STADTHEATER MINDEN
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Zweiter und letzter Zyklus 26. September bis 6. Oktober 2019
Wenig vergleichbare Erlebnisse kann Theater bieten, als wenn innerhalb kurzer Frist hintereinander aufgeführt wird das Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner mit seinem Vorabend Das Rheingold und den drei Tagen Die Walküre, Siegfried und Götterdämmerung.
Dies wurde jetzt wieder nachvollziehbar sogar im kleinen Stadttheater Minden (Intendantin Andrea Krauledat). Als das Riesenprojekt dort vor vier Jahren mit der Aufführung des Rheingold begann, waren doch leise Zweifel zu hören, ob es bis zur Götterdämmerung weitergeführt werden könne. Nicht nur gelang dies grandios, sondern als gewaltiger krönender Abschluß konnte in diesem Jahr zweimal das gesamte Werk zyklisch aufgeführt werden.
Mehr als bei Aufführung der einzelnen Teile wurde deutlich, daß die stimmige Inszenierung von Gerd Heinz eben nicht nur für den jeweiligen Abend, sondern von Beginn an auf die gesamte Handlung konzipiert war. Der das Bühnenbild von Frank Philipp Schlössmann beherrschende jeweils in verschiedenen Farben leuchtende Ring im grossen Viereck (Licht Michael Kohlhagen) paßte als Rahmen für alle vier Abende, ergänzt durch zahlreiche, den szenischen Erfordernissen und der verhältnismässig kleinen Spielfläche angepaßte Einbauten, über Treppen zu erreichende Anbauten und Unterbauten. Den größten Teil der Bühne nahm wie bei allen bisherigen Wagner-Aufführungen das hinter einem Gazevorhang sichtbare Orchester ein.
Der zeitlich kurze Abstand zwischen den Aufführungen machte auch die Entwicklung der Kostüme parallel zu geschichtlichen Epochen noch sinnfälliger (auch Frank Philipp Schlössmann) , nämlich vom vorzeitlichen Einheitsgrau im Rheingold, über das teils vornehme Mittelalter in der Walküre, über Techniker und Jäger in zerstörter Natur im Siegfried bis hin zu schwarzer Kleidung und moderner Nachrichtentechnik wie Laptops für die Nornen in der Götterdämmerung.
Als am meisten Leidtragende und Hauptakteurin behielt einzig Brünnhilde ihr leuchtend – rotes Kleid bei allen ihren Auftritten bei bis auf ein weisses Hochzeitsgewand für die kurze Zeit als Gunthers Braut. Auch die über der Bühne auf dem Gazevorhang gezeigten Videos von Matthias Lippert zeigten eine ähnliche Entwicklung. Die zeigten ausser dem bis zum Schluß immer wieder aufleuchtenden Ring erklärende Motive wie Stacheldraht, Spinnen, Hunde und Pferde, fallende Felsbrocken oder Regenbogen bis zu Algorithmen (vielleicht auch Runen?) zu Beginn der Götterdämmerung.
Durch die Nähe der Spielfläche konnte der Regisseur in ausgefeilter Personenführung durch kleine Gesten die Emotionen der Mitwirkenden dem Zuschauer viel direkter vermitteln, als wenn diese ein grosser Orchestergraben trennt. Dabei gelang es, neben den ja auch manchmal etwas heiteren alltäglichen Verhaltensweisen darzustellen, daß es um den monumentalen Kampf zwischen verderblicher Macht des Goldes und menschlicher Zuneigung ging und nicht nur um ein auf Pump gekauftes Haus.
Bei Besprechung aller Teile und jetzt natürlich vor allem beim gesamten Ring wurde zu Recht immer gepriesen die Leistung der aus Herford stammenden Nordwestdeutschen Philharmonie.
Einstudiert und geleitet von Frank Beermann wurde sie im Laufe der Aufführungen in Minden sich immer steigernd zu einem hervorragenden Wagner-Orchester, das durch die Platzierung sichtbar hinten auf der Bühne dem Besucher das musikalische Geschehen zusätzlich optisch verstärkte. Dies galt in ganz besonderem Masse für die Zwischenspiele, insbesondere natürlich im Siegfried und der Götterdämmerung. Besonders erwähnt sei der Beginn des Rheingold mit den hier sichtbaren Kontrabässen, der typische düstere Klang der Bläser etwa in den Vorspielen des Siegfried , immer wieder Einsätze der Klarinetten und Baßklarinetten oder das kantable Spiel der Violinen etwa im dritten Akt Siegfried oder der Celli beim Morgengrauen der Götterdämmerung. Auch gelobt seien Soli einzelner Instrumente stellvertretend für viele das Solo des Cello in der Walküre, die immer makellos gespielten Hornrufe Siegfrieds oder die eigens angefertigten drei Stierhörner in der Götterdämmerung. Die Tempi differenzierte der Dirigent je nach Handlung zwischen ziemlich rascher Bewegung und Ruhepunkten, etwa der Fast-Stillstand zum Ende des Vorspiels der Götterdämmerung, in der dann später symphonische und polyphone Strukturen deutlich wurden. Ein Höhepunkt dieser Art war die vom hier sichtbaren Orchester gespielte Trauermusik zum Tode Siegfrieds.
Erfreulich war, daß für fast alle Rollen von Beginn bis zum Schluß dieselben Sänger verfügbar waren. Davon waren zwei insofern Stars des ganzen Rings, da sie in allen vier Teilen auftraten. Das galt vor allem für Thomas Mohr in den Rollen von Loge, Siegmund und der beiden Siegfriede. Da gelangen schnelles Parlando im Rheingold , Legato-p-Kantilenen etwa in der Walküre und im dritten Aufzug Siegfried. Als Gunther verkleidet konnte er in der Götterdämmerung wenige Takte in seinem früheren Stimmfach Bariton singen. Für Wälse-Rufe und beide Siegfriede verfügte er über scheinbar unerschöpfliche heldentenorale Stimmreserven.
Über diese aber als Bariton verfügte auch Renatus Mészár als kraftvoll-überheblicher dann immer verzweifelter werdender Wotan, als etwas humorvoller, zum Schluß dramatischer Wanderer und in der Götterdämmerung als eitler Schwächling Gunther. Perfekt paßte er das Timbre seiner Stimme der jeweiligen Situation an.
Als erst übermütig und jugendlich, dann ergreifend und gedemütigt im Spiel und in Bezug auf den kleinen Theaterraum sehr hochdramatisch aber sehr präzise und mit leuchtender Stimme singend gestaltete Dara Hobbs die zentrale Partie der Brünnhilde. Das beeindruckte besonders bei der Erweckung im Siegfried, in den Verzweiflungsausbrüchen im zweiten Aufzug und dem feierlichen Schlußgesang im dritten Aufzug der Götterdämmerung bis zum stimmlich zurückgenommenen lang angehaltenen „Ruhe du Gott“ um dann noch einmal Grane vom hohen b zum tiefen es herunterwiehern zu lassen. Magdalena Anna Hofmann war stimmlich ergreifend als Sieglinde besonders im intensiven hehrsten Wunder. Zusätzlich übernahm sie die undankbare Rolle der Gutrune. Urmutter Erda war Janina Baechle.
Eindringlich sang Heiko Trinsinger im Rheingold als Alberich den unheilbringenden Fluch und übernahm diese Partie jetzt auch im Siegfried und der Götterdämmerung. Mime spielte intensiv und sang dazu passend wie schon vor zehn Jahren in Dortmund Jeff Martin. Mit ganz grosser Bassstimme und wenn nötig ebensolcher Bosheit darin gestaltete Andreas Hörl den Hagen.
Zwei kürzere aber entscheidende und publikumswirksame Rollen übernahm Kathrin Göring als selbstbewußte Fricka und verzweifelte Waltraute. Neben den eckigen Bewegungen und passenden Koloraturen als Waldvogel trat Julia Bauer auch noch auf als Freia, eine Walküre, eine Rheintochter und dritte Norn. Christine Buffle und Tiina Penttinen ergänzten als Rheintöchter und Nornen das grosse Ensemble.
Wieder setzte sich der mächtig und exakt singende Mannenchor in der Götterdämmerung hinter dem Orchester platziert aus ausgesuchten Laien und professionellen Sängern zusammen, einstudiert unter der Bezeichnung Wagner Chor 2019 Minden vom Kantor Thomas Wirtz.
Der Untergang Walhalls wurde ausreichend akustisch durch das jetzt in passender Beleuchtung sichtbare Orchester dargestellt. Zum Erlösungsmotiv betraten dann alle Mitwirkenden unerkannt die Bühne. Nach dem abschliessenden Des-Dur-Akkord erhob sich nach kurzer Besinnungspause ganz starker Beifall mit vielen Bravos der zum Teil weit, sogar aus Australien und Schottland angereisten Zuschauer. Dieser galt natürlich vor allem dem Dirigenten, dem Orchester, allen Sängern aber auf ausdrückliche Aufforderung durch alle auch der Initiatorin des Wagner-Theaters im kleinen Minden, Frau Dr. Jutta Hering-Winckler, der Vorsitzenden des örtlichen Wagner-Verbandes. Auch dank ihres persönlichen Einsatzes konnten neben öffentlichen Mitteln wenige grosse und über 200 kleine Spender zur Finanzierung des gewaltigen Vorhabens gewonnen werden. Traurig wäre das, traun, wenn für diesen Aufführungen im Mindener Modell (kleine Spielfläche vorne nahe am Zuschauer - grosses Orchester sichtbar dahinter) mit soviel ehrenamtlichem und privatem Engagement Waltrautes Ankündigung gelten müßte noch einmal zum letzten Mal!
Sigi Brockmann 8. Oktober 2019
(c) Friedrich Luchterhandt
ZUM ZWEITEN
Premiere: 6. September 2018
Besuchte Vorstellung: 9. September 2018
Solch starke Wagner-Sänger in einem großartigen Ensemble erlebt man nicht mal an den großen Häusern. Mit einer kurzweilig inszenierten und großartig musizierten und gesungen „Götterdämmerung“ geht jetzt der Mindener „Ring des Nibelungen“ zu Ende. Im nächsten Jahr folgen zwei Zyklen.
Regisseur Gerd Heinz inszeniert das große Finale wie bereits die vorherigen Abende: Zuverlässig erzählt er die Handlung und rückt dabei die Charaktere in den Mittelpunkt. Wenn an anderen Häusern bei Wagner schon mal Langeweile aufkommt, ist in Minden davon nichts zu spüren. Die fast zwei Stunden, die der erste Akt dauert, vergehen wie im Flug. Kritisieren kann man lediglich, dass Gerd Heinz kaum eine eigene Sicht auf die Geschichte liefert und Wagners Texte und Regieanweisungen nicht hinterfragt.
Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann wird auch hier von dem großen Ring im Bühnenportal beherrscht. Über weite Strecken hat man aber das Gefühl, dass diese Inszenierung gar kein Bühnenbild benötigt. Eigentlich besteht die Bühne bloß aus einem Podest mit Treppen für Auf- und Abtritte. Viel Entscheidender sind die Lichtstimmungen (Michael Kohlhagen) und Videos (Matthias Lippert), welche immer die passende Grundstimmung zu jeder Szene zaubern.
Für viel Kurzweil sorgt vor allem die fulminant aufspielende Nordwestdeutsche Philharmonie Herford unter Frank Beermann. Der Dirigent findet für jede Situation den richtigen Ton: Die Nornen- und Alberichszene sind in einen fahl-grauen Klang getaucht. Das Abschiedsduett zwischen Siegfried und Brünnhilde, der Trauermarsch und Brünnhildes Schlussgesang sind große heroische Szenen, während das Treffen Siegfried mit den Rheintöchtern fast schon operettenhaft pointiert daherkommt. Die Musiker der Nordwestdeutschen Philharmonie Herford, die eigentlich ein reines Konzertorchester ist, zeigen sich hier als großartige Opernspezialisten.
Zum Niederknien ist das Sängerensemble: Wo erlebt man solch umwerfende Stimmen und Darsteller als Brünnhilde, Siegfried und Hagen, die einen immer wieder, mit ihrer stimmlichen Wucht in den Sitz pressen? Dara Hobbs ist eine metallisch strahlende Brünnhilde, die sängerisch und optisch eine Idealbesetzung ist. Thomas Mohr singt den Siegfried mit viel Kraft und Schmelz. Dabei zeigt er auch, wie kantabel man Wagner singen kann. Ein Bass mit kerniger Urgewalt ist Andreas Hörl.
Magdalena Anna Hoffmann als Gutrune und Renatus Meszar als Gunter sind ein selbstbewusstes Gibichungenpaar. Oft erlebt man diese als schwache Nebenfiguren, die bloß von Hagen manipuliert werden. In Minden bekommen sie durch die Sänger mehr Ernsthaftigkeit verliehen. Eine wohltönende Waltraute ist Kathrin Göring, Frank Blees ist ein zuverlässiger Alberich.
Im nächsten Jahr ist der gesamte „Ring“ dann in zwei Zyklen zu erleben. Für Opernfans aus Osnabrück, Bielefeld und Hannover ist das Wagner-Glück in einer Stunde erreichbar.
Rudolf Hermes 11.9.2018
Bilder siehe unten Premierenkritik!
PREMIERENKRITIK
Premiere 6. September 2018
„geraten ist .. der Ring“!
Zweifel daran gab es auch früher nicht, aber nun haben wir es erlebt: Mit einer fulminanten Aufführung des dritten Tags , der „Götterdämmerung“, wurde im Theater des ostwestfälischen Minden unter der Intendanz von Andrea Krauledat die Aufführung des gesamten „Bühnenfestspiels“ „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner vollendet, wieder unterstützt von mehr als 100 Sponsoren. Wie bisher muß wieder der grosse persönliche und organisatorische Einsatz des dortigen Wagner-Verbandes und vor allem seiner Vorsitzenden, Frau Dr, Jutta Hering- Winckler hervorgehoben werden. Größte Anerkennung gilt vor allem der musikalischen Leitung des gesamten „Rings“ durch Frank Beermann, der die Nordwestdeutsche Philharmonie zu einem großartigen Wagner-Orchester formte, das hinter der Spielfläche auf der Bühne platziert war.
Das von den Vorabenden bekannte Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann mit dem verschiedenartig beleuchteten Ring im viereckigen Rahmen mit der Treppe nach oben links wurde jetzt ergänzt durch zusätzliche Stufengestelle von der Bühne nach rechts und links und in die Tiefe – letztere sehr passend für die Rheintöchter-Szenen aber vom Parkett schwierig einzusehen. Paßten die ebenfalls von ihm gestalteten Kostüme im „Rheingold“ zeitlich in graue Vorzeit, in der „Walküre“ ins Mittelalter, im „Siegfried“ in die Epoche der Industrialisierung, so trug man in der „Götterdämmerung“ zeitlich nicht genau fixierte Kleidung, vor allem in Schwarz, wobei im zweiten Aufzug die beiden ach so jungfräulichen Bräute entsprechendes Weiß trugen und Gunther sich für Brautfahrt und geplatzte Hochzeit einen weissen Pelz anlegte. Einzig Brünnhilde behielt ihr rotes Kleid aus den früheren Ring-Teilen.
Jetztzeit zeigte auch die Nornen-Szene – alle drei auch in Schwarz -, die ihr Seil mit Hilfe von Tablets schwangen, was auf dem bekannten Video-Viereck über der Bühne zu sehen war. (Videogestaltung wiederum Matthias Lippert) Zwischen den Darstellungen des Seils erkannte man dort Runen, vielleicht auch Algorithmen, die sich zum Ende des „ewigen Wissens“ auflösten. Auch die Rheinfahrten zwischen Brünnhildes Felsen und der Halle der Gibichungen oder die „starken Scheite“wurden dort angedeutet. Weitere Videos erinnerten an passenden Stellen an die vorigen „Ring“ - Teile, etwa Stacheldraht-Knäuel, fallende Felsbrocken oder auch die Hunde und Pferde aus der „Walküre“
Überhaupt nutzte Regisseur Gerd Heinz nicht nur wieder die Nähe der Sänger zum Publikum zu ausgefeilter kammerspielartiger Darstellung der spannenden Handlung, sondern zeigte auch dabei häufig, daß die vier Abende .eine Einheit bilden, heutzutage muß das ja besonders erwähnt werden. Als Beispiel sei genannt, daß Brünnhilde Siegfried beim Aufbruch zu den „neuen Taten“ mit Wotans Mantel bekleidete, mit dem dieser sie zum Schlaf zugedeckt und den Siegfried ihr bei ihrer Erweckung zur Seite gelegt hatte. Bei den Gibichungen angekommen zog Siegfried den Mantel natürlich sofort aus, behielt aber den ihm von Brünhilde in Form eines Amuletts am Hals umgehängten Speicher ihres Wissens bis zum Tod an.
Die Nähe der Sänger zum Publikum und deren trotz hochdramatischen Gesangs im kleinen Theater weitgehende Textverständlichkeit machte Übertitel wiederum fast überflüssig.
Als neben Wotan wichtigste Person des ganzen „Ring“ glänzte Dara Hobbs mit mächtigem hochdramatischen Sopran und ebenso hochdramatischem Spiel. Besonders lag ihr die Mittellage auch im p und bis zu tiefen Tönen, etwa zu Beginn des Terzetts im zweiten Aufzug „Welch Unholds List“ oder das lang angehaltene „Ruhe Du Gott“ beim Schlußgesang. In der Waltrauten-Szene hörte man etwa bei „in seiner Liebe“ den Triller. Ihre Spitzentöne klangen manchmal etwas forciert, dafür begann sie den Schlußgesang mit unforciertem Legato, um dann kurz vor dessen Ende noch einmal Grane vom mächtigen hohen b bis zum tiefen es herunterwiehern zu lassen.
Thomas Mohr war als Loge, Siegmund und jungem Siegfried schon bisher in allen Teilen des „Ring“ zu erleben, das setzte er nun mit dem „Götterdämmerungs-Siegfried“ fort. Stimmlich erfüllte er mit seinem helltimbrierten Tenor wiederum alle Anforderungen der Riesenpartie Zum Bariton konnte er seine Stimme als mit Tarnhelm verkleideter Gunther absenken. Heiterkeit strahlte er stimmlich im Terzett mit den Rheintöchtern aus und war neben grossen stimmlichen Steigerungen auch zu zartem p, etwa bei „Brünnhilde heilige Braut“ fähig. Dabei spielte er bis kurz vor dem bitteren Ende überzeugend den gutmütigen naiven Helden, der alles so gar nicht verstand,. Er trank mal diesen Trank, mal jenen, verliebte sich schnell, wunderte sich über die wütende Brünnhilde, scherzte mit den Rheintöchtern, ohne den machtpolitischen Hintergrund als Träger des Rings zu ahnen.
Eine Wucht in Stimme, Spiel und Gestalt war Andreas Hörl als Hagen. Gewaltig rief er die Mannen zusammen, auch stimmlich grimmigen Humor verbreitend, gefährlich trotzig und zum Mord entschlossen war sein Auftritt im dritten Aufzug. Hervorragend gestaltete er die langen auch extrem tiefen Töne seiner Partie. Sein traumhaft erlebtes Gespräch mit Vater Alberich (Frank Blees) zu Beginn des zweiten Aufzugs erinnerte daran, daß wir Alberich schon im „Siegfried“ mit seinem jungen Sohn Hagen erleben konnten, wie er ihn zu „zähem Haß“ erzog.
Früher als Wotan und jetzt in der undankbaren Rolle des Gunther war Renatus Mészár neben Thomas Mohr der meistbeschäftigte Sänger des „Ring“. Darstellerisch und stimmlich wandelte er sich vom Prahlhans zum verzweifelten Spielball von Hagens Intrige, sodaß das Verdi-ähnliche Rache-Terzett mit Brünnhilde und Hagen im zweiten Aufzug ein musikalischer Höhepunkt wurde. Magdalena Anna Hofmann - Sieglinde in der „Walküre . war stimmlich und darstellerisch eine passende Gutrune, die wohl vor Siegfried ein Verhältnis mit ihrem Bruder Gunther hatte. Zum Schluß wurde auch sie vom Bruder Hagen umgebracht.
Eine Wunschpartie für Wagner-Mezzosoprane ist die Partie der Waltraute, hat sie doch den kurzen aber eindringlichen Auftritt, in dem sie nach den Nornen das endgültige Scheitern von Wotans betrügerischem Streben nach Weltherrschaft beschreibt. Kathrin Göring – früher Fricka – vermittelte diese düstere Endzeit - Beschreibung szenisch ganz mitreissend, stimmlich beweglich und auch in hohen Lagen nie forcierend – eines der grossen Momente der Aufführung!
Als düstere Nornen und verführerische Rheintöchter waren wieder Tiina Penttinen, Christine Buffle und Julia Bauer erleben, letztere in bester Erinnerung als stimmlich und körperlich bezaubernder Waldvogel aus „Siegfried“
Hagens Mannen im zweiten und dritten Aufzug waren neben einigen „Profis“ ausgewählt aus verschiedenen Männerchören Mindens und der Umgebung und sangen von einer Empore hinter und über dem Orchester als „Wagner-Chor Minden“. Wohl auch dank der Einstudierung von Thomas Wirtz klappten etwa die schwierigen aufeinanderfolgenden Einsätzen im zweiten Aufzug perfekt. Die Chordamen wurden nebenbei von Solistinnen gesungen.
Hauptträger für das Gelingen des Abends war die Nordwestdeutsche Philharmonie – gibt es doch kaum eine aus Motiven und deren Entwicklungen von vier Abenden vielschichtigere, farbiger instrumentierte auch polyphone Entwicklungen umfassende „Opernmusik“ als die der „Götterdämmerung“. Dank der überlegenen Leitung Frank Beermanns und der Platzierung auf der Bühne war dies alles für das Publikum viel eindrucksvoller zu erleben, als wenn es aus einem Orchestergraben tönt bis hin etwa zu den Harfen Harfen bei Brünnhilds nacherlebter Erweckung.Es wurde zügig musiziert (1. Aufzug samt Vorspiel dauerte zwei Stunden), ohne auf langsamere Ruhepunkte zu verzichten. So wurden die Zwischenspiele zu Höhepunkten, die Streicher klangen ausdrucksvoll, viele instrumentale Soli konnte man geniessen, auch Siegfrieds Hornrufe. Für die „Mannenszene“ im zweiten Aufzug waren eigens von einem Hornisten drei Stierhörner verschiedener Stimmung und Länge angefertigt worden. Die Trauermusik zu Siegfrieds Tod unter einem blutroten Ring wurde so bei sichtbarem Orchester eine einzige gewaltige musikalische und emotionale Steigerung..
Danach war es passend, daß bei Brünnhildes Abschied nur zwei Fackeln tragende Statisten das verzehrende Feuer andeuteten. Nach der Entsühnung des Rings durch die Rheintöchter mit Hagens Tod wurde der endgültige Untergang Walhalls durch das jetzt wieder voll sichtbare Orchester nur akustisch dargestellt wurde mit immer hellerem Licht von oben (Michael Kohlhagen), szenische Lösungen schaffen kaum, was die Musik erzählt. Dazu traten zum abschliessenden „Erlösungsmotiv“ alle Mitwirkenden zunächst unerkannt auf die Bühne und bildeten mit dem Chor auf der Empore wohl die von Wagner vorgeschriebenen „Männer und Frauen“.
Da verwunderte nicht der riesige Applaus mit lautstarken Bravos des teilweise von weither angereisten Publikums für alle Mitwirkenden, besonders für Brünnhilde, Siegfried und Hagen und ganz zu Recht am allermeisten für das Orchester und seinen Dirigenten. Aus nachfolgenden persönlichen Gesprächen hörte man nur grosse Begeisterung. Viele, berauscht von dieser „Götterdämmerung“, wollten versuchen, im September und Anfang Oktober 2019 den nun wirklichen Höhepunkt in Form einer der zwei Aufführungen der gesamten Tetralogie in Minden zu erleben.
Sigi Brockmann 8.9. 2018
Fotos Friedrich Luchterhandt
Zweiter Bericht / B-Premiere
10. September 2017
Beim Mindener „Ring des Nibelungen“, der vom lokalen Richard-Wagner-Verband veranstaltet wird, ist der Zuschauer hautnah am Geschehen dabei. Im kleinen Haus, das gerade einmal über 568 Plätze verfügt, ist das Orchester auf der Bühne positioniert, für die Akteure bleibt die gerade einmal 40 Quadratmeter große Vorbühne als Spielfläche. Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann schafft mit seinem riesigen Ring, der das ganze Bühnenportal umschließt, ist eher ein atmosphärischer Raum, als dass hier Schauplätze gestaltet werden.
Das gleiche gilt für die assoziativen Videoeinspielungen von Matthias Lippert, die im Vergleich zu den vorangegangen Abenden mehr Raum einnehmen. Auf dem Vorhang der Bühne und Orchester abtrennt, unterstreichen sie die Stimmung: Die Mime-Szenen werden mit einen lauernden Spinne garniert, zum Walkürenfelsen gibt einen Sonnencorona und während der Schmiedelieder sieht man abstrakt geometrische Bilder von Wasser und glühendem Stahl.
Regisseur Gerd Heinz erzählt die Geschichte dicht am Stück. In dem kleinen Theater agieren die Sänger wie unter einem Vergrößerungsglas, sodass die Regie auch kleine gestische und mimische Akzente setzen kann, die in einem großen Haus verloren gehen würden. Die vielen Dialogszenen sind fein gearbeitet und in dieser Aufführung begreift man verschiedene Szenen auch als erfahrener Ring-Fan besser als in anderen Inszenierungen. Heinz macht zum Beispiel klar, dass sich der Wanderer in der Wissenswette Mime eigentlich als Berater zur Verfügung stellt und er erst Mime befragt, als dieser das Angebot mit sinnlosen Fragen vergeudet.
Großartig auch die Schlussszene, die in vielen Inszenierungen einfach nur langweilt. Heinz arbeitet sehr gut heraus, welche Verstörung es in Brünnhilde auslöst, als sie merkt, dass Siegfried sie sexuell begehrt. Die ehemalige Walküre lässt sich von Siegfried dann auch erst im kämpferischen Spiel erobern.
Die Schwächen der Regie finden vor allem in der Charakterisierung der Figuren statt. Thomas Mohr als Siegfried und Dan Karlström als Mime wirken hier kaum wie Ziehsohn und –vater, sondern wie eine Wohngemeinschaft aus Poet und Tüftler. Mohr erscheint mit seinen ergrauten Locken auch nicht wie das wild tobende Kind, das der Siegfried nun mal ist. Als Loge und Siegmund war Mohr von Ausstatter Schlößmann besser kostümiert worden. Dafür singt Mohr mit seiner hellen und kraftvollen Stimme einen imponierenden Siegfried. Dass er sich für den 3. Akt als indisponiert ansagen lässt, überrascht, denn Mohr singt diese Rolle scheinbar mühelos und gestaltet sie höchst intelligent.
Das gilt auch für Dan Karlstöms Mime, der seine Rolle weitab von jeder Karikatur anlegt. Jedoch singt er den Mime mit seiner hellen lyrischer Stimme so schön und ist auch von der Regie zu keinerlei „Knicken und nicken“ verpflichtet, dass Siegfrieds Abneigung gegen Mime vollkommen schleierhaft bleibt.
Mit großen balsamischen Bögen gestaltet Renatus Mészár den Wanderer und macht aus der Rolle fast schon eine Belkanto-Partie. Während der Wanderer hier eine Art Clochard mit Sonnenbrille ist, der einem Beckett-Stück entsprungen sein könnte, ist sein Gegenspieler Alberich eine Art Jäger mit Gamsbarthut. Oliver Zwarg singt die Rolle mit großem knorrigen Bariton. Recht grobschlächtig wirkt der Fafner von James Moellenhoff.
Als Erda lässt Janina Baechle ihre Stimme raumgreifend strömen. Ein quirliger Waldvogel ist Julia Bauer, wobei die Regie etwas ratlos ist, wer oder was denn dieses Wesen ist: Zwar ist die Sopranistin als junger Wanderbursche kostümiert, wackelt aber mit dem Kopf wie ein Vogel. Große Gänsehautmomente beschert Dara Hobbs als Brünnhilde im Finale. Mit ihrem metallisch leuchtenden Sopran macht die Sängerin die Schlussszene zu einem besonderen Ereignis.
Da die Nordwestdeutsche Philharmonie auf der Bühne quasi „nackt“ spielt, fehlt es den Vorspielen zum 1. und 2. Akt an ihrem mystischen Raunen. Gleichzeitig kann das Orchester im Fortissimo auch nicht so auftrumpfen, wie man es in anderen Theatern gewöhnt ist. Insgesamt erarbeitet Dirigent Frank Beermann aber einen schönen farbigen Wagner-Klang, in dem die Leitmotive gut ausgeformt werden. Die Dramaturgie der Akte disponiert er klug: So startet das Stück mit flinken Dialogen zwischen Mime und Siegfried, geht dann mit der Wissenswette zwischen Mime und dem Wanderer in eine Ruhephase, um schließlich in den Schmiedeliedern rasante Fahrt aufzunehmen.
Die räumliche Anordnung des Orchesters ist auch für die Sänger optimal. Sie müssen hier nicht über das Orchester singen, sondern ihre Stimmen werden von dem Orchester geradezu in den Raum getragen. So versteht der Zuschauer auch ohne Übertitel fast jedes Wort.
Wer sich jetzt schon auf die Fortsetzung freut: Am 6. September 2018 hat die „Götterdämmerung“ Premiere. Für 2019 sind zwei Zyklen angesetzt (12. bis 22. September/ 26.September bis 6.Oktober). Für weiter entfernt wohnende Wagner-Fans dürften solche Zyklen, die sich über 11 Tage erstrecken, eher ungeeignet sein. Wer in der Region zwischen Osnabrück, Bielefeld und Hannover wohnt, hat jedoch die Möglichkeit in Minden einen werktreuen „Ring des Nibelungen“ mit starken Sängern zu erleben.
Rudolf Hermes 13.9.2017
(Bilder siehe unten Premierenbesprechung)
SIEGFRIED
Premiere am 8. September 2017
Kleines Haus - ganz große Oper !
Es „Wagnerte“ in Ostwestfalen am vergangenen Freitag: Am Landestheater Detmold verabschiedete sich der langjährige Intendant Kay Metzger mit einem „Fliegenden Holländer“. Im Stadttheater Minden wurde die komplette Aufführung des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ fortgesetzt mit der Premiere des zweiten Tags „Siegfried“
Wie in den früheren Wagner-Aufführungen war das „Westfälische Wagner-Wunder“ - so die „Welt am Sonntag“ in ihrer Ausgabe vom 3. September – zu verdanken der äusserst tatkräftigen Vorsitzenden des Mindener Wagner-Verbands, Dr. Jutta Winckler, der Intendantin des Stadttheaters Minden, Andrea Krauledat, und vor allem dem Dirigenten Frank
Beermann. Wie schon gewohnt war das Orchester auf der Bühne platziert sichtbar für den Zuschauer hinter einem durchsichtigen Gazevorhang und einer Spielfläche für die Darstellung der Handlung . Dadurch konnten die Sänger besser schauspielerische Nuancen dem Publikum vermitteln und waren auch ohne Übertitelung weitgehend textverständlich. Wieder war die Nordwestdeutschen Philharmonie in der sonst ungewohnten Rolle des Opernorchesters musikalisch bestimmend für die Aufführung.
Da der „Ring“ auch szenisch als Einheit erscheinen sollte, blickte der Zuschauer wie in den vorangegangenen Teilen auf einen riesigen je nach Handlung in verschiedenen Farben leuchtenden Ring begrenzt durch einen viereckigen Rahmen (Bühnenbild wieder Frank Philipp Schlößmann) Im ersten Aufzug sah man darin Mimes Behausung mit Schmiedeutensilien wie Amboß und Ofen, der sogar mit einem riesigen Blasebalg belüftet werden konnte. Für den zweiten Aufzug gab es unbelaubte Baumstämme in sommerlichem Grün, die den Sängern den notwendigen Durchblick zum Dirigenten ermöglichten. Der Handlung folgend aber heute überhaupt nicht selbstverständlich entsprach das Bild des dritten Aufzugs dem der letzten Szene der „Walküre“
Videos über das Orchester projeziert interpretierten wiederum Teile der Handlung, so etwa zu Mimes Schmiedeversuchen eine Spinne, die sich im eigenen Netz gefangen hatte, oder Wotan, der als Schattenriß mit seinem Speer Siegfried auch akustisch beim Schmieden des Schwertes half – flankiert von den Schatten zweier Kontrabässe (Videogestaltung Matthias Lippert)
In diesen Bildern ließ Regisseur Gerd Heinz die Handlung der Musik entsprechend und für den Zuschauer nachvollziehbar ablaufen, sorgte aber doch für eigene Akzente. Wotan etwa versucht durch Gesten Mime zur passenden Fragestellung betreffend Notung zu veranlassen – vergeblich! Auch wurde der Unterschied zwischen Mißerfolg und Erfolg im Schmieden sichtbar. Mime versuchte, die zerbrochenen Teile zusammenzukleben, Siegfried wußte instinktiv, nur aus den Trümmern des alten (Schwerts) konnte das neue (Nothung) entstehen.. Zum Ende des ersten Aufzugs kleidete sich Mime bei seinen Weltherrschaftsphantasien als östlicher Herrscher, was an die Anleihen beim japanischen Theater aus dem „Rheingold“ erinnerte. Das galt auch für den Drachen, der nur als punktuell leuchtender Schattenriss erschien, wieder dargestellt von Schülern des Mindener Ratsgymnasiums. Als Siegfried ihn dann mit dem Speer traf, wurde es blitzartig hell (Licht Michael Kohlhagen) und Fafner (James Moellenhoff mit starkem Bass) stand als verwundeter Riese auf der Bühne.
Mit grosser Stimmkraft und schauspielerischem Talent gestaltete Thomas Mohr erfolgreich die sängerisch überaus anstrengende riesige Titelpartie. Den strahlenden Helden hörten wir stimmlich, kostümiert war er wohl absichtlich etwas unscheinbarer. (Kostüme im Stil des 19. Jahrhunderts auch Frank Philipp Schlößmann) Der Bär (unter seinem Fell Simone Rau), mit dem Siegfried zu Beginn auf die Bühne stürmte, reizte ihn zum ersten kurzen hohen C. Weitgehend textverständlich schonte er die Stimme nicht bei den auch rhythmisch exakt gesungenen Schmiedeliedern. Im zweiten Aufzug konnte er beim „Waldweben“ die kräftige Stimme einfühlsam zum Legato dämpfen. Er hatte genügend Ausdauer, um im langen Schlußduett Brünnhilde stimmlich gleichwertiger Partner zu sein, allein das erfordert schon Bewunderung.
Viele Rollen waren erfreulicherweise mit den Sängern der vorigen Teile des „Ring“ besetzt. So prägte Dan Karlström als Mime überaus textverständlich mit hell timbrierten nicht schrillem und exakt geführtem Tenor ganz maßgeblich den ersten und Beginn des zweiten Aufzugs, Wie er im Kostüm des Handwerkers den verschlagenen, den ängstlichen, in allem aber doch machtgierigen Charakter auch szenisch darstellte, verdient höchstes Lob.
Obwohl zunächst alles nach seinen früheren Wünschen läuft, glich der Wanderer einem heruntergekommenen Clochard, allerdings mit dem Speer als Zeichen der Macht. Als Siegfried ihm diesen zerschlug, nutzte er die beiden Teile als Krücken für seinen endgültigen Abgang. Renatus Mészár sang dazu passend mit rauher, mächtiger und weitgehend textverständlicher Stimme, die sich auch gegen den gewaltigen Orchesterklang in der Erda-Szene behaupten konnte.
Oliver Zwarg war ein stimmgewaltiger Alberich, gekleidet als Jägersmann mit Gamsbart am Hut und Gewehr in der Hand. Begleitet wurde er vom minderjährigen Sohn Hagen (Niels Karlson Hering), der von ihm Hass auf Wotan und seinen Enkel Siegfried lernen sollte. Das boshafte Duett zwischen Alberich und Mime wurde zum schnell gesungenen fast schon erheiternden Bruderzwist. Julia Bauer - auch im Jagdkostüm - sang vom ersten Rang aus koloratursicher bis hin zu Spitzentönen und mit lustig - eckigen vogelhaften Bewegungen den Waldvogel. Mit langen Legato-Bögen ohne falsches Vibrato und sonorer Tiefe war die auch als Konzertsängerin erfolgreiche Janina Baechle eine mythisch aus der Tiefe aufsteigenden Erda, stimmlich dynamisch sich steigernd von ganz p-Beginn bis zum grossen Sprung bei „Meineid“.
Von Stimme, Gestalt, Spiel und Ausstrahlung wünscht man sich so die erwachende und erwachte Brünnhilde, wie Dara Hobbs sie darstellte – eigentlich nach ihrer Walküren-Brünnhilde zu erwarten. Die gegenüber letzterer höhere Stimmlage im „Siegfried“ meisterte sie ohne Schwierigkeit.
Großartig gelang der mit Siegfried gemeinsame Triller kurz nach Anfang des Duetts Ganz p-legato klang das „Ewig war ich“. Glaubhaft und gar nicht zickig spielte sie ihre Angst vor der bevorstehenden körperlichen Liebe, ganz anders eben als Siegfried, der blind seinen Gefühlen folgt. Ganz Mensch wollte sie aber doch nicht werden, zum Schluß zog sie den glitzernden Handschuh ihrer Walküren-Rüstung über. Das hinderte sie aber nicht, zusammen mit Siegfried im Schlußduett mit strahlenden Spitzentönen die Liebe leuchten zu lassen und den Tod zu verlachen.
Größtes Lob gebührte Frank Beermann und der Nordwestdeutschen Philharmonie für die anpassungsfähige Begleitung der Sänger – etwa wie zu den Schmiedeliedern der Orchesterklang abgemildert wurde. Höhepunkte waren die Vorspiele, die Pauken z.B. , mit denen vor Einsatz der Fagotte das Stück beginnt, hörte man hier, deutlich, häufig aus dem Orchestergraben aber gar nicht. Für viele gelungene Soli seien das englische Horn des Waldvogels und später das Solo-Horn bei Siegfried im Walde genannt. Die vielfältigen thematischen und polyphonen musikalischen Beziehungen im genialen dritten Aufzug wurden hörbar, der stampfende Rhythmus zu Beginn klang exakt, die grosse Geigenkantilene zum Ende der Verwandlungsmusik bezauberte, stimmungsvoll lyrisch waren die Streicher vor „Ewig war ich“, überwältigend das gesamte Orchester im jubelnden Schluß. Da der Dirigent während der ganzen Oper stand, konnte er besonders exakte Zeichen geben, die Erschöpfung darüber konnte er nach der Vorstellung nicht ganz verbergen.
Da war zu erwarten, daß das festlich gekleidete Premieren-Publikum im ausverkauften Theater reichlich Applaus und verdiente Bravos, vor allem für die Darsteller der vier grossen Partien und ganz besonders für den Dirigenten und das Orchester spendete. Wahrscheinlich waren viele darunter, die als fünzehn Großspender und fast zweihundert kleinere Spender auch zum Gelingen beigetragen haben. Da gibt es allen Grund, sich vor allem musikalisch aber auch szenisch auf die „Götterdämmerung“ im September 2018 zu freuen.
Sigi Brockmann 10. September 2017
Fotos (c) Friedrich Luchterhandt
DIE WALKÜRE
Premiere am 9. September 2016
(Besprechung der Zweitpremiere weiter unten!)
grosse Emotionen auf kleiner Bühne
Nach dem gelungenen Auftakt mit „Rheingold“ im vergangenen Jahr heißt es auch im ostwestfälischen Minden wieder „Wir schaffen das“ - wir, das sind vor allem die Nordwestdeutsche Philharmonie unter Leitung von GMD Frank Beermann und Dr. Jutta Hering-Winckler, die enorm engagierte Vorsitzende des Richard-Wagner-Verbands Minden. Schaffen wollen sie, daß im kleinen Stadttheater Minden (Intendantin Andrea Krauledat) in vier Jahren hintereinander aufgeführt wird Richard Wagners Bühnenfestspiel für einen Vorabend und drei Tage „Der Ring des Nibelungen“. Auf den Vorabend „Das Rheingold“ im vergangenen Jahr folgte nun der erste Tag „Die Walküre“ der emotional mitreissendste Teil der Tetralogie, vorweg sei gesagt „Gelungen ist auch der zweite“ Teil! Wieder war das Orchester hinten auf der Bühne zu sehen und fand die Handlung auf der Vorderbühne statt.
Deren Begrenzung durch einen viereckigen Holzrahmen mit darin befindlichem riesigen je nach Handlung im verschiedenen Farben leuchtenden Ring hatte Frank Philipp Schlößmann vom „Rheingold“ übernommen. Entsprechende Form hatte die Esche im I. Aufzug und solche Ring-Abschnitte sah man auch im II. und III. Aufzug. Geblieben war auch die an der linken Bühnenseite nach oben führende Treppe – des vornehmen Hundings Schlafzimmer war natürlich im ersten Obergeschoß. Die Kostüme deuteten Mittelalter an. Demgemäß gingen die Walküren „mit dem Pfeil, dem Bogen“ und Schwertern auf Heldenjagd, wobei sie als Trophäen Waffen und Brustpanzer mitbrachten, aber auch ein römisches Feldzeichen. Das Denkmal für Hermann, der die Römer besiegte. steht ja nicht weit entfernt.
Wieder sorgte Matthias Lippert für passende Videos wie etwa Stacheldraht für die von Wotan geplante Not des Wälsungen-Paars, fallende Felsbrocken für Wotans Einsicht in das Scheitern seiner Pläne, oder der vom „Rheingold“ bekannte Hintergrund-Ring für den III. Aufzug. Hunde, mit denen Hunding Siegmund verfolgte, wurden durch ein Video mit Aufnahmen dafür ausgesuchter Mindener Hunde angedeutet, ob letzteres auch für die Pferde des Walküren-Ritts zutrifft, ist nicht bekannt.
In diesem Rahmen inszenierte Gerd Heinz ganz nach Wagners Vorstellungen Leidenschaften, Machtpoker und Enttäuschungen nach eigenem Bekunden als „Kammerspiel“ - nur möglich in Minden, wo die Darsteller nah am Zuschauer ohne trennenden Orchestergraben oder -deckel agierten. Dabei gelang es, durch das Spiel die Handlung zu vertiefen, nicht sie zu verharmlosen oder zu karikieren. Nie sah man zum Beispiel so nah, wie Sieglinde und Siegmund im I. Aufzug beim Betrachten ihrer Gesichter deren Ähnlichkeit entdeckten, oder, wenn bei der Todverkündung auf Siegmunds Frage, ob er Wotan und seinen Vater Wälse in Walhall fände, Brünnhilde grinste, weil sie ja wußte, daß Wotan beides war. Etwas heitere Abwechslung im traurigen Stück zeigte sich auch, wenn etwa Fricka sich nach Wotans Ausspruch „Nimm den Eid“ diesen schriftlich geben ließ.
Erfolg konnte dieses Konzept nur haben, weil alle Mitwirkenden trotz des grossen Orchesters so textverständlich wie eben möglich sangen, der vollständige Abdruck des Textes im Programmheft hilft da wohl nur nachträglich.
Eine ideale Sieglinde in Aussehen, Spiel und Gesang gelang Magdalena Anna Hofmann. Jubel über die Aussicht auf Befreiung aus der erzwungenen Ehe machte sie mit exakt getroffenen Spitzentönen über den Orchesterklang hinweg ebenso deutlich wie den Selbstzweifel im II. Aufzug. Die tiefe Lage fast ohne Orchester im III. Aufzug bei „Nicht sehre dich..“ gelang ergreifend so auch das Legato der Spitzentöne beim „hehrsten Wunder“ Für ihren Siegmund stand mit Thomas Mohr ein stimmgewaltiger Heldentenor mit ewig langen „Wälse“-Rufen auf der Bühne. Er beherrschte aber auch Legato-Bögen, etwa in der Todverkündung, oder zartes p, etwa bei „So schlummre nun fort“. Sein Stimmfarbe blieb allerdings stets gleich, ob er von Rache oder Liebe sang. Spitzentöne zu forcieren hätte er nicht nötig gehabt.
Eine Idealbesetzung nach Isolde vor einigen Jahren war wieder Dara Hobbs in der Titelpartie der Brünnhilde. Oktavensprünge und folgender Triller beim ersten „hojotoho“ klangen jugendlich. Dabei spielte sie überzeugend beweglich das übermütige, lustige – so nennt sie sich ja selbst – Kampf-Girl. Nach den Legato-bögen der Todverkündung wurde sie auch stimmlich durch Siegmunds bedingungslose Liebe zu Sieglinde zur mitfühlenden Frau. Ebenso glaubwürdig gestaltete sie Verzweiflung mit den für Wagner-Sängerinnen manchmal schwierigen tiefen unbegleiteten p-Stellen wie etwa „War es so schmählich“, dann folgte perfekt gespielt die Erleichterung, daß sie den gewünschten Mann kriegen wird.
Seine Erfahrung mit der Riesenrolle des Wotan in der Walküre merkte man Renatus Mészár schon daran an, wie gut er tiefe und hohe Töne traf und seine Stimmkraft bis zum gelungenen Schluß einteilte. Nach verhaltenem Parlando-Beginn der Erzählung im II. Aufzug gestaltete er überlegen die grossen stimmlichen Ausbrüche . Im III. Aufzug half ihm dabei, daß er grosse Teile rechts im I. Rang oder links oben auf der Treppe singen konnte und so mit seinem für diese Partie hell timbrierten Bariton besser über das Orchester hinweg verständlich blieb.
Aus seiner angetrauten Fricka machte Kathrin Göring darstellerisch und sängerisch ein wahres Kabinettstück. Groß gewachsen gekleidet in vornehmen Pelz, deckte sie - ganz die Göttin - anklagend und ironisch mit makelloser Stimme Wotans Doppelspiel überzeugend auf. Später sang sie dann auch noch als Walküre die Waltraute.
Hunding spielte und sang mit tiefem fast zu wohlklingenden Baß Tijl Faveyts , ganz lässig als reicher selbstbewußter Lehnsherr auftretend. Auch körperlich mußte er als Hunding widerstandsfähig gewesen sein, denn noch am Ende des I. Aufzugs überwand er die Wirkung von Sieglindes Schlafmittel und taumelte auf die Bühne.
Die acht Walküren waren trotz Hin- und Her- Laufens – auch auf den Rängen - immer so platziert, daß sie mit Blick auf den Dirigenten die schwierigen Ensembles sicher bewältigen konnten. Mit Oktavensprung bis zum strahlenden hohen C und Triller zeigte Julia Bauer (Freia im „Rheingold“)hochdramatische Gesangskunst, dies später zusammen mit Christine Buffle als Ortlinde. Den andere verliehen Julia Borchert, Evelyn Krahe, (Erda im „Rheingold“) Dorothea Winkel, Tiina Penttinen und Yvonne Berg treffsichere Walküren-.Stimmen.
Für diese erfreulichen Gesangsleistungen war das akustische Fundament und dank Wagners Motivtechnik und Instrumentation der Hauptträger des Dramas die Nordwestdeutsche Philharmonie unter Leitung von Frank Beermann. Er differenzierte je nach Handlung und musikalischer Entwicklung die Tempi, überdehnte nie, ließ aber gekonnt auch mal recht zügig musizieren, so hörte man Siegmund und Sieglinde als sehr feuriges Paar Hundings Hütte verlassen, und es ritten die Walküren durchaus im Galopp. Eindrucksvoll war auch, daß man an handlungsärmeren Stellen das gesamte Orchester sehen konnte. Bei seiner grossen Kantilene im I. Aufzug, als Sieglinde Siegmund zu trinken reicht, sah man und hörte bewundernd den Solocellisten. Auch die Soli von Klarinette, Oboe und Englischhorn klangen viel direkter als aus einem Orchestergraben. Alle Bläser, besonders die tiefen Blechbläser beeindruckten bei den p gespielten und rund klingenden Walhall-Motiven, vor allem zur Todverkündung. Zum Schluß liessen die Solo-Flöten die Flammen des Feuerzaubers so richtig züngeln.
Dank bühnenwirksamer Beleuchtungseffekte und einfühlsamer Orchesterbegleitung wurden Wotans Abschied – liebevoll deckte er Brünnhilde mit seinem Mantel zu – und Feuerzauber zu einem intensiven abschliessenden Theater- und Hörerlebnis
Entsprechend groß und ganz lange dauernd mit Bravos für Sänger, Orchester und Leitungsteam war der Applaus im ausverkauften Haus. Besucher kamen teils von weit her – so z.B. Paris oder natürlich Bayreuth, darunter viele Mitglieder von anderen Wagner-Verbänden. Sympathisch und passend war, daß neben den Sängern auch Solisten des Orchesters durch je eine Rose geehrt wurden
Möglich wurde die Aufführung wiederum durch Beiträge einiger grosser „Unterstützer“ und weit über hundert kleinerer Sponsoren, aber auch durch das Land NRW mit der Ministerpräsidentin als „Schirmherrin“ Den Schild, der Helden schirmte, wird Brünnhilde im „Siegfried“ erwähnen, Premiere am selben Orte vorgesehen für den 8. September 2017!.
Sigi Brockmann 11. September 2016
Fotos (c) Theater Minden / Dorothée Rapp und Friedrich Luchterhandt
ZWEITPREMIERE
DIE WALKÜRE
Premiere: 9. September 2016
Besuchte Vorstellung: 11. September 2016
Wenn Zuschauer bereit sind für ihre Karten 150 Euro bezahlen, aber nach Beginn der Vorstellung weiter drauflos tuscheln, könnte man denken, man sei bei den Salzburger Festspielen. Das Publikum im westfälischen Minden schafft dies aber auch: Bei der B-Premiere von Wagners „Walküre“ platzt einem Zuschauer während des Walkürenritts über das Gequatsche um ihn herum sogar der Kragen, dass er lautstark „Ruhe jetzt“ forderte.
Der Großteil des Publikums folgte der Aufführung, die vom Mindener Wagner-Verband organisiert wird, jedoch konzentriert, gefesselt und begeistert. Nach jedem Akt gibt es begeisterten Applaus, so dass man bedauert, dass die Akteure erst am Ende der Vorstellung den Beifall entgegen nehmen.
Regisseur Gerd Heinz erzählt den „Ring“ als Menschheitsgeschichte, was nichts Neues ist. In Detmold (Kay Metzger), Bonn (Siegfried Schoenbohm) oder Kassel (Michael Leinert) hat man dies schon gesehen. Heinz startet mit dem „Rheingold“ in der Steinzeit und springt mit „Die Walküre“ ins Mittelalter, weil das Schwert Nothung das zentrale Requisit ist. Heinz erfindet die Geschichte nicht neu, sondern erzählt sie zuverlässig und aus der Psychologie der Figuren.
Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann hat die Spielfläche auf Vorbühne positioniert, auf der Hauptbühne befindet sich die Nordwestdeutsche Philharmonie Herford unter der Leitung von Frank Beerman hinter einem durchsichtigen Vorhang. Das Orchester spielt in den dramatischen Passagen mit kompakter Wucht auf. Beermann lässt in großem Duett des ersten Aktes aber auch viel Platz für die Lyrik der Partitur, und lässt Wotans Erzählung im zweiten Akt und die Todesverkündigung mit der nötigen Ruhe spielen.
Ein gigantischer Ring, nimmt das Portal ein. Im ersten Akt dient ein zerbrochenes Ringsegment als Esche, im zweiten Akt befinden sich die Segmente als Stelen auf der Bühne. Im dritten Akt ist eine runde Scheibe ein neues Bühnenelement. Auf ihr legen erst die Walküren ihre Waffen und Rüstungsteile der Helden als Opfergaben nieder, bevor Brünnhilde hier schließlich in den Schlaf gebettet wird.
Hin und wieder hat Heinz auch originelle Ideen: Sieglinde hüllt das frisch gezückte Schwert Nothung in Decken wie ein Baby. Am Ende des ersten Aktes torkelt der schlaftrunkene Hunding über die Bühne und entdeckt beim Schlussakkord den Diebstahl des Schwertes.
Aufgrund der sängerfreundlichen Platzierung des Orchesters hätten in Minden auch leichtere Stimmen eine Chance, jedoch hat man Interpreten engagiert, die auch an großen Häusern wie Essen, Karlsruhe und Leipzig singen. Der Siegmund von Thomas Mohr ist ein echter Hörgenuss. Er verfügt über beachtliche Kraftreserven, gleichzeitig glänzt er mit einer phänomenal durchdachten Artikulation der Partie, die differenziert wie bei einem Schubert-Lied ist.
Eine Brünnhilde wie aus dem Bilderbuch ist Dara Hobbs: Nicht nur dass sie die Figur schauspielerisch glänzend durchdringt, sie verfügt auch über eine metallisch leuchtende Stimme, die gleichzeitig in der Tiefe gut fundiert ist. Warum ihre Karriere bisher nicht ähnlich erfolgreich ist wie die von Rebecca Teem oder Sabine Hogrefe, ist vollkommen unverständlich.
Kathrin Göring ist eine höchst selbstbewusste Fricka mit raumgreifender Stimme. Die Arroganz der Rolle, die immer wieder durch Gestik und Mimik von der Regie unterstrichen werden, wirkt aber übertrieben. Das trifft auch den penetrant defensiven Wotan von Renatus Mészár zu, der seine Rolle mit einer wuseligen Kleinteiligkeit spielt. Selbst im 3. Akt ist dieser Gott nie Herr der Lage. Stimmlich legt Mészár seine Rolle respektabel an, doch besitzt er zu wenig Bassfundament, um ein autoritärer Wotan zu sein. Von anderen aktuellen Vertretern der Rolle ist man da ein anderes Kaliber gewohnt.
Mit heller und kräftiger Stimme singt Magdalena Anna Hofmann eine attraktive und dramatische Sieglinde. Tijl Faveyts gibt mit schneidendem Bass einen gewohnt unsympathischen Hunding. Die Walküren-Riege ist gut zusammen gestellt: Die Stimmen klingen solistisch angenehm und mischen sich zudem in den chorischen Szenen sehr harmonisch. Was die Sänger in Minden leisten, ist höchst beachtlich, denn in 15 Tagen absolvieren sie sieben Vorstellungen.
Wer einen gut erzählten „Ring“ abseits modischer Regie-Mätzchen erleben will, ist in Minden gut aufgehoben. Gleichzeitig ist dieses Projekt auch Ansporn und Inspiration für kleine Häuser sich an einen eigenen „Ring“ oder andere Wagner-Opern zu wagen. Bei einer Anordnung des Orchesters auf der Bühne, kommen auch leichtere Stimmen gut den Weg zum Publikum und müssen sich nicht verausgaben. Häuser wie Hagen, Aachen, Gießen oder Koblenz könnten sich daran orientieren.
Rudolf Hermes 21.9.16
DAS RHEINGOLD
Zum Zweiten
Premiere: 9. September 2015
Besuchte Vorstellung: 11. September 2015
Die Möglichkeit zwei Rheingold-Inszenierungen innerhalb zweier Tage zu erleben, zu erleben, hat man nicht alle Tage. Der Mindener Richard-Wagner-Verband und die Ruhrtriennale bringen ihre Produktionen innerhalb weniger Tage heraus.
In Minden gibt es zwar ein hübsches Kleines Theater mit 568 Plätzen, jedoch kein eigenes Opernensemble und kein eigenes Orchester, dafür einen sympathisch größenwahnsinnigen Wagner-Verband. Der hat seit 2002 in Koproduktion mit der Nordwestdeutschen Philharmonie Herford bereits vier Wagner-Opern heraus gebracht, zuletzt 2012 „Tristan und Isolde“. Dabei war immer klar, dass man irgendwann um den „Ring des Nibelungen“ nicht herum kommen würde und nun startet das auf fünf Jahre angelegte Großprojekt.
Da es in Minden nur einen kleinen Orchestergraben gibt, ist die Nordwestdeutschen Philharmonie auf der Bühne platziert, die Spielfläche besteht daher nur aus dem Bereich des Orchestergrabens und dem vorderen Bühnenbereich. Mit Ausstatter Frank Philipp Schlössmann, der gerade erst „Tristan und Isolde“ in Bayreuth und dort auch schon die Inszenierung von Tankred Dorst ausgestattet hat, hat man sich in Minden einen der größten Namen der Zunft engagiert.
Sein Bühnenbild besteht aus einem großen Portalrahmen, der die Stimmen der Sänger gut in den Saal fokussiert und einem riesigen Ring, der sich in diesem Rahmen befindet. Das sieht toll aus, kann als Spielfläche aber überhaupt nicht genutzt werden. Lediglich die Wendeltreppe auf der linken Bühnenseite findet szenische Verwendung.
Ansonsten wird auf der leeren Bühne gespielt, und das genaue Spiel der Akteure in der Regie von Theater-Veteran Gerd Heinz ist es dann auch, was die Bühne eigentlich ausfüllt. Vielleicht hätte man auch noch ein bisschen mehr in die abstrakt-geometrischen Videos von Matthias Lippert investieren können, die nur im Vorspiel und in den Verwandlungsmusiken zum Einsatz kommen. Als Kontrapunkt oder Untermalung des szenischen Geschehens könnten diese Videos die Inszenierung noch weiter voran bringen.
Ansonsten hat Gerd Heinz das Stück zuverlässig am Stück entlang inszeniert, wobei ihm die Dialog-Szenen besser gelingen, als die turbulenten Szenen zwischen Alberich und den Rheintöchtern. In manchen Szenen lässt das gesungene Wort noch von großen Gesten unterstreichen, was im kleinen Mindener Theater, wo man den Sängern hautnah beim Spielen zuschaut, überflüssig ist. Manchmal fragt man sich, ob das szenische Ergebnis nicht ähnlich ausgefallen wäre, wenn die Sänger mithilfe von Wagners Original-Regie-Anweisungen die Produktion selbst gestaltet hätten.
Überraschend ist, wie wenig Heinz an entscheidenden Stellen in die Psychologie der Figuren eindringt und diese bloß oberflächlich zeigt. So kehrt Freia nach ihrem Freikauf ganz fröhlich zu ihrer Verwandtschaft zurück, die sie gerade verschachern wollte. Loge ist hier ein getreuer Gefolgsmann Wotans, lässt keinerlei Kritik am Verhalten seines Chefs erkennen und entreißt Alberich sogar selbst den Ring. Loges Abkehr von den Göttern im Finale wird so nicht plausibel.
Das Mindener „Rheingold“-Ensemble, das sich vor allem aus Sängern aus Chemnitz, Leipzig und Essen zusammensetzt, ist beachtlich und würde auch an anderen Häusern starken Eindruck machen. Heiko Trinsinger besitzt zwar eine helle Stimme, ist aber ein eindringlich-scharfer Alberich, der an diesem Abend den meisten Applaus bekommt. Renatus Mészár, der den Wotan singt, ist als indisponiert angekündigt, bietet aber doch ein überzeugendes Rollenporträt mit einer schön gefärbten und biegsamen Stimme.
Den Loge singt Thomas Mohr und er gestaltet ihn nicht nur höchst intelligent, sondern zeigt auch mit wie viel Belcanto Wagner diese Rolle angelegt hat. Bereits im Detmolder Ring war Evelyn Krahe eine intensive Erda mit großer Stimme und daran knüpft sie nun mühelos ein. Kathrin Göring ist eine perfekt singende und selbstbewusst spielende Fricka.
Die Riese sind mit Tijl Faveyts als Fasolt und James Moellenhof als Fafner stark besetzt. Besonders Faveyts beeindruckt mit seiner wohl gerundeten und schön gefärbten Stimme. Während Andreas Kindschuh als Donner so schmettert, als wolle er sich gleich für den Wotan bewerben, bleiben Andre Riemer als Froh und Julia Bauer als Freia sängerisch solide, ohne den Figuren großes Profil zu geben. Die Rheintöchter sind Julia Borchert, Christine Buffle und Tiina Pettinen gut besetzt.
Eine hervorragende Leistung bieten die Nordwestdeutsche Philharmonie Herford unter dem Dirigat des Chemnitzers GMD Frank Beermann. Der hält die Musik im dramatischen Fluss, arbeitet die Leitmotive schön heraus und bietet auch mal Überraschungen, wenn er das Riesenthema forsch voran stürmen lässt. Mit zwei Stunden und 25 Minuten Aufführungsdauer liegt er im mittleren Bereich.
Fazit dieses Rheingold-Wochenendes: Sängerisch hat Minden das bessere Ensemble. Beide Orchester bieten eine spanende Aufführung, klanglich hat MusicAeterna in Bochum die Nase vorne, gleichzeitig würde man sich von Currentzis nicht bloße Klangmagie, sondern auch den dramatischen Fluss wünschen, wie ihn Frank Beermann bietet. Die Bühne von Bettina Pommer ist in ihrer Gigantomanie stärker als die von Frank Philipp Schlössman in Minden.
Ob die Ruhrtriennale einen kompletten Ring plant, steht noch in den Sternen. Besser wäre es, dort würde man sich auf Stücke konzentrieren, die in normalen Theatern nicht gezeigt werden können. Minden hat schon die Walküren-Premiere für den 9. September 2016 terminiert.
Rudolf Hermes 13.9.15
Bilder siehe unten!
DAS RHEINGOLD
Festspielwürdiges an der Weser
besuchte Aufführung am 11. September 2015
„Ei nun, er wagt´s“ kann man über den Richard Wagner Verband Minden und seine ausserordentlich tatkräftige Vorsitzende Dr. Jutta Winckler mit den Worten von Kunz Vogelgesang aus den „Meistersingern“ sagen. Er wagt´s nämlich, zusammen mit Frank Beermann und der Nordwestdeutschen Philharmonie im kleinen Stadttheater von Minden in vier Jahren hintereinander den gesamten „Ring des Nibelungen“ aufzuführen. Für die Regie wurde Gerd Heinz gewonnen, früher Intendant des Züricher Schauspielhauses und später Opernregisseur und Musikprofessor in Freiburg.
Der „normalen“ Reihenfolge entsprechend wurde in diesem Jahr mit dem Vorabend „Das Rheingold“ begonnen..
Da wie bei früheren Wagner-Aufführungen das Orchester hinten auf der Bühne spielte, blieb vorne nur wenig Spielfläche für die szenische Darstellung. Trotz dieser Einschränkung für die abwechslungsreiche Handlung des Vorabends zeigte Gerd Heinz, daß Wagner am spannendsten wird, wenn seiner Tonsprache gemäß inszeniert wird und nicht eigene Phantasien des Regisseurs zu seiner Musik ausgelebt werden. Jeder Auftritt und jede Bewegung paßten, angefangen von den verführerischen Rheintöchtern bis hin zu den grossen dramatischen Szenen wie Alberichs Fluch oder der Ermordung Fasolts durch Fafner mit einem gewaltigen Schlag seines Holzpfahls in Zeitlupe. Es wurde deutlich, daß hier Welttheater stattfand und nicht eine Geschichte vom unbezahlten Häuschen. Ohne überflüssige Zutaten wurde so auch die Kritik am Frühkapitalismus für jeden Zuschauer verständlich.
Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann – Bayreuth-erfahren - bestand aus einem das ganze Bühnenportal einnehmenden Quadrat mit einem darin befindlichen riesigen Ring, dessen Innenseite entsprechend der jeweiligen Handlung beleuchtet wurde. Über eine Treppe links konnten die Rheintöchter zu Beginn und die Götter zum Schluß sich nach oben bewegen. Frank Philipp Schlößmann entwarf auch die Kostüme und kleidete mit wenigen Nuancen Rheintöchter. Riesen, Götter und Nibelungen in „grämliches Grau“, in ihrer Gier nach Macht sind alle ähnlich ausser Erda. Grossen Eindruck hinterliessen die Videos von Matthias Lippert, immer auch in Form von Ringen und Quadraten, die jeweils passend zur Handlung ausgefüllt wurden, besonders eindrucksvoll Ab- und Aufstieg nach und von Nibelheim und der zum Schluß in einen Spiralnebel sich verwandelnde Regenbogen. Eine grosse Hand wies mit dem Finger auf die Bedeutung von Erdas Weissagung vom Ende der Götter hin.
Für Alberichs Verwandlungen wurden Anleihen gemacht beim japanischen „Bunraku-Theater“ Durch einen Vorhang wurde Alberich eher witzig verdeckt. Puppenspieler bewegten eine ostasiatische Schlange und eine Kröte, hier wie auch in der Rheintöchter-Szene zu Beginn ein etwas heiterer Gegenpol zur ernsten Handlung.
Auch wohl, weil sie vor dem Orchester sangen, waren alle Sänger, vielleicht stimmlagenbedingt mit Ausnahme von Freia, äusserst textverständlich, es brauchte keine Übertitel. Das ist wohl auch der Studienleitung von Thomas Michael Gribow zu verdanken.
Renatus Mészár als Wotan ließ sich erkältet ansagen, was kaum zu hören war. Gleich zu Anfang geriet der grosse Sprung bei „hehrer herrlicher Bau“ punktgenau. Zuerst die Stimme schonend steigerte er sich zum Schluß, allerdings doch nicht ganz so edel singend wie bei ihm gewohnt. Das machte er mehr als wett durch sein Spiel erst hochnäsig lässig, dann doch immer mehr die Bedrohung seiner Herrschaft erkennend.
Ganz grosses Format in Gesang und Spiel zeigte Heiko Trinsinger als sein Gegenspieler Alberich. Die Wandlung vom am Riff herumkriechenden Lustmolch zum gewalttätigen Herrscher über seine Bergarbeiter bis zum verzweifelten Beraubten gelang unheimlich glaubhaft. Sein den weiteren „Ring“ bestimmender Fluch gab ihm mythische Grösse.
Loge wird häufig dargestellt von ehemaligen Heldentenören. Bei Thomas Mohr dagegen hörte man beste heldentenorale Kraft. Er wußte sie aber geschickt zu verbinden mit der sehr beweglichen Stimmführung - etwas beim grellen „Geraten ist ihm der Ring“ - und ebensolchem Spiel.
Kathrin Göring war stimmlich und darstellerisch eine stolze Fricka, konnte aber auch die liebende Ehefrau spielen. Mit sonorer Altstimme ohne falsches Vibrato auf den langen Tönen sang Evelyn Krahe die Erda. Stimmlich treffend aber gequält als unterdrückten Bruder stellte Dan Karlström den Mime dar. Einen edlen Baß verlieh Tijl Faveyts dem Riesen Fasolt, man konnte verstehen, daß Freia (Julia Bauer mit hellem Sopran) ihn augenscheinlich mochte. Er war mit der Schlagzeuggruppe des Orchesters und Schülerinnen und Schülern auch für die Ambosse in Nibelheim zuständig. Dagegen klang James Moellenhoff als Fasolt der Rolle gemäß brutal. Mit mächtiger Stimme und eiseerner Hand ließ Andreas Kindschuh als Donner das Gewitter grollen, mit hellem Tenor führte André Riemer als Froh die „Brücke zur Burg“. Verführerisch sangen und zeigten wohlgeformte Beine die Rheintöchter Tiina Penttinen, Christine Buffle und Julia Borchert, wobei letztere als Woglinde ihr hohes C traf. Schülerinnen und Schüler des Ratsgymnasium Minden traten als ausgebeutete und gequälte Nibelungen sprich Bergarbeiter auf.
Am allermeisten zu bewundern in der Aufführung war die Nordwestdeutsche Philharmonie unter Leitung von Frank Beermann. Da das Orchester, wenn auch meistens im Hintergrund, dauernd sichtbar war, sah man auch und hörte nicht nur, wie zu Beginn des Vorspiels die Kontrabässe mit dem ersten tiefen Es einsetzten, dann Fagotte und Hörner folgten – immer wieder ein musikalisches Wunder! Überhaupt sind neben den Streichern sowohl Holz- als auch Blechbläser im „Rheingold“ mit schwierigen Aufgaben betraut, müssen sie doch häufiger leise oder mezzoforte und dabei im runden Mischklang spielen als richtig laut, etwa bei Begleitung der Szenen mit dem Tarnhelm. Dies gelang
durchhörbar sauber intoniert bei allen einzelnen Gruppen und Soli. Daß die Sänger dauernd textverständlich sein konnten, hatte natürlich auch hierin seinen Grund. Seine ganze Klangpracht konnte es dann in den Zwischenspielen und nach exakt intoniertem Schwertmotiv am Schluß zeigen. Frank Beermann wählte rasche Tempi,- den Auftritt der Riesen hat man schon wuchtiger gehört - wurde aber dann langsamer, wenn eines der für den ganzen „Ring“ bedeutenden Motive erstmalig erklang und paßte hörbar sich den Sängern an.
Nach dieser fulminanten Aufführung gab im vollbesetzten Theater natürlich hochverdienten Jubel, Applaus und Bravos – wie heute üblich auch stehend - auch und besonders für den Regisseur und das Orchester mit seinem Dirigenten. Daß solcher Jubel und grosse Anstrengung aller Mitwirkenden allein nicht reichen, zeigt die grosse Zahl von Sponsoren – weit über hundert! – nach solchem Erfolg werden es sicher noch mehr, zunächst für „Die Walküre“ fest geplant für den nächsten September!
Sigi Brockmann 13. September 2015
Fotos Theater Minden