verkörperung dieser vielschichtigen Figur. Die Sopranistin ist überzeugend die nach Rache lechzende Alte, kraftvoll und fordernd in den Ausbrüchen, wird aber in den Erinnerungsszenen mit ihrem einstigen Liebhaber auch stimmlich wieder zum unschuldigen Mädchen Klara. Das mit anzuhören und dieser unglaublichen Sängerdarstellerin bei der Gestaltung der Claire zuzusehen, ist eine reine Wonne. Der junge Regisseur Sebastian Welker hat seine Interpretation auch ganz und gar auf die Titelfigur abgestellt, thront sie doch fast ausschließlich auf einem Gerüst hinter einer Gaze und deklamiert ihre Anschuldigungen und Forderungen von oben herab. Die Damen des Chores sind Spiegelungen der jungen Klara, so dass die alte Dame auch visuell die ganze Stadt verführt. Der dunkle Bühnenraum, den Christoph Gehre vor dem im hintern Teil der Bühne postierten, groß besetzten Orchester gebaut hat, vermittelt die Enge des Ortes, der Alfred nie hat entrinnen können, zeigt aber auch die geistige Enge der Güllener. Die sind anfangs noch in verdreckte und zerlumpte Klamotte gehüllt, leisten sich aber im Laufe des Abends wegen der Aussicht auf baldigen finanziellen Wohlstand schon Anzüge und neue Schuhe auf Pump. Die Enge des Raumes ist auch das einzige Problem der Inszenierung, denn gerade wenn sich die ganze Stadt auf der Bühne zu tummeln hat, lässt es Welker an präziser Personenführung mangeln und erzeugt so ein Übermaß an Konfusion. Dafür aber vermag er, die komischen Stellen des Dramas hervorragend zu nutzen, spielt gern mit Skurrilität und macht aus Koby und Loby, die von Marc-Eric Schmidt und Leo Mastjugin hervorragend gespielt und gesungen werden, zwei maskierte Sexsklaven oder steckt den zum Butler gewordenen Richter, den Kay Frenzel mit hellem Tenor zum Leben erweckt, in ein Zofendress. Der Lehrer von Kazuhisa Kurumada bleibt ebenso im Ohr wie Hagen Erkrath, der den Pfarrer mit profundem Baß ausstattet. Warum man aber die Stimme von Ills Frau über Lautsprecher steuert, erschließt sich mir nicht. Anna Erxleben wäre mit ihrem charmanten Sopran sicher auch unverstärkt über die Rampe gekommen. Dan Chamandy verkörpert als Gast den Bürgermeister und macht das hervorragend. Ihm gelingt eine genaue Zeichnung des doppelmoralischen Ortsvorstehers mit seinem eindrucksvollen und vor Kraft strotzenden, dunkel gefärbten Tenor. Nahezu ununterbrochen auf der Bühne ist Alfred Ill und der zum Ensemble gehörende Koreaner Paul Gukhoe Song meistert diese Monsterpartie ohne hörbare Anstrengung. Er zeigt alle Facetten seiner kraftvollen Stimme, gibt gerade noch den verzweifelten Gejagten, um sich im nächsten Moment zum imposanten Appell emporzuschwingen. Bravo!
Im Graben, der sich an diesem Abend auf der Bühne befindet, hält Ekkehard Klemm die Fäden zusammen, musiziert präzise und liefert mit den Musikerinnen und Musikern der Elbland Philharmonie Sachsen eine ebenso grandiose Leistung ab wie der von Sebastian Matthias Fischer betreute Chor. Nach dem letzten Ton sitzt das Publikum gebannt im Sessel, beeindruckt von der Visualisierung der letzten Szene, angetan von den Tänzern Morgan Perez und David Espinosa Angel, die als junges Paar durch den Abend begleiten, berührt von der künstlerischen Interpretation und bewegt von der Frage, ob man wirklich alles kaufen kann… Kaufen können (und sollten) Sie in jedem Fall ein Ticket für eine der drei Vorstellungen, die es in der laufenden Spielzeit noch geben wird. Dem Vernehmen nach wird die Produktion zudem in der kommenden Saison wiederaufgenommen – dann werde auch ich sicherlich noch einmal vom Rhein an die Elbe reisen, um diese Rarität nochmals so vollendet erleben zu dürfen.
Ihr Jochen Rüth / 27.05.2018
Die Fotos stammen von Hagen König
CARMEN
Premiere: 9.4.16
besuchte Vorstellung: 14.5.16
Konventioneller Klassiker
Lieber Opernfreund-Freund,
Publikumsrenner auf der Opernbühne sind wichtig. In Zeiten, die von knappen Kassen und Sparzwängen geprägt sind, garantieren sie in der Regel gut besuchte Vorstellungen und damit einen gewissen Grundsockel an Einnahmen, den jedes Haus braucht. Der ermöglicht dann erst Produktionen abseits des Standardrepertoires, da die All Time Favourites gewissermassen eine Subvention leisten. Die Kehrseite der Medaille ist, dass wirklich jeder sie zeigen muss - und auch zeigt - und das, obwohl die Werke musikalisch nicht unbedingt einfacher sind, nur weil sie beliebt sind. Im Gegenteil. George Bizets „Carmen“ avancierte mittlerweile zu einer meiner „Hass-Opern“. Die Musik ist wunderbar, vielschichtig und raffiniert, die Handlung bietet durchaus Ansätze, einen unterhalsamen, auch geistig fordernenden Opernabend zu erleben - und doch sieht man oft etwas anderes: so ist eine Prager „Carmen“, die ich einmal besucht habe, sicher die am lustlosesten gespielte Opernvorstellung, die ich je gesehen habe, eine Produktion an einer sächsichen Bühne vor ein paar Jahren nimmt den Spitzenplatz als am schlechtesten musizierter Abend ein und verteidigt ihn vehement. Mit einem flauen Gefühl im Magen habe ich also gestern das Stammhaus der Landesbühnen Sachsen in Radebeul betreten, um mir deren Interpretation dieser heutzutage vielleicht am häufigsten interpretierten Oper anzuschauen - und habe das Theater durchaus zufrieden wieder verlassen.
Die Lesart von Hauschef Manuel Schöbel erfindet das Rad sicher nicht neu. Er zeigt die Geschichte um die selbstbewusste, freiheitsliebende Frau, die lieber stirbt als nachzugeben, sehr konventionell - was durchaus legitim ist, setzt aber mit dem einen oder anderen originellen Regieeinfall durchaus Akzente. Die Einheitsbühne von Stefan Wiehl ist wenig spektakulär, die aufgebaute Rampe wird im Wesentlichen durch Requisiten und vor allem buntes Licht belebt, das die verschiedenen Stimmungen des Werkes treffend verstärkt. Licht und Schatten spielen überhaupt eine große Rolle in dieser Produktion, teilweise entsehen eindrucksvolle, scherenschnittartige Bilder - genauso scherenschnittartig bleibt allerdings auch die Charakterzeichnung der Agierenden. Der Zuschauerraum wird immer wieder Teil des Geschehens, die Tänzerinnen und Tänzer der Tanz-Werkstatt bereichern die Szenerie auch abseits der großen Tanzszenen und schaffen so, dass bei aller Traditionalität nicht wirklich Langeweile entsteht (Choerografie: Katrin Wolfram). Carmens Weiblichkeit bedarf keines Flamencokleides und keiner Rüschenvolants, die wunderbaren Kostüme, die Heidrun Patschurek in den theatereigenen Werkstätten angefertigt hat, sind liebevoll und variantenreich gestaltet, vermitten Lokalkolorit, ohne in diese Art von Kitsch abzudriften. So wird’s ein unterhaltsamer Opernabend mit blotrotem Ende, der sich sicher lange im Repertoire wird behaupten können.
Gesungen wird natürlich auch - und das auf durchaus beachtlichem Niveau. Am meisten im Ohr, im Auge und im Herzen bleibt mir aber nicht Carmen, die von Patrizia Häusermann, nach eher schwachem ersten Akt, in dem ich noch ein wenig Raffinesse vermisste, ab Akt zwei durchaus überzeugend die auf Selbstbestimmung bestehende junge Frau gibt. Rein äußerlich ist sie die Femme fatale, die man sich bei dieser Figur vorstellt, spielt und tanzt über weite Strecken wunderbar. Zu meiner Überraschung überzeugt sich mich aber nicht mit der Habanera, der Seguidilla oder im Schlussakt am meisten, sondern mit der unglaublich berührend vorgetragenen Kartenarie im dritten Aufzug. Vielmehr hängen bleibt an diesem Abend der wunderbar klare Sopran von Anna Erxleben, die als Micaela mit einem tollen Höhenpiano glänzt, das an das Timbre der jungen Anneliese Rothenberger erinnert.
Die absolute Wucht allerdings ist Bariton Paul Gukhoe Song als Escamillo, der die Partie sichtlich voller Vergügen und Durchschlagskraft auskostet. Schlichtweg fulminant! Haustenor Kay Frenzel als Don José singt mit viel Druck und ist deshalb vor allem in den kraftvollen Passagen eindrucksvoll. Michael Königs Zuniga ist beeindruckend, seine raumgreifende Stimme hat Gewicht. Als sein Sergeant Morales hat Fred Bonitz allerdings mit erheblichen Intonationsschwierigkeiten zu kämpfen. Iris Stefanie Maier und Antje Kahn sind zwei hinreißende Zigeunerinnen voller Leidenschaft, Spielfreude und stimmlicher Präsenz, Andreas Petzoldt und Marcus Sandmann ein gewitzt aufspielendes Schmugglerpaar. Der Opernchor, verstärkt durch Mitglieder des Freien Opernchores Sachsen ChoruSa, ist in bester Laune und überzeugt ebenso wie der Kinderchor, der zudem auch darstellerisch einmal genauso gefordert ist, wie die erwachsenen Kollegen. (Einstudierung: Sebastian Matthias Fischer und Elke Linder).
Hans-Peter Preu am Pult der Elbland Philharmonie Sachsen gelingt das Kunststück, diese „Carmen“ mit den nötigen spanischen Farben zu versehen und sie doch als französisches Werk, was sie ja immerhin ist, zu präsentieren.
Ein Besuch dieser „Carmen“ lohnt also. Nicht etwa, weil die psychologische Deutung dermaßen ausgefeilt wäre oder die beiden Hauptrollen extrem überzeugend dargeboten würden - das hat man oft schon besser gesehen. Und auch schlechter. - sondern weil Frau Erxlebens Micaela und Herrn Songs Escamillo mich wirklich haben beeindrucken können.
Ihr Jochen Rüth / 15.05.2016
Bilder (c) Landesbühne