DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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http://www.theater-aachen.de/

 

Blasses Spektakel

Turandot

Premiere: 20.2.2022

 

Lieber Opernfreund-Freund,

gerade noch konnte ich Ihnen begeistert von der bewegenden Voix humaine-Premiere in Theater Mörgens in Aachen berichten. Puccinis Schwanengesang Turandot hatte nun gestern im großen Haus Premiere und bliebt trotz allen Pomps szenisch weiter hinter den Möglichkeiten des Werkes zurück und hallt weit weniger nach, als der Poulenc am Tag zuvor.

 

 

Ewa Teilmans verlegt die Geschichte um die kalte Prinzessin in eine unbestimmte Zukunft und lässt sich dazu von Elisabeth Pedross die ohnehin nicht übergroße Bühne des Aachener Theaters durch hohe Mauern weiter verengen, in denen sich immer wieder wabenförmige Fenster öffnen, aus denen gleichgeschaltet das Volk hervorlugt. Die Massenszenen mit glänzend agierendem Chor unter der Leitung von Jori Klomp geraten dadurch – wie eigentlich fast alles – zum bloßen Herumgestehe, es ist schlicht kein Platz für Bewegung. So kann sich der dem Werk vor allem in den hymnischen Szenen eigene Pomp nicht entfalten, auch wirkt das nichts sagende Beige der Kulissen, als seien die nicht rechtzeitig fertig geworden. Bewusst ohne Asienkitsch will Teilmans die Geschichte erzählen, stellt den Akten eingesprochene Interviews mit den Protagonisten der Geschichte voran, um die Hintergründe für deren Handeln zu beleuchten. Die alienhafte Turandot – so fremd dürfte die chinesische Welt den Europäern vor hundert Jahren in etwa wohl auch erschienen sein – wird von Sarah Borchardt in einem ausladenden Kleid wie aus überdimensionaler Luftpolsterfolie geschützt. Die übrigen Rollen werden in uniformartige Anzüge gesteckt, die – dann doch wieder – an asiatische Designermode unserer Tage erinnert.

 

 

Diese Schlichtheit spiegelt sich allerdings nicht in den Szenen, in denen von Goldflitter über Zombies, die Urnen vor sich her tragen, bis hin zu Schaukeln, auf denen Ping, Pang und Pong zur Abwechslung einmal ein wenig Bewegung in die statische Inszenierung bringen, alles geboten wird. Dabei lässt die wenig präzise Lichtregie so manchen Sänger im Schatten stehen und verstärkt dadurch den Eindruck, Zuschauer von etwas Unfertigem, Unausgegorenen zu sein. Was im Theater Mörgens am bereits erwähnten Abend zuvor noch einen besonderen Zauber entfaltete, wirkt auf der großen Bühne deplatziert. Doch die Geschichte und Puccinis Musik wirken auch vor dieser Kulisse.

 

 

In der Titelrolle – und das kann man nicht anders ausdrücken – brilliert Leyla Martinucci mit eiskaltem Sopran und nicht nachlassender Kraft, verkörpert die Prinzessin, die nicht lieben will, voller Inbrunst und zeigt dabei auch darstellerisch deren innere Zerrissenheit überzeugend. Ensemblemitglied Larisa Akbari als Rivalin und stimmlicher Gegenpart spinnt als Liu traumhafte Töne wie aus Seide und gibt aufopfert die liebende Sklavin. Als Timur (ein Extralob für dessen Maske) beeindruckt David Jerusalem mit durchdringendem Bass, während die drei Minister ein herrliches Gespann sind: Soon-Wook Ka zeigt als Pang seinen feinen Tenor, Victor Campos Leal ist ein wohlklingender Pong mit überragendem komödiantischem Talent und Alexander Kalina überzeugt als Leader of the pack Ping und als Mandarin, der als Deus ex machina die Rätselspielregeln verkündet, gleichermaßen.

 

 

Dagegen gar nicht gepackt hat mich der Kalaf von Timothy Richards. Seine an sich klangschöne Stimme bleibt in der Höhe allzu glanzlos, seine Interpretation an sich wenig seelenvoll; das ist schade, stehen ihm doch zwei so wunderbar intensiv interpretierende Sängerinnen wie Leyla Martinucci und Larisa Akbari zur Seite. Weit mehr Seele und Italianità legt GMD Christopher Ward im Graben in seine ausgewogene Interpretation des Werks, lässt schwelgerischen Puccini erklingen, ohne ihn in allzu viel Süße zu ertränken, und gibt im Alfano-Schluss richtig Gas, ohne allzu pathetisch zu werden.

Das Publikum reißt es nach dem letzten Ton wortwörtlich von den Sitzen, aufbrausender und nicht enden wollender Jubel ergießt sich über alle Beteiligten samt Regieteam. Bezüglich Herrn Richards kann ich die Begeisterung nicht nur nicht teilen, sondern gar nicht erst verstehen. Es scheint sich einmal mehr zu bewahrheiten, dass ein Schlager ein Schlager ist und zum Jubeln einlädt, egal, wer ihn singt.

 

Ihr
Jochen Rüth

21.02.2022

Die Fotos stammen von Marie-Luise Manthei.

 

Poulencs Voix humaine

Jean Cocteaus Monooper

Lieber Opernfreund-Freund,

in einer Kooperation der Schauspiel- mit der Musiktheatersparte des Theaters Aachen hatte gestern La voix humaine/Die menschliche Stimme am Theater Mörgens in Aachen Premiere. Dabei werden Poulencs Monooper und die literarische Vorlage von Jean Cocteau einander gegenübergestellt. Das Experiment gerät dank der beiden Ausnahmekünstlerinnen Stefanie Rösner und Suzanne Jerosme zum bewegenden Theaterabend.

 

 

Eine Frau telefoniert mit der Liebe ihres Lebens. Der Mann hat sie verlassen und sie damit in tiefes Unglück gestürzt. In einem Telefongespräch versucht die Frau, die im Stück wie ihr männlicher Gesprächspartner namenlos bleibt, sich dieses Unglück nicht anmerken zu lassen, doch die Fassade bröckelt – verstärkt auch durch die wiederholten Unterbrechungen des Telefongesprächs – und Schmerz, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit brechen sich Bahn. Besonderen Reiz erhält dieser Plot dadurch, dass wir nur hören, was die Frau sagt; was genau ihr Exfreund ihr erwidert, welche Themen er anschneidet, lässt sich nur die die verbalen und nonverbalen Reaktionen der Frau erahnen. Am Ende bleibt offen, ob die Frau sich mit der Telefonschnur erdrosselt.

 

 

Clara Hinterberger und Tommy Wiesner deuten bei der Realisierung dieses Projektes den Schluss dahingehend, dass die Verlassene weiterleben will. Zuvor hat sie sich aus dem Netz befreit, in dem sie die alte Beziehung gefangen hielt. Die Protagonistinnen enthüllen in den rund eineinhalb Stunden eine goldene Kulisse, die einem Zerrspiegel gleich sukzessive einen veränderten Blick auf sich selbst ermöglicht. Die über weite Teile des Abends quer über die Bühne verlaufenden Schnüre wecken unwillkürlich eine Telefonschnurassoziation, wie in einem Spinnennetz halten sie die Frau aber gefangen. Erst mit der Aufarbeitung ihrer Beziehung im Telefongespräch und mit dem Sicheingestehen der neuen Situation ermöglicht sich die Frau eine neue, eine eigene Zukunft. Dabei werden die einzelnen Phasen des Gesprächs als Sprechtheater eingeführt und dann musikalisch wiederholt und umgekehrt. Das führt unwillkürlich zu immenser Verstärkung der Reaktion beim Publikum, das hautnah Zeuge dieser Katharsis wird.

 

 

Dass dieser Ansatz so gut funktioniert, ist vor allem den beiden Darstellerinnen der Frau geschuldet. Mit exzeptioneller Intensität machen Stefanie Rösner und Suzanne Jerosme die Seelenzustände ihrer Figur, die Verzweiflung, aber auch die Metamorphose hin zur befreiten Frau greifbar. Rösners intensives Spiel stellt einem die Nackenhaare auf, Jerosmes Gesang geht unter die Haut. Ganz wahrhaftig lassen die beiden das Publikum in das Innerste der Frau blicken und erwecken den Eindruck, man könne dabei auch ihr Innerstes selbst sehen. Dabei verstärken Gesang und Spiel sich gegenseitig und führen zu einem intensiven (Musik-)Theatererlebnis. Dass die Sängerin ihrer Schauspielkollegin dabei auch darstellerisch in nichts nachsteht, ist nicht selbstverständlich und deshalb umso erwähnenswerter.

 

 

Der intime Rahmen des Theatersaals, in dem das Publikum direkt an der zentriert platzierten Spielfläche sitzt, und die intime Atmosphäre des Stücks erfahren in der intimen Klavierbegleitung von Younghee Hwang die logische Fortsetzung. Die Pianistin begleitet das Bühnengeschehen einfühlsam auf der einen und höchst dramatisch auf der anderen Seite. Zwischen den Szenen spielen Hinterberger und Wiesner teilweise Versatzstücke aus bereits Gesprochenen oder Musikfetzen und Videosequenzen mit den drei beteiligten Künstlerinnen ein und schaffen so konsequent eine Atmosphäre des Inneren, geben den Zuschauer das Gefühl, die Seele der Frau erkunden zu können. Das Publikum ist am Ende das Abends begeistert und feiert diese Symbiose der Kunstformen mit lang anhaltendem Jubel. In den stimme ich gerne ein und bin auch heute – am Tag danach – noch immer ergriffen von der Intensität, mit der Suzanne Jerosme und Stefanie Rösner mich an ihrer Kunst haben teilhaben lassen.

Ihr
Jochen Rüth

20.02.2022

Die Fotos stammen von Ludwig Koerfer

 

Auf dem Weg zur Selbstbestimmung
Carmen in Aachen

Premiere: 31.10.2021
besuchte Vorstellung: 10.12.2021

 

Lieber Opernfreund-Freund,

in einer packenden Inszenierung ist Bizets Carmen derzeit in Aachen zu sehen. Regisseurin Lucia Astigarraga zeigt die Geschichte der Schmugglerin als bewegende Entwicklung hin zu Freiheit und Selbstbestimmung. Tolle Sänger und ein engagiertes Orchester sorgen für einen nahezu perfekten Abend.

 

Als Geschichte einer Freundschaft könnte man den Abend überschreiben. Lucia Astigarraga lässt Carmen, Mercédès und Remendado zwischen den Bildern als Kinder auftreten und zeigt deren Entwicklung zu den Persönlichkeiten, die sie als Erwachsene sind. Im ersten Akt ist Carmen aber noch keineswegs die mutige Freiheitskämpferin, sondern eine nur vermeintlich starke Frau, die den Männern noch als Spielzeug herhalten muss. Im Laufe des Abends lässt Astigarraga sich die Titelfigur zur selbstbestimmten Frau entwickeln, die ihren freien Willen unter keinen Umständen unterordnet und lieber ihr Leben lässt, als ihre Freiheit zu opfern. Zu Beginn von der Männerwelt benutzt, ist es am Ende sie, die mit den Männern spielt. Ganz nebenbei entwickelt sich der kleine Remendado vom schüchternen Jungen zur emanzipierten Transperson. Dank seines strahlenden Tenors sticht der junge Marcel Oleniecki, Stipendiat der Theater Initiative Aachen, dabei nicht nur optisch aus der glänzend besetzten Schar der kleineren Rollen hervor.

 

So wie die Figur Carmen die Männer von ihrem ersten Auftritt an zu hypnotisieren scheint, so zieht mich die junge Französin Fanny Lustaud durch ihren expressiven Gesang und ihr leidenschaftlichen Spiel in ihren Bann. Ihr ausdrucksstarker Mezzo zeigt alle Farben, die man von dieser Rolle erwartet – und noch mehr. Dass sie vor vier Jahren noch Mitglied des Opernstudios in Straßbourg war, ist kaum zu glauben, so routiniert IST sie Carmen an diesem Freitag und spielt sich förmlich die Seele aus dem Leib. Da braucht es kein Flamencokleid, um spanisches Lokalkolorit zu zeigen – auch wenn das eingestreute Akkordeon oder auf Baskisch gesungene einzelne Textzeilen interessante Akzente setzen. Die farbenfrohen Kostüme von Annemarie Bulla lassen sich zu Beginn unseres Jahrtausends verorten und machen so den Ansatz von Regisseurin Astigarraga allgegenwärtig. Die Bühne von Aida Leonor Guardia ist auf ein paar fast überflüssige Gerüste annähernd leer, so kann sich das exquisite Licht von Manuel Michels vortrefflich entfalten.

 

Zum Beispiel, in der Blumenarie, die Carlos Pelizari – und das kann man wörtlich nehmen – zum Besten gibt. Er ist kein Don José mit endlosen Spitzentönen voller Virilität, sondern ein emotionsgeladener Tenor, der die Gefühlsseite seiner Figur betont und in deren Verzweiflung wahrlich zu Tränen rührt. Anne-Aurore Cochets Michaela hingegen ist mir über weite Strecken nicht zart genug. Die junge Sängerin verfügt über einen Sopran von feinster Farbe, trumpft aber nach meinem Dafürhalten als junges, unschuldiges Ding vom Lande stimmlich zu sehr auf. Voller Wucht ist auch der Escamillo von Csaba Kotlár, der als umjubelter Torero-Star glänzt und mit vor allem in der Höhe eindrucksvollem Bariton seine Männlichkeit zeigt.

 

Bestens aufgelegt zeigen sich die Damen und Herren des Chores. Von Jori Klomp betreut, überzeugen sie durch ausgelassene Spielfreude und lebendige Gestaltung und zeigen das pralle Leben. Ein wahres Feuerwerk entfacht GMD Christopher Ward im Graben. Mit flotten Tempi haucht er Bizets Partitur von den ersten Takten der bespielten Ouvertüre an Leben ein, findet aber zum Beispiel in der Kartenarie genügend Ruhe, um den gefühlvollem Gesang auf der Bühne Raum zu geben und sich Emotionen entfalten zu lassen. Auch in den klanglich eindrucksvollen Passagen fühlt er sich wohl, bis hin zum vom Lucia Astigarraga naturalistisch gezeigten Finale. Eine perfekte Mischung ist dieser Abend also und zeigt, dass Oper modern und lebendig sein kann. Die allseits bekannten Melodien der Carmen eignen sich natürlich als idealer Einstieg für Opern-Neulinge. Ob es Ihnen allerdings noch gelingen wird, Tickets für eine Vorstellung unter den Weihnachtsbaum zu legen, ist fraglich. Viele Vorstellungen sind unter den derzeitigen Coronabedingungen nahezu ausverkauft, denn es gilt: eine Carmen geht immer – eine so gute allemal!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, lieber Opernfreund-Freund, ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins Neue Jahr.

 

Jochen Rüth, 16.12.21

 

 

 

 

 

Philip Glass

„La Belle et la Bete“

Premiere 26.08.2021

 

Einfach schön

 

Die Bühne ist im Schummerlicht, wenn der Zuschauer den Saal des Aachener Theaters betritt. Schemenhaft erkennt mal Kulissenteile auf der offenen Bühne, der Titel des Stücks prangt projiziert an der Bühnenrückwand. Doch kaum erklingt der erste Ton der Ouvertüre erwacht diese scheinbare Tristesse zum Leben. Da tauchen Figuren auf, deuten mit einfachsten Mitteln etwas an, bewegen sich fast tänzerisch über die Bühne. Mit holzschnittartiger Grobheit eines Stummfilms agieren die Figuren.

Hier merkt man gleich die Handschrift der Regisseurin, denn in Aachen konnte man niemand geringeren als Reinhild Hoffmann, neben Pina Bausch eine der Pionierinnen des modernen Tanztheaters, verpflichten und das ist ein wahrer Glücksgriff für das Stück.

Philip Glass schrieb dieses kammermusikalisch besetzte Werk nach dem gleichnamigen Film von Jean Cocteau aus dem Jahre 1946. „La Belle et la Bete“ erzählt die Geschichte der schönen Belle, die mit ihren giftigen Schwestern im Hause ihres Vaters lebt. Als dieser sich im Wald verirrt, gerät er in die Fänge des Biests, ein verwunschener Prinz der sein Dasein als Art Mischwesen aus Mensch und Tier fristet, der ihn gefangen nimmt. Belle bietet sich im Tausch gegen ihren Vater an und es beginnt eine bewegende Liebesgeschichte zwischen den beiden so ungleichen Protagonisten.

 

 

Glass Oper ist sicherlich ein Märchen, doch verzichtet der Komponist auf allen Opern-Pomp und große Gesten. Gleichsam der Musik ist hier auch die gesamte Anlage des Stücks im besten Sinne minimalistisch gehalten. In Aachen unterstreicht die auf das Wesentliche reduzierte Ästhetik der Inszenierung genau diesen Aspekt des Stückes. Der Bühnenraum bleibt die rund 90 Minuten des Stücks offen und es sind immer wieder nur Kleinigkeiten, die sich ändern – hölzerne Dreiecke als stilisierte Tannenbäume, einfache Holzplanken, die mal Tisch, mal Bett mal Tür sind. Das alles wird von einem perfekt aufeinander abgestimmten Ensemble in feingliedriger Choreographie bewegt und kreiert so immer wieder aufs Neue Räume und Orte, die schon wenige Sekunden später wieder Vergangenheit sind. Was hier vielleicht unsinnlich klingen mag, erzeugt aber eine beeindruckende in sich geschlossene Bildsprache, die den Sog von Stück und Musik nur betont. Die Inszenierung beeindruckt hier einmal mehr, dass sie eben kein plüschiges Märchen zaubert, was das Stück vielleicht durchaus hergeben würde, sondern dass sie den Zuschauer auf eine Reise mitnimmt, die so einfach wie schön die Phantasie als wichtigstes Mittel nennt.

Bühne, Musik, Sänger und Handlung finden in einem Fluss zusammen und das macht beim Zuschauen und Zuhören einfach nur Freude.

 

 

Am Pult des klein besetzten Aachener Sinfonieorchesters steht mit Mathis Groß ein Dirigent, der einen fein nuancierten Glass musiziert. Mit viel Klarheit hält er Bühne und Graben exzellent zusammen und entlockt der minimalistischen Musik bei aller Konstruiertheit nicht selten Wärme und Emotion. Glass richtig musiziert ist mehr als nur aufgebrochene Dreiklänge, er vermag sehr wohl einen Sog, einen schwelgerischen Rausch zu entfalten und genau das ist hier der Fall. Die Musiker, die teils solistisch agieren musizieren hervorragend.

 

 

Auf der Bühne zeigt sich ein ausgesprochen spielfreudiges und engagiertes Ensemble. Die Premiere, die eigentlich für den Dezember 2020 geplant war, musste zwei Mal verschoben werden und so scheint es nachvollziehbar, mit welcher Lust die Singenden ans Werk gegangen sind. Fanny Lustaud singt eine herzerwärmende Belle, die im Spiel zutiefst berührt. Als Biest konnte kurzfristig Rafael Bruck verpflichtet werden, der mit weichem Bariton trotz martialischem Kostüm die zarte und verletzliche Seele seiner Figur erkennen lässt. Mit sonorem Bass legt Pawel Lawreszuk die Partie des Vaters an. Larisa Akbari und Irina Popova geben die garstigen Schwestern Felice und Adelaide und überzeugen neben exzellentem Gesang durch große Spielfreude und teils herrliches komödiantisches Talent. Mit viel Energie geht Ronan Collett an die Partie des Avenant, ihm zur Seite steht, manchmal etwas über die Maßen kraftvoll und laute Stephen Barchi. Michael Krinner als L’Usurier und Arvid Fagerfjäll als L’Officiell du Port liefern Solides in ihren kleinen Partien ab.

 

 

 Dem Theater Aachen ist mit dieser Produktion ein furioser Saisonauftakt gelungen. Eine mitreißende Inszenierung und eine exzellente musikalische Leistung sorgten beim Publikum am Ende des Abends für langen, euphorischen Beifall.

 

Sebastian Jacobs

Fotos © Carl Brunn


Der Apotheker 

Premiere: 02.07.2021
besuchte Vorstellung: 03.07.2021

Haydn-Rarität

Lieber Opernfreund-Freund,

die pandemiebedingten Beschränkungen bieten die Chance, selten gespielte Werke für kleine Besetzung mit wenigen Akteuren (wieder) zu entdecken und fördern dabei so manches musikalische Juwel zutage. Lo Speziale, zu Deutsch Der Apotheker von Joseph Haydn ist so ein Edelstein, den sie nach nur zwei Live-Vorstellungen am vergangenen Wochenende nun kostenlos im Online-Stream auf der Homepage des Theaters entdecken können, auch wenn nicht jede Facette gleich stark funkelt.

Die Handlung ist rasch erzählt: Der Apotheker Sempronio möchte sein Mündel Grilletta (nicht zu verwechseln mit der DDR-Version des Hamburgers) heiraten, um an ihre Mitgift zu kommen. Die hat ihr Herz jedoch an den Apothekergehilfen Mengone verschenkt. Der arbeitet nur bei Sempronio, um Grilletta täglich nahe sein zu können, kommt aber ansonsten nicht recht zu Potte. Außerdem verkompliziert das Werben des jungen Lebemannes Volpino die Lage; beim Notartermin erscheinen Mengone und Volpino gleich als zwei angebliche Notare, die den Ehevertrag nach ihren Wünschen anpassen. Die von allen Angebetete hat die Nase voll und schickt gleich alle drei zum Teufel.

 

 

So schlicht wie die Story ist auch die Bühnengestaltung von Dorien Thomsen. Ein langer Tresen bietet die Kulisse für den Schwank, einige Fläschchen mit Arzneien und umso mehr Zeitungen, die Sempronio fortwährend liest, um sich an Klatsch und Tratsch zu ergötzen, bilden die wenigen Requisiten. Nahezu avantgardistisch muten die Kostüme von Sandra Linde an, Perücken und Make-Up muten wie eine Mischung aus Klaus Nomi und Frankensteins Braut aus dem Jahr 1935 an. Coronakonform wird von der Regisseurin Ramona Bartsch auf der Bühne penibel auf Abstand geachtet, selbst in den Liebesszenen sind körperliche Nähe oder gar Berührungen ausgeschlossen. Überhaupt hält das Theater Aachen penibel die Vorgaben bzgl. Hygiene und Abstand ein. Kontaktdaten sind bei Kartenbestellung anzugeben und das Theater erinnert nochmals aktiv per e-mail an die Rahmenbedingungen eines gelungenen Theaterbesuchs in diesen besonderen Zeiten. Mit rund 120 besetzten Plätzen ist das Haus unter den gegeben Umständen ausverkauft, das Stück ist gekürzt (der ohnehin unvollständig gebliebene Finalakt samt Versöhnung und Verlobung von Grilletta und Mengone fehlt), damit man ohne Pause und unter einer Stunde spielen kann – und so kommt der Schluss dann recht abrupt und ohne musikalisches Finalbrimborium daher.

 

 

Musikalisch entfachen das Sinfonieorchester Aachen unter der Leitung des Australiers Benjamin Bayl einen originellen, harmonisch spannenden Melodienreigen in bester Buffomanier, der sich durchaus zu entdecken lohnt, und die vier Protagonisten sind mit viel Herzblut und ansteckender Spielfreude bei der Sache. Schade, dass Marcel Oleniecki in der Titelrolle zu Beginn bei Intonation und Koloraturen ein gewisses Maß an Präzision vermissen lässt und erst in der zweiten Hälfte mit seiner großen Arie begeistert – das macht er allerding mit dem größten komödiantischen Talent des Abends wett. Der klanglich ausgewogene Spieltenor von Hyunhan Hwang macht ebenso Lust auf mehr wie die samtenen Töne von Mezzosopranistin Rosha Fitzhowle in der Hosenrolle des Volpino. Mit viel Gefühl und zahlreichen klanglichen Nuancen gibt Anna Graf die Grilletta und komplettiert so das junge Ensemble.

Falls Sie, lieber Opernfreund-Freund, selbst sehen und hören wollen, werden Sie hier fündig: https://www.theateraachen.de/de_DE/apotheker

 

Ihr
Jochen Rüth

 

05.07.2021

 

Die Fotos stammen von Carl Brunn.

 

 

 

LA CALISTO

An dieser Stelle war eine Polemik unseres Kollegen Hamacher zu lesen, der seine (nota bene) subjektiven Eindrücke zu den Hygienemaßnahmen am Rande und während der Vorstellung dargelegt hatte.

Inzwischen hat uns eine Abmahnung durch einen an der Produktion Beteiligten erreicht, in welcher wir von einer Anwaltskanzlei zu einer umfangreichen Unterlassungserklärung aufgefordert werden.

Die geforderte Erklärung hat unser Herausgeber am heutigen Tag ohne Anerkennung einer Rechtspflicht der Anwaltskanzlei zugeleitet.

Wir haben zur Kenntnis genommen, daß Produktionsbeteiligte sich zu unrecht getroffen fühlten. Den entsprechenden Text, auf den ihr Gram zurückzuführen ist, haben wir gelöscht. Uns ist daran gelegen, diesen Konflikt nicht eskalieren zu lassen. Von unserer Seite mag es damit sein Bewenden haben.


13.11.2020 (Die Redaktion)

 

 

Das schreiben unsere Kollegen

OMM

Die Einsamkeit der Sterne

 

DEUTSCHE BÜHNE

Barocke Filterblasen

 

 

 

Pique Dame

Premiere am 9.02.2020

Alles außer Trockeneis – Ewa Teilmans gibt alles

 

Lieber Opernfreund-Freund,

Tschaikowskys vor 130 Jahren uraufgeführte Pique Dame ist seit gestern in Aachen zu erleben. Ewa Teilmans hat sich allerhand einfallen lassen, um die Geschichte nach Alexander Puschkins gleichnamiger Erzählung Leben einzuhauchen. Dabei zündet dann zwar nicht jede Idee, doch gelingen der Regisseurin und dem leistungsstarken Ensemble ein durchweg unterhaltsamer und spannender Opernabend.

Hermanns Wahn wird zum Dreh- und Angelpunkt und ist, wenn es nach Ewa Teilmans geht, schon in dessen Kindheit angelegt. Während der bespielten Ouvertüre wird erzählt, dass er ein Dasein als Kindersoldat fristen muss, während Lisa in ein Märchenbuch vertieft eine behütete Kindheit vergönnt ist. Der an sich öde Einheitsbühnenraum von Elisabeth Pedross ermöglicht ein Spiel auf mehreren Ebene, die obere Hälfte der lindgrünen Kulisse ist beweglich und verengt dann und wann den Raum, allenfalls wird da oder dort eine Treppe postiert, mehr Dekor gönnt Teilmans dem Zuschauer über weite Strecken nicht und erzählt doch mit Hilfe der Protagonisten sehr viel. Das Objekt von Hermanns Begierde, die drei Karten, die unglaubliche Gewinne beim Kartenspiel verheißen, lässt sie fast omnipräsent als drei mit Totenmasken ausstaffierte Tänzer auf der Bühne; sie umgarnen Hermann und locken ihn ins Verderben. Seine Gefühle zu Lisa scheinen anfangs aufrichtig, werden aber im Laufe der Erzählung, in der er immer mehr dem Wahn anheimfällt, zusehends in den Hintergrund gedrängt von seiner Fixierung auf das Geheimnis der titelgebenden Gräfin. Die scheint selbst erotischen Gefallen an dem jungen, ungestümen deutschen Offizier zu finden. Überhaupt ist Erotik ein ambivalentes Thema bei Teilmans: zum einen lässt sie die Gräfin Hermann ihre bestrapsten Beine zeigen, lädt also das Geschehen erotisch auf, um auf der anderen Seite den eindeutig frivolen Gesang Tomskijs im letzten Bild reichlich zahm und mit entschärften Übertiteln zu präsentieren. Ob es grundsätzlich Sinn macht, Lisa ein lesbisches Verhältnis mit Pauline zu unterstellen, sei dahingestellt. In jedem Fall bleibt unklar, ob Lisa, als sie Hermanns Geisteszustand erkennt, statt in die Newa doch eher zu ihrer Geliebten zurück geht.

Auf der anderen Seite überrascht Ewa Teilmans mit der gelungensten Umsetzung des glücklicherweise nicht gestrichenen Schäferspiels, das ich je habe erleben dürfen, um nach der Pause beim überhaupt insgesamt recht groben Licht von Dirk Sarach-Craig eine groteske und unfreiwillig komische, statt irgendwie bedrohliche Version der Szene zu zeigen, in der die tote Gräfin ihr Geheimnis preisgibt. Die wunderbar-variantenreichen Kostüme von Andreas Becker zeigen eindeutig 20. Jahrhundert; allein die Gräfin scheint in ihrer barocken Robe mit ausladendem Unterrock und Gehstock aus der Zeit gefallen. Hinreißende Choreografien von Ken Bridgen wechseln sich mit dümmlichem Chorgezappel ab und so entstehen szenisch viele, viele, fast zu viele Eindrücke unterschiedlicher Qualität und unterschiedlichen Mehrwerts für das Stück und seinen Inhalt. Letztendlich aber bietet die Lesart der Regisseurin beste Musiktheaterunterhaltung, auch wenn dabei nicht jede Idee aufgeht.

 

Uneingeschränkt hingerissen bin ich von der Leistung Cooper Nolans als Hermann. Er verfügt über einen Tenor dunkler Färbung, trumpft mit bombensicherer Höhe auf und zeichnet die vielen Facetten des Offiziers vom liebenden Underdog zum wahnsinnig gewordenen Spielfanatiker in jeder Sekunde stimmlich wie darstellerisch überzeugend. Lisa stelle ich mir zu Beginn genau so vor, wie Larisa Akbari sie anlegt: hin und hergerissen, fein, zerbrechlich. Allerdings hätte ich mir in der zweiten Hälfte des Abends ein bisschen mehr klangliche Substanz von der an ausdrucksstarken Sängerin erhofft; da wird der farbschöne Sopran der jungen Russin bisweilen aber einfach spitz statt zwischen Verzweiflung und Nachdruck schwankend. Der Brite Ronan Collett zeigt als verstoßener Fürst Jeletzkij seinen Wärme verströmenden Bariton, während die Pauline von Fanny Lustaud mit ihrer satten Tiefe hervorragend zum klaren Sopran von Larisa Akbari passt. Livia Budai ist eine erhabene Gräfin, gestaltet die Erinnerungsarie mit viel Sentiment und glänzt durch unübertroffene Bühnenpräsenz, während Hrólfur Sæmundsson ein packender Tomskij ist und eher draufgängerisch daherkommt.

Die Chöre wurden von Jori Klomp exzellent betreut und singen nicht nur hervorragend, sondern zeigen auch die sinnentleerteste, an Olympia aus Hoffmanns Erzählung erinnernde Choreographie engagiert und mit großem Eifer. Im Graben entblättert Christopher Ward die russische Seele des Werkes, wählt teils gemessene Tempi, interpretiert genau, lässt es an passender Stelle allerdings auch hymnisch tönen und präsentiert so einen wunderbaren Tschaikowsky. Das Publikum ist trotz der Sturmwarnung komplett erschienen und füllt das Theater bis auf den letzten Platz. Begeisterung und großer Jubel machen sich nach Verklingen des letzten Tones breit; schier endlos werden alle Beteiligten mit Standing Ovations und Klatschmarsch gefeiert. Ganz so überwältigt bin ich nun nicht, kann Ihnen die Umsetzung von Tschaikowskys vielleicht schönster Oper am westlichsten Theater Deutschlands aber dennoch guten Gewissens ans Herz legen.

Ihr
Jochen Rüth

10.02.2020

 

Die Fotos stammen von Will van Iersel.

 

 

 

Anno Schreier

Der Zauberer von Oz

Uraufführung: 8. Dezember 2019

 

Als im Frühjahr Anno Schreiers Oper „Schade, dass sie eine Hure war“ im Februar 2019 in Düsseldorf uraufgeführt wurde, waren Publikum und Presse aufgrund des munteren Stilpluralismus der Musik ratlos: „Meint der Komponist das ernst?“, fragte man sich, und: „Warum braucht man ausgerechnet dieses Drama als Oper?“ Bei der Aachener Uraufführung von Schreiers „Der Zauberer von Oz“ stellen sich diese Fragen nicht, denn dieses Werk ist als eine „Oper für die ganze Familie“ konzipiert.

Am ehesten musste man sich vor der Premiere fragen, ob die Geschichte von Dorothys Reise durch das Land des Zauberers von Oz überhaupt eine Chance als Oper haben würde? Schließlich ist der Film mit Judy Garland ein Klassiker und Lieder wie „Somewhere over the rainbow“ und „Follow the yellow brick road“ sind untrennbar mit dem Stoff verbunden.

Schreiers Musik bringt jeden Zweifler schnell zum Verstummen, denn die Musik besitzt eine so starke Kraft und Sogwirkung, dass man die Film-Songs schnell vergisst. In seiner neuesten Partitur imitiert Schreier diverse Musikstile: Da gibt es drei geflügelte Affen, die mit Monteverdi-Madrigalen durch die Geschichte führen. Rosha Fotzhowle, Agata Kornaga und Julie Vercauteren präsentieren diese Stücke als sehr ausgewogene Ensemble-Gesänge.

Der Strohmann singt muntere Country-Songs mit Fiddle-Begleitung, die dann in knackige Tanzmusiken münden, die auch von Aaron Copland stammen könnten. Wenn sich der Blechmann im dunklen Wald fürchtet, lugen Humperdincks „Hänsel und Gretel“ musikalisch um die Ecke und die rechtsradikalen „Teutonen ohne Neuronen“ marschieren zu deutscher Volksmusik.

Werden im ersten Teil die einzelnen Charaktere ausführlich vorgestellt, so gewinnt die Geschichte nach der Pause an Fahrt. Librettist Alexander Jansen, der wie Anno Schreier aus Monschau stammt, hat hier die Geschichte etwas umgewandelt und gibt dem Publikum gleich eine Botschaft mit: „Du kannst Dein Leben und die Zukunft selbst gestalten, wenn Du dafür etwas tust!“

Das junge Publikum kann sich über die abwechslungsreiche und melodiöse Musik freuen, die zudem sehr textverständlich daherkommt. Die erfahrenen Opernbesucher dürfen raten, welchen Still Schreier da gerade kopiert. Aachens Generalmusikdirektor Christopher Ward betont den Farbenreichtum und den rhythmischen Pfiff der Partitur.

Abwechslungsreich und gut gelaunt ist auch die Inszenierung von Ute M. Engelhardt. Die Figuren werden genau geführt. Ausstatterin Jeannine Cleemen hat bunte, die Figuren genau charakterisierende Kostüme entworfen. Die leicht geneigte runde Spielfläche wird durch eine große Wand abgetrennt, wodurch geschmeidige Szenenwechsel möglich sind.

Die Premierenbesetzung ist solide, aber nicht überragend: Sopranistin Lisa Ströckens, die eigentlich als Zweitbesetzung vorgesehen war, muss für eine verletzte Kollegin einspringen und singt die Dorothy. Eigentlich liegt ihr die Rolle gut in der Stimme, an manchen Stellen wirkt ihr Gesang aber zu zaghaft. Über schöne Stimmen verfügen Patricio Arroyo, Fabio Lesuisse und Hyunhan Hwang als Vogelscheuche, Löwe und Blechmann. Die sängerisch stärkste Leistung vollbringt Woong-jo Choi, der mit wuchtigem Bass den Zauberer singt, der hier eine Sarastro-Parodie ist.

Das Publikum im ausverkauften Aachen Theater feiert die Interpreten die Produktion und die neue Oper mit einhelligem und achtminütigen Jubel. Opernhäuser, die diese Familienoper nicht nachspielen sind selber schuld!

 

Rudolf Hermes, 11.12.2019

Bilder (c) Wil van Iersel

 

 

WERTHER

01.12.2019

 

TRAILER

 

 

Eine stufenförmige Rampe. Ein Weihnachtsbaum. Mit wenigen Mitteln schafft es das Produktionsteam, uns in die Welt des jungen Werthers zu entführen, und dem Publikum einen hochinteressanten Opernabend zu bereiten.

Die Oper schildert die Liebe des Dichters Werther zu Charlotte, die mit Albert verlobt ist. Sie heiratet ihn auch wie vorgesehen, was Werther das Herz zerreißt. Charlottes Schwester Sophie versucht vergebens, ihn zu trösten. Charlotte, die Werthers Seelenzustand ahnt, bittet ihn abzureisen. Er gehorcht und schreibt ihr ergreifende Briefe. Als er wiederkehrt, kann er die Situation nicht mehr ertragen und nimmt sich das Leben.

Goethes Briefroman hat einer ganzen Generation als dichterische Selbstdarstellung gegolten, fanden sie in ihm doch die Begegnung des jungen Goethe mit Lotte Buff in Wetzlar wieder, die mit einem gewissen Kestner verlobt war. Für die Geschichte der Aufklärung in Deutschland markiert der Roman einen großen Durchbruch, da Goethe die Einheit von sanften Empfindungen und leidenschaftlicher Zerrüttung des Protagonisten ohne moralisierende Warnungen erzählt.

Die oft geschilderte Selbstmordwelle, die der Roman unter unglücklich Liebenden zur Folge gehabt habe, konnte inzwischen als Fake-News der christlichen Kirchen entlarvt werden, die damit die Verbreitung des als sittenlos betrachteten Romans unterbinden wollten. Massenet hatte zusammen mit seinen Librettisten bereits einige Romanfiguren aufgewertet, andere hinzugefügt, da sich in Goethes Roman kaum brauchbare Nebenfiguren für die Umwandlung des Briefromans in ein dramatisches Geschehen finden.

 Auf den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 folgte eine ungewohnt lange Zeit des Friedens. Sie war die Grundlage für einen deutlichen Aufschwung von Wirtschaft und Kultur in den europäischen Kernländern. Die Menschen dieser Periode - Belle Époche genannt - fühlten sich zweifellos in größerem Umfang als zuvor materiell gesichert und waren optimistisch hinsichtlich der politischen, technischen und kulturellen Aussichten. Der produktiv überragende Opernkomponist der Belle Époque war Massenet, der in dieser Zeit zwei dutzend Werke komponierte. Zeitweise war Werther an deutschsprachigen Bühnen die erfolgreichste französische Oper, die sogar Carmen an Aufführungszahlen überholte.

Massenet wurde eine Begabung für klare, helle Farben und flüsternde Melodien nachgesagt. Mit großer Geschmeidigkeit verschmelze er die verschiedenen Einheiten einer Oper bruchlos miteinander, so dass er insgesamt dem Ideal der Durchkomposition nahe kommt, wie besonders im Werther erlebbar wird, wo er endgültig auf das Nummernprinzip verzichtet. Massenet passt den musikalischen Fluss an die Besonderheiten der französischen Sprache an, woraus eine neuartig differenzierte Vielfalt von Massenets Musiksprache resultierte. Seine Fähigkeit, Frauen zu porträtieren, hat ihm den Rum eingebracht, musikalischer Geschichtsschreiber der weiblichen Seele zu sein. Massenet interessiert an den meisten Stoffen nur die psychologische Innenseite, meist aus der Perspektive der weiblichen Protagonistin. Im Werther präsentiert er uns neben der differenziert dargestellten Person der Charlotte das Seelenleben eines jungen Mannes.

Eine hölzerne Rampe auf der Bühne stellt den Zuschauerraum eines Kinos dar. Der Vorführer projiziert das Gesicht des Protagonisten auf einen vor der Bühne herabgelassenen Gaze-Vorhang. Kopfkino. Die Regie, Corinna von Rad, führt uns in die Gedankenwelt eines an seiner Liebe leidenden jungen Mannes. Corinna von Rad hat in Aachen bereits Hoffmanns Erzählungen von Offenbach und Agrippina von Händel inszeniert. Bühne: Steffi Wurster. Die Kostüme, Sabine Blickenstorfer, zeigen uns die Mode der Handlungszeit.

Kinder üben Weihnachtslieder, obwohl es noch Sommer ist. Schmidt und Johann, die Freunde des Amtmanns, laden diesen zu einem Bier ein. Charlotte, die älteste Tochter des Amtmanns, die an die Stelle der verstorbenen Muttergetreten ist, wird von Werther vom Ball abgeholt. Kaum ist sie fort, als Albert, Charlottes Verlobter, von einer Reise zurückkehrt und von Sophie erfährt, daß Charlotte mit dem jungen Dichter weggegangen ist. Als die Nacht herein bricht, kommen beide Arm in Arm zurück. Werther gesteht Charlotte seine Liebe, muß aber erfahren, daß sie ihrer sterbenden Mutter versprochen hat, Albert zu heiraten.

 

Stühle, die immer mal wieder umgestellt werden. Ein Weihnachtsbaum, der auch schon mal umfällt. Die Umrisszeichnung eines Toten auf dem Rampenboden erinnert uns an das bekannte Ende der Geschichte.

Inzwischen ist es Herbst. Albert und Charlotte haben geheiratet. Werther spürt, daß Charlotte ihn auch liebt, und ist verzweifelt. Er kann sich mit dem Geschehenen nicht abfinden. Während die Goldene Hochzeit des Pfarrers gefeiert wird, versucht Albert, dem die Spannungen zwischen seiner Frau und Werther nicht verborgen geblieben sind, mit Werther zu sprechen. Dieser erinnert sich an den vergangenen Sommer und seine Liebe zu Charlotte, die davon jedoch nichts mehr hören will. Werther stürzt verzweifelt davon.

Soon-Wook Ka singt die sehr schwere Partie des Werthers in den lyrischen Passagen mit auf dem Atem liegender Stimme. Er präsentiert uns zauberhaften Belcanto mit weiten Legatolinien. Schön, dass er wieder nach Aachen zurück gekehrt ist. Soon-Wook Ka ist eine Bereicherung für das Aachener Ensemble.

Stimmlich ebenfalls sehr stark die junge Alexandra Yangel in der Partie der Charlotte, die normalerweise an der Wiener Staatsoper singt.

Albert wird von dem hübschen, jungen und stimmschönen Bariton Fabio Lesuisse gesungen. Es wird wohl nicht nur der Schwur gegenüber der Mutter gewesen sein, weswegen Charlotte sich für ihn als Bräutigam entschieden hat. Aber auch Rosha Fitzhowle in der Partie der Sophie hat eine lobende Erwähnung verdient.

Weihnachten. Das Treppenpodest ist aufgerissen, genau wie Charlottes Seele. Der Weihnachtsbaum, der später auf die Bühne gebracht wird, hat keine Nadeln mehr. Charlotte ist allein und denkt an Werther, der ihr eine Reihe Briefe geschrieben hat. Sie hat erkannt, dass sie ihn ebenfalls liebt. Als Werther eintrifft, wirbt er stürmisch um seine Geliebte, die sich nur mühsam aus seine Umarmung löst. Werther stürzt verzweifelt davon, diesmal entschlossen, sich zu töten. Er verlangt von Albert Pistolen, die er auf eine Reise mitzunehmen gedenke. Albert fordert Charlotte auf, die Waffen zu übergeben. Anschließend eilt Charlotte voll der schlimmen Ahnungen zu Werther. Sie findet ihn schwer verletzt vor. Werther stirbt in Charlottes Armen, die ihm endlich ihre Liebe gesteht. Als Beleg, dass es sich um wahre Liebe, und nicht nur Mitleid mit dem Sterbenden handelt, lässt Massenet erneut das Mondscheinmotiv erklingen. Von draußen hört man die lustigen Weihnachtslieder der Kinder.

Die grossartige Musik Massenets liegt in den Händen der neuen Ersten Kapellmeisterin Yura Yangs, die mit dieser Produktion ihr Hausdebüt feiert. Zwischen ihr und dem Sinfonieorchester Aachen scheint die Chemie jetzt schon zu stimmen, gelingt doch ein musikalisch vollumfänglich gelungener Abend.

Die Gesangssolisten bieten musikalisch allesamt solide Leistungen, wie auch der Kinder- und Jugendchor, geführt von Jori Klomp, mit großer Begeisterung seine Aufgaben erfüllt.

Verdienter langanhaltender Applaus.

 

Ingo Hamacher, 3.12.2019

Bilder (c) Marie-Luise Manthei

 

Credits

Musikalische Leitung: Yura Yang

Inszenierung: Corinna von Rad

Bühne: Steffi Wurster

Kostüme: Sabine Blickenstorfer

Choreinstudierung: Jori Klomp

Video: Luca Rois, Steffi Wurster

Dramaturgie: Pia-Rabea Vornholt

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Werther: Soon-Wook Ka

Albert: Fabio Lesuisse

Le Bailli, der Amtmann: Christoph Stephinger

Schmidt, ein Freund des Amtmanns: Patricio Arroyo

Johann, ein Freund des Amtmanns: Stefan Hagedorn

Charlotte: Alexandra Yangel

Sophie, ihre Schwester: Rosha Fitzhowle

Fritz, Max, Hans, Karl, Gretel, Clara: Kinder- und Jugenchor Aachen

Statisterie Theater Aachen

Sinfonieorchester Aachen

 

Weitere Termine:

13.12.19; 18.12.19; 31.12.19; 26.01.20, 01.02.20

 

 

 

 

 

 

 

 

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