DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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http://www.theater-trier.de/

 

 


Purcells Dido & Aeneas

Poulencs Voix humaine

Premiere: 18.5.19
besuchte Vorstellung: 1.6.19

Licht und Schatten

Lieber Opernfreund-Freund,

zum Doppelabend lädt derzeit das Theater Trier ein und stellt zwei Frauen einander gegenüber, die das Verlassenwerden in den Selbstmord treibt: Zu Purcells Drama um Dido & Aeneas gesellt sich Francis Poulencs One-Woman-Show La voix humaine. Trotz packender Musik verlasse ich das Theater allerdings mit gemischten Gefühlen: So sehr mich die Interpretation des barocken Werks aus den Socken gehauen hat, so wenig hat mich die Umsetzung der Monooper überzeugen können.

Dido and Aeneas von Henry Purcell wurde irgendwann in den 1680er Jahren uraufgeführt, lange glaubte man, in einem Mädchenpensionat in Chelsea. Mittlerweile geht man von einem königlichen Kompositionsauftrag und damit mit einer Uraufführung in London aus. Die Handlung stammt aus dem 4. Gesang aus Vergils Aeneis, ist also mehr als 2000 Jahre alt. Doch die Lesart des Franzosen Jean-Claude Berutti kommt alles andere als antiquiert daher. In die zeitlose Gegenwart holt er die althergebrachte Geschichte und haucht ihr mit zahlreichen originellen Ideen neues Leben ein. Dabei nutz er die technischen Möglichkeiten der Trierer Bühne voll aus, so dass sich Aeneas‘ wellenumtostes Schiff blitzschnell in Didos Palast oder einen naturalistisch anmutenden Wald verwandelt. Das hat Bühnenbildner Rudy Saboungi vorzüglich gelöst. Die Idee, Didos zweite Gefährtin und eine der Hexen vom gleichen Countertenor interpretieren zu lassen, ist grandios, folgerichtig wird die Zauberin auch baritonal besetzt. Lediglich die eingestreute Ballettchoreographie von Roberto Scafati ist dermaßen dezent, dass man sie vielleicht ganz hätte weglassen können. Die kurze Stunde Oper vergeht so wie im Flug, wozu sicher auch die musikalische Seite beiträgt.

Janja Vuletic als Dido ist ein Ereignis. Neigt sie in den ersten Minuten bedauerlicherweise noch zum Overacting, erweckt sie im weiteren Verlauf diese zutiefst verzweifelte Frau gekonnt zum Leben. Dazu singt sie fantastisch und nuanciert, glänzt mit mühelos daherkommenden Verzierungen und feiner Höhe und verschafft mir so mehr als einmal Gänsehaut. Eva Maria Amann ist eine warm klingende Belinda und packt als treue Dienerin viel Gefühl in ihren wunderbaren Sopran. Matthias Bein würzt seinen klangschönen Bariton als Zauberin mit einer gehörigen Spur Fiesheit, während Silja Schindler und Fritz Spengler mit sicht- und hörbar viel Spiellust die Hexen geben. Letzterer macht auch als 2. Frau eine gute Figur und überzeugt mich in beiden Rollen mit der großen Natürlichkeit seines Counters und engagiertem Spiel bis in die letzten Perückenhaarspitzen hinein. Die „echten“ Herren des Abends bleiben bei so viel Frauenpower vergleichsweise blass. Blaise Rantoanina gefällt in den beiden kurzen Auftritten als Seemann und Geist (die Regie lässt ihn als Geistlichen auftreten), während Derek Rues Tenor recht zart über die Rampe kommt. Das mag aber auch daran liegen, dass er über weite Teile des Abends Anchises, den Vater seiner Figur, auf dem Rücken zu tragen hat – so war Aeneas der Sage nach aus Troja geflohen.

Dem Chor kommt in Dido & Aeneas besondere Bedeutung zu – und noch nie habe ich die einzelnen Stimmen so klar und präzise hören dürfen, wie gestern in Trier, so genau hat Angela Händel mit den Sängerinnen und Sängern gearbeitet. Auch im Graben gibt das schlanke, espritgeladene Dirigat von Jochem Hochstenbach keinen Anlass zur Klage. Doch das ändert sich bedauernswerterweise nach der Pause.

Es ist sicher nicht einfach, innerhalb von 30 Minuten den Schalter von einem klanglich eher zarten Barockwerk zu einer höchst expressiven, immer wieder von klanglichen Ausbrüchen geprägten Musik umzulegen. Und – so deutlich muss ich das leider sagen – das ist gestern in Trier auch nicht wirklich gelungen. Poulencs mitreißende Dynamik geht in der weichgespülten Interpretation Hochstenbachs komplett verloren, Ecken und Kanten fehlen völlig, so dass die musikalische Wirkung weit hinter den Möglichkeiten dieser kurzen Oper zurück bleibt.

Réka Kristóf gestaltet die Frau (sie hat im Stück keinen Namen) mit höchster Intensität, farbenreich und überzeugend. Mit viel Herzblut gelingen ihr die Wechsel zwischen Verzweiflung, Enttäuschung, Hoffnung, Wut und Flehen scheinbar mühelos. Dass man einige männliche Zuschauer auf die Bühne gebeten hat, um dem zweiten Teil von dort zu folgen, ist noch nachzuvollziehen – da verzweifelt und stirbt eine Frau vor den Augen der Männerwelt. Dass das eingeblendete Oszillogramm die Stimme des Telefongesprächspartners visualisiert, mag sich nicht jedem Zuschauer erschlossen haben, doch deshalb ist der Regieeinfall nicht weniger gut. Und auch die Idee, die Figur wie eine antike Tragödin zu gewanden, entbehrt nicht jeder Grundlage. Doch warum steckt Katharina Heistinger die Sängerin in seltsam klumpig anmutende Plateau-Sneaker, so dass die Arme allenfalls wenig anmutig über die Bühne staksen kann? Warum treten anstelle des stimmigen Lichtkonzeptes der ersten Hälfte grobe Lichtwechsel? Und warum fällt niemandem auf, dass man den in der Seitengasse positionierten Souffleur durch den schräg positionierten Spiegel im Zuschauerraum sehen kann, dass er hell erleuchtet und so präsent ist, dass er von der eigentlichen Protagonistin ablenkt? So überzeugend die Arbeit des Trierer Operndirektors Beruttis am Purcell ist, so sehr erinnert seine Voix humaine an Schülertheater.

Eine Medaille mit zwei Seiten ist also dieser Abend – und dennoch schicke ich Sie, lieber Opernfreund-Freund, nach Trier. Zum einen sind die 40 Minuten der zweiten Hälfte schnell überstanden und Réka Kristófs Verkörperung der Figur entschädigt für einiges. Zum anderen ist dieser Purcell dermaßen sehenswert, dass der Weg in jedem Fall lohnt.

 

Ihr Jochen Rüth 2.06.2019

Die Fotos stammen von Virginie Lançon

 

 

Die Brücken am Fluss

Premiere: 18.03.2017 (Deutsche Erstaufführung)

Mit ganz, ganz viel Gefühl


Die deutsche Erstaufführung eines mit zwei Tony-Awards ausgezeichneten Musicals erlebt man auch nicht alle Tage. Umso erstaunlicher, dass am vergangenen Wochenende im Theater Trier das Musical „Die Brücken am Fluss“ erstmals in deutscher Sprache zu hören war und dies selbst in einschlägigen Musicalforen kaum Beachtung fand.

Dies sollte sich hoffentlich ganz schnell ändern, denn den Auszeichnungen für „Best Original Score“ und vor allem „Best Orchestrations“ im Jahr 2014 an Jason Robert Brown kann man nach dem Besuch der Premiere im Theater Trier nur zustimmen. Auch die Fachzeitschrift „musicals“ lobte das Castalbum der Broadway-Produktion mit dem Hinweis auf die „lyrischen, weit gespannten Melodiebögen, beschwingten Walzern, elaborierten Grooves, Anklängen italienischer Folklore und einer Prise Country“. Viel besser kann man die wunderbare Musik die aus dem Orchestergraben klang kaum beschreiben, ergänzen kann man höchstens noch, dass auch opernhafte Elemente geschickt in die Komposition eingeflossen sind. Daher auch gleich an dieser Stelle ein ausdrückliches „Bravo“ an die Streicher und das Schlagwerk des Philharmonischen Orchester der Stadt Trier unter der musikalischen Leitung von Dean Wilmington.

Doch kurz zur Handlung, vielen Lesern ist sicherlich die bekannte Verfilmung mit Meryl Steep und Clint Eastwood ein Begriff, daher hier nur ein grober Anriss des Geschehens in Iowa im Jahre 1965. Hier lebt die gebürtige Italienerin Francesca Johnson mit ihrem Mann „Bud“ und den beiden Kindern auf einer Farm und geht gewissenhaft ihren Aufgaben und Pflichten als Hausfrau, Mutter und Ehefrau nach. Während ihr Mann mit den Kindern zu einem mehrtägigen Wettbewerb um die beste Kuh des Landes aufbricht, lernt die daheim gebliebene Frau den Photographen Robert Kincaid kennen, der gerade die berühmten überdachten Brücken der Gegend für eine Reportage ablichten will. Dieser erweckt in ihr viele lang unterdrückte Sehnsüchte, so dass sie sich auf eine Affäre mit ihm einlässt. Doch auch Robert entwickelt Gefühle die er bislang stets an sich abprallen ließ, so dass Francesca vor einer schwierigen Entscheidung steht.

In der Rolle der Francesca brilliert Carin Filipcic als von Gefühlen zerrissene Frau, die gleich zu Beginn des Stückes einen großartigen Auftritt hat. Ihr Mann „Bud“ gespielt von Norman Stehr hat eine vergleichsweise kleine Rolle, konzentriert sich Marsha Norman (Buch) bei der Umsetzung des Romans „The Bridges of Madison County“ von Robert James Waller zur eigenständigen Bühnenversion vor allem auf die Personen Francesca und Robert. Letzterer wird in Trier von Hans Neblung verkörpert, der wie bereits in unzähligen anderen Musicalproduktionen auch hier wieder eine schauspielerisch und gesanglich tadellose Leistung darbietet. Denkt man zur Pause noch, dass es ja ein „ganz netter Theaterbesuch mit schöner Musik“ ist, entwickelt vor allem der zweite Akt auch durch das Duo Filipcic / Neblung ganz starke emotionale Momente. Hierzu trägt auch die geschickte Regie von Ulrich Wiggers bei, der hier in den richtigen Momenten entsprechende Akzente setzen kann. Bleibenden Eindruck hinterlassen auch Conny Hain als Marge und Christopher Ryan als Charlie, das Ehepaar aus der Nachbarschaft, welches einige sehr humorvolle Aspekte beisteuert, sei es das Beobachten der Nachbarn mit dem Fernglas oder die Dialoge zwischen beiden zu bestimmten Situationen ihrer Ehe, die egal wie verschieden sie auch sein mögen, beide trotzdem glücklich miteinander sein lassen. Chadi Yakoub und Mariyama Ebel verkörpern glaubhaft die Kinder Michael und Carolyn. Abgerundet wird das Darstellerensemble durch Sidonie Smith als Roberts erste Frau, die zudem in einer weiteren Rolle als Fidelsolistin zu erleben ist.

Sehr schön umgesetzt auch das gezeichnete Bühnenbild von Matthias Winkler, welches immer wieder neue Räume schafft und durch geschickte optische Grundtechniken stellenweise fast dreidimensional wirkt. Die Kostüme von Noélie Verdier zeigen die Farmer in den mittleren Staaten des Jahres 1965 ganz so, wie der Zuschauer sie auch aus vielen Filmen gewohnt ist und runden somit das stimmige Gesamtbild dieser Inszenierung ab. Ganz wichtig noch der Hinweis auf die gelungenen deutschen Texte, hier hat Wolfgang Adenberg, sicher einer der erfolgreichsten Übersetzter in diesem Bereich, erneut sein Können unter Beweis gestellt.

Zum Abschluss noch ein Appell an alle Leser aus dem Großraum Trier: Ja, ihr habt vielleicht ein wirklich von außen nicht schön anzuschauendes Theater, dem man viele dringend notwendigen Sanierungsarbeiten ansieht wie kaum einem anderen Haus in Deutschland. Und sicherlich steckt gerade das Theater Trier derzeit in einer turbulenten Phase. Aber im Hinblick auf die teilweise recht schwachen Vorverkaufszahlen, die man für die kommenden Aufführungen ablesen kann, möchte man euch nur zurufen: „GEHT INS THEATER, BEVOR ES ZU SPÄT IST!“ Mit „Die Brücken am Fluss“ ist es dem Haus gelungen, „großes Kino“ auf der Theaterbühne zu bringen, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Premierenpublikum im leider nicht ganz ausverkauften Haus zeigte sich entsprechend begeistert.


Markus Lamers, 20.03.2017
Fotos: © Oliver Look

 

MARIA DE BUENOS AIRES

Premiere am 29.01.2017 im Kasino am Kornmarkt

Tango-Trash

Lieber Opernfreund-Freund,

Astor Piazzollas 1968 uraufgeführte tango operita „Maria de Buenos Aires“ fristet hierzulande ein Schattendasein. Zwar kommt es gelegentlich zu meist konzertanten Aufführung, wie in der vergangenen Spielzeit beispielsweise in Bonn, doch ist die Geschichte dermaßen vielschichtig und komplex, dass eine szenische Umsetzung nur selten gelingt. Das sieht man seit gestern auch in Trier, wo die Theaterlandschaft ohnehin aus den Fugen geraten zu sein scheint.

Astor Piazzolla hatte ab Ende der 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts den Tango argentino erneuert und so das Lebensgefühl des Tangos in die Welt getragen. Der Stadt Buenos Aires hat er vor beinahe 50 Jahren mit der „Maria de Buenos Aires“ ein Denkmal gesetzt und dabei die hochpoetischen Texte von Horacio Ferrer vertont. Erzählt wird die Geschichte von Maria, die aus der Vorstadt stammt und in Buenos Aires ihr Glück als Sängerin und Tänzerin versucht, sich unglücklich verliebt, als Prostituierte endet und bei der Geburt ihres ersten Kindes stirbt. Im zweiten Teil zieht der Geist Marias durch die Straßen von Buenos Aires, die Handlung gleitet ins Surreale ab und endet nach allerlei Symbolismen damit, dass der Schatten Marias an Weihnachten ein Mädchen gebiert – vielleicht die Wiedergeburt von Maria selbst.

Die Regisseurin Karin Maria Piening präsentiert im Kasino am Kornmarkt nun ihre recht eindimensionale Lesart dieses komplexen Stoffes. Das hat sie offensichtlich auch schon 2012 im Historischen Gemeindesaal Moabit getan, denn in Trier ist eine Reprise der Produktion zu sehen, ohne dass das teatrier, wie es sich nennt, darauf einen Hinweis gäbe. Zwar sind die Kostüme von Rebekka Dornhege Reyes da und dort angepasst, doch Bühnenaufbau und Konzept scheinen 1:1 von der Berliner Inszenierung übernommen.

Der Aufführungsort indes ist klug gewählt, man betritt als Zuschauer eine Bar mit prominenter Theke, etwa hundert Gäste sitzen an Tischen oder rechts und links von einer Art Laufsteg, der von der kleinen Bühne in den Saal führt. So entsteht eine unglaubliche Nähe zum Geschehen und die am Ende des Steges postierten Musiker erschaffen einen wunderbar intimer Rahmen, der der zu erwartenden Musik durchaus angemessen ist. Doch dann geht es los… Piening reduziert die Maria auf die ewig geschundene Frau, von aller Welt geschlagen, vergewaltigt und zum bloßen Sexsymbol gemacht. Nur zu selten dürfen die anderen Facetten dieser vielschichtigen Figur kurz aufblitzen, da darf sie Mutter sein (die selbstverständlich ihre Kinder nicht lieben können darf) oder Madonnenfigur (die überflüssigerweise Rosenblätter gebiert). Die Zweiteilung aus dem Libretto ist nicht im Ansatz zu erkennen, die groteske Verunstaltung des Stoffes erinnert mich mehr als einmal an Laientheater – Puppen, denen Gliedmaßen fehlen, aufgemalte Geschlechtsteile und Baseballschläger, die auf rote Herzen eindreschen, sind gnadenlos überholte Bilder – und spätestens bei der unsäglichen Improvisation des Duende ist die Inszenierung in den Bereich der Persiflage abgeglitten.

Schade, dass die Musik bei solch überambitionierter Regie in den Hintergrund tritt, denn die Handvoll Musiker spielt fantastisch, allen voran die barfuß auftretende Bandonéon-Koryphäe Stephan Langenberg, ein wahrhafter Meister seines Instruments, und Wolfgang Wehner an der Violine, der mit gefühlvollem Strich für den nötigen Schmelz in den Tangomelodien sorgt. Dean Wilmington leitet vom Klavier aus gekonnt die kleine Schar.

Luiza Braz Batista spielt und singt sich förmlich die Seele aus dem Leib, ihre dunkle Stimme klingt fast androgyn und transportiert die Seele des Tangos in den Saal. So lässt ihre Maria dem Zuschauer – auch aufgrund ihrer intensiven Darstellung – immer wieder einen Schauer über den Rücken laufen. Ensemblemitglied Bonko Karadjov gibt den Sänger voller Innbrunst und mit schmelzend-schluchzendem Tenor. Der junge Schauspieler Tilman Rose neigt zwar bisweilen zum Overacting, verkörpert den Duende aber unterm Strich dann doch überzeugend. Dass es sich bei den Darstellern des Bürgerchores um Laien handelt, ist nicht ganz zu verhehlen, doch setzen die Damen und Herren die Anweisungen der Regie gekonnt um, wobei Philipp Voigtländer den nachhaltigsten Eindruck vermitteln kann.

Warum die Sänger in diesem kleinen Raum mit Mikroports verstärkt werden müssen, so dass die Agierenden am einen Ende des Raumes stehen, der Klang aber aus den Lautsprechern am anderen Ende kommt, und warum es nach der Vorstellung trotz abgedroschenster, auf plumpe Brutalität setzender Bildsprache zu einhelligem Applaus auch für das Produktionsteam kommt, wo doch die Gespräche mit Zuschauern nach der Vorstellung Kopfschütteln, Missfallen und Unverständnis offenbaren, darauf, lieber Opernfreund-Freund, habe ich leider keine Antwort gefunden. Diese Art pseudo-experimentelles Theater hat zumindest mich nicht erreichen können.

Ihr Jochen Rüth / 30.01.2017

Fotos (c) ArtEO Photography

 

 

Oper von Banjamin Britten

Premiere am 25.9.16

Auch das Theater Trier, geleitet von dem Vorarlberger Karl M. Sibelius, verbeugte sich mit seiner Premiere zu Saisonbeginn vor dem Jahresregenten Shakespeare. Man wählte „A Midsummernight’s Dream“ von Benjamin Britten, ein Werk, dessen Reiz und Schwierigkeiten sich die Waage halten. Mit beidem setzte sich Regisseur Sam Brown auf seine Art auseinander.

Mit dem Reiz hatten er und sein Ausstatter Simon Holdsworth wenig am Hut, man entschied sich – was natürlich durchaus ein Ansatz ist – ausschließlich für die düstere Seite des Geschehens. Dann ist ein Zauberwald, wo die Verwirrung der Gefühle toben soll, durchaus kein Wald mehr, sondern kahles Gestänge, das nur entfernt an karge, kahle Baumstämme erinnert, auf einem ansteigenden Erdwall, der auf der anderen Seite wieder abfällt. Auf diese Art bietet nicht einmal die Drehbühne, die reichlich eingesetzt wird, Abwechslung. Erst am Ende, wenn das Hochzeitsfest ansteht, gibt es ein paar Tische und Girlanden.

In welcher Welt befindet man sich? Die jungen Leute laufen in heutigen Shirts, Hosen, Röcken herum, die Handwerker erinnern an eine Art Kanalräumerpartie. Oberon könnte einerseits teils als Herodes durchgehen, trägt aber zu undefinierbarem Glitzergewand eine typische, wenn auch ebenfalls glitzernde Diktatorenmütze, während Titana im Look einer Südsee-Insulanerin erscheint. Wenn am Ende Theseus und Hippolyta erscheinen, tun sie es in einer Art exzentrischem Party-Look. Kurz, Loren Elstein schuf für die Kostüme das, was man gut und gern als „Fetzenkarneval“ bezeichnen könnte. Das Geschehen wird damit zwar vage „heutig“, aber doch nie wirklich verortet.

Heutig also, ganz ohne Zauber und Magie. Bei Sam Brown bleiben von der Geschichte eigentlich nur Beziehungskämpfe in der heute üblichen, undisziplinierten Art und Weise des Verhaltens. Da braucht es auch keinen Puck als Wunderwesen. In Gestalt von Paul Hess ist er ein gestandener, wenn auch faszinierend beweglicher Mann, der sich schwingend durch das Geschehen turnt, mehr Tänzer als Darsteller, gelegentlich gefährlich irrlichternd. Wobei besonders das starke choreographische Element des Abends (Hannes Langolf) zu betonen ist, das der kahle Raum braucht: Die Protagonisten müssen ihn schließlich nicht zuletzt mit ihren Bewegungen für das Publikum „füllen“. Die Company Susanne Linke hatte da noch einige ihrer Tänzer beigesteuert.

Die Verlebendigung des Abends gelingt den vier verliebten jungen Leuten besonders gut, die am Premierenabend allerdings vom Quartett zum Quintett erweitert wurden: Als der Intendant vor der Premiere vor den Vorhang trat, musste man das Schlimmste befürchten, das für das Theater auch eingetreten war, als sich die Sängerin der Hermia am Premierentag „stimmlos“ meldete. Um eine lange Geschichte (die für das Haus mit unendlichem Streß verbunden gewesen sein muss) kurz zu machen – man fand eine Hermia in London, flog sie via Luxemburg ein und so stand Clare Preslandam Rand der Bühne und sang den Part so ausdrucksvoll, dass sie immer wieder die Blicke auf sich zog: Ulrike Malotta, die auf der Bühne tapfer spielte,  umarmte ihre Retterin beim Schlussapplaus voll Dankbarkeit.

Blieben Eva Maria Amann als Helena, Benjamin Popson als Lysander und Bonko Karadjov als Demetrius, die sich gebärdeten wie schlecht erzogene junge Leute von heute und allesamt Stimmen hören ließen, die zu Hoffnungen berechtigen.

Weniger glücklich wurde man mit dem ersten fürstlichen Paar: Der Countertenor Fritz Spenglerklang als Oberon so schwach, dass die Diskrepanz zwischen imposanter Erscheinung und – sagen wir es freundlich – mangelnder Kraft schlechtweg befremdete. Die Titania der Frauke Burg, die sich darstellerisch recht possierlich mit ihrem Zettel / Esel abgab, hatte zwar ausreichendes Stimmmaterial, bot aber auch nicht die gesangliche Erfüllung ihrer Rolle. Theseus und Hippolyta, die bei Britten nicht allzu viel Raum bekommen, waren mit László Lukács und Bernadette Flaitzzufrieden stellend besetzt.

Sie alle sangen auf Englisch (mit Übertiteln, die – Weiß auf Beige – trotz ihrer Größe wegen schwachen Kontrasts nicht gut zu lesen waren), während man die Handwerker, Leute sehr, sehr aus dem Volke, Deutsch singen und fast noch grobschlächtiger agieren ließ als üblich. Freilich, Don Leehat den (sonst nicht vorhandenen) Zauber des zum Esel verwandelten und entsprechend verwirrten Zettel ganz wunderbar heraus gearbeitet, und auch die anderen – Lukas Schmid als Quenz,Rouwen Huther als Flaut, Eui-Hyun Park als Schnock, Wolfram Winter als Schnauz und Carsten Emmerich als Schlucker ließen nichts zu wünschen übrig. Sie waren besonders komisch, als sie zu Anfang ihrer „Show“ für die Hochzeit wie eine tanzende Männergruppe aus der englischen Music-Hall-Tradition agierten.

Besonders positiv fiel an diesem Abend Philharmonisches Orchester Trier unter GMD Victor Puhlauf, die Brittens vielschichtige Partitur poetisch zum Klingen brachten – auf der Bühne sah das anders aus. Dort hatte man den Opernchor reichlich mit dem Kinderchor des Hauses versetzt, was die anwesenden Verwandten in der fest ausverkauften Premiere in besonderes Entzücken versetzte. Aber der Jubel schloß natürlich auch alle anderen, und der ausländische Besucher stellt fest, dass er ein solch enthusiastisches Publikum bei sich zuhause selten findet.

Renate Wagner 28.9.16

Bilder (c) Theater Trier

 

 

FIDELIO

Besuchte Aufführung: 30.10.2015 (Premiere: 19.9.2015)

Vernachlässigung der Musik

Sie geriet schon zu einem sehr ungewöhnlichen Ereignis: Die Derniere von Beethovens „Fidelio“ am Theater Trier. Diese Oper war Beethovens Schmerzenskind. Mehrmals umgearbeitet, wurde sie erst im Jahre 1814 von ihrem Schöpfer in ihre endgültige Form gegossen, die sich bis heute auf den Spielplänen der Opernhäuser hält. In Trier brachte man indes zum größten Teil nicht Musik aus der Fassung letzter Hand auf die Bühne, sondern aus der Ur-Fassung von 1805, die den Titel „Leonore“ trägt und die recht beachtlich ist. Schade nur, dass man deshalb auf so manche liebgewonnene Musiknummer verzichten musste. Vielleicht hätte das Trierer Theater diese Produktion „Leonore“ nennen sollen. Erst das Ende orientierte sich am „Fidelio“, wie er heute einem breiten Publikum bekannt ist.

Frauke Burg (Marzelline), Claudio Gatzke (Der erste Mann), Christian Beppo Peters (Der zweite Mann)

Bis dahin musste man sich auf einige Überraschungen gefasst machen. Ein Theater, das einen Regisseur wie Tilman Knabe engagiert, kann davon ausgehen, dass er ihm keine klassische Inszenierung auf die Bühne stellt, sondern diese in der Gegenwart ansiedelt. Das ist sicher kein Fehler und sollte auch so sein, damit das betreffende Opernhaus seinem allgemeinen kulturpolitischen Auftrag, einen Spiegel der Jetztzeit zu bilden, genügen kann. So geschah es auch hier. Indes ist Knabe, der in der Vergangenheit schon mit einigen hervorragenden Regiearbeiten zu begeistern wusste, dieses Mal einen Schritt zu weit gegangen. An diesem Abend erwies er sich als ausgemachter Stückezertrümmerer, was einige Zuschauer ziemlich verstörte. Demgemäß spricht das Programmheft auch nicht von einer Oper, sondern von einem „Musiktheaterprojekt nach Ludwig van Beethoven“. Diese Titulierung hat durchaus ihre Berechtigung, denn von der klassischen Oper ist in Knabes Deutung nicht mehr allzu viel übrig.

Frauke Burg (Marzelline), Marlin Miller (Florestan), Bea Robein (Leonore/Fidelio), Lukas Schmid (Rocco)

Ungewohnt war schon der Anfang, als anstelle der erwarteten, aber leider dem Rotstift zum Opfer gefallenen Ouvertüre ein gesprochener Text ertönte: Die Schauspieler Claudio Gatzke und Christian Beppo Peters hoben in einem im Hintergrund der von Wilfried Buchholz eingerichteten Bühne aufragenden Glascontainer das Schauspiel „Big Shoot“ des französisch-afrikanischen Autors Koffi Kwahulè mit sehr intensivem Spiel und durchaus aufregend aus der Taufe. In diesem Stück wird eine Verhörsituation in einem diktatorischen Umfeld von Folter und Terror nachgestellt, die mit der Ermordung des Gefangenen endet. Hier wird bereits Knabes Konzept erkennbar: Es geht ihm um die Zurschaustellung von Brutalität und roher Gewalt in einer Diktatur und um die zunehmende Verrohung des Menschen. Das Publikum bezieht er in das Geschehen ein. In der Pause mischen sich einige bedrohlich anmutende, von Gisa Kuhn mit schwarzen Unformen und Stahlhelmen ausgestattete faschistische Soldaten unter die Besucher. Im Laufe des Abends werden Willküropfer der Stalinistischen Terrorherrschaft eingeblendet. Augenscheinlich geht es Knabe um eine Abrechnung mit dem Faschismus Stalins und Hitlers, für die er auch noch andere Stücke heranzieht. So werden dem überraschten Auditorium neben der bereits erwähnten Schauspiel-Uraufführung von „Big Shoot“ eine von der Schauspielerin Juliane Lang zum Großteil recht lautstark vorgetragene Textcollage mit Zitaten aus „Das unsichtbare Komitee“ u. a. sowie das parallel auf der Studiobühne gespielte „Pas Moi“ aus der Feder Samuel Becketts vorgeführt, in dem die Angehörige des Sprechtheaters Gina Haller beeindruckend eine Frau in einer existenziellen Ausnahmesituation spielt.

Lucas Schmid (Rocco), Bea Robein (Leonore/Fidelio), Christian Sist (Don Pizarro), Opernchor, Extrachor, Statisterie

Auch musikalische Fremd-Einlagen gibt es: In sehr berührender Art und Weise spielt Ketevan Rukhadze am Ende des ersten Aktes die Sonate „27.April 1945“ von Karl Amadeus Hartmann, die dieser in Erinnerung an einen Todesmarsch Dachauer Häftlinge schrieb, deren Zeuge er geworden war. Lieder aus Hanns Eislers „Über den Sebstmord“ und Benjamin Brittens „Elegy“ aus der Serenade für Horn, Tenor und Streichorchester Opus 31 kamen dazu. Eine weitere Gesangseinlage bildete Luigi Nonos „Djamilia Boupachà“ aus den „Canti di vita e d’ amore“. Mit Beethovens Oper haben diese Zusätze nicht viel zu tun, fügen sich aber recht gut in Knabes Konzept ein. Gemeinsam ist ihnen, dass sie von Künstlern stammen, die sich trotz schlechter Erfahrungen mit dem jeweiligen politischen System entschlossen haben, an etwas zu glauben und eine Verbesserung der Verhältnisse nicht von vornherein auszuschließen. Das ist ihre Art, auf die fragwürdigen Gegebenheiten ihrer Zeit zu reagieren. Und Knabes Anliegen besteht weiter darin, deutlich zu machen, wie andere Menschen auf derartige Umstände reagieren. Die Antwort ist typisch für den Regisseur: Er lässt die Handlungsträger sich in Sex und Gewalt austoben. Nachhaltig wird das Auditorium mit Lärm, Blut und viel nackter Haut konfrontiert. Derartiges kennt man von Knabe schon zur Genüge. Das ist sein Steckenpferd. Dabei geht es manchmal alles andere als zimperlich zu. Pizarro und Rocco urinieren einmal ungeniert in die Pissoirs, die den rechten Teil der nüchtern wirkenden Bühne dominieren. Der auf die Putzfrau Marzelline lüsterne Jacquino muss auch mal sein (künstliches) Geschlechtsteil herausholen. Marzelline kennt Fidelios Geheimnis. Sie und Leonore dürfen sich splitterfasernackt zusammen in der Dusche vergnügen. Für diese mutig bewältigte Szene, die Jacquino, der das Ganze beobachtet, Fidelios wahres Geschlecht enthüllt, gebührt den beiden Darstellerinnen Respekt. Unnötig war, dass die sich auf einem bis weit in das Parkett erstreckenden Laufsteg austobende Aufständische von Juliane Lang gleich dreimal erschossen wurde. Aus dem Publikum hatte auch der Anzugträger Pizarro seinen ersten Auftritt. Auch sonst wurde der Zuschauerraum stark in das Spiel eingezogen. Bertolt Brecht lässt grüßen.

Bonka Karadjov (Jacquino), Bea Robein (Leonore/Fidelio), Frauke Burg (Marzelline), Marlin Miller (Florestan), Opernchor, Extrachor, Statisterie

Einmal mehr gefällt sich Knabe im Provozieren. Die aufgezeigten Vulgaritäten hatten zur Folge, dass nicht alle Zuschauer bis zum Schluss blieben. Auf der anderen Seite gab es indes auch mehr stille Szenen, in denen der Regisseur bewies, dass er auch anders kann. Das große Problem der Inszenierung bestand aber darin, dass Knabes Ansatzpunkt zu stark auf Kosten der herrlichen Musik ging. Der erste Akt war lediglich einem Kammerorchester anvertraut. Marzelline sang ihre teilweise gekürzte Arie zu unvernehmbarer Musik aus dem Kopfhörer. Ihr anschließendes Duett mit Jacquino war lediglich von Bongos begleitet. Einmal übernahm lediglich das Akkordeon die musikalische Stütze der Sänger. Diese musikalisch nicht akzeptable Vorgehensweise zog sich praktisch durch den gesamten ersten Akt. Erst im zweiten Aufzug, zu dessen Anfang Florestan seine Arie auf der Ladefläche eines Lieferwagens sang, kam Beethoven endlich zur Geltung. Aber auch hier gab es einen nur schwer erträglichen Überraschungseffekt, als beim Terzett „Euch werde Lohn in besseren Welten“ das Orchester urplötzlich schwieg und das Klavier die Begleitung übernahm. Wie gesagt: So etwas musste wirklich nicht sein. GMD Victor Puhl hatte sich voll und ganz auf das Konzept eingelassen, konnte aber nicht verhindern, dass die Musik im ersten Akt aufgrund der erheblichen orchestralen Reduzierung ziemlich belanglos erklang. Im zweiten Akt, in dem das gesamte Philharmonische Orchester der Stadt Trier im Graben saß, sah die Sache dann schon besser aus. Obwohl man sich von den Musikern hier und da etwas mehr an feuriger Intensität gewünscht hätte, hatte man es doch endlich mit Oper zu tun, die zuvor ziemlich zu kurz gekommen war.

Lukas Schmid (Rocco), Christian Sist (Don Pizarro), Bea Robein (Leonore/Fidelio), Marlin Miler (Florestan),

Don Fernando sang unsichtbar aus dem Off. Später wurde sein abgeschlagener Kopf hereingetragen. Hier begab sich Knabe auf das Terrain der Französischen Revolution mit ihren auf Fahnen hochgehaltenen Werten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und das zu Recht, denn auf diesen Kontext geht die Handlung ja zurück. Der Oper zugrunde liegt eine Erzählung von Jean-Nicolas Bouilly, in der es einer Frau in der Maske eines Mannes gelingt, ihren Ehemann aus einem Gefängnis der Jakobiner zu befreien. Diesen Bezug hat Knabe ganz richtig und klug in seine Deutung integriert. Dem Happy End misstraut er aber. Im Rahmen der aufziehenden Revolution lässt er fast sämtliche beteiligten Personen mit Maschinengewehrfeuer gnadenlos niedermetzeln. Nur Marzelline überlebt und singt zum Schluss an Leonores Leiche Nonos bereits erwähntes Solo „Djamilia Boupachà“ - ein starker Schluss zu einer letztlich nicht sonderlich überzeugenden Inszenierung.

Lukas Schmid (Rocco), Christian Sist (Don Pizarro), Bea Robein (Leonore/Fidelio)

Nun zu den Sängern/innen: Bea Robein war eine darstellerisch intensive Leonore. Auch gesanglich vermochte sie mit ihrem insbesondere in Mittellage und Höhe gut fokussierten dramatischen Sopran zu überzeugen. Neben ihr fiel der nur über dünnes Tenormaterial verfügende Marlin Miller in der Rolle des Florestan ab. Einen kräftigen hellen Bariton brachte Christian Sist für den Don Pizarro mit. Lukas Schmid benötigte als Rocco eine gewisse Zeit, um stimmlich warm zu werden, vermochte dann aber mit gut sitzendem, profundem Bass durchaus für sich einzunehmen. Gut gefiel Bonka Karadjovs prägnant und mit guter Verankerung seines Tenors singender Jacquino, während die flach intonierende Marzelline von Frauke Burg stimmlich nicht in gleicher Weise ansprechend war. Schauspielerisch schnitt sie erheblich besser ab. Gut anzuhören war Tobias Scharfenberger, der den Don Fernando recht elegant gab. In den kleinen Partien der beiden Gefangenen waren Andrea Azzurini und Eui-Hyun Park zu erleben, wobei Herr Park der bessere war. Auf hohem Niveau bewegte sich der von Angela Händel einstudierte Chor, der bei „O welche Lust“ im Orchestergraben platziert war.

Fazit: Eine gewöhnungsbedürftige Aufführung, die ein hohes Maß an Toleranz erfordert.

Ludwig Steinbach, 31.10.2015

Die Bilder stammen von Vincenzo Laera

 

 

 

Unkaputtbar!

ORPHEUS IN DER UNTERWELT

Besuchte Vorstellung: 29.11.2014    

(Premiere: 08.11.2014)

Heuchelei, Doppelmoral, Satire und tiefere Bedeutung: gefeiert wird nur in der Unterwelt

1859 und 1858 kamen in Paris zwei neue Versionen des Orpheus-Stoffes heraus: eine Neufassung des Gluckschen Werks durch Hector Berlioz und Offenbachs Opéra-bouffon. Wahrscheinlich bestehen zwischen beiden Ereignissen keine Zusammenhänge; sie sind aber zumindest ein Zeichen dafür, wie populär der Stoff und wie allgegenwärtig Glucks Musik noch war.  Orpheus in der Unterwelt ist die erste der „Travestien“ Offenbachs, in der er sich einen klassischen Stoff hernimmt, ihn völlig gegen den Strich bürstet und als Satire auf die Gesellschaft des 2nd Empire in Frankreich auf die Bühne bringt. Dafür harre er mit dem den Boffes-Parisiens sogar sein eigenes Theater eröffnet, wo dieses Stück seinen bis heute anhaltenden weltweiten Erfolg begann. Man könnte meinen, dass Offenbach zum Zweiten Kaiserreich gehört hat wie die Grünen zu unserem „Vierten Reich“; nur dass Offenbach und seine Librettisten nicht Moralin und Strafen verteilen (Veggie-Day und höhere Steuern), sondern süffisant und vergnüglich parodiert. Denn schließlich will jeder mitmachen bei der großen Sause. Die veranstaltet in der Operette der Höllenchef Pluto – und alle machen mit, die Bühne fasst sie kaum.

In Offenbachs Version ist Orpheus ein Musiker, von seiner (untreuen) Frau Eurydike ob seiner mediokren Kunst verachtet. Er ist froh ist, als seine Frau endlich von einer Schlange gebissen wird und er sie los ist; denn er auch hat eine andere Liebschaft.  Sie fällt aber dem Gott Pluto in die Hände, der sie in die Unterwelt verschleppt, woraus sich eine köstlich-satirische Geschichte zwischen Himmel und Hölle ergibt. Text und auch die Musik (Zitat der Marseillaise) sind voller Anspielungen auf die Erfolgsgesellschaft unter Napoleon III in Frankeich. Da die Hauptthemen Anmaßung, Heuchelei und Doppelmoral sind, lässt sich die Handlung zu jeder Zeit an jedem Ort ansiedeln. Der Text wird tunlichst in die jeweilige Landessprache übertragen und entsprechend der zeitlichen und lokalen Gelegenheiten „angereichert“. Am Theater Trier verwendete man die ursprüngliche Übersetzung von Ludwig Kalisch (ein Schlesier jüdischer Abstimmung, der sich nach der März-Revolution nach Frankreich gerettet hatte), die der Regisseur Alexander Kerbst zu einer eigenen Fassung für die Trierer Aufführung bearbeitete und mit der Zweitfassung des Werks 1874 amalgamierte.

Evelyn Czesla (Eurydike), Luis Lay (Aristeus alias Pluto)

Weil Kerbst sich nicht auf Büttenreden-Niveau einließ und seine Gags auch sprachlich nicht immer sehr geschmeidig daher kommen, kommt der Fluss des Stücks im ersten Bild (im Heim des Künstlerehepaares) zunächst nur etwas schleppend und flach herüber, gewinnt aber ab dem zweiten (Olymp), dritten (Hades) und vierten Bild (Kostümball in der Unterwelt) richtig mitreißenden Schwung, woran Bühnenbild und Darsteller den größten Anteil haben. Karel Spanhak hat für das erste Bild das Treppenhaus eines großbürgerlichen Hauses im Neoklassizismus aufgebaut. Gegenüber den Orpheus‘ auf dem gleichen Flur wohnt der als Öko verkleidete Pluto unter dem falschen Namen Aristeus. Euridike im Hausfrauenkittel putzt das Treppenhaus und ist unzufrieden mit diesem Leben und mit ihrem Ehemann, einem mediokren Unterhaltungsgeiger (immerhin kann der schön „Ach ich habe sie verloren“ auf seiner poppig bemalten Geige spielen). Damit Aristeus, der gerade mit Einkaufstüten (natürlich aus umweltfreundlichem Kraftpapier) aus dem Bioladen kommt, nicht mehr über die Blumenkästen zu seiner Frau steigen kann, setzt Orpheus einen vergifteten Kaktus in den Blumenkasten. Dass sich aber seine Frau in diese Nesseln setzt und ohnmächtig umfällt, kümmert ihn nicht weiter. Aus dem Öko schält sich plötzlich Pluto heraus, ein Gangsterboss im auffälligen Streifenanzug, der die Dame mit in sein Reich weiter unten in der Villa, im Heizungskeller nimmt. Die „Öffentliche Meinung“ agiert hier in Person der Agentin (geschäftsüblich oder als Quotenfrau im schicken deux pièces und hochhackig) des Musikers und zwingt diesen dazu, bei den Göttern im Olymp einzukommen, Eurydike wieder herzugeben, damit der Schein des guten Ehelebens ihres Klienten gewahrt ist und die Einnahmen weiter sprudeln lässt.

Barbara Ullmann (Orpheus' Agentin/Die öffentliche Meinung),  Svetislav Stojanovic (Orpheus)

Also ab in die den Olymp! Geschickt werden die Seitenkulissen auseinandergezogen; im nun breiten Hintergrund steht eine Reihe von weißen Säulen, davor tagen die Götter in prächtigen Gewändern (jedes mit den entsprechenden Symbolen auf den Gott versehen; Kostüme: Carola Vollath) in Gold, Silber und strahlend unschuldigem Weiß. Die sind unzufrieden, denn der etwas vergreiste Göttervater Jupiter hält ein strenges Regime und predigt ihnen, Sitte und Anstand zu wahren, um den Menschen ein Vorbild zu sein. Er gehört aber zu der Gattung, die Wasser predigt und Wein trinkt. Es taucht gerade ein ganzer Stapel von Zetteln mit Berichten seines amourösen Vorlebens auf, was die Göttergesellschaft, die sich auch durch ein hübsches Ballett unterhalten lässt, zu einem grandiosen Spottlied nutzt. Der herbeizitierte Pluto leugnet gegenüber Orpheus und seinem Bruder, dem Göttervater, etwas mit dem Verschwinden von Eurydike zu tun zu haben, weshalb Jupiter mit seinem Gefolge selber mal in der Unterwelt nachschauen geht.

Olymp: Norbert Schmittberg (Jupiter) thront über seinen Mitarbeitern

Der Zuschauer erfährt gleich zu Beginn des dritten Bilds dass Pluto gelogen hat; denn er hält sie Eurydike in einer Folterkammer (die ist aus dem Bühnenboden herausgefahren) Eurydike gefesselt und lässt sie von Hans Styx bewachen, der - einst „Prinz war in Arkadien“ - nun nur noch am Flachmann hängt, um „Lethe“-Wasser zu trinken. Natürlich entdeckt der Göttervater die junge Frau und will sie aufgrund ihrer Schönheit gleich für sich behalten und will sie - als grüne Fliege verkleidet (die Musik summt und brummt dazu) - aus der Unterwelt herausschmuggeln und durch den von Pluto zu Ehren der Götter anberaumten Maskenball schleusen. In der Hölle darf noch ausgelassen gefeiert werden. Die Szene weitet sich wieder zur Säulenhalle, weil nun inklusive Chor, Extrachor, Ballett und Statisten alle Protagonisten Platz finden müssen. Trotz des Trubels auf der Szene mit Höllengalopp und Ballett durchschaut Pluto das Spiel. Schlau schlägt er vor, dem Orpheus seine Eurydike wiederzugeben. Damit ist aber nun niemand so recht zufrieden. Man macht einen Deal: Eurydike wird im Gefolge des Bacchus zu einer Bacchantin und kann ihre Sehnsucht nach echter Kunst  stillen ... am Theater. Einzelheiten dieser Lösung gehen im rauschartigen Schlusstableau fast unter. --- Mit einer Serie von gelungenen Regieeinfällen, origineller Personenführung und den gekonnten Tanzeinlagen der acht Tänzer des Tanztheaters (Choreographie: Reveriano Camil) hat das Theater Trier eine insgesamt gut gelungene Inszenierung dieser immergrünen Operette abgeliefert.

Christian Miedreich (Hans Styx), Evelyn Czesla (Eurydike)

Wie auch die Inszenierung kommt auch das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter Joongbae Jee erst zögerlich in Fahrt. Erst uninspiriert klingend und mit Ungenauigkeiten ohne Schmiss und Schwung ließ das Orchester ab dem zweiten Bild doch das rechte Offenbachsche Temperament zum Vorschein kommen und musizierte dann – ganz im Fluss mit der Partitur – zum „Höllen-Cancan“ (oder auch „galop infernal“) ein mitreißendes Finale. Chor und Extrachor des Theaters (Einstudierung: Angela Händel) mischen da stimmkräftig und bewegt mit.

Das Theater besetzte die vierzehn verschiedenen gelisteten Rollen nicht ganz homogen wirkend mit Opernsängern und Schauspielern. Die herausragenden Darsteller des Abends sind die beiden Brüder und Gegenspieler: Luis Lay als Pluto/Aristeus und Norbert Schmittberg als Jupiter, und zwar aus ganz verschiedenen Richtungen. Lay verkörpert die den zwielichtigen Unterweltsgott mit unglaublicher schauspielerischer Gewandtheit und Verve, für die auch seine Ausbildung im Tanz ursächlich ist. Im eleganten Sprechen nahm er es mit den Schauspielern auf; auch im Gesang verstand man jede Silbe seines nicht sehr geforderten Tenors. Dabei hatte er sich mit einem Rücken-Wehweh ansagen lassen. Schmittberg hingegen, der am Staatstheater Darmstadt viele große Opernrollen gesungen hat, u.a. auch einen beachtlichen Parsifal (!), zeigte seine künstlerische Vielfältigkeit von der anderen Seite her: stimmlich überlegen mit bronzenem geschmeidigem Tenor und gewandt im Sprechen, gab er dem heuchlerischen Göttervater überzeugendes darstellerisches Profil. Das konnte auch Evelyn Czesla mit blendender Bühnenerscheinung als Eurydike, aber ihre Stimme zeigte sich für die Operette als zu schwer; ihre Textverständlichkeit tendierte gegen null.

In der Mitte: Luis Lay (Pluto)

Der Orpheus von Svetislav Stojanivic war darstellerisch etwas hölzern und stimmlich von recht trockenem Tenor; konnte nicht überzeugen. Wiederum von der schauspielerischen Seite kam die Öffentliche Meinung/Agentin der Barbara Ullmann, die eine erotisch-frivole Wirkung entfaltete und sich auch ihrer gesanglichen Aufgaben achtbar entledigte. Neben den vielen kleinen Rollen der gesamten Götterschar, die fast durchweg von den Opernsängern des Trierer Ensembles darstellerisch und stimmlich kompetent wahrgenommen wurden, hatte noch der Schauspieler Christian Miedreich mit dem Hans (John) Styx im dritten Bild eine prominente Rolle zu spielen. Er gestaltete diese tragikomische Gestalt mit seinem Bandwurm („als ich noch Prinz war von Arkadien“) mit viel Hingabe und einem recht kräftigen Bariton.

Das Theater war sehr gut gefüllt; alle Mitwirkenden erhielten großen Beifall. Für Interessenten: die nächsten Aufführungen der aufwändigen Produktion finden am 02. und 07.12. und natürlich zu Silvester statt. Im neuen Jahr folgen noch   acht weitere Vorstellungen im neuen Jahr.

Manfred Langer, 01.12.2014                               Fotos: Friedemann Vetter

 

 

 

 

Ohne Funkenflug

DER WILDSCHÜTZ                                               

oder die Stimme der Natur

Aufführung am 28.03.2014     (Premiere am 15.03.2014)

Mit gebremstem Witz: Deutscher Landadel in den fünfziger Jahren

Komische Oper, deutsche Spieloper oder Biedermeier-Oper – wie immer man diese auf dem Musikfundus der Romantik beruhende deutsche Operngattung benennt: sehr häufig sind diese Werke auf den Spielplänen der deutschen Musiktheater nicht mehr anzutreffen; eine der wenigen Ausnahmen ist Lortzings Wildschütz, der es regelmäßig noch auf eine Handvoll Neuproduktionen in einer Spielzeit schafft. Das liegt sicher auch an dem vergnüglichen Zeigefinger mit welchem Lortzing auf das Gebaren eines Auslaufmodells der Gesellschaft des 19. Jhdts. zeigt: der ebenso präpotente wie dümmliche Duodez-Adel mit seinen Operettenstaaten. Das ist noch nicht so lange her, dass das Publikum es nicht mehr im Gedächtnis des Geschichtsunterrichts gegenwärtig hätte und bietet den Regisseuren die Möglichkeit zu Produktionen, die über das Leichte, Operettenhafte des Stoffs hinausgehen.

Lortzing hat sich das Libretto zu seiner Oper selbst geschrieben; es basiert auf von Kotzebues Lustspiel „Der Rehbock oder die schuldlosen Schuldbewussten“. (Dass von Kotzebues Ermordung 1819 in Mannheim mitursächlich für Karlsbader Beschlüsse und Polizeistaat war, als deren Folge sich die komplaisant-resignative Biedermeier-Kultur entwickeln würde, stellt eine Ironie im kulturhistorischen Zusammenhangs dar.) Lortzing hat sich in seinem Schaffen immer wieder an Theaterpolizei und Zensur gerieben. Die Grafenverarschung im Wildschütz (sie stellt ebenso wie die fast verwirrenden Travestien einen unmittelbaren Zusammenhang zu Mozarts Nozze di Figaro her) hat Lortzing (während Mozart durch seine Arbeit in Bierverschiss geriet) nicht weiter geschadet; wohl aber seine 1848 entstandene Revolutionsoper „Regina“, aufgrund derer er seine komfortable Festanstellung verlor und am Ende seines Lebens an dessen beruflichen Ausgangspunkt als Wanderschauspiele zurückgeworfen wurde. Zu seiner Beerdigung 1851in Berlin in einem von einem in Schwarz-Rot-Gold ausgekleideten Sarg gab sich auch Giacomo Meyerbeer die Ehre. 

Ankunft der Baronin Freimann auf dem Lande: Joana Caspar (Baronin); Silvie Offenbeck (Nanette)

Der Hintergrund von Werk und Komponist eröffnet etliche interessante Inszenierungsaspekte für den Wildschütz, natürlich auch die Verlegung in spätere Zeiten. Der Regisseur der Trierer Produktion, Matthias Kaiser, verlegt sie (nicht sehr zielgenau) in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts, die er als „ästhetischen Ausgangspunkt“ seiner Arbeit nimmt und als das „Biedermeier des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Die Umsetzung gelingt ziemlich reibungslos, abgesehen davon, dass seit 1919 Grafen und Barone zwar noch im Namen existieren, aber ansonsten (außerhalb der Regenbogenpresse) funktionslos geworden sind. Und genau hier liegt der Schwachpunkt des Regiekonzepts, weil so Lortzings veräppelnde Gesellschaftskritik nicht greifen kann. Da wäre anstelle des Grafen ein Neureich, ein Playboy oder – angesichts der gelungenen Kostüme von Carola Vollath – ein bayerischer Landrat zielführender gewesen und hätte sich konzeptlich noch besser in die Nachkriegszeit geschmiegt. 

Freundlich blick' ich auf diesen und jenen:  Svetislav Stojanovic (Baron Kronthal(; Amadeu Tasca (Graf von Eberbach); Chor

Den Texten nach zu urteilen kam es  Matthias Kaiser aber gar nicht auf hintergründigen Tiefgang an. Die gesprochenen Dialoge hat er  neu gefasst und kürzer gestaltet. Leider bleiben sie vom Niveau von Fernsehkabarett ebensoweit entfernt wie von einer fetzig temperamentvollen Umsetzung auf der Bühne. „Studienrat Baculus“ mit Pensionsberechtigung  – in seiner Aufmachung entfernt an Heinz Ehrhardt erinnernd – kommt da noch am besten zu Recht. Die dauernden schlüpfrigen Zweideutigkeiten sind nicht wirklich witzig und passen besser in eine Boulevardkomödie mit dazu ausgebildeten Schauspielern als in eine komische Oper. Sie reichen vom gelungenen Kalauer über Gähner bis zum feist aufgetragenen „man muss nicht immer Austern schlürfen, es dürfen auch mal Pflaumen sein“ oder zur Umsetzung des nächtlichen Billard-Spiels um Gretchen/Baronin als Übung zum „Einlochen“ (mit Golfbällen). Der „Sprech“ des Skripts ist nicht der der fünfziger Jahre, sondern viel moderner. Als die Frage aufkam, ob auf die notorischen 5000 Taler 19% Mehrwertsteuer zu erheben seien, kam bei Ihrem Kritiker Nostalgie auf: Als diese Steuer 1968 eingeführt wurde, betrug sie nur 10%... Kein Wunder, dass kein Geld mehr für Theater vorhanden ist!

Das richtige und das falsche Gretchen:  Evelyn Czesla (Gretchen); Alexander Trauth (Baculus); Joana Caspar (Baronin Freimann)

Optisch ist das Ganze schon wesentlich besser aufbereitet als inhaltlich. Detlev Beaujean hat vor allem für den Mittelakt ein recht opulentes zweiteiliges Bühnenbild erstellt. Auf der kleinen Drehbühne zeigt es für den ersten Akt eine kalottenartige Erhebung vor einem Rosenhaag. Die Kalottenhänge werden zur wenig lustigen Rutschbahn bei der Verlobungsfeier und Volksfest. Hier treffen die Baronin und ihre  Zofe als Studenten verkleidet in Lederkluft  auf einem Motorrad mit Beiwagen ein. Hierher kommt auch der Graf von der Jagd zurück; seine Jagdgenossen in kurzen Lederhosen ziehen Wackeldackel hinter sich her. Durch eine 180°-Drehung der Bühne gelangt man in den zweiten Akt und  in den Salon des Grafen/der Gräfin mit antiken Statuen (Michelangelos David in mehreren Papp-Kopien und einem Fotoausschnitt seines Unterleibs als zentralem Wandbild) auf der rechten, der Gräfin-Seite und einer Bildergalerie von angsterregenden Hunden, darunter die abgestellten Wackeldackel der Jagdgesellschaft auf der linken, der Grafenseite. Eine der zentralen Stellen der Oper, das Billard-Duell wird von der Regie leider vergeben. Gesamthaft gut gelungen ist indes die Personenregie. Da herrscht immer Bewegung, und auch die Chorregie ist abwechslungsreich: keine langweiliges Auf- und Ablatschen, sondern gekonntes, bewegliches Spiel. --- Für Ihren Rezensenten ist unter etlichen Arbeiten Kaisers (darunter sein fulminanter Peter Grimes in Trier!) die vorliegende Wildschütz-Inszenierung die einzige eines komödiantischen Werks, aber auch die schwächste. Der Funke will trotz origineller Bebilderung nicht überspringen. 

Die Gräfin rezitiert:  Silvia Lefringhausen;  Chor  (Das mittige Wandbild ist nach der Premiere durch einen weniger vergrößerten Ausschnitt ersetzt worden.

Musikalisch bot das Theater Trier wesentlich bessere Qualität. Auch wenn durch die Partitur ein Hauch von Mozart, Weber und Mendelssohn weht, war es dennoch überwiegend unverkennbarer origineller Lortzing, den das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter der Leitung seines Ersten Kapellmeisters und stellvertretenden GMD Joongbae Jee musizierte. Bis auf ein paar im Repertoire-Betrieb (und bei z.T. straffen Tempi) verzeihlichem Unschärfen spielte das Orchester gekonnt auf, es entstand richtiger heiterer Lortzing, süffige, inspirierte Musik, ebenso inspiriert dargeboten.  Auch der Chor und Extrachor  überzeugten, wobei Bühnenpräsenz, Bewegung und Wärme vor Präzision gingen (Einstudierung: Angela Händel). 

László Lukács (Pankratius); Chor

Grundsolide und homogen in der Qualität auch das Sängerensemble. Alexander Trauth gab trotz Maske einen sehr jugendlich wirkenden Baculus mit lebendigem Spiel und recht hellem, kräftigem bestens verständlichem Bassbariton. „Sein“ Gretchen war Evelyn Czesla mit reifem, klarem, abgedunkeltem  Sopran. Amadeu Tasca sang den Grafen Eberbach: sein kultivierter, gut verständlicher und kräftiger Bariton weitaus nobler als der Charakter des Letzteren. Mit Svetislav Stojanovic war der Baron Kronthal besetzt: diese Partie lag seiner schlanken, mit schönem tenoralen Schmelz versehenen mittel timbrierten Stimme offensichtlich gut in der Kehle. Als Baronin Freimann (Schwester des Grafen, inkognito, als Student, dann wieder als Gretchen verkleidet) überzeugte Joana Caspar mit quirligem Spiel und gut artikulierendem  hellem Sopran und einem leichten, anregend wirkenden Vibrato; als Nanette, ihre Zofe wirkte die zierliche Mezzosopranistin Silvie Offenbeck; die Chorsolistin Silvia Lefringhausen rundete als Gräfin mit abgrundtiefem, stimmschönem, aber schlecht verständlichem Alt das weibliche Tableau ab. László Lukács gefiel in den beiden Sprecheinlagen mit seinem charmanten ungarischen Akzent ebenso wie mit seinem eleganten, klaren Bariton als Haushofmeister Pankratius. Alle Positionen waren aus dem Trierer Ensemble besetzt. 

Es war insgesamt ein unterhaltsamer Abend mit nur mäßigem Publikumszuspruch, aber sehr freundlichem Beifall. Es gibt noch sieben weitere Aufführungen bis zum 18. Mai.2014. 

Manfred Langer, 29.0.2014                                Fotos: Marco Piecuch

 

 

 

 

Howard Shore

THE FLY

Besuchte Vorstellung: 24. Januar 2014          (Premiere: 18. Januar 2014)

Als Komponist berühmter Filmmusiken wie zu „Der Hobbit“ oder „Der Herr der Ringe“ ist Howard Shore eine internationale Größe, ist schon drei Oscars, drei Grammys und vier Golden Globes ausgezeichnet worden. Auch zu David Cronenbergs „Die Fliege“ aus dem Jahr 1985 schrieb Shore den Soundtrack. Dabei blieb es aber nicht, denn Shore machte schließlich aus „The Fly“ eine Oper, die 2008 am Pariser Theater Chatelet unter der musikalischen Leitung von Placido Domingo uraufgeführt wurde. Dass erst sechs Jahre später die Deutsche Erstaufführung dieses Werkes herauskommt, erstaunt. Am Theater Trier erlebte „The Fly“ ihre deutsche Premiere.

Das Libretto von Henry David Hwang folgt der Geschichte des Filmes, rückt aber die Beziehung der Figuren und ihre Psychologie stärker in den Mittelpunkt. Außerdem wird das Geschehen als Rückblick aus der Perspektive der weiblichen Hauptfigur erzählt: Auf einer Party lernt die Journalistin Veronica Quayle den Wissenschaftler Seth Brundle kennen, der sie zu sich nach Hause einlädt, um ihr seine Erfindung zu präsentieren.

Brundle hat eine Maschine erfunden, die Gegenstände in der Sendekapsel in ihre Moleküle zerlegt und in der Empfangskapsel neu zusammen setzt. Nach mehreren Fehlversuchen gelingt ihm diese Teleportation auch mit Lebewesen. Als er das Experiment auch an sich selbst wagt, wird Brundles DNA mit der einer Fliege vermischt, die sich im Teleporter befindet. Brundle verfügt nun über gewaltige Kräfte und will schon eine neue Menschenrasse heranzüchten, doch bemerkt er das Scheitern des Versuches, als die Gene die Fliege immer mehr überhand nehmen. 

Im Film kennt man Howard Shore als Meister epischer Melodien und der stimmungsvollen und dramatischen Umsetzung des Filmgeschehens in Musik. In „The Fly“, die komplett neu vertont wurde und von der Filmmusik nur wenige Takte übernimmt, versucht Shore eine permanente Atmosphäre der Bedrohung und Spannung zu erzeugen. Die Musik befindet sich stets in polyphonen und atonalen Bewegungen und kommt kaum zur Ruhe, was dazu führt, dass sich die Spannungskurve bald totläuft. 

Auch fehlen hier Leitmotive, die dem Hörer eine Orientierung ermöglichen könnten, oder Shore versteckt sie so gut, dass man sie nicht wahrnimmt. Erst im zweiten Teil der Oper, wenn Veronica bemerkt, dass sie schwanger ist und sie befürchtet ein mutiertes Wesen zu gebären, gönnt Shore seinen Figuren etwas Ruhe. Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier spielt unter Joongbae Jee mit großem Einsatz und man kann nur ahnen, dass die Proben sehr anstrengend gewesen sein müssen. Insgesamt jedoch enttäuscht die kompositorische Umsetzung, da man eine abwechslungsreichere und genauere Zeichnung von Personen und Situationen gewünscht hätte.

Von den Sängern verlangt Shore immense Leistung, denn trotz vieler tonaler Einklänge, scheinen sich die Gesangslinien immer weiter zu entwickeln, ohne auf vorher eingeführtes Material zurückzugreifen. Sehr beeindruckend gelingt Kristina Staneks Interpretation der Veroncia. Die junge Mezzosopranistin singt ihre Rolle mit großer stimmlicher Energie und gestaltet sie abwechslungsreich. Zudem spielt sie ihre Rolle sehr authentisch.

Alexander Trauth als Seth Brundle wirkt hingegen stimmlich und darstellerisch sehr hölzern. Das mag den Anforderungen der Rolle geschuldet sein, aber diese Figur hätte man gerne charismatischer erlebt. Wesentlich agiler präsentiert sich da Tenor Luis Lay als Veronicas Chef Stathis Borans. Lay gefällt mit seinem leicht geführten und schlanken Tenor. Der Chor des Theaters Trier klingt dann am besten, wenn er auf der Bühne als Partygäste oder Menge aktiv sein kann. Wenn der Chor die Stimme der Teleporter-Maschine singt, was ein gelungener Kunstgriff des Komponisten ist, klingt er matt und unpräzise.

Die Inszenierung von Sebastian Welker versucht keine Kopie des Filmes, sondern versucht die Geschichte klar und verständlich mit authentischen Charakteren zu erzählen, was durch die darstellerische Leistung von Kristina Stanek und Luis Lay auch meist gelingt. Das Bühnenbild von Gerd Hoffmann und Arlette Schwanenberg ist einfach gehalten und wird von der Teleport-Maschine dominiert. Lediglich am Ende der Aufführung verzettelt sich Sebastian Welker, wenn der zur Fliege mutierte Brundle mit einem Flak-Geschütz erlegt wird. Das löst unfreiwillige Komik aus, die nicht zur generellen Ernsthaftigkeit der Inszenierung passt.

Der große musikdramatische Wurf, den man von Howard Shore hätte erwarten dürfen, ist „The Fly“ nicht.

Rudolf Hermes 28.01.2013                                       Bilder: Theater Trier

 

 

 

RIGOLETTO

Aufführung am 02.10.13                   (Premiere am 14.09.13)

Ein Gesellschaftsbild zwischen Penthouse und Tiefgarage

Das dem Rigoletto-Libretto von Francesco Maria Piave zugrunde liegende Theaterstück „Le roi s’amuse“ von Victor Hugo löste bei seiner Uraufführung 1832 in Paris einen Theaterskandal aus; zu heikel und drastisch war das Gemisch: ein König als Wüstling und Bordellbesucher; eine nutzlose „gehobene Gesellschaft“ ein buckliger Narr, Prostitution und Schwerkriminalität. Da ging es nicht nur um die Figuren, sondern auch um Gesellschaftskritik. Das Theaterstück verschwand für 50 Jahre von der Bühne. Indessen hatten sich aber Piave und Verdi des Stoffs angenommen. Aus politisch-diplomatischen Gründen verbot die Zensur in Venedig jeglichen Bezug des Stoffs zu Frankreich und seinem König, weshalb die Fantasiefigur des Herzogs von Mantua entstand. Die Oper sollte erst „La Maledizione“ heißen; als Rigoletto im Teatro la Fenice 1851 uraufgeführt, wurde sie als erste von Verdis trilogia populare der bekannte Welterfolg.

Luis Lay, Svetislav Stojanovic, Opernchor des Theater Trier, Statisterie

Herzöge, Hofnarren und Bravos gibt es der früheren Form zwar nicht mehr, aber der Stoff lässt sich mit seinen drastischen Zutaten fast 1:1 in die Gegenwart übertragen, die um nichts schmeichelhafter ist, sondern eher noch brutaler als ein historisches Tableau. Der Regisseur Bruno-Berger-Gorski, der inzwischen seinen fünften Rigoletto vorstellt, tut das in Trier mit drastischen Mitteln bis hin zur Brutalität, wobei er aber die Grenzen des „guten Geschmacks“ unangetastet lässt. Für sein gesellschaftliches Dreischichten-Modell hat ihm der Bühnenbildner Thomas Dörfler, Ausstattungsleiter am Pfalztheater Kaiserslautern, einen Architekturkomplex der Gegenwart errichtet, der im Verlauf von oben nach unten ergründet wird. Oben befindet sich das Attikageschoss mit Dachterrasse. Hier feiert der „Herzog“ mit seinen Speichelleckern eine Bunga-Bunga-Party. Außer dem Herzog in weißem Anzug sind alle in bizarre schwarze Fantasiekostüme mit viel Durchblick auf nackte Haut gekleidet (Kostüme: Gera Graf).  Ihrem Gastgeber zuliebe mobben sie „diese oder jene“ und werden alle von Rigoletto gemobbt (mit Narrenkappe und rotem Mantel über grauem Unterhemd und Schlabberhose mit Hosenträgern)  Es wird ganz klar: von dieser ausgelassen-dekadenten Feiergesellschaft hat noch nie jemand mit Kopf- oder Handarbeit ehrlich an der Steigerung des Bruttosozialprodukts gearbeitet. Die jugendlich-jungenhafte Erscheinung des „Herzogs“ legt nahe, dass er verzogenes Kind ist; schon in jungen Jahren scheint er sich aber trotz Dauerfete zu langweilen. 

Jacek Strauch (Rigoletto), Pawel Czekala (Sparafucile)

Praktischerweise in der Etage darunter lebt Rigoletto; im Treppenhaus begegnet er schicksalhaft Sparafucile: langes blondes Haar mit zum Pferdeschwanz gebunden, Springerstiefel, Sonnenbrille (auch im dunklen Flur). Sparfucile ist ein eingewanderter Mörder aus „Burgund“. Rigoletto erweist sich ebenfalls als Migrant: türkischer Muslim, der seine Tochter in seine heruntergekommene Wohnung eingesperrt hat. Hier darf sie vor dem Altar mit Bild der Mutter und roten Rosen ihren Gedanken nach Freiheit und Information nachhängen. „Lasst mich erfahren, wer meine Mutter ist.“ Im dritten Akt schließlich geht es in die unterste Etage der Gesellschaft: Straßenstrich in der Hofeinfahrt zwischen Müllcontainern. Äußerst brutal, bis zur Vergewaltigung springt hier Sparafucile mit seiner Schwester Maddalena um. In Projektion auf den Bühnenprospekt ziehen Gewitter und Starkregen auf, stroboskopisch beleuchten Blitze die Szene. Der „Herzog“ geht nicht nach Hause, sondern beobachtet die Szene bis zum traurigen Ende Gildas. Er ist tief betroffen. Hier setzt die Regie eine Art Erlösungsidee ein: „Colei sì pura, al cui modesto sguardo quasi spinto a virtù talor mi credo!“ (Sie, so rein, bei deren sittsamen Worten ich mich manchmal beinahe zur Tugend bewegt fühle!“) singt der Herzog zu Beginn des zweiten Akts. Aber eben nur beinahe!  Hätte er durch Gilda auf den Weg der Tugend zurückgeführt werden können, oder hat Gilda durch ihr Opfer den Herzog gar erlöst? Aber sein zynisches „La donna è mobile“ intoniert der Herzog immerhin drei Mal! Dem Herzog auch nachdenkliche Züge zu verleihen, ist ein wichtiger Zug der Personenzeichnung, vom Regisseur schon in seiner Bonner Inszenierung von 2009 vorgenommen. Mit Gilda, deren Emanzipations- und Liebesversuch scheitert, bildet er so ein tragisches Opernpaar. Rigoletto und Sparafucile sind (aus unterschiedlichen Motiven) als Schurken ihre Gegenspieler. Maddalena ist ein weiteres Opfer. Wenn der Verdacht besteht, sie wolle nicht, dann wird sie mit Drogen gefügig gemacht – oder einfach „nur“ geschlagen. In einer solchen Konstellation braucht Rigoletto keinen Buckel. Gekonnte Personenregie und Chorführung mit viel individueller Bewegung runden das Bild einer durchwegs gelungenen Inszenierung ab, die wohl drastisch ist, aber nie provoziert und durchaus auch ganz klassische Bilder der Oper vermittelt.  

Jennifer Riedel (Gilda)

Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter der Leitung des GMD Victor Puhl ließ nach wenigen anfänglichen Unsicherheiten nichts mehr anbrennen. Die Ballmusik zur Party im ersten Akt wurde teilweise eingespielt: die Reichen und Unnützen haben kein Orchester, sondern lassen sich aus der Konserve bedienen. Puhl führte das Orchester mit einer steten Steigerung von Ausdruckskraft und Emotionalität. Generische und gefällige Klänge wichen mehr und mehr Schärfungen und bis zum Schroffen führende Härten im dritten Akt. Da waren Regie und Musik gut abgestimmt. Angela Händel hatte Chor und Extrachor gut vorbereitet, dem es trotz seiner Bewegungsfreudigkeit nicht an Präzision gebrach.  

Kristina Stanek (Maddalena)

Die Rolle des Herzogs sang Svetislav Stojanovic. Sein gut ansprechender Tenor gefiel mit weichem Schmelz in der Mittellage, zeigte aber an diesem Abend in den hohen Lagen Enge und Schwankungen sowie Intonationsprobleme, die ihn in dieser Rolle überfordert erscheinen ließen. Damit ist aber auch schon die einzige Schwäche des Abends genannt. Denn die stimmliche Qualität der anderen Rollen hätte selbst einem größeren Theater zur Ehre gereicht. In der Titelrolle begeisterte der mächtige Bariton von Jacek Strauch, einem bewährten Fahrensmann an vielen, auch großen Häusern. Seiner despotischen Rolle und seinem mächtigen Körperbau entsprechend hielt er sich mit Weinerlichkeiten nicht auf, sondern dominerte klanglich mit dunkel drohendem Stimmfundament bis in die hintersten Winkel des Opernhauses. In seiner Tochter Gilda fand sich in Jennifer Riedel ein feinsinniger Gegenpart. Ihr schlanker lyrischer Koloratursopran von sauberer Linienführung und bestechender Klarheit ließ sie in dieser Rolle überzeugen. Pawel Czekala mit bis in die Tiefe samtenem und rundem Bass gewann als Sparafucile. Eine Offenbarung war Kristina Stanek als Maddalena, die ihre bildhübsche Bühnenerscheinung mit ihrem klaren warm timbrierten Mezzo noch in den Schatten stellt. Auch in den vielen Nebenrollen hörte man ansprechende Stimmen und sah große Spielfreudigkeit. 

Jacek Strauch (Rigoletto), Jennifer Riedel (Gilda)

Auf dem großen Parkplatz am Trierer Theater war kaum ein Parkplatz zu finden. Wo waren all die Leute? Leider nicht im Theater, denn das war vielleicht gerade zu einem Drittel gefüllt. Liebe Treverer, den besten Dienst, den Sie Ihrem Theater erweisen können, heißt hingehen; das ist viel wirkungsvoller als sich auf Listen einzutragen, was als Protest gegen erneute Spardiktate (von Leuten die sonst nicht sparen können) allerdings auch wichtig ist (siehe nächster Beitrag unten!). Rauschender Beifall von denen, die da waren, belohnte die Mitwirkenden. Weitere  Vorstellungen von Rigoletto kommen am  6., 27. Oktober, 17., 24., 26. November, 15., 26. Dezember, 10. Januar, 1. und 21. Februar.

Manfred Langer, 03.10.13                            Fotos: Marco Piecuch

 

 

 

Doppelabend 

Carl Orff                                    Maurice Ravel

DIE KLUGE               L'HEURE ESPAGNOLE 

Vorstellung am 02.04.13             (Premiere am 29.03.13)                

Lapidar gibt der Regisseur im Programmheft zu, dass die beiden Opern programmatisch und musikalisch nichts, aber auch gar nichts gemeinsam haben und nicht einmal durch ein gemeinsames Bühnenbild verbunden sind. Da man sich in Trier zwei Bühnenbilder nicht leisten könne, müsse das der ersten Kurzoper eben in der Pause abgeräumt werden. Es geht ganz einfach darum, zwei interessante Einakter, beide nicht sehr häufig gespielt, zu einem abendfüllenden Programm zusammenzubinden. Warum man entgegen dem Brauch das jüngere Werk zuerst gespielt hat, darauf gibt dann der Abend die Antwort. Sicher nicht nur deshalb, weil man das Bühnenbild von „Die Kluge“ in der Pause nicht hätte aufbauen können...

Evelyn Czesla (Die Tochter des Bauern); Reuben Willcox (Der König)

 

DIE KLUGE  

(Die Geschichte von dem König und der klugen Frau)

Der König als Diktator

Carl Orffs Oper ist 1943 im bereits von Bomben beschädigten Frankfurt uraufgeführt worden. Die NS-Kulturzensoren hatten wohl das Libretto des Stücks nicht richtig gelesen, sondern nur das gleichnamige Märchen der Gebrüder Grimm in schwacher Erinnerung, auf welches der Komponist sein Libretto basierte. Oder hatte allein Carl Orffs Ansehen im Dritten Reich dafür ausgereicht, dass „Die Kluge“ zur Aufführung kam. In dem Stück werden ziemlich deutlich Gewaltherrschaft, Unterdrückung, Willkürjustiz, Unfähigkeit und Bestechlichkeit im Reiche des „Königs“ thematisiert. An diesen Elementen setzt die Regiearbeit von Sven Grützenmacher erbarmungslos an. Schon das Bühnenbild von Hanna Zimmermann zeigt die Macht- und Unterdrückungsarchitektur deutlich auf. Unten ein betonierter Hof wie ein Gefängnis, darüber eine dreistufige Betonstruktur, die ganz oben das Büro des Diktators (Königs) trägt, der auf goldenem Sessel an goldenem Schreibtisch unter seinem eigenen Portrait sitzt (mit durchschlagskräftiger Tiefe: Reuben Willcox). Auf dem Schreibtisch steht ein Samowar – ein „diskreter“ Hinweis, wohin verortet  man sich das Geschehen vorstellen soll. Wie der Chef an das ganze Gold gekommen ist, zeigt die Handlung: Ausplünderung der Untertanen. Deren einer, der Bauer, schaut nur mit dem Kopf aus einem Betonverlies heraus und schleudert seine Klage in die Gegend („O, hätt‘ ich meiner Tochter bloß geglaubt!“) (mit sonorem runden Bassbariton: Alexander Trauth). Der alte Kerkermeister (Horst Lorig mit weichem Bass) schreitet müde auf und ab (Rente mit 76!) In den Zwischenetagen lässt die gekonnte Personenregie die drei Strolche  als Kanalarbeiter herumwuseln (Luis Lay mit Ausflug ins Falsett, Amadeu Tasca mit kultiviertem Bariton und Pawel Czekala mit klangschönem Bass klangen ausgesprochen gut im Terzett).

László Lukács (Der Mann mit dem Maulesel)

Des Bauern Tochter (die Sopranistin Evelyn Czesla von attraktiver Bühnenerscheinung mit schönen Färbungen in der Mittellage) schafft es bis in die Chef-Etage. Da sie aber auch ein soziales Gewissen hat und ein Willkürurteil des Königs hintertreibt, der sie wegen Ihrer Klugheit frisch geehelicht hat, wird sie wieder verstoßen. Der Mann mit dem Esel (stets lamentierender Charaktertenor mit unsteten Höhen: Svetislav Stojanovic) hat nicht einsehen wollen, dass er von den Strolchen und dem Mann mit dem Maulesel (László Lukács mit volltönendem warmen Bariton) um sein Eselsfüllen gebracht wird. Gerechtigkeit widerfährt dem Eselmann nicht. Aber die als Königin wieder ausgestoßene Bauerntochter darf sich ja noch etwas vom Hof mitnehmen, was ihr lieb ist. Und da erläutert die Regie, was ihre wahre Absicht war... Was sie da mitnimmt, wird hier nicht verraten; nur so viel, dass die Regie das Ende des Märchens drastisch verändert hat und der Ton endgültig ins Herbe schlägt. So passt es zwar ins Regiekonzept, ist aber nicht mehr glaubwürdig. Die Inszenierung wirkt sehr geradlinig, ja belehrend; aber am Ende fällt doch arg auf, dass das märchenhafte Ende des Stücks („und wenn sie nicht gestorben sind“) mit dem Regieansatz nicht amalgamiert werden kann. So kommt es zu einem dramaturgischen Bruch, der auch das Harmoniebedürfnis des Publikums vor Probleme stellt, das höflich, aber zurückhaltend reagierte. Die aussagefähige Kostümierung der Darsteller besorgte Claudia Caméra.

Svetislav Stojanovic (Der Mann mit dem Esel); die drei Strolche

Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter der Leitung von GMD Victor Puhl war natürlich Orff-mäßig im Schlagwerk kräftig verstärkt. Bei ebenfalls großer Bläserbesetzung waren die Streicher zurückgenommen, so dass die mit großer Präzision musizierten  archaisch wirkenden Schlagwerk-Rhythmen und Ostinati hart und trocken im Raum standen. Ein guter Teil der Oper wird gesprochen, dazu kommen rhythmische Deklamation und Sprechgesang auf gleicher Tonhöhe. Zum sich verhärtenden Geschehen auf der Bühne gesellt sich keine Melodik.

 

L'HEURE ESPAGNOLE

Das ist eine französische Stunde

Das Libretto dieser musikalischen Komödie stammt von Franc-Nohain und beruht auf dessen gleichnamigem Theaterstück von 1904. Es ist eine französische Boulevardkomödie einfachster Handlung mit schlüpfrigem zweideutigem Text ohne jeden Tiefgang, aber mit viel Situationskomik und daher sehr unterhaltsam. Die Oper wurde 1911 an der Opéra Comique mit schwachem Erfolg aufgeführt: solche Stoffe erwartete man in der Vorstadt-Schmiere, aber nicht in der Oper. Der trockene Uhrmacher Tourquemada muss jeden Donnerstagnachmittag für genau eine Stunde außer Hauses gehen, um die städtische Uhr zu warten. Diese „spanische“ Stunde nutzt seine von ihm vernachlässigte Frau Concepción regelmäßig zu einem amourösen Abenteuer mit ihrem Liebhaber, dem selbstverliebten Schwärmer Gonzalvo. An diesem Tag geht alles schief: der bärenstarke Mauleseltreiber Ramiro will nicht aus dem Laden gehen, und dazu erscheint noch der protzige neureiche Bankier Don Inigo Gomez und denkt, sich die Frau zu kaufen. Die treibt es aber zuletzt mit dem Maultiertreiber, weil er so stark ist und weil er sich wirklich für die Frau interessiert  und sich für ihre Sorgen einsetzt. Dem düpierten Uhrmacher wird Genugtuung gewährt, weil er den beiden Prätendenten die teuren Standuhren verkaufen kann, in denen sie sich vorher versteckt hatten.

Amadeu Tasca (Mauleseltreiber), Luis Lay (Torquemada)

Ein Bühnenbild braucht man für diese Oper nicht unbedingt; lediglich zwei Standuhren. Dazu fügt die Bühnenbildnerin am Bühnenhimmel noch eine ganze Sammlung von Uhrenteilen hinzu: man befindet sich schließlich bei einem Uhrmacher. Wieder besorgte Claudia Caméra die situationsgerechten, komisch überzeichneten Kostüme.  Dem Regisseur gelingt mit lockerer Hand eine sehr witzige Inszenierung, die in ihren Bewegungen in schöner Weise die süffige Musik von Ravel aufnimmt und die sich natürlich auf die Zeichnungen der Charaktere konzentriert. Vom Inszenierungskonzept her gesehen kann der Regisseur bei dieser Oper nicht viel falsch machen, aber in den Einzelheiten wird viel Geschick benötigt, um diese Komödie prickelnd zu machen. Sven Grützenmacher ist es gelungen: er hat die Lacher auf seiner Seite.

Kristina Tanel (Concepción); Svetislav Stojanovic (Gonzalvo)

Zu dem leichten Geschehen auf der Bühne hat Maurice Ravel eine facettenreiche Musik für großes Orchester geschrieben. Die reicht von kleinen charmanten musikalischen Einfällen, über programmatische Kommentierung (à la Falstaff) und plakativen Hispanismen bis zum opulentem Großeinsatz des Apparats. Victor Puhl setzt das mit dem groß besetzten  Philharmonischen Orchester so traumhaft um, dass man bedauern muss, dass es sich bloß um einen Einakter handelt. Das Orchester folgt seinem GMD mit konzentriertem, präzisem Spiel und bester Intonation.  Schon bei der Einleitung hört man das Ticken, Tacken und Schlagen der Uhren im Laden. Die Bewegungen sind perfekt untermalt bzw. der Regie gelingt es ideal, die Bewegungen auf die Musik zu inszenieren. Ein Regisseur, der das nicht aus dem Reclam-Heft inszeniert hat, sondern vorher den Kopf mit dem Dirigenten zusammengesteckt hat. An und für sich soll die Oper in Echtzeit ablaufen, d.h. eine Stunde dauern; diese Stunde war in Trier allerdings spanisch; denn man kam nur auf 55 Minuten. Heute ist eben alles schneller. Nach der spanischen Stunde war auch klar, dass die an zweiter und letzter Stelle kommen musste: nach diesem Klangrausch hätte der spröde Orff nicht mehr gepasst.

Kristina Tanel (Concepción)

Luis Lay sang den Uhrmacher Torquemada und verlieh diesem verschrobenen Charakter als heller, geschmeidiger  Spieltenor auch das geeignete stimmliche Profil. Mit Kristina Stanek war eine reizende und aufreizende Concepción besetzt; quirlig, melomanisch und fast nymphomanisch mit einer verführerischen kehligen Eindunkelung Ihres Mezzos und leuchtenden Höhen. Sie nahm sich den, auf den sie zum Schluss Lust hatte: und ewig siegt das Weib (hier mit dem Mauleseltreiber). Den gab der Bariton Amadeu Tasca mit etwas spröden Höhen und hörbaren Problemen mit der französischen Sprache (Ein Mauleseltreiber spricht eben nicht französisch).  Die beiden weiteren männlichen Rollen in dieser Oper sind Verlierer: Gonzalvo (für diese Rolle hätte Svetislav Stojanovic  mehr tenoralen(s) Schme(a)lz aufbringen dürfen) und Don Inigo Gomez, der komische Bänker (mit rundem vollen Bass: Pawel Czekala)

Das Haus war  nur zur Hälfte gefüllt; der Bekanntheitsgrad der Werke ist anscheinend noch zu niedrig. Der Beifall für die spanische Stunde war groß. Man sollte sich diese nicht zu häufig gegebene  süffisante musikalische Komödie nicht entgehen lassen. Der Doppelabend kommt noch sechs Mal bis zum 9. Juni. Empfehlung: hingehen.

Manfred Langer, 04.04.2013                             Fotos: Marco Piecuch

 

 

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