Inhalt: Die Oper beginnt mit dem Auftrag an Juana, einen großen Zeremonienbogen für die Ankunft des neuen Vizekönigs und seiner Frau aus Spanien zu entwerfen. Alle ihre männlichen Vorgesetzten sind Juana intellektuell unterlegen und missbilligen die Studien der strebsamen Nonne. Juana aber prangert leidenschaftlich die Heuchelei der Männer an, wodurch sie sich den Zorn von Madre Melchora zuzieht. Gegenüber dem schelmischen Vizekönig, der zugibt, Juanas Gedichte nicht zu verstehen, bringt die Nonne es kurz und bündig auf den Punkt: „Männer wollen mit Maria Magdalena ins Bett gehen und mit der Jungfrau Maria aufwachen.“ Bei einem späteren Treffen zwischen Sor Juana und La Condesa, der Gattin des Vizekönigs, bemerkt Pater Antonio, dass er, gemäß dem spanischen Sprichwort wie eine „Fliege in der Milch“, nicht mehr willkommen ist. La Condesa äußert sich nach seinem Abgang: „Er ist eher wie ein Trottel in der Milch.“ Die beiden Frauen verlieben sich ineinander und diese Liebe gipfelt im Schlafzimmer der Vizekönigin… Jede Szene der Oper wird durch den Auftritt von „El Alma“ (spanisch: die Seele) eingeleitet, einem Geist, der unsichtbar die Handlung begleitet und den „Mythos der getrennten Seelen“ aus Platons „Symposion“ besingt. Die Oper endet schließlich damit, dass Juana in einem inquisitionsähnlichen Prozess von Pater Antonio, dem Bischof und dem Erzbischof gezwungen wird, ihre Bibliothek aufzulösen und sich um einige tuberkulöse Nonnen zu kümmern. Sie erkrankt innerhalb weniger Monate selber und stirbt als ekstatische Märtyrerin 1695 mit nur 46 Jahren an der Pest.
Inquisitionsszene. Copyright: Miguel Cabrera
Nach ihrer ersten Oper „Wuornos“, in der Carla Lucero den Serienmörder Aileen Wuornos porträtierte, ließ sie sich für ihre zweite Oper vom Roman „Sor Juanas zweiter Traum“ von Alicia Gaspar de Alba, Professorin und Gründungsmitglied der César Chávez Abteilung für Chicana / o-Studien an der Universität von Kalifornien und ehemalige Vorsitzende des LGBTQ-Studienprogramms, inspirieren. 17 Jahre lang dauerte ihre gemeinsame Arbeit an der Oper, in der sie Juana im Ringen um ihre Sexualität und Befreiung aufzeigen. Die Vokalschrift der zweiaktigen Oper wurde daher bewusst sehr lyrisch gestaltet und die 2 Stunden und 20 Minuten dauernde Oper in sehr viele kurze Szenen unterteilt. Musikalisch gesehen kann Carla Lucero ihre Wurzeln in der Spätromantik und dem Neoklassizismus wohl nicht verleugnen. Die Oper wurde am 24.11.2019 von der Herb Albert School of Music, im Freud Playhouse der Universität von Los Angeles uraufgeführt. Das Produktionsteam der Oper bestand fast ausschließlich aus Frauen: Das von Mary Chun einfühlsam geleitete Kammerorchester verwendet neben dem obligaten Streichquintett, als Barockinstrumente jeweils ein Cembalo, eine Harfe, eine Vihuela (eine alte spanische Gitarre) und eine Altblockflöte. Für Lokalkolorit sorgen einheimische Schlaginstrumente, vor allem Glocken, und eine Okarina. Rhythmische Jazz-Riffs sind mancherorts in die Partitur eingestreut. Das Ergebnis kann als eine Mischung musikalischer Stile und Perioden angesehen werden. Sie fließt einmal spärlich dahin, dann wieder reißend und behält verliert dabei nichts an ihrer zeitlosen Schönheit. Mit prunkvollen historisierenden Stoffen und bestickten Gewänder kleidete Kostümdesignerin Alexa Weinzierl das Vizeregentenpaar und den Klerus. Im Kontrast dazu tragen die Nonnen eine weiße Tunika mit braunem Skapulier (Überwurf über die Tunika) und einen schwarzen Schleier. Wie aus einer anderen Welt erscheint dann „El Alma“ in einem Paillettenbesetzten Kleid und einem riesigen Kopfschmuck. Das Personal der Oper bewegt sich an wechselnden Orten innerhalb und außerhalb des Klosters in den stilisierten Bühnenbildern von Madie Hays, die eine spanische Kolonialumgebung mit Bögen und ockerfarbenen Gipswänden suggerieren. Überall gibt es Spione, Lauscher, Intriganten, vor denen sich Juana in Acht nehmen muss und die sie gegen Ende der Oper dennoch der Inquisition übergeben. Die erforderlichen raschen Szenenwechsel ermöglichte das ausgeklügelte Lichtdesign von Lucila Tapia Gaitan. Der Choreografin Nicola Bowie ist es gelungen, die zarte Sinnlichkeit der intimen Begegnung der beiden Frauen sensibel auf der Bühne vorzuführen. Regisseurin Sara E. Widzer versah alle Darstellenden mit einem eigenständigen Profil. Die Rolle von Juana, die in fast jeder Szene der Oper auftritt, wurde zweigeteilt: die junge Juana wird von Natalie Leonard mit hellem jugendlich-lyrischem Sopran gesungen. Im Kloster tritt sie zunächst noch als Juana Amanuensis Concepción auf. Die ältere Sor Juana wird von Meagan Martin mit ausdrucksstarkem Mezzosopran hingebungsvoll interpretiert. In die Schranken wird Juana von Michelle Rice in der Rolle der sittenstrengen Madre Melchora gewiesen. Mario Arias als spanischer Vizekönig und Michelle Drever als dessen zigarillorauchende, sinnliche Gattin La Condesa, mit höhensicherem Sopran, sind beide vom Charme und Geist Juanas angetan. Der Unterhaltung zwischen der Contessa und Juana kann der eher einfältige Pater Antonio (Justin Birchell), nicht folgen und so zieht er sich als „ungebetener“ Gast zurück. Mit beeindruckender vokaler wie darstellerischer Präsenz erscheint Mezzosopranistin Carmen Voskuhl als „El Alma“, mit extravagantem Kopfschmuck, deren Aufgabe es ist, die Oper – wie der Chor in der griechischen Antike – zu kommentieren und bereitet darüber hinaus die Zusehenden noch, unter Verweis auf Platons Vorschlag von den drei Geschlechtern im Symposion, Juana als sapphische Figur vor. El Alma kehrt immer wieder zurück, um Auszüge aus Sor Juanas Gedichten zu singen und vor Tragödien zu warnen. Carla Lucero hat diese „androgyne“ Figur ursprünglich auch für einen Countertenor geschrieben. Der Erzbischof von Michael Valentekovic ist gewalttätig, was er auch unter dem Deckmantel seines Glaubens nicht verbergen kann. Er glaubt, Frauen hätten keine Seele, und droht, jede Frau schlagen zu lassen, die sein Zimmer betritt. Eric Levintow als Manuel Fernández de Santa Cruz, Bischof von Puebla, ist nicht viel besser. Er dient mit seinem schurkenhaften Charakter gleichfalls der Inquisition und den spanischen Kolonialherren. Und auch Alexander Papandrea als Juanas Freund und Landsmann Don Carlos de Sigüenza y Góngora, der sie im Sprechzimmer des Klosters besucht, entpuppt sich am Ende der Oper als schamloser Opportunist.
„Juana“ ist nicht die erste Oper, die in einem Kloster spielt: Giacomo Puccinis Suor Angelica und Francis Poulencs Dialogues des Carmélites waren vorangegangen, später folgten Pendereckis „Die Teufel von Loudun“, Hindemiths Einakter „Sancta Susanna“ und andere. Sie ist aber auch nicht die erste Oper über Sor Juana. So führte die Fort Worth Opera bereits 2014 Daniel Croziers Kammeroper „With Blood, With Ink“ nach einem Libretto von Peter M. Krask auf.-
Copyright: Miguel Cabrera
Von der Kritik wurde die lesbische Liebesdichtung der mexikanischen Nonne stets geschätzt. Sie gilt als eine der größten lateinamerikanischen Dichterinnen, eine frühe Verfechterin der Frauenrechte, und manche Forschenden stilisieren sie gar zu Nordamerikas erster lesbisch-feministischen Schriftstellerin. Das Quartier der Nonne Juana glich damals einem Salon, der von der intellektuellen Elite der Stadt besucht wurde. Unter ihnen war auch die Gräfin María Luisa Manrique de Lara y Gonzaga, Tochter von Vespasiano Gonzaga, Herzog von Guastala, Luzara und Rechiolo, Vizekönigin von Mexico. Historisch belegt ist, dass die beiden Frauen eine tiefe Freundschaft verband. Unklar bleibt aber, ob sie nach heutiger Definition Lesben waren, immehin aber inspirierte ihre Patronin, Sor Juana, verliebte Liebesgedichte zu schreiben, wie zum Beispiel: „Dass du eine weit entfernte Frau bist, ist kein Hindernis für meine Liebe: Wie du weißt, zählen Distanz und Sex für die Seele nicht.“ Die katholische Kirche ging gegen Sor Juana nicht wegen ihrer lesbischen Poesie vor, sondern wegen ihrer Verteidigung der Frauenrechte. Sie, die immer die Ausbildung von Mädchen gefördert hatte, die nicht zur Schule gehen, noch in Männerkleidern eine Universität besuchen durfte, bildete sich autodidaktisch und war ein Genie. Ihre dramatische Geschichte, so ist Carla Lucero überzeugt, eignet sich für die Oper, zumal sie historisch ist. Und dieser Meinung kann sich auch der Verfasser dieses Berichtes nur anschließen. Wir alle sollten mehr von und über Sor Juana Inès de la Cruz lesen, um von dieser faszinierenden Persönlichkeit mit ihren sozialkritischen Überzeugungen zu lernen. Den Link zur Oper findet man auf https://www.operaonvideo.com/juana-lucero-los-angeles-2019/. Dieser verweist dann aber weiter auf die Aufzeichnung bei Vimeo, wo beide Akte der Oper (https://vimeo.com/391833984) und (https://vimeo.com/391836332) nachgesehen werden können.
Harald Lacina, 22.01.2021