DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Teatro Coccia

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STABAT MATER                      

Arengo del Broletto 25.10.20 (Premiere am 22.10.)

Letzte Vorstellung vor neuerlichem Lockdown

Zunächst gleich die Übersetzung des für die Wiedergabe des „Stabat Mater“ von Giovan Battista Draghi, besser bekannt unter dem Namen Pergolesi, gewählten Aufführungsorts. Es handelt sich um den Bürgerversammlungssaal des Rathauses, das an einem vierseitigen, prachtvollen, geschlossenen Hof mit Gebäuden aus dem 13. bis 18. Jahrhundert liegt. Die Wahl fiel auf diesen Saal, weil das Teatro Coccia während des Lockdowns Renovierungsarbeiten in Angriff genommen hat, die noch nicht beendigt sind.

Der mit Renaissancefresken geschmückte Saal bietet nicht nur durch seinen künstlerischen Wert ein ideales Ambiente, sondern auch durch eine perfekte Akustik, die man sich in einem für musikalische Darbietungen nicht gedachten Raum nicht erwarten würde, umso mehr als die der Schutzvorschriften wegen Covid auf 100 Personen reduzierte Zuschauerzahl vermutlich auch keinen „Polster“ für Instrumente und Sänger abgeben kann. Mit der Wahl des Saals hatten die Verantwortlichen somit das Glück des Tüchtigen.

 

Die Vorstellungen gab es ab 22.10 zweimal täglich, und als ich mich für den 25.10. entschied, konnte ich nicht wissen, dass ich am letzten Tag vor der neuerlichen Schließung der italienischen Opernhäuser, Theater und Kinos einer Aufführung beiwohnen würde.

Als kurze Einführung zu Pergolesis Meisterwerk war die Suite Nr.. 3 aus den Antiche arie e danze per liuto von Ottorino Respighi zu hören. Mit Einsetzen der Musik waren 6 Mimen zu sehen, die zunächst die zwei links und rechts an der Rampe stehenden Solistinnen in barocker Pracht einkleideten, sodass sie wie Statuen des Hochbarock aussahen. Diese Mimen wechselten auch immer wieder ihre eigenen Kostüme auf offener Bühne, um verschiedene Stationen des Leidenswegs Christi nachzustellen, wie wir sie von Barockmalern kennen. Regisseur Renato Bonajuto hatte sich dabei an Gemälden lombardischer Meister inspiriert, von denen einige auch in der Umgegend von Novara tätig waren; genannt seien zumindest Giulio Cesare Procaccini und Pier Francesco Mazzucchelli, bekannt geworden unter dem Namen Morazzone. Die Lichteffekte waren von atemberaubender Schönheit (Ivan Pastrovicchio) und zeigten mit höchster Präzision das Erstarren des jeweiligen tableau vivant zum Ende des betreffenden musikalischen Abschnitts (Szene und Kostüme: Daniele Coppola, Choreographie: Giuliano De Luca). Am Schluss wurde den Solistinnen ihre prunkvolle Kleidung wieder abgenommen und sie trauerten als einfache Frauen an Christi Grab.

Diesem starken visuellen Eindruck entsprach der musikalische. Die seit 1989 tätigen Virtuosi Italiani (mit Einspielungen von Kammermusik für Decca oder Naxos) bewiesen ihre Qualität unter der Leitung von Matteo Beltrami. Auf einem für ihn ungewohnten Gebiet zeigte der Musikdirektor des Teatro Coccia größte Stilsicherheit. Wunderbar die Leistung von Mariam Battistelli, die mit ihrem weichen, klar tönenden Sopran dem Schmerz der Mutter Ausdruck gab. Mit rundem, voll timbriertem Mezzo stand ihr Aurora Faggioli in keiner Weise nach.

Hatte bei dieser Nachmittagsvorstellung Tommaso Perissinotto von der Accademia des Teatro Coccia das eröffnende Stück von Respighi dirigiert, so durften am Abend fünf verschiedene Absolventen dieser vor ein paar Jahren von Beltrami gegründeten Accademia abwechselnd die verschiedenen Abschnitte von Pergolesis Werk dirigieren, während als Solistinnen Ksenia Bomarsi (Sopran) und Sofia Janelidze (Mezzo) auftraten. Bei Bomarsi war bei grundsätzlich guter Leistung leider ein rechtes Vibrato zu hören, während Janelidze mit vollem, warmem Mezzo überzeugte.

 

Eva Pleus 31.10.20

Bilder: Mario Finotti

 

 

 

INTERNATIONALER DIRIGENTENWETTBEWERB GUIDO CANTELLI

 

Guido Cantelli wurde am 27. April 1920 in Novara geboren und studierte ab 1939 am Mailänder Konservatorium bei Antonino Votto (der auch Riccardo Mutis Lehrer war) Orchesterleitung. Nachdem er 1943 sein Diplom gemacht hatte, debütierte er mit „La Traviata“ am Teatro Coccia in seiner Heimatstadt. Dann wurde er zum Kriegsdienst einberufen und in der Nähe von Stettin in ein Arbeitslager gesteckt. Nach seiner Rückkehr nach Italien in einem Zustand schwerer Unterernährung in Bozen ins Krankenhaus gebracht, floh er von dort und schlug sich auf abenteuerlichen Wegen nach Novara durch, wo er - wie auch in Biella und Vercelli (gleichfalls im Piemont) - dirigierte. 1945 zog er nach Mailand, wo er am 27. Juli mit dem Orchester der Scala im Castello Sforzesco debütierte, wodurch es zu Engagements mit so bedeutenden Orchestern wie dem von Santa Cecilia in Rom, dem des Maggio Musicale in Florenz oder dem der RAI Turin kam. Sein erstes Scalakonzert fand am 21. Mai 1948 statt: Arturo Toscanini erkannte sofort das große Talent des jungen Mannes und wollte ihn auf dem Podium seines NBC Symphony Orchestra. Ab da entwickelte sich Cantellis Karriere blitzartig, und er nahm mit dem Londoner Philharmonia Orchestra, mit dem damals von Furtwängler bis Karajan alle bedeutenden Dirigenten arbeiteten, zahlreiche Einspielungen auf. Ab 1952 dirigierte er alle bedeutenden Orchester der USA und arbeitete mit Solisten wie Backhaus, Heifetz, Milstein, Serkin...

1956 leitete er die legendär gewordene Produktion von „Così fan tutte“ an der Piccola Scala (Schwarzkopf, Sciutti, Alva, Panerai) und wurde am 16. November des Jahres zum Musikdirektor der Scala ernannt. Am 17. dirigierte er das Orchester der Scala in einem Konzert in Novara, das sein letztes sein sollte, denn in den Morgenstunden des 23. November stürzte das Flugzeug, das ihn nach New York bringen sollte, in Paris Orly ab. Während der Begräbnisfeierlichkeiten spielte „sein“ Orchesters das Largo aus Händels „Xerxes“ vor einem leeren Podium...

Um dem so jung und tragisch verstorbenen Künstler, der mit knapp 36 Jahren schon einer der bedeutendsten Dirigenten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war und von Toscanini als sein wahrer Erbe angesehen wurde, ein Denkmal zu setzen, wurde 1961 vom Tourismusverband Novara der internationale Dirigentenwettbewerb „Guido Cantelli“ ausgeschrieben. Bis 1980 fand er alle zwei Jahre statt und brachte später so erfolgreiche Sieger wie Eliahu Inbal (1963), Riccardo Muti (1967), Ádám Fischer und Lothar Zagrosek (ex aequo 1973), Hubert Soudant (1975) und Donato Renzetti (1980) hervor. Dann war der Bewerb für 40 Jahre sanft entschlafen, aber dieses Jahr wird er zum 100. Geburtstag Cantellis von Novara in Koproduktion mit dem Teatro Regio in Turin wieder aufgenommen. Warner Classics bringt dazu am 27. März in einem Schuber mit 10 CDs, ergänzt durch Interviews mit Musikern, die mit ihm gearbeitet haben, alle Einspielungen Cantellis heraus, die von den originalen Langspielplatten remasterd wurden.

Anmeldungen für Dirigenten jeglicher Nation im Alter von 18-35 Jahren vom 1. März bis 30. April 2020. Die Vorauswahl findet durch die Dirigenten Matteo Beltrami (Musikdirektor des Teatro Coccia), Jordi Bernàcer und Antonino Fogliani (Musikdirektor Festival Rossini Wildbad und Erster Gastdirigent Deutsche Oper am Rhein) auf Grund von eingesandten Curricula und Videos statt. Das Ergebnis wird am 17. Juni verlautbart.

Die Viertel- und Halbfinale finden vom 9. bis 12. September bei den Proben in Turin mit dem Orchester des Teatro Regio vor einer unter dem Vorsitz von Donato Renzetti (dem letzten Preisträger) stehenden Jury statt. Diese besteht neben den schon erwähnten Beltrami, Bernàcer, Fogliani aus Gabriel Chmura (künstlerischer Leiter der Oper in Posen und Erster Gastdirigent der Philharmonie Krakau), Nazzareno Carusi (Pianist), José Luis Gómez (Musikdirektor des Symphonieorchesters Tucson), Sebastian F. Schwarz (Intendant und künstlerischer Leiter des Teatro Regio Turin), Didier de Cottignies (künstlerischer Leiter der Philharmoniker Monte-Carlo ), Christoph Becher (Intendant des RSO Wien) und Sophie de Lint (Intendantin der Nationaloper Amsterdam).

Am 13. September wird der/die Preisträger/in beim Finale in Novara ermittelt. Die Konkurrenten interpretieren dabei das Programm, das Cantelli in seinem letzten Konzert leitete: Die Symphonie Nr. 1 von Johannes Brahms, La Valse von Maurice Ravel und Don Juan von Richard Strauss.

Die Siegesprämie beträgt € 12.000, ergänzt durch Verträge für bedeutende internationale Orchester. Der Preis der Kritik, verliehen von 5 wichtigen italienischen Musikkritikern, beträgt € 3.000; dazu kommen der vom Konservatorium „Guido Cantelli“ Novara ausgelobte Preis von € 2.000 und ein Preis von 1.000 Euro, den junge Studierende dem Dirigenten verleihen, der sie durch sein Auftreten am meisten überzeugt hat.

Steht zu hoffen, dass diese Wiederaufnahme nach 40 Jahren eines bedeutenden Wettbewerbs einen/eine Sieger/in hervorbringt, der/die in die Fußstapfen seiner/ihrer Vorgänger zu treten vermag.

 

Eva Pleus 14.2.20

 

 

DONNA DI VELENI      

Aufführung am 14.2.20 (Uraufführung)

Geheimnisvolles Sizilien

Das Haus, das in den letzten Jahren so viele interessant besetzte und vorzüglich dirigierte Opern herausgebracht hat, setzte nun wieder einmal auf ein Auftragswerk. Marco Podda, in Triest niedergelassener Spezialist für Phoniatrie, hat sich auch als Komponist einen Namen gemacht und wurde beauftragt, ein Libretto von Emilio Jona zu vertonen. Der 1927 in Biella geborene Autor, u.a. Verfasser des Librettos von Giacomo Manzonis „Atomtod“ (1964), ließ sich vom reichen Sagenschatz Siziliens inspirieren, in dem einer Donna di veleni immer wieder große Bedeutung zukommt. Wörtlich übersetzt bedeutet der Ausdruck „Giftfrau“, aber gemeint ist damit die archaische Frau, die um Kräuter und deren Wirkung, um Liebestränke und den „bösen Blick“ weiß. Also keine Hexe, aber als zauberisches Wesen doch in der Lage, das Schicksal von Menschen, die zu ihr um Rat kommen, zu beeinflussen.

Erzählt wird die Geschichte von Maria, einer jungen Frau, die als Neugeborenes in einem Kloster abgegeben wurde, weil es sich um eine „Frucht der Schuld“ handelt. Herangewachsen, verliebt sie sich in einen Burschen, der ihr aber nicht nahekommen darf. Kurz darauf wird sie von dem reichen Ruggero entführt und vergewaltigt, was zu einer „reparierenden“ Eheschließung (=matrimonio riparatore) führt. Maria hasst ihren Gatten dafür und begibt sich schließlich zu der Zauberin, gefolgt von Ruggero. Beide bitten sie um einen Trank: Maria will damit Ruggero töten, Ruggero hingegen damit Marias Liebe erlangen. Die weise Frau bereitet einen solchen zu und prophezeit, dass er für eine der beiden Personen tödlich sein wird. Schließlich trinkt ihn Ruggero und stirbt tatsächlich. Die Zauberfrau führt Maria, die nun ein neues Leben beginnen kann, in dem auch ihr vormaliger Schwarm keine Rolle mehr spielen wird, hinweg.

Der Text ist mit zahlreichen Wörtern des sizilianischen Dialekts angereichert und klingt sehr poetisch, obwohl die Handlung etwas abstrus erscheinen mag. Poddas Musik ist auch immer wieder von sizilianischen Volksliedern inspiriert, gibt den Holz- wie den Blechbläsern viel Raum, bleibt tonal und tut niemandem weh.

Ziemlich speziell fiel die Regie von Alberto Jona aus, ist er doch der Begründer des schon länger bestehenden Controluce, Teatro d'ombre (=Gegenlicht, Schattentheater), wo mit Hilfe von Cora De Maria und Jenaro Meléndrez Chas visuelle Effekte erzielt werden, die sehr gut zu dem geheimnisvollen Sujet passten. Ergänzt wurde dieser Eindruck zwischen Traum und Wachsein durch das Bühnenbild (Alice Delorenzi), das zunächst ein großes Himmelbett zeigte, später dann eine Art Höhle für die Magierin.

Die Rollen sind sehr singbar, obwohl von Ruggero (Tenor) einige recht dramatische Ausbrüche verlangt werden. Danilo Formaggia ist vom Auftreten und der Physis her nicht das egoistische Mannsbild, das sich eine Frau einfach „einverleibt“, sang aber überzeugend sowohl die dramatischen, als auch die lyrisch flehenden Stellen. Der nur „Amante“ genannte Bursche, auch Tenor, wurde von Matteo Mezzaro, meist aus dem Off, strahlend gesungen. Maria schien mir mit Júlia Farrés-Llonguerras etwas unterbesetzt, entledigte sich ihrer Aufgabe aber mit Anstand. Über allen stand, stimmlich und vor allem als Persönlichkeit, Paoletta Marrocu in der Titelrolle, der man ihre ambivalente Stellung gegenüber der Welt jederzeit abnahm, wobei sie bedeutende Höhen und Tiefen beeindruckend meisterte.

Der Coro San Gregorio Magno unter Mauro Rolfi und der Kinderchor des Teatro Coccia (Paolo Beretta und Alberto Veggiotti) setzten ihre umfangreichen Parts bewundernswert sicher um. Vittorio Parisi leitete umsichtig das aus 20 Elementen bestehende Dèdalo Ensemble.

Freundliche Zustimmung für die doch eine Herausforderung bedeutende Uraufführung.   

 

Eva Pleus 18.2.20

Bilder: Mario Finotti

 

 

 

ERNANI

Aufführung am 18.10.19 (Premiere)

 

Mit Giuseppe Verdis fünfter Oper, dem 1844 in Venedig uraufgeführten, besonders mitreißenden Werk des 31-jährigen Autors, wurde die neue Saison im Mehrspartenhaus der piemontesischen Stadt eröffnet.

Für diesen Anlass wurde eine sehr erfolgreiche Produktion wiederbelebt, die 1999 für das Teatro Massimo in Palermo geschaffen worden und 2011 auch in Bologna zu sehen gewesen war. Die Handlung ist im Jahre 1519 angesiedelt, und Bühnenbilder und Kostüme von Francesco Zito folgen in prachtvollen Entwürfen dem Stil jener Epoche. Es war ein Genuss, die historischen Bilder betrachten zu können, in der sich die Figuren auch gemäß der damaligen Zeiten bewegten, nämlich würdevoll und in einer durchaus nicht langweiligen Gemessenheit, wenn es um die höheren Ränge ging. Umso eindrucksvoller, wenn sie dann durch die Umstände in Rage gerieten (und Schwerter zogen anstatt mit Maschinengewehren zu drohen).

Die Regie hatte vor zwanzig Jahren Beppe De Tomasi inne – nun wurde sie von Pier Francesco Maestrini aufgefrischt, der damals als Regieassistent dabei war (und dessen Vater jahrelang viele Produktionen der Arena di Verona verantwortet hat). „Ernani“ ist ein Werk, das schauspielerisch nicht die größten Ansprüche stellt, wenn – wie hier – das Ambiente und die Kostüme stimmen. Die Herausforderung bestand für den Regisseur eher darin, die Solisten und vor allem den Chor so zu gruppieren, dass die Bühne (die natürlich wesentlich kleiner ist als die in Palermo bzw. Bologna) trotz aller Turbulenzen übersichtlich blieb, und das ist ihm perfekt gelungen.

Der Tenor meldete sich am Morgen der Premiere als erkrankt, der Sopran eine Influenza. Eine Herausforderung für den Musikdirektor des Hauses, Matteo Beltrami. Nachdem sich der armenische Titelheld Migran Agadzhanyan ansagen hatte lassen, führte ihn Beltrami mit solcher Sorgfalt durch das Geschehen, dass vom Protagonisten alle Sorge um seine Aufgabe abfiel und er, abgesehen von minimalen Kratzern, eine nicht nur sichere Leistung bringen, sondern auch wiederholt die Strahlkraft seines Tenors zeigen konnte.

Sein baritonaler Gegenspieler war der Mongole Amartuvshin Enkhbat, der zwischen den „Nabucco“-Vorstellungen in Parma hier sein Rollendebüt gab. Auch dieses fiel stimmlich wieder sensationell aus, mit einem alles andere als philologisch akzeptierten hohen As am Schluss seiner Arie im 3. Akt. Man muss wohl auf Cappuccilli zurückgehen, um Ähnliches gehört zu haben – da darf man ausnahmsweise auch einmal pure Stimmkraft und -schönheit genießen. Simon Orfila, schon in Mahón bei seinem Rollendebüt ein beeindruckender Silva, klang noch „bassiger“, falls der Ausdruck erlaubt ist. Szenisch war er perfekt und gemahnte im letzten Bild an einen römischen Senator, dessen „Ceterum censeo“ auf Rache aus war. Als Elvira sprang die Kolumbianerin Alexandra Zabala ein, deren lyrische Stimme sie nicht für diese Rolle prädestiniert, aber dank ihrer hervorragenden Technik meisterte sie alle Hürden und gab ein überzeugendes Porträt der von drei Männern geliebten Adeligen. Marta Calcaterra ergänzte als ihre Vertraute Giovanna, der spanische Tenor Albert Casals als Knappe des künftigen Karl V., hier schlicht Don Carlo genannt. Vokal und szenisch besonders engagiert der ukrainische Bass Emil Abdullaiev als Jago, Gefolgsmann von Silva.

 

Beltrami, vor schwierige Herausforderungen gestellt, erwies sich einmal mehr nicht nur als wunderbarer Sängerbegleiter und Retter in der Not, sondern spornte das Orchestra della Fondazione Teatro Coccia, das mit dem Konservatorium der Stadt zusammenarbeitet, um dem Nachwuchs zu Erfahrung zu verhelfen, zu einem Schwung und Klang an, die Verdis meisterlichem Frühwerk jederzeit gerecht wurde. Auch der von Jacopo Facchini einstudierte Coro Sinfonico di Milano Giuseppe Verdi trug sein Teil zum Erfolg bei.

Dieser war stürmisch, mit viel Zwischenbeifall und Ovationen am Ende.    

 

Eva Pleus 21.10.19

Bilder: Foto Finotti

 

 

LA TRAVIATA

Aufführung am 3.5.19 (Premiere)           

Mit wenigen Mitteln viel erreicht

Die letzte Produktion der diesjährigen Opernsaison stand zunächst aus verschiedenen Gründen nicht unter einem guten Stern. Der schlimmste, weil noch nicht gelöste, Faktor ist, dass sich die Politik in die Pläne des in den letzten Jahren aufgeblühten Hauses einzumischen begann und ein Streit zwischen der Stadtverwaltung und der Region Piemont ausbrach, von dem man nicht weiß, wann er beigelegt werden wird. Die böse Konsequenz ist, dass die Region die dem Theater zustehenden Gelder zurückhält. Was das für die Planung bedeutet, kann man sich gut vorstellen, aber es gab auch schon Auswirkungen auf die Neuproduktion. Davon später.

Dann fiel die für die Titelrolle vorgesehene Sängerin bei Probenbeginn aus, und es musste in relativ kurzer Zeit Ersatz gefunden werden. Bei der Generalprobe schließlich musste der Tenor nach dem 1. Akt wegen einer schweren Verkühlung das Handtuch werfen. Alle Beteiligten bewiesen dem Publikum im ausverkauften Haus aber, dass mit großem Einsatz und starkem Willen ein ausgezeichnetes Ergebnis errungen werden kann.

Das begann mit Matteo Beltrami am Pult des wie immer von Studierenden und Professoren des Konservatoriums von Novara unterstützten Orchestra del Teatro Coccia, das mit Hingabe die Anweisungen des Dirigenten umsetzte und in den beiden Vorspielen und den tragischen Momenten der Partitur zu überzeugender Sensibilität fand, aber auch die Momente der gesellschaftlichen Anlässe spritzig darbot. Violetta war die Ungarin Klára Kolonits, die trotz einer schon länger währenden Karriere eine erstaunliche stimmliche Frische an den Tag legte.

Die Koloraturen saßen ebenso wie sie schöne Legatobögen spann und ein inniges, zweistrophiges „Addio del passato“ bot. Für Ivan Ayon Rivas sprang Danilo Formaggia ein, der mit ausgezeichneter Technik vergessen ließ, dass sein Tenor nicht zu den schönsten gehört. Nur bei Alfredos Wutausbruch in Floras Salon kam sein lyrischer Tenor an Grenzen. Alessandro Luongo war ein gut phrasierender Germont (samt Cabaletta nach „Di provenza“) von gemessenem Auftreten, zu dem ein manchmal zu starker stimmlicher Nachdruck im Gegensatz stand. Als Flora ließ Carlotta Vichi einen angenehmen Mezzo hören, Marta Calcaterra war eine teilnahmsvolle Annina. Zuverlässig ergänzten Blagoj Nacoski (Gastone und Giuseppe), Roberto Gentili (Douphol und Commissionario), Claudio Mannino (Marchese) und Rocco Cavalluzzi (Dr. Grenvil). Der von Mauro Rolfi einstudierte Coro San Gregorio Magno bot eine gute Leistung und wies nach, wie sehr er sich von Jahr zu Jahr verbessert hat.

Regisseur Renato Bonajuto hatte die Handlung aus gutem Grund in die Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts verlegt, weil damit an den Kostümen gespart werden konnte. Die durch die Einmischung der Politik (siehe oben) bewirkte finanzielle Not ging sogar so weit, dass manche Choristinnen eigene adaptierte Kleider trugen. Sehr geschickt war das Bühnenbild von Sergio Seghettini, dem wenige Versatzstücke genügten, um Atmosphäre zu schaffen. Typisch dafür der 2. Akt mit zwei Gartenstühlen und Tisch und durch Lichteffekte das Vorhandensein eines Swimmingpools dahinter suggerierend. Im letzten Bild ist überhaupt nur mehr Violetta in ihrem Bett zu sehen, der Rest ist Dunkelheit. Das passte zu Bonajutos Auslegung, welche die Unglückliche alle auftretenden Personen nur mehr im Delirium sehen lässt, die sich in düster-grauer Gewandung wie Marionetten bewegen. Weitere gelungene Regiedetails: Vor „E' strano“ versucht Douphol, Violetta auf die Schulter zu küssen, doch sie schickt ihn weg.

Während der Auseinandersetzung mit der Geliebten seines Sohnes zückt Germont auch ein Scheckheft, das von Violetta entrüstet zurückgewiesen wird. Da kein Ballett zur Verfügung stand, wurde der Chor klug in die für diese Musik geschaffene Szene einbezogen.

Wie gesagt, ein trotz aller Schwierigkeiten gelungener Abend, der vom vollen Haus mit begeistertem Applaus honoriert wurde.                                                       

 

Eva Pleus 8.5.19

Bilder: Mario Finotti

 

 

 

THE BEGGAR'S OPERA                

Vorstellung am 27.10.18 (Premiere)

 

Diese sogenannte ballad opera von John Gay (1685-1732) und Johann Christoph Pepusch (1667-1752) war gleich bei ihrer Uraufführung ein Riesenerfolg und wurde 62 Mal gegeben, was damals absoluter Rekord war und ihr den Titel der „populärsten Produktion des 18. Jahrhunderts“ einbrachte. Als das Werk 1920 auf der Bühne wieder groß herauskam, stand es in London-Hammersmith in 1.463 Vorstellungen auf dem Spielplan und war damit neuerlich eine der langlebigsten Aufführungen des damaligen Musiktheaters. 1928 entstand dann auf seiner Grundlage die „Dreigroschenoper“ mit Musik von Kurt Weill und Texten von Bert Brecht (so die Sprachregelung des Letzteren, obwohl Elisabeth Hauptmann für einen Großteil verantwortlich war).

Schließlich beschäftigte sich auch Benjamin Britten damit und erarbeitete 1948 eine neue Fassung für Cambridge.

Eine ballad opera war ein Werk, das die populäre Form der Ballade auf die Bühne brachte, die zwischen gesprochenen Texten erklang. Autor John Gay geißelte mit der Handlung den Verfall der Sitten und die Korruption in der englischen Hauptstadt. Gleichzeitig sollte der italienischen Oper, die den Spielplan der zwei großen Londoner Häuser beherrschte, eins ausgewischt werden, wofür die Balladen eingesetzt wurden, die textlich und im Gehaben dem überdrehten Stil der Barockoper entsprachen. Der aus Berlin gebürtige Wahllondoner Pepusch verwendete dafür sowohl englisches, irisches, schottisches und französisches Volksgut, als auch Musik von Händel, Purcell, Bononcini, Frescobaldi und Geminiani.

Nun hat sich Robert Carsen zusammen mit dem bekannten englischen Autor und Dramaturgen Ian Burton des Stückes angenommen, aber gleichzeitig William Christie, den charismatischen Leiter von Les Arts florissants in das Projekt eingebunden. Dieser wählte die Musik für die Produktion aus und stellte Teile seines Ensembles, unter der Leitung von Florian Carrè, zur Verfügung. Nach den ersten Vorstellungen im Pariser Théâtre des Bouffes du Nord findet nun eine großangelegte Tournee durch Frankreich statt. Für das Ausland sind bisher nur Italien und Griechenland angeführt. Macht die Tournee bei den Hellenen in Athen Station, so gelang es den tüchtigen Leitern des Teatro Coccia, die Produktion an Land zu ziehen, die nur in Novara und in Zusammenarbeit mit Pisa gezeigt wird, also nicht in Metropolen, sondern relativ kleinen Städten. Chapeau!

Die Fassung von Carsen und Burton hat den Text für die heutige politische Situation adaptiert und spart nicht mit Seitenhieben auf den Zustand der derzeitigen Welt. Und wenn wir am Schluss erfahren, dass Theresa May abgewählt wurde und nun „das Volk“ regieren wird, wobei die Ministerposten an die diversen Prostituierten, Zwischenträger und anderes Gelichter verteilt werden, bleibt wohl kein Auge trocken, eines vermutlich vor Lachen, das andere aus Trauer über den Zustand der – zumindest westlichen – Menschheit.

Perfekt die etwas weniger als zwei Stunden dauernde, pausenlose Umsetzung. Vor einem aus Kartons (mit vermutlich gestohlenem Gut) bestehenden, in dieser Form variablen Bühnenbild (James Brandily) und in der atemberaubenden Choreographie von Rebecca Howell, den Kostümen von Petra Reinhardt (die sich besonders bei den leichten Damen austoben konnte), der Lichtregie von Robert Carsen und Peter van Praet fand eine Sternstunde britischer Schauspielkunst statt.

Die Namen sagen unseren Lesern nichts, aber ich möchte zumindest die Darsteller der Hauptrollen erwähnen: Robert Burt (Peachum), Kate Batter (Polly), Benjamin Purkiss (Macheath), Olivia Brereton (Lucy). Alles überstrahlte für mich Beverley Klein als Mrs. Peachum und Diana Trapes.

Die mit Unterstützung zahlreicher französischer Häuser zustande gekommene Produktion wurde von einem Publikum, das das Haus zu rund 40% füllte (wobei es Freude machte, viele Jugendliche zu sehen) mit Beifall überschüttet.                                         

Eva Pleus 29.10.18

Bilder: Patrick Berger

 

 

 

 

 

 

 

 

RIGOLETTO                    

Aufführung am 5.10. (Premiere)

Gelungener Saisonbeginn

 

Nachdem die Veranstaltungsreihe Who's Carlo Coccia, die den Namensgeber des Hauses und seine Zeitgenossen an den verschiedensten Orten der piemontesischen Kleinstadt vorgestellt hatte, mit einer Gelegenheitsarbeit Joseph Haydns (March for the Royal Society of Musicians), den Sinfonie in E-Dur und G-Dur von Coccia, einer Sinfonia in d-Moll von Lauro Rossi und Gioachino Rossinis Sinfonia di Bologna am 23.9. unter der kompetenten Stabführung von Gianna Fratta abgeschlossen worden war, erfolgte die Saisoneröffnung im stark aufstrebenden Haus mit Giuseppe Verdis erstem Werk aus der sogenannten „trilogia popolare“.

Da man mit „Aida“ vor zwei Jahren mit den Herren Paolo Gavazzeni (künstlerischer Leiter des Fernsehkanals Classica HD) und Piero Maranghi (Unternehmer und Besitzer des erwähnten Kanals) gute Erfahrungen als Regieduo gemacht hatte, wurden sie für diese Produktion neuerlich verpflichtet.

Das Erfreuliche daran ist, dass ihre Interpretation des Werks aus der Sicht von Opernliebhabern erfolgt, somit die Geschichte genauso erzählt wird, wie sie sich abspielt. Das setzt Bühnenbilder (Leila Fteita) und Kostüme (Nicoletta Ceccolini) voraus, die dem vom Libretto vorgegebenen 16. Jahrhundert entsprechen. Waren die Kostüme besonders schön anzusehen, so zeigte das Bühnenbild, wie mit Geschmack und Stilsicherheit auch mit relativ bescheidenen Mitteln ein überzeugendes Ambiente geschaffen werden kann. Auch die Beleuchtung von Emiliano Pascucci trug das Ihre zur starken Atmosphäre bei.

Mit Freude konnte man feststellen, dass der Chor dieser Koproduktion mit dem sardischen Sassari aus Schülern der Konservatorien von Novara und Alessandria bestand und unter der Leitung von Marco Berrini kraftvoll und präzise sang. Matteo Beltrami, Musikdirektor des Hauses, spornte das ihm mit großer Aufmerksamkeit folgende Orchestra del Teatro Coccia zu einer inspirierten Leistung an, bei der sich Liebe, Dramatik und Frivolität bestens das Gleichgewicht hielten.

Roberto De Candia, aus dem Buffofach bestens bekannt, debütierte in der Titelrolle und hinterließ starken Eindruck. Ohne jemals seine Stimme künstlich zu verbreitern, gab er dem unglücklichen Hofnarren auch mit Hilfe einer vorbildlichen Wortbehandlung scharfes Profil. Ebenso beeindruckte seine Mimik (wie er etwa während Monterones Fluch bei dem Wort „figlia“ geradezu erbleichte). Ein gelungenes Debüt. Gilda war die Polin Aleksandra Kubas-Kruk mit sauberer Linie und sehr einfühlsamer Gestaltung. So wurde ihr „Caro nome“ zum wirklich schwärmerischen Liebesgeständnis eines romantischen jungen Mädchens. Mit Stefan Pop stand ein draufgängerischer Herzog mit auffallend schönem Stimmmaterial auf der Bühne. Der Rumäne hat seit seinem zweiten Platz bei Domingos Operalia 2010 seine Technik stark verbessert und erwies sich auch szenisch auf der Höhe seiner Aufgabe. Sofia Janelidze aus Georgien war mit schön timbriertem Mezzo der undankbaren Rolle der Maddalena mehr als gewachsen.

Ihren Bruder sang der junge Andrea Comelli mit vielversprechenden stimmlichen Mitteln. Sehr positiv fielen weiter Fulvio Fonzi (Monterone), Stefano Marchisio (Marullo) und Didier Pieri (Borsa) auf.

Man darf sich auf die kommenden Produktionen in Novara freuen.               

Eva Pleus 13.10.18

Bilder: Mario Finotti

 

 

 

NABUCCO

Aufführung am 25.2.18

Premiere am 23.2.18   

Diese Produktion war 2016 für die in der „Rete lirica“ zusammengefassten Häuser der Region Marken entstanden (s. meine Besprechung im „Opernfreund“ 11.12./Fano). Nun war sie im nördlicher gelegenen Novara zu sehen, aufgefrischt von Pier Luigi Pizzi persönlich. Der 88-jährige Pizzi, wie immer für Regie, Bühnenbild, Kostüme und Beleuchtung verantwortlich, strafte mit seiner geistigen und körperlichen Regsamkeit jeden Siebzigjährigen Lügen. So war mit veränderter Besetzung wieder eine hochästhetische Aufführung zu sehen, deren Minimalismus durch den Einsatz von Leibwachen mimenden Tänzern (Choreographie: Francesco Marzola) aufgelockert wurde.

Stimmlich stand mit einer kleinen Ausnahme alles zum Besten, ja, die Situation war sogar brillant. Der mongolische Bariton mit dem für Europäer unaussprechlichen Namen Amartuvshin Enkhbat hat in den vergangenen Monaten in Verona, Padua, Parma debütiert und gilt zurecht als größte stimmliche Hoffnung seines Fachs seit Jahren. Der 31-Jährige ließ eine ausladende, weiche, sensationell timbrierte Stimme hören, mit nahtlosem Registerwechsel, prachtvollem Legato und bester Diktion. (Ich kann unseren Lesern nur empfehlen, sich in Youtube auf die Suche nach ihm zu begeben). Dabei protzte er, trotz eines eingelegten hohen 'g', nicht mit der Stimme, sondern ließ die Zuhörer auch ein samtenes Piano genießen. Auch darstellerisch fühlte er sich in der Rolle des assyrischen Machthabers wohl. An seiner Seite die Slowenin Rebeka Lokar, die im Vorjahr in Novara schon mit einer wunderbaren Butterfly begeistert hatte (s. meine Besprechung im „Opernfreund“ 26.2./Novara). Auch für die stimmmordende Rolle der Abigaille verfügte sie über das nötige Material, hatte, ohne je schrill zu werden, die extremen Spitzentöne, stieg aber auch mühelos in die ebenso extremen Tiefen hinab. Ihre szenische Präsenz deckte die machtgierige Sklavin ebenso ab wie die Sterbende, um Vergebung Flehende.

Neben diesem gesanglichen Traumpaar gab es weitere interessante Stimmen zu hören. Der Kroate Marko Mimica verfügt über einen etwas hell timbrierten Bass, dessen tiefe Töne nicht ganz durchschlagskräftig sind, welche Eigenschaften er mit fast allen jüngeren Bässen teilt. Er sang den Zaccaria aber sehr nachdrücklich und ohne auf die Stimme zu hauen. Auch szenisch überzeugte er als religiöser Eiferer. Ismaele war dem Japaner Tatsuya Takahashi anvertraut, der einen frischen Tenor präsentierte, sich schauspielerisch aber stoisch-asiatisch gab. Fenena und Anna kamen aus Georgien: Erstere war Sofia Janelidze mit angenehm timbriertem Mezzo, letztere Madina Karbeli, die in den Ensembles mit sicherer Höhe prunkte. Ein verlässlicher Priester des Baal war Daniele Cusari (dass er der einzige italienische Künstler im Ensemble war, sollten den Leitern der hiesigen Konservatorien zu denken geben). Die einzige negative stimmliche Leistung kam von dem Mazedonier Gjorgji Cuckovski; man war angesichts dieser Leistung froh, dass Abdallo wenig einzeln zu singen hat.

Geleitet wurde die Aufführung von Gianna Fratta, von der man sich manchmal mehr Schwung erwartet hätte, die aber das um Elemente des Konservatoriums von Novara bereicherte Orchester zu sehr präzisem Spiel anhielt. Auch der Chor San Gregorio Magno unter der Leitung von Mauro Rolfi hat seit seinen ersten Auftritten an diesem Haus sehr positive Fortschritte gemacht.

Die Leistungen wurden an diesem Nachmittag ausgiebigst bejubelt.         

Eva Pleus 28.2.18

Bilder: Mario Finotti / Teatro Coccia

 

 

 

DON GIOVANNI

Aufführung am 15.12.17 (Premiere)   

Theorie und Praxis

Diese Produktion entstand in Zusammenarbeit mit Cristina Mutis Ravenna Festival (wo sie im Neuen Jahr gegeben werden wird) und mit dem Festival di Spoleto (in dessen Rahmen sie im Sommer 2017 zur Aufführung kam).

In den das Programm einleitenden Worten des Regisseurs Giorgio Ferrara und seines Dramaturgen René de Ceccatty ist viel vom Dialog eines Atheisten mit dem Tod die Rede, wobei man sich auf den dänischen Philosophen Sören Kierkegaard beruft, dessen Worte denn auch während der Ouverture auf den Vorhang projiziert werden. Alle Figuren sind fast ständig anwesend und betrachten, teilweise unter langen weißen Schleiern, als Untote, als aus den Mausoleen erstandene Figuren das Geschehen um den unermüdlichen Verführer. Die Handlung spielt somit nicht nur auf dem Friedhof, wie in der dafür vorgesehenen Szene, sondern auch in einer Art Krypta. Diese Basis klingt natürlich überzeugend, aber was leider fehlt, ist die szenische Umsetzung dieser Gedanken. Es fehlt also eine Regie, welche die Personen zueinander in Beziehung setzen würde, sodass die Sänger ihrer eigenen schauspielerischen Geschicklichkeit überlassen bleiben.

Die genannte Szenerie wird von den mehrfachen Oscar-Preisträgern Dante Ferretti und seiner Gattin Francesca Lo Schiavo ästhetisch wunderbar umgesetzt, Zypressen, griechische Statuen und eine ferne Kuppel erinnern den Zuschauer an die Atmosphäre von Andrea Palladios Villen, die durchaus den Rahmen für die in Mozarts Oper geschilderten Ereignisse abgeben können. Nicht ganz so glücklich die Kostüme des Modeschöpfers Maurizio Galante, die zwischen historisch inspiriert (etwa Don Giovanni und Leporello) und Empire (z.B. Donna Elvira) schwanken, um den armen Don Ottavio in hellblauer Gewandung ganz zu dem blutlosen Helden zu machen, dessen Profil in jüngeren Inszenierungen etwas männlicher geworden war.

 

 

Durch die Kooperation mit Ravenna stand das von Riccardo Muti gegründete Orchestra Giovanile Luigi Cherubini zur Verfügung, wodurch der musikalischen Leiter des Hauses Matteo Beltrami die Möglichkeit hatte, seine Vorstellungen in besonderer Klangqualität umsetzen zu lassen. Man hörte einen Mozart ohne Zuckerguss, wo die dramatischen Töne auch wirklich zugespitzt wurden. Mozart pur sozusagen, mit gerechter Akzentverteilung zwischen den Wörtern „dramma“ und „giocoso“. Die Titelrolle wurde von dem aus Rhodos gebürtigen Dimitris Tiliakos gesungen, der nicht so sehr die feine Klinge führte („Ständchen“!), als er sich wohler fühlte, wenn er stimmlich auftrumpfen konnte, wie in seiner letzten Szene mit dem Komtur. Szenisch wirkte er eher hölzern, was neben seinem Leporello, dem rollenerfahrenen Andrea Concetti, umso mehr auffiel. Dieser sang den schlitzohrigen Diener sehr lebhaft und kam gut über kleine Schwierigkeiten mit seinem nicht mehr sehr frischen Bass hinweg.

Rein intonierend und mit sehr sicherer Technik sang die Italokanadierin Lucia Cesaroni eine gute Donna Anna, der nur ein etwas volleres Timbre fehlte. Donna Elvira war Francesca Sassu, die – gespielt wurde die Wiener Fassung – die Gelegenheit nutzte, um mit „Mi tradì“ zu brillieren. Der Amerikaner Brian Michael Moore schlug sich mit viel gutem Willen durch seine zwei Arien, muss aber noch sehr an seiner Technik arbeiten. Als Komtur ließ der noch sehr junge Cristian Saitta einen imposanten Naturbass hören, der noch der Veredelung bedarf. Sehr erfreulich war das Paar Zerlina-Masetto in der Gestalt von Arianna Venditelli und Daniel Giulianini, das sich frisch und unbefangen bewegte und gute, ausbaufähige Stimmen hören ließ.

Das Publikum, das in kleineren italienischen Häusern bei Mozart nicht immer so leicht mitgeht, war hörbar angetan und ließ den Künstlern viel Zustimmung zukommen.        

Eva Pleus 22.12.17

Bilder: Mario Finotti

 

 

DELITTO E DOVERE

Aufführung am 27.10.17 (Premiere)

Ironiefrei

Dieses Haus, über das ich schon mehrmals berichten konnte, hat es sich u.a. zur Aufgabe gemacht, jedes Jahr einen Kompositionsauftrag für einen Einakter zu vergeben. Diesmal ging die Einladung an den 1968 in Alessandria (Piemont) geborenen Alberto Colla, der 2002 bereits eine auf Kafkas „Prozess“ basierende Oper geschrieben hatte. Diesmal entschied er sich für eine Erzählung von Oscar Wilde, „Lord Arthur Savile's Verbrechen“, in welcher der große irische Schriftsteller die Doppelmoral des viktorianischen Zeitalters aufs Korn nimmt.

Bei einem Empfang wird Lord Savile von einem Handleser prophezeit, dass er in naher Zukunft einen Mord begehen werde. Savile, der kurz vor der Hochzeit mit Sybil Merton steht, beschließt, diesen Mord vor seiner Verheiratung zu begehen, um seine Verlobte nicht in einen allfälligen Skandal hineinzuziehen. Er händigt unter dem Vorwand eines Medikaments einer alten Cousine ein vergiftetes Bonbon aus, aber als sie stirbt, stellt sich heraus, dass ihr Tod ein natürlicher war. Daraufhin wählt Savile einen Onkel, den er mittels einer präparierten Uhr in die Luft sprengen will, aber es kommt nur zu einer lächerlich kleinen Detonation. Verzweifelt schmiedet der Lord Selbstmordpläne, als er auf einer Londoner Brücke Sir Podgers begegnet, der ihm die Prophezeiung gemacht hatte. Flugs wirft er den Mann in die Themse – der Weg zu einer gutbürgerlichen Existenz ist frei!

Wildes Geschichte ist natürlich mit der bei diesem Autor bekannten Ironie durchtränkt, die von Colla, der auch das Textbuch selbst schrieb, allerdings völlig beiseite gelassen wurde. Auch dramaturgisch ist das Libretto nicht sehr geglückt, denn den entscheidenden Moment der bösen Wahrsagung bekommt der Zuschauer nicht zu sehen. Musikalisch ist das Werk vom Orchester her nicht uninteressant, bleibt aber ohne eigentlichen Höhepunkt. Dies gilt auch für die eher monotone Gesangslinie, die allerdings den Vorteil hat, von den Sängern keine übermenschlichen Intervallsprünge und Ähnliches zu verlangen.

Die Regieanweisungen im Libretto sind hinsichtlich der Bühnenausstattung sehr ausführlich, aber die Regisseure Paolo Gavazzeni und Piero Maranghi beschränkten sich weise darauf, das 65 Minuten lange Werk knapp ausgestattet (Bühnenbild und Beleuchtung: Angelo Linzalata, Zeichnungen: Akos Barat) und in den der dargestellten Epoche entsprechenden, hübschen Kostümen (Nicoletta Ceccolini) zu präsentieren und ihrem jungen Ensemble die Chance zu persönlicher Charakterisierung zu geben.

Tatsächlich entsprachen alle Mitwirkenden dem Persönlichkeitsprofil der von ihnen interpretierten Figuren: Michele Patti mit angenehmem Bariton als Lord Savile, Laura Baudelet mit hübschem Sopran als Sybil, die Mezzosoprane Carlotta Vichi, Rachel O'Brien und Tania Pacilio als Damen der Gesellschaft bzw. zu ermordende Cousine. Morgane Bertrand (Sopran) ergänzte als Herzogin. Vittoriana De Amicis (Sopran) hatte eine nette Szene mit der Erzählung von der missglückten Detonation. Als Handleser Podgers hinterließ der Tenor Didier Pieri nachhaltigen Eindruck, aber auch Pasquale Scircoli als Hotelmanager, Davide Procaccini als Apotheker und vor allem Gabriele Bolletta als verhinderter Bombenbauer Winckelkopf und Partygast Sir Thomas gefielen. Die vom Komponisten aus Wildes „De Profundis“ entnommenen, eingestreuten Texte bewegten das Werk noch weiter von einem satirischen Ansatz weg. Vorgetragen wurden sie von dem Schauspieler Alessandro Tedeschi. Marco Alibrando dirigierte umsichtig das Orchestra Talenti Musicali.

Bei diesem dritten der in Novara vorgestellten zeitgenössischen Werke war das Haus sehr gut besucht, und auch der Beifall für den Komponisten und die Ausführenden fiel mehr als herzlich aus.                                                                                                             

Eva Pleus 31.1O.17

Bilder: Mario Finotti

 

 

CARMEN

Aufführung am 6.10.17 (Premiere)

Wenn die Regie nicht wär...

Seit in den letzten Jahren dank einer motivierten künstlerischen und musikalischen Leitung in dem Dreispartenhaus das Interesse des Publikums an der Oper merklich gestiegen ist, wird die Saison mit einer neuen Opernproduktion eröffnet, während sie früher eben einfach begann.

Dieses Jahr war die Wahl auf Georges Bizets Meisterwerk gefallen, das in den vier Hauptrollen vorzüglich besetzt war, wobei die Titelrolle und Don José von den jeweiligen Künstlern zum ersten Mal gesungen wurden. Alisa Kolosova, von 2011 bis 2014 im Ensemble der Wiener Staatsoper, war eine insofern sehr moderne Carmen, als sie sich vor allem bei Habanera und Seguidilla für einen chansonartigen Tonfall entschied, der sich nach und nach dem immer dramatischer werdenden Geschehen anpasste. Ihr Mezzo ist eine echte Qualitätsstimme mit bruchlosem Registerwechsel, die auch in der Höhe nicht die typische warme Farbe verliert. Azer Zada aus Aserbaidschan ist Besitzer eines angenehm dunkel timbrierten Tenors und als Absolvent der Accademia della Scala bereits im Besitz einer beachtlichen Technik, die ihm vor allem eine ausgezeichnet interpretierte Blumenarie ermöglichte. Seine dramatischen Ausbrüche im 3. Akt scheinen auf eine Weiterentwicklung Richtung lirico spinto zu verweisen. Als Escamillo gefiel Simón Orfila nicht nur durch temperamentvolles, gleichwohl elegantes Auftreten, sondern auch durch die Beherrschung der unangenehmen Tessitura der Rolle. Valeria Sepe war eine Micaela, die sich durch beherztes Auftreten der Larmoyanz ihrer Rolle entzog und mit ihrer Arie im 3. Akt viel Applaus einheimsen konnte. Interessant war die Besetzung von Frasquita und Mercedes mit der blutjungen, höhensicheren Leonora Tess und der (trotz Indisposition) samtstimmigen Giorgia Gazzola. Zu den Nachwuchskräften Gianluca Lentini (Zuniga), Lorenzo Grante (Moralès) und Didier Pieri (ein pfiffiger Remendado) gesellte sich der erfahrene Veteran Paolo Maria Orecchia als Dancaire.

Die glückliche Hand des Musikdirektors Matteo Beltrami und des künstlerischen Sekretärs Renato Bonajuto bei der Auswahl von Besetzungen hatte sich wieder einmal bewährt. Dazu kam Beltramis temperamentvolles Dirigat, das dem Duett José-Micaela seine Süßlichkeit nahm und andererseits den entfesselten Zigeunerrhythmen das nötige Feuer verlieh.

Was dem Abend leider fehlte, war eine überzeugende Regie. Wieder einmal hatte Renata Rapetti, die Intendantin des Hauses, auf einen Namen gesetzt, der in Italien nur außerhalb der Bühne und gar erst der Oper bekannt ist. Der angesehene Filmregisseur und -darsteller Sergio Rubini versuchte sich erstmals an einer Opernregie, und das hat leider nicht funktioniert (trotz immerhin 20 Tagen Probenzeit).

Konnte man angesichts nicht allzu voller Kassen das Bühnenbild von Luca Gobbi, das sich in zwei Treppen jeweils rechts und links auf der Szene erschöpfte, akzeptieren, wollte man angesichts der teilweise überzeugenden Kostüme von Patrizia Chericoni darüber hinweg sehen, dass die Zigarettenarbeiterinnen schwarze, bis zum halben Oberschenkel reichende Seidenstrümpfe trugen, die Freudenmädchen besser angestanden wären, so war der tapfer singende Coro San Gregorio Magno, einstudiert von Mauro Rolfi, vollkommen sich selbst überlassen, was auch für die Solisten gilt. Wer ein gewisses schauspielerisches Talent besaß, ließ sich etwas einfallen, wer nicht, stand hilflos herum (wie leider Don José). Als im letzten Akt ein großgewachsener Farbiger mit Stierkopf und spärlich mit einem Tanga bekleidet hereingetragen wurde, wurde es schwierig, nicht zu schmunzeln, und als José Carmen vor versammelter Menge erstach und diese Menge dann der Toten mit roten Tüchlein zuwinkte, wurde man als Zuschauer ratlos.

Da die musikalische Seite so überzeugend ausgefallen war, wurde der Abend dennoch zu einem mit viel Applaus bedankten Erfolg.                                                                   Eva Pleus 10.10.17

Bilder: Mario Finotti

 

 

 

MADAMA BUTTERFLY     

Premiere am 24.2.17

Gott, war das schön!

Das war eine der erschütterndsten Produktionen, die ich in meinem an Vorstellungen des Meisterwerks von Giacomo Puccini reichen Opernleben gesehen und gehört habe. Doch bevor über die stimmige Inszenierung berichtet werden soll, möchte ich die Interpretin der Titelrolle vorstellen, die Slowenin Rebeka Lokar.

Die aus Marburg stammende Künstlerin wurde zunächst als Mezzo ausgebildet und sattelte Ende 2010 auf Sopran um. In diesem Fach singt sie so dramatische Rollen wie Abigaille, Turandot oder Manon Lescaut. Für mich war sie in diesem ihrem Rollendebüt eine richtige Entdeckung, denn es handelt sich um eine wirklich große Stimme mit apartem Timbre, die auf fundierter Technik aufbaut. Dazu ist die groß gewachsene Sängerin eine intensive Gestalterin, die auch mimisch viel zu bieten hat. Es gab nicht nur nach „Un bel dì vedremo“ Szenenapplaus, sondern es wurde zweimal im 2. Akt spontan geklatscht, weil sich das Publikum ihrer Leistung nicht entziehen konnte. Ich muss gestehen, dass ich alle meinen bei der trotz des großartigen Dirigats von Riccardo Chailly kalt lassenden Produktion der Scala-Eröffnung 2016/17 nicht vergossenen Tränen hier freien Lauf lassen konnte...

Sehr berührend im Spiel und mit pastosem Mezzo war die Suzuki der Georgierin Sofia Janelidze und besonders scharf charakterisiert der verschlagen-komödiantische Goro des Spaniers Jorge Juan Morata. Der Pinkerton von Ivan Defabiani ließ mehr sein hochinteressantes, strahlendes Material sprechen, als die Figur zu verkörpern, aber das passt eigentlich ganz gut zu dem oberflächlich fühlenden Mann. Sehr elegant, zunächst distanziert, dann mitfühlend gestaltete Sergio Bologna den Sharpless. Der Italokanadier Enrico Rinaldo gab einen bedrohlichen Zio Bonzo, Vittoria Vimercati eine verschüchtert wirkende Kate Pinkerton. Nur der Yamadori von Lorenzo Malagola Barbieri klang recht brüchig. Intensiv und beteiligt spielte die kleine Susanna Gallese Butterflys Kind Dolore.

Damit wären wir bei der Regie von Renato Bonajuto, die im traditionellen Rahmen der wunderbar pastellfarbenen Ausstattung von Laura Marocchino auf allzu aufdringliches Trippeln der weiblichen Figuren verzichtete und die Tragödie der „kleinen Japanerin“ intensiv herausarbeitete bis hin zum selten so eindringlich gesehenen Selbstmord. Es war auch bewundernswert, wie es dem Regisseur gelang, die eher klein gewachsenen Interpreten von Pinkerton und Sharpless (aber vor allem natürlich den ersteren im 1. Akt) immer so zu gruppieren, dass das Gardemaß der Sopranistin nicht störte und es zu einem eindrucksvollen Liebesduett kam, obwohl sich die Partner nie im Stehen umarmten. Das nenne ich Handwerk im positivsten Sinn!

Auch der von Mauro Rolfi einstudierte Coro San Gregorio Magno hat sich in den Jahren, seit er in Novara zum Einsatz kommt, stark verbessert und gefiel speziell mit dem fein austarierten Summchor. Am Pult des Orchestra del Teatro Coccia (Dozenten und Meisterschüler des Konservatoriums der Stadt im Piemont) stand mit Matteo Beltrami der Musikdirektor des Hauses und ließ Puccinis so zu Unrecht wiederholt (z.B. von Gérard Mortier, dem ich diese Behauptung über das Grab hinaus nicht verzeihen kann) als kitschig bezeichnete Musik in all ihrer Modernität und bestürzenden Dramatik wiedergeben.

Ein mit größter Begeisterung aufgenommener Abend.                         

Eva Pleus 26.2.17

Bilder: Finotti / Mainino / Moro-Dessì

 

 

LA RIVALE

Premiere am 1.12.16 .

Callas forever

 

Im Jahr 2007 erschien die Erzählung „La rivale“ des franko-belgischen Autors Eric-Emanuelle Schmitt, die die Kunst der Maria Callas verherrlicht. Der Autor verwendet dafür den Trick, einen früheren Opernstar nach dreißig Jahren Abwesenheit aus Argentinien nach Mailand zurückkehren zu lassen, wo die Sängerin sich einer Scala-Führung anschließt. Sie, die zuvor an dem Haus bejubelt wurde, hatte sich zurückgezogen, als der Stern der Callas aufging, der sie die Schuld an ihrem Absturz gab. Nun wird sie wieder von der Vergangenheit eingeholt, denn auch bei der Führung ist ständig von der Callas die Rede, im Plattengeschäft findet sie keine eigenen Aufnahmen. Als sich ein Opernfan, den sie für einen Verehrer hielt, auch als Callasfan outet und sie in die Jury eines Wettbewerbs einladen will, der den Namen der Divina trägt, erleidet sie einen Infarkt und stirbt.

Ich kenne die Erzählung nicht und habe auch nicht herausgefunden, ob sie je auf Deutsch erschienen ist. Sie scheint trotz der tragischen Handlung durchaus auch ironische Glanzlichter zu haben, die nun von Alberto Mattioli, der das Libretto für ein neues Musikwerk schrieb, genutzt wurden. Es handelt sich um ein Auftragswerk des Teatro Coccia, das schon das dritte Jahr seinen Spielplan um eine zeitgenössische Komposition bereichert. Gewünscht wurde ein Einakter, der auch unterhaltsame Seiten zeigen sollte. Das ist Mattioli ganz ausgezeichnet gelungen, denn er nimmt die Welt der Oper liebevoll auf die Schaufel, zeigt die kleinen Schwächen der Gesangsstars, umgekehrt aber auch die auch in sogenannten Fachgeschäften immer mehr um sich greifende Ignoranz. Besonders köstlich ist denn auch die Szene, in welcher Carmela Astolfi, die frühere Diva, bei zwei von der Oper völlig unbeleckten Verkäuferinnen (die aber in der Klassikabteilung arbeiten!) nach ihren Plattenaufnahmen sucht. Hier hat auch der Komponist Marco Taralli einen Höhepunkt gesetzt, indem er die jüngere Verkäuferin, die mit ihren Kopfhörern Rap hört, dazu in Koloraturen à la Königin der Nacht singen lässt. Seine Musik ist nicht besonders originell, aber gut geschrieben, und ermöglicht auch ein gutes Textverständnis seitens des Hörers, was bei den vielen Seitenhieben auf die Welt der Oper besonders wichtig ist.

Als gealterte Sopranistin Astolfi war Tiziana Fabbricini ganz in ihrem Element, musste diese schauspielerisch so begabte Sängerin in ihrer Roll doch immer wieder in Erinnerungen schwelgen und sich blitzschnell von einer alten in die junge Künstlerin und zurück verwandeln. Die vom Komponisten verlangte Art des Sprechgesangs beherrschte sie zudem perfekt. Ihre junge Begleiterin, von Mattioli mit einem Augenzwinkern Annina genannt, wurde eindringlich von dem Mezzo Simona Di Capua verkörpert. Der Tenor Giulio Pelligra hatte zwei Rollen inne, nämlich den Gigolo Salvatore, der sich von der Astolfi aushalten lässt, und den Priester Don Bartolo (!), der das Begräbnis der Sopranistin zelebriert, bei dem als allerletzter Coup die Stimme der Callas mit „Vissi d'arte“ erklingt. Eindrücklich der Bariton Daniele Piscopo als die Führung leitender Billetteur, in einer Doppelrolle die blutjunge Sopranistin Eleonora Buratto als Touristin und ältere Verkäuferin. Eine brillante stimmliche Leistung erbrachte der Koloratursopran Giulia Perusi als deren junge Kollegin, und auch Daniele Cusari als Opern- und Callasfan Antonio fiel durch einen angenehmen Bass auf.

Vorbildlich aneinander angepasst waren die musikalische Leitung und die Regie. Letztere lag in Händen von Manu Lalli, die im angedeuteten Bühnenbild (nach einer Idee von Daniele Leone) die Sänger zu befreit spontanem Spiel anhielt, erstere war dem Musikdirektor des Hauses Matteo Beltrami anvertraut, der die in ihrem Wechsel zwischen E und U nicht immer einfach zu spielende Musik mit dem Orchestra Talenti Musicali vorbildlich einstudiert hatte. Dieser Klangkörper besteht aus den besten Absolventen der Konservatorien von Piemont und Aosta-Tal, denen mit Hilfe von Stipendien die Möglichkeit gegeben wird, sich an angesehenen in- und ausländischen Akademien zu perfektionieren und die seit 2012 schon unter so bekannten Namen wie Riccardo Muti, Luciano Chailly, Gianandrea Noseda oder Pavel Berman gespielt haben.

Das gut verkaufte Haus, in dem viele Jugendliche vertreten waren, spendete eifrig überaus herzlichen Beifall.                                                                                 

Eva Pleus 10.12.16

Bilder: Mario Finotti / Teatro Coccia

 

 

 

AIDA

Premiere am 7.10.16

Beachtlich!

Vor fünf Jahren wurde die Leitung des ziemlich herabgewirtschaftete Hauses (ein „Teatro di tradizione“, was ungefähr dem dreispartigen Stadttheater nördlich der Alpen entspricht) von Renata Rapetti, die aus dem Sprechtheaterbereich kommt, übernommen. Bei der Wahl des segretario artistico, der für die Besetzung der Opernproduktionen verantwortlich ist, hatte sie eine glückliche Hand, denn der aus Novara stammende Regisseur Renato Bonajuto ist in Sängerkreisen bestens eingeführt, und es gelingt ihm immer wieder, auch bekannte Namen zu für das Haus besonders günstigen Konditionen zu verpflichten. Daneben wird auch dem Nachwuchs eine Chance gegeben, was in der vorigen Saison eine triumphale Wiedergabe von Rossinis „Viaggio a Reims“ hervorbrachte (siehe „Merker“ Nr. 307 vom November 2015). Dieser Erfolg führte dazu, dass Matteo Beltrami, der in Novara bereits andere erfolgreiche Produktionen, wie etwa „Norma“ und „Turandot“, geleitet hatte, zum Musikdirektor des Hauses ernannt wurde. In der Tat hatten die Erfolge der vergangenen Jahre zu einem stark gesteigerten Interesse an den Opernproduktionen geführt.

Und so hat man sich in Novara einen Brocken wie „Aida“ vorgenommen. Der Tradition folgend, nicht immer gestandene Opernregisseure zu berufen, verpflichtete Rapetti zwei Herren – den künstlerischen Leiter der Arena di Verona Paolo Gavazzeni und den Direktor des zum TV-Konzern von Sky gehörenden Unternehmens Classica HD Piero Maranghi. Die beiden gingen mit großem Respekt vor Verdis Oper ans Werk, und es ist ihnen gelungen, eine traditionelle, aber sehr stimmige Inszenierung zu schaffen. Großen Anteil daran hatten die geschmackvollen Kostüme, aber speziell das Bühnenbild von Leila Fteita. Verschiebbare Wände gaben die Möglichkeit, alle Schauplätze überzeugend darzustellen, unterstützt auch durch eine raffinierte Lichtregie von Angelo Linzalata, die Wüstenatmosphäre unter brennender Sonne ebenso suggerierte wie (besonders schön) den Zauber der nächtlichen Nilszene. Nicht vergessen werden darf die phantasievolle Choreographie von Simona Bucci, die aus den tanzenden Mohren kleine ägyptische Buben machte, die sich bereits im Kriegshandwerk üben. Es zeigte sich wieder einmal, wie eindrucksvoll mit beschränkten Mitteln Theater gemacht werden kann. (Sehr suggestiv z.B. der Triumphmarsch durch die Mittelreihe des Parketts).

War der visuelle Eindruck schon überzeugend, so war die musikalische Wiedergabe nichts weniger als mitreißend. Beltrami muss mit dem Orchester des Konservatoriums „Guido Cantelli“ Novara mit unheimlicher Intensität gearbeitet haben, denn die opernunerfahrenen jungen Leute (die ihre Professoren als Pultführer hatten) brachten einen Klang zustande, der einem Profiorchester der Mittelklasse wohl angestanden wäre. Und dass Beltrami ein exzeptioneller Sängerbegleiter ist, hat sich schon herumgesprochen. Der Coro San Gregorio Magno, der in den vergangenen Jahren noch etwas zu wünschen übrig ließ, wurde um den Coro del Ticino bereichert und brachte es unter der Leitung von Mauro Rolfi (und mit tatkräftiger Unterstützung Beltramis) zu einer sehr guten Leistung.

Für die Titelrolle war die Kolumbianerin Alexandra Zabala, im Vorjahr bei Rossini eine gefeierte Corinna, verpflichtet worden. Sie gehört zu den Sängerinnen, die nie forcieren und setzte ihren voll lyrischen Sopran mit größter Raffinesse ein, erfreute mit wunderbaren filati und einer herrlichen Nilarie. So gingen die paar tiefen Töne, über die sie nicht verfügt, dem Hörer nicht ab. Ihr Radamès Walter Fraccaro war stimmlich das Gegenteil der Geliebten, denn er verfügt über ein wahrlich raumsprengendes Organ und zelebriert die heldischen Spitzentöne mit Lust, nahm aber im 3. und 4. Akt durchaus Rücksicht auf seine Partnerin. Eine leidenschaftliche Amneris war die Arena-erprobte Bulgarin Sanja Anastasia, die der Pharaonentochter glaubwürdiges Profil verlieh und in der Priesterszene groß aufdrehte. Ein paar stimmliche Schärfen nimmt man da gerne in Kauf. Elia Fabbian war ein recht derber Amonasro (und außerdem angesichts der farbigen Komparsen für die besiegten Äthiopier zu hell geschminkt). Der noch junge Antonio Di Matteo ließ als Ramphis einen interessanten Bass hören, an dessen Höhe noch zu arbeiten sein wird. Interessant auch das Material von Gianluca Lentini (König), angenehm der Sopran von Marta Calcaterra als Priesterin. Etwas befangen (Lampenfieber?) klang der Bote des jungen Türken Murat Can Guvem.

Der Premierenerfolg war so durchschlagend, dass wegen der großen Kartennachfrage statt der vorgesehenen einzigen Reprise eine weitere Vorstellung angesetzt werden musste. (Außerdem wird die Aufzeichnung im Dezember im neuen 360º-Verfahren im Fernsehen gezeigt). Weiter so, Novara!                                                                                                     

Eva Pleus 15.10.16

Bilder (c) Mario Finotti / Teatro Coccia

 

 

IL VIAGGIO A REIMS

Aufführungen am 9. und 11.10.15 (Premiere am 9.10.)

Bombenstimmung

Das Teatro Coccia in der 50 km von Mailand gelegenen, aber nicht mehr zur Lombardei, sondern schon zum Piemont gehörenden 100.000 Einwohner-Stadt Novara wird als Dreispartenhaus geführt, das viel mit Gastspielen arbeitet, eröffnet wird die Saison aber immer mit einer im eigenen Haus erarbeiteten Opernproduktion. Die Wahl war diesmal auf Rossinis von Claudio Abbado für Pesaro wiederentdecktes und in der Folge populär gewordenes Werk gefallen, das für ein Theater dieser Größenordnung mit seinem schmalen Budget eine rechte Herausforderung darstellt.

Zu berichten ist aber von einer überaus gelungenen Arbeit, die riesigen Erfolg hatte. Entgegen der Befürchtungen hatte der vom Fernsehen kommende Regisseur Giampiero Solari die richtige Zugangsweise zu dieser als Kantate entstandenen „Oper“ gefunden, indem er einerseits den zahlreichen Personen einer praktisch inexistenten Handlung starkes Profil verlieh, und andererseits mit Hilfe des Bühnenbilds von Angelo Linzalata viel Bewegung schuf: Die drehbare Platte in der Bühnenmitte setzte sich wiederholt in Bewegung, während ein schräg über der Bühnenmitte platzierter Spiegel die Figuren in ihren wunderschönen Kostümen von Ester Marcovecchio zeigten, was sehr hübsche farbliche Effekte ergab. Der Spiegel zeigte aber auch das Spiel der Harfenistin bei der Dichterin Corinna erster Arie (die vom Rang herab erklang) oder ein Porträt Karl X., zu dessen Ehre die Komposition ja geschrieben worden war. Bewegung kam auch von vier Profirollschuhläufern, die elegant als Kellner durch die Gegend flitzten.

Um angesichts der langen Besetzungsliste auf anderer Seite zu sparen, war das Orchester des Konservatoriums „Guido Cantelli“ (der mit 36 Jahren einem Flugzeugunglück zum Opfer gefallene brillante Dirigent stammte aus Novara) engagiert worden. Diese Entscheidung mochte man im Vorfeld mit Skepsis betrachten, denn den Studenten waren nur einige Profis als Pultführer zur Seite gestellt worden. Der Dirigent Matteo Beltrami zeigte aber, was man mit positiv eingestellten jungen Leuten erzielen kann und präsentierte eine Arbeit, die man in Novara nicht so schnell vergessen wird. Die perfekte Maschinerie von Rossinis Einfällen lief auf Hochtouren, es gab keinen Moment des Spannungsabfalls, die Stunde und 40 Minuten des ersten Teils vergingen wie im Flug und wurden von einem so rasanten wie präzisen Finale I gekrönt, das dem Publikum den Beifall förmlich aus den Händen riss. Unter all den ausgezeichneten jungen Leuten ist zusätzlich der brillante zwanzigjährige Flötist hervorzuheben. Die Continuobegleitung war diesmal dem Cello anvertraut (eine von der Musikwissenschaft erst in jüngerer Zeit wiederentdeckte Form der Begleitung, die in Italien bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch geübt wurde ). Fernando Caida Greco kam dieser Aufgabe mit viel Phantasie und Esprit nach. Auch der Coro San Gregorio Magno unter Mauro Rolfi war vokal und szenisch zufriedenstellend vertreten.

Alexandra Zabala aus Kolumbien sang mit samtweichem Sopran eine wunderbar lyrische Corinna ; ihr würde man gerne sehr bald wieder begegnen. Die zweite außerordentliche Stimme war der Mezzo der erst 26-jährigen Teresa Iervolino, die eine temperamentvolle Melibea sang, die sich in ihrem großen Duett mit Libenskof nicht vor ihrer berühmten Vorgängerin Valentini-Terrani zu verstecken brauchte. Der russische General war dem dreißigjährigen Argentinier Francisco Brito anvertraut, der einen nicht sehr umfangreichen, aber schöntimbrierten Tenor hören ließ, der ideal für Rossini war (und mich ein wenig an den unvergessenen Luigi Alva gemahnte). Die andere, nicht minder schwierige Tenorrolle des Belfiore sang Giulio Pellligra mit schon über Rossini hinausreichender romantischer Stimmgebung. Mit unglaublichen, spielend bis zum hohen „g“ reichenden Spitzentönen prunkte die Kubanerin Maria Aleida in der Rolle der Contessa Folleville. Francesca Sassu war eine pikante, in Abwesenheit ihres Gatten dem Flirten nicht abgeneigte Madama Cortese. Elegant trat Paolo Pecchioli als Lord Sidney auf, der seine schwierige Arie, die eigentlich nur Samuel Ramey wirklich perfekt beherrschte, achtbar vortrug. Ein szenisch sehr präsenter Don Profondo war der junge Pietro Di Bianco, der an seinem Stimmumfang noch arbeiten muss. Als Trombonok warf Bruno Praticò seine ganze Buffoerfahrung in die Waagschale. Angenehm in Stimme und Erscheinung war der Don Alvaro von Gianluca Margheri, und das Gleiche gilt für die Vertreter der kleineren Rollen wie Rocco Cavalluzzi (Don Prudenzio), Murat Can Güvem (Don Luigino), Carlotta Vichi (Maddalena), Sofio Janelidze (Modestina), Nicola Pisaniello (Zefirino/Gelsomino) und Stefano Marchisio (Antonio).

Eigentlich hatte ich vorgehabt, nur zur Premiere zu fahren, aber die Vorstellung war ein solcher Genuss, dass ich zur ersten (und einzigen) Reprise wiederkehrte. Auch diesmal war das Publikum ganz aus dem Häuschen, was Beltrami veranlasste, nach einigen Verbeugungstouren der Künstler seine Assistentin Manuela Ranno in den Graben zu schicken, wo sie (auch für die Sänger eine Überraschung) nochmals das den ersten Teil des Werks beendende „Gran pezzo concertato a 14 voci“ anstimmen ließ. Die Sänger, der Dirigent, aber auch der Cellist sangen dieses Glanzstück mit Enthusiasmus noch einmal, woraufhin das Publikums überhaupt nicht mehr zu halten war.

Diese Aufführung und ihr Erfolg werden in die Annalen des Hauses eingehen. Da sie aber auch für das Fernsehen aufgezeichnet wurde, besteht die Hoffnung, sich auf Sky Classic in nicht allzu langer Zeit wieder an dieser Produktion zu erfreuen.

Eva Pleus 14.10.15

Bilder: Mario Finotti

 

 

 

LA TRAVIATA

Premiere am 10.10.14

Die Saisoneröffnung des Dreispartenhauses der zwischen Mailand und Turin gelegenen Stadt fand genau am Geburtstag von Giuseppe Verdi statt. Mit Daniele Abbado (Regie), Andrea Battistoni am Pult und dem Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI waren Namen aufgeboten, von denen man sich rechtens einiges erwarten durfte.

Leider waren es genau diese, die solch berechtigte Erwartungen enttäuschten. Da war zunächst die Regie: Unsere Wiener Leser kennen ja Abbados missglückten „Don Carlo“ an der Staatsoper. Nun, bei dieser „Traviata“ liefen die Dinge nicht viel besser, denn offenbar kann der Regisseur nicht mit dem Chor umgehen (wobei der Coro Schola Cantorum San Gregorio Magno unter Mauro Rolfi recht anständig sang). Die Choristen wurden samt den Comprimari in einem Kreis herumgejagt, wobei man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, die berühmte Salzburger Willy Decker-Regie wäre dazu Pate gestanden, nur dass hier alles holprig wirkte. Ebenso von jener Regie abgekupfert war der Einfall, Violetta von vier der Gäste im 1. Akt ausgestreckt auf Händen tragen zu lassen, wobei die vier sichtlich bemüht waren, niemandem auf die Füße zu steigen – unfreiwillig komisch!

Für Bühnenbild, Kostüme und Licht war Angelo Linzalata verantwortlich: Es dominierte der Minimalismus, da es in den grauen Wänden gerade einmal ein Sofa und einen Stuhl gab. Auch hier Widersprüche der Regie, wenn Anina auftritt, ohne dass Violetta nach ihr geläutet hat und ihr im letzten Bild auch nicht das verlangte Glas Wasser reicht und keine Vorhänge öffnet. Dafür ist die Titelrollenträgerin auch während Alfredos „Dei miei bollenti spiriti“ anwesend, ebenso wie Dr. Grenvil das ganze letzte Bild hindurch. Recht gut gelöst hingegen die Szene, wenn Alfredo Violetta das gewonnene Geld hinschleudert und sich geradezu auf sie wirft. Schlimm dafür die Ballettszene im 3. Bild (Choreographie: Simona Bucci), in der die Tänzer so gar nicht zur minimalistischen Atmosphäre und auch zum Text der Matadores und Zigeunerinnen passten, ganz zu schweigen von den in Violettas Zimmer eindringenden Karnevalsgestalten im 3. Akt (an sich eine gute Idee, um die Distanz zwischen der leidenden Protagonistin und dem Treiben draußen zu versinnbildlichen, aber leider in höchst lächerlicher Durchführung).

Andrea Battistoni, 1987 in Verona geboren, ist eine Art Wunderkind am Dirigentenpult, das ich auch schon Gelegenheit hatte, zu loben. Allerdings stieg auch er die Karriereleiter etwas zu rasch hinauf, und wieder einmal stellte sich heraus, dass großes Talent nicht gleich Genialität bedeutet und Erfahrung durch nichts zu ersetzen ist (auch ein Carlos Kleiber hat in der deutschen Provinz einst „I due Foscari“ dirigiert…). Battistoni hatte immer wieder gute Einfälle, ließ die Bläser zum Beispiel wiederholt einen klagenden Ton unterstreichen, aber nicht nur mit dem Chor geriet er in den Ensembles bisweilen ganz schön auseinander. Dazu kam, dass das Orchester der RAI wenig Gelegenheit hat, Oper zu spielen, was seine Begleitfunktion wesentlich erschwerte.

Zum Glück war die Trägerin der Titelrolle in der Lage, sozusagen freihändig eine große Gestaltung abzuliefern: Aurelia Florian, ab kommender Saison in München im Ensemble engagiert, sang einen sehr guten, aber noch nicht mitreißenden ersten Akt, um sich dann unerhört zu steigern und das letzte Bild, ganz ohne regieliche Unterstützung, mit größter Intensität zu gestalten. Ihr reiner Sopran besitzt eindringlich lyrisches Timbre und blüht in der Höhe sehr schön auf. Von der jungen Rumänin ist mit Sicherheit noch einiges zu erwarten. Fast so intensiv umjubelt wie sie wurde Simone Piazzola, der mit seinen 29 Jahren eine tatsächlich ausgereifte Stimme hören lässt und die „segni d’espressione“ Verdis umsetzt wie schon lange kein Bariton mehr. Bei ihm machte sich das Fehlen jeglicher Anleitung durch den Regisseur leider stark bemerkbar, denn sein einziges szenisches Ausdrucksmittel war, mit dem linken Arm zu rudern – im so knapp beschickten Rahmen der Verdibariton ist er natürlich willkommen (wenn er sich noch etwas Zeit lässt und nicht gleich die ganz großen Partien angeht, wie mit der „Macht des Schicksals“ in Valencia geschehen und leider in den kommenden Monaten für die Titelrolle in „Simon Boccanegra“ in Venedig vorgesehen). Vincenzo Costanzo bringt für den Alfredo mit, dass er jung (23-jährig) und fesch ist, also eindeutig zu wenig. Im 1. Akt saß die Stimme ganz hinten in der Kehle, und nachdem er sie von dort herausgeholt hatte, forcierte er, dass sich die Bühnenbretter bogen. Man fragt sich manchmal wirklich, welche Lehrer bzw. Berater diese jungen Leute haben! Bei den Comprimari seien Marta Calcaterra als anrührende Annina und Giampiero Cicino als beweglicher Marchese hervorgehoben.

Vor allem für Sopran und Bariton große Begeisterung beim Publikum.  

Eva Pleus 18.10.14

Bilder: Mario Finotti / Teatro Coccia

 

 

TOSCA

Premiere 17.1.2014

Sparefroh

Auch diese Produktion in dem schönen Teatro Coccia der in der Nähe von Mailand (Lombardei) gelegenen, aber zum Piemont gehörigen Stadt stand ganz im Zeichen größter Sparsamkeit. So verwendete der (auch für die passenden historischen Kostüme verantwortliche) Bühnenbildner Justin Arienti Teile der Verschalung des Orchestergrabens, um die Illusion der Kirche Sant’Andrea della Valle herzustellen. Dazu kamen verschieden hohe Stufenarrangements auf beiden Bühnenseiten, die sich auch im 2. Akt wiederfanden und eine bewegungsreiche Regie ermöglichten. Der 3. Akt zeigte nur eine Rampe rechts, von der sich Tosca (mit dem toten Cavaradossi in den Armen) in die Tiefe stürzte.

Die Regie von Fabio Ceresa präsentierte neben dem neuartigen Todessprung Toscas noch andere interessante Einfälle. So erfrischte der erschöpfte Angelotti zum Beispiel sein Gesicht im Weihwasserbecken, und besonders gelungen war der Einfall, Scarpia n seinen Räumlichkeiten à la Marat in eine Badewanne zu setzen, sodass er nachher nur im Schlafrock seiner Begierde nach Tosca Ausdruck verlieh. Als störend empfand ich hingegen die zur Präsenz gewordene Marchesa Attavanti, die in der Kirche umherirrte und während der Einleitung zum 3. Akt von ihrem toten Bruder Abschied nahm. Seltsamerweise sang sie auch die Melodie des Hirtenknaben. Im Ganzen handelte es sich aber um eine zwar traditionelle, aber um großteils gute Ideen angereicherte Produktion.

Die Titelrolle wurde von der Rumänin Cellia Costea mit interessant dunkel gefärbtem Sopran und überzeugendem Auftreten verkörpert. Die gut aussehende Sängerin gab eine temperamentvolle Frau und Künstlerin und sang ein sehr inniges „Vissi d’arte“. Dass das hohe C der „lama“ im 3. Akt über das Ziel hinausschoss, sei nur der Ordnung halber erwähnt. Einen großartigen Scarpia spielte Ivan Inverardi, der die Auffassung von einem widerlichen, brutalen Kerl ohne Hemmungen überzeugend umsetzte. Sein kraftvoller Bariton beherrschte die Szene mühelos. Erfreulich auch die Beiträge von Daniele Cusari und Davide Pelissero, ersterer ein auffallend sauber singender Angelotti, letzterer ein Mesner ohne Blödeleien, einfach ein erschreckter Mensch. Saverio Pugliese (Spoletta), Massimiliano Galli (Sciarrone), Radu Pintilie (Kerkermeister) und Alessandra Ferrari (Attavanti/Hirte) ergänzten zufriedenstellend. Schwachpunkt der Aufführung war der Cavaradossi von Lorenzo Decaro, dessen Tenor irgendwo hinten im Hals verschwunden war und bei den diversen Stemmversuchen seines Besitzers regelmäßig zerbröselte. Zurück zum Gesangslehrer!

Gut hielt sich der Coro Schola Cantorum San Gregorio Magno, während Valerio Galli am Pult einige Mühe hatte, das Orchestra Filarmonica del Piemonte zu sauberem Spiel zu animieren – die Orchestermusiker vermochten nicht immer in der verlangten Qualität den Anweisungen des Maestros zu folgen.                                                                                           

Eva Pleus 25.1.                                     Bilder Credit: Mario Mainin

 

 

 

NORMA

Aufführung 6.12.2013 (Premiere)

Sensationeller Bellini am Teatro Coccia

Diese Produktion hatte mich schon im Mai 2012 in Turin beeindruckt, und da sie vom Teatro Regio an den kleinen Bruder in seiner Region Piemont verliehen wurde, lag es nahe, die wenigen Kilometer, die Novara von Mailand trennen, zurückzulegen, um sich neuerlich an der im positiven Sinn konservativen Inszenierung des verstorbenen Alberto Fassini, die auch hier von Vittorio Borrelli betreut wurde, zu erfreuen, denn mit Ausnahme der für den Herrenchor nicht unbedingt kleidsamen Kostüme war die Ausstattung von William Orlandi für das Auge erfreulich, besonders was die abstrakten Felswände anbelangt, die einen immer neuen szenischen Hintergrund ergaben.

Auch sollten die beiden Protagonistinnen dieselben wie in Turin sein, nämlich Maria Billeri in der Titelrolle und Veronica Simeoni als Adalgisa. Leider fiel Billeri einer schweren Verkühlung zum Opfer und musste drei Tage vor der Premiere absagen. Norma gehört bekanntlich zu den schwierigsten Rollen des gesamten italienischen Repertoires überhaupt, und es gibt nicht sehr viele erstklassige Vertreterinnen der Partie. Zum Glück stellte sich Alessandra Rezza zur Verfügung und gestaltete eine Norma, an die man noch lange denken wird, so sicher präsentierte sie die rasche Koloratur, so gemeißelt klangen die Rezitative. Mit seiner dunklen Fülle ist der Sopran der Künstlerin ideal für die Figur der Druidenpriesterin, die sie bis zum Schluß mit scheinbarer Mühelosigkeit singt. Ihr einziges Problem liegt in der Anbindung der extremen Spitzentöne, die klirrend klingen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass nach imposantem Beginn die Karriere der Sopranistin zu stagnieren scheint. Veronica Simeoni war wieder das Idealbild einer Adalgisa, deren mädchenhafte Grazie im Auftreten in ihrem hellen, warm timbrierten Mezzo (der außerdem ideal zu Rezzas dunklem Sopran passte) die perfekte Entsprechung fand. Die Duette der beiden Frauen waren wie von einem Zauber durchtränkt, den der Pollione von Roberto Aronica mit dem für die unsympathische Rolle richtigen Machogehabe störte. Aronicas Tenor ist enorm gewachsen, und er hatte mit der Spintorolle (ja, Spintorolle! Hier gab es keine „philologischen“ Versuche mit Piepsstimmen!) nicht das geringste Problem. Mit Ausnahme einer gepressten Höhe klang der Bass des jungen Luca Tittoto als Oroveso mehr als vielsprechend. Als Clotilde fiel Alessandra Masini mit klangvollem Mezzo und teilnahmsvollem Spiel auf. Giacomo Patti bewährte sich als Flavio.

Es war aber Matteo Beltrami, der dem Abend den endgültigen Stempel des Triumphes aufdrückte. Ganz anders als sein gleichfalls vorzüglicher Kollege Mariotti in Turin wählte er entschiedenere Tempi, die auch in den berühmten elegischen Bögen Bellinis aufdeckten, dass die Nerven der verkörperten Figuren blank lagen. Schon während des Schlussterzetts des 1. Aktes wusste man, dass man einem bedeutenden Abend beiwohnte – am Ende der Oper war das Publikum ganz aus dem Häuschen. Angesichts der Leistung, die Beltrami aus dem Orchestra Filarmonica del Piemonte und dem Coro Schola Cantorum San Gregorio Magno, zwei nicht gerade erstklassigen Institutionen, herausholte, wollte man kaum glauben, dass er das Werk zum ersten Mal dirigierte.

Mit diesem Abend hat das Teatro Coccia auf dem steinigen Weg zu einem eigenen Profil einen bedeutenden Schritt vorwärts getan.                                                     

Eva Pleus 29.12.13                           Produktionsbilder: Theatro Coccia

 

 

MACBETH

4.10.13

In der zwischen Mailand und Turin mit ihren großen Häusern gelegenen Stadt hat es das Operntheater nicht leicht, sich zwischen Sprechtheatergastspielen, Jazz, Lesungen und Ballett einen entsprechenden Rang zu erwerben. Es trägt den Namen von Carlo Coccia (Neapel, 1782 - Novara, 1873), der ab 1840 als Domkapellmeister die Nachfolge von Saverio Mercadante angetreten und bis zu seinem Tod innegehabt hatte. Nach Jahren, in denen nur irgendwie durchgewurstelt wurde, hatte man im Vorjahr die Dinge auf eine neue Basis gestellt und die Saison erfolgreich mit Cimarosas „Matrimonio segreto“ eröffnet.

Heuer galt die Eröffnungspremiere dem Jahresregenten Verdi und dessen „Macbeth“. Neuerlich war ein mit den Theatergegebenheiten wenig vertrauter, aber (auch international) bekannter Regisseur berufen worden: Dario Argento ist heute 73 Jahre alt und für seine eine Mischung aus Horror und Krimi darstellenden Filme der Siebziger- und Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts bekannt. Im Vorfeld hatte er mitgeteilt, dass er die Handlung in den ersten Weltkrieg verlegen und nicht mit der Darstellung der damit verbundenen Greuel sparen würde. Hatte man ihm das ausgeredet oder waren die Mittel für eine aufwendige Inszenierung nicht vorhanden, Tatsache ist jedenfalls, dass man sich einer absolut minimalistischen Interpretation gegenübersah. Gab es im 1. Bild zumindest noch zwei am Galgen baumelnde Figuren und ein paar malerisch hingestreckte Tote, so reduzierte sich das Bild mit Bancos Ermordung auf die Darstellung zweier Baumstämme, die zweite Hexenbefragung auf ein kleines Feuer, und in der Nachtwandelszene und Arie des Protagonisten im 4. Akt gab es überhaupt nur mehr einen Fauteuil zu sehen. Da der für das Bühnenbild verantwortliche Angelo Linzalata eine sehr gute Lichtregie führte, wäre das Ambiente durchaus brauchbar gewesen, wenn – ja wenn Argento darin wirklich Regie geführt hätte. Der erste Weltkrieg war nur durch die Uniformen der Häscher mit ihren Bajonetten zu erahnen (Kostüme: Elena Bianchini, übrigens ausgesprochen unvorteilhaft für die Lady). Zwischen den Personen gab es überhaupt keine Spannungsfelder, die Choristen traten sich beim Verlassen der Bühne gegenseitig auf die Füße. Duncans Ermordung wurde auf einer Art Fernsehschirm gezeigt, und das war es auch schon.

Unter solchen Voraussetzungen war ein qualitatives Aufholen für die musikalische Seite extrem schwierig. Und der ins Dirigentenfach gewechselte Tenor Giuseppe Sabbatini tat es dem Großteil seiner dirigierenden Sängerkollegen (für mich bildet eigentlich nur José Cura eine Ausnahme) gleich und achtete darauf, seinen früheren Sangeskollegen nicht weh zu tun. Das bedeutete aber leider nicht einmal eine erfreulich gute Begleitung, sondern schlug sich in zögerlichen Tempi und lähmenden Generalpausen nieder. Das neu engagierte Orchestra Filarmonica del Piemonte hatte dem nichts entgegenzusetzen. Der von Mauro Rolfi einstudierte Coro Schola Cantorum San Gregorio Magno schnitt bei den Herren besser ab als bei den Damen, wo vor allem die Farben der Mezzosoprane fehlten.

Die Titelrolle wurde von Giuseppe Altomare verkörpert, einem Sänger, der stilistisch wüsste, wie es geht, dem aber die stimmlichen Mittel für eine überzeugende Umsetzung fehlen, und dessen brüchiger Bariton manchmal das Schlimmste befürchten ließ. Als Lady versuchte Dimitra Theodossiou eine Interpretation mit den von Verdi gewünschten fahlen Farben, aber ihr Sopran reagierte auf diese Bemühungen nicht, sodass „La luce langue“ fast wie gesprochen klang. Etwas besser die Nachtwandelszene, aber auch hier ergab sich kein stimmlicher Bogen. Passabel der Banco des Giorgio Giuseppini, während Dario Di Vietri (Macduff) trotz interessanten Materials noch zu sehr nach einem Gesangsschüler klang. Vielversprechender ertönte der klare Tenor von Ernesto Petti als Malcolm. Eine auffallend gute Dama war Valeria Sepe, deren Auftritt durch den kompetenten Arzt von Radu Pintillie ergänzt wurde.

Fazit: Da ab der nächsten Produktion („Norma“ im Dezember) die neue künstlerische Leitung endlich alleinverantwortlich ist, steht zu hoffen, dass die Ambitionen des Hauses eine überzeugendere Erfüllung finden werden.                                                      

Eva Pleus / 6.10.13

 

 

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