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ADRIANA LECOUVREUR
Premiere: 30.01.2016
besuchte Vorstellung: 28.02.2016
Opulente Kostümschlacht
Lieber Opernfreund-Freund,
alle paar Jahre nimmt sich ein deutsches Opernhaus Francesco Cileas Musikdrama „Adriana Lecouvreur“ an und zeigt das durchaus sehens- und hörenswerte Werk, das um die Liebschaft zwischen Motiz von Sachsen und der französischen Schauspielerin Adrienne Lecouvreur ein Ränkespiel aus Eifersucht und Machtgier nach einer Vorlage von Eugène Scribe spinnt. Die Oper gipfelt im wahrlich bühnenreifen Tod der Actrice durch vergiftete Veilchen, die die Rivalin ihr hat schicken lassen, und ist seit rund 110 Jahren - 1902 wurde sie mit Enrico Caruso als Maurizio in Mailand uraufgeführt - beliebtes Steckenpferd von herausragenden Singschauspielerinnen, da die Titelrolle keine besonders hohen Ansprüche an die Tessitura, jedoch enormes darstellerisches Talent erfordert. In die Reihe von Claudia Muzio, Renata Tebaldi, Montserrat Caballé, Joan Sutherland und jüngst Angela Gheorghiu versucht sich in der laufenden Spielzeit am Opernhaus Halle Romelia Lichtenstein einzureihen, die seit mehr als 20 Jahren am Haus engagiert ist und als Hausdiva gefeiert wird.
Dass dies nur bedingt gelingt, mag auch am unsensiblen und fast groben Dirigat von Hartmut Keil liegen, der die Aufführung an Stelle von GMD Josep Caballé-Domenech, der das Werk einstudiert hat, leitet. Der junge Dirigent erfeut sich offenbar dermaßen an den klanggewaltigen Passagen, die das Werk zweifelsohne hat, dass er im Wesentlichen lediglich zwischen verschiedenen forte-Stufen differenziert, die Sänger da und dort übertönt, die Staatskapelle Halle über Gebühr anfeuert und so eine recht undifferenzierte, sängerfeindliche Version der an sich facettenreichen Partitur präsentiert. Dabei hat sich Regisseur Ulrich Peters für eine traditionelle Lesart des Werkes entschieden, zeigt das Theater im Theater mit Witz und imposantem Bühnenbild von Christian Floeren. Der durfte sich überdies in der Schneiderei eine wahre Materialschlacht liefern und präsentiert Sängerinnen und Sänger in prachtvollen, mit Federn, Pailletten und Goldlamé wunderbar ausstaffierten Roben, schmucken Uniformen und opulentem Kopfschmuck. Da macht das Zusehen richtig Spaß, die Szenerie drängt aber dennoch nicht in den Fordergrund und bietet so den passenden Rahmen, die Protagonisten singen und spielen zu lassen.
Romelia Lichtenstein ist mit Sicherheit eine große Künstlerin, eine wunderbare Sängerin und überzeugende Darstellerin obendrein. Gestern allerdings hatte ihre Mittellage einen gewissen Hang zum Tremolo, klang wenig klar, die Höhe war nicht ohne Schärfe. So konnte sie in der Titelrolle am Ende leider nur im letzten Akt überzeugen, in dem ihr hinreißende Pianissimo-Bögen gelangen und sie in einer herzergreifenden Sterbeszene auch stimmlich anrühren konnte. Darstellerisch aber bewältigte sie die Ansprüche, die die Partie stellt, mit Bravour. Bruno Ribeiros Maurizio hingegen ist - von ein paar seltsamerweise in Kopfstimme genommenen Tönen im letzten Akt - stimmlich nahezu perfekt.
Der portugiesische Tenor verfügt über eine tolle Stimme voller Farben, Kraft und Gefühl, scheint aber von der Regie nicht mit besonders viel Aufmerksamkeit bedacht worden zu sein. Anders ist nicht zu erklären, dass man ihn seine überzeugende vokale Leistung lediglich durch zwei, drei allzu opernhafte Gesten untermalen lässt. Kwang-Keun Lee als unglücklich verliebter Theaterchef Michonnet begeistert mit gefühlvollem, weichen Bariton, vermittelt in seinen beiden ans Herz gehenden Arien viel Wärme und weiß zudem auch komödiantisch zu überzeugen. Die Fürstin von Bouillion findet in Svitlana Slyvia eine würdige Interpretin, die mit durchschlagendem Mezzo mit umgarneneder Mittellage glänzt. Auch darstellerisch beeindruckt sie als intrigante Gegenspielerin Adrianas. Ihr Mann, der Fürst, und der Abbé von Chazeuil sind in Halle ein hinreißendes Gespann. Der imposante Bass von Ki-Hyun Park ist wie gemacht für den gönnerhaften, mit Geld um sich werfenden Fürsten, Ralph Ertels heller Tenor klingt hier verschmitzt und fast linkisch und passt toll zur Figur des Abtes. Die Ensemblemitglieder des Theaters zeigen eine solide Leistung sowie große Spielfreude und meistern das Manko, dass die Abendspielleiterin Ann-Kathrin Franke die Rolle der Jouvenot spielt, während Lini Gong die frisch einstudierte Partie für die erkrankte Linda van Coppenhagen von der Seite hinreißend singt, mit Bravour. Lediglich der Mezzo von Dangeville Olivia Saragosa klingt in der Gruppe recht schwach, während Robert Sellier als Poisson und
Ulrich Burdack als Quinault durchaus überzeugen.
In Halle wird dankenswerterweise das Ballett im dritten Akt gezeigt. Olga Shalaevskayas und Andriy Holubovskyys klassisch getanztes „Urteil des Paris“ ist schön anzusehen. Der Tänzer verkörpert überdies den von der ersten Szene an allgegenwärtigen Tod - ein schöner Regieeinfall - und vermag durchaus Schauer zu erzeugen. Da die Ballettszene um die Pastorale gekürzt wurde, hat der von Jens Petereit einstudierte Chor recht wenig zu tun, erscheint nicht einmal mehr zum Schlussapplaus, den das Publikum im fast ausverkauften Haus mehr als freundlich und lang anhaltend spendet. Blumen gibt es für die Damen, Bravo-Rufe darüber hinaus vor allem für Bruno Ribeiro und - vielleicht an diesem Nachmittag nicht ganz zu Recht - für die Hausdiva.
Ihr
Jochen Rüth / 29.02.2016
Die Bilder stammen von Anna Kolata
Ein origineller Drang zur Operette
ARABELLA
Vorstellung am 13.12.2014 (Premiere am 07.11.2014)
In Halle ist Sparen angesagt – der Intendant geht mit gutem Beispiel voran und übernimmt gleich zwei weitere Rollen
Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal wollten mit Arabella an den Erfolg des Rosenkavaliers anknüpfen und hatten das Stück ursprünglich sogar als Operette gedacht, was bezüglich der Handlung auch zutrifft. Von Hofmannsthal griff dazu seinen älteren Stoff „Lucidor“ („Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie“ 1910) wieder auf, der auf Molière zurückgeht. Es geht um einen Mädchentraum, der nach ziemlich flacher Verwicklung rührend in Erfüllung geht. Auch die auftretenden Personen wirken grob gesehen operettenhaft: der reiche, slawonische Baron von Mandryka, das unverhoffte Glück der Arabella, die Kartenaufschlägerin (in einer richtigen Wiener Operette wäre sie natürlich eine Roma), der Operettenleutnant Matteo, die Verkleidungskomödie und vor allem die Fiakermilli. Auch die Zeit, in der die Oper spielen soll, das ausgehende 19. Jhdt,. ist das klassische Operettenzeitalter. Aber ähnlich wie beim Rosenkavalier, der texto im 18. Jhdt. spielt, aber musikalisch und gesellschaftlich die Ära etwa 100 Jahre später zeichnet, verhält es sich auch mit Arabella. Deren Figuren aus dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert kann man wieder in der Entstehungszeit der Oper (UA 1933) im wirtschaftlichen Niedergang der 20er Jahre ansiedeln, in denen zuerst in Österreich, dann in Deutschland große Vermögen durch die Inflation vernichtet werden. Die „heile Welt“ der damaligen Vorkriegszeit spukte dabei nostalgisch noch im Kopf der Autoren (und ihrer Figuren) herum. Die Urkatastrophe Europas wollten sie nicht wahrhaben. Strauss hat sie erst 1945 begriffen (Metamorphosen); von Hofmannsthal starb 1930 und ließ den Komponisten mit einem nicht abschließend verfestigten dritten Aufzug allein zurück. Eine Operette ist also die Arabella deshalb nicht geworden, weil sie in ihrem gesellschaftlichen Kontext nicht an der Oberfläche bleibt und Richard Strauss es nicht beim jovialen Operettenstil beließ.
Axel Köhler: Conférencier, Hotelportier, Regisseur und Intendant
Als meine Frau die Arabella zum ersten Mal sah (mit Thomas Hampson und Karita Mattila in den beiden Hauptrollen) wurde sie gleich zu einer ihrer Lieblingsopern. Das lag auch an dem operettenhaften „der Richtige ... der wird auf einmal dastehen, da vor mir“. Auf der Opernbühne war das damals Th. Hampson, 1,95 m groß. Das war wohl auch ihr Mädchentraum gewesen, und eines Tages tauchte Ihr Kritiker auf, ebenfalls mit einer Körperhöhe von 1,95 m ausgestattet. Es folgten bis heute 45 Jahre beidseitigen freiwilligen Freiheitsverzichts. Die zweite Verheißung des Arabella-Stücks: „und Du wirst mein Gebieter sein“ wurde übrigens nicht Realität... Da schon von Operette die Rede ist: „Einer wird kommen, der wird mich begehren. Einer wird kommen, dem soll ich gehören“ heißt es im Zarewitsch – nicht ganz unähnlich 1927. Lehár hat mit diesem Stück an der anderen Seite der Tür zur Operette gerüttelt.
Karsten Mewes (Mandryka), Gundula Hintz (Adelaide), Ulrich Burdack (Waldner), Anke Berndt (Arabella)
Arabella hatte also für uns einen persönlichen Bezug gewonnen. So sind wir gern nach Halle an der Saale zur dortigen Arabella gefahren. „Eigentlich sind die Arabellen immer und überall gleich“ lautete noch eine summarische Betrachtung vor der Aufführung. Tatsächlich hatten wir eine dekonstruierende oder „neu deutende“ Arabella noch nicht gesehen. Das war auch in Halle nicht der Fall (auch hier Arabella im blauen Ballkleid). Aber sie wirkte mit einigen wirklich originellen Zutaten doch ganz anders, obwohl sie nur halbszenisch dargeboten wurde. Es ist nämlich die Rolle des Kellners und Hotelportiers „neugedeutet“. An sich hat er nur im ersten Aufzug einige wenige Worte zu sagen. Aber in der Inszenierung von Axel Köhler tritt er schon vor dem Vorspiel auf Die Protagonisten, die sich zu seinen Worten stumm über die Bühne bewegen stellt er vor wie in einer klassischen Komödie von Molière und verplaudert sich - wie aus dem Nähkästchen - über das, was man anschließend auf der Bühne zu sehen bekommt. Auch das Orchester wird so vorgestellt: eine „A-Kaffeehauskapelle“, die noch (2014 !!!) gut bestückt sei. (Vor einem Jahr hatte man für die Staatskapelle selbst im „Westen“ Unterschriften gesammelt.*)) Auch während des ersten Aufzugs und dann vor dem zweiten und dritten Akt plaudert er über die Hintergründe der Arabella-Geschichte, ehe er sich in den „Bereitschaftsdienst“ zurückzieht. Nach diesen charmanten Inhaltsangaben bedarf es keiner Übertitel mehr, obwohl stellenweise wenig textverständlich gesungen wird. Man befinde sich in der Lobby eines großen Hotels; die zahlreichen Gäste aus dem Saal des Hauses würden alle ihre Zimmer bekommen. (Das Theater war leider nicht voll.) Es sei gleich vorweg verraten, dass es sich beim dem Kellner um Axel Köhler, den Regisseur der Produktion handelt (Im Programm: „szenische Einrichtung“). Im Nebenberuf ist er auch noch Operndirektor in Halle. Und so geht er bei dem Sparzwang des Hauses gleich mit gutem Beispiel voran und spielt gleich drei Rollen. Außerdem vereinigt er die Rollen der „Grafen“ Dominik und Lamoral in einen Darsteller.
Karsten Mewes (Mandryka), Anke Berndt (Arabella)
Das Orchester sitzt übrigens auf der Bühne und nimmt dort den meisten Platz ein. Davor bleibt nur ein schmaler Streifen zum Spielen; aber man kann auch auf den zugedeckten Orchestergraben vorrücken, womit das Bühnengeschehen näher ans Publikum rückt. Von einem Bühnenbild kann man nicht reden, denn es besteht nur aus einem Tischchen, auf welchem Geburtstagsgeschenke aufgebaut sind, zu denen auch die von Matteo mitgebrachten roten Rosen kommen, und zwei Kaffeehaustischen mit passenden Stühlen. Die Herren sind durchweg in Fräcke uniformiert, den Damen sind opulente Gesellschaftskleider angemessen, der Damenchor ist etwas einfacher uniformiert. Somit beschränkte sich die Regie auf die Bewegungsabläufe vor dem Orchester, mit denen es Köhler aber meisterhaft verstand, alle Szenen glaubwürdig zu gestalten. Ironisiert und satirisch angehaucht die Personenzeichnung der als ältliche Herren dargestellten Arabella-Verehrer. Diese Gesellschaft verulkt sich quasi selbst, einschließlich Mandryka. Denn der steigt ja an sich in die Handlung „nieder“ wie Pedro im „Tiefland“. Hier ist er aber von Anfang an schon befrackt und verdorben. Bei keiner dieser Gestalten kann man sich Arabellas Traum vorstellen: „und keine Zweifel werden sein und keine Fragen, und selig werd ich sein und ihm gehorsam wie ein Kind!“. Gehorsam ist sie am Ende auch. Ganz im Sinne des von Köhler gesponnen Rahmens brachte natürlich der Kellner das notorische Glas Wasser; aber Mandryka verschmähte dieses – Arabella muss es holen. Die Regie hat einen sehr ansehnlichen Abend gestaltet, die Oper nahe an eine Operette gerückt, aber keinen Wiener Schmäh, sondern eher eine Offenbachiade gestaltet. Einzig mit dem Chor klappt das nicht so überzeugend. Wird der im zweiten Akt noch durch die Milli aufgemischt, steht der Chor im dritten Aufzug etwas überflüssig an der Seite und hat dort so gut wie nichts zu sagen (zu singen).
Anna Baxter (Zdenko), Ralph Ertel (Matteo)
Sehr vorsichtig ging der musikalische Leiter des Abends Josep Caballé-Domenech mit seiner großen Bühnenmusik (70 Musiker) zugange, nahm sie zur Begleitung rücksichtsvoll zurück und trug die Solisten auf einem geschmeidigen und verführerisch schönen instrumentalen Klangteppich. In den rein instrumentalen Passagen ließ er die sauber und konzentriert aufspielende Staatskapelle Halle indes opulent aufblühen und kam zu schwungvollen Walzertönen.
Bei der Würdigung der Solisten kommt auch bei dieser Aufführung ganz oben ein Sänger, aber nicht einer, der gesungen hat, sondern der Altus, Schauspieler, Regisseur und Intendant Axel Köhler, der mit ebenso geschliffenem wie gewandtem Plauderton, wendig-elegantem Spiel und einwandfreier Diktion das Publikum vom ersten Moment an auf seine Seite brachte. Dazu kam seine soignierte Bühnenpräsenz als Hotelportier und Kellner. Im Schauspiel muss man derartigen Genuss suchen. Bei den zweckbestimmt eingesetzten Sängern ergab sich ein etwas durchwachsenes Bild. Obwohl gar nicht in seinem Fach als dunkler, tiefer Heldenbariton, konnte Karsten Mewes, der sich in den hochgelegenen Passagen etwas mühen musste, mit seinem sonoren dunkle Material von bester Sprachverständlichkeit als Mandryka überzeugen. Quicklebendig war in Spiel und Stimme die Fiakermilli von Christina Rümann, die mit unbekümmertem silbrigem Sopran ihre Koloraturen trällerte. Anna Baxter sang die Zdenka mit hellem, klarem Sopran und ansprechender farblicher Nuancierung bis in die hohen Töne. Ralph Ertel als Matteo entfaltete seinen kräftigen mittel timbrierten Tenor und verlieh ihm auch einen Schuss Schmalz, sicher wie Strauss einen „Tenoristen“ gesehen hat und hier passend zu den operettenhaften Aspekten.
Anke Berndt (Arabella), Anna Baxter (Zdenka)
Anke Berndt gab die Titelrolle und überzeugte mehr im ironisierenden Parlando und den innig-lyrischen Stellen als in den dramatischen Passagen, bei denen sich einige Intonationsprobleme einstellten. Ausladend von Figur und stimmlichem Wohlklang, aber leider so gut wie textunverständlich, gestaltete Gundula Hintz die Rolle der Adelaide. Ihr Gatte, der Graf Waldner, war Ulrich Burdack mit kraftvoll sonoren Tiefen, aber halsigen Höhen. Niels Giesecke konnte als Graf Elemer stimmlich nicht überzeugen. Seinen beiden „Kollegen“, den „Grafen“ Lamoral und Dominik (in einer Person zusammengefasst - Unterschied: einmal im schwarzen, das andere Mal im weißen Frack) verlieh Gerd Vogel seinen kraftvollen, sonoren Bass. Mária Petrašovská als Kartenaufschlägerin wurde nach der Vorstellung vom Intendanten Axel Köhler und dem Personalrat nach 30-jährigem Wirken an der Oper Halle in den Ruhestand verabschiedet.
Insgesamt ein sehr gelungener Opernabend.
Manfred Langer, 16.12.2014
Fotos: Theater, Oper und Orchester GmbH / Copyright Anna Kolata
*) Das Sparprogramm der Landesregierung von Sachsen-Anhalt wurde im Juni dieses Jahres im Rahmen des neuen Theatervertrags verabschiedet: 20% des Personals, etwa hälftig im künstlerischen und im Verwaltungsbereich müssen abgebaut werden. Am stärksten ist das Orchester betroffen. Das wird dann seit dem Sozialismus in etwa halbiert werden (aber immer noch A-Orchester), was einen weit schärferen Einschnitt bedeutet, als durch den Rückgang der Zahl der Steuerzahler im Raum Halle-Merseburg begründbar wäre. Aus der westlichen Ferne gelangt man zu dem Eindruck, dass im benachbarten Freistaat Sachsen, die Entwicklung der Theaterlandschaft mit mehr Plan und Weitsicht vorgenommen wurde.
Georg Friedrich Händel
GIOVE IN ARGO
Premiere: 13. Juni 2014 bei den Händel-Festspielen Halle/Saale
Besuchte Gastspielvorstellung: 19. Oktober 2014 in Leverkusen - Besprechung siehe dort
NABUCCO
Premiere am 05.04.13
Völkerkonflikt im Wohnzimmer
Auf ein Familiendrama reduziert Christian Schuller Verdis NABUCCO in seiner Neuinszenierung an der Oper Halle und lässt dieses in einem von Jens Kilian entworfenen bürgerlichen Wohnzimmer der Jahrhundertwende mit Gründerjahre-Mobiliar und Jugendstil-Tapete beginnen. Eine jüdische Familie mit dem Oberhaupt Zaccaria, seiner Schwester Anna und den Kindern ist in einem überlangen Vorspiel beim Essen an der weiß gedeckten Tafel zu sehen. Unter ihnen auch die als Braut gekleidete Fenena, Nabuccos rechtmäßige Tochter, und ihr Bräutigam Ismaele. Nach diesem stummen Prolog ist noch immer keine Musik zu hören, sondern zunächst ein eingesprochener Text aus dem Buch Jeremia, was der Regisseur bis zum Ende beibehält. Dann endlich beginnt Verdis Oper – doch statt mit der Ouvertüre, die erst nach dem ersten Teil der Handlung gespielt wird, mit dem Eingangschor der Hebräer im von Nabucco belagerten Jerusalem. Der Chor und der Extrachor der Oper Halle (Einstudierung: Jens Petereit) singen ihn vom 1.Rang des Opernhauses klangvoll und mit dramatischem Impuls. Die Familie hört diese Klänge aus dem Rundfunkempfänger – eine von vielen Chiffren der Inszenierung, die an das Geschehen in den 1930er Jahren mit den bedrohten jüdischen Familien erinnern. Da wird der gesamte Besitz Zaccarias von der „Spedition Babylon“ geplündert und abtransportiert, sieht man das Volk, das Kilian allerdings in schwarze Einheitskostüme kleidet, so dass Hebräer und Babylonier nicht zu unterscheiden sind, mit Fluchtkoffern oder sich seiner Schuhe entledigen, was an Deportationen und KZ-Situationen denken lässt.
Oft überraschend sind die vom Regieteam erdachten Schauplätze – nach dem Wohnzimmer, dessen hintere Wand von Abigaille mit effektvollem Aplomb zum Einsturz gebracht wird, öffnet sich der Raum bis zur Brandmauer der Bühne, so dass Nabucco, für den der rote Teppich ausgerollt wird, seinen großen Auftritt hat. Danach sieht man Abigaille im Bett eines eleganten Art-deco-Schlafzimmers nach dem Liebesspiel mit dem halbnackten Hohepriester. Die geöffnete Tür zum Bad gibt den Blick frei auf die Wanne, in der sie sich später den Tod geben wird – ein Bild, das man eher mit dem verordneten Freitod Senecas oder dem Mord an Jean Paul Marat in Verbindung bringt. Noch verwirrender ist die Szene mit Zaccarias Preghiera, die in einem holzgetäfelten Bibliothekssaal von moderner, an das Berliner Grimm-Zentrum erinnernder Architektur spielt, wo die Leviten in hellen Anzügen an ihren Lesetischen von Bibliothekarinnen mit Lesestoff versorgt werden. Nabucco im Golf-Dress wird nach seinem größenwahnsinnigen Anspruch, Gott zu sein, von Damen mit langen Zigarettenspitzen zum Tanz aufgefordert, später im Rollstuhl gefahren, von medizinischem Personal mit Injektionen und auf dem OP-Tisch gar mit einem brutalen Eingriff ins Gehirn malträtiert. Ein schönes Bild der Erinnerung und Sehnsucht öffnet sich beim berühmten Chor „Va, pensiero“ mit einem glutroten Hintergrund, dem Sonnenball und einer Baumgruppen-Silhouette. Zaccaria, der in seinem schwarzen Mantel mit Pelzkragen und dem Zylinder verblüffend an Verdi selbst erinnert, verteilt an sein klagendes Volk Bücher und ermahnt sie zur Zuversicht. Mit seiner Prophezeiung vom Untergang Babylons wird er Recht behalten, denn der vom Wahnsinn geheilte Nabucco schenkt den Hebräern die Freiheit, bekennt sich zu ihrem Gott und vereint Fenena mit Ismele. Am Ende der Aufführung schließt „der Komponist“ den roten Theatervorhang und entlässt die Zuschauer mit ihren offenen Fragen in die Nacht.
Musikalisch ist die Aufführung ein würdiger Beitrag zum Verdi-Jahr. Die anspruchsvollen Partien des Werkes fast ausnahmslos aus dem Ensemble besetzen zu können, spricht für den hohen Leistungsstand des Hauses. Mit dem gastierenden Bariton Kwang-Keun Lee in der Titelrolle hatte das Besetzungsbüro einen Glücksgriff getan. Der Koreaner singt sie mit markantem Timbre, schöner Kantilene und dramatischem Impetus. Besonders eindrucksvoll seine letzte Arie („Dio di Giuda“), die er in strömendem Fluss, ungemein expressiver Ausdeutung und sehr differenzierter Tongebung vorträgt. Mit der gefürchteten Partie der Abigaille hat die Assoluta des Ensembles, Romelia Lichtenstein, eine weitere Trumpfkarte im Repertoire. Im langen schwarzen Rock, roter Jacke, Sonnenbrille und Reitpeitsche hat sie einen autoritären Auftritt, zu dem der dramatische Furor ihres ersten Rezitativs „Prode guerrier!“ perfekt korrespondiert. Schlägt sie hier einen höhnischen Ton an, hört man im folgenden Terzett „Io t’amava“ auch sehnsuchtsvoll-innige Töne. Ähnlich vielfältig gestaltet ist die große Szene „ Ben io t’invenni/Anch’io dischiuso/Salgo già del trono“, wo ihr stimmliches Spektrum vom furiosen Rezitativ mit üppiger Tiefe über die Kavatine von lyrischer Empfindung bis zur Cabaletta mit souveräner Koloratur und fulminanter Attacke reicht. Ähnlich wirkungsvoll der zynisch-lauernde Tonfall im Duett mit Nabucco und die brillanten Spitzentöne in den Ensembles – eine Glanzleistung der Sopranistin, die gegen eine Indisposition ankämpfen musste und diese in bewunderungswürdiger Manier besiegte. Ki-Hyun Park singt den Zaccaria mit der vokalen Autorität seines kraftvollen Basses, der anfangs recht stark vibriert und in der Extremtiefe zuweilen brüchig klingt. Aber er hat immer wieder schöne Momente und krönt die Cabaletta nach seinem Gebet mit einem imposanten Spitzenton. Sandra Maxheimer ist als Fenena eine blonde Stummfilm-Schönheit mit guttural-strengem, etwas forciertem Mezzo, Xavier Cortes ihr Ismaele mit schmachtendem Tenor, den man sich noch etwas auftrumpfender gewünscht hätte. Christopher O’Connor lässt als Abdallo mit obertonreichem Tenor aufhorchen, Christoph Stegemann gibt den Hohepriester mit smarter Erscheinung und profundem Bass. Andreas Henning dirigiert die Staatskapelle Halle; seine Deutung hat dramatischen Atem und klingendes Melos, nicht immer aber genügend Einfühlungsvermögen in die Sänger. Das Premierenpublikum am 5. 4. 2013 feierte die Mitwirkenden gebührend enthusiastisch.
Bernd Hoppe
Georg Philipp Telemann
DER GEDULDIGE SOKRATES
Premiere am 26.01.2013
Gehobene Unterhaltung mit Moral
Die von dem Gelehrten, Philosophen, Kunst- und Musikgelehrten, Buchhändler und Bach-Schüler Lorenz Christoph Mizler gegründete „Correspondierende Societät der musicalischen Wissenschaften“ veröffentlichte nach Bachs Tod 1751 eine Bewertungsliste der deutschen Komponisten. Nach dieser Societät, in der Händel, Telemann und Bach Mitglieder waren, gebührte dem „Königlich Polnischen und Kurfürstlich Sächsischen Kapellmeister“ Hasse der erste, Telemann der zweite und Händel der dritte Platz. (Der provinzielle J. S. Bach kam nur auf Platz sieben!) Heute zeigen die Charts die Beliebtheit dieser Komponisten in genau umgekehrter Reihenfolge an. Während die Händelrenaissance immer neue Blüten treibt, sind Hasses Opern absolute Raritäten geworden und die von Telemann wurden erst seit einigen Jahren im deutschsprachigen Raum wieder häufiger zur Aufführung gebracht. Immerhin gelangt(e) der „Geduldige Sokrates“ an so prominenten Plätzen wie Staatsoper Berlin (Koproduktion mit den Innsbrucker Festwochen Wochen für Alte Musik), Münchner Gärtnerplatztheater, Studiobühne Zürich und nun Halle zur Aufführung. Gerade in Halle kann man es als Kontrast zu den Seria-Opern von Händel sehen, wenn ausgerechnet zum 20-jährigen Jubiläum des Händel Festspielorchesters der künstlerische Direktor der Oper Halle Axel Köhler seine Inszenierung vom Gärtnerplatztheater München (2011) an seinem eigenen Hause neu herausbringt.
1721 wurde Telemanns Sokrates am Gänsemarkttheater der Freien und Hansestadt Hamburg uraufgeführt, an dem Theater, an welchem Telemann später selber Direktor werden sollte. Dort knüpfte er mit seinem Werk an die Tradition von Keiser, Mattheson, Graupner und auch Händel an, die Jahre zuvor an diesem ersten bürgerlich städtischen Theater in Deutschland ihre Werke aufführten. Das Hamburger Publikum wollte sich in diesem riesigen, 2000 Zuschauer fassenden Haus amüsieren, der Magistrat der Hansestadtwollte die Institution aber auch als Vermittlungsstätte von Moral und staatstragenden Ideen sehen. Schon aus diesem Grunde mussten die Opern in deutscher Sprache (zumindest mit deutschen Rezitativen) gegeben werden, Arien konnten hingegen der vorherrschenden Mode wegen auf Italienisch gesungen werden. Die italienischen Arien und Duette des geduldigen Sokrates hat der Librettist Johann Ulrich von König unmittelbar aus der 40 Jahre älteren Textvorlage „La pazienza di Socrate con due moglie“ von Nicolò Minato für die Oper von Antonio Draghi übernommen, 1680 in Prag uraufgeführt. Die Morallehre der vorliegenden Oper ist einfach: man soll sich in den Dienst der Obrigkeit stellen, sich gebührlich benehmen, besser nur eine einzige Frau haben und sich klar zu ihr bekennen.
Anke Berndt (Xanthippe), Ki-Hyun Park (Sokrates), Melanie Hirsch (Amitta)
Der Unterhaltungswert des Werks, das sich „Musikalisches Lustspiel“ nennt, liegt in dem parodistischen Ulk, der da auf die Bühne kommt. Auf Beschluss des Athener Magistrats hat wegen der Bevölkerungsverluste aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Sparta verordnet, dass jeder Athener (auch ältere wie Sokrates) zwei Frauen nehmen müsse, damit wieder mehr Nachwuchs entstehe. So hatte der arme Philosoph neben seiner Xanthippe noch eine zweite Frau, die Amitta, heiraten müssen. Da diese beiden sich dauernd in die Haare gerieten und Xanthippe bekanntlich auch ihren Mann psychisch misshandelte (sie zerriss ihm sogar seine Bücher), wurde dem in dieser Situation wirklich viel Geduld abverlangt. Die Oper enthält noch ein weiteres Dreiecksverhältnis, da der Prinz Melito sich nicht zwischen den beiden Prinzessinnen Rodisette und Edronica entscheiden kann, denen ihrerseits auch noch von dem Prinzen Antippo der Hof gemacht wird; letzterer würde gern mindestens eine von den beiden haben. Dann ist da noch der Fürst Nicia, der die Staatsgewalt vertritt und sich gerne vom herbei zitierten Sokrates beraten lässt, wodurch die Verbindung der beiden Personengruppen entsteht. Vier Schüler von Sokrates komplettieren das recht umfangreiche Personal der Oper. Die Geschichte wogt ohne wirkliche Handlung und echte Verwicklungen hin und her. Es versteht sich, dass nach etlichen heiteren und tragikomischen Komplizierungen jeder ein Weibchen hat – und zum Glück für Sokrates hat dabei die Xanthippe, die immer am lautesten gekrischen hatte, die Scheidung eingereicht. Großer Jubel- und Moralgesang am Ende.
Christopher O'Connor (Pitho), Andreas Guhlmann (Alcibiades), Kristian Giesecke (Xenophon), Ki-Hyun Park (Socrates), Ásgeir Páll Ágústsson (Fürst Nicia), Marie Friederike Schöder (Edronica), Michael Smallwood (Melito), Ines Lex (Rodisette)
Vertiefender Psychologie bedarf es bei diesem Werk nicht. Der Regisseur belämmert sein Publikum auch nicht mit zu vielen Moralpredigten, sondern unterhält es mit einer situativ geprägten, bunten, lebhaften Inszenierung im Stil einer Vorstadtkomödie mit feinem Humor und auch derberen Einfällen. Frank Schlößmann hat das Bühnenbild aus Schäfchenwolken vor hellblauem Himmel und einer Bücherregalwand kombiniert, die Sokrates‘ Arbeitszimmer darstellt. Das Ganze ist drehbar, so dass dahinter weitere Spielflächen erschlossen werden. Natürlich ist in der Bücherwand auch eine Hausbar so gut „versteckt“, dass auch Sokrates‘ Schüler sich dort bedienen, während sie statt Hausaufgaben zu machen, sich auf dem Boden fläzen und Würfelspiele betreiben. Dieses Quartett von Sokrates‘ Jüngern besteht aus so berühmten Namen wie Plato, Xenophon, Alkibiades und dem etwas dämlichen Pitho, die zusammen als eine Riege von Hanswursten auftreten. Die zeitliche Verortung des Stücks reicht in den schönen Kostümen von Katharina Weißenborn von antikisierenden Gewändern im Haus des Sokrates über das barocke Prachtkostüm des Fürsten Nicia immer in der Pose eines absolutistischen "Herrschers" bis zu den langen Goldglanzkleidern der Prinzessinnen und den clownesken Verkleidungen der Schüler. Wer sich an einem gut gemachten Schauspiel ohne tieferen Sinn gehoben ergötzen will, ist man bei dieser gelungenen und in sich geschlossenen Produktion gut aufgehoben.
Marie Friederike Schöder (Edronica), Michael Smallwood (Melito), Ines Lex (Rodisette), Ásgeir Páll Ágústsson (Fürst Nicia)
Dazu kommt dann noch die anregend wirkende Telemann-Musik. Im etwas hochgefahrenen Graben dirigierte der inzwischen sehr gefragte Barock-Spezialist Wolfgang Katschner (Berliner Lautten Compagney) das Händelfestspielorchester Halle, das sich aus der Staatskapelle rekrutiert und mit Spezialisten historischer Musikinstrumente komplettiert wurde. Die virtuos durchaus anspruchsvolle Musik wurde konzentriert, präzise und inspiriert umgesetzt. Von etlichen Soli durchsetzt klang die Musik süffig und durchaus farbenreich. Insgesamt ist sie mit meistens als accompagnati angelegten Rezitativen und vielen Ensembles insgesamt lebendiger als eine lange Reihe von da-capo-Arien, wozu auch parodistische Elemente der Begleitung und die beiden Chorszenen beitrugen. Der Chor war der Ausgangsthematik des Stückes und dem Privatleben des Philosophen entsprechend mit doppelt so vielen Damen wie Herren besetzt.
Anke Berndt (Xantippe), Ki-Hyun Park (Socrates), Melanie Hirsch (Amitta)
Die solistische Besetzung konnte sich auch sehen und hören lassen. In der Titelrolle gab die koreanische „Allzweckwaffe“ des Halleschen Ensembles, Ki-hyun Park mit voluminös strömendem Bass und komödiantischem Spiel die Pantalone-Figur des Socrates. Unter seinen Schülern, die als tunichtgute Sprösslinge reicher Familien aufgefasst werden konnten, tat sich lediglich Christopher O’Connor als Pitho mit sauber geführtem Tenor solistisch hervor. Die anderen drei (Andreas Guhlmann als Alcibiades, Kristian Giesecke als Xenophon und Till Voß als Plato) sangen ihre schauspielerisch burlesken Einsätze im Ensemble. Gleich zwei Paare guter Sopranistinnen werden im geduldigen Sokrates benötigt, einmal in den komischen Rollen von Xantippe und Amitta; dann in den lyrischen Rollen der Prinzessinnen Rodisette und Edronica. In beiden Fällen hoben sich die Sängerinnen durch ein jeweils etwas helleres und dunkleres Timbre voneinander ab. Das komische Paar kam naturgemäß erst einmal spitz zankend und kreischend auf die Bühne. Die gingen sich sehr naturalistisch an die Wolle. Die Xantippe der Anke Berndt behielt einen etwas spitzen Nebenton in ihrem kräftigen Sopran bei. Als Amitta kehrte das frühere Ensemble-Mitglied Melanie Hirsch nach Halle zurück; ihren etwas dunkleren Sopran brachte sie virtuos, beweglich, frisch und klar zur Geltung.
Die beiden Prinzessinnen ließen sich zur Unterstützung beim Buhlen um den unentschlossenen Prinzen Melito von darstellenden Künstlern konterfeien, einem Maler und einem Bildhauer. Dabei schummelte die Rodisette etwas mit ihrer Oberweite. Um die Spannung aufrechtzuerhalten wurden die beiden „Kunstwerke“ den Zuschauern erst zum Schluss ersichtlich gemacht: da hatte dann Edronica mit ihrem Oberkörper noch mehr übertrieben. Stimmlich konnten beide mit klaren, schlanken Höhen und beweglichen Koloraturen aufwarten; mit der leichten Eindunkelung wirkte Frau Schröder etwas erotischer. Den unentschlossenen Liebhaber beider, den Prinzen Melito sang der australische Tenor Michael Smallwood mit beweglichem, sauber geführtem Tenor von schöner Leuchtkraft und spielte ihn überzeugend. Der zuerst verschmähten Liebhaber, der Prinz Antippo war als Hosenrolle mit der Altistin Julia Böhme (Es gibt zwei Sängerinnen dieses Namens; diese ist die Richtige: http://juliaboehme.de/ ) idealtypisch besetzt. Mit knabenhaft schlankem Körper und ebenso schlankem und klarem Alt bietet sie sich geradezu für Hosenrollen in Barockopern an. Ásgeir Páll Ágústsson gab den Fürsten Nicia schön komödiantisch aufgedreht mit wohltönendem Bass. --- Aus Anlass der Befreiung des schönen Jünglings aus dem Schoße der Proserpina wurde als kleine Einlage das Adonisfest aufgeführt, zu welchem selbiger in Kurzeinlagen von Jonathan dos Santos getanzt wurde. Paul Eisenmann mit Knabensopran piekte zum Schluss als Cupido die Szene auf, damit nur ja keiner unverliebt bleibe.
Teile des Publikums waren so gut unterhalten, dass sie schon während der laufenden Vorführung wie in einem Vorstadtkino dauernd ihre Kommentare abgeben zu müssen glaubten. Ganz ausverkauft war die Premiere nicht; der Beifall war sehr herzlich. Die nächsten Aufführungen finden am 30. Januar und am 22. März statt. Bei harmonia mundi soll dieses Jahr eine CD-Aufnahme der Oper mit René Jacobs erscheinen.
Manfred Langer, 29.01.2013 Fotos: Gert Kiermeyer
Die Besprechungen aller Opern de Gemeinschaftsproduktion des Rings Halle/Ludwigshafen befinden sich auf unserer Seite Ludwigshafen
SIEGFRIED
Premiere am 07.03.12
Schön und kraftvoll
Zugegeben: als ich las, dass Andreas Schager in der „Ring“-Produktion der Theater Ludwigshafen und Halle den Siegfried singen würde, erschrak er ein bisschen. Er kannte den jungen Sänger zunächst als lyrischen Operettentenor; im Theater Hof hatte man ihn 2004 als Adam im „Vogelhändler“ gehört, vor kaum drei Jahren sang er – noch als Andreas Schagerl mit dem charakteristischen, österreichischen End-“L“ ausgestattet - in einer Produk- tion der Coburger Sommeroperette den Grafen in der „Nacht in Venedig“ - und nun, nach Tamino, Florestan und David (bei Gustav Kuhn in Erl) erlebte ein völlig enthusiasmiertes Hallenser Publikum sein sensationelles Rollen- debüt in einer der schwersten Partien der Operngeschichte. Wie Schager das macht, ist erstaunlich. Wann erlebt man schon einen jungen Siegfried, der noch den letzten Ton schön und kraftvoll zu singen weiß?
Nein, dieser Siegfried mag, wie Regisseur Hansgünther Heyme immer wieder betont, kein „Held“ sein – stimmt ist er es durchaus. So läuft er durch die Inszenierung, die der Wanderer in der Hand zu haben scheint, weil er immer noch, als Regisseur des Weltgeschehens, die Strippen zieht: als reiner, unterm Mantel weiß gekleideter Tor. Sympathisch, dass er nicht, wie man's normalerweise erleben darf, seinem Ziehvater die Bratpfanne über den Schädel schlägt. Anrührend, wie er sich im Augenblick der ersten Furchterfahrung in die Arme der Mutter begibt, die als maskiertes Wesen, auch als vogelköpfiges „Mutterwesen“ im Wald auftaucht, um ihren Sohn von „drüben“ zu begleiten – auch hierin liegt die Hoffnung der Liebe. Für diese intellektuell grundierte wie sinnlich vermittelte „Ring“-Deutung hat Heyme zusammen mit vielen Jugendlichen den „Vorhang der Hoffnung“ - und die „Wand der Verzweiflung“ erfunden. „Hoffnung hat den Morgen für sich, der noch wieder kommt“, so heißt es beim gebürtigen Ludwigshafener Philo- sophen der Hoffnung, bei Ernst Bloch, dessen Text wir auf dem bunten Vorhang lesen können.
Hoffnung ist, im Prinzip, auch bei Heyme nicht: wo der Wanderer den Waldvogel (ansprechend: Ines Lex) als Riesenpuppe über Siegfried fliegen lässt, ahnen wir, dass es mit Siegfrieds Freiheit nicht weit her ist. Man darf immerhin darüber streiten, ob der Waldvogel selbst ein freies Wesen oder ein Repräsentant Wotans ist; vieles an dieser seit 1976 modischen Idee spricht dagegen – das szenisch-poetische Niveau dieser Produktion wird davon nicht beschädigt. – und Gérald Kim singt den Wanderer, in diesem deutlichen „Ring“, genauso unverschwiemelt wie Ralph Ertel seinen Mime und Gerd Vogel seinen Alberich.
Zwei hübsche „Boten des Todes“ - „schwarze Erotik“: so nennt man das wohl - die die Überreste der Ring-Opfer in die bekannten Asservatenkästen legen, Grane als Pferd- und Flügelwesen (und als alter ego Wotans), nicht zuletzt der naturalistische Bär: diese teils hinzu erfundenen Figuren tragen zum symbolischen wie märchenhaften Charakter der Produktion bei, die mit Lisa Livingston eine gute, leider stark tremolierende Brünnhilde und mit Deborah Humble und Christoph Stegemann zwei weitere beeindruckende Protagonisten besitzt. Fafner und Erda sehen nicht nur interessant aus (der Riese mit eingezogener Schulterstütze), Erda mit einem riesigen Tuch, viele (verzweifelte?) Hände zeigend. Nebenbei: der Abschied Wotans von der schönen Erda geschah selten so zärtlich, und der Drachenkampf mit seiner bildstarken Symbolik eines großen, sich in eine symbolische Vulva verwan- delnden Auges, in dessen Mitte der böse Teufel sitzt, wurde mit Hilfe von einfachen, sinnfälligen Hängern souverän gelöst.
Ein Hänger mit einer naturalistisch melancholischen Waldlandschaft zitierte immerhin sinnfällig die Idee eines gesunden Waldes. In Mimes Höhle sitzt der Zwerg, gekleidet wie ein Gefangener, in seinem persönlichen Gefängnis, wenn auch gelegentlich auf einem archaischen Hochsitz, den ein einäugiger Totenschädel ziert - was für eine Idee in Hinblick auf Wotan, der als Wan- derer nach wie vor ruhelos "schafft"´! Nur auf den Einkaufswagen könnte der Zuschauer verzichten; Heyme, der wieder sein eigener Ausstatter ist, hat ein derartig abgenütztes, wenn auch zweifellos praktisches Requisit nun wirklich nicht nötig.
Riesiger Beifall, auch für die Staatskapelle Halle unter Karl-Heinz Steffens, die dies komplexe wie kräftezehrende Partitur mit klarem Klang, sänger- freundlich und farbenreich brachte. Klug etwa, wie Steffens den Eintritt und die Wiederholung des lyrischen Sehnsuchtsthemas in der ersten Szene anlegte: mit eingebauter, durchaus nicht selbstverständlicher Steigerung. So gesehen, gibt es auch unterhalb der Bühne Helden – und Heldinnen wie die glänzende Solo-Hornistin, die so gut zum wunderbar frischen Siegfried Andreas Schager passt.
Frank Piontek
Die Fotos stammen von Gert Kiermeyer
Die Besprechungen aller Opern de Gemeinschaftsproduktion des Rings Halle/Ludwigshafen befinden sich auf unserer Seite Ludwigshafen
DIE FLEDERMAUS
Premiere am 04.02.2012
Knastbrüder auf dem Ball
Als eine „Politsatire“ kündigte AXEL KÖHLER seine Neuinszenierung der FLEDERMAUS von Johann Strauß an der Oper Halle an, und in der Tat gibt es in seiner gemeinsam mit dem Dramaturgen André Meyer erstellten neuen Dialogfassung eine Menge von Querverweisen und Anspielungen zu aktuellem politischem Geschehen sowie Bezüge auf lokale Besonderheiten der Saale-Stadt. Da ist die Rede von bankrotten Banken und leeren Stadtkassen in den Zeiten der Finanzkrise, von Korruption und Stasi-Vergangenheit, der Sucht nach politischen Karrieren und selbst der Bundespräsident findet Erwähnung. All das ist ungemein witzig und pointiert erdacht und wird vom Ensemble mit leichter Hand und ironischem Augenzwinkern serviert. FRANK PHILIPP SCHLÖßMANN bringt bekannte Hallenser Sehenswürdigkeiten auf seine Bühne von großem Schauwert – die Marktkirche in Feiningers weltberühmter Gemäldedarstellung, auf welche der Blick aus dem runden Fenster von Eisensteins Wohnung mit groß gemusterter Tapete aus Rosenblüten und floralem Dekor in Schwarz/Weiß fällt, oder das Händel-Denkmal vom Marktplatz, das sich – wie Palmen und Mobiliar – ganz aus glitzerndem Salz auf einer Party wieder findet, die bei der Firma „Halunken-Siedesalz“ veranstaltet wird. Organisiert hat diesen zynischen Spaß Dr. Falke, was Köhler vor der Ouvertüre zeigt, wo der Rechtsanwalt den Strafvollzugsbeamten Frosch mit einem Geldbündel besticht, die Gefängnisinsassen für eine Nacht ausleihen zu dürfen und aus dem Fundus des Opernhauses als Partygäste einkleiden zu lassen, um sich an Eisenstein zu rächen, der ihn einst nach einer durchzechten Ballnacht im Kostüm einer Fledermaus vor dem Händel-Standbild dem Spott der Bürger und der Boulevardpresse überlassen hatte.
Copyright: Oper Halle
Dass die Hallenser Justizvollzugsanstalt im Volksmund den Namen „Schwarzer Büffel“ trägt, brachte Schlößmann auf den amüsanten Einfall, das Stier-Logo des berühmten Jerez der Firma Osborne in seine Bühnengestaltung einzubauen – man sieht die Silhouette des Tieres auf der schwarzen Gefängnismauer, auf der mausgrauen Kleidung der Sträflinge, schließlich als Skulptur und Wandbild aus Backsteinen im Büro des Gefängnisdirektors. Zur opulenten Ausstattung tragen auch HENRIKE BROMBERs dekadent-bunte und phantasievolle Kostüme bei, die gele- gentlich sogar auf den Charakter der Personen Bezug nehmen. So spricht Rosalindes Kleidung im Raubtierlook für das Wesen dieser nymphomanischen Frau, die sich wie eine Wildkatze auf den schmucken jungen Tenor Alfred Kleinholz stürzt, der als Mitglied des städtischen Opernhauses sein geringes Honorar als Nacktfensterputzer aufbessern muss. ROMELIA LICHTENSTEIN mit ihrem sinnlich-dunklen, zum Dramatischen tendierenden Sopran, ihrem herrlich ironischen Pathos, dem stürmischen Temperament, der augenrollenden Mimik und MICHAEL SMALLWOOD mit schmelzreichem lyrischem Tenor sowie Charme und körperlicher Attraktivität im Auftritt bieten hier eine hinreißende Nummer. Auf diesem Niveau singt und spielt auch GERD VOGEL als eleganter Eisenstein zwischen Grandseigneur und aufstrebendem Politiker mit klangvollem, auftrumpfendem Bariton und eloquentem Dialog. Eine kesse Göre ist MARIE FRIEDERIKE SCHÖDER als blonde Adele in T-Shirt und Kittelschürze, die gleich im ersten Auftritt ihre Koloraturen mit einem Spagat krönt, die Partie beherzt angeht und dabei mit der Intonation gelegentlich etwas frei verfährt. Immerhin schmückt sie ihr erstes Couplet mit einigen stratosphärischen staccati, und wirklich bra- vourös singt sie die „Unschuld vom Lande“. Als tätowiertes Zwitterwesen in schwarzem Glitzerfrack und silberner Metallic-Hose erscheint SANDRA MAXHEIMER als Orlofsky mit angenehmem, in der Höhe etwas spitzem Mezzo. ASGEIR PALL AGUSTSSONs sympathischer Dr.Falke leidet zuweilen an Textunverständlichkeit und holprigem Gesang, während KI-HYUN PARK als Gefängnisdirektor Kim (Frank) nicht nur mit einer Slapstick-Einlage, sondern auch mit wohltönender Stimme gefällt. Schließlich gibt der in Halle bestens bekannte Schauspieler REINHARD STRAUBE einen liebenswerten Frosch, der als einstiger Stasi-IM mit seinen witzigen Kommentaren immer wieder lachen macht. Sie alle und der Chor der Oper Halle (Einstudierung: JENS PETEREIT) werden von ANDREAS HENNING am Pult der Staatskapelle Halle zu schmissigem Gesang und flottem Tempo, aber auch der nötigen Walzerseligkeit inspiriert. Der Dirigent sorgt schon in der Ouvertüre für Schwung und Esprit, raffinierte ritardanti und einen rasanten finalen Wirbel. So war es eine glänzende Idee, Strauß’ Polka „Unter Donner und Blitz“ als Einlage zwischen dem 1. und 2.Akt zu spielen, bei der die Gefangenen zunächst an der Gefängnismauer bei der Morgengymnastik zu sehen sind und sich danach vom Kleiderständer ein Kostüm für die abendliche Party auswählen. Die flotte Choreografie dazu erdachte HELMUT NEUMANN. All das hat Tempo und mitreißenden Drive, ist höchst vergnüglich und garan- tiert einen stimmungsvollen Abend im Opernhaus.
Bernd Hoppe