DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Rachmaninoffs „Aleko“ „Francesca da Rimini“

Premiere: 28.04.2018
besuchte Vorstellung: 05.05.2018

Düsteres Duo

Lieber Opernfreund-Freund,

Sergei Rachmaninow ist bis in die heute nicht nur als Komponist schwülstig-expressiver und dazu noch verteufelt schwerer Klavierkompositionen in Erinnerung geblieben, sondern Dank der für RCA gemachten Aufnahmen auch als hervorragender Interpret nicht nur der eigenen Werke präsent. Im Liedfach gilt er noch als eine Art Geheimtipp, aber dass er auch Opern komponierte – derer inklusive der unvollendet gebliebenen „Monna Vanna“ sogar vier – ist weitestgehend vergessen. Das möchte das Theater Kiel ändern und zeigt derzeit zwei davon, seinen Erstling „Aleko“ und die Dantes „göttlicher Komödie“ entsprungene „Francesca da Rimini“, in einer düsteren und eindrucksvollen Inszenierung von Valentina Carrasco.

1892 als Examensarbeit am Konservatorium in St. Petersburg in nur 17 Tagen entstanden und nie mit einer Opuszahl versehen, erzählt „Aleko“ nach einer Dichtung von Alexander Puschkin eine Geschichte aus dem Zigeunermilieu, in der Aleko den Liebhaber seiner jungen Frau ersticht und sie gleich obendrein – und daraufhin von der Gemeinschaft ausgeschlossen wird. In „Francesca da Rimini“, zehn Jahre nach „Aleko“ uraufgeführt, überführt Lanciotto Malatesta seine Frau Francesca und seinen Bruder Paolo, die der Versuchung, Liebe und Verlangen im Jetzt nachzugeben, statt auf eine Vereinigung im Paradies zu warten, nicht mehr widerstehen können. Die Begegnung endet auch für diese beiden tödlich. Dazu hat Rachmaninow einen ausführlichen Prolog sowie einen Epilog komponiert, der Dante und den Geist Vergils in der Hölle umhergehen und die Quintessenz des Abends resümieren lässt: „Es gibt kein größeres Leid, als sich im Unglück an vergangenes Glück zu erinnern.“

Die Hölle, das ist also die Erinnerung – und so lässt Valentina Carrasco Pro- und Epilog der „Francesca“ gleich beide Operneinakter umarmen. Auf der pechschwarz glänzenden Bühne von Andrea Miglio, die zeitweise durch einen riesigen schwarzen Kubus ergänzt wird, schälen sich die Gestalten der Hölle aus ihrer Plastikummantelung, bleiben aber gesichtslose Hüllen und somit Platzhalter sowohl für Semfira und den jungen Zigeuner, als auch für Francesca und Paolo. Das hoffnungslos finstere Dunkel wird nur durch das sündig-rote Negligé, das beide Frauenfiguren tragen, das wie alle Kostüme von Barbara del Piano stammt und das sowohl auf der Bühne als auch in den gelungenen Videoeinspielungen von Julian Jetter und Frank Scheewe immer wieder auftaucht, unterbrochen; der erwähnte Kubus bricht nur in der intimen Szene zwischen Francesca und Paolo gleißend hell auf. Beide so ähnlichen Geschichten sind die Erinnerungen, die den Verdammten zur Qual werden und vor denen sie sich gerade im Moment ihres Unglücks nicht befreien können. Die Vermählung dieser beiden eigenständigen Werke zu einem großen Ganzen gelingt dem Produktionsteam vorzüglich, die starken Bilder hallen lange nach, was auch am ausgeklügelten Lichtkonzept liegt, für das Martin Witzel verantwortlich zeichnet.

Musikalisch unterscheiden sich beide Werke naturgemäß, handelt es sich doch beim „Aleko“ um die Komposition eines 19jährigen, während Rachmaninow fünf Jahre vor „Francesca da Rimini“ schon sein zweites Klavierkonzert vollendet hatte. Inhaltlich Bizets „Carmen“ nicht unähnlich, erinnert der Aufbau von „Aleko“ an Mascagnis „Cavalleria rusticana“ -nur eben mit russischer Seele. Er ist von ausufernden Instrumental- und intensiven Chorstellen durchzogen, ist eher Nummernoper als die reifere „Francesca, bei der sich die ariosen Stellen gleichsam aus dem klanglichen Stimmungsteppich erheben, den Rachmaninow seinem Werk ausbreitet. Die Gestaltung von solch unterschiedlichen Opern zu einer klanglichen Einheit stellt hohe Anforderungen an die musikalische Umsetzung – und das Künstlerpersonal meistert diese Aufgabe mit Bravour.

Allen voran bewältigt Jörg Sabrowski die Herausforderung, die beiden gehörnten Ehemänner zu verkörpern. Er legt den Aleko weicher an, zeigt eher die geschmeidige Seite seines warmen Baritons, während er als Lanciotto in einem Gänsehaut erzeugenden Monolog kraftvoll den desillusionierten, vor Eifersucht rasenden Feldherrn gibt. Die überwältigende Rossella Ragatzu zeigt umgekehrt als Semfira die selbstbewusste, von Konventionen emanzipierte Frau, während sie ihrem vollen und ausdrucksstarken Sopran als keusche Francesca eine unschuldige Klarheit beimischt. Yooni Baeks dunkel gefärbter Tenor ist durchaus höhensicher, vermag mich aber nicht anzurühren. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Koreaner unentwegt mit den Augen beim Dirigenten im Graben oder auf den Monitoren hängt – das kann nur einen unsicheren und wenig überzeugenden Eindruck hinterlassen. Im wahrsten Sinne tiefen Eindruck hingegen macht Chorsolistin Anka Perfanova mit ihren wenigen Sätzen als alte Zigeunerin. Da hätte ich gerne länger zugehört. Gleiches gilt für den italienischen Bass-Bariton Matteo Maria Ferretti, der als Vergils Schatten überzeugt. Und auch Timo Riihonen als Semfiras Vater wuchert mit der Tiefe seines ausdrucksvollen Basses, wechselt gekonnt zwischen Kraft und Gefühl und macht die Solistenriege im besten Wortsinne komplett.

Der Chor muss im „Aleko“ eher liedhaft-konventionell daherkommen, während er in der „Francesca“ mystisch, ja fast sphärisch klingt, wenn er die jammernden Seelen in der Hölle mimt. Lam Tran Dinh hat genau das herausgearbeitet und spornt die Damen und Herren zu Höchstleistungen an, die ebenso viel zu tun haben, wie die Mitwirkenden der Bewegungsstatisterie, die Weh und Leid der Lebenden ebenso überzeugend darstellen wie das der Toten. Göttlich! Daniel Carlberg hält im Graben die Fäden zusammen, bekommt zwar das wackelige Blech nicht immer in den Griff, präsentiert aber den „Aleko“ solide und die wesentlich schroffere „Francesca da Rimini“ mit höchster Expressivität und voller musikalischer Wucht.

Also gibt’s von mir eine uneingeschränkte Empfehlung. Lassen Sie sich diese Raritäten im Doppelpack nicht entgehen. Es lohnt sich!

Ihr Jochen Rüth 06.05.2018

Die Fotos stammen von Olaf Struck und zeigen teilweise die Alternativbesetzung.

 

 

 

DAS RHEINGOLD & DIE WALKÜRE

20./23. April 2016

Seit einigen Jahren führt Daniel Karasek, Sohn des bekannten Literatur-Kritikers, die Oper Kiel mit großem Erfolg und ebenso großer Zustimmung des Publikums. Und so ist es nicht zu verwundern, dass so ein doch relativ kleines Haus wie Kiel sich an Richard Wagners opus magnus, den „Ring des Nibelungen“, heran wagt. Und das mit großem künstlerischem Erfolg! „Das Rheingold“ erlebte seine Premiere am 26. September 2015, und „Die Walküre“ folgte am 12. März 2016. An beiden Abenden findet Karasek mit seiner Dramaturgin Cordula Engelbert in den Bühnenbildern von Norbert Ziermann und mit den Kostümen von Claudia Spielmann, sowie der stets treffenden Lichtgestaltung von Martin Witzel eine glaubwürdige und streckenweise dramaturgisch beeindruckende Antwort auf das Geschehen um die Herrschaft über die Welt. Dabei wird mit den Stilmitteln des modernen Musiktheaters nachvollziehbar die Geschichte erzählt, im „Rheingold“ gar auf eine „naive“, damit hier aber passende Art und Weise, bei der die Figur des Wotan eine besonders intensive Deutung erfährt.

Es beginnt schon im Vorspiel des „Rheingold“ mit der Videoprojektion (Konrad Kästner) großer Planeten und der Erde im Besonderen, die sich effektvoll im Raum bewegen und damit universalen Herrschaftsanspruch dokumentieren. Wotan wird hier als eine schillernde Figur dargestellt, im „Rheingold“ noch als hippieartiger und somit weitgehend unschuldiger Visionär, der den globalen Herrschaftsanspruch anmeldet und erst mit dem brutal gezeigten Raub des Rheingolds von Alberich seine Unschuld verliert. Indem er eine Weltordnung aus der Urmasse der Welt schaffen kann, durch die Versiegelung der Gesetze in seinem Speer, ist Wotan in der Rolle des Politikers, wie auch Udo Bermbach ihn nennt.

„Das Rheingold“ beginnt mit einer Art Unterwasserpanorama, in dem die drei anmutig und vorsichtig erotisch gekleideten Rheintöchter mit Alberich buhlen. Hye-Long Lee als Woglinde, Ks. Heike Wittlieb als Wellgunde und Tatja Jibladze als Flosshilde wiegen sich geschickt in den Wogen und singen ihre Rollen klangvoll, wirken gar sehr stark im Ensemble. Ks. Jörg Sabrowski liefert nicht nur hier, sondern erst recht in der späteren Auseinandersetzung mit Wotan und Loge eine erstklassige Rollenstudie des Alberich, wobei ihm sein ausdrucksstarker Bassbariton zusätzliche Darstellungskraft verleiht – eine der eindrucksvollsten Figuren des „Rheingold“-Abends.

Im 2. Bild sehen wir in einem eleganten Salon diverse Holz-Modelle des ultramodernen Walhall, welches in der „Walküre“ vergrößert im Hintergrund mit einem riesigen Raffinerie-artigen Industriekomplex als Machtbastion überhöht aus dem Boden schießt. Die beiden Riesen treten in einem ebenso überraschenden wie interessanten Outfit auf: Sie sind als große transparente Puppen dargestellt, mit bedrohlichen Schädeln und kräftigen Armen – eben das, worauf es beim Bau Walhalls ankam. Die Sänger stehen jeweils hinter diesen Puppen. Die Großfiguren und die Choreografie der Figurenspieler, die sie bewegen, liegen in den Händen von Marc Schnittger. Timo Riihonen ist ein klangschöner Fasolt, der in der „Walküre“ auch einen starken Hunding singt und spielt. Marek Wojciechowski ist ein etwas grober Fafner, was aber zu seiner Rolle passt. Agnieszka Hauzer, die tags darauf die Tosca singen sollte, ist eine stimmliche Luxusbesetzung für die Freia.

Cristina Melis ist eine nachdrückliche Fricka und Fred Hoffmann ein guter Mime. Die beiden kleineren Götter, Tomohiro Takada als Donner und insbesondere Yoonki Baek, der am Folgetag immerhin den Cavaradossi singen sollte, als Froh, agieren mit jeweils kräftiger Stimme. Auch Thomas Hall als Wotan gestaltet den wagenden Gott mit starker Emphase und singt ihn mit einem bestens geführten klangvollen Bassbariton. In der „Walküre“ wird er auch den großen Herausforderungen des 2. und 3. Aufzugs gerecht und beweist große Höhensicherheit. Hall ist sicher ein Nachwuchstalent in dieser Rolle. Die Erda von Rena Kleinfeld verströmt einen schönen Mezzo und macht mit ihren mahnenden Worten auch darstellerisch guten Eindruck. Sehr effektvoll wird ihr Auftritt von der Lichtgestaltung unterlegt. Einzig der Loge von Michael Müller ist zwar darstellerisch sehr präsent, sein Tenor klingt aber etwas flach und unkonturiert, als dass man mit ihm hätte voll zufrieden sein können. Mit großem Pomp ziehen die Götter schließlich in ein virtuelles Walhall ein.

„Die Walküre“ beginnt in einem finsteren Wald, der passend zu den rhythmischen Fluchtschritten von Siegmund und Sieglinde in wilden Bildbewegungen vor dem Zuschauer weicht. Hier wird ein maximales Zusammenspiel von Optik und Musik aus dem Graben erzielt. Wotan und Fricka sind in einer Art bourgeoisem Wolkenkuckucksheim sesshaft geworden. Man gewahrt ein mondänes Badezimmer und ein Andy Warhol-Bild von Marilyn Monroe oder einer anderen Blondine an der Wand dahinter. Dass Wotan sich in einem Anfall von Bagatellisierung des Regisseurs dazu ausgerechnet die Zähne putzen muss, ist absolut entbehrlich und führt vom wahren Gehalt der Szene weg. Warum können Regisseure, die an sich gute Regiekonzepte haben, solche Gimmicks nicht lassen …?! Aber auch das Kostüm Wotans ist mondän und passt somit zur hier gezeigten Ästhetik des modernen Walhall aus dem „Rheingold“. Offenbar ist Wotan nun der Herr dieses großen Industriekomplexes, der im Hintergrund eschatologisch aufscheint (übrigens nach Toulouse und Stockholm nicht das erste Mal so zu sehen…). Von Natur ist hier nichts mehr zu spüren – sie wurde vom Göttergeschlecht domestiziert.

Brünnhilde ist die sehr engagierte Jane Dutton mit einem lyrisch dramatischen und höhensicheren Sopran – eine einnehmende Sängerdarstellerin! Besonders gefallen können aber Bryan Register als Siegmund und Agnieszka Hauzer als Sieglinde. Besonders Hauzer kann stimmlich und darstellerisch alle Facetten der Sieglinde ausloten und hinterlässt einen starken emotionalen Eindruck. Bryan Register hat einen klangschönen Tenor, könnte aber darstellerisch mehr aus sich heraus gehen. Alexandra Petersamer, eine gefragte Mahler- und Wagnerinterpretin, verkörpert als Gast eine ungemein persönlichkeitsstarke Fricka mit einem durchschlagskräftigen und besonders ausdrucksstarken Mezzosopran. Sie bekam am Ende viel Applaus für diese Charakterstudie. Das Walküren-Oktett kann an stimmlicher Qualität mit jedem großen Haus mithalten, hier gibt es keinen einzigen Ausfall. Am Ende baut Wotan um eine riesige Weltkugel, - die optisch-dramaturgische Verbindung zum „Rheingold“ - in der er Brünnhilde zum Schlaf bettet - einen Firewall aus. Im Hintergrund sieht man weiterhin den Industriekomplex - noch ist Wotan in seiner Welt von Bedeutung.

GMD Georg Fritsch dirigierte das Philharmonische Orchester Kiel mit offenbar großer Kenntnis des Wagnerschen Oeuvres. Er gab die richtigen Tempi vor und legte Wert auf die dramatischen Steigerungen, zumal der Abgang nach Nibelheim, die diversen Szenen im 2. Aufzug der „Walküre“ und der Feuerzauber. Dieser „Ring“ ist optisch wie musikalisch sehenswert und gut geprobt. Man darf sich schon jetzt auf seine Weiterführung mit dem „Siegfried“ im März 2017 freuen.                                                                  

Fotos: Olaf Struck

Klaus Billand, 6.5.2016

 

 

TOSCA

Besuchte Vorstellung: 21.4.2016

Premiere: 30.1.2016

Perfekte Harmonie zwischen Musik und Bildern

Puccinis „Tosca“ ist ein Werk des Verismo, und umso mehr sieht man gebaute Bühnenbilder, die Elemente einer Architektur meist aus der Zeit um 1800, in der dieses Werk historisch auszusiedeln ist – ähnlich wie in den Wiener Bühnenbildern der mittlerweile zum Kultstatus erhobenen Wallmann-Produktion aus den 1950er Jahren. Solch eine Herangehensweise lag dem Regisseur dieser Kieler Neuproduktion vom Januar 2016, Lukas Hemleb, und seinem Video-Künstler Luca Scarzella, fern. Denn in ihrem Konzept gibt es gar keinen Bühnenbildner! Aber es gibt Bühnen b i l d e r im wahrsten Sinne des Wortes.

Der Regisseur vertritt die Ansicht, wie er in einem aufschlussreichen Beitrag im Programmheft mitteilt, unter Beachtung von Puccinis präzise an Orte gebundenen Regieanweisungen das Stück umzusetzen, „ohne in einen schwülstigen Detailrealismus und eine geschmäcklerische Ausstattungswut zu fallen“. Er will die Wahrnehmung des Zuschauers nur über die Magie scheinbar schwereloser Bühnenvorgänge erreichen und greift dabei Puccinis Sensibilität gegenüber technischen Neuerungen für alles Moderne auf. Scarzella erreicht mit seinen gefilmten Bildern durchaus die Verbindung von Puccinis Musik und Theatralik. Es geht schon damit los, dass der Maler Cavaradossi vor einem imaginären Bild steht, in der Kirche Sant’Andrea della Valle, die sich später in ihrer Perspektive durch die bewegten Bilder scheinbar unmerklich verändert, immer aber das Original zeigt. Dabei werden nicht die momentanen Gefühlslagen der Protagonisten kommentiert, sondern mit sich unmerklich verändernden und wandernden Bildern die reale Umgebung der Handlung nach Puccinis Ortsanweisungen suggeriert. In diesen Bildern können sich die Sänger und Sängerinnen bestens positionieren, zumal die Bilder immer etwas dunkel und im Hintergrund gehalten werden.

Das durchaus gute Sängerensemble setzte sich ausschließlich aus Sängern des Theaters Kiel zusammen, was, neben dieser gelungenen Produktion, auch das gute sängerische Potential dieses ja relativ kleinen Hauses dokumentiert, welches seit einigen Jahren äußerst erfolgreich von Intendant Daniel Karasek geführt wird. Agnieszka Hauzer, noch am Abend zuvor als Freia im „Rheingold“ und drei Tage später als Sieglinde in der „Walküre“ auf der Kieler Bühne, war eine einnehmende Tosca mit einem stabilen und klangschönen Sporn, mit dem sie alle Facetten und Höhen der Rolle meisterte. Hinzu kam ihr emphatisches Spiel. Der noch recht junge Yoonki Baek war ein Cavaradossi, der so gar nicht dem entsprach, was man optisch landläufig in dieser Rolle gewohnt ist. Sein studentisches Aussehen kam dem jungen Cavaradossi aber durchaus entgegen. Baek sang die Partie mühelos, auch mit den erforderlichen Spitzentönen, und konnte darstellerisch durch sein bedachtes, etwas introvertiertes, also nachdenkliches Spiel überzeugen. Einen ganz starken Eindruck hinterließ  Gevorg Hakobyan als Baron Scarpia, der die bigotten und lüsternen Charakterzüge des Römer Polizeichefs aufs Eindrucksvollste nachzeichnete und dabei noch mit einem ausdrucksstarken und äußerst klangvollen Bariton glänzte – eine Besetzung dieser Partie, die sich an jedem größeren Haus gut sehen lassen könnte! Christoph Woo war ein agiler und auch stimmlich ansprechender Angelotti, Michael Müller ein Spoletta mit einer nicht ganz klangvollen Stimme, während der Messner, noch am Abend zuvor der Fafner im „Rheingold“, mit einem profunden und gut geführten Bass sowie einem für diese kleine Rolle außergewöhnlich intensiven Spiel glänzte. Sciarrone wurde von Slaw Koroliuk, der Schließer von Anton Schmalz und der Hirtenknabe von Johanna Kahlcke jeweils gut interpretiert.

Der Opernchor und Extrachor des Theaters Kiel sowie der Kinder- und Jugendchor an der Oper Kiel bildeten ein starkes dramaturgisches Element an diesem Abend und bewiesen ein hohes Maß and Musikalität und Stimmkraft. So wurde das Te Deum zu einem Höhepunkt der Aufführung. Moritz Caffier leitete das Philharmonische Orchester Kiel mit viel Verve und guter Dynamik sowie feiner musikalischer Zeichnung in den lyrischen und kontemplativen Szenen.

Zum Schluss kulminierte Hemlebs und Scarzellas Bilder-Technik mit dem optisch eins zu eins nachvollziehbaren Sturz Toscas von der Engelsburg auf das Straßenpflaster – eine harter und manchen im Publikum erschreckender Schluss! Das Theater Kiel kann stolz sein auf diese Produktion.                                                                                         

Klaus Billand 30.4.2016

Fotos © Theater Kiel

 

 

 

DIE WALKÜRE

am 23.4.2016

Blick in die Zukunft

Gestern fand im Opernhaus Kiel die zweite Vorstellung der Neuproduktion „Die Walküre“ von Richard Wagner statt. Schon nach dem ersten Akt wurden die Akteure frenetisch gefeiert.

Daniel Karasek knüpft bildermächtig an sein wunderbares Rheingold an, liefert keine neuen Interpretationsansätze, erzählt aber die Geschichte zielstrebig und nachvollziehbar. Dass er sich mit seinen Inszenierungsideen dabei kräftig im Chereau-Jahrhundertring bedient, ist zwar ehrenrührig, tut dem Genuss des Abends als solchem aber keinen Abbruch.

Seine Kostümbildnerin Claudia Spielmann-Hoppe wildert ebenso freizügig im Kreativwerk anderer. Ihre Ideen scheinen die aktuellen Serienrenner aus den USA , zb. Game of Thrones oder House of Cards, zu liefern

Der Bühnenbildner Norbert Ziermann liefert dazu vier verschiedene Räume: Ein edelholz-ausgekleidetes Jagdzimmer im Stile der späten 1950er mit Blick durch eine großzügige Fensteröffnung auf einen Bach im Hintergrund, ein hochgelegenes modernes Badezimmer in einem Haus im Wald, eine offene Bühne mit Waldprojektion, sowie ein futuristisches, an Weltraum-Epen erinnerndes Bild für den dritten Akt. In jedem Bild arbeitet Ziemann mit Versatzstücken bzw. Zitaten aus seinem Rheingold und gibt den Zyklusteilen damit eine charmante deja-vu-Klammer.

Das Geschehen um den Tod Wotans Lieblingssohn Siegmund und dessen Inzest mit Sieglinde, sowie Wotans Scherereien mit seiner ungehorsamen Tochter Brünnhilde und deren Bestrafung beginnt mit einer großen Videoprojektion (allesamt von Konrad Kästner), in der jemand durch einen dunklen Wald hetzt und unter wild drohendem Wonnemond Zuflucht  in Undings Hütte findet. 

Immer wieder tauchen solche Videosequenzen auf und verblüffen in ihrem Großformat. Kino kann nicht besser sein!

Beinahe filmisch-intim arbeitet Karasek die Figurenbeziehungen heraus. Hier liegt, neben dem stringenten Gesichteerzählen, die Stärke seiner vorgelegten Arbeit.

Musikalisch bewegt sich die Kieler Walküre auf hohem und höchstem Niveau. Zwar fehlt es an der Intonationsarbeit mit den v.a. Blechbläsern, die besonders am Beginn der Todesverkündigung deutlich zu Tage tritt. Doch GMD Georg Fritzsch leitet Orchester und Sänger gut balanciert und mit ruhiger Hand durch den langen, nie langweiligen Abend. 

Sängerisch beeindruckt v.a. Thomas Hall mit seinem wohlklingenden, gut tragenden Bariton. In seinen langen Szenen im zweiten und dritten Akt hört man keine Spur von Müdigkeit. Vielmehr beeindruckt er mit hervorragender Diktion und offensichtlich verinnerlichtem Textinhalt.

Neben ihm glänzt ebenso sprach- und sinndeutlich Alexandra Petersamers Fricka als politisches, oberflächliches Weib. Auch darstellerisch füllt sie die Partie vollends aus. Den darstellerisch stärksten Eindruck des Abends macht Timo Riihonen als Hunding. Er zeigt im ersten Akt einen latent brutalen, aggressiven Trunkenbold. Stimmlich fügt er sich leider nicht in das Sängerensemble. Seine Diktion ist undeutlich und die Tongebung zufällig.

Das Wälsungenpaar mit Agnieszka Hauzer als Sieglinde und Bryan Register als Siegmund geben ein gutes Portrait ihrer entflammenden Liebe. Dabei sind es vor allem die flüchtigen Blicke von Agnieszka Hauzer, die den Abläufen auf der Bühne Sinn verleihen. Sie singt die Partie mit schönem Ton und verfügt über den nötigen Stimmumfang, um der tiefen Lage der Partie gerecht zu werden.

Bryan Register singt im ersten Akt einen verhalten lyrischen Siegmund, trumpft dann aber in seinen Passagen im zweiten Akt auf. Sein Tenor trägt sehr gut und ist - bis auf eine gelegentliche Nasalität - besonders schön frei.

Jane Duttons Interpretation der Brünnhilde ist ungewöhnlich. Sie zeigt eine junge Frau, die ihren Vater verärgert, weil sie Siegmund retten möchte. Diese jugendliche Unbedarftheit passt sehr gut. Ihre Stimme projiziert ausgezeichnet. Und auch wenn die Sängerin in den einzelnen Phrasen körperlich angespannt wirkt, hält sie die Partie gut durch.

Die übrigen Walküren sind der mittleren Größe des Hauses angemessen besetzt. Aus dem Ensemble mit Heike WittliebHye Jung LeeGeneviève TschumiTatia Jibladze und Stephanie Christiano treten stimmlich besonders Fiorella HincapiéLori Guilbeauund Gabriella Guilfoil mit starkem Ton hervor.

Fazit: Ein im besten Sinne fantastischer, gut erzählter, trotz tatsächlicher Länge kurzweiliger Wagnerabend mit großartigen Sängern, einem ordentlich spielenden Orchester und Bildern, die Staunen machen. Ein Besuch lohnt sich unbedingt!

Berit Jürgens 26.3.2016

Bilder (c) Theater Kiel

 

TOSCA

29.1.16

Wie im Film

Eine mit zahllosen Bravorufen gefeierte Neuproduktion eines der besten Opernkrimis der Musikgeschichte ging gestern in Kiel über die Bühne.

Die Kieler Tosca-Inszenierung des vor allem durch seine Arbeit an der Comédie-Francaise in Paris weltweit wahrgenommenen Regisseurs Lukas Hemleb besticht durch eine Schlichtheit in Personenregie und ein spartanisches Bühnenbild, das im Wesentlichen für alle drei Akte durch Videoproduktionen der italienischen Videokünstler-Göße Luca Scarzella, der die Tosca schon in Osaka, Turin und nun Kiel bebildert, Räume schafft, die uns die Handlung ganz konkret vor Augen stellen. Im ersten Akt wird durch die Produktion der Kirche Sant’Andrea della Valle auf einen Schleier, hinter dem die Sänger agieren die Illusion geschaffen, dass sie sich tatsächlich in der großen, dunklen Kirche befinden. Im zweiten Akt ist der Schleier weg und auf die Rückwand wird eine Front des Palazzo Medici projiziert, der in einer Endlosschleife synchron mit der Bewegung der Drehbühne von links nach rechts fährt. Dazu gibt es auf der Bühne nur ein grünes Sofa und ein Tisch. Im dritten Akt sieht man auf den wieder abgesenkten Schleier projizierte Wolken, die ebenso auf die Rückwand projiziert wird. So entsteht kein Tableau, sondern ein Raum, in den man seiner dreidimensionalen Wirkung wegen hineingreifen möchte. Dazu neben Bildern als Erinnerungen an das was geschah, Bilder der Engelsburg.

Dem Team Hemleb und Scarzella gelingt damit eine perfekt ineinander greifende fast filmische Arbeit, die in ihrer Schlichtheit und Konkretheit von Anfang an packt und den Zuschauer regelrecht ins Geschehen zieht.

Nicht ganz in diese Stimmigkeit hineinpassen wollen die Kostüme von Otto Krause. Die Darsteller wirken wie hineingesteckt. Ohne Identifikation mit ihnen und ohne Bezug zum italienischen Schauplatz. Hemleb verzichtet bei der Personenführung auf Deutungen oder die Herausarbeitung von einzelnen Facetten. Für ihn ist Scarpia der Bösewicht, Tosca eine Frau, die aus Liebe tötet und Selbstmord begeht und Cavaradossi der Maler, der hingerichtet wird.

Sehr plastisch gerät Gevorg Hakobyans Darstellung des Scarpia. Von kleiner Statur, aber mit großer und fokussierter Stimme bester italienischer Schulung gibt er einen selbstsicheren, überlegenen Polizeichef. Ein großer Gänsehautmoment ist sein gewaltiges Te Deum. Großartig die Souveränität im zweiten Akt.

Auch Agnieszka Hauzer gewinnt der Partie der Tosca seit der letzten Freilichtproduktion auf dem Rathausplatz vor einigen Jahren stimmlich mehr Nuancen ab. Die Stimme klingt manchmal etwas geschoben, im Grunde aber frisch und kraftvoll. Darstellerisch wirkt sie agil und interagiert stets mit wachem Geist.

Diesen würde man Yoonki Baek wünschen, der in dieser Produktion auch bereits zum zweiten Mal in Kiel den Cavaradossi singt. Er ist routiniert bei der Sache und wird der Partie mit seiner hellen Stimme vor allem in den lyrischen Momenten gerecht. Für die großen Gefühlsausbrüche im Orchester fehlt ihm stimmliche Kraft und virile Farbe. Aber auch mit ihm kann man zufrieden sein.

Die kleinen Rollen sind mit Christoph Woo (mit jungem, sonorem Bass-Bariton) als Angelotti, Marek Wojciechowksi (mit charaktervollem, ausgeklügeltem Spiel) als Messner, Michael Müller als nervöser Speichellecker Spoletta und Slaw Koroliuk als brutaler Sciarrone abwechslungsreich und gut besetzt.

Das Orchester unter seinem neuen 1. Kapellmeister Daniel Carlberg, der aus gleicher Position von Dessau nach Kiel gewechselt ist, spielt an diesem Abend besonders Klangschön. Der Orchesterklang ist kompakter, zielgerichteter als man ihn kennt. Die Phrasen werden bis zum Ende ausformuliert, was einerseits der Struktur gut tut. Andererseits entsteht an diesen Stellen mitunter der seltsame Eindruck eines Abschlusses wie in einer Nummernoper. Wunderbar gelingt Carlberg die Sängerbegleitung: er beschleunigt oder verlangsamt, wo die Darsteller es bauchen. Ein wenig mehr Bemühen des Orchesters um leisere Töne an einigen, wenigen Stellen würde der Akustik des Hauses und der Hörbarkeit der Sänger helfen. 

Ansonsten eine wirklich ganz besonders gelungene Darbietung des Orchesters und seines Leiters.

Fazit: Dem Regisseur gelingt eine perfekte visuelle, fast filmische Realisierung des bekannten Opernkrimis, die den Zuschauer sofort in ihren Bann zieht. Gesanglich auf großartigem Niveau und musikalisch sehr gut einstudiert. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall.

Berit Jürgensen 31.1.16

Bilder (c) Oper Kiel

 

 

 

(c) Peter Klier

 

CARMEN

Unterhaltsame Optik - gutes Musizieren. 

Prmiere am 12.12.15

Es scheint in Kiel die Spielzeit der besonderen Bühnenbilder zu sein, in die wir uns als Publikum verlieben dürfen und in denen sich Dramaturgie und Regie als Nebensächlichkeit präsentieren. So auch in der gestrigen Carmen-Premiere.

Bühnenbildner und Ausstatter Walter Schütze zeigt uns eine Bühne, die größer wirkt als wir sie sonst kennen. Nun ist die Kieler Bühne nicht so klein, aber das Bühnenbild kommt in einem Breitbildformat daher, die auf das Auge wohltuend wirkt. In den Bühnenraum ist lediglich eine Schräge gebaut. Doch von oben schweben immer wieder in unterschiedlichster Formation sechs große Stahlkörbe mit jeweils einem auf die Seite gelegten Oval, das sich um die eigene Längsachse drehen kann. Schütze nennt sie „Seelen“. Von der einen Seite zeigt das Oval ein Relief, das an historisches Kopfsteinpflaster erinnert. Die andere Seite, wenn zum Publikum gewendet, kann in unterschiedliche Farben wechseln. So entstehen verschiedene Seelenzustände oder konkrete Dinge wie zb. ein Mond. Zu den etwas lapidaren Kostümen aus seiner Ideenwerkstatt treten eine Lichtregie (Martin Witze) wie man sie von großen Musicalproduktionen kennt und gut dosierte, große Videoproduktionen. Das ist alles sehr beeindruckend und unterhält ohne aufdringlich zu werden.

Auch die Regie von Matthias von Stegmann weiß zu gefallen. Dies allerdings weniger durch eine plastische und stringente Personenführung, sondern eher im Arrangieren von Bildern. Der Chor wird sehr gut durchchoreographiert und auch hier ist das Auge angetan, was einem Großteil des Publikums gefällt, das gekommen ist, um unterhalten zu werden. Leider verlieren sich in den prägnanten und plakativen Einfällen die Darsteller und gelangen jedenfalls schauspielerisch zu keiner Verkörperung. Der Eindruck von szenischen Löchern bleibt. 

Anders die musikalische Seite: von Anfang an hat man den Eindruck einer gründlichen Einstudierung. Unter der Leitung des Israelischen Dirigenten Rani Calderon, spielt das Orchester wunderbar homogen, stilistisch sicher, mit Verve und gleichsam präzise. Die geforderten Holzbläsersoli spielen allesamt tadellos und inspiriert. Besonders schön gelingt das „Seelen“ballett auf der Bühne zur Musik des Entracte. Eine Einheit von Musik und Bühne.

Auch die Sänger singen auf hohem Niveau. Cristina Melis ist eine Carmen von ganz besonderem stimmlichem Format. Sie gebietet über ein ausnehmend schönes Timbre und eine große Stimme ohne je zu forcieren. Dennoch traut Sie sich auch zu schroffen, hässlichen Tönen, so wie man es von einer femme fatale erwartet. Allein ihr Spiel bleibt statisch. 

Ihr Don José (Yoonki Baek) bewältigt die große und emotionale Partie des homme serieux mit Courage. Seine Bemühungen zum differenzierten Singen, schienen ihn aber zwischendurch sehr zu ermüden. Im vollem Saft seines lyrischen und schönen Baritons gibt Tomohiro Takada den Escamillo als Partylöwen und Frauenschwarm. Schauspielerisch aber weniger einfallsreich.

Lori Guilbeau präsentiert sich als stimmschöne Micaela erstmals als neues Ensemblemitglied am Opernhaus Kiel. Sie singt die Partie mit warmem und großem Ton, zeigt aber Intonationsschwächen. 

Sämtliche Nebenrollen (Stella Motina (Frasquita), Tatia Jibladze (Mercédès), Andreas Winter (Moralès), Zuniga (toll dargestellt von Timo Riihonen), Michael Müller (Dancairo) und Fred Hoffmann (Remendado)) sind gut besetzt und verhelfen der Oper schauspielerisch zu ihrem komischen Charakter, wie es der Komponist wollte. 

Ganz besondere Erwähnung muss der Kinder-, Opern- und Extrachor unter der Leitung von Lam Tran Dinh finden, die sich ihren großen Aufgaben mit höchster Präzision, homogen und klangschön entledigen. 

Am Ende großer Beifall für alle, besonders für den Escamillo von Tomohiro Takada und das Orchester unter Gastdirigent Rani Calderon; vereinzelte, aber stimmstarke Buhs für das Regieteam. 

Fazit: Ein optisch und musikalisch vollauf gelungener Abend, der gute Unterhaltung ohne zu viel Emotion bietet.

Berit Jürgensen 13.12.15

Bilder (c) Theater Kiel

 

 

MY FAIR LADY

Premiere am 8.11.15

Wunderbare Produktion

 

Am Sonnabend feierte eine Neuinszenierung des Evergreen-Musicals „My Fair Lady“ am Kieler Opernhaus Premiere. Mit fast drei Stunden war es ein langer Musical-Abend, aber zu keinem Moment ein langweiliger. Dafür sorgte - neben den Darstellern auf der Bühne - vor allem das Bühnenbild von Hans Kudlich. Die Handlung spielt in Szenerien der 1950er Jahre. Zur schmissigen Ouvertüre leitet Kudlich mit einem auf das Bühnenportal großflächig projizierten spotähnlichen Bildverlauf, der sich immer mehr zu leitmotivartigen Collagen verdichtet, die Zeitreise in das Nachkriegsjahrzehnt ein.

Später am Abend erkennt man die verschiedenen Collagen, die nun als Hintergrund projiziert werden wieder: das Haus von Prof. Henry Higgins, Ascot, Covent Garden Square. Zusammen mit der hervorragenden, stimmigen Lichtgestaltung von Carsten Lenauer entstehen so tolle farbig-visuell Eindrücke. Und obwohl es sich bei dem übrigen Bühnenbild um ein Einheitsbühnenbild mit einer auf der Drehbühne stehenden großen Balustrade handelt, die mit ihren am linken und rechten Ende versehenen drehbaren Treppenaufgängen in viele Positionen verwandelt werden können, ist die Szenerie äußerst wandelbar.

Besondere Erwähnung muss das grammophonartige Sitzmöbel im Hause Higgins finden. Es versinnbildlicht besonders gut seine Besessenheit von Sprache. Die vielen Kostüme von Silja Oestmann charakterisieren sehr augenfällig, sind individuell und stilsicher. Herausstechen besonders die Hutkreationen im Ascot-Bild.

Die Regie von Ricarda Ludigkeit lässt die Figuren im Raum natürlich agieren. Leider fehlt es aber an der Textarbeit. Obwohl die Darsteller ihre Texte sehr verständlich sprechen, hat man gelegentlich den Eindruck, dass unter Zeitnot gearbeitet wurde und der Text an zu vielen Stellen bloß aufgesagt wird. Hinzu kommt, dass der im Saal sitzende Tontechniker vor allem die Mikrophone für die Textstellen der Chorsänger/innen verzögert einschaltet. Die Choreographien, ebenfalls von Ludigkeit, sind abwechslungsreich, clever und haben viel Schmiss.

Im Zentrum der Geschichte steht die kanadische Sopranistin Lesia Mackowycz, die an diesem Abend als Eliza Doolittle eine große Leistung erbringt. Sie spricht ihre Texte frei von jedem amerikanischen Akzent, gestaltet ihn farbig und berlinert ausgezeichnet und spielt die Wandlung vom ordinären Gör zur feinen Lady eindrucksvoll. Sie scheut sich nicht, ihrer schönen Stimme auch rohe Töne abzugewinnen, trumpft aber in dem bekannten Lied „Ich hätt’ getanzt heut Nacht“ mit jubilierendem Spitzenton auf.

Ihr zur Seite steht mit Ks. Jörg Sabrowski das Ekelpaket Higgins. Er ist besonders stolz darauf, dass er alle Menschen gleich schlecht behandelt. Sabrowski spielt das überzeugend und gibt der Figur gesanglich eine passende herbe Note. In seiner großen Schlussnummer, als man den - tatsächlich ausbleibenden - Wandel des Higgins vermutet, schafft Sabrowski einen rührenden Moment. 

Fred Hoffmann ist als Oberst Pickering besonders sympathisch und bestens textverständlich. Wohltuend, wie er sich stets wohlwollend vor das Mädchen Eliza stellt. Michael Müller als Freddy Eynsford-Hill hat mit dem Evergreen „In der Straße wo du wohnst“ eine der schönsten Musiken des Abends und setzt mit tenoralem Schmelz auf der Laterne tanzend ein musikalisches Glanzlicht. Rudi Reschke als Alfred P. Doolittle bekommt am Premierenabend den stärksten Applaus. Von seiner Körperlichkeit - groß gewachsen und athletisch - für den Faulenzer und Taugenichts ungünstig besetzt, kommt er in seinem Rollenportrait dennoch besonders auf den Punkt. Tänzerisch hinterlässt er einen ebenso starken Eindruck wie in seinem schnoddrig-berlinerischen Spiel und Gesang.

Die kleineren Rollen sind mit Siegmar Tonk (Jamie/Charles der Fahrer) und William Danne  (Harry) rollendeckend gut besetzt. Mrs. Pearce (Norma Regelin) und Mrs. Higgins (Ilka von Holtz) wünscht man eine etwas gelöstere Präsenz und Nachdrücklichkeit im Text. Ansonsten rufen aber auch sie eine gute Leistung ab.

Das Orchester unter Gastdirigent Till Drömann spielt die geniale Musik von Frederick Loewe schmissig und begleitet die Sänger zwar laut, aber präzise. Besonders positiv fällt auf, dass das Publikum nach dem Schlussapplaus durch das Orchester mit einem Medley auf den Heimweg begleitet wird.

Fazit: Ein kurzweiliger Abend mit einem tollen Bühnenbild, charaktervollen Darstellern und genialer Musik.

Berit Jürgensen  9.11.15

Bilder Theater Kiel / Olaf Struck

 

 

 

 

DAS RHEINGOLD

Besuchte Aufführung: 04.10.2015, Premiere: 26.09.2015

Visionär und realistisch

Daniel Karasek vereint Kubrick, Wagner und die Gegenwart

„Das Rheingold“ ist mehr als der Auftakt des „Ring“. Enthalten ist nicht nur die Vorgeschichte, sondern auch das Kommende. Hier sind alle Themen und Handlungsstränge angelegt, hier wird der Lauf des Schicksals programmiert. Im „Vorabend“ der Trilogie ist deren Ende, die „Götterdämmerung“, in jeder Hinsicht absehbar.

Im Prinzip müsste es daher vollkommen genügen, aus einer Inszenierungsreihe von Wagners Opus magnum lediglich „Das Rheingold“ zu besuchen, um zu diesem frühen Zeitpunkt, auch ohne „Die Walküre“ und „Siegfried“ gesehen zu haben, die Sicht – Interpretation und Konzept – des jeweiligen Regisseurs auf den gesamten „Ring“ zu erfassen. Wirklich spannend wird es dann erst wieder in der „Götterdämmerung“: Hier lässt sich die einst – ein bis anderthalb Jahre zuvor – zu „Rheingold“ formulierte eigene Hypothese auf Richtigkeit überprüfen.

In Kiel kann man derzeit zumindest den ersten Schritt zur Probe aufs Exempel tun: Dort hat sich Hausherr Daniel Karasek daran gemacht, den „Ring“ neu zu inszenieren. Seine Version des „Rheingold“ beginnt als winziger, gleißender Punkt auf abgedunkelter Filmleinwand. Ein leuchtender Stern im All, der expandiert, sich wandelt in flüssiges Gold, das wiederum in die Fluten irdischer Ozeane mündet und mit den Strömungen davongerissen wird wie visuell der Zuschauer. Der Anbeginn aller Zeiten, die Evolution im Zeitraffer – jenen Bildern ähnelnd, die man mit Kubricks „Odyssee im Weltraum“ verbindet.

Komplett ins Weltall schießt der Regisseur seinen „Ring“ jedoch nicht, wenn auch das düstere, eine Sonnen- oder Mondfinsternis andeutende Plakat dies nahezulegen scheint – die hinter der Leinwand zum Vorschein kommende Bühnenausstattung (von Norbert Ziermann) ist abstrakt ästhetisiert, aber nicht „spacig“.

Ein sanft leuchtendes Meerespanorama im Hintergrund der ersten Szene, davor die Rheintöchter auf langen Metallstangen schaukelnd, gekleidet in fließende Gewänder, die ebenso der griechischen Antike wie dem Jugendstil entstammen könnten. Als im zweiten Bild die Götter die Szene beherrschen, ein weiterer Bruch: Hier ist – fast – alles (Silber-)Graublau, die Herren tragen überdies strenge, an historische fernöstliche Mode erinnernde Überkleider oder, im Falle Wotans, eine Art schlichten Königsmantel. Ein merkwürdiges Sammelsurium all dies, sich (nicht nur bildsprachlicher) Eindeutigkeit verweigernd. Die Götter durchaus als Herrscher, nicht jedoch als Politiker erkennbar. Eher als Protagonisten einer – äußerst subtil beschworenen – Spaßgesellschaft, der der Spaß altersbedingt abhanden gekommen ist. Übrigens sind nicht einmal die naiv-unschuldigen Rheintöchter wirklich verspielt – eher sitzen sie wie eitle Hühnchen auf der Stange.

Einzig eine Figur gewinnt – vor dem Hintergrund vorherrschender Silbrig-, wenn nicht gar Farblosigkeit – in dieser Inszenierung erstaunlich an Ausdrucksstärke: Loge. Nicht nur seiner Zuständigkeit für das Element Feuer halber hat ihn die Kostümbildnerin (Claudia Spielmann) mit einem kardinalroten Unterkleid ausgestattet, das unter dem überdies pupurfarbenen Mantel hervorsticht. Ein Mann der Kirche (von Michael Müller wunderbar typisch in Habitus und Gestus verkörpert), umtriebig und mit allen Wassern gewaschen, mit den Mächtigen und Armen gleichermaßen paktierend und dabei stets auf den eigenen Vorteil bedacht – die Fingerspitzen, um sie nicht selbst schmutzig zu machen, sorgsam-diskret unterm Revers verbergend. Und tatsächlich passt all dies zu seinem Text: Ein kühl kalkulierender Strippenzieher, der mit spitzfindig-jesuitischer Kasuistik argumentiert („Was einem nicht gehört, kann man nicht rauben“) und der sich, nicht ungern, in der klassischen Rolle des Beichtvaters eingerichtet hat – wohin er auch kommt, wird ihm Leid geklagt, werden Vergehen eingestanden, wird ihm mithin Informationsvorteil verschafft.

Auf andere Weise augenfällig die Riesen: Von Figurenspielern bewegte übergroße Skelette aus Granit – museale Dinosaurier, die Zukunft der Götter vorwegnehmend, Höhlenmenschen, lagernd an der Basis der Bedürfnispyramide (Essen, Schlafen und wärmende Nähe), von denen einer dem anderen eins über den Schädel haut, um die Beute ganz für sich allein zu haben.

Einen Vorgriff auf letzteres enthält die Videosequenz, die den Abstieg in die Tiefen Nibelheims einleitet: Die Evolution schreitet voran – Mikroorganismen des Lebens entstehen, wachsen sich aus zu wilden Tieren. Das Fressen und Gefressenwerden, nicht nur Grundprinzip der „wilden“ Natur, sondern auch des „zivilisierten“ Kapitalismus, ist an der Tagesordnung. Und zwischen alledem ein – noch – wehrloser, hungriger Menschenaffe. Nur wenige Sekunden später zertrümmert er, mit Hilfe eines Knochens, einen Antilopenschädel. Die Not hat ihn erfinderisch gemacht, und im Triumpf schleudert er das neu geschaffene Werkzeug in die Luft. Der Abfall des Ur-Menschen von der Natur, die er sich fortan untertan machen wird, hat hier seinen Ursprung.

Obwohl dieser kurze Moment in der Wüste stattfindet, spielt er gleichermaßen im All – er ist Teil einer der berühmtesten Szenen in Kubricks „Odyssee im Weltraum“. Daniel Karasek zeigt den Kontext, in den er den „Ring“ gestellt hat, nicht kontinuierlich, und dennoch ist dieser stets gegenwärtig. Das nur auf der virtuellen Ebene Sichtbare ist eigentliches Thema: Die Verdrängung nicht nur des Todes, sondern des Bewusstseins für die Tatsache, dass das Bestehende sterben muss, damit Neues entstehen kann. Dies war die Botschaft, die Wagner in „Rheingold“ beabsichtigte, wie einem Brief an August Röckel zu entnehmen ist (im Programmheft abgedruckt unter der Überschrift „Wir müssen sterben lernen oder ‚Alles was ist, endet’“). Und auch Kubricks Film hat (irdisches) Vergehen und Werden zum Thema – besonders symbolträchtig am Schluss, als das Bild des sterbenden Astronauten überblendet wird vom lächelnden Gesicht eines im Weltall schwebenden Fötus. Das Antlitz des Gealterten, Toten, findet sich auf jenem des noch Ungeborenen, Jungen, wieder.

Dennoch, bei aller buchstäblichen „Abgehobenheit“ ist in Daniel Karaseks Inszenierung auch das Weltliche zugegen (was umso bedeutsamer ist, da „Rheingold“ ausschließlich in den himmlischen Höhen der Götter oder den unendlichen Tiefen der Erde – Meeresgrund und Bergwerkschacht – spielt). Zwar scheint die Wirklichkeit zunächst ganz fern, fast wie ein Märchenland. Märchenhaft nämlich mutet das Modell Walhalls, das in der zweiten Szene auf dem Tisch steht, auf den ersten Blick an: Mit zahllosen hochragenden Türmchen ist es beinahe eine Miniaturausgabe des Lieblingsrefugiums Ludwig II., dem Wagnerverehrer und -förderer. Spätestens am Schluss, als großformatige Bildprojektion über die gesamte Bühnenrückwand, erweist sich das spielzeughafte Schloss Neuschwanstein jedoch als megalomane Metropole – eine irre Vision von Gotham City und seinen bizarren Wolkenkratzern. Der Kapitalismus, die Börse, der Immobilienboom haben ihr Spiegelbild nicht etwa in des Rheines Gold – das steht für die absolute Schönheit der Natur – sondern in Wotans wahnhaftem Wolkenkuckucksheim. Die dahin führende Brücke ähnelt nicht zufällig der Brooklyn Bridge.

Manhattan allerdings kommt in Kubricks Weltraumepos nicht vor. Und dennoch lässt sich eine Verbindung herstellen zwischen seinem Film und jenem Ort. Der vollständige Titel nämlich enthält eine – zur Entstehungszeit des Films in der Zukunft liegende – Jahreszahl. Dass die Menschheit von künstlicher Intelligenz bedroht, sogar überwunden werden würde, galt 1968, als Kubrick seinen Film drehte, als wahrscheinlich. Sein Schlussbild verweist jedoch zumindest auf die Hoffnung einer Utopie als Zukunftsvision: Die bestehende Menschheit würde sterben – doch würde irgendwo im All eine neue, freundliche und friedliche(re) geboren werden.

Als die im Filmtitel genannte Jahreszahl in der Realität tatsächlich erreicht war, wurde jedoch etwas ganz anderes klar: Nicht in der künstlichen Intelligenz ist die größte Bedrohung der Menschheit zu sehen – sondern im Fanatismus und dem darin enthaltenen selbstzerstörerischen Potenzial, das im Menschen angelegt ist.

Dieser fatale Aspekt spielt auch am Schluss der „Götterdämmerung“ die entscheidende Rolle: Bünnhilde – von allem „Personal“ des „Ring“ der intelligenteste, aufgeklärteste und modernste Mensch –, verfällt in ihrem Abschiedsgesang einem dem Fanatismus nahestehenden Denken. Im Prinzip ließe sich ihr Handeln als das einer Selbstmordattentäterin begreifen. Und, ausgehend vom finalen Hintergrundbild dieses „Rheingold“, würden hinter ihr nicht nur ein Paar Wolkenkratzer, sondern die gesamte Gotham City in Flammen vergehen.

Lohnenswert ist der Besuch von Daniel Karaseks „Rheingold“ aber nicht nur zum Zweck der Hypothesenfindung darüber, was er mit den nächsten drei „Ring“-Teilen anstellen wird. Das Philharmonische Orchester Kiel unter Leitung von Georg Fritzsch meistert den Trilogie-„Auftakt“ gleichermaßen mit Verve und Dramatik. In Wagners Werken sind bekanntlich vor allem die Gesangspartien „mörderisch“ – in Kiel werden ausnahmslos alle Solisten den immensen Herausforderungen gerecht (in den Hauptrollen Thomas Hall als Wotan, Cristina Melis als Fricka, Agnieszka Hauzer als Freia, Michael Müller als Loge). Besonders erwähnenswert: Jörg Sabrowski als Alberich, Timo Rhiihonen als Fasolt, Marek Wojciechowski als Fafner und – eine wahre Offenbarung – die „Stimme der Schöpfung“, Rena Kleifeld als Erda.

Christa Habicht, 6. Oktober 2015

Fotos: Olaf Struck

 

DAS RHEINGOLD

Premiere 26.9.15

Wenn man die Sommer-Oper auf dem Rathausplatz vor dem Kieler Opernhaus nicht mitrechnet, wurde gestern in Kiel die aktuelle Spielzeit eröffnet. Fast 20 Jahre nach dem legendären Ring in der Regie von Kirsten Harms wird erstmals wieder in Kiel ein neuer Ring geschmiedet. Somit war die gestrige Rheingold-Premiere auch der Auftakt zum neuen Ring-Zyklus in der Regie von Generalintendant Daniel Karasek und der musikalischen Leitung von GMD Georg Fritzsch.

Regisseur Daniel Karaseks großes Verdienst liegt darin, dass er keine Interpretation versucht. Er verlegt die Handlung in eine modern mythische Welt und wird darin insbesondere durch die ästhetischen und klaren Linien folgenden Kostüme von Claudia Spielmann-Hoppe unterstützt. Das großformatige Bühnenbild wurde von Norbert Ziermann erdacht. Es handelt sich dabei um drei unterschiedliche Orte (die Tiefen des Rheins, die Welt der Götter und Niebelheim), die einer eher simplen, dennoch schönen Formensprache folgen.  

Ingesamt handelt es sich um eine archaische, abstrakte Ästhetik, die seltsamer Weise dann vom Regisseur konkretisiert wird, wenn gerade die Abstraktion eine interessante Dimension eröffnet hätte (beispielsweise in der konkreten Darstellung des Rheingoldes/Hortes oder den Riesen, die von dem Figurenbildner Marc Schnittger liebevoll erdacht, gebaut und choreographiert wurden).

Unterstützt wird das Team von Videoprojektionen während des Vorspiels, sowie den Verwandlungen nach Niebelheim und zurück, die vonKonrad Kästner handwerklich ganz vorzüglich erstellt wurden und technisch auch anspruchsvolle Cineasten befriedigen können. Dennoch passen viele der gezeigten Projektionen nur bedingt sowohl zum Verlauf der Musik als auch zur restlichen Ästhetik. Filmschnitte scheinen willkürlich und gehen mit der Musik gerade im Vorspiel nicht Hand in Hand.

Hier hätte man sich eine bessere Abstimmung zwischen Regisseur und Dirigenten gewünscht. Dabei macht GMD Georg Fritzsch in vielen Punkten eine gute Figur. Er versucht die Sänger stets aufmerksam zu begleiten, deckt im Klangrausch die Sänger bisweilen unnötig zu. Besonders in den ersten Momenten der jeweiligen Sängern. Was in den folgenden Vorstellungen unbedingt verbessert werden müsste ist die Balance im Graben zwischen dominanten Bläsern und den Streichern, die in Kiel immer etwas dünn tönen. Besonders gut gelingen die Verwandlungsmusiken nach Niebelheim und zurück. Groß und beeindruckend gestalten die Kieler Philharmonikernvor allem den finalen Einzug der Götter nach Walhal.

Im neuen Kieler Rheingold beeindrucken vor allem die Sänger, die bis auf Wotan, Fricka und Erda aus dem eigenen Haus besetzt werden können. Den stimmlich wie darstellerisch ausgefeiltesten Eindruck machte am Premierenabend der Loge des Michael Müller. Überaus präsent ist er ein wahrer Mephisto auf der Bühne. Seine Textverständlichkeit ist hervorragend. Stimmlich entwickelt er die Partie und aus einem schönen, vollen, durch alle Lagen ausgeglichenen Ton.

Ks. Jörg Sabrowski gefällt in der Rolle des Alberich. Die dunkle, kernige Farbe seines Bass-Baritons gibt der Partie eine dämonische Eindrücklichkeit. Und was ihm in der exponierten Höhe der Partie fehlt, macht er durch ein sehr charakteristisches, expressiv-leidenschaftliches Spiel wett.  Der Wotan des amerikanischen Gastsängers Thomas Hall ist mit würdevollem Ton gesungen. Besonders warm klingt er im Schlußgesang „Abendlich strahlt der Sonne Auge“.

Besondere Erwähnung muss auch der Sänger des Mime, Fred Hoffmann, finden. Sein Text ist bestens verständlich. Die anderen Götter Fricka (Cristina Melis), Freia (Agniezka Hauzer), Froh (Yoonki Baek) und Donner (Tomohiro Takada) entledigen sich ihrer Aufgabe stimmlich rollendeckend, agieren jedoch eher statisch.

Nicht groß, aber massig sind die Riesen-Figuren Fasolt und Fafner, die von jeweils vier Figurenspielern geführt werden. Dazu erklingen auf der Bühne die Stimmen von Timo Riihonen (Fasolt) und Marek Wojciechowksi (Fafner), wobei sich letzterer mit guter Textverständlichkeit und starkem Ausdruck hervorhebt. Rena Kleifeld verleiht der Erda bei ihrem kurzen Auftritt in das in rot getränkte Bühnenbild eine warme, strömende Farbe.

Unter den Rheintöchter gefällt besonders Tatia Jibladze (Floßhilfe) mit deutlichem, schönem Mezzo. Komplettiert wird das schönstimmige Trio durch Hye-Jung Lee (Woglinde) und Ks. Heike Wittlieb (Wellgunde).

Fazit: Für Wagnerianer und Interessierte ist dieses Rheingold in Kiel ein Muss: ein großer Abend, der dem Publikum sofort nach dem letzten Ton viele Bravos entlockt. Besonders gefeiert wurden die Darsteller des Loge, Alberich und Wotan. Viel Zustimmung auch für die simple und ästhetische Realisierung der Szene, sowie die engagierten Musiker im Graben.

Berit Jürgensen 27.9.15

Bilder: Olaf Struck / Thester Kiel

 

 

TANZSTÜCK FAUST

Uraufführung am 5.4.14

Der historische Johann Georg Faust war ein Alchimist, der um die Wende des 15. zum 6. Jahrhundert un Badischen lebte. 1540 soll er sich in einem noch heute bestehenden Gasthof in Staufen im Breisgau bei chemischen Versuchen in die Luft gesprengt haben. Schon bald raunte der Volksmund, der Teufel habe ihn geholt. Und Faust wurde zum Stoff für Sagengeschichten, Romane, Dichtungen und musikalische Werke – von Christopher Marlowe bis Bulgakow und Thomas Mann. Und jetzt eben ein „Tanzstück“ des Kieler Ballettdirektors Yaroslav Ivanenko – „inspiriert von Johann Wolfgang von Goethe“. An diesem Sonnabend hatte es im bemerkenswerterweise n i c h t ausverkauften Opernhaus seine Uraufführung. Der Altmeister hätte seine Freude daran gehabt. Und das Publikum dieser Uraufführung war – völlig zu Recht – begeistert.

Ivanenko spricht von einem „Tanzstück“. Tatsächlich lässt sich seine Schöpfung genremäßig schwer einordnen. Vor allem im zweiten Teil ist es überwiegend klassisches Ballett. Daneben haben Chor und Extrachor – einstudiert von Barbara Kler, Moritz Caffier und Lam Tran Dinh - mit geheimnisvollem Gesang und rhythmischen Bewegungen großen Anteil am Geschehen auf der Bühne. Zu Beginn ist das Stück reine Pantomime, aber die Darsteller des Faust und des Mephisto müssen auch Texte aus em „Urfaust“ sprechen. Und schließlich haben die Sängerin Sonia Dvorak und die Solisten  Nikolaos Doede (Gitarre) und Mzia Jajanidze (Klavier) ihren Anteil. Sonst aber wird die Musik – Ivanenko verwendet Schöpfungen von Alfred Schnittke, Frédéric Chopin und Peter Tschaikowski neben modernem Pop – elektronisch eingespielt.

Die Handlung dieses Tanzstückes folgt nur bedingt Goethe. Faust blickt am Ende seines Lebens auf viele Erfolge zurück, die ihn aber nicht befriedigt haben. Völlig frustriert will er Selbstmord begehen, als Mephisto in Gestalt eines Pudels erscheint. Nach dem Teufelspakt verjüngt Mephisto seinen Schüler in einem neuen Körper in einen mondänen Zeitgenossen. Faust lernt Gretchen kennen und lieben – zum Ärger des Teufels. Faust will sich seinem Einfluss entziehen. Aber auch Gretchen Faust.

Während Gretchen verzweifelt ihr Kind getötet hat, nimmt Mephisto Faust auf eine fantastische Reise. In der Walpurgisnacht tanzen Barockgeschöpfe. Die treiben Schabernack mit Faust. Als dieser Gretchen entdeckt, erwacht seine Liebe wieder. Die kommt im Hochzeitstaat zurück. Aber war es wirklich Gretchen?. Der Teufel war’s, Faust fährt zur Hölle und Gerechten entschwindet in den Hhimmel.

Das wird in geheimnisvoller Dämmerung in der Ausstattung von Elisabeth Richter vom kopfstarken Kieler Ballett umgesetzt. Allen voran Anna Romanova als reizvolles Gretchen, Llewelyn Malan als Faust und Edward James Gottschall als Mephisto. Heather Jurgensen und Preslav Mantchev waren für die tankerische Umsetzung verantwortlich. Eine großartige Leistung aller Beteiligten, die von den Zuschauern jubelnd gefeiert wird.

Horst Schinzel 5.4.14                                           

Fotos Olaf Struck

 

 

 

 

DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR

Premiere 15.3.2014

Liebevoll ausgearbeitet

Der früh vollende Komponist Otto NIcolai (1810 – 1849) hat nur ein schmales Oeuvre hinterlassen. Von dem hat sich nur die 1849 wenige Wochen vor seinem Tode uraufgeführte komische Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ auf den Spielplänen halten können. Nicolai folgt der von Shakespeare erzählten Geschichte von dem liebeshungrigen Sir John Falstaff. Dabei muss sich sein Werk den Vergleich mit der späteren Oper „Falstaff“ Verdis gefallen lassen. Und bei aller Schönheit der Musik Nicolais und der liebevoll ausgearbeiteten Spielhandlung zeigt sich doch, dass verglichen mit dem großen Italiener Nicolai doch eben nur ein Kleinmeister war.. 

In Kiel ist diese Oper nach fast zwanzig Jahren wieder auf den Spielplan gehoben worden Dafür hat die freie Regisseurin Adriana Altaras in ihrem Debüt am Kleinen Kiel  zusammen mit dem Chefdramaturgen Ulrich Frey die gesprochenen Dialoge – nicht immer glücklich – neu gefasst und auch sonst das Stück aufgemotzt. So etwa in der Arie der Frau Reich zu Beginn des dritten Akts. Dem Publikum gefällts

Die Regisseurin zeigt die turbulente Handlung im Bühnenbild von Norbert Ziermann

und den nicht sehr stilsicheren Kostümen von Nina Lepilina im Hier und Jetzt in einem Stundenhotel . In dem ist der Sir John Falstaff des Timo Rhiihonen abgestiegen. Der ist keineswegs feist und lüstern, sondern – zwar durchaus stattlich – einsam auf der Suche nach einem Menschen und ein bisschen Liebe. Und weil er die nicht findet, ertränkt seinen Kummer im Suff. Seine Zerrissenheit macht er eindrucksvoll in der s o kaum gehörten Bravourarie „Als Büblein klein“ deutlich.

Heike Wittlich und Rosanne von Sandwijk sind als Alice Fluth und Margaret Reich zwei starke Frauen, die die Gelegenheit zwar zu derben Späßen mit dem bedauernswerten Falstaff nutzen, vor allem aber ihren Männern Jörg Sabrowski als Frank Fluth und Christoph Woo als George Reich zeigen, dass deren Eifersucht verfehlt und grundlos ist. Daneben finden noch Susan Gouthro als Anna Reich

und Michael Müller als Fenton zu einander.

Der Regisseurin sind mit dem von Barbara Kler einstudierten Chor und süßen Kindern großartige Massenszenen gelungen, die ihren Höhepunkt in der Schlussszene im Wald von Windsor finden. Hier reißt der Musikalische Leiter Leo Siberski das Philharmonische Orchester zu Höchstleistungen mit. Alle Mitwirkenden – auch die in Nebenrollen – bieten darstellerisch und sängerisch eine runde Leistung – sieht man davon ab, dass hier und da sie der Versuchung erliegen, zu statuarisch zu singen.

Ein rundum gelungener Abend, der vom Premierenpublikum nach vielem Szenenbeifall begeistert gefeiert wird.

Horst Schinzel 16.3.2014                                                Fotos Otto Struck

 

 

 

TRISTAN UND ISOLDE

Premiere 25.01.2014

Nach Lübeck hat nun auch die Kieler Oper dem Wagner-Jubiläum mit einer Inszenierung seines Liebesdramas „Tristan un Isolde“ Tribut gezollt. Der „Wagnerianer“ möchte reizvolle Vergleiche ziehen. Hausherr Daniel Karasek hat das Musikdrama werkgetreu auf die Bühne gebracht. Er ist nicht der Versuchung erlegen, die frühmittelalterliche Sage neu zu interpretieren. Wagners Oper fußt auf einer Erzählung aus dem Sagenkreis um den König Artus des mittelalterlichen Dichters Gottfried von Straßburg.

Für das Bühnenbild hat er  mit der renommierten japanischen Künstlerin Chiharu Shiota eine für ihre Wollfadentechnik bekannte Gestalterin an den Kleinen Kiel geholt. Die bietet in den ersten beiden ersten Akten eine minimalistische Ausstattung, die sich im dritten Akt zu reizvollen Fadengeflechten steigert. Immer neue Scheiben mit den Geknüpften einer Klasse der Muthesius-Hochschule sinken auf die Bühne herab und engen die Möglichkeiten der Darsteller ein. Sehr eindrucksvoll! Für die Kostüme zeichnet einmal mehr Claudia Spielmann verantwortlich.

Für die Hauptrollen hat Karasek mit Bryan Register und Jane Dutton zwei international erfahrene Gäste verpflichtetet. Für beide ist der Auftritt in Kiel ein Rollen-Debüt. Jane Dutton verfügt über eine schöne und schön geführte Stimme, die allerdings in den Höhen mitunter schrill klingt. Bryan Register beeindruckt vor allem in der langen Sterbeszene des Dritten Aktes. Hier und da Intonationstrübungen sind gewiss der Premieren-Nervosität geschuldet und werden sich sicher  mit zunehmender Erfahrung abschleifen. Als Brangäne gefällt  in Spiel und Gesang Alexandra Petersamer. Thorsten Grümbel ist ein sonorer König Marke. Endrucksvoll singend und spielend gibt Alejandro Marco-Buhrmester den Tristan-Freund Kurwenal. Fred Hofmanns  Melot ist eine  Karikatur eines Höflings.

Den in diesem Werk nur wenig geforderten Chor hat Barbara Kler einstudiert. Generalmusikdirektor Georg Fritzsch führt das klar und sicher spielende Philharmonische Orchester mit langsam genommenen Tempi durch den Abend, der so zu einem großen Erlebnis wird und vom Premierenpublikum nach Schluss stürmisch gefeiert wird. 

Horst Schinzel 26.1.14                                      Fotos Olaf Struck

 

 

 

 

Gleich drei begeisterte Jenufa-Kritiken führen zur Verleihung des raren OPERNFREUND-STERNs für diese Produktion

JENUFA

Pemiere am 28.9.13                1.Kritik

Das reine Opernglück!

„Dir, Kind, soll es einmal besser ergehen als mir!“ Ein Satz, der Geschichten erzählen kann,  nicht nur positive, ein Satz, der quasi als Leitmotiv steht bei Leo Janaceks  Meisterwerk „Jenufa“, ein Satz, der hier das Scheitern schon beinhaltet.
Das hat sich die Küsterin geschworen, ihre Stieftochter Jenufa soll nicht so von einem Mann enttäuscht werden wie sie. Dafür ist ihr jedes Mittel recht, auch Mord. Doch Jenufa liebt Steva, den Dorfbeau, der die Küsterin fatal an ihren Mann erinnert. Sie favorisiert Laca, Stevas Halbbruder, zuverlässig, bieder und auch in Jenufa verliebt. Doch Jenufa ist schwanger, von Steva, der nichts mehr von ihr wissen will. Eine Katastrophe im Dorf! Die Küsterin schafft das Problem auf ihre Art aus dem Weg: Sie ermordet das Baby, wirft es in den eiskalten Fluss und erzählt Jenufa, dass es bei der Geburt verstorben sei. Der Weg ist frei für Laca, doch die Küsterin hat mit einem nicht gerechnet: Ihrem Gewissen, ihrem Leben mit der Schuld. Aber die Geschichte endet positiv, Jenufa geht mit Laca in eine gemeinsame Zukunft, eine Liebe, die viel ausgehalten hat, eine Liebe, die nicht an Katastrophen verzweifelte. Musikalisch ein so ergreifender Schluss, dass das Publikum einige Sekunden in Schockstarre verharrt, bevor der Jubel losbricht. 

„Jenufa“ am Opernhaus Kiel, das ist, schlicht und einfach, eine gelungene Produktion, ein Abend, der unter die Haut geht und der zeigt, wozu Oper fähig ist. Das liegt auch an der interessanten und packenden Inszenierung von Arila Siegert, die die Geschichte sauber und schlüssig erzählt, ohne konventionell zu wirken. Frau Siegert kommt vom Tanztheater, sie war Solotänzerin an der Staatsoper Dresden, sie arbeitete mit Ruth Berghaus und Peter Konwitschny zusammen, ihre erste Oper war „Macbeth“ in Ulm 1998, zusammen mit dem Bühnenbildner Hans- Dieter Schaal und Marie- Luise Strandt ( Kostüme), die auch jetzt auch mit ihr nach Kiel kamen. Alles folkloristische Beiwerk ist aus der Inszenierung verbannt, ohne die Geschichte zu beschädigen, im Gegenteil, geradezu schmerzlich wird das Leid der Akteure, die Enge der dörflichen Gemeinschaft brennpunktartig auf die Bühne gebracht. Und man merkt an jeder Stelle der Inszenierung, dass Frau Siegert vom Tanz kommt. Ob es nun die wundervollen Chöre sind  oder nur Bewegungsabläufe der Sänger, die Personenführung ist durchdacht bis in kleinste Kleinigkeiten.  Bei der Besetzung ist sehr bemerkenswert, dass die Oper Kiel alle Rollen, bis auf eine Ausnahme ( Laca), mit eigenem Ensemble besetzt.
Marina Fideli verkörpert die Küsterin nicht als Monster, nicht als alte, verbitterte Frau. Dank ihrer wundervollen, lyrischen Stimme wird hier eher das Rollenportrait einer sich sorgenden Mutter, einer Frau, vom Leben gezeichnet , geboten. Ich habe Frau Fideli in Kiel in diversen Rollen gesehen, doch als Küsterin macht sie sprachlos. Ein extrem starker Auftritt, den das begeisterte Publikum zu Recht bejubelte. Ganz wundervoll die Besetzung der zwei Stiefbrüder, allein schon vom Äußeren ein Volltreffer: Auf der einen Seite Yoonki Baek als der junge, flatterhafte Steva, auf der anderen Seite George Oniani als sein biederer, rechtschaffener Bruder. Er wurde vom Publikum begeistert gefeiert. Sie beide zeichnen stimmlich und darstellerisch ein restlos überzeugendes Bild der ungleichen Brüder. Tenoral voll aufblühend, geradezu schmachtend Yoonki Baek als Steva, George Oniani dagegen ein Mann, der verzweifelt liebt und dieser Liebe stimmlich perfekt Ausdruck gibt.

Ein Glücksfall ist Agnieszka Hauser in der Titelrolle. Ihr ist es zu verdanken, dass dieser Abend zum reinen Opernglück wird. Eine zierliche, hübsche Person, die den Leidensweg der Jenufa fesselnd und anrührend nachzeichnet, das Gebet im 2. Akt gerät zum magischen Moment, wo man weiss, wieso man  opernsüchtig werden kann, quasi eine Legitimation für dies Genre. Mühelos packt sie die Klippen der Partitur, führt ihren wundervollen Sopran  durch alle Höhen , verzaubert das Publikum in den leisen Passagen.Und das Finale mit Laca singt sie so hinreißend, das allein hierfür der Abend lohnt.

Auch die kleineren Rollen waren geradezu luxuriös besetzt. Neu am Opermhaus Kiel ist Timo Riihonen, dessen Dorfrichter neugierig auf weitere Rollen machte. Juliane Harberg als  Buryja und Christoph Woo als Altgesell rundeten die  stimmige Besetzung ab. Ein Sonderlob dem Kieler Opernchor, der, wie immer, wundervoll sang und von Barbara Klier hervorragend einstudiert war.

Welche Raffinesse  in der Partitur steckt, wurde einem durch das Dirigat von Leo Siberski, erstem Kapellmeister am Opernhaus Kiel, bewusst.Geradezu traumwandlerisch sicher das Spiel der Kieler Symphoniker, ein Genuss die Soloparts, hier hervorzuheben die Violine. Alles passte zusammen, alles wie aus einem Guss und man kann dem Opernhaus Kiel nur danken für einen Opernabend, der Suchtpotential hat!

Claus Brandt                          Bilder: Theater Kiel / Olaf Struck

 

 

JENUFA

Premiere am 28.9.13                 2.Kritik


Emotion pur in einer grandiosen Vorstellung!

Vor einigen Jahren habe ich in Prag erstmalig Leo Janaceks „Jenufa“ gesehen. Wie in Prag so üblich, bestach das Bühnenbild durch seinen ausgeprägten Naturalismus, um es einigermaßen positiv auszudrücken. Deutsches Regietheater ist von solch durchaus gelungenen Interpretationen etwa so weit entfernt wie Anna Netrebko von ihrer ehemaligen Figur.

Nun also zweites Kennenlernen, an der Förde, im Opernhaus Kiel und welch ein grandioser Unterschied. Alle Beliebigkeit, alles künstliche Drumherum mit  folkloristischen Tanzeinlagen, bunten Kostümen und großen Birken, hinweggefegt von einer packenden Inszenierung, für die Arila Siegert verantwortlich zeichnet. Mit dem Bühnenbildner Hans- Dieter Schaal und den Kostümen von Marie- Luise Strandt erlebt man die tragische Geschichte einer verzweifelten jungen Frau hautnah, ja, man leidet mit. Da ist nichts überzeichnet, die Tragik der handelnden Personen erschließt sich durch sparsame Gesten, Blicke. Eine herausragende Inszenierung, die sich mit jedem großen Opernhaus messen kann! Die Leistung der Regie besteht in der stringenten Erzählweise ohne Mätzchen. Da reichen ein Tisch, Stühle, eine in dunkles Blau ausgeleuchtete Bühne, um die Emotionen der handelnden Personen transparent erscheinen zu lassen. Ganz hervorragend die Lichtregie.

Ohnehin straft die Handlung der „Jenufa“ all die Lügen, die meinen, Opernlibretti seien doch realitätsfern und unglaubwürdig. Jenufa soll es besser haben als die Küsterin! Das hat sie sich geschworen. Und sie schreckt auch vor Kindsmord nicht zurück. Den passenden Mann hat sie auch schon ausgesucht, aber nichts läuft nach Plan. Ausgerechnet bei der Hochzeit wird die Leiche des Babys gefunden. Auch hier zeigt sich die Stärke von Jenufa, sie findet die Kraft, ihrer Stiefmutter zu verzeihen. Der Schluss der Oper, wo Jenufa und Laca gemeinsam in ein neues Leben gehen, gehört musikalisch zu den Highlights der Opernliteratur. So schön, so ergreifend wie in Kiel präsentiert, das muss man gesehen haben. Gänsehaut pur!

Stimmlich gehört ihr der Abend, Agnieszka Hauser als Jenufa! Eine junge Sängerin, die speziell im 2. Akt ( der für mich neben Puccinis „Suor Angelica“ zu den Sachen gehört, die emotional extrem packen) die ganze Bandbreite ihres Könnens abliefert. Schauspielerisch eine Offenbarung, wie sie beim Gebet auf die Knie sinkt, dann die Nachricht verdauen muss, dass ihr Kind angeblich bei der Geburt verstorben ist. Sie stemmt  die Partie grandios. Mühelos die tückischen Höhen, zart und lyrisch die Pianostellen, eine wundervolle Sängerin mit Potential für die Zukunft.

Marina Fideli, die in Kiel als Carmen und Ortrud überzeugte, nun als Küsterin, wahrlich keine leichte Partie. Wurde diese Rolle in der bereits erwähnten Prager Inszenierung als alte, verhärmte, knallharte Matriarchin gezeichnet, erlebt man hier eine zwar vom Leben geprägte Frau, die aber auch liebende Mutter ist und die durch ihre Vorgeschichte nur „das Beste“ für ihre Tochter will. Wie so etwas ausgeht, weiss man. Frau Fideli wurde vom Publikum gefeiert, völlig zu Recht. Sie beherrschte die Bühne, zuerst als strenge Mutter, dann als gebrochene Frau. Ihre sängerische Leistung war grandios, messerscharf ihre Attacken, dann im 3. Akt sanft und lyrisch.  Yoonki Baek singt den Tunichtgut Steva, mit ausdrucksstarkem Spiel und müheloser Höhe. Schon rein vom Aussehen das genaue Gegenteil: George Oniani als Laca, als verzweifelt Liebender. Von der Regie war sein Rollenprofil eher verhalten angelegt, er überzeugte durch seinen wunderbar geführten Tenor. Auch für ihn Bravorufe vom Publikum. Der Rest des Ensembles ebenso hochkarätig. Juliane Herberg als alte Buryja, Christoph Woo als Altgesell und, neu in Kiel, Timo Riihonen, der kraftvoll den Dorfrichter gab. Ganz vorzüglich der Opernchor, der auch stark schauspielerisch gefordert wurde. Betörend sinnlich und opulent auftrumpfend die Kieler Symphoniker unter Leo Siberski. Da war nichts holzschnittartig, die Solovioline einer der Höhepunkte des Abends. Welche Kraft und Schönheit in Janaceks Musik steckt, wurde auch dem Teil des Publikums deutlich gemacht, die diese Oper noch nicht kannten.


Ein Abend, den man nicht vergisst, der einem zeigt, warum man Opernfan ist. Alle Janacek- Fans und die, die es werden wollen: Auf nach Kiel!

Maximilian von Grünfeldt                               Fotos: Olaf Struck

 

 

JENUFA

PR 28.9.13                                            3.Kritik

Spannender Opernkrimi

Der tschechische Komponist Leos Janacek (1854 – 1928) hat ein umfangreiches musikalisches Werk hinterlassen, wovon sich auf unseren Bühnen und Konzertpodien neben dem reizvollen Tiermärchen „Das schlaue Füchslein“ vor allem die anspruchsvolle Oper „Jenufa“ erhalten hat. Auch die wird selten gespielt – in Kiel zuletzt vor40 Jahren. An diesem Sonnabend hatte im Opernhaus am Kleinen Kiel ebne Neueinstudierung von Arila Siegert in der Urfassung von 1908 ihre gefeierte Premiere.

Die Handlung dieses expressionistischen Musikwerkes ist dunkel, und sehr spannend. Eine im Dorf durchaus als Küsterin angesehene Frau will ihrer Stieftochter eignes Leid ersparen. Als diese von einem wohlhabenden Müller schwanger wird, fordert sie vom Kindesvater, dass dieser sein Kind anerkenne. Der verweigert dies und in irrer Verzweiflung bringt die Großmutter das Kind um. Dies wird erst im nächsten Frühjahr ruchbar, als das Eis die versteckte kleine Leiche freigibt. Die Frau bekennt sich zu ihrer Schuld und öffnet so ihrer Steiftochter den Weg in ein – hoffentlich – schöneres Leben mit einem biederen Bürger dieses Dorfes.

Dies alles wird in dem minimalistischen Bühnenbild von Hans-Dieter Schaal – das vor allem auf die Vorstellungskraft der Zuschauer setzt – und den zeitgenössischen Kostümen von Marie-Luise Brandt spannend und mit großartigen Volksszenen erzählt. Janaceks expressionistische Tonsprache gibt den Geist der Entstehungszeit wider und geht bis an die Grenzen der Tonalität, ohne diese zu sprengen. Die Komposition setzt hohe Anforderungen an die Sänger – insbesondere an die beiden wesentlichen Frauenrollen der Küsterin Buryia und der Jenufa, die mit Marina Fideli and Agnieska Hauser hervorragend besetzt sind. Beide singen und spielen über 150 Minuten hinweg großartig. Neben ihnen haben es Yoonki Baek als Steva und George Oniani als Laca schwer. Vor allem Letzterer bleibt recht blass. Als neues Ensemblemitglied stellt sich der finnische Bassist Timo Riihonen in der kleinen Rolle des Dorfrichters vor. Die zahlreichen Nebenrollen sind eindrucksvoll besetzt und der von Barbara Kler einstudierte Chor überzeugt einmal mehr.

Der Erste Leo Siberski hat das Philharmonische Orchester und den großen Apparat jederzeit gut im Griff. Vor allem die vom Komponisten geforderten Bläser haben eindrucksvolle Einsätze. Und der Dirigent weiß das Orchester so zu dämpfen, dass es die Sänger nicht überdeckt. Der Schlussbeifall ist lang und stürmisch.

Horst Schinzel                                                    Fotos Olaf Struck

Weitere Aufführungen: 6., 13. und 18. Oktober

 

 

 

 

Sommeroper in Kiel auf dem Rathausplatz

DER TROUBADOUR

Premiere am 17.8.13

Als es in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt Kiel im August vorigen Jahres erstmals eine sommerliche Freilichtaufführung einer Oper gab, war der künstlerische und besuchsmäßige Erfolg enorm. Der verlockte zur Wiederholung – zumal die Kieler Wirtschaft das Vorhaben großzügig mit namhaften Beträgen unterstützt und überdies Übertragungen auf Großeinwand in den Bootshafen und auf den Vineta-Platz im Problemstadtteil Gaarden ermöglicht. Und die Nachfrage ist riesig: Für das diesjährige Spektakel „Der Troubadour“ waren schon Wochen zuvor fast alle Vorstellungen ausverkauft.

Spektakel: Denn wie die Premiere an diesem Sonnabend wieder einmal zeigt, ist der Rathausplatz für eine Freilichtbühne denkbar ungeeignet. Erneut zeigt sich als Problem, dass das Orchester abseits der Bühne in einem Zelt untergebracht ist. Zwar ist die Seitenfront diesmal durchsichtig und ermöglicht den Zuschauern mit einigen Kopfverenkungen, den Dirigenten Generalmusikdirektor Georg Fritzsch und die Seinen zu sehen. Aber nach wie vor hat dieser mit dem Geschehen auf der Bühne nur über einen Bildschirm Kontakt, während die Mitwirkenden überhaupt keinen haben. Für die Solisten höchst anstrengend, wie der Sänger des Troubadours beim Schlussbeifall deutlich macht. Das Ergebnis bleibt unbefriedigend: Mehr als einmal lassen sich Orchester und Solisten nicht in Einklang bringen. Die Musiker sind schon fertig, während noch deutlich länger gesungen wird.

Die Sänger werden über Microports verstärkt, und das bringt zu Beginn deutliche Probleme. Die herrliche Stimme der Serena Daolio als Leonora wird bei deren ersten Auftritt deutlich verzerrt. Das bekommen die Techniker glücklicherweise rasch in den Griff, ebenso, wie ihnen auffällt, dass die Übertitel anfänglich fehlen. Der Inhalt der ziemlich verworrenen Verdi-Oper wird am Anfang und zu Beginn des zweiten Teils über Lautsprecher erläutert. Das ist auch nötig, denn die Handlung ist bekanntlich kompliziert, und wird sie in Kiel in der Regie des Generalintendanten Daniel Karasek kaum deutlicher. Dem gelingen zwar einige großartige Massenszenen – etwa im Zigeunerlager, wo die Roma keine Kessel flicken, sondern Autos reparieren und pflegen. Sonst aber weiß Karasek die Weite der Bühne (Bühnenbild: Norbert Ziermann) kaum zu nutzen. Er überlässt sowohl die Solisten als auch weitgehend den Chor (von Barbara Kler einstudiert) sich selbst. Und so wird fast den ganzen Abend über sehr statuarisch, manchmal gar an der Rampe gesungen. Da wird eigentlich mehr erwartet!

Musikalisch aber ist dieser Abend dennoch ein großartiges Erlebnis; auch dank der herrlichen Stimmen der Solisten und des Chors, den allerdings Die Kostümbildnerin Claudia Sielmann teilweise in recht merkwürdige Unifomen gesteckt hat. Die meisten Rollen sind doppelt besetzt. Am Premierenabend glänzen Jesus Garcia als Manrico, Cristina Melis als Azucena, Serena Daolio als Leonora, Tomohiro Takada als Graf Luna, Lesia Mackowycz als Ines und Thomas Scheler als Ruiz. Lunas Hauptmann Ferrando gibt Christoph Woo.

Das Premierenpublikum auf der ausverkauften Tribüne tobt vor Begeisterung bis zum abschließenden Feuerwerk. Für die weiteren Vorstellungen bis zum 25. August gibt es nur noch Restkarten.

Horst Schinzel, 18.08.13                             Fotos Olaf Struck

 

 

 

ZARUELA - GALA

Unbekannte Klänge im Kieler Opernhaus

30.5.13

In jedem Frühling lädt das Kieler Musiktheater zusammen mit der Gesellschaft der Theaterfreunde zu einer höchst speziellen Gala-Vorstellung. Dank der Freigiebigkeit der Freunde können dazu immer sehr namhafte Gäste eingeladen werden. So ist diese Veranstaltung Kult geworden, und in den letzten Jahren war das Haus immer bis auf den letzten Platz besetzt. Nicht so an diesem Freitag: Das Thema der spanischen Zarzuela ich doch offenbar zu sperrig, und so bleiben an diesem Abend auf den Rängen sehr viele Plätze frei.

Zarzuela - so verrät das Programmheft dem Nichtkundigen - ist seit Jahrhunderten in Spanien eine sehr spezielle Form der Oper und vor allem der Operette. Auch mit ungewohnten Klangformen, wie das Symphonische Orchester unter dem gut gelaunten Ersten Kapellmeister Mariona Rivas dazustellen weiß. Über weite Strecken Programmmusik vom Feinsten. Und wenn dann noch eine Madrilenin aus diesem Klangkörper die Kastangneten zu schwingen weiß, ist das Publikum begeistert. Das wird von Generalintendant Daniel Karasek und der Sängerin Maxine Kazis beschwingt durch den Abend geführt. Beide sind bemüht, den Inhalt der Arien und Lieder verständlich zu machen, denn Spanisch-Kenntnisse können natürlich bei den Zuhörern kaum vorausgesetzt werden. Insofern war die Einstudierung für Operndirektorin Barbara Kler und ihre Sängerinnen und Sänger eine sicherlich überaus schwierige Aufgabe. Zumal die Komponisten und deren Schöpfungen im deutschen Sprachraum denkbar unbekannt sind. Die kundige Einführung im Programmheft durch Ulrich Frey ist des Aufbewahrens wert.

Als Solisten glänzen an diesem Abend die viel beschäftigte und international gefeierte Mezzosopranistin Ana Ibarra mit ihrer herrlichen und voluminösen Stimme und der spielfreudige Tenor Alex Vicens. Auch dieser Spanier ist in aller Welt zuhause und wird überall gefeiert. Zu Recht, wie dieser Abend zeigt. Zum Ensemble gehören - zumindest teilweise –der chilenische Bariton Salomon Zulic del Canto, die Kanadierin Susan Gouthro und der Chilene Luis Araos-Guiterrez. Ein großer Abend für alle Beteiligten, der stürmisch gefeiert wird. Wer ihn verpasst hat: Am 5. Juni, 19.30 Uhr, gbt es eine Wiederholung.

Horst Schinzel

 

 

 

SCHACHNOVELLE

Kiel feiert den Komponisten Cristòbal Halffter

23.5.13

Der deutsch-spanische Komponist Cristóbal Halffter ist seit vierzig Jahren dem Kieler Musikleben eng verbunden. Hier sind zwei seiner Opern uraufgeführt worden, und auch andere seiner Werke waren hier zu hören. An diesem Pfingstsonnabend nun die Uraufführung seiner neuesten Schöpfung: „Schachnovelle“ nach Stefan Zweig mit einem Text des früheren Chefdramaturgen des Hauses Wolfgang Haendeler. Gleichermaßen ein gesellschaftliches wie kulturelles Ereignis. Ein Ereignis, dass vom Premierenpublikum im dicht besetzten Opernhaus trotz der ungewohnten Klänge stürmisch gefeiert wird. Das Auftragswerk wurde ermöglicht von der Ernst-von-Siemens-Musik-Stiftung.

Halffters Musik lässt sich schwer einordnen. Teils ist sie eigenständig, dann wieder ekletizistisch. Der Deutsch-Spanier steht in der Tradition etwa eines Nono. Vor allem nach eigenem Bekunden von Schönberg, Webern und Alban Berg. Seinen Zuhörern setzt Halffter hartes Brot vor, und an die Interpreten – Orchester, Solisten und Chor - stellt er hohe Anforderungen. Schrille Dissonanzen, laut und atonal prägen seine Anklage gegen jede Form von Tyrannei.

Der Komponist und sein Librettist folgen Zweig in der Geschichte eines Mannes, der nach dem „Anschluss“ Österreichs als vermeintlicher politische Gegner in einem leeren Hotelzimmer durch Isolationshaft gefoltert wird. In seiner Not spielt er Schachszenen nach und zuletzt gegen sich selbst. Darüber zerbricht er körperlich und geistig. In der Emigration kann er langsam genesen. Auf einer Schiffsreise spielt er gegen den Schach-Weltmeister mit großem Erfolg. Aber das Vergangene drängt wieder auf ihn ein. Noch einmal bricht er zusammen, um endgültig geheilt in das befreite Wien zurück zu kehren – in das Hotelzimmer, das einst seine Isolationszelle war. Nun aber mit der Fülle der Weltliteratur ausgestattet.

In der Inszenierung von Daniel Karasek – dessen Vertrag als Generalintendant gerade bis 2020 verlängert worden ist – und unter der Stabführung von Generalmusikdirektor Georg Fritzsch – mit dem bis Mitte 2019 kontrahiert worden ist – gibt Kammersänger Jörg Sabrowski mit atemberaubender Eindringlichkeit den Dr. Leo Berger. Er hat die Intentionen des Komponisten eindrucksvoll erfasst. Ihm steht in dem sehr realistischen Bühnenbild von Norbert Ziermann und den Kostümen von Claudia Spielmann ein kopfreiches Ensemble zur Seite, in dem Tamahiro Takada den Schachweltmeister Mirko Centovic und Kammersängerin Heike Wittlieb die betreuende Krankenschwester geben. Der Regisseur hat dem von Barbara Kler einstudieren Chor sehr bedrohliche Szenen hinter einem durchsichtigen Vorhand anvertraut, aber auch lustige auf einem Passagierdampfer. Das Philharmonische Orchester hat die ungewöhnlichen Klangfarben auch mit nicht alltäglichen Instrumenten umzusetzen.

Auch wenn das Alles für die Ohren des durchschnittlichen Musikfreundes sehr ungewöhnlich und teilweise auch verschreckend klingt: Das Premierenpublikum ist begeistert und feiert neben allen Mitwirkenden den Komponisten und seinen Librettisten lang und anhaltend.

Horst Schinzel                             Bilder: Thorsten Wulf

 

 

 

 

Ein bürgerlicher

DON GIOVANNI

März 2013

Auf den Opernbühnen des deutschen Sprachraums wird Mozarts „Don Giovanni“ nicht gerade selten gegeben. Üblicherweise wird die Titelfigur als adeliger Wüstling gesehen, der sich skrupellos nimmt, was ihm an Frauen über den Weg läuft. Nicht so in Kiel Regisseur Dariusch Yazdkhasti stellt  seinen Giovanni (Petros Magoulas, der sich diese Rolle mit Tomohiro Takada teilt) in ein fades bürgerliches Umfeld. Davon zeugt sein altbackenes Wohnzimmer mit einem altertümlichen Fernseher (Bühnenbild Simeon Meier, wobei eindrucksvolle Videoeinspielungen von Konrad Kästner ergänzen). Folgerichtig singt Giovanni von seinem Haus und nicht von seinem Schloss, auf das Zerlina (Amira Elmadfa) mitkommen soll. Und die Freiheit, von der am Ende dese ersten Aufzuges alle singen, ist offensichtlich die sexuelle Freizeit. Dass Giovanni dabei weder Tod noch Teufel furchtet, zeigt er glaubwürdig in der Höllenfahrtszene.

Zwar spielt die Handlung im Hier und Jetzt, wie dies bereits Mozart und seinem Librettisten Da Ponte vorschwebte. Aber dieses Jetzt ist  offensichtlich die Hippiezeit und die der sexuellen Befreiung. Das  macht der Regisseur deutlich, wenn er die Hochzeitsszene des etwas tumben Masetto (Ulrich Burdack) in den Zuschauerraum verlegt. Die Chorsängerinnen (Einstudierung Barbara Kler) erinnern in ihren Kostümen (Katharina Krumminga) doch sehr an diese Zeit. Und sind schrecklich durstig, wie barhaupt an diesem Abend auf der Bühne viel getrunken wird.

So ist denn Giovanni – mit einem Hirschgeweih (!) verkleidet – offensichtlich unter diesen Auspizien in Annas Schlafzimmer eingedrungen. Und der tödliche Schuss auf den Komtur (Kemal Yasar alternierend mit Ulrich Burdack) ist eher ein Unfall in Selbstverteidigung denn feiger Mord.

Des Komturs Tochter Anna sieht das allerdings so und ihre Rachgelüste treiben die Handlung voran. In dieser Rolle gefällt Susan Gouthro mit eienr runden darstellerischen wie gesanglichen Leistung Bei ihrem Gegenspieler Petros Magoulas neigt die Stimme in den hohen Lagen zur Schärfe. Dem Leporello des Christoph Woo möchte man gelegentlich mehr Spielfreude wünschen. Amira Elmadfa ist eine reizvolle Zerlina, die schön zu singen weiß. Gleiches gilt für Agnieszka Hauser als Donna Elvira.

Leo Siberski weiß das Orchester auf dem hoch gefahrenen Graben klug zurückzuhalten. Nie werden die Solisten überdeckt. Sicher sind es Mozarts herrliche Melodien, die den Regisseur veranlassen, das Werk mehr oder minder in voller Länge auszuspielen. Auch solche Partien, die üblicherweise gestrichen werden. So, wenn Anna ihrem Verlobten Don Ottavio (Yoonki Baek) eingehend die Anfangsszene schildert, obwohl dieser doch weitgehend dabei gewesen ist. Und auch die Schlussszene ist breiter angelegt als üblich. So dauert denn die Aufführung vertikale 210 Minuten. Das Premierenpublikum ist begeistert, geizt nicht mit Szenenbeifall und feiert am Schluss alle  Beteiligten stürmisch.

Horst Schinzel                           Bilder: Theater Kiel

 

 

 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Kiels Beitrag zum Wagner-Jahr

Pemiere am 26.01.13

Die musikalische Welt gedenkt des zweihundertsten Geburtstages des Komponisten Richard Wagner. Da steht auch das Kieler Opernhaus nicht zurück und hat dessen frühe Oper „Der Fliegende Holländer“ auf den Spielplan gesetzt. Eine Oper, die dem Anschein der Premiere nach nur noch ältere Musikfreunde interessiert. Schade, wer nicht gekommen ist, hat eine abgerundete und werktreue Inszenierung des Venezolaners Carlos Wagner versäumt Erfreulicherweise nichts von dem neumodischen Schnickschnack, mit dem neuerdings selbst in der Provinz die Regisseure die Musikfreunde zu verstören pflegen.

Richard Wagner hat eine Wandersage in Musik gesetzt. Aber mutet er nicht in dem nun rund eindreiviertel Jahrhundert alten Werk seinen Zuhörern eine durchaus abenteuerliche und alten Wertvorstellungen widersprechende Handlung zu? Da ist der Frachtschiffer Daland (Petro Magoulas). Den hat der Sturm in eine einsame Bucht nahe seinem Heimathafen verschlagen. Am nächsten Morgen stellt er erstaunt fest, dass er einen Nachbarn bekommen hat. Sein Steuermann (Fred Hofmann) hat dessen Ankunft von seiner Liebsten träumend schlicht verpennt.

Der Kollege (Kammersänger Jukka Rasilainen als Gast) prahlt mit seinem Reichtum und bittet um Quartier für einen Abend. Daland ist eilfertig bereit, seine Tochter Senta (Orla Boylan als Gast) zu verschachern. Der Kollege – von dem wir erst am Schluss der Oper erfahren, dass er der Fliegende Holländer ist – beklagt sein Schicksal, seit langer Zeit verdammt zu sein, auf dem Meer umher zu irren. Nur eine Frau, die ihm in den Tod folgen will, kann ihn erlösen. Und er ist  bereit, ein solches Opfer anzunehmen. Senta aber hat seit ihrer Jugend davon geträumt, den Holländer zu erlösen. Dies, obwohl sie mit dem Jäger Erik (Sung Kyu Park) verlobt ist.

Die sich aus dieser Konstellation ergebenden Konflikte arbeitet der Regisseur sorgfältig heraus. Dabei nimmt er in Kauf, dass seine Solisten sehr statuarisch agieren. Nur der verstärkte Chor (Einstudierung Barbara Kler) der Seeleute und der Spinnerinnen bringt Leben in die Handlung  Vor allem das Fest der Seeleute wird zum Musterbeispiel gekonnter Personenführung. Schade nur, dass der Text vom Wein spricht, während Daland und seine Seeleute mit Bierdosen fuchteln.

Großartig an diesem Abend das Philharmonische Orchester, das fein abgestimmt unter der Leitung des Generalmusikdirektors Georg Fritsch um einen rechten Wagner-Sound bemüht ist. Das Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic ist geheimnisvoll mit sich drehenden Mühlen, Kraft übertragenden Seilen und Rädern, die an die Stelle der Spinnräder treten. In die runde Ensembleleistung der Stammsängerinnen und -sänger fügen sich die renommierten Gäste - deren saubere Aussprache beeindruckt - nahtlos ein.

Ein großer Abend, der begeistert vom Premierenpublikum geiert wird.

Horst Schinzel                                            Fotos Olaf Struck

 

 

 

LA TRAVIATA

Besuchte Vorstellung am 19.01.2013      (Premiere Sept. 2012)

Emotion pur!

Was ist schon alles über „La Traviata“ geschrieben worden, angeblich beliebteste Oper weltweit, als Schmachtfetzen verhöhnt,einziger intellektueller Tupfer bei „Pretty woman“, als Emotion pur geliebt. Fakt ist, dass Verdi ein berührendes Meisterwerk abgeliefert hat, dass für drei Hauptpersonen genug Gelegenheit gibt, sich voll einzubringen. Nun also im Opernhaus Kiel, eine „normale“ Repertoire- Aufführung, Premiere war im September 2012. Die Qualität eines Hauses zeigt sich ja nicht nur am Premierenabend, sondern vielmehr im alltäglichen Betrieb. Und welches Magazin, ausser dem „Opernfeund“, berichtet schon darüber?   

Regie führte Uwe Schwarz, der die Produktion nach dem tragischen Tod von Thomas Wünsch übernahm. Zusammen mit dem Bühnenbildner Heiko Mönnich gelang eine perfekte Symbiose zwischen traditionell und modern. Oeffnet sich der Vorhang, sieht man ein komplettes Opernhaus mit Rängen, Parkett und Bühne, das aber schon sehr viel bessere Zeiten erlebt haben muss. Alles ist dunkel, morbide und angeschlagen. Ein toller Einfall ist die Tanzeinlage zur Ouvertüre (Sonia Dvorak und Sebastian Grundler), die perfekt zur Musik passt und schon etwas von Abschied und Tod suggeriert. Und die Leistung der Regie besteht darin, auch abgebrühte Opernvielseher und Nörgelkritiker so zu fesseln, dass man gespannt und ergriffen der Handlung folgt. Die Personenführung war sehr präzise und überlegt. Grossen Beitrag daran hat auch die ausgefeilte Lichtregie. Die Szene im 3. Akt, in der man durchs Fenster die Karnevalsmusik hört, habe ich noch nie so packend gesehen: die vorher trist- dunkle Bühne in grelles Rot getaucht, Violetta reglos auf dem nackten Boden, dazu die zwei Tänzer mit einer geradezu gespenstischen Einlage.

Nun wird natürlich auch gesungen, aber wie! Ekaterina Isachenko, dem Kieler Publikum als Gast in diversen Produktionen bekannt, lieferte sängerisch und schauspielerisch eine Glanzleistung ab. Wie sie es schaffte, diese Frau zwischen unbändiger Lebensgier und Krankheit dem Publikum nahe zu bringen, verdient Hochachtung. Hinzu kommt ihr erstklassig geführter Sopran, der jede Tücke der Partitur meisterte. Ihr „E strano“ geriet zu einem der Höhepunkte des Abends. Bei ihrer Sterbeszene, eingewickelt in den heruntergerissenen Bühnenvorhang, herrschte atemlose Stille im Opernhaus. Erst nach einer ergriffenen Pause brach der Beifall los.

Sorgen machte man sich im 1. Akt um Yoonki Baek, der den Alfredo sang. Allzu verhalten, geradezu verschüchtert begann er die Partie, was besonders dem Brindisi sehr schadete. Gerade diese Nummer muss doch bei der „Traviata“ sitzen. Ab dem 2. Akt hatte er sich gefangen und lieferte eine solide Leistung ab. Gleichwohl, sein Abend war es nicht.

Als Giorgio Germont ist Tomohiro Takada, Ensemblemitglied in Kiel, vorgesehen, doch er sang an diesem Abend den „Don Giovanni“ am Stadttheater Bremerhaven. Seine Rolle übernahm der italienische Bariton Elia Fabbian, den die Kieler noch in bester Erinnerung als Scarpia in der diesjährigen open-air „Tosca“ hatten.

Und enttäuschte sein Publikum nicht! Die Szene Violetta/ Giorgio im 2. Akt wurde so eiskalt von ihm dargestellt, dass man fast körperliches Unbehagen verspürte. Sein sattes Timbre, sein in allen Lagen perfekt sitzender Bariton begeisterte. Ein, und das ist nur positiv gemeint, Routinier, der die Rolle perfekt beherrscht.

Hervorgehoben werden muss, natürlich, der Kieler Opernchor, von Barbara Kler gewohnt hoch klassig einstudiert.

Die Kieler Philharmoniker wurden von Leo Siberski, dem 1. Kapellmeister im Haus an der Förde, klanggewaltig und einfühlsam geleitet. Grossartig, wie er es schaffte, auch in den sehr melodischen Momenten immer einen leicht morbiden Klang einzubringen, dabei aber auch mit dem nötigen Mut, die expressiven Passagen schmissig, mit dem richtigen Gefühl für Verdi, spielen zu lassen.  

Ein rundum gelungener Abend, für den sich das Publikum im fast ausverkauften Opernhaus mit Ovationen für alle Beteiligten bedankte. Und ein erneuter Beweis für die Leistungsfähigkeit und hohe Qualität unserer „kleinen“ (Entschuldigung, Herr Karasek!) Häuser!

Claus Brandt                                     Bilder: Olaf Struck

 

 

 

REQUIEM

Pemiere am 15.12.12

In Kiel wird Verdis „Requiem“ vertanzt

 Das ist schon schwere Kost, die Kiels Ballettdirektor Yaroslav Ivanenko seinen erfreulich viel jungen – Ballettfreunden vorsetzt. Im Vorfeld von Verdis 200. Geburtstag lässt er dessen „Requiem“ als szenische Aufführung des Chorwerkes vertanzen- als große Show, die indes den Zuschauer mit vielen Fragen allein lässt. Denn hier gibt es ja keine Handlung, die sich in Tanz umsetzen lässt. Kiels Prinzipal lässt seine Tänzerinnen und Tänzer die Musik in eindrucksvollen Tanzbewegungen mit vielen Sprüngen und Hebefiguren ausdrücken. Sehr beeindruckend und kunstvoll umgesetzt, aber doch meist schwer verständlich.

Ein großes Ensemble mit den Solisten Agnieska Hauser, Marina Fideli, Yoonki Baek und Petros Magula, den Solotänzern Victoria Lane Green und Nikolaus Doede und einer Bassgruppe mit Julian Botnarenko, Didar Sarsembayev und Alexander Abdukarimov gestaltet unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Georg Fritsch Verdis Schöpfung als Tanzshow. Der dunkel gekleidete – Kostüme Elisabeth Richter - verstärkte Chor – Einstudierung Barbara Kler - ist von Norbert Ziermann in setzkastenartige Gerüste gesteckt worden.

Das verstärkt den düsteren Eindruck dieser Totenklage. Wobei insbesondere die Solisten besonders gefordert sind – singen sie doch üblicherweise vom Blatt. Das bleibt dem Chor vorbehalten. Das Premierenpublikum ist sicht- und hörbar ergriffen. Erst nach eienr Pause setzt jubelnder Beifall ein.

Horst Schinzel                                                  Fotos Olaf Struck

 

 

 

 

Ausblick auf vielversprechende Spielzeit

Es ist am Kieler Opernhaus eine lange Tradition: Zum Auftakt der Spielzeit bieten Theater und Volksbühne einen Ausblick auf die kommende Spielzeit. In diesem Jahr leicht verspätet. Die Programmfolge ist bereits eine Woche zuvor mit der hier als Kammeroperette gebotenen „Im  weiße Rössl“  eröff- net worden. Kiels früherer Kulturdezernent Gerd Müller als Vorsitzender der Volksbühne nutzt die Gelegenheit zu einem Aufruf an die Verantwortlichen, bei einer zu erhoffenden Stärkung des Kulturetats im Lande sich endlich des maroden Konzertsaals im Kieler Schloss anzunehmen. Überdies kündet er eine engere Zusammenarbeit der Volksbühnen in Kiel und Hamburg an.

Durch das Programm mit Ausschnitten unter anderem aus „Don Giovanni“, „Agrippina“, „Der fliegende Holländer“ und „La Traviata“ führt Generalmusik-direktor Georg Fritzsch. Er kämpft heftig mit seinem sächsischen Akzent und vertritt launig den Generalintendanten Daniel Karasek, der an diesem Abend bei der Premiere des neuen Liederabends „Familienbande“ im Schauspiel- haus nicht entbehrlich ist. Allerdings ist  seine Moderation recht oberfläch- lich. Er rühmt die Leistungen des Hauses-  „Vier Premieren  in vier Wochen „ und die des Orchesters, das noch am Morgen beim ersten Sinfoniekonzert gewirkt hat und wirbt vor allem für dee Kartenkauf. Es wäre sicher sinnvoller gewesen, etwas mehr zu den anstehenden Produktionen zu sagen, Dass Wagner seinen „Fliegenden Holländer“ unter den Eindrücken einer Schiffs- reise nach Riga geschrieben hat, ist doch bei Musikfreunden geläufig.

An diesem drei Stunden langen Abend präsentiert sich das ganze Ensemble mit der in Kiel beliebten Russin Ekaterina Isachenko. Deren glanzvoller Auftritt im Duett der Violette und es Giorgio Germont aus „La Traviata“ wird zum glanzvollen Höhepunkt des Abends. Nicht geringen Anteil an diesem schönen Programm haben Opern- und Extrachor, die von Barbara Kier einstudiert worden sind.

Horst Schinzel 

 

 

 

 

Auf dem Rathausplatz

TOSCA

als Sommeroper in Kiel

Schon lange sei eine Freilichtaufführung einer Oper ihr Traum gewesen, verraten uns Kiels Generalintendant Daniel Karasek und sein General-musikdirektor Georg Fritzsch im Vorfeld der erstmaligen Aufführung einer „Sommeroper“. Ein Traum sicherlich, der durch das Engagement der Kieler Philharmoniker bei den Gala-Abenden der Eutiner Festspiele, vor zwei Jahren auch durch den Auftritt Kieler Sänger gestärkt worden ist. Ein Engagement freilich, das durch die Insolvenz der damaligen Trägergesellschaft ein ungutes Ende genommen hat.

Diesen Traum umsetzen, sei sehr schwierig gewesen, lesen wir. Ermöglicht worden sei es durch die Zuwendungen bedeutender Kieler Wirtschafts-unternehmen. Nun ist es nicht damit getan, für die Freiluftaufführung enger Oper irgendwo eine Tribüne aufzuschlagen und ein paar Holzbohlen als Bühne zu verlegen. Leider haben die Kieler Verantwortlichen mit der Bestimmung des gesichtslosen Rathausplatzes zur Freilichtbühne arg daneben gegriffen – auch wenn unser Ministerpräsident Torsten Albig im Programmheft dem Platz italienisches Flair andichtet. Nun wissen die Schleswig-Holsteiner: Unsere Landeshauptstadt ist ein Konglomerat von Bausünden, und allenfalls am Wasser hat sie einen gewissen maritimen Charme. Italienisches Flair hat ihr noch niemand bisher nachgesagt.

Der technisch geprägte Seitenflügel des Opernhauses ist als Rückwand einer Freilichtbühne nur sehr bedingt geeignet. Zumal der Bühnenbildner Norbert Ziermann sich in einer Orgie von Technik mit Treppen, Verstrebungen und Beleuchtungs- und Lautsprecher-Türmen ergießt. Und auch die arg steile Tribüne lässt zu wünschen übrig. Sichtfreiheit ist nur bedingt gegeben, und die Abstände zum Geschehen auf der Bühne sind so riesig, dass nur mit Opernglas bewehrtem Auge etwas von der Mimik der Darsteller zu erkennen ist. Und weil die Flächen so groß sind, geht es nicht ohne Mikroports der Sänger. Überdies spielt das Orchester unsichtbar für Publikum und Sänger abseits der Bühne in einem Zelt. So werden Gesang und Musik über die Lautsprecher zusammen gemischt – Schwerstarbeit für die Tontechniker. Trotz deren Bemühen ist der Eindruck nicht zu vermeiden, Orchester und Solisten wollten sich darin übertreffen, wer es lauter kann. Überdies kommt zwischen dem Musikalischen Leiter und seinen Sängern ein Kontakt nur über Monitore zustande –sehr unbefriedigend. 

Angesichts so vieler Technik kommt an diesem warmen Sommerabend das blutrünstige Geschehen der Oper „Tosca“ nur arg unterkühlt über die Rampe. Der berühmte Funken will nicht überspringen. Schade, denn die Inszenierung hat ihre Reize. Daniel Karasek sind eindrucksvolle Massen-szenen gelungen, die die Weite der Bühne gut nutzen. Seine Solisten spielen dagegen zu oft  arg statuarisch. Eigentlich hat die Kieler Oper ausreichend gute Kräfte, um eine solche Aufführung aus dem eigenen Haus heraus zu besetzen. Daniel Karasek hat aber der Versuchung nicht widerstehen kön- nen, für die A-Besetzung renommierte Gäste aus dem Ausland zu verpflich- ten. Allen voran die Italienerin Raffaella Angeletti, die als Puccini-Spezialistin gilt. Den Scarpia singt der Mexikaner Alfredo Daza in der B-Besetzung, wäh- rend der in Kiel schon bekannte Ella Fabbian in der Premiere sang. Der Amerikaner Jesus Garcia gibt alternierend mit Yoonki Baek den Maler Cava- radossi. Agiert wird in farbenprächtigen Kostümen von Claudia Spielmann. Barbara Kler und Michael Nündel haben die Chöre einstudiert.

Diese Sommeroper ist gewiss nicht der große Wurf, von dem die Verant-wortlichen geträumt haben. Das Premierenpublikum auf der an diesem Abend ausverkauften Tribüne ist dennoch mehr als nur zufrieden. Falls es in künftigen Jahren eine Wiederholung der Sommeroper geben sollte: Bitte an geeigneterer Stelle und mit einem erheblich reduzierten Aufwand an Technik

Horst Schinzel                                            Bilder: Sommeroper Kiel

 

Besprechungen älterer Aufführungen befinden sich auf der Seite Kiel unseres Archivs weiter unten

 

 

DER OPERNFREUND  | opera@e.mail.de