DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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SILBERSCHEIBEN RARITÄTEN

 

 

Rares – Vergessenes – Rätselhaftes

Eine spannende CD-Neuveröffentlichung ist dieser Tage dem Premium Label Deutsche Grammophon zu danken. Drei sehr unterschiedliche Werke werden präsentiert, die einen unmittelbaren Bezug zueinander erkennen lassen.

 

Rares

Leider immer noch eine Rarität ist die einzige Sinfonie Nr. 1 von Hans Rott, entstanden in den Jahren 1878 – 1880. Das kurze Leben von Hans Rott währte kaum 26 Lebensjahre, bevor die Tuberkulose zu früh sein Leben beendete. Hinzu kam der wachsende Wahnsinn, der in den letzten Lebensjahren dazu führte, dass Rott zahlreiche seiner Werke vernichtete. Rotts Studienkollege Gustav Mahler war tief von seinen Fähigkeiten beeindruckt und rief in Rott den neuen Symphoniker der Zukunft aus.

Rotts Sinfonie steht hörbar unter dem Einfluss Anton Bruckners, dessen Lieblingsschüler er war. Der kundige Mahler Hörer staunt nicht schlecht, wie überreichlich Gustav Mahler Rotts Musik in seinen ersten beiden Sinfonien verarbeitete. Da war Rott bereits viele Jahre verstorben und Tote können sich nicht wehren.

Ähnlich wie Mahler beschreibt Rott in seiner Musik Naturidylle und auch gewaltige orchestrale Aufwallungen, die Bruckner und Wagner Referenz erweisen. Die Spannungsbögen sind überzeugend und mitreißend komponiert, ebenso die Themengegensätze. Ein instrumentales Detail ist in Rotts Sinfonie markant: der überreiche Gebrauch der Triangel. In keiner Sinfonie dieser Epoche kommt dieses so prägnante Instrument derart intensiv zum Einsatz!

Hans Rott macht es dem Zuhörer leicht, seine Musikwelt zu betreten. Die Streicher flirren und eröffnen mit einem exponierten Solo der Trompete einen breiten Horizont. Innige Ruhepunkte in den Holzbläsern und im starken Kontrast dazu wiederkehrende Blechbläser Choralthemen. Letztere und prägnante Fugen gemahnen immer wieder an Anton Bruckner. Aber bei Rott ist es keine Kopie, sondern kompositorische Inspiration. Im langen Finalsatz gibt es vielerlei Reminiszenz an Brahms erste Sinfonie und doch fehlt es vor allem hier an prägnanten Themen, die diesem Werk eine stärkere Markanz und thematische Wiedererkennung hätte verleihen können. So bleibt dennoch ein spannender Solitär mit kleineren Ecken und Kanten. In jedem Fall verdient diese Komposition einen wiederkehrenden Platz in den Konzertprogrammen.

Jakub Hrůša, der in einem persönlichen Vorwort berührend beschreibt, wann und wie er auf Rotts Werk stieß, ist hörbar innig damit verbunden. Er kostet mit seinen Bamberger Symphonikern alle Effekte und dynamischen Entwicklungen großartig aus. Mit viel Liebe zum Detail und klaren Vorstellungen strukturieren Dirigent und Orchester das Werk. Die Höhepunkte werden wunderbar organisch herausgearbeitet und zugleich ausgekostet, wie beispielsweise am Ende des ersten Satzes. Mit langem Atem wird der zweite Satz nobel ausformuliert und dann heftig kontrastiert durch das lebensfrohe Scherzo, aus welchem Gustav Mahler reichlich stibitzt hat. Höhepunkt ist der herausragende, mit größter Emphase vorgetragene Schlusssatz. Hrůša agiert vehement und mit klanglicher Offensive, lässt die Pauke rhythmisch knackige Akzente setzen, immer wieder sind auch Schroffheiten zu vernehmen und schlussendlich löst Hrůša mit perfektem Timing alles in edler Klangkultur auf. Rott und Hrůša, das wird in dieser so eindrücklichen Aufnahme zu unwiderstehlichen Bekenntnismusik!

Die Bamberger Symphoniker sind bei dieser Aufnahme in Bestform und verwöhnen mit wunderbar fein differenziertem Orchesterspiel. Selbst in den größten Kulminationen bleibt die Transparenz gewahrt. Die viel geforderten Blechbläser werden ihren intensiven Anforderungen bestens gerecht, der Klang der Streicher ist satt und im langsamen Satz schimmernd hell, die Holzbläser sorgen für kantable Wonnemomente und der Triangelspieler darf sich über prominente Aufmerksamkeit freuen.

 

Vergessenes

Gustav Mahler hatte seine erste Sinfonie ursprünglich fünfsätzig komponiert mit und mit einem Programm versehen. Nach den Misserfolgen der ersten Aufführungen widerrief er das Programm und zog den ursprünglichen zweiten Satz „Blumine“ zurück.

Gerade mit diesem Satz war die damalige Kritik sehr unbarmherzig und bespöttelte die „Schlichtheit“. Ja, Mahler selbst tat sich keinen Gefallen damit, später das Werk als „Jugendeselei“ zu bezeichnen. Im Jahr 1896 legte er dann die viersätzige Form seiner ersten Sinfonie endgültig fest. Seither wurde es still um die „Blumine“. Nur selten wurde dieser Satz innerhalb der Sinfonie noch aufgeführt, meistens als eher separater Programmpunkt. Dies ist bedauerlich.

Thematisch bezieht sich der Finalsatz der ersten Sinfonie auf die „Blumine“. Und das anmutige Trompetensolo zeigt in Mahlers Zukunft und nimmt Anklänge seiner zweiten und dritten Sinfonie vorweg.

Es ist und bleibt ein reizvoller, zauberhafter Satz, der in seiner Kontemplation einen deutlichen Sog entwickelt.

Auch hier zeigt Dirigent Jakub Hrůša seine Meisterschaft in der kantablen Ausgestaltung der Themen und sein mustergültiges Timing. Die Bamberger Symphoniker zelebrieren dieses musikalische Kleinod mit viel Akkuratesse und solistischer Meisterschaft, vor allem Trompete, Horn und Oboe. Wunderbar.

 

Rätselhaftes

Eine besondere Rarität erwartet den Zuhörer mit der knappen Komposition „Symphonisches Präludium in c-moll“ von Anton Bruckner. Und hier wird es rätselhaft. Der Wiener Komponist Hans Tschuppig entdeckte nach dem zweiten Weltkrieg im Nachlass seines komponierenden Onkels Rudolf Kryzanowski ein Partitur Manuskript dieses Werkes. Kryzanowski war Bruckners Schüler und auf der letzten Seite des Manuskriptes stand „von Anton Bruckner“. Es entstanden Zweifel, könnte es sich nicht bei diesem effektvollen Kurzwerk nicht auch um eine Frühkomposition von Gustav Mahler handeln? Es sollten viele Jahre vergehen, bis die Musikwissenschaft sich 1985 festlegte und beschied, das Werk sei von Anton Bruckner. In der Musikpraxis wurde diese neue Faktenlage weithin ignoriert und das Werk blieb vielfach oft Gustav Mahler zugeschrieben.

Einmal mehr begeistern die Bamberger Symphonikern mit edlem symphonischen Klang und famoser Klangkultur. Auch hier wirkt die Musik vielschichtig gestaltet und erzählerisch vorgetragen. Jakub Hrůša dirigiert mit Verve und großer klanglicher Geste dieses kleine Schmuckstück für Orchester.

 

Eine wichtige Veröffentlichung in klanglich und interpretatorisch begeisternder Umsetzung. Gerade im Falle von Hans Rott dürfte dieser Neuaufnahme Referenzstatus zukommen.

 

Dirk Schauß,

Oktober 2022

 

 

 

ORFEO     Best.Nr.: C230082      2 CDs

 

Bei dem Label ORFEO ist die bereits im Jahre 1999 zum ersten Male erschienene Aufnahme von Hans Pfitzners Weihnachtsoper Das Christ-Elflein neu aufgelegt worden. Hier haben wir es mit einer echten Rarität zu tun. Pfitzner, der einem Großteil des Publikums insbesondere durch seinen am 12.6.1917 uraufgeführten Palestrina ein Begriff sein dürfte, ist mit diesem naiv-kindlichen, sehr besinnlichen und hübschen Werk ein großer Wurf gelungen.

Im Booklet ist folgende kurze Inhaltsangabe zu lesen: Der Klang von Weihnachtsglocken und Weihnachtsliedern lässt in einem Elflein den Wunsch erwachen, zu den Menschen zu ziehen. Obwohl der Tannengreis das Elflein vor der Herzlosigkeit des Menschengeschlechts warnt, setzt es seinen Willen durch und verlässt seine Waldheimat. Tatsächlich erlebt es manche enttäuschende Erfahrungen, lernt Kummer und Krankheit kennen. Als am Weihnachtsabend das Christkind erscheint, will ihm das Elflein sogleich in den Himmel folgen. Doch das Christkind hat den Auftrag, die Seele Trautchens, eines kranken Kindes, in den Himmel zu holen. Das Elflein bietet sich an, anstelle Trautchens in den Himmel mitgenommen zu werden. Das Christkind willigt in den Tausch ein. Trautchen wird gesund und das Elflein wird von nun an jedes Jahr zu Weihnachten als Christ-Elflein von Himmel auf die Erde kommen. Mit einer glücklichen Weihnachtsfeier von Trautchens glücklicher Familie endet das Stück.

Die Arbeit an dieser Weihnachtsoper hatte Pfitzner bereits im Jahr 1901 aufgenommen. Am 1.12.2006 kam die erste Fassung des Werkes am Münchner Hoftheater unter der musikalischen Leitung von Felix Mottl zur Uraufführung. Eine Oper war das Christ-Elflein damals noch nicht, sondern ein Schauspiel mit begleitenden musikalischen Nummern. In dieser Form war dem Stück noch kein Erfolg beschieden. Erst als Pfitzner daraus eine am 11.12.1917 an der Dresdener Hofoper unter Fritz Reiner aus der Taufe gehobene zweiaktige Oper auf ein von ihm selbst geschriebenes Libretto machte, wurde das Stück erfolgreich. In den folgenden Jahren wurde das Christ-Elflein an mehreren Bühnen gegeben. Heute ist das Werk leider etwas in Vergessenheit geraten - zu Unrecht, denn die Musik hat einen durchaus ansprechenden Charakter. Es ist ein groß angelegter romantischer Klangteppich, der sich vor den Ohren des begeisterten Hörers ausbreitet. Dieser enthält vielfältige lyrische und nur wenige dramatische Elemente. Das Ganze ist tonal gehalten und recht eindringlich. Auch Weihnachtslieder werden zitiert, so beispielsweise das Lied O Tannenbaum und der Text der ersten Strophe von Alle Jahre wieder. Diese beachtliche Partitur macht Freude. Bei dem auf große musikalische Dichte, herrliche Spannungsbögen und einen intimen Grundton bedachten Dirigenten Kurt Eichhorn und dem beherzt aufspielenden Munich Radio Orchestra ist die Oper in besten Händen.

Bei der vorliegenden Einspielung des Bayerischen Rundfunks sind die ursprünglichen Dialogtexte, die Pfitzner zwischen den einzelnen Nummern platzierte, durch einen Text von Alois Fink ersetzt. Wer diese gesprochenen Passagen auf dieser CD zum Besten gibt, wird im Booklet leider nicht gesagt. Die Sänger indes sind vollständig aufgeführt. Hier bleiben leider viele Wünsche offen. Helen Donath ist ein flach und nicht im Körper singendes Elflein. Auch dem Christkindchen von Janet Perry mangelt es an der nötigen Körperstütze der Stimme. Das gilt auch für die nicht gerade gefällig intonierenden Paul Hansen (Herr von Gumpach), Claes H. Ahnsjö ( Frieder) und Ferry Gruber (Jochen). Da schneidet der ordentlich singende Raimund Grumbach in der Rolle des Franz schon besser ab. Phantastisch sind Alexander Malta und Nikolaus Hillebrand, die beide über sonore, tiefgründige und wunderbar italienisch geschulte Bassstimmen verfügen, als Tannengreis und Knecht Ruprecht. Der Bavarian Radio-Chor macht seine Sache vortrefflich.

Ludwig Steinbach, 7.10.2022

 

 

 

2019 kam die Oper dank der Internationalen Siegfried-Wagner-Gesellschaft in Bayreuth, im Markgräflichen Opernhaus auf die Bühne, nun liegt der Mitschnitt auf CD vor. Dass der „Sohn“, wie der Titel der Biographie von Zdenko von Kraft lautet, mit dem Missgeschick auf die Welt kam, der Sprössling eines großen Vaters zu sein: man hört‘s, doch sind die dramatischen und musikalischen Anspielungen an das Werk Wagners d.Ä., die er in seine Märchenoper legte, weniger peinlich als reizvoll. Worum geht’s? Um typische Märchenprüfungen in fantastischen Welten, nach deren Bestehen die beiden füreinander bestimmten Liebenden zueinander kommen und die scheinbare Naivität und Güte des Mädchens wie der Mut und die Listigkeit ihres Geliebten letzten Endes die Welt aus den Klauen des Bösen, also des Todes, des Teufels, aber auch des titelgebenden „Hütchens“ retten. Dem Librettisten S.W. gelang es souverän, die verschiedensten Motive, den Knüppel aus dem Sack und den Goldesel, die Zaubernuss und die Kröte, den Hans im Glück und das Sternenkind, zu einer Prüfungs- und Erlösungsoper zu bündeln. Dabei wagnert‘s nicht wenig – im parodistischen Sinn, den Daniela Klotz gerade in ihrer profunden Studie zum m Verhältnis der Opern Siegfried Wagners zum „Vaterwerk“ herausgefieselt hat, war der Sohn kein Epigone, sondern ein bewusst-unbewusster Nachschöpfer. Frieder und sein Katherlieschen kämpfen also um ihre Liebe wie Walther und Eva, begegnen sich wie Siegfried und Brünnhilde und erleben Abenteuer wie Tristan und Isolde, bis sie, so will's das Märchen, schließlich kopuliert werden. Wagner d.J. schrieb sich mit seiner 11. vollendeten Oper nicht nur den guten Text, sondern auch eine schöne Musik zum Stück, in dem er Dutzende von Märchenmotiven verarbeitete. Hört man genau hin, vernimmt man, passend zu Tod und Teufel, einen authentisch „schrägen“ Sound von 1914/15; nach einem harmonisch gemäßigten ersten Akt hört man plötzlich plötzlich einen zweiten Akt, in dem der Komponist gezeigt hat, dass er ein Zeitgenosse Schönbergs und Schrekers war. Dahinter aber scheint wesentlich mehr zu stecken. Scheint es nicht so, als habe sich Siegfried Wagner hier – in bewusster Auflehnung gegen das ästhetische Diktat der Wahnfriedumwelt seiner „Bayreuther“ - nicht gegen die Zumutung aufgelehnt, immer nur „gemütlich“ und „gemütvoll“, im Sinne der „Bayreuther Blätter“ also „deutsch“ zu komponieren? Siegfried Wagners Musik ist immer „wohltönend“ und, versehen mit den Mitteln der modernen Instrumentationskunst, unkompliziert und bisweilen nervig „lustig“. Interessant aber wird sie erst dort, wo sie sich aufs Dunkle, Schroffe und leicht Bizarre, plötzlich nicht mehr Aufgeregte oder betont Lyrische, wenn auch betörend Einschmeichelnde (die Solo-Violine!) konzentriert: so wie in der großartigen Königssohnszene (Tristan-und Parsifal-Töne klingen reizvoll und diskret genug an), so wie in der Hölle. Plötzlich gelingen Siegfried Wagner auch in den volkstümlich sein wollenden Sequenzen hinreißende, weil rhythmisch gespannte und melodisch einigermaßen originelle Passagen, deren Nähe zu Dvořák und Smetana den Hörer eher beglückt als befremdet. Wunderbar auch die Szene mit des Teufels „Ellermutter“: ein ins Gemütliche aufgelöster Strawinsky – und witzig Trudes gestelzte Auftrittsmusik, also ihr persnliches Motiv. Die Liebesgesänge und das Erlösungsende, dem der balsamische Beginn des wie immer bei Siegfried Wagner kaum unter 20 Minuten langen Vorspiels mit seinem naiven Katherlieschen-Thema die Weisung gibt, werden schließlich anders gehört, wenn man sie als Umrahmungen der harmonisch avancierten Anderswelt-Musik begreift.

Der Rest ist amüsant, rhythmisch schwungvoll (Siegfried Wagner verstand sich auch auf besonders wienerisch gefärbte Walzer), lyrisch inspiriert und hervorragend instrumentiert. Die Karlsbader Symphoniker spielen, zusammen mit den Solisten und den Choristen des Philharmonischen Chors Nürnberg, unter David Robert Coleman einen sehr sauberen Wagner, begleitet von den Sängern, unter denen neben den beiden Hauptsängern Rebecca Broberg und Hans-Georg Priese besonders Joa Helgesson und Maarja Purge glänzen, um zu belegen, dass es sich lohnt, die selten gespielten Opern des eigenständigen Komponisten, bei dem es zwischen Pathos und Humor, schillerndem Tanz und „treudeutscher“ Seele bunt hin- und herging, zu spielen – ganz abgesehen von der märchenhaften wie psychologisch vertrackten Handlung, von der der Hörer schon deshalb viel mitbekommt, weil's, da live, stark rummelt und wummelt. Kein Grund, sich nicht die Ersteinspielung der höchst kurzweiligen Oper zuzulegen.

 

Label: Naxos.

 

Frank Piontek, 7.10. 2022

 

 

 

 

 

Das Schicksal des Komponisten ist fest mit seinen erfolgreichen Konzert Ouvertüren verknüpft. Sein bekanntestes Werk „Leichte Kavallerie“ ist bis heute ein viel gespielter Evergreen. Im Schatten dieser Erfolge stehen seine übrigen Werke, so schrieb er allein vierzig Operetten.

Kaum bekannt ist sein erfolgreiches Wirken in der Komposition diverser Theatermusiken. Umso erfreulicher ist die Welt Ersteinspielung „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“, die auf dem weltberühmten Roman von Jules Verne basiert und von NAXOS in bewährter Qualität produziert wurde.

Suppé schrieb diese Musik nur zwei Jahre nach der Roman Veröffentlichung im Jahr 1874 und beleuchtet damit eindrücklich verschiedene Szenen des Romans. Zu jedem Zeitpunkt ist die große Erfahrung des Theatermusikers Suppés zu erleben.

Suppés Musik ist farbenreich instrumentiert und durch verschiedene Leitmotive eingängig gegliedert. Mitreißende Marschrhythmen und allerlei fremdländische Farben lassen die Musik schillern und funkeln, wie etwa am „Kanal des Suez“. Ruhige Bläserakkorde bei sanften Streicherwogen geben der „Witwe von Rajah“ markante Gestalt, ehe die Musik „Auf dem Scheiterhaufen“ zu kulminierender Größe anwächst. Extreme dynamische Effekte bei exotischer Instrumentierung kennzeichnet „Die Schlangengrotte in Borneo“. Hier dürfte sich der Schlagzeuger am Tamtam besonders über seine häufigen Einsätze gefreut haben!

Manche Musiknummern sind in ihrem mitreißenden Elan besonders gelungen, so z.B. das Portrait der „Goldgräber von San Francisco“. Franz von Suppé dürfte bei der sehr naturalistisch komponierten Szene „Der Überfall auf die Pacific-Bahn“ viel Spaß empfunden haben. Selten rattert und schnattert eine Eisenbahn derart klar vernehmbar durch die Musikgeschichte.

Der Dirigent dieser Aufnahme, der Italo-Schotte Dario Salvi ist ein passionierter Musikwissenschaftler und -forscher. Seine Begeisterung für unbekannte Schätze ist dieser Aufnahme jederzeit anzumerken.

Im Verein mit dem Janáček Philharmonic Orchestra zeichnet Salvi die Weltreise erlebnisreich nach. Das Orchester fremdelt zu keinem Zeitpunkt mit dieser unbekannten Musik. Mit feiner Spielkultur gefällt der Klangkörper vor allem im durchsichtigen Tuttiklang. Hier fallen vor allem die vorzüglich ausbalancierten Bläser auf, die in den vielen wirkungsvollen Steigerungen für edle Grundierungen sorgen. Die zahlreichen Soli in den Holzbläsern gelingen vortrefflich und sorgen für besondere Ruhepunkte, so etwa in dem innigen Klarinettensolo beim „Fest der Königin Nakahira“, welches dann vom fein intonierenden Solo-Cello übernommen wird.

Die Aufnahmequalität dieser CD überzeugt durch ein betont natürliches und weit geöffnetes Klangpanorama, dazu gibt es ein informatives Beiheft.

Diese CD ist ein musikalisches Schmuckstück, die Freude garantiert und die Fantasie des Zuhörers stimuliert. Eine hörenswerte Neuerscheinung!

 

Dirk Schauß, September 2022

 

 

 

Recorded at the Teatro del Maggio Musicale Fiorentino, 27 and 30 April 2021

Eine erfreuliche Veröffentlichung auf DVD/Blu Ray ist soeben beim Label Naxos erschienen. Dabei handelt es sich um eine Aufführung von Francesco Ciléas Meisterwerk „Adriana Lecouvreur“ beim Maggio Musicale in Florenz aus dem Jahr 2021.

 

Ciléas Oper zählt zu den herausragenden Werken des Verismo. Prägnante Leitmotive, dramatische Entwicklungen und vor allem spektakuläre Gesangspartien machen „Adriana Lecouvreur“ zu einem spannenden Opernerlebnis. Hierzu sind jedoch herausragende Sängerpersönlichkeiten notwendig, was in der aktuellen Aufzeichnung glücklicherweise der Fall ist. Es ist eine wichtige Aufnahme aus vielen Gründen. Zu erleben sind Sänger auf der Höhe ihrer Schaffenskraft, dazu in einer ansprechenden Bühnenoptik und überzeugenden Inszenierung. Eine Aufführung in dieser Gesamtqualität hat heute leider Seltenheitswert. Umso erfreulicher ist dieses Dokument!

 

Mit Maria José Siri in der Titelpartie ist eine treffliche Besetzung gelungen, die im Zenit ihres Könnens dokumentiert ist. Sie singt und spielt Adriana mit großer Hingabe. Ihre aparte Stimme ist den zahlreichen Herausforderungen völlig souverän gewachsen. Feine Farbvaleurs, dramatische Attacke setzt sie klug und mit viele Raffinesse ein. In der schwierigen Prosa zeigt sie Mut zum Pathos, der natürlich wirkt und aus der erlebten Empfindung resultiert. Ihre Arien geraten ihr mit staunenswerter Makellosigkeit. Einer ihrer vielen Höhepunkte ist ihre ergreifend gestaltete Arie „Poveri fiori“! Siri gibt hier alles, was sie hat und differenziert bravourös zwischen feinster Mezzavoce und weit ausladender Höhe. Ein fabelhaftes Rollenportät!

 

Ihre Gegenspielerin ist mit Ksenia Dudnikova ebenso ausgezeichnet besetzt. Die dunkel timbrierte Mezzosopran Stimme umgibt die Partie der Principessa volltönend und mit raumgreifender Höhe. Dazu vermag sie auch ihrer Rolle deutliches darstellerisches Profil zu geben. Als Maurizio ist Martin Muehle zu erleben. Ein herausragender Tenor, der eine perfekt geführte Stimme für das veristische Repertoire einbringt. Sein müheloser Gesang, der aus Passion und Hingabe resultiert, begeistert und zeigt auf der anderen Seite, wie wichtig es ist, in dieser Rolle einen echten Spinto Tenor zu hören. Jonas Kaufmann und Piotr Beczala haben zwar auch in dieser Partie erfolgreich reüssiert, können aber nicht mit der sonoren und völlig mühelosen Vokalgebung Muehles mithalten. Martin Muehle ist hörbar ein Sänger alter Schule, der an große Rollenvertreter der Vergangenheit denken lässt und doch einen ganz eigenen Weg beschreitet. Wunderbar!

 

Grossartig in seiner Vielschichtigkeit und klugen Charakterisierung überzeugt und begeistert der persönlichkeitsstarke Nicola Alaimo als Michonnet. Mit kultivierter Baritonstimme und vielen Akzenten wertet er seine Partie deutlich auf. Erfreulich hoch ist das Niveau aller übrigen Nebenrollen in klaren Charakterzeichnungen. Als Dirigent wurde für diese Aufführungsserie Daniel Harding verpflichtet, der hier mit einer überraschend schlüssigen und kantablen Interpretation überzeugt. Symphonisch aufrauschend und dann wieder mit großer klanglicher Delikatesse spürt er jedem Detail nach. Sensibel arbeitet Harding die vielen Lyrismen heraus. Auf der anderen Seite scheut er auch nicht die große Klanggeste (Finali zwei und drei). Daniel Harding ist zudem ein aufmerksamer Begleiter, der das Sängerensemble auf den Händen trägt. Chor und Orchester des Maggio Musicale sind hörbar engagiert bei der Sache und gefallen durch ihr hohes musikalisches Niveau.

 

Regisseur Frederic Wake-Walker, der den ursprünglich vorgesehen Jürgen Flimm ersetzte, war eine gute Wahl für diese Produktion. Er gab den Akteuren Raum für die szenische Entfaltung und verzichtete dankenswerter Weise darauf, szenischen Irrsinn anzurichten. So kann sich der Zuschauer an einer plausiblen Personenführung erfreuen, die mit dem musikalischen Verlauf Hand in Hand geht. Kostüme, Bühnenbild und Lichtgestaltung vermitteln trefflich die Atmosphäre, die in diesem Werk angedacht ist. Gekonnt geriet der Wechsel zwischen Gesang und Prosa, dazu hie und da ein kleiner ironischer Kommentar im szenischen Geschehen.

Die Bild- und Tonqualität genügt höchsten Ansprüchen, so dass einem packenden Opernabend wahrlich nichts im Wege steht.

 

Dirk Schauß, 13. September 2022

 

 

 

NAXOS 2022    Best.Nr.. 2.110731    1 DVD

Bei dem Label NAXOS ist ein DVD-Mitschnitt von Nikolay Rimsky-Korsakovs 1909 postmortem uraufgeführter Oper The Golden Cockerel - in Deutsch Der goldene Hahn - erschienen. Mitgeschnitten wurden Aufführungen im Mai 2021 an der Opéra National de Lyon. Dabei handelt es sich insgesamt um eine beachtliche Angelegenheit. Leicht ist das Werk indes überhaupt nicht. Es hinterlässt einen spröden, ungemein scharfen Nachgeschmack. Mit diesem Stück übte Rimsky-Korsakov beißende Kritik an den damaligen russischen Verhältnissen und griff insbesondere den Zaren heftig an. Insbesondere den Petersburger Blutsonntag, bei dem der Zar mehr als 1000 Demonstranten hinrichten ließ, wollte er damit rigoros anprangern. Da kam ihm dieser auf Puschkin und Irving beruhende Stoff gerade recht. Diese Oper enthält eine enorme Sprengkraft. Indes wird sie nicht oft aufgeführt. Berühmt wurde sie durch die Pariser Aufführung von 1914, hat sich bisher aber einen festen Platz im Repertoire nicht erstreiten können. Schade. Hier haben wir es mit einer echten Rarität zu tun!

 

Vielleicht ist die vorliegende auf DVD gebannte Aufführung ja dazu geeignet, das Werk wieder in das allgemeine musikalische Bewusstsein zu bringen. Regisseur Barrie Kosky hat in Zusammenarbeit mit Rufus Didwiszus (Bühnenbild) und Victoria Behr (Kostüme) gute Arbeit geleistet. Mit unerbittlicher Konsequenz setzt Kosky das scharf geschliffene Regiemesser an und wartet mit einer ungemein stringenten Politparabel von hoher Eindringlichkeit auf, die sich zudem durch eine hervorragende Personenregie auszeichnet. Diese klug durchdachte Inszenierung verfehlt ihre Wirkung nicht. Die Kritik an Russland ist heute ja aktueller und berechtigter denn je. Das muss Kosky einem nicht erst sagen. Herr Didwiszus hat ihm eine stilisierte König-Lear-Heide auf die Bühne gestellt. Ihre Hauptmerkmale sind ein steiniger Weg und ein im rechten Teil der Bühne aufragender abgestorbener Baum, von dem aus der goldene Hahn seine Warnungen verkündet. Der Hahn ist bei Kosky ein halbnackter Mann, der seinen Part stumm spielt. Gesungen wird die Rolle von einer Sängerin aus dem Off. Zar Dodon wird von Kosky als heruntergekommene, schäbig und dreckig gekleidete Karikatur eines Herrschers gezeichnet, den man nicht mehr ernst nehmen kann. Seine von einem Pferdechor begleiteten, in moderne schwarze Anzüge gekleideten Söhne machen da schon einen etwas ernsteren Eindruck. Im Lauf des Stückes sieht man ihre kopflosen Körper an dem Baum hängen. An ihrem Tod ist die elegant gekleidete Königin von Shemakha in dieser Inszenierung wohl nicht unschuldig. Der dumme Zar ist sogar dann noch nicht fähig, die Situation richtig einzuschätzen, als er die Köpfe seiner toten Söhne in Händen hält. Am Ende meuchelt er den Rimsky-Korsakov nachempfundenen Astrologen, nur um dann selbst von dem Hahn getötet zu werden. Die Szene, in der das titelgebende Federvieh dem toten Herrscher die Augäpfel aussticht und genüsslich verspeist, ist der szenische Höhepunkt des Ganzen. Den Epilog bestreitet ein kopfloser Mann, der den singenden Kopf des vom Zaren ermordeten Astrologen in der Hand hält - auch das ist ein eindringliches Bild. Der Schluss mutet recht pessimistisch an: Die Verhältnisse werden sich nicht wirklich bessern. Eine eindringliche Botschaft des Regisseurs. Insgesamt ist Kosky eine spannende, logische und recht kurzweilige Inszenierung gelungen.

 

Am Pult erbringt Daniele Rustioni eine beeindruckende Leistung. Mit sicherer Hand leitet er das trefflich disponierte Orchestre de l’opéra National de Lyon durch die Partitur. Da gibt es teilweise ausgesprochen kantige und schroffe Töne, die indes zu Oper und Inszenierung ausgezeichnet passen. Daneben kommen aber auch emotionale und lyrische Klänge nicht zu kurz. Besonders gelungen ist der hervorragend musizierte zweite Akt, in dem die Königin von Shemakha im Vordergrund steht. Darüber hinaus versteht sich der Dirigent gut darauf, Spannung aufzubauen und markante Akzente zu setzen.

 

Bei den Sängern halten sich Positiva und Negativa in etwa die Waage. Dmitry Ulyanov ist ein tadellos und profund intonierender Zar Dodon. Nicht zu gefallen vermag der nur über dünnes, überhaupt nicht solide im Körper verankertes Tenormaterial verfügende Tenor von Andrey Popov in der Rolle des Astrologen. Eine hervorragende Leistung erbringt Nina Minasyan, die mit vorbildlich fokussiertem, flexiblem und höhensicherem Sopran der Königin von Shemakha eine ganz persönliche Note zu geben vermag. Eine perfekte italienische Technik bringt die Mezzosopranistin Margarita Nekrasova in die Partie der Haushälterin Amelfa ein. Voll und rund klingt der General Polkan des Bassisten Mischa Schelomianski. Nur über einen flachen Tenor verfügt Vasily Efimovs Prinz Guidon. Da schneidet der Bariton Andrey Zhilikhovsky als Prinz Afron schon etwas besser ab. Den Hahn teilen sich der Schauspieler Wilfried Gonon und die expressiv singende Sopranistin Maria Nazarova. Eine tadellose Leistung erbringt der von Roberto Balistreri einstudierte Chorus de l’opéra National de Lyon.

 

Ludwig Steinbach, 11.8.2022

 

 


 

ORFEO          Best.Nr.: C220051      1 CD

In der Reihe Große Sänger unseres Jahrhunderts des Labels ORFEO ist jüngst eine CD von George London erschienen. Diese enthält Aufnahmen des Bayerischen Rundfunks aus den Jahren 1953-1956. Hört man sich die CD an, wird einmal mehr offenkundig, was für ein absoluter Ausnahmesänger London zu seinen besten Zeiten doch war. Er verfügte über eine voluminöse und ausdrucksstarke, dabei wunderbar italienisch geschulte Bass-Bariton-Stimme mit einem unverwechselbaren Timbre und einer hervorragenden Artikulationskunst. Bezeichnend ist, dass ihm hohe Bariton-Rollen wie der Eugen Onegin aus Tschaikowskis gleichnamiger Oper ebenso gut aus der goldenen Kehle strömten wie reine Bass-Partien wie beispielsweise der Mephisto aus Gounods Faust. Dabei war es egal, in welcher Sprache London sang, sei es deutsch, italienisch, russisch oder französisch. In allen diesen Sprachen kam seine überaus mächtige, in allen Lagen gleichermaßen gut ansprechende Stimme bestens zur Wirkung. Dazu gesellte sich ein gesundes Stilempfinden des Sängers. Diese Aspekte vereinigt ergaben zusammen fast stets großartige Leistungen, die andauerten, bis London in den frühen 1960er Jahren bei einer Operation einen Stimmbandschaden erlitt. Ab diesem Zeitpunkt konnte er leider nicht mehr an seine früheren phantastischen Leistungen anknüpfen.

 

Die vorliegende CD vereinigt einige der besten Aufnahmen von George London, die in der Blütezeit seiner Karriere entstanden. Den Anfang bildet die Arie des Dapertutto Scintille diamant aus Jacques Offenbachs Oper Les contes d’Hoffmann, die er mit starkem Impetus und einer ungeheuren Intensität sowie grandiosen Spitzentönen zum Besten gibt. Hohen dämonischen Ausdruck atmet auch sein Dr. Mirakel in dem - leider nur auf Deutsch gesungenen - Terzett Antonia - Leise tönt meiner Stimme Klang aus der gleichen Oper. Hier gefallen neben ihm die tadellos singenden Teresa Stich-Randall als Antonia und Maria von Illosvay in der kleinen Partie der Stimme der Mutter. Ebenfalls deutsch gesungen sind die beiden Ausschnitte aus Tschaikowskys Eugen Onegin, was stilistisch sicher fragwürdig ist, aber nicht daran hindert, von Londons Leistung überaus angetan zu sein. In die Szene und Arie des Onegin Sie schrieben mir legt er die ganze große Arroganz des Tatjanas Liebe ablehnenden jungen Mannes. Umso stärker erscheint dann im Schlussduett Onegin, bitte stehen Sie auf sein ungestümes leidenschaftliches Werben um sie, in das London ein Höchstmaß an Intensität und ausgelebter Verzweiflung legt. Valerie Bak als Tatjana erreicht sein hohes Niveau mit ihrem etwas flach klingenden Sopran nicht. In der Arie Ni sna ni otdycha des Fürst Igor aus Alexander Borodins gleichnamiger Oper zeigt London mit einem Höchstmaß an Gestaltungskunst den ganzen Schmerz, die Einsamkeit und die große Verzweiflung des gefangenen Fürsten auf, dessen große Liebe zu seiner Frau er aber ebenfalls trefflich zu vermitteln weiß. Großes packendes Musiktheater stellt das Duett A te grave cagion m’aduce, Aida zwischen Amonasro und Aida aus Verdis Aida dar, in dem sich London und die sehr dramatisch und markant singende Astrid Varnay mit viel Feuer und hoher Impulsivität begegnen. Das gilt auch für die Schlussszene aus Wagners Walküre, in der dieselben beiden Stimmen enormen Glanz verbreiten. Londons herrlicher, sehr emotional und mit langem Atem gesungener Abschied Wotans Leb wohl, du kühnes, herrliches Kind stellt den abschließenden Höhepunkt der insgesamt sehr zu empfehlenden CD dar. Hier wird nachhaltig einem der größten Sänger der Mitte des vergangenen Jahrhunderts gehuldigt, der auf gar keinen Fall in Vergessenheit geraten darf!

 

Ludwig Steinbach, 10.8.2022

 

 

ENTDECKERFREUDEN!

Ein Menschenleben ist beklagenswert kurz, viel zu kurz, um den Reichtum der Musik komplett zu erschließen. Ein utopischer Gedanke! Das finnische Label Ondine gibt dem interessierten Musikfreund reichlich Gelegenheit, skandinavische Komponisten kennenzulernen. Die aktuelle CD ist dem schwedischen Komponisten Ludvig Norman (1831-1885) gewidmet, gelegentlich als „nordischer Brahms“ bezeichnet. Neben Franz Berwald zählt Norman zu den zentralen schwedischen Komponisten des 19. Jahrhunderts. Unzählige Lieder, Chormusik schrieb er, aber auch diverse Theatermusiken und vier Symphonien. Als Komponist, Dirigent, Pianist und Lehrer war er auch ein treuer Verehrer von Robert Schumann, dem er während seines Studiums in Leipzig begegnete. Schumann half Norman, mehrere seiner Stücke in Deutschland zu veröffentlichen, daher ist es nicht verwunderlich, dass Normans Musik stark von seinem Förderer beeinflusst wurde.

 

In der aktuellen Aufnahme der Werke Normans stellt sich das finnische Oulo Symphony Orchestra vor. Ein Orchester, dessen Gründung bereits im Jahr 1856 erfolgte und erst 1937 zum Oulo Orchestra wurde, bevor die Stadt Oulo es 1961 übernahm und zum Oulo Symphony Orchestra umbenannte. Aktueller Chefdirigent und Leiter dieser Aufnahme ist Johannes Gustavsson. Zu Beginn ist auf der CD die 1856 entstandene Es-Dur Konzert Ouvertüre zu hören. Ein heiteres Werk, voller Zuversicht mit feinen melodischen Verläufen. Einflüsse von Schumann und Brahms lassen grüßen, dennoch Norman hat eine eigene kompositorische Handschrift, die von Anbeginn des Hörens verfängt. Bereits hier zeigt das Oulu Symphony Orchestra seine spielerische Klasse unter der animierten musikalischen Leitung seines Chefdirigenten Johannes Gustavsson. Tief traf Norman der frühe Tod seines Komponisten Kollegen August Söderström, der mit gerade einmal 43 Jahren durch schwere Krankheit aus dem Leben gerissen wurde. Und so komponierte Ludvig Norman in Respekt und Zuneigung einen ergreifenden Trauermarsch in eher unüblicher Klanggeste. Musikalisch wirkt diese Komposition wie eine ernste und feierliche Referenz an den Verstorbenen, der musikalisch umschritten wird. Eine große Klage bleibt ausgespart. Faszinierend ist ein feiner musikalischer Subtext in der Instrumentierung. Wiederkehrend sind leise Schläge des Tam Tams zu hören, was dem Ganzen eine jenseitige Grundstimmung gibt. Das Oulu Symphony Orchestra überzeugt mit fein abgestimmtem Spiel, vorbildlicher Artikulation und gestalterischer Größe.

 

Mitreißend und mit viel Esprit wird Normans Ouvertüre zu Shakespeares Antony and Cleopatra dargeboten. Auch wenn Norman sich als Komponist absoluter Musik begriff, so hat es diese Ouvertüre in sich. Pulsierend in der Themenentwicklung mit z.T. sehr eigenen harmonischen Verläufen macht diese Theatermusik Lust auf mehr!

Mit der 1881 entstandenen Symphonie Nr. 3 gelang Norman ein besonderes Werk. Sein Komponisten Kollege Wilhelm Stenhammar war tief beeindruckt von deren Schönheit und meinte, dass sie jede Brahms Symphonie überträfe....

 

Das Werk beginnt mit einem Moll-Allegro appassionato voller Energie und Dramatik. Die Holzbläser befinden sich im permanenten Dialog mit den Tuttiklängen des Orchesters. Aus diesem Wechselspiel ergeben sich spannungsvolle Kontraste.

Das anschließende Andante cantabile bietet eine schöne, lang gesponnene lyrische Melodie, die diesem Satz seine besondere, an einen Hymnus gemahnende Qualität gibt. Der dritte Satz erinnert in seiner Klangfolge an Brahms. Wie in dessen vierter Symphonie, so verwendet Norman hier auch eine Triangel als besonderen delikaten Klangeffekt. Dieses Scherzo wirkt ein wenig zurückgenommen, so dass es zuweilen eher an ein Interludium denken lässt. Das kurze Finale ist in der Tongebung lebensfreudig und von prägnanten Rhythmen geprägt, die stets nach vorne drängen und vor allem durch wirkungsvolle Passagen der Blechbläser dem Finale einen effektvollen Schluss zusichert.  In diesem Werk beeindruckt und überzeugt das Oulo Symphony Orchestra durch mitreißendes Spiel. Auffallend ist die bestechend schöne Klangkultur des Orchesters. Warm tönende kantabel wirkende Streicher, sauber artikulierende Blechbläser, die immer gut eingebunden im Orchesterklang sind. Charaktervoll und sensitiv zugleich die fein abgetönten Holzbläser. Das Dirigat von Johannes Gustavsson ist zupackend und begeistert in der Klarheit, in der er die musikalische Struktur und deren gehaltvolle Substanz mit viel Elan vermittelt. Immer lässt er die Musik atmen und pulsieren. Normans Musik klingt wichtig und präzise ausgearbeitet. Ein überzeugendes Plädoyer für einen weithin wenig bekannten Komponisten.

 

Bleibt zu hoffen, dass diese schöne CD-Einspielung dazu beiträgt, der Musik von Ludvig Norman im Konzertsaal zu begegnen. Ein informatives Beiheft und ein warmer, fein aufgefächerter Klang runden diese gelungene Aufnahme ab.

 

Dirk Schauß, August 2022

 

 

 

Reference Recordings - FR-718 SACD

Liveaufnahmen aus dem Jahr 2014

Noch ein Beethoven! Und dann ausgerechnet die viel aufgenommene, die sog. „Schicksals-Symphonie“! Ja, es musste sein, wenn der Dirigent Manfred Honeck heißt und mit seinem wunderbaren Pittsburgh Symphony Orchestra zeigt, dass längst noch nicht alles ausinterpretiert ist!

Honeck eröffnet die CD-Einspielung nun mit der Symphonie Nr. 5 in c-Moll, Op.  67, die Beethoven 1808 uraufführte, nachdem er etwa vier Jahre daran gearbeitet hatte. Beethoven bemerkte in Bezug auf den Beginn des ersten Satzes zu einem Freund: "So klopft das Schicksal an die Pforte!"

Der Beginn von Honecks Fünfter ist äußerst gewichtig und voller Wucht. Aber nur kurz, denn der Rest ist vergleichsweise schnell und nicht minder eindringlich. Obwohl Honeck versucht, innerhalb der berühmten Eröffnung Spannung zu erzeugen, ist er gleichermaßen in der Lage, die Schönheit und Aufregung in dieser Musik zu finden. Die herausragende Gruppe der Hörner sind strahlend eingefangen und eröffnen Details in der Gegenstimme, die zuvor noch nicht zu vernehmen waren. Und ebenso sind die Streicher und Bläser großartig. Die rhythmische Prägnanz und die schroffen Akzente prägen das Drama des ersten Satzes.

Der Rest der Symphonie ist genauso kraftvoll, ein herrlich gesungener und leuchtender zweiter Satz. Hier schlägt Honeck ein fließendes Tempo an und betont damit das tänzerische Element, das diesem lyrischen Andante innewohnt. Sehr gut kontrastiert Honeck in weiten Legatobögen die heroischen Momente.  

Tief geheimnisvoll und ausgelassenen erklingt der dritte Satz. Auftrumpfend begeistern einmal die gloriosen Hörner der Pittsburgher! Ruppig mit folkloristischer Note und überraschenden Akzenten erklingt ein mitreißendes Trio. Mit höchster Spannung gestaltet Honeck sodann den Übergang in den majestätischen vierten Satz, der den Zuhörer hier in einem derart leuchtendem C-Dur empfängt, dass man sich fast akustisch geblendet fühlen könnte, so intensiv, so hell strahlt einem Beethovens Musik entgegen! Triumphal und mit umwerfendem Brio erzeugen Honeck und sein hinreißendes Orchester eine endlos erscheinende Woge musikalischen Glücks. Triumph und höchste Zuversicht gegen alle Lebenswidrigkeit, so wie hier aufgezeichnet, muss es klingen!

Was erwartet den Zuhörer mit Beethovens siebter Symphonie in der Interpretation von Manfred Honeck? Beethoven schrieb die Symphonie Nr. 7 in A-Dur, Op.  92 zwischen 1811 und 1812. Im Vergleich zur Fünften ist die Siebte ein lebhafteres, funkelndes Musikstück, ein Werk, das in seiner vielen Bewunderer, der Komponist Richard Wagner, wegen seiner lebhaften Rhythmen die „Apotheose des Tanzes“ nannte. 

Die Siebte hat ihre Tücken und ist nicht leicht, gut zu dirigieren. Honeck gelingt auch hier eine grandiose Aufnahme. Einmal mehr zeigt sich seine hoch präzise Aufmerksamkeit für rhythmische Details und hervorragendes Orchesterspiel. Es gibt unzählige Momente, in denen die Musik durch die Arbeit, die Honeck investierte, vital, spritzig und unwiderstehlich brillant erklingt. Sehr gut betont Honeck das omnipräsent Tänzerische in dieser Symphonie. Akzente und Dynamik wirken stets harmonisch entwickelt. Der zweite Satz trägt hier einmal nicht die Züge eines Trauermarsches, sondern viel mehr erklingt ein inniges Gebet. Ergreifend! Das Scherzo ist mitreißend und voller Lebensfreude. Und doch wird im abschließenden Allegro con brio noch derart viel zusätzliche Energie freigesetzt, dass das Staunen darüber groß ist! Wie ist das möglich? Es zeigt sich, wie überragend ein mit dem Orchester harmonierender Dirigent in langjähriger Zusammenarbeit zu einer eingeschworenen Gemeinschaft werden konnte. Nur so gelingen solche hoch riskanten musikalischen „Feuerritte“, die keinem Risiko aus dem Weg gehen und am Ende den musikalischen Sieg stets davontragen!

Fortwährend wird auch in dieser Symphonie eine spannende „Hörgeschichte“ vor dem Zuhörer ausgebreitet, die bis zum letzten Augenblick fesselnd ist.

In seinen sehr detaillierten Notizen würdigt Honeck die Dirigenten, unter denen er gespielt und mit denen er gearbeitet hat. Honeck hat als ehemaliges Mitglied der Wiener Philharmoniker Beethoven mit den großen Dirigenten musiziert, wie z.B. Bernstein, Harnoncourt, Karajan oder Kleiber.

Hervorragend ist auch wieder der hoch dynamische und weit aufgefächerte Klang der Aufnahmen, der dennoch sehr dicht am Ohr des Zuhörers bleibt, so als säße man selbst inmitten des glorios tönenden Pittsburgh Symphony Orchestras!

Es ist schon außergewöhnlich, mit welcher erfolgreichen Konsequenz das Label Reference Recordings seinem Namen gerecht wird und eine Referenzaufnahme nach der anderen produziert.

Unbedingt anhören!

Dirk Schauß, Juli 2022

 

Spielerische Exzellenz

Ludwig van Beethoven - Symphony No. 3, op. 55, „Eroica“

Richard - Strauss Hornkonzert No. 1, op. 11

 

Solist: William Caballero, Horn

Pittsburgh Symphony Orchestra

Dirigent: Manfred Honeck

rec. Heinz Hall for the Performing Arts, Pittsburgh, 2012 (Strauss), 2017 (Beethoven)
Recorded in SACD 5.0 & stereo and standard CD stereo
REFERENCE RECORDINGS FR-728 SACD

 

Manfred Honeck und das Pittsburgh Symphony Orchestra begeistern einmal mehr mit einer herausragenden CD mit Werken von Beethoven und Strauss, live in Pittsburgh aufgenommen.

Auch in der „Eroica, Beethovens Sinfonie No. 3, geht Honeck seinen ganz eigenen Weg voller Überraschungen und geglückter Risiken. Dieser Beethoven ist keine gefällige Mainstream Darbietung, wie es bei zu vielen großen Namen zu beklagen ist, nein, bei Honeck geht es um alles. Von der ersten Note an!

Zu erleben ist ein ungemein spannender Beethoven voller ungewöhnlicher Einfälle! Selten ist in einer Aufnahme der „Eroica“ der Jubel derart präsent und mitreißend ausmusiziert, wie es das fabelhafte Orchester mit seinem charismatischen Chefdirigenten hier dokumentiert hat. Honeck erachtet alle vier Sätze dieser Sinfonie als Tänze und in diesem Sinne ist dieser Interpretationsansatz wirklich eine echte Novität.

Mit pulsierender Energie und raschen Tempi stürmt Honeck in die Partitur hinein. Intensive Aufmerksamkeit erfahren die Details in der Themenentwicklung. Mit größter Genauigkeit führt Honeck den Zuhörer durch die Strukturen der Partitur. Schroffe Akzente in den vielen Dissonanz Akkorden des ersten Satzes werden mit unerbittlicher Kraft geschärft und dann wiederum fein kontrastiert durch die lyrischen Holzbläser. Gerade die vielen harmonischen Schärfen meißelt Honeck mit einer Drastik heraus, als gälte es das Leben. Mit mitreißendem Brio treibt Honeck das Pittsburgh Symphony Orchestra durch diesen ersten Satz voller Kraft, Wucht und Transparenz. Was für ein Auftakt!

In düsterem Streicherton beginnt der Trauermarsch im zweiten Satz. Expressiv und frei in der Phrasierung intonieren die Streicher. Wunderbar führt die sensible Oboe die Zuhörer in ein strahlend helles C-Dur mit heroischen Trompetenfanfaren, die die Trauer für einen Wonnemoment lang verbannen. Ruhe- und Höhepunkte sind hervorragend ausgewogen. Selbst in der Klage dieses Satzes ist die revolutionär anmutende Kraft, die diese Sinfonie so kennzeichnet, gegenwärtig.

Honeck stellt den zweiten Satz in ein fortwährend wachsendes, pulsierendes Crescendo, das zum Ende hin abebbt, ohne zu ermatten. Selbst im düsteren Fugato arbeitet Honeck immer Lichtmomente heraus, etwa die glorios hervortretende Hörnergruppe. Viele Überraschungen bietet gerade dieser Satz für den Zuhörer. Auf der einen Seite der Wechsel zwischen weichen und harten Paukenschlägeln, dann plötzlich im Horn deutlichst zu vernehmen, dass „Schicksalsmotiv“ aus der fünften Sinfonie. Niemals war es zuvor, derart prominent zu erleben. Auf dem Höhepunkt des Fugatoteils nimmt ein unbarmherziger Zug des Todes seinen Lauf, groß, machtvoll, von bleierner Schwärze. Es sind große Klageseufzer, ausgezeichnet vom Pittsburgh Symphony Orchestra empfunden, die in ein beschließendes „Lebe wohl“ münden.

Welch ein Kontrast schafft Honeck dann mit einem sehr ungestümen und forschen Scherzo!  Straff, voller Vitalität und Lebensfreude spielen die Pittsburger im flotten Tempo. Dynamik und Akzente sind perfekt getroffen. Dazu ein Trio mit Weltklasse Hörnern angeführt, wunderbar.

Wild und mit unwiderstehlichem Elan stürmt das Finale mit dem Zuhörer davon. Und auch hier ist es wiederum das bestechende Wechselspiel zwischen Emphase und intimer Lyrik, dass diese Aufnahme so besonders macht. Klar arbeitet Honeck die Variationen heraus und gewährleistet eine gelungene Durchsichtigkeit im Klangbild. Eine akustische Insel der Glückseligkeit ist der Solo-Oboe (Cynthia Koledo DeAlmeida) zu danken. Die Musik kommt im Aufruhr zur Ruhe, pure Kammermusik im Orchesterrausch. Sodann stürmt Honeck mit einem umwerfenden Presto in das Finale.  

Das Pittsburgh Symphony Orchestra spielt einen überragenden Beethoven mit süffigem Klang und höchster Brillanz, vor allem bei den Hörnern, die im Presto glorios zu erleben sind. Dies ist ein Beethoven voller ungestümer Tanzesfreude, mitreißend vorgetragen vom Eliteorchester aus Pittsburgh und seinem genialischen Meisterdirigenten. Spannender und emotional bewegender dürfte Beethoven auf CD heute kaum zu erleben sein.

William Caballero, Solohornist des Pittsburgh Symphony Orchestras begeistert nicht nur mit seinen Hornkollegen bei Beethoven, sondern auch hier mit einem herausragend gespielten Hornkonzert No. 1 von Richard Strauss. Strauss schrieb dieses Werk gerade einmal mit 18 Jahren und doch zeigt es bereits große kompositorische Reife!  

Mit weitem Atem und vollem Ton gibt Caballero hier ein besonderes Beispiel seiner virtuosen Spielkunst. Ob kantabel oder lyrisch keck wie im Finale, Caballero steht alles zur Verfügung, was notwendig ist, um dieses feine Konzert zu einer musikalischen Kostbarkeit werden zu lassen. Dabei musiziert Caballero betont offensiv, scheut kein spielerisches Risiko und vermeidet jegliche anbiedernde Gefälligkeit. Hier ist eine Persönlichkeit mit Ecke und Kante am Horn meisterlich agierend, zu erleben. Am meisten beeindruckt seine dynamische Bandbreite. Mit faszinierend feinem Ton gelingen Caballero delikateste Piano Momente, so z.B. in der hingebungsvollen Romanze. Im letzten Satz ist dann Gelegenheit für ein solistisches Feuerwerk, die Caballero ausgiebig nutzt, um noch einmal seine spielerische Klasse zu demonstrieren.  

Manfred Honeck ist dabei nicht auf die Rolle eines Begleiters reduziert. Ganz im Gegenteil. Caballero und Honeck musizieren hörbar als Team. Seine große Erfahrung und Affinität mit dem Oeuvre von Richard Strauss zeigt Honeck sehr eindrucksvoll. Mit viel Energie und Verve belegt das Pittsburgh Symphony Orchestra auch hier seine Meisterschaft.

Herausragend ist einmal mehr die Aufnahmetechnik und die editorische Sorgfalt dieser CD. In den intensiven Ausführungen Honecks im beigefügten Beiheft der CD erfährt der Zuhörer viele wissenswerte Details zu seinem musikalischen Zugang.

Beethoven und Strauss, wahrlich wieder einmal eine Referenzaufnahme!

Unbedingt empfehlenswert!

Dirk Schauß, Juli 2022

 

 

 

Reinhold Glière
Sinfonie Nr. 3 - Ilya Murometz
Beogradska filharmonija (Belgrader Philharmoniker)
Gabriel Feltz

Multilayer SACD

Katalognummer: 21112

Wer kennt oder spielt in deutschen Konzertsälen Musik von Reinhold Glière, dem Spätromantiker, deutscher und ukrainischer Abstammung? Fehlanzeige!

Unter seinen drei Sinfonien kommt der dritten Sinfonie eine absolute Sonderstellung zu.

1911 entstanden, schrieb Glière eine Programmmusik, ein musikalisches Denkmal für Ilya Murometz, eine Heldengestalt der sog. Kiewer Tafelrunde. Dabei handelt es sich um ein ungemein plastisch—symphonisches „Hör-Kino“, so bildhaft und konkret wirkt dieses äußerst opulente Werk.

Diese Sinfonie ist von der großen Orchesterbesetzung und der Zeitdauer mit einer langen Mahler Sinfonie vergleichbar. Ungewöhnlich ist dabei die schiere Zeitdauer der einzelnen Sätze. So dauern drei von vier Sätzen weit mehr als zwanzig Minuten. Dies führte in der Vergangenheit dazu, dass Dirigenten wie Eugene Ormandy oder Leopold Stokowski das Werk deutlich kürzten. Stokowski schätze diese Sinfonie sehr und sorgte engagiert für deren Verbreitung in den USA.

Glières musikalische Vorbilder waren u.a. Glasunow, natürlich Rimski-Korsakow, der Zauberer der Instrumentation und auch Wagner Anklänge sind erkennbar.

Glières Sinfonie bietet ein großes Farbspektrum und extreme dynamische Kontraste. Üppige Kantilenen in den Streichern, lebhafte Einwürfe der Holzbläser und choralartige Blechbläserpassagen werden vom üppig besetzten Schlagzeug druckvoll unterfüttert. Ebenso sind Folklore Elemente in die Komposition eingeflossen. Das Werk wirkt sehr erzählerisch und ausgesprochen illustrativ.

Nicht selten gefällt sich der musikalische Verlauf in vielerlei Wiederholungen. Und doch beschreitet dabei Glière seinen ganz eigenen Weg und bietet dem Zuhörer viel Gelegenheit, sich an orchestraler Pracht zu erfreuen. Intensive Vogelstimmen in den Holzbläsern lassen an Kompositionen Ravels oder Messiaens denken und ungewöhnlich oft bekommt das sonst seltene anzutreffende Kontrafagott exponierte Soli. Dabei ist es gar nicht notwendig, das unterlegte Programm zu kennen, da die Musik von faszinierender Ausdrucksstärke ist und vielerlei Bilder in die Hörempfindung hineinlegt. Und gerade im zweiten Satz, in welchem ein Zaubergarten beschrieben wird, funkelt und leuchtet die Partitur wie ein großer Märchenschatz. Die Klangeffekte sind von berückender Schönheit mit Reminiszenzen, die an Wagners Tristan, Schönbergs Gurrelieder oder die Musik von Franz Schreker erinnern. In den letzten Minuten der Sinfonie ertönen hingegen Klänge, die die Nacht aus der „Alpensinfonie“ von Richard Strauss erahnen lassen.

Gabriel Feltz, Chefdirigent der Belgrader Philharmoniker seit 2017, beweist eine glückliche Hand bei seinem Gang durch Glières komplexe Partitur.

Die Belgrader Philharmoniker, sie feiern nächstes Jahr ihr einhundertjähriges Bestehen und geben mit dieser Einspielung eine beeindruckende musikalische Visitenkarte ab.

Die Aufnahme entstand 2018. Hörbar intensiv wurde hier geprobt und so kann sich der Zuhörer auf ein pralles Klangfest freuen, das mit gut 83 Minuten auf nur einer CD festgehalten wurde.

Für Feltz ist Glières Musik ein hörbares Anliegen, ein deutliches Bekenntnis für die besondere Qualität dieses so ungewöhnlichen Werkes. Bei Feltz klingt alles wichtig, jedes Detail wird sorgsam vorgetragen. Mit viel Energie motiviert er sein Orchester zu mitreißendem Spiel. Feltz gelingt es, die dynamische Bandbreite der Komposition hinreißend auszuspielen. Ebenso überzeugend geraten die Ruhepunkte im zweiten Satz mit seinen vielen Naturstimmungen. Dazu legt Feltz stets im üppigen Stimmengeflecht des riesigen Orchesterapparates die Strukturen offen, so dass Formgebung und Themenverlauf klar zu verfolgen sind. Gerade in diesem herrlichen Zaubergarten agiert Gabriel Feltz als Klangmagier und beschwört eine Atmosphäre voller narkotisch sinnlicher Wirkung. Wunderbar!

Dieses Werk fordert von jedem Orchester maximale Leistungsfähigkeit in allen Gruppen. Die Belgrader Philharmoniker erweisen sich als vorzüglich intonierender Klangkörper, der sehr kultiviert und mit viel Verve diese spannende Komposition vorträgt. Es ist vor allem die hohe Geschlossenheit des Orchesters, die zu begeistern vermag. In allen Spielgruppen sind ausgezeichnete Leistungen gelungen. Erfreulich ist dabei, dass die Belgrader einen ganz eigenen Ton pflegen, der durch Wärme und Farbigkeit besticht. Feine schlank intonierende Hörner und charakteristische Holzbläser auf der einen Seite, dazu energiegeladene Streicher auf der anderen Seite. Wunderbar kompakt und sehr kultiviert muszieren die zahlreichen Blechbläser. Auch die vielen Instrumental Soli gelingen ausgezeichnet. Hinreichend mächtig überzeugen die vielfältig geforderten Schlagzeuger der Belgrader Philharmoniker.

Zum besonderen Erlebnis wird diese Einspielung durch den zupackenden Klang, der hoch dynamisch direkt den Zuhörer erreicht und dabei jedes noch so kleine Detail einfängt. Die CD ist mit einem lesenswerten Beiheft ausgestattet. Gabriel Feltz beschreibt u.a. darin seinen Zugang zu dieser Sinfonie.

Wieder ist dem innovativen Label dreyer gaido eine besonders hörenswerte Aufnahme gelungen mit hohem diskografischem Wert. Möge sie dazu beitragen, dass Ilya Murometz in den Konzertsälen öfters zu erleben sein wird.

Dirk Schauß, Juli 2022

 

 

 

Mahler. The Complete Symphonie

Stuttgarter Philharmoniker,
Dortmunder Philharmoniker

Gabriel Feltz

dreyer gaido Musikproduktionen Münster 

Katalognummer 21140

Die Edition enthält ein 108-seitiges Booklet mit Werkkommentaren von Gabriel Feltz zu allen Werken und einen Originalbeitrag von Volker Hagedorn.

„Da traust Di was!“ Dieses Zitat der einstigen bekannten Burgschauspielerin, Inge Konradi, kommt einem leicht in den Sinn, wenn die vergleichsweise kleine Musikproduktionsfirma dreyer gaido sich über 15 Jahre einer Mammutaufgabe stellte, alle Sinfonien von Gustav Mahler aufzunehmen.

Die Protagonisten sind zwei deutsche Orchester, überwiegend die Stuttgarter Philharmoniker und die Dortmunder Philharmoniker. Dirigent der Einspielung ist der Berliner Gabriel Feltz, langjähriger Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker und heute Generalmusikdirektor in Dortmund sowie Chefdirigent in Belgrad.

Bei den Aufnahmen handelt es sich ausschließlich um Liveaufnahmen.

Die Produzenten dachten groß und entschieden mutig. Inzwischen ist der Musikmarkt mit zahlreichen Mahler Zyklen mehr als gut ausgestattet, darunter viele Dirigier-Giganten völlig unterschiedlicher Couleur: Abbado, Bernstein, Boulez, Chailly, Gielen, Haitink, Kubelik, Maazel, Sinopoli, Solti, Svetlanov oder Tennstedt, um nur einige wenige zu nennen.

Kann ein solches Unterfangen gelingen, zumal dies nur auf der Basis von Zugeständnissen möglich erscheint? Die Orchester der vorliegenden Aufnahmen spielen nicht in der Liga der Welt-Klangkörper und in einer Studioaufnahme kann eine Perfektion erreicht werden, wie dies bei einem Liveerlebnis nicht möglich ist.

Und doch: es ist ein großer Wurf gelungen mit dieser Gesamteinspielung!

Gabriel Feltz erweist sich zunächst als formidabler Orchestererzieher, der beide Orchester zu erstaunlichen, herausragenden Klangerfahrungen führt, die in ihrer musikalischen Unbedingtheit bezwingen. Zuweilen geht das an die Leistungsgrenze der Orchester und doch ist es eben auch der musikalische Ritt durch das Mahlersche Feuer, der diesem Zyklus eine ganz besondere Aura gibt. Mag mancher Bläsereinsatz etwas wackelig sein oder das Schlagzeug bei den Stuttgartern mitunter etwas zu sehr auf Sicherheit spielen, es sind kleine Einwände.

Dem gegenüber steht ein gestaltender, erzählender und fühlender Dirigent, der hörbar weiß, worauf es bei dieser Musik ankommt. Feltz kopiert nicht seine Kollegen, sondern erarbeitete sich einen ganz subjektiven interpretatorischen Weg und einen eigenen Mahler-Klang mit den Orchestern.

Sachlichkeit, bei gründlicher Partitur Analyse trifft auch risikofreudige Expressivität. Klare rhythmische Strukturen und unbedingte Durchhörbarkeit, selbst in den größten Klangmomenten sind die Eckpfeiler seiner Lesart. Feltz ist und bleibt während des ganzen Zyklus ein individuell Gestaltender, dem die musikalische Aussage und der emotionale Ausdruck besonders wichtig sind. Dabei kann er sich auf sein instinktsicheres Timing verlassen, d.h. die Musik kann atmen und wird dabei zugleich vorangetrieben, wenn es auf die Höhepunkte zugeht. Feltz setzt gerade damit besondere, sehr eigene Akzente. Seine Tempi wirken ausgewogen, manches Accelerando erscheint manchmal befremdlich, weil ungewohnt und doch ist es das, was eine Aufnahme so reizvoll erscheinen lässt: die musikalische Überraschung. Und davon gibt es in diesen Mitschnitten viele gelungene Momente, die beeindrucken.

Beide Orchester sind vorzüglich auf Feltz eingestimmt und geben alles, was in ihren Kräften steht. Es ist ein schönes und wichtiges Dokument für den hohen Qualitätsstandard deutscher Orchester.

Die gewaltigen Herausforderungen, ob exponierte Instrumentalsoli, vor allem in den Holz- und Blechbläsern, werden couragiert und mit exponierter Spielfreude realisiert. Die Streicher leisten vorzügliche Arbeit und überzeugen mit ausgewogener Klangqualität.

Kaum einem Dirigenten gelang es bisher, den Beginn der 1. Sinfonie so aus dem Nichts entstehen zu lassen, wie hier. Was für ein Zauber!

Bei Feltz wird die Stimme Gustav Mahlers hörbar und das in aller Komplexität und Vielschichtigkeit. Jeder Takt atmet und klingt bedeutungsvoll. Und es passt zu Feltz, dass er auch den vielen Schroffheiten der Sinfonien offensiv begegnet, dazu setzt er sehr deutliche Akzente. Treffsicher gestaltet er die Übergänge und erzeugt stets neue Spannungsbögen. In der zweiten Sinfonie ist dies deutlich zu erleben und lässt somit den Zuhörer tief zwischen die Notenzeilen schauen. Tanja Ariane Baumgartner gestaltet dazu ein tief empfundenes Urlicht.

Dann wieder begeistert der nach vorne stürmende Aplomb in den Sinfonien drei, fünf und sechs.

Diese Interpretationen wirken zuweilen wie ein Hörkrimi und lassen nicht kalt. Wie gut findet Gabriel Feltz dann auch wieder in die Ruhe zurück, wie im herrlich ausmusizierten Adagio der dritten Sinfonie, welches bei Feltz in einem Licht Hymnus endet, der den Zuhörer in die Arme schließt.

Mit leichter lyrischer Hand und wiederum vielen Zwischentönen ist die vierte Sinfonie zu erleben. Im dritten Satz gelingen Feltz und den Stuttgartern Sternstunden Momente, so innig, so gefühlt und klar in der rhythmischen Empfindung ist das musiziert. Dazu steuert Sopranistin Jeanette Wernecke den gut verständlichen Gesang in gewünscht kindlicher Manier bei.

In den Sinfonien fünf und sechs treibt Feltz die Stuttgarter Philharmoniker energisch und mit deutlichem Espressivo an, ohne dabei die Tempi zu forcieren. Dabei verliert er sich nicht in Gefühlsexzessen, sondern konzentriert sich vor allem auf eine Balance zwischen Struktur und Emotion. Und es gelingt ihm überzeugend, auch wenn dafür mögliche Härten (z.B. die Pauke in der sechsten Sinfonie)  hie und da abgemildert erklingen.

Bei diesem Zyklus ist der Zuhörer niemals auf der sicheren Seite in Bezug auf die eigene Hörerwartung. Und das macht diese Aufnahmen so kurzweilig und immens spannend.

Und einer der absoluten Höhepunkte dieses Zyklus sei hier verraten. Wer nun dachte, dass Gabriel Feltz das berühmte Adagietto der fünften Sinfonie eher zügig beschreiten würde, nun, hier ist es anders zu erleben. Ganz anders als in allen Aufnahmen!

Die Satzbezeichnung „Sehr langsam“ ist für Feltz das Maß der Dinge. Mahler beim Wort genommen!

Im Ergebnis ergibt dies einen neuen Superlativ in der Geschichte der Mahler Interpretation. Schnelle Dirigenten wie Rudolf Barshai wendeten für das Adagietto kaum mehr als acht Minuten auf, Willem Mengelberg sogar nur sieben Minuten.

Im Durchschnitt bewegen sich die meisten Einspielungen bei neun bis elf Minuten. Bernstein, Karajan und Maazel gehörten mit über elf Minuten zu den besonders langsamen Dirigenten. Und der bis dato langsamste Dirigent, Harold Farberman, benötigte etwas mehr als zwölf Minuten. Farberman polarisierte bei seinen Mahler Aufnahmen stark, da er die These vertrat, dass Mahlers Sinfonien immer zu schnell gespielt würden. In seinem fast kompletten Zyklus schlägt er daher äußerst langsame Tempi an. Ähnlich getragen musizierte auch James Levine diesen berühmten Satz.

Und der sonst so forsche Gabriel Feltz? Zwölf Minuten neunundzwanzig!

Warum ist das so relevant? Zum einen zeigt es, wie kontrastreich Feltz musiziert, wie genau er der Partitur nachspürt und der Musik Mahlers immer neuen Entfaltungsraum widmet, wo sie angezeigt ist. Dabei wirkt diese nun extrem langsam vorgetragene Interpretation keineswegs verschleppt. Im Gegenteil. Gabriel Feltz und die fühlbar „singenden“ Stuttgarter Philharmoniker eröffnen für den Zuhörer eine neue Hör-Welt. Weit ausschwingend und dabei die Zeit auflösend. Der melodische Verlauf spricht Bände und öffnet die Seele endlos weit. Mutig, eigen und unwiderstehlich. Ein interpretatorischer Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte von Gustav Mahler!

Die Spielfreude der Orchester ist zuweilen geradezu überrumpelt und da geht dann Gabriel Feltz auch ins volle Risiko, wie etwa im losstürmenden Beginn des letzten Satzes in der siebten Sinfonie. Ein deutlicheres Bekenntnis an die Lebensfreude kann es kaum geben. Hier wird es erfahrbar.

Eine Besonderheit dieses Zyklus ist insgesamt die hohe Qualität aller Vokalsolisten und der beteiligten Chöre. Hier ist die vorzüglich geratene achte Sinfonie besonders hervorzuheben. Klanglich hervorragend ausbalanciert und mit voller Dynamik eingefangen, erlebt der Zuhörer ein packendes Sängerfest bei sehr guter Textverständlichkeit. Im Finale der achten Sinfonie öffnet Gabriel Feltz alle Schleusen und musiziert seine Zuhörer in den Himmel der Mahler Glückseligkeit. Ein gewaltiger Abschlag und dann große Begeisterung des Dortmunder Auditoriums.

Ebenso fasziniert und berührt die neunte Sinfonie besonders stark, weil Feltz hier mit den Dortmunder Philharmonikern wiederum tief in die Seele Mahlers blickt und ihm hier musikalische Offenbarungsmomente gelingen. Dann in der Burleske scheut er nicht die extreme Groteske, somit tönt die Musik grell und fratzenhaft. Im vierten Satz eröffnen Feltz und die Dortmunder Philharmoniker eine Welt der Transzendenz, die einen großen Sog entwickelt. Trost im Tode? Oder nur Endlichkeit? Gabriel Feltz und die hingebungsvollen Dortmunder Philharmoniker geben darauf eine klare Antwort.

Die unvollendet gebliebene 10. Sinfonie liegt hier mit dem Adagio und dem kurzen Purgatorio als Fragment vor. Feltz begreift sie hörbar als Musik des 20. Jahrhunderts und liefert mit den Stuttgarter Philharmonikern einen bewegenden Abschluss dieses Zyklus. Bei Feltz wird dieser unvollendete Schwanengesang Mahlers zur Zukunftsmusik. Zum Teil verstörend in den zugespitzt vorgetragenen Dissonanzen, um dann deutlichst in kontrastierender Milde der harmonischen Auflösung zu enden.

Was nützen herausragende Interpretation und hingebungsvolles Spiel, wenn die Tontechnik nicht adäquat mitzieht? Zu oft ein trübender Makel vieler Edelaufnahmen Gustav Mahlers.

Und auch in diesem Punkt erwartet den Zuhörer eine freudvolle Überraschung! Die Aufnahmen begeistern durch eine außergewöhnliche Aufnahmequalität der CDs, vier davon liegen sogar als SACD vor, die so manche Aufnahme der Deutschen Grammophon oder EMI auf die hinteren Plätze verweist. Realistischer Raumklang, bei voll eingefangener Dynamik und eine ausgeprägte Natürlichkeit in den Instrumentalgruppen, machen diese CD-Einspielung zu einem besonderen Hörerlebnis.

Abgerundet wird diese liebevoll zusammengestellte Edition durch ein hoch informatives Beiheft, in welchem Gabriel Feltz seine Gedanken zu den einzelnen Sinfonien äußerst.

Alles in allem ist hier eine Herkules-Aufgabe zu einem sehr erfolgreichen Abschluss gekommen. Das Label dreyer gaido hat eine wichtige, gute und innovative Entscheidung getroffen, diesen Zyklus einzuspielen. Er wird den Freunden der Musik von Gustav Mahler viele neue Erkenntnisse und besondere Hörerlebnisse vermitteln.

Gabriel Feltz, der großartig gestaltende Dirigent dieser gelungenen Einspielungen gibt Gustav Mahler alle Ehre, die diesem Meister Komponisten gebührt!

Ein wichtiges und wertvolles Dokument in der Mahler-Diskographie!

Dirk Schauß, Juni 2022

 

 

Bel Air 2022                 Best.Nr.: BAC165                      2 DVDs

Eine durch die Bank sehr empfehlenswerte Angelegenheit ist die beim Label Bel Air herausgekommene DVD von Wagners Tristan und Isolde. Aufgenommen wurde eine Aufführung vom April 2018. Regisseur Dmitri Tcherniakov, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, und Kostümbildnerin Elena Zaytseva haben dem Werk ein durch und durch modernes Ambiente verpasst und insgesamt ausgezeichnete Arbeit geleistet. Was sie auf die Bühne der Berliner Staatsoper Unter den Linden gebracht haben, kann sich sehen lassen.

Zu Beginn des ersten Aufzuges erblickt man den Salon eines Schiffes, in dem Tristan und seine Männer - allesamt gut bürgerlich und elegant gekleidet - eine feucht-fröhliche Partie feiern und reichhaltig dem Alkohol frönen. Der sonst unsichtbar bleibende junge Seemann ist hier Teil dieser Salongesellschaft. Einen Ausblick auf das Meer gibt es nicht. Ein Monitor an der Wand zeigt die Route des Schiffes von Irland nach Kornwall auf. Wenig später beobachten die in einen blauen Mantel gewandete Isolde und die grau gekleidete Brangäne mit Hilfe des Monitors Tristan auf dem Deck des meerumfluteten Schiffes. Sein Schwert stellt in diesem zeitgenössischen Umfeld einen Fremdkörper dar. Nach dem Genuss des Liebestrankes, der in einem Medizinfläschchen aufbewahrt wird, brechen Tristan und Isolde in lautes Gelächter aus. Sie haben erkannt, dass es eines Zaubertrankes gar nicht bedurft hätte, um sie zueinander in Liebe entbrennen zu lassen. Sie hätten auch Wasser trinken können, wie Thomas Mann ganz richtig erkannt hat. Am Ende des ersten Aufzuges erscheinen König Marke und sein Hofstaat auf der Bühne - ein treffliches Tschechow’sches Element.

Auch der zweite Aufzug zeigt einen Salon, dieses Mal in Markes Schloss. Auf die Wände sind Bäume gemalt. Die mit Gewehren ausgestattete Hofgesellschaft bereitet sich auf das nächtliche Jagen vor. Tristan trägt jetzt einen schwarzen Anzug und Isolde ein grünes Kleid. Eine Fackel, die gelöscht werden könnte, gibt es in diesem modernen Ambiente naturgemäß nicht. Stattdessen dreht Isolde einfach das Licht herunter. Tristan bringt Sekt und Häppchen zum Rendezvous mit. Auf der Rückwand erblickt man immer wieder Film-Projektionen. Ab dem Teil des Liebesduetts, in dem es philosophisch wird, zieht Tristan ein Buch aus der Tasche und schlägt es auf. Dabei handelt es sich augenscheinlich um Schopenhauers auf dem Buddhismus beruhende Liebesphilosophie, die Tristan Isolde erfolgreich vermittelt. Auf diese Weise wird der zweite Aufzug zum Ideendrama. Beim Hereinbrechen des Tages öffnet Melot die im Hintergrund befindliche Schiebetür und die Hofgesellschaft wird sichtbar. Das Paar versucht sich zu verbergen, was indes nicht gelingt. Bei Markes Klage singt der König oft nicht Tristan, sondern seine Höflinge an. Am Ende des zweiten Aufzuges wird Tristan von Melot nicht auf irgendeine Weise tödlich verwundet, sondern einfach niedergerungen. Bei Bewusstsein bleibend darf er sich sogar ein wenig erheben.

Der dritte Aufzug spielt in Tristans Herrenhaus in der Bretagne. Man merkt, dass der Hausherr lange Zeit nicht anwesend war. Die Möbel sind teilweise noch verhängt. Ein Fenster ermöglicht den Blick ins Freie. Tristan liegt ohnmächtig auf einem Sofa, während der Brillenträger Kurwenal sich immer wieder eine Zigarette anzündet. Die Figur des Hirten wird vom Regisseur aufgeteilt in einen Hausbediensteten und einen Musiker, der von einem hinter einem Vorhang befindlichen zweiten Bett aus auf dem Englischhorn die traurige Weise spielt. Diese Spaltung macht durchaus Sinn. Nachdem Tristan erwacht ist, kämmt Kurwenal ihm liebevoll die Haare und serviert seinem Herrn das Essen auf einem Stuhl, den der sieche Hausherr indes bei seinem ersten Fieberausbruch umstürzt. Der emotionale Höhepunkt der gelungenen Inszenierung ist, als Tristan im Fieberwahn seine toten Eltern heraufbeschwört, die man bereits vorher in einem auf die Wand projizierten Video-Film sah. Diese Szene macht einen ganz starken Eindruck! Nach Tristans Tod findet der Kampf zwischen Kurwenal und Markes Gefolge im Dunkeln statt. Zu Isoldes Liebestod wird Tristans Leiche von den Männern des Königs auf ein Bett gelegt, während Marke und Brangäne das Ganze wie Theaterzuschauer von einem Sofa aus beobachten. Isolde kapiert nicht, dass Tristan bereits gestorben ist. Sie schaltet, bereit für seine Ankunft, das Licht aus und stellt ihm einen Wecker an die Seite, der ihn erwecken soll. Dann zieht sie den Bettvorhang zu. Das ist alles sehr überzeugend, klug durchdacht und mit Hilfe einer flüssigen Personenregie auch stringent umgesetzt.

Auf hohem Niveau bewegen sich die gesanglichen Leistungen. Als Tristan erweist sich Andreas Schager als Inbegriff eines guten Heldentenors. Mit hellem, bestens fokussiertem und wandlungsreichem Stimmmaterial wird er seiner Rolle bestens gerecht. Die feinen Lyrismen des Liebesduetts stehen ihm genauso trefflich zur Verfügung wie die ausladende Dramatik der Fieberausbrüche, bei denen er eine enorme Kondition an den Tag legt. Leider hat er am Ende bei „vergeh die Welt meiner jauchzenden Eil‘!“ nicht mehr genug Kraft für das hohe ‚a‘, das er einfach um eine Oktave nach unten transponiert. Das ändert an dem in hohem Maße positiven Gesamteindruck aber nichts. Neben ihm glänzt als Isolde die schon oft bewährte Anja Kampe. Auch sie legt ihre Rolle mit ebenfalls trefflich fundiertem Sopran sehr vielschichtig an und ist um schöne Differenzierungen bemüht. Imposante dramatische Ausbrüche, eine sichere Höhe sowie lyrische Empfindsamkeit im Liebesduett lassen ihren Vortrag ungemein vielseitig und interessant erscheinen. Einen emotionalen, vorbildlich gestützten Mezzosopran, der die hohe Tessitura der Partie tadellos bewältigt, bringt Ekaterina Gubanova für die Brangäne mit. Mit wunderbarem, volltönendem, sonorem und phantastisch italienisch geschultem Bariton singt Boaz Daniel einen phantastischen Kurwenal. Ein markanter Bass und schöne Linienführung zeichnen den Marke Stephen Millings aus, der die große Erschütterung des Königs glaubhaft macht. Einen soliden Eindruck hinterlässt der recht geradlinig singende Linard Vrielink in der Doppelrolle des jungen Seemannes und des Hirten. Adam Kutny ist ein profund intonierender Steuermann. Nicht sonderlich zu gefallen vermag der recht dünn und maskig klingende Melot von Stephan Rügamer. Der Herrenchor macht seine Sache gut.

Am Pult der Staatskapelle Berlin vermag Daniel Barenboim nicht durchweg zu gefallen. Sicher, er dirigiert glutvoll und emotional, was nicht wenig ist. Und die von ihm angeschlagenen langsamen Tempi leisten einer hervorragenden Transparenz Vorschub, wodurch man viele Einzelheiten hört. Indes verlegt er sich allzu oft aufs Schleppen, was alles andere als gefällig ist.

Ludwig Steinbach, 19.5.2022

 

Sofia 2013       Dynamic 2022    Best.Nr.: 37900           2 DVDs 

Mit der Götterdämmerung geht die DVD-Veröffentlichung des Sofia- Ringes nun in die letzte Runde. Und wieder kann man insgesamt voll zufrieden sein. Erneut wird offenkundig, dass das Opernhaus in Sofia zu den ersten Adressen in Sachen hochrangigen Musiktheaters gehört. Man kann dem Label Dynamic wirklich in hohem Grade dankbar sein, dass es diesen hochkarätigen Ring auf DVD veröffentlicht hat. Wagner hätte seine helle Freude daran gehabt. Und das in jeder Beziehung. Inszenierung, Musik und Gesang gehen eine vortreffliche Symbiose sein, die in jeder Beziehung überzeugend ist. Wer im Jahre 1994 in Bayreuth rosalies Designer-Ring gesehen hat, wird auch diese Götterdämmerung mögen. Sie ist ganz ähnlich strukturiert wie rosalies Arbeit.

Regisseur Plamen Kartaloff hat in Zusammenarbeit mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Nikolay Panayotov ausgezeichnete Arbeit geleistet. Das Werk ist trefflich durchdacht und mit Hilfe einer stringenten Personenregie eindrucksvoll auf die Bühne gebracht. Das Grundkonzept ist voll überzeugend. Besonders erwähnenswert sind die mannigfaltigen Tschechow‘ schen Elemente, mit denen der Regisseur aufwartet und die die Spannung noch erhöhen. Diese werden in erster Linie anhand der Figur des Alberich vorgeführt, aber dazu später.

Wie bereits in den vorangegangenen Teilen des Zyklus wird die Bühne auch hier wieder von einem gespaltenen Ring dominiert, der sich durch die gesamte Aufführung zieht. Der Feuerzauber wird naturalistisch dargestellt. Das Vorspiel beherrscht ein pilzförmiges Gebilde mit von Cellophan verschlossenen Löchern, aus denen die Nornen mit ihrem Schicksalsseil sich den Weg hinaus ins Freie bahnen. Die blaue Ausleuchtung der Szene wirkt hierbei sehr ästhetisch. Als von Wotan die Rede ist, betritt dieser höchstpersönlich die Bühne. Auch Alberich erscheint, als die Nornen von seinem Raub des Rheingoldes erzählen. Er ist es auch, der dann mit einer herrischen Geste das Seil zum Reißen bringt - ein hervorragender Einfall seitens des Regisseurs, dem Schwarzalben diese Tat zuzuordnen! Später beobachtet der Nibelung, wie Siegfried seine unter einem brennenden Ring erfolgende Rheinfahrt antritt. Bei dieser sieht man bereits die ausgelassenen, wilde Tandem-Sprünge vollführenden Rheintöchter. Die Nixen bereits hier auftreten zu lassen, ist zwar nicht mehr neu - das hat Konwitschny in Stuttgart ebenfalls gemacht -, aber recht effektiv.

Gunther beobachtet mit Hilfe eines Teleskopes den Himmel und Gutrune trägt bemalte Schilde herein. Auch in dieser Szene ist Alberich oft präsent. So beobachtet er zunächst neugierig die Gibichungen-Geschwister. Später wohnt er Siegfrieds an Gunther gerichtete Frage bei, ob dieser ein Weib habe. Am Ende von Hagens Wachtgesang tritt er noch einmal zu seinem Sohn. Auch das ist nicht mehr neu, macht aber einen starken Eindruck. Waltraute erscheint mit Helm, Harnisch, Speer und einem kurzen Rock auf der Bühne. Herein fährt sie auf einem der bereits aus den vorangegangenen Ring-Teilen bekannten Zylinder, der bei Kartaloff für Walhall steht. Als sie Brünnhilde erzählt, was in der Götterburg vor sich geht, sieht man Wotan und die anderen Walküren die Szene betreten, letzere ebenfalls auf Walhall-Zylindern. Am Ende des ersten Aufzuges darf Alberich mitkriegen, wie Siegfried in der Gestalt Gunthers Brünnhilde überwältigt.

Der zweite Aufzug wird von einem Metallgerüst eingenommen. Auf den Hintergrund wird eine Bibliothek projiziert. Das enorme Wissen der Gibichungen bzw. ihre Verantwortung vor der Geschichte wird auf diese Weise trefflich symbolisiert. Auch hier haben wir es mit einem Einfall zu tun, den andere Regisseure auch bereits hatten, der seine Wirkung indes nicht verfehlt. Am Ende des Zwiegesprächs zwischen Alberich und Hagen streckt der Sohn den Vater mit einem Schlag zu Boden. Auf diese Weise rebelliert er gegen die ihm aufoktroyierte Fremdbestimmtheit, die ihm zuwider ist. Die Mannen sind eine kaum zu sehende, dunkle und anonyme Masse. Am Ende des zweiten Aufzuges betritt Alberich noch einmal die Bühne. Offenkundig wird, dass er den Mordplan an Siegfried belauscht hat und diesen billigt.

Zu Beginn des dritten Aufzuges führen sich die Rheintöchter zum wiederholten Male durch ihre Tandem-Sprünge ein. Auch im Folgenden geben sie sich ausgesprochen akrobatisch. Der Schwarzalbe wird Zeuge, wie die Mädchen Siegfried auffordern, ihnen den Ring zurückzugeben, was ihm gar nicht gefällt. Anschließend beobachtet er, wie Hagen, Gunther und die Jagdgesellschaft eintreffen. Als Siegfried von seinen jungen Tagen erzählt, gönnt der Regisseur der Waldvogel-Frau einen Auftritt und lässt sie lustige Sprünge vollführen. Siegfrieds Ermordung läuft recht konventionell ab. Gutrune wird auf einem Bett von ihren Alpträumen geplagt. Am Ende verzeiht Brünnhilde der Gibichungen-Tochter. Die beiden Frauen umarmen sich, worauf die überlebende Gutrune die Bühne verlässt. Bei Brünnhildes Schlussgesang beschwört die Wotans-Tochter in Anwesenheit Alberichs erneut ihren Vater herauf. Am Schluss ihres Gesangs besteigt Brünnhilde ihren alten Walhall-Zylinder. Nun ist sie wieder ganz die Walküre geworden, die sie früher war. Diese Idee seitens des Regisseurs stellt eine gute Symbolik dar. Am Ende senken sich die übrigen Walhall symbolisierenden Zylinder vom Schnürboden herab und gehen dabei in Flammen auf - eine treffliche Darstellung der Götterdämmerung. In eindrucksvoller Weise versinnbildlicht ein blauer Lichtstrahl die am Ende stehende Hoffnung. Die Erlösung ist eingetreten.

Am Pult erbringt Erich Wächter eine grandiose Leistung. Mit sicherer Hand animiert er das trefflich disponierte Orchestra of the Sofia Opera and Ballett zu einem intensiven, differenzierten und nuancenreichen Spiel in gemäßigten Tempi. Mit den langsamen Tempi geht eine ausgezeichnete Transparenz einher. Viele Einzelheiten werden hörbar. Ein Lob gebührt Wächter auch für die phantastischen Spannungsbögen und die von ihm erzeugten markanten Akzente, die sein Dirigat äußerst ansprechend erscheinen lassen. Darüber hinaus lässt er Wagners Werk eine reichhaltige Farbpalette angedeihen - alles Voraussetzungen, um den Klangteppich ungemein vielschichtig und interessant erscheinen zu lassen.

Auch mit den gesanglichen Leistungen kann man fast durch die Bank in hohem Maße zufrieden sein. Um viele der hier aufgebotenen Sänger können die deutschen Theater das Sofiaer Opernhaus nur beneiden. Yordanka Derilova singt mit bestens sitzendem, tiefgründig klingendem und nuanciert eingesetztem hochdramatischem Sopran eine hervorragende Brünnhilde. Eine Meisterleistung erbringt Kostadin Andreev, der mit ebenfalls vorbildlich fokussiertem, enorm ansprechendem heldischem Tenormaterial sowie markantem metallischem Stimmklang dem Siegfried hohe vokale Kraft verleiht. Einen soliden Eindruck hinterlässt Petar Buchkovs elegant und ebenmäßig singender Hagen. Ein profund intonierender, dabei scharf artikulierender Alberich ist Biser Georgiev, der es leider manchmal mit der richtigen Intonation nicht so genau nimmt. Ein wunderbarer italienischer Stimmklang sowie edles, sonores und helles Bariton-Material zeichnet den Gunther von Atanas Mladenov aus. Voll und rund klingt Tsvetana Bandalovskas Gutrune. In Waltrautes Erzählung legt die mit einem üppigen, tiefgründigen Mezzosopran ausgestattete Tsveta Sarambelieva ein hohes Maß an Emotionalität. Als Rheintöchter gefallen die schön im Körper singenden Silvia Teneva (Wellgunde) und Dimitrinka Raycheva (Floßhilde) besser als die relativ dünn und kopfig klingende Milena Gyurova (Woglinde). Frau Raycheva gefällt in der Partie der Zweiten Norn ebenfalls gut. Als Erste Norn hinterlässt Petya Tsoneva einen einwandfreien Eindruck. Flora Tarpomanova gibt die Dritte Norn mehr lyrisch als dramatisch, ist aber passabel. Eine ansprechende Leistung erbringt der von Violeta Dimitrova einstudierte Chorus of the Sofia Opera and Ballett.

Fazit: Eine insgesamt glanzvolle Götterdämmerung, die Freude bereitet und die Anschaffung der DVD sehr lohnt! Kaufen heißt die Devise! Das Geld ist sehr gut angelegt!

Ludwig Steinbach, 15.5.2022

          

 

Bregenz 2021         Best.Nr.: 761208                     2 DVDs

ABregenz 2021   rrigo Boito ist den meisten Opernliebhabern als Librettist von Verdis letzten Opern Otello und Falstaff sowie von Ponchiellis La Cioconda bekannt. Aber er hat auch als Komponist gewirkt. Sein im Jahre 1868 uraufgeführter und 1875 überarbeiteter Mefistofele ist ein Paradebeispiel der italienischen Oper. Wenig bekannt ist, dass Boito fast sein ganzes Künstlerleben noch an einer weiteren großen Oper arbeitete, nämlich dem Nerone, den er allerdings nie vollenden sollte. Boito begann das auf fünf Akte angelegte Werk bereits 1862 und hatte bei seinem Tod im Jahre 1918 drei Akte davon vollendet. Der vierte Akt lag lediglich in Skizzen vor, aus denen Arturo Toscanini, Antonio Smareglia und Vittorio Tommasini eine spielbare Fassung erstellten, die schließlich 1924 an der Mailänder Scala unter der Leitung Toscaninis aus der Taufe gehoben wurde. Im Folgenden erlebte der Nerone an der Scala einige Aufführungen, schaffte aber nie den Sprung auf andere Bühnen, obwohl er beachtliche Qualitäten aufweist. Desto höher ist es den Bregenzer Festspielen anzurechnen, dass sie das Werk im Jahre 2021 endlich in einer Neuinszenierung, die von dem Label C major jetzt dankenswerterweise auch auf DVD herausgebracht wurde, zur Diskussion stellten.

Um es vorwegzunehmen: Diese DVD ist in hohem Grade empfehlenswert, zeugt sie doch nachhaltig von den enormen musikalischen Fähigkeiten Boitos, dessen kompositorisches Können nicht zu verachten ist. Er war Zeit seines Lebens Wagnerianer und trug dafür Sorge, dass die Werke des Bayreuther Meisters auch in Italien Verbreitung fanden. Auch sein Kompositionsstil ist von Wagner geprägt. Das ist schon bei dem öfter das Grals-Motiv aus Lohengrin zitierenden Mefistofele so, wird aber auch bei den eruptiven Ausbrüchen des Nerone deutlich spürbar. Hier haben wir es mit einer wuchtigen, gewaltigen Musik zu tun, die unter die Haut geht. Die Oper ist wie die Wagner’schen Werke als Gesamtkunstwerk konzipiert. Boito hat seinen Nerone sehr tonal angelegt und betont dabei das romantische Element, ohne dabei die Chromatik zu vernachlässigen. Chromatisch wird es insbesondere bei der Schilderung der römischen Gottheiten, während das Christentum durch eher bedächtige Klänge charakterisiert wird. Darüber hinaus wartet der Komponist mit einer reichhaltigen Farbpalette und einer ausgeprägten dynamischen Skala auf, was sein Werk ausgesprochen differenziert und vielfältig erscheinen lässt. Und wenn dann noch ein so hervorragender Dirigent wie Dirk Kaftan am Pult steht, der die klangschön und hoch konzentriert aufspielenden Wiener Symphoniker zu einem ungemein motivierten, expressiven, eindringlichen und an Höhepunkten reichen Spiel animiert, ist das Glück vollkommen.

Zufrieden sein kann man mit der Inszenierung von Olivier Tambosi in dem Bühnenbild von Frank Philipp Schlössmann und den Kostümen von Gesine Völlm. Hier haben wir es mit einer modernen Produktion zu tun, die indes auch einige historisierende Elemente aufweist. Das Regieteam siedelt das dramatische Geschehen in den 1920er Jahren an. Der lediglich spärlich eingerichtete, durchweg dunkel ausgeleuchtete Raum wird von einigen in verschiedenen Farben angestrahlten Lichtsäulen eingenommen, was ihm einen abstrakten Charakter verleiht. Die Möbel sind moderner Natur. Die Kostüme der Beteiligten weisen fast durchweg Blutspuren auf. Man merkt, dass es in diesem Stück um Gewalt und Mord geht. Dazu werden eifrig Hämmer geschwungen. Hier wird ganz schön Klischees gefrönt, die zeitgenössische Historiker längst angezweifelt haben. Auch der Brand von Rom wird in dieser Oper nicht Nerone angelastet. Die ihn liebende Asteria ist es, die die Stadt in Flammen aufgehen lässt. Auf die ihr zugeordneten Schlangen verzichtet der Regisseur. Und statt auf einem Altar räkelt sie sich auf einem Billardtisch.

Nerone ist ein moderner Schreibtischtäter, der sich in die Rolle des römischen Imperators hinein wünscht. Zu Beginn hat er gerade seine MutterAgrippina ermordet, was historisch verbürgt ist. Diese Bluttat macht ihm innerlich ganz schön zu schaffen. Immer stärker leidet er unter schlimmen Gewissensbissen. Häufig erscheint ihm die tote Mutter, deren grünes Kleid er im zweiten Akt anlegt. Dieses vertauscht er später gegen einen eleganten Hermelin-Mantel. In seinem Gefolge erblickt man auch mal einen traditionell gekleideten römischen Soldaten. Die weiblichen Christen, unter ihnen auch Rubria, werden als Nonnen dargestellt. Fanuèl erscheint als Christus mit Dornenkrone. Ein sehr düsterer Charakter ist der Schurke Simon Mago. Die gnostische Philosophie bringt Tambosi ebenfalls mit ins Spiel. Diese wird durch schwarze Flügel, mit denen viele der Handlungsträger ausgestattet sind, versinnbildlicht. Den Gnostikern war der Gegensatz von Hell und Dunkel wichtig. Das wird hier in Gut und Böse übersetzt. Dennoch findet in dieser Inszenierung keine simple Schwarz-Weiß-Malerei statt. Vielmehr wird im Lauf der Aufführung klar, dass in den Brüsten der Beteiligten zwei Seelen wohnen, in ihnen schlummert sowohl Gutes als auch Böses. Beide Seiten bedingen sich bei Tambosi und sind nicht scharf voneinander zu trennen. Das gilt sowohl für Simon Mago als auch für Nerone, der am Ende, an der Seite sitzend, das tragische Ende wie ein Kunstwerk betrachtet. Auch dass Nerone der Kunst sehr zugetan war, ist historisch verbürgt und von der Regie trefflich umgesetzt.

Auch die gesanglichen Leistungen bewegen sich fast durchweg auf hohem Niveau. In der Titelrolle des Nerone glänzt mit sauber durchgebildetem, profundem und sowohl dramatische als auch lyrische Stellen gleichermaßen eindrucksvoll bewältigendem Tenor Rafael Rojas. Einen bestens italienisch geschulten, markanten und substanzreichen dunklen Bariton bringt Lucio Gallo in die Partie des Simon Mago ein. Als Fanuèl gefällt mit ebenmäßiger und ebenfalls bestens fundierter heller Stimme sein Stimmfachkollege Brett Polegato. Svetlana Aksenova ist eine impulsive Asteria, die ihrem Part mit gut gestütztem, feurigem und differenzierungsfähigem Sopran auch vokal voll gerecht wird. Übertroffen wird sie noch von Alessandra Volpe, die mit emotional angehauchtem, warmem und glutvollem Mezzosopran eine ausgezeichnete Rubria singt. Sonores Bass-Material verleiht Miklós Sebestyén dem Tigellino. Solide gibt Katrin Wundsam die Doppelrolle von Cerinto und Pèrside. Flach und überhaupt nicht im Körper gestützt klingen die Tenor-Stimmen von Taylan Reinhard (Gobrias) und Ilya Kutyukhin (Dositéo). Hyunduk Kim (Primo Viandante) und Shira Patchornik (Frauenstimme) runden das Ensemble ordentlich ab. Eine gute Leistung erbringt der Prague Philharmonic Choir.

Ludwig Steinbach, 13.5.2022

 

 

C major 2022                                           Best.Nr.: 759308                        2 DVDs

Live vom Teatro Massimo Palermo kommt ein Mitschnitt von Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal, der einem interessierten Publikum von dem Label C major jetzt auf DVD zugänglich gemacht wurde. Dabei handelt es sich insgesamt um eine durchaus beachtliche Angelegenheit. Regisseur Graham Vick hat in Zusammenarbeit mit Timothy O`Brien (Bühnenbild) und Mauro Tinti (Kostüme) gute Arbeit geleistet. Mit Ausnahme der Tötung des Schwans, die vom Regisseur sehr konventionell auf die Bühne gebracht wird, haben wir es hier mit einer durchaus modern anmutenden Inszenierung zu tun, die von einer intensiven Personenführung geprägt wird. Eine zeitgenössische Produktion auf einer italienischen Bühne: Das ist selten! Diesbezüglich geht ein Lob an das Teatro Massimo.

Ein riesiges Quadrat mit einem Sandboden stellt die Einheitsspielfläche durch alle drei Aufzüge dar. Die Ausstattung ist nicht gerade reichhaltig, was sich indes nicht gerade als Fehler erweist. Zu Beginn erblickt man einen abgestorbenen Baum. Zentrales Requisit ist eine Brecht’ sche Gardine, die von den Handlungsträgern nach Belieben auf- und zugezogen werden kann. Auf ihr finden eindrucksvolle Schattenspiele statt. So sieht man auf diese Weise den Speerraub durch Klingsor sowie die Verführung der Gralsritter durch die anscheinend nackten Blumenmädchen. Die Ritter werden von der Regie als amerikanische GIs mit Helmen und Maschinengewehren vorgeführt. Es ist ein gewalttätiger Haufen, der sich überhaupt nicht um Glaubenssätze zu kümmern scheint, sondern schlimme Handlungen vollführt. Im Namen des Glaubens werden hier gewaltige Verbrechen begangen. Während des Karfreitagszaubers sieht man die Gralsritter als Schatten hinter der Brecht’ schen Gardine Menschen erschießen und sogar eine Schwangere brutal erstechen. Das sind äußerst gewalttätige Bilder, die sich tief in das Gedächtnis eingraben. Andererseits schenkt der Karfreitagszauber einigen toten Grals-Kindern das Leben wieder. Amfortas ist abgesehen von einem purpurnen Königsmantel nur mit einem Lendenschurz bekleidet sowie mit einer Dornenkrone geschmückt. Da werden Assoziationen an Stefan Herheims Bayreuther Deutung des Gralskönigs als pervertierter Christus wachgerufen. Titurel erscheint als in einen eleganten Business-Anzug gekleideter Geschäftsmann. Der Gral ist ein in ein Säckchen gehüllte Tasse, die Amfortas aus dem Boden holt, und die dann durch die Reihen der sich selbst mit Messern verletzenden Gralsritter geht. Es sind schon äußerst autoagressive Verhaltensweisen, die von den Männern hier an den Tag gelegt werden. Der in einem legeren Hemd, Jeans und Cordhosen barfuß durch die Reihen der Ritter irrende Parsifal versteht nichts von alledem und wird demgemäß von Gurnemanz davongejagt.

Im zweiten Aufzug sitzt Klingsor zu Beginn mit dem Rücken zum Publikum auf einem Stuhl. Auf seinem nackten Rücken prangt ein Schlangen-Tattoo. Rechts neben ihm liegt die stark verhüllte Kundry, links steckt der Heilige Speer im Boden. Als Klingsor einmal für längere Zeit die Hosen herunterlässt, gewahrt man einen Blutfleck gerade an der Stelle, an der er Hand an sich gelegt hat. Als Parsifal die Zauberburg stürmt, erscheinen die Schergen Klingsors in Unterhosen. Offenbar haben sie gerade noch mit den Blumenmädchen geschlafen. Auch letztere werden von Vick zunächst in weißer Unterwäsche gezeigt, bevor sie dann bunte Kleider anlegen. In der Verführungsszene ist von Kundry zunächst nur ihr aus dem Boden ragender Kopf zu sehen. Erst nach einer ziemlichen Weile entsteigt sie in einem wallenden Gewand dem Loch. Die nachfolgende Szene zwischen Parsifal und Kundry atmet große Spannung. Sie findet vor einem Bild Maria Magdalenas statt, mit der Kundry hier gleichgesetzt wird. Ein grandioser Regieeinfall ist es, dass der reine Tor just an der Stelle, an der Kundry „und lachte…“ singt, die Haltung des Gekreuzigten einnimmt. Das ist ein ganz starkes Bild. Am Ende des zweiten Aufzuges wirft Klingsor den Heiligen Speer nicht auf Parsifal, sondern reicht ihn an drei seiner Helfer weiter, die ihn dann ebenfalls jeweils an einen anderen weitergeben. Der erste der Männer erstarrt schließlich angesichts Parsifals heiliger Macht und lässt sich von diesem den Speer wiederstandlos abnehmen. In der letzten Szene des dritten Aufzuges wirft der verzweifelte Amfortas seinen toten Vater aus dem Trauerschrein und nimmt selber darin Platz, bevor ihm Parsifal mit dem Speer schließlich Erlösung bringt. Viele Gralsritter sinken tot zu Boden. Die Überlebenden gesellen sich zu den Blumenmädchen, die ebenfalls den Weg zum Gral gefunden haben - eine schöne Idee seitens der Regie. Zum Schluss scharen sich einige Kinder verschiedener Herkunft und unterschiedlichen Glaubens um Parsifal und hoffen, dass er ein guter König wird. Diese Konzeption des Regisseurs war voll überzeugend.

Am Pult schöpft Omer Meir Wellber zusammen mit den Orchestra del Teatro Massimo aus dem Vollen. Es sind wohl nicht zuletzt die von ihm angeschlagen äußerst raschen Tempi, die sein Dirigat so feurig und spannungsgeladen erscheinen lassen. Für den ersten Aufzug benötigt der Dirigent lediglich ungefähr anderthalb Stunden und auch die beiden anderen Aufzüge ist man eigentlich etwas langsamer gewohnt. Toll ist, dass trotz der rasanten Tempi immer noch eine gewisse Transparenz und Durchsichtigkeit der Orchesterstimmen gewahrt wird. Ziemlich rasante Stellen wechseln mit sehr feinfühligen, psychologisch ausgeloteten Stellen ab, was ein sehr abwechslungsreiches Klangbild ergibt.

Insgesamt zufrieden sein kann man auch mit den gesanglichen Leistungen. Julian Hubbard ist mit gut sitzendem, frischem und strahlkräftigem Tenor ein rollendeckender Parsifal. Gut gefällt John Relyea, der mit tiefem, schwarzem und sehr profundem Bass einen hervorragenden Gurnemanz singt. In nichts nach steht ihm der über markantes, bestens fokussiertes Bariton-Material verfügende Tómas Tómasson in der Partie des Amfortas. Mit trefflich fundiertem kernigem, robustem Bariton zeichnet Thomas Gazheli ein recht dämonisches Bild des Klingsor. Mit sonorem Bass macht Alexei Tanovitski aus der kleinen Rolle des Titurel viel. Demgegenüber fällt Catherine Hunold als Kundry ab. Sie singt zwar über weite Strecken recht angenehm, die Höhen des zweiten Aktes sind ihre Sachen indes nicht. Dass sie die exponierte Stelle „Dich weih ich ihm zum Geleit“ mit dem abschließenden hohen ‚h‘ einfach um eine Oktave nach unten transponiert, geht überhaupt nicht. Diese Vorgehensweise stellt schon eine schwere Enttäuschung dar. Von den beiden Gralsrittern gefällt der solide singende Bass Dmitry Grigoriev besser als der nur über sehr dünnes Tenor-Material verfügende Adrian Dwyer. Elisabetta Zizzo (Erster Knappe) und Sofia Koberidze (Zweiter Knappe ) erbringen mit passabel sitzenden Stimmen ordentliche Leistungen, während die überhaupt nicht im Körper singenden Ewandro Stenzowski (Dritter Knappe) und Nathan Haller (Vierter Knappe) nicht zu gefallen vermögen. Die Damen Zizzo und Koberidze befinden sich in dem gefällig singenden Ensemble der Blumenmädchen, dem außerdem noch Alena Sautier, Talia Or, Maria Rodoeva und Stephanie Marschall angehören. Letztere singt auch das Altsolo. Erstklassige Leistungen erbringen der Coro del Teatro (Einstudierung: Ciro Visco) und der Coro di Voci bianche (Einstudierung: Salvatore Punturo). Beide Chöre legen sich mächtig ins Zeug.

Fazit: Eine sehenswerte und mit einigen kleinen Abstrichen insgesamt auch hörenswerte DVD, die die Anschaffung lohnt.

Ludwig Steinbach, 17.4.2022

 

 

C major 2022         Best.Nr.: 760408     1 DVD

Live von der Berliner Staatsoper Unter den Linden kommt ein DVD-Mitschnitt von Janaceks Oper Jenufa. Der Corona-Pandemie ist es geschuldet, dass die Premiere von 2021 ohne Publikum stattfand. Infolgedessen konnte der Chor geschickt unter Wahrung der Abstandsregeln im gesamten Zuschauerraum verteilt werden, was klangmäßig optimal ist. Der von Martin Wright bestens einstudierte Staatsopernchor zeigt sich hier voll in seinem Element und singt mit großer Verve. Auch die Mischung von Stimmen und Orchester ist exzellent. Am Pult holt Simon Rattle alles aus der bestens disponierten Staatskapelle Berlin heraus. Er dirigiert spanungsgeladen und vorwärts drängend, dabei recht transparent und mit einem Anklang an die Klangsprache Debussys. Insgesamt gelingt ihm eine recht ausgewogene, differenzierte und nuancenreiche Ausdeutung von Janaceks Partitur.

Die Inszenierung von Damiano Michieletto in dem Bühnenbild von Paolo Fantin und den Kostümen von Carla Teti erteilt jeder Art von Konventionalität und bäuerlich-dörflicher Folklore eine strikte Absage und siedelt das Werk gekonnt in der Zeit um 1950 an. Das Bühnenbild weist einen schlichten abstrakten Charakter auf. Helle, in gleißendes Licht gehüllte Wände verbreiten eisige Kälte. Das gilt auch für den Eisblock, den Steva im ersten Akt im Vollgefühl seines Glücks, nicht eingezogen zu werden, umarmt und anschließend mit einem Messer zerkratzt. Im dritten Akt senkt sich ein mit der Spitze nach unten zeigender Eisfelsen vom Schnürboden herab, genauso bedrohend wie das sich im Boden auftuende Loch, aus dem das tote Baby geborgen wird. Diese Gesellschaft ist kalt und gefühllos und entzieht sich dem reinigenden, aus dem schmelzenden Eisfelsen herabfallenden Regen. Dieser trifft nur die Küsterin, die ihren Mord an Jenufas Kind bereut und infolgedessen auch die Verzeihung ihrer Ziehtochter findet. Insgesamt werden diese Inhalte vom Regisseur trefflich mittels einer stringenten Personenregie ausgelotet, wobei kein Zweifel aufkommt, dass Sigmund Freud hier eine wesentliche Rolle spielt. Das Psychologische wird in dieser Produktion ganz groß geschrieben. Da braucht es keiner überbordenden Ausstattung. Einige Bänke, ein der Küsterin zugeordneter Hausaltar, eine Babywiege sowie eine rote Decke, die Jenufa im ersten Akt für ihr ungeborenes Kind strickt, sind die zentralen Requisiten, die Michieletto benötigt, um eine ungemein spannende, tiefgründige Geschichte zu erzählen, die einen starken Eindruck hinterlässt.

Auch gesanglich bewegt sich die DVD auf hervorragendem Niveau. Camilla Nylund erweist sich mit silbern schimmerndem, bestens fokussiertem, wandlungsfähigem und emotional angehauchtem Sopran als Idealbesetzung für die Jenufa. Darstellerisch ungemein intensiv gibt Evelyn Herlitzius die Küsterin, die sie mit zwar etwas hartem, aber sehr eindringlichem Sopran auch ansprechend singt. Einen voll und rund klingenden, sowohl über imposante dramatische wie auch feinfühlige lyrische Elemente verfügenden Heldentenor bringt Stuart Skelton in die Partie des Laca ein. Ebenfalls stimmlich recht gefällig gibt Ladislav Elgr den Steva. Immer noch beträchtliche Mezzo-Reserven weist die alte Buryjovka von Hanna Schwarz auf. Über gut fundierte Bass-Stimmen gebieten Jan Martinek (Altgesell) und David Ostrek (Dorfrichter). Als Frau des Dorfrichters gefällt die tiefgründig singende Natalia Skrycka. Einen frisch, ausgelassen und fundiert singenden Jano gibt Victoria Randem. Als Karolka hinterlässt Evelin Novak in jeder Beziehung einen soliden Eindruck. Ordentlich sind die kleinen Nebenrollen.

Fazit: Ein DVD, deren Anschaffung sehr lohnt!

Ludwig Steinbach, 16.4.2022

 

Benjamin Bernheim: Boulevard des Italiens

Italiener auf Französisch

Schon einmal quer durch das Repertoire für lyrische Tenöre hatte sich der Franzose Benjamin Bernheim bereits mit seiner Debüt-CD mit Lenski, Edgardo, Alfredo, Duca, Romeo und Rodolfo gesungen, so dass für seine zweite CD nun auf Selteneres zurückgegriffen werden musste. Mit der Hilfe des renommierten Palazzetto Bru Zane in Venedig stellte er eine Liste von bisher kaum oder weniger bekannten Arien aus Opern zusammen, die entweder von Italienern für Paris und in französischer Sprache komponiert wurden oder die zwar in italienischer Sprache entstanden, aber deren Libretti nachträglich ins Französische übersetzt wurden. Als würde ein junger, aufstrebender deutscher Tenor ein „Leb wohl, mein Blütenreich“ oder „Wie sich die Bilder gleichen“ singen, lässt Bernheim Pinkerton sich mit „Adieu, séjour fleuri“ und Cavaradossi sich mit „Ó de beautés égales“ vernehmen, und es klingt auf Französisch weitaus besser als auf Deutsch, straffer, aber weniger farbig als im Italienischen, eine strahlende Höhe kann ausgekostet werden, ein „Addio“ allerdings ist wesentlich melodramatischer als ein „Adieu“. Cavaradossi bleibt sich treu, denn auf einem „Tosca, c‘ est toi“ kann man sich genauso gut ausruhen und mit der Stimme prunken wie auf einem „Tosca, sei tu!“.

Einige seiner schönsten Opern hat Giuseppe Verdi für Paris in der Form der Grand Opéra komponiert, und so sind natürlich der französische Don Carlos und die ebensolchen Les Vépres siciliennes vertreten, von denen die Letztere in den vergangenen Jahren immer mehr die italienische Fassung auf den Bühnen verdrängte. Für den französischen Carlos spricht weniger das in Paris unvermeidliche Ballett als die Tatsache, dass im ersten Akt die Motive zum ersten Mal erklingen, die später als Erinnerungsmotive wieder auftauchen, außerdem gibt es ein wundervolles Duett nach Posas Tod, das Verdi später im Requiem für das Lacrimosa verwendete. Rezitativ und Arie aus dem ersten Akt haben in Bernheim einen sehr poetischen Gestalter, dessen Stimme hörbar das feine Spiel mit der begleitenden Klarinette genießt und mit einem stupenden Falsettone aufwarten kann. Im Freundschaftsduett nun aus dem zweiten Akt hört man weniger Heroisches, eher Verhaltenes als in der italienischen Fassung, martialisch ist nur das Orchester der Bologneser Oper unter Frédéric Chaslin. Achtbar, wenn auch leicht dumpf klingend, schlägt sich der Bariton Florian Sempey. Nicht dauerhaft ersetzt wurde die Arie des Henri (Arrigo) aus den Vépres „O jour de pein“, so dass die auf der CD vertretene Arie „Ó toi que f’ai chérie“ durchaus Seltenheitswert hat. Ursprünglich auf Italienisch gab es die in Französisch als „Jérusalem“ bekannte Oper, in der Gaston, bekannter ist der italienische Oronte, ein ausdrucksstarkes Rezitativ und die bekannte und beliebte Arie besonders poetisch am Schluss singt. 

Auch Donizetti ist mit für die Pariser Oper komponierten Werken vertreten, mit La fille du régiment und La favorite, die 1840 im Abstand von nur wenigen Monaten entstanden. Für die Arie des Fernand hat Bernheim eine präsente Mittellage, lässt die Musik duftig und fein klingen, erweckt allerdings, und das nicht nur hier, den Eindruck, es gehe ihm vor allem um die stupenden Spitzentöne, auf die hingearbeitet und denen alles andere untergeordnet wird. Da ist es schon beinahe verwunderlich, dass nicht Tonios Bravourarie, sondern sein „Pour me rapprocher de Marie“ gewählt wurde, die allerdings ein nicht weniger zu bewunderndes Decrescendo hören lässt. Auch in der Arie des Dom Sébastian kann der französische Tenor beweisen, dass ihm momentan Donizetti besonders liegt, für den er ein sehr poetisch wirkendes Falsettone einsetzen und einmal mehr mit hervorragender Höhensicherheit punkten kann.

Damit wären wir bei den weniger bekannten Opern, zu denen gegenwärtig auch Spontinis, des langjährigen Generals der Lindenoper, La Vestale gehört, oder Cherubinis Ali -Baba, in dem es wie bei den Perlenfischern einen Nadir gibt, den Bernheim mit viel vokaler Empfindsamkeit ausstattet. Aus der Reihe scheint mit der Verismo-Oper Mascagnis Amica zu tanzen, nicht aber die Arie des Giorgio, die eher französisch als veristisch klingt, auch wenn der besondere Nachdruck, der dem Singen verliehen wird, unüberhörbar ist.

Mit seiner neuen CD manifestiert sich Benjamin Bernheim nicht nur als eine der schönsten Tenorstimmen der letzten Jahre, sondern auch als mutiger Entdecker, der nicht nur auf ausgetretenen Pfaden wandelt, sondern sich in das schier unübersichtbare Dickicht vergessener und wieder zu entdeckender Opern wagt.     

Lobenswert ist, dass ein solches Unternehmen von einem informationsreichen Booklet begleitet wird.

(Deutsche Grammophon, 4861964)

Ingrid Wanja

 

 

 

NAXOS 2022            Best.Nr.: 2.110725           1 DVD

Bei dem Label NAXOS ist vor kurzem Axel Brüggemanns Film Wagner - Bayreuth und der Rest der Welt erschienen. In beeindruckender Weise wird hier aufgezeigt, wie sich der Wagner-Hype in immer stärkerer Weise entwickeln konnte. Nachhaltig wird die Frage gestellt, wie man Wagnerianer wird und wie weit die Begeisterung für diesen Komponisten geht. Man merkt, die Wagner-Anhänger sind ihrem Meister in starkem Glauben bis hin zu einer Art von Religiosität hin verbunden. Wie immer man zu Wagner steht: Man kann ihn mögen oder nicht, gleichgültig lässt er keinen. Der Film zeigt das Phänomen Wagner, der umstritten ist, gehasst und geliebt wird wie kein anderer Komponist (s. Booklet).

Brüggemann lässt seinen Film zu Tristan-Klängen in Venedig beginnen, wo Katharina Wagner das Arbeits- und Sterbezimmer ihres Ur-Großvaters im Palazzo Vendramin besucht. Auch im Folgenden erlaubt Brüggemann der Ur-Enkelin Wagners Aufritte in seinem Film. Dieser geht von Bayreuth aus, führt von dort in die weite Welt und kehrt immer wieder an den Festspielort zurück. Auf dieser Reise kommen Wagner-Fans an den verschiedensten Orten zu Wort. Das beginnt schon in Bayreuth, wo Brüggemann mit seiner Kamera gekonnt den Probenalltag mit den verschiedensten Künstlern und berühmten Regisseuren einfängt. Sänger, Inszenatoren und Dirigenten lässt er zu Worte kommen. Interessant muten insbesondere die Ausführungen von Christian Thielemann an, der wie kein anderer Dirigent mit den Geheimnissen der berühmten Bayreuther Akustik vertraut ist. Aber auch Ausführungen weniger bekannter Leute hört man gerne zu. Immer wieder kündet z. B. ein altes Bayreuther Metzger-Ehepaar von seiner Liebe zu Wagners Musik und lässt dabei nicht unerwähnt, dass Wolfgang Wagner in ihrer Metzgerei oft eingekauft habe.

Aber nicht nur in Bayreuth wird ein enormer Wagner-Kult gepflegt. Auch in anderen Orten liebt man Wagner und es werden immer mehr Wagner-Verbände gegründet. In Venedig führt Alessandra Althoff-Pugliese durch die Räume des Wagner-Museums im Palazzo Vendramin und organisiert Treffen der Wagnerianer.  Interessant sind auch die Ausführungen des Baritons Kevin Maynor, der in der Baptistengemeinde von Newark (New Jersey) zum ersten Male mit farbigen Menschen und für diese eine Aufführung von Wagners Ring des Nibelungen auf die Beine stellte. Geschickt zeigt er Berührungspunkte zwischen Wagners herrlicher Musik und dem Rassismus auf. In Riga erlebt man die Bemühungen des dortigen Wagner-Vereins zur Erhaltung des Wagner-Hauses, in dem der Komponist während seines Rigaer Engagements zwei Jahre lang lebte. Dazu wird, den Pilgerchor aus Tannhäuser auf den Lippen, lautstark singend durch die Stadt gezogen. Ebenfalls erwähnenswert sind die Anstrengungen von Wagners Fan-Gemeinde in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emiraten, Wagner-Aufführungen auf die Beine zu stellen. In Tokio gibt es sogar ein Wagner-Konzert für Kinder. In Japans größter Bank kommt ein von vier Stunden auf eine Stunde gekürzter Parsifal auf die Bühne. Katharina Wagner hat den Proben mittels Videokonferenz teilgenommen und das Projekt in jeder nur erdenklichen Weise unterstützt.

Auch um Wagners fragwürdiges Verhältnis zum Judentum macht Brüggemanns gelungener Film keinen Bogen. Zwar werden durchaus auch sehr kritische Worte zum Antisemitismus Wagners laut, andererseits wird hier aber seitens eines jüdischen Wagner-Verehrers auch klargestellt, dass der Komponist weder für den Holocaust noch für Hitlers Untaten verantwortlich war. Und Jonathan Livny ist gegen viele Widerstände ein ganz starker Befürworter von offiziellen Wagner-Aufführungen in seinem Heimatland Israel. Gerade dort ist der Widerstand gegen Wagner indes besonders ausgeprägt. Ansonsten gibt es aber nicht wenige Juden, die mit Wagners Musik etwas anzufangen wissen, wie beispielsweise Regisseur Barrie Kosky, der in Bayreuth vor einigen Jahren hervorragende Meistersinger inszeniert hat.

Neben diesen Impressionen zeigt der Film auch das ganz normale Leben in Bayreuth. So wartet der Regisseur mit Betrachtungen über Katharina Wagners Liebe zu Hunden auf. Ihr alljährliches Mitarbeiterfest wird gezeigt sowie das erlesene Gästebuch des berühmten Bayreuther Hotels Goldener Anker, in dem sich viele Berühmtheiten verewigt haben - leider auch einige Nazis.

Fazit: Insgesamt haben wir es hier mit einem sehr sehenswerten Film zu tun, der die Anschaffung sicher lohnt.

Ludwig Steinbach, 25.3.2022

 

 

 

Opus Arte 2022         Best.Nr.: OACD9050D            2 CDs

Sie war einer der Höhepunkte der Saison 2010/11 an der Finnisch National Opera: Kaspar Holtens Neuproduktion von Korngolds phänomenaler Oper Die tote Stadt. Nun, nach 12 Jahren, ist ein Audio-Mitschnitt dieser Aufführung von dem Label Opus Arte einem interessierten Publikum auf CD zugänglich gemacht worden. Es ist immer wieder bemerkenswert, was für eine phantastische Musik dem blutjungen Korngold gelungen ist. Den enormen orchestralen Klangwogen dieses Meisterwerkes kann man sich genauso wenig entziehen wie den lyrischen Stellen wie Glück, das mir verblieb oder Mein Sehnen, mein Wähnen.

Der schwelgerisch-imposante, in hohem Maße mitreißende Duktus wird von Dirigent Mikko Franck und dem bestens aufgelegten Orchester der Finnischen Nationaloper aufs Beste herausgearbeitet. Da lodert und funkelt es im Orchester, dass es eine echte Freude ist zuzuhören. Die ungemein dramatischen Stellen werden mit enormer klanglicher Raffinesse vor den Ohren des Zuhörers ausgebreitet, ebenso die herrlichen lyrischen Stellen. Der Dirigent wartet mit einer reichhaltigen Palette spezifischer Coleurs sowie mit einer breitgefächerten dynamischen Skala auf. Insgesamt haben wir es hier mit einem sehr differenzierten und nuancenreichen Klangteppich zu tun, der bei aller zur Schau gestellten Fulminanz insgesamt recht sängerfreundlich ist. Die Vokalsolisten werden an keiner Stelle zugedeckt.

Dass die Aufnahme in gesanglicher Hinsicht Wünsche offenlässt, liegt in erster Linie an Klaus Florian Vogt, der als Paul in keinster Weise zu überzeugen vermag. Hier haben wir es mit einer ungemein dünnen und überhaupt nicht solide im Körper verankerten Stimme zu tun, der für diese Rolle, die enormes dramatisches Potential erfordert, total das Stamina fehlt. Und Dramatik geht Vogts weißer und letztlich ausdrucksloser Stimme gänzlich ab. Nein, ein Heldentenor ist Vogt wirklich nicht. Damit entwertet er etwas eine Einspielung, die insbesondere in den sonstigen Hauptpartien nicht schlecht besetzt ist. Das gilt insbesondere für Camilla Nylund, die in der Doppelrolle von Marietta und Marie mit vorbildlich gestütztem, in jeder Lage gut ansprechendem, ebenmäßig geführtem Sopran für sich einzunehmen weiß. Sowohl die ausufernden dramatischen als auch die lyrisch-liedhaften Passagen werden von ihrem eindrucksvollen Sopran bestens bewältigt. In nichts nach steht ihr Markus Eiche, der mit prachtvollem, hervorragend italienisch fokussiertem und enorme lyrische Eleganz aufweisendem Bariton einen markanten Frank singt und auch mit dem Lied des Pierrot Fritz nachhaltig begeistert. Eine tiefgründig und sehr emotional singende Brigitta ist Sari Nordqvist. Im Ensemble der aus Kaisa Ranta (Juliette), Melis Jaatinen (Lucienne), Per-Hakan Precht (Victorin), Juha Rihimäki (Graf Albert) und Antti Nieminen (Gaston) vernimmt man lediglich mittelmäßige, nicht allzu trefflich fundierte und eher flache Stimmen. Gefällig singen der Chor und Kinderchor der Finnischen Nationaloper.

Ludwig Steinbach, 20.3.2022

 

 

 

Nicht der Dreitagebart oder der todtraurige Blick Francesco Melis auf dem Cover seiner Recital-CD irritieren den Betrachter, denn Verdis Helden haben durch die Bank nichts zu lachen, eher schon der Titel Prima Verdi. Ein chronologisch gedachtes „an erster Stelle“ kann damit nicht gemeint sein, denn der italienische Tenor hat seine bisher beispielhaft verlaufene Kariere brav mit Rossini und Donizetti begonnen, die Stimme reifen lassen und sich inzwischen ein neues Repertoire mit Verdi-Partien erarbeitet. Prima Verdi soll wohl heißen, dass dieser inzwischen den ersten Rang einnimmt im Repertoire des Tenors, mittlerweile, wie die gerade gefeierte Premiere von Aida in Dresden unter Christian Thielemann beweist, im Mittelpunkt seines Wirkens steht.

Die Herren aus den Opern der Galeerenjahre und danach bis hin zum Otello sind auf der CD zu finden, beginnend mit dem Oronte aus den Lombardi, auch bei lyrischen Tenören beliebt und von Francesco Meli mit fein konturiertem Tenor, reichem chiaro scuro, agogikreich und lyrisch empfindsam gesungen und mit einem strahlenden Spitzenton gekrönt. Eine sehr farbige mezza voce und eine klare Diktion weiß der Sänger auch für die Arie des Jacopo Foscari einzusetzen, klar erscheinen Wahnvorstellung und Realität voneinander getrennt und die vokale Fassung geht nie verloren, selbst nicht auf „gigantesche forme“. Eine schöne Melancholie im Timbre, eine fein gedeckte Höhe machen auch diese Arie zum Hörgenuss. Mit generöser Phrasierung wird das Rezitativ zu Macduffs Klage angegangen, ein perfektes Legato fasziniert ebenso wie das Zurücknehmen der Stimme auf „fugiasco, occulto respir“. Es geht weiter mit La battaglia di Legnano, wo ein perfektes Piano auf „Divina cagion de’miei sospri“ erfreut, die Registerverblendung nichts zu wünschen übrig und die Stimme sich ohne Bruch in die Höhe schrauben lässt.

Sehr viel macht Meli aus dem Rezitativ zu Rodolfos großer Arie aus „Luisa Miller“. Ganz zart klingt „l’affano“, düster verschattet „inganno“. In der Arie fasziniert die kluge Steigerung des Enthusiasmus, ehe auf „ah! mi tradia“ der Umschwung ins Tragische gelingt. Manrico weiß mit weitgespannten Bögen in „Ah! si, ben mio“ zu überzeugen, verzichtet auf die Stretta und damit der Sänger auf eventuell billige Effekte.

Es wird zunehmend dramatischer, und mit Gabriele Adornos Arie lassen sich zum ersten Mal leicht angestrengte Töne auf „O inferno“ vernehmen, wird die Stimme etwas flacher, scheint eine Dimension zu verlieren, und die Fermate auf „Pietà“ klingt recht gequält. Wunderschön wird es wieder mit „pietoso cielo“, das ist wieder, wie man heutzutage sagt, „seins“.

Als seine Liebligsrolle hat Francesco Meli einmal den Riccardo bezeichnet, der mit seiner Schlussarie vertreten ist und mit perfektem canto elegiaco prunken kann. Vor Alvaro hat erst einmal eine wunderschöne Klarinette das Wort, ehe der Unglückliche ein Rezitativ, in dem jede Silbe schön ausgeformt wird, zum Besten gibt, seine Arie, im Piano beginnend, klug aufbaut und sich agogikreich steigert. Nun wird es heikel, denn es ist fraglich, ob Meli Celeste Aida in der Arena oder auch anderswo so singen dürfte wie auf dieser Aufnahme. Wahrscheinlich würde ihm als Unvermögen ausgelegt, was eigentlich feinste Gesangskultur ist, viel dolcezza fern allen Schmetterns, ein schwebendes „vicino al sol“, allerdings kein Morendo, aber ein schönes Piano. Den Radames, wie er vom Publikum erwartet wird, sollte der Tenor noch nicht allzu oft singen, auf keinen Fall aber den Otello, der mit „Dio! Mit potevi“ vertreten ist- aber eine Arie macht noch keinen Otello, und so kann man sein abschließendes „Oh,gioia!“ nicht teilen. Keinen erfahreneren Begleiter als Marco Armiliato und das Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino konnte sich der Tenor wünschen, das noch nicht einmal darauf bestanden hatte, mit einer Sinfonia zu glänzen, wie sonst bei ähnlichen CDs üblich. 

Warner Classics 5054197115455

Ingrid Wanja 8.3.22         

 

Profil Hänssler         Best.Nr.: PH21055               2 CDS

Sie war eine der eindrucksvollsten Vertreterinnen von Wieland Wagners Neu-Bayreuth und darüber hinaus eine der bedeutendsten Sängerinnen des vergangenen Jahrhunderts: Martha Mödl. Heuer jährt sich der Geburtstag der unvergesslichen Sängerdarstellerin zum 110. Mal - Grund genug für das Label Profil Hänssler, die vorliegende CD mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen des dritten Siegfried-Aktes (2. Zyklus) und des zweiten Parsifal-Aktes von den Bayreuther Festspielen 1955 herauszubringen. Das ist eine interessante Angelegenheit.

Martha Mödl ist in diesen Aufnahmen als Brünnhilde und Kundry zu erleben. Hört man sich ihre Stimme an, so wird bei beiden Partien schnell ein nicht unerheblicher Mangel offenkundig: In der Höhe sitzt die Stimme nicht, wie es eigentlich sein sollte, im Körper, sondern wirkt ziemlich dünn und kopfig. Was sie bei den Spitzentönen nicht hat, gleicht sie indes mit einer überaus prachtvollen, warmen, emotionalen, üppigen und tiefgründigen Mittellage sowie einer imposanten Tiefe aus. Diese beiden Aspekte kommen insbesondere bei ihrer Kundry voll zur Geltung, werden aber auch bei der Brünnhilde spürbar, deren Tessitura um einiges höher liegt, von Frau Mödl aber dennoch auf ihre Art trefflich gemeistert wird.

Im Siegfried steht ihr in der Titelpartie Wolfgang Windgassen zur Seite, der indes überhaupt nicht zu überzeugen vermag. Hier haben wir es mit einer nicht gefälligen, äußerst dünnen und überhaupt nicht solide im Körper verankerten Stimme zu tun. Von einem Heldentenor kann hier gar keine Rede sein! Obendrein gefällt er sich im ständigen Ausruhen auf den Konsonanten und Klingern, was zwar eine erhöhte Textverständlichkeit nach sich zieht, vom gesanglichen Standpunkt aus aber in keinster Weise akzeptabel ist. Dieser mäßige Sänger, der zudem von der Intonation her hier nicht immer richtig liegt und auch mal einen Hänger hat, erweist sich schon als arge Hypothek für diese Aufnahme. Da ist ihm der profund und stimmstark singende Hans Hotter in der Rolle des Wanderers um einiges überlegen. Phantastisch schneidet die volltönend, kräftig und ausdrucksstark singende Maria von Ilosvay in der Partie der Erda ab. Am Pult erzeugt Joseph Keilberth zusammen mit dem gut disponierten Orchester der Bayreuther Festspiele einen ebenmäßigen, weichen und getragenen Klangteppich, der sich zudem durch mannigfaltige Akzente, feine Differenzierungen und eine breite Farbpalette auszeichnet

Im Parsifal ist es neben der Mödl in erster Linie Ramon Vináy, der in der Rolle des reinen Toren nachhaltig zu begeistern vermag. Hier handelt es sich um einen ausgesprochen saft- und kraftvollen, bestens italienisch geschulten und baritonal timbrierten Heldentenor, der ganz in seiner Partie aufgeht. Seine imposante Darbietungsweise ist eine einzigartige, großangelegte vokale Entäußerung von größter Intensität, die voll und ganz unter die Haut geht. Bravo! In nichts nach steht ihm als Klingsor der mit ebenfalls bestens italienisch fundiertem Bass-Bariton voll und rund, dabei mit einem Höchstmaß an Eleganz und Ausdrucksstärke singende Gustav Neidlinger. Auf unterschiedlichem Niveau präsentieren sich die Blumenmädchen von Ilse Hollweg, Friedl Pöltinger, Paula Lenchner, Dorothea Siebert, Jutta Vulpius und Elisabeth Schärtel. Eine Meisterleistung erbringt am Pult Hans Knappertsbusch, dessen atemberaubendes Dirigat hohe majestätische Erhabenheit und enorme Spannung atmet. Die von ihm angeschlagenen breiten Tempi leisten einer vortrefflichen Transparenz Vorschub. Man hört zahlreiche Einzelheiten und viele Details. Dieser absolut geniale Dirigent hat den ganz großen Atem für Wagner, dessen Klangpracht er bestens vor den Ohren des begeisterten Zuhörers ausbreitet. Nie hat man den Parsifal besser dirigiert gehört!

Ludwig Steinbach, 31.1.2022

 

 

 

Szymon Chojnacki, Bassbariton; Şen Acar, Sopran; Jakub Tchorzewski, Klavier

Den meisten Musikfreunden dürfte Ignacy Friedman (1882-1948) als Pianist ein Begriff sein. Seine Interpretationen der Kompositionen seines Landsmanns Chopin sind legendär; für den Musikverlag Breitkopf & Härtel editierte er u.a. auch eine Gesamtausgabe der Klavierwerke Chopins. Weitgehend unbekannt geblieben ist hingegen der Komponist Friedmann. Er verfasste weit über 100 Kompositionen, die jedoch bis heute nicht einmal ein Nischendasein im Konzertleben gefunden haben. Wie sehr das zu bedauern ist, zeigt nun die Weltpremiere der Einspielung aller 37 Lieder aus der Feder von Ignacy Friedmann durch das Label ACTE PRÉALABLE mit dem polnischen Bassbariton Szymon Chojnacki und der türkischen Sopranistin Şen Acar, die mit grosser Sensibilität vom ponischen Pianisten Jakub Tchorzewski begleitet werden. Die Lieder werden mit chronologischer Opuszahl auf der CD präsentiert, am Ende stehen vier Poems (1905 komponiert) und drei Lieder (1910 komponiert) ohne Opuszahl. Das ist überaus interessant, weil man so die kompositorische Entwicklung und Reifung des Komponisten nachverfolgen kann, von schlicht gehaltenen, mit eingängigen Melodien einnehmenden Frühwerken bis zu harmonisch und melodisch komplexeren Liedern mit höherer Opuszahl. Die Texte stammen vorwiegend von polnischen Autoren wie Kazimirez Przewa-Tretmajer, Maria Konopnicka, Lucja Rydel, Jerzy Zulawski u.a.m, es befinden sich aber auch drei deutsche Lieder darunter von Otto Julius Bierbaum, ein Lied von Sappho und eine dänische Volksweise. Friedman war (wie Chopin) im Herzen ein Pole, aber als Mensch ein Weltbürger. Er lebte in Krakau, Leipzig, Wien, Berlin und Kopenhagen und liess sich nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs in Sydney nieder, wo er auch starb.

Szymon Chojnacki interpretiert diese Lieder, die thematisch oft in allegorischer Weise um Liebe, Verlust, Einsamkeit und Vergänglichkeit kreisen, mit seinem wunderschön timbrierten Bassbariton mit berührender Ehrlichkeit des Ausdrucks. Seine grundsätzlich weich und rund strömende Stimme vermag in gewissenen emotional geladenen Momenten durchaus dramatische Kraft zu entwickeln. Solche Momente bauen sich organisch und ganz aus dem Text heraus auf, bleiben dabei stets geschmackvoll und wirken nie affektiert aufgesetzt. Er vermag dem Klang melancholische und elegische Schwingungen zu verleihen, der Trauer, dem Schmerz und der Verzweiflung Ausdruck zu geben, auch mal Wut und Enttäuschung aufkeimen zu lassen. Man hat das Gefühl, dass man auch ohne Kenntnis der polnischen Sprache die ausgedrückten Empfindungen versteht (im Booklet kann man selbstverständlich die englische Übersetzung der Gedichte mitlesen). Chojnacki überzeugt mit flexibler, unaufgeregter Stimmführung, exzellenter Phrasierung und Profundität in Empfindung und Klang. Ganz besonderen Eindruck machten auf mich Pinetree (dank der schlichten Schönheit der Melodie), Watch my song flying (hat Ohrwurmpotential), Arie des Schäfers (voller Expressivität), Three boats (hoch interessanter Klavierpart), Marauder's March (Credo eines Blutvergiessers), Disenchantment (von Trauer umflort), Over dew (bewegende Erkenntinis des Besitzlosen).

Sechs Lieder werden von der Sopranistin Şen Acar interpretiert. Die Sängerin verleiht ihnen mit ihrem lichten, sauber intonierenden Sopran zauberhafte Mädchenhaftigkeit (in Das Mädchen am Teiche), tiefe Verzweiflung über eine Zwangsehe (Matched young) und berührt mit den unvergossenen Tränen, die sie innerlich verbrennen (in Hania). Şen Acar überzeugt mit den lyrischen Qualitäten ihrer schönen Stimme in den drei Liedern op.25, die Botschaften der Natur aufs Mensch sein übertragen.

Trotz aller Nähe des Komponisten zu Chopin weist der Klavierpart doch eine ganz eigene musikalische Sprache aus, der man erst bei mehrmaligem Anhören auf die Spur kommt. Es ist keine oberflächliche Virtuosität auszumachen, eine textbezogene Erzeugung von Stimmungen hingegen ausgesprochen. Jakub Tchorzewski interpretiert diese Stimmungen mit grandioser Einfühlungskraft, perlendem Anschlag, mal butterweich, mal kräftig angeschlagenen Akkorden und gekonntem Einsatz des Pedals, mit dem er die atmosphärische Dichte dieser Miniaturen untermalt.

Diese Einspielung aller Lieder von Ignacy Friedman ist eine grossartige Entdeckung und verdient allerhöchste Anerkennung. Ein Schatz ist aus dem Dunkel des Vergessens gehoben worden!

CD erschienen bei Acte Préalable, AP0523, www.acteprealable.com

Kaspar Sannemann, 14.1.2022

 

 

Der bis zu seinem Tode bekennende Kommunist und DDR-Verteidiger Peter Hacks (1928-2003) hatte, nachdem er 1955 mit Brechts Unterstützung von München nach Ost-Berlin übergesiedelt war, die Kulturfunktionäre der DDR überschätzt, als er 1962 mit seinem Stück „Die Sorgen und die Macht“ rechten Ärger bekam. Deshalb wählte er 1964 für seine Wortmeldung zur schrägen Menschen-Macht-Dialektik „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ die Form einer märchenhaften Parabel.

Der im Oktober in Dresden-Loschwitz verstorbene Komponist Udo Zimmermann(1943-2021) schuf mit dem damaligen Dramaturgen der Dresdner Staatsoper Eberhard Schmidt ein Libretto, das Zimmermann zu einem der erfolgreichsten Musiktheaterwerke des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts vertonte. Die Oper wurde 1976 mit der Regie Harry Kupfers im „Großen Haus“ in Dresden uraufgeführt:

Statt eines zehnten Kindes bringt die Frau eines armen Schneiders ein Ei zur Welt, aus dem sieben Monate später ein „Schuhu“, ein Geschöpf „halb Mensch-halb Vogel“, liebenswert, hochintelligent und mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattet, entschlüpft. Die Familie und die Stadt verkraften das Anderssein des Schuhu nicht, so dass er in die Welt zieht. Das Großherzogtum Coburg-Gotha, das Königreich Tripolis, Mesopotamien, das Meer und ein Berg sind Stationen seiner Wanderung. Eine turbulente Liebe zur „fliegenden Prinzessin“ mischt das Geschehen auf.

Das Fremd- und Ausgegrenztsein eines freien Geistes, Unverständnis für menschliche Andersartigkeit, Duckmäusertum mit in den Köpfen festgefahrenen Grenzen und Unverständnis für freie Liebe reiben sich 2021 noch genauso, wie in den 1970er-Jahren an den gesellschaftlichen Zuständen. Die Borniertheit zweier zerstrittenen Brüder opfern ihrer Auseinandersetzung, beklemmend heutig, ganze Landstriche. Aber auch die unbedingte Glücksuche des Schuhus mit der Prinzessin hätte in unserer Zeit geringe Chancen.

Mit seiner Musik schuf Zimmermann ein Kompendium dessen, was die Avantgarde der Zeit um 1975 hervorgebracht hatte. Eine Fülle moderner Musizierweise schüttete der Komponist über seinem Publikum aus. Neben ungewöhnlichen vokalen Techniken bot er Aktionen des instrumentalen Theaters. Genau kalkulierte, technisch perfekte Klänge bewirkten, dass die Handlung klar und einfach erzählt wird. Es gibt keine Klangverfremdung, kein Verlassen der Belkanto-Struktur, dass sich nicht sinnvoll in die dramatischen Zusammenhänge fügen lässt.

Die hochkreative Oper Chemnitz hatte für den Juni 2021 eine szenische Aufführung der gekürzten „Salzburger-Fassung“ mit der Regie des 1972 in Locarno geborenen Cellisten und Bühnenregisseurs Lorenzo Fiorini im Opernhaus geplant. Pandemiebedingt wird diese Inszenierung aber erst in der Spielzeit 2024/25 zur Aufführung kommen können.

Die Oper Chemnitz mit der Robert-Schumann-Philharmonie spielte im Mai 2021 die bisherige Inszenierungs-Arbeit in einer Kooperation mit dem Label „Rondeau Production“ sowie dem Deutschlandfunk Kultur in der Stadthalle ein und veröffentlichte im November 2021 die Aufnahme als Doppel-CD.

Die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie unter Leitung von Diego Martin- Etxebarria meisterten die Herausforderungen der ungewöhnlichen Partitur auf das Erstaunlichste. Was durchaus wie elektronische Musik klingt, sind mit den üblichen Orchesterinstrumenten aufgenommene Klänge, die mit elektronischen Mitteln transformiert werden. Martin-Etxebarria, 1979 in Bilbao geboren, ist seit 2020 Erster Kapellmeister der Theater Chemnitz.

Die Partie des Vogelmenschen Schuhu wurde von Andreas Beinhauer klangstark und stimmtechnisch makellos, von tiefen Bass- zu höheren Baritontönen mit der notwendigen Nuancierung verkörpert. Beinhammer, bis zum Saisonschluss 2021 Mitglied des Chemnitzer Opernensembles, ist im September nach Halle gewechselt.

Die in Dresden ausgebildete und seit 2019 im Chemnitzer Ensemble engagierte Sopranistin Marie Hänsel erwies sich der Rolle der Fliegenden Prinzessin mit ihren waghalsigen Melismen erstaunlich gut gewachsen. Als Erzählerin und erster Sopran bot die aus Georgien stammende, seit 2019 zum Hausensemble gehörende Tatiana Larina eine raffiniert ausgewogene Leistung.

Mit einer Fülle von kleineren Partien wirbeln die Residenzgast-Sopranistin Katharina Baumgartner (u.a. als erste Schnecke), die seit 2013 dem Ensemble angehörende Maraike Schröter (Schneidersfrau; erste Spinatpflanze, dritte Sopranistin), die vom Meininger Staatstheater gastierende Lena Kutzner (Nachbarin; Erzählerin; erste Altistin), die Münchnerin Antigone Papoulkas (zweite Schnecke ; zweite Altistin), die Brangäne-Debütantin der Stöppler-Inszenierung 2021 Sophia Maeno (2. Spinatpflanze; dritte Altistin), der von Hannover Gastierende Philipp Kapeller (Bürgermeister, Gelehrter, erster Krieger, erster Tenor), der Residenzgast Florian Sievers (Schuhuloge, oberster Schneckenhirt, zweiter Krieger, zweiter Tenor), der häufige Gast Reto Raphael Rosin (Erster Spinatgärtner, dritter Krieger , dritter Tenor), der inzwischen nach Kassel gewechselte Magnus Piontek (Schneider, König von Tripolis, vierter Krieger, erster Bass), der Residenzgast Till von Orlowski (Kaiser von Mesopotamien, zweiter Bass) sowie der Residenzgast André Eckert aus Dresden (Herzog von Coburg-Gotha, Starost von Holland, Wachposten, dritter Bass) in der hörenswerten Aufnahme.

RONDEAU-Production ROP622829 2021                              

2 CD+ Ausführliches Beiheft

Thomas Thielemann / 30. Dezember 2021

 

 

Ein kleines Meisterwerk

„Eines der besten Dinge, die ich im Theater gemacht habe“ – so bezeichnete der Komponist viele Jahre später seine „kleine“ Oper La Princesse Jaune. Als sie uraufgeführt wurde, übrigens mit bedeutenden Sängern, die bedeutendste Rollen wie den Don José kreierten, wurde sie schon nach wenigen Jahren abgesetzt. Heute wird sie selten, also immerhin gelegentlich gespielt, bemerkenswert ist beispielsweise eine gewitzt aktualisierende Aufführung in der Neukölner Oper des Jahres 2005, doch studiert man sie, wird man schnell bemerken, dass es sich um nichts weniger als um ein kleines Meisterwerk der Gattung Opéra comique handelt. Dieser Meinung war auch die Artikelschreiberin des betreffenden Eintrags in Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Dagmar Gilcher – man kann ihr nicht widersprechen (auch wenn die Frage gestattet sein muss, ob ein „Meisterwerk“ nicht immer groß ist).

Nun liegt das Werk in einer ansprechenden Neueinspielung des Labels Palazetto Bru Zane vor. Wer die Reihe kennt, weiß um die höchst liebevoll gestalteten Bücher, in denen die jeweilige CDs eingelegt werden. Wir werden also gründlich und kompetent informiert über die Entstehungsgeschichte, den aufkeimenden Japonismus bzw. Orientalismus, dem das Werk seinen Hintergrund verdankt (und den es befeuerte). Die Einordnung in die Gattungsgeschichte, verbunden mit Analysen der Partitur und Struktur des reizvollen Einakters, der Abdruck der wohlwollenden und nur milde kritischen Rezension, die der Komponist und Kollege Ernest Reyer, immer noch einigermaßen bekannt durch seine Oper Sigurd, im Juni 1872 im Journal des débats veröffentlichte, zuletzt das Libretto und ein halbes Dutzend Bilder: all diese zweisprachig publizierten Texte und Fotos machen aus der Hülle der CD wieder eine kleine bibliophile und inhaltliche Kostbarkeit, die uns, zusätzlich zum Genuss des Werks selbst, begreifen lässt, worin das Besondere der Gelben Prinzessin liegt: in der Modernität der Saint-Saënsschen Musiksprache, die die meisten Kritiker seinerzeit gegen das kleine Meisterwerk giften ließ – aber sie konnten ja schon mit der kurz zuvor komponierten, in den selben Rahmen gehörenden Djamileh George Bizets nichts anfangen. Dass Saint-Saëns, mit Samson et Dalila, allein eine noch dazu oratorienhafte Oper geschrieben habe, die „gut“, also bühnentauglich und musikalisch originell sei, ist, wie die des angeblichen „Akademismus“ des Komponisten, eine jener abgestandenen Legenden, die durch Produktionen wie die vorliegende souverän zurückgewiesen werden. Dagegen sprechen schon die wenn auch seltenen Aufführungen des Werks. „Man nahm das unschuldige kleine Opus mit der wildesten Feindseligkeit auf“, schrieb Saint-Saëns 40 Jahre später, denn der Exotismus der Partitur, mit ihren Ganztonleitern, der Pentatonik und den changierenden Klangeffekten (bei gleichzeitiger brillanter Klarheit und Gegenüberstellung der beiden Sphären Orient / Französische Gegenwart) kam bei den auf „Traditionen“ bedachten Kritikern so gut an wie nur kurz darauf die Carmen.

Das „unschuldige kleine Opus“ zeigt eine so einfache wie sinnfällige Geschichte: ein junger Mann, Holländer, Liebhaber eines japanischen Frauenbildes und - gemäldes, wird von seiner Cousine geliebt, zieht es aber vor, sich mit Hilfe eines Haschischrauschs dem fernöstlichen Wahn hinzugeben – in dem ihm die Cousine plötzlich wie ein Abbild seiner geliebten Bild-Imagination erscheint. Wieder daraus erwacht, erkennt er seinen Wahn, bekennt sich zur jungen Dame und tut sich mit ihr, nach einem kurzen Augenblick des Zögerns ihrerseits, mit ihr zusammen, um sich statt in neue Traumwelten lieber auf die vor der Haustür stattfindende Kirmes zu begeben. Saint-Saëns gelang es schlicht wunderbar, die beiden Typen – den schwärmerischen Kornélis und die leicht kapriziöse Léna – zu charakterisieren. Besonders gelangen ihm die traumhaft anmutenden Episoden der kleinen Oper: also der auskomponierte Liebes- und Drogenrausch. Fast klingt‘s, als hätte ihm Lehár mit der (entzückenden und schließlich bewegenden) Mi aus seinem Land des Lächelns Pate gestanden – aber, wie gesagt, Saint-Saëns und sein kongenialer Librettist Louis Gallet waren Vorreiter des japonisme, nicht seine Epigonen.

Bru Zane hat für die Einspielung gute Kräfte aufgeboten. Das Orchestre National du Capitole de Toulouse spielt unter Leo Hussain einen wunderbar warmklingenden und deliziösen Saint-Saëns heraus. Judith van Wanroij und Mathias Vidal geben die beiden Protagonisten des Stücks so gut, dass man sich die Oper gleich mehrmals hintereinander anhören kann. Gleichsam als Bonus und als integraler Teil dieses bemerkenswerten Konzept-Albums hat Bru Zane der Einspielung die sechs orchestrierten Mélodies persanes, also die Persischen Lieder angehängt, die kurz vor der Komposition von Saint-Saëns‘ dritter, aber zuerst aufgeführter Oper entstanden. Es handelt sich um sechs lyrische Perlen, die den Meister verraten, oder richtiger: nicht verraten, sondern ans Licht bringen – und eine Produktion abrunden, die nach den vier anderen Editionen innerhalb der außergewöhnlich gut gemachten Reihe unser Bild vom großen französischen Komponisten exzellent abrunden.

Camille Saint-Saëns: La Princesse Jaune. Label: Palazetto Bru Zane, Nr. 29

Frank Piontek, 23.12. 2021

 

 

Capricchio    Best.Nr.: C5455     2 CDS

Ich werde nicht müde, mich für die Oper Die Passagierin von Mieczyslaw Weinberg zu begeistern. Dreimal habe ich sie schon gehört, die Partitur studiert, und jedes Mal verstand ich die Schönheit und Größe dieser Musik besser. Ein in Form und Stil meisterhaft vollendetes Werk und dazu vom Thema her ein höchst aktuelles…Die Musik der Oper erschüttert in ihrer Dramatik. Sie ist prägnant und bildhaft, in ihr gibt es keine einzige ‚leere‘, gleichgültige Note. Diese überaus begeisterten Worte über Weinbergs Passagierin, für die Alexander Medwedjew das Libretto beisteuerte und die als beste und bedeutendste Oper der Jetztzeit gelten kann, stammen von keinem Geringeren als Dmitry Schostakowitsch. Sie finden sich im Vorwort des Klavierauszuges der Passagierin. Diesem Postulat von Schostakowitsch, dem Freund und großen Mentor Weinbergs, schließe ich mich voll und ganz an. Bei der Passagierin handelt es sich in der Tat um etwas ganz Besonderes, um ein Werk von erlesenster Güte, ungemeiner Intensität und immenser Eindringlichkeit. Der geistige und musikalische Gehalt des Stückes ist enorm, die Botschaft von zeitloser Gültigkeit. Ebenfalls in hohem Maße außergewöhnlich ist die Wirkung, die die Passagierin auf das Publikum hat. Aus dieser Oper geht man anders heraus als bei sonstigen Stücken des Musiktheaters. Man ist in höchstem Maße ergriffen, berührt und sogar beklommen. Die Passagierin erschließt sich dem Zuhörer auf einer unterschwelligen, gefühlsmäßigen Basis, die er zunächst kaum spürt, die ihn dann aber umso mehr in ihren Bann zieht.

Dieser phantastische Eindruck lässt sich auch bei der hier vorliegenden Erstveröffentlichung der Oper auf CD aufs Beste nachvollziehen. Der Aufnahme zugrunde liegt eine erfolgreiche Passagierin-Produktion der Oper Graz. Regie führte die schon oft bewährte Nadja Loschky. Mitgeschnitten wurden Aufführungen vom 11. und 12. 2. 2021. Um es vorwegzunehmen: Diese CD ist überaus empfehlenswert und sollte dringend von jedem Opernfreund angeschafft werden. Der Kauf lohnt sich! Es ist ein absolutes Meisterwerk, das hier zum ersten Mal auf Tonträger gebannt wurde, wofür dem Label Capriccio ein ganz herzliches Dankeschön auszusprechen ist. Diese vorzügliche Einspielung, die den Beteiligten zu hoher Ehre gereicht, hat wahrlich das Zeug zur CD des Jahres. Es ist unmöglich, von der Passagierin nicht gefesselt zu werden und diese hochkarätige CD, die ein absolutes Juwel darstellt, nicht mit großer Begeisterung zu genießen. Bravo!

Der jüdisch-polnische Komponist Weinberg, der bereits in jungen Jahren vor der in sein Heimatland einmarschierenden Armee der Nazis in die UdSSR fliehen musste und die restliche Zeit seines Lebens dort im Exil verbrachte, greift in seiner Passagierin, die in der UdSSR aus ideologischen Gründen lange Zeit nicht aufgeführt werden durfte, das schwärzeste Kapitel der deutschen Geschichte auf: den Holocaust und die Gräuel in den Konzentrationslagern. Der Oper zugrunde liegt der gleichnamige Roman - im Original: Pasazerka - der polnischen Auschwitzüberlebenden Zofia Posmysz, in dem diese ihre Erlebnisse in der Hölle von Auschwitz mit ungeheurer Radikalität schildert und dabei neben der Hauptproblematik von Schuld und Sühne auch die Verdrängungsmentalität der Nachkriegszeit eindringlich behandelt. Weinberg, der einen Großteil seiner Familie in den Gaskammern der Nazis verlor,  und Medwedjew haben die Grundstruktur des Buches in ihrem Werk beibehalten und nur wenige Änderungen vorgenommen, um einzelne Handlungsstränge dem Opernsujet anzupassen.  

Geschildert wird die Geschichte der ehemaligen KZ-Aufseherin Lisa, die Ende der 1950er Jahre auf einer Schiffsreise nach Brasilien, wo ihr Ehemann Walter seinen neuen Posten als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland antreten soll, in einer mitreisenden Passagierin einen einstigen Auschwitz-Häftling, Marta, zu erkennen glaubt, die sie längst für tot hält. Diese Begegnung ruft in ihr Erinnerungen an die Zeit im Konzentrationslager wach. Ihre verdrängte Vergangenheit steigt zunehmend wieder an die Oberfläche. Sie sieht sich in Auschwitz in ihrer alten Rolle als junge KZ-Wärterin. Ihr gegenüber steht Marta, zu der sie eine ganz persönliche Beziehung aufbaut und der sie sogar ein Treffen mit ihrem ebenfalls gefangenen Verlobten Tadeusz - dieser ist in der Oper im Gegensatz zum Buch nicht bildender Künstler, sondern Geiger - ermöglicht, die sie aber am Ende doch in den Todesblock schickt. Wie Marta dem Tod letztlich entrinnen konnte, ist ein großes Geheimnis, das ungeklärt bleibt. Unter der übermächtigen Last ihres schlechten Gewissens gesteht Lisa ihrem entsetzten Mann schließlich alles, wobei auch die Stimmen der Vergangenheit eine ausführliche Rückschau einfordern: Jetzt mögen andere sprechen! Die Hölle von Auschwitz wird für Lisa zum Inferno ihrer Erinnerungen. Im Folgenden spielen sich die einzelnen Szenen abwechselnd auf dem Schiff und in Auschwitz ab.

Es ist eine erschütternde Geschichte, die sich hier abspielt. Weinbergs Passagierin stellt einen stark unter die Haut gehenden, beklemmenden Kontrapunkt gegen das Vergessen dar, ein flammendes Plädoyer gegen jede Art des Verdrängens mit den Mitteln der Oper. Die Musik ist geradezu atemberaubend. Die Klangsprache erinnert stark an diejenige von Schostakowitsch. Die Partitur beruht auf einer erweiterten Tonalität und weist zudem Elemente der Zwölftonmusik auf. Gleichzeitig ist der Klangteppich aber ausgesprochen schön und oft auch recht melodiös. In diesem Zusammenhang seien nur die Lieder der Auschwitz-Insassinnen, der Choral und das herrliche Liebesduett zwischen Marta und Tadeusz im zweiten Akt genannt. Und für die vom Komponisten bemühte Leitmotivtechnik hat augenscheinlich Richard Wagner Pate gestanden. Diese wirkt indes nicht direkt, sondern mehr unterschwellig auf den Zuhörer ein. Dennoch bleiben viele Themen nachhaltig in Erinnerung. Erwähnenswert sind dabei in erster Linie die musikalischen Zitate aus der Musikgeschichte. Beispielhaft seien hier nur Bachs Chaconne aus der Partita Nr.2 d-Moll für Solo-Violine, das Schicksalsmotiv aus Beethovens 5. Symphonie in c-Moll sowie das Prügelmotiv aus Wagners Meistersingern genannt. Diese phänomenale Musik geht einem durch und durch, insbesondere wenn sie so grandios vor den Ohren des Zuhörers ausgebreitet wird wie von Roland Kluttig und den prächtig aufspielenden Grazer Philharmonikern. Der Dirigent führt das Orchester in bedächtigen Tempi durch Weinbergs Partitur und arbeitet die unterschiedlichen musikalischen Strukturen aufs Beste heraus. Die einzelnen Leitmotive werden hervorragend beleuchtet und der Klangteppich mit vielen Emotionen und zahlreichen Farben versehen. Daraus resultiert ein vielschichtiges, differenziertes und sehr spannungsgeladenes  Dirigat, das Freude bereitet. Das ist eine ganz große Leistung seitens Kluttigs und der Musiker.

Und was für phantastische Sänger sind auf dieser CD insgesamt doch aufgeboten. Da bleiben praktisch keine Wünsche offen. In der Rolle der Lisa überzeugt mit volltönendem, bestens fokussiertem und nuancenreichem Mezzosopran Dshamilja Kaiser. Einen ebenfalls perfekt gestützten, warmen und gefühlvollen Sopran bringt Nadja Stefanoff in die Partie der Marta ein. Will Hartmann singt mit kraftvollem und farbenreichem Tenor den Walter. Ein prägnant singender Tadeusz ist Markus Butter. Durchweg ansprechende Leistungen erbringen Tetiana Miyus (Katja), Antonia Cosmina Stancu (Krystina), Anna Brull (Vlasta), Mareike Jankowski (Hannah), Sieglinde Feldhofer (Yvette), Joanna Motulewicz (Bronka) und Ju Suk (Alte), die allesamt über volle und runde, dabei perfekt im Körper sitzende Stimmen verfügen. Solide klingt der 1. SS-Mann des hellen Baritons Ivan Orescanin. Ausgezeichnet gefällt David McShanes sehr sonor und tiefgründig singender 2. SS-Mann. Demgegenüber fällt Martin Fournier als etwas flach singender 3. SS-Mann ab. Den älteren Passagier gibt Konstantin Sfiris. Die Sprechrollen sind bei Uschi Plautz (Oberaufseherin), Maria Kirchmair (Kapo) und Adrian Berthely (Steward) in trefflichen Händen. Sehr für sich einzunehmen vermag der von Bernhard Schneider vorzüglich einstudierte Chor der Oper Graz. Gratulation an das Grazer Opernhaus zu diesem tollen Ensemble!

Angesichts der ungemein beeindruckenden Musik Weinbergs, der tiefgreifenden Bedeutung des Stücks sowie der insgesamt erstklassigen musikalischen und gesanglichen Leistungen ergeht an dieser Stelle nochmals der nachdrückliche Aufruf an unsere Leser: Kaufen, kaufen und nochmal kaufen! Das Geld ist sehr gut angelegt. Ebenfalls mögen die Leser doch bitte für diese fulminante Oper die Werbetrommel rühren und die Intendanten ihrer Opernhäuser bitten, sie auf den Spielplan zu setzen.

Ludwig Steinbach, 11.11.2021

 

 

Bel Air 2021   Best.Nr.: BAC188  2 DVDs

Hier haben wir es wieder einmal mit einer ausgemachten Rarität zu tun: Nikolai Rimsky-Korsakovs Oper Sadko. Aufgezeichnet wurde eine Aufführung des Moskauer Bolschoi-Theaters vom Januar 2020. Der Oper zugrunde liegt eine mittelalterliche russische Volkssage aus dem Schatz der Bylinen von den phantastischen Abenteuern des Musikanten und späteren Kaufmanns Sadko, der auf eine historische Figur aus dem 12. Jahrhundert zurückzuführen ist. Hier handelt es sich um ein durchaus beachtliches Werk, das indes seit seiner Uraufführung am 7.1.1898 im Solodownikow-Theater in Moskau nur wenige Produktionen erlebt hatte. Bereits im Jahre 1906 wurde Rimsky-Korsakovs Oper am Bolschoi Theater herausgebracht. Am 25.1.1930 erfolgte an der New Yorker Metropolitan Opera die amerikanische Erstaufführung. Im Juni 1931 wagte sich die Covent Garden Opera London erstmals an den Sadko. In Deutschland stand das Werk erstmals im Jahre 1947 an der Berliner Staatsoper auf dem Spielplan - eine Aufführung, die damals großen Erfolg hatte. Trotz der großen Aufmerksamkeit, die ihr damals zu Teil wurde, konnte sich das Stück auf Dauer auf den großen Bühnen nicht durchsetzen. Sein Bekanntheitsgrad blieb gering. Umso erfreulicher ist es, dass sich das Bolschoi-Theater im Januar 2020 noch einmal an diese Oper wagte und damit einen großen Erfolg für sich verbuchen konnte. Die Musik ist von erlesener Schönheit. Dem romantischen Klangteppich kann man sich nur schwer entziehen, insbesondere dann nicht, wenn die Musik derart kultiviert, vielschichtig, differenziert, spanungsreich und schwelgerisch dargeboten wird wie von Dirigent Timur Zangiev und dem hervorragend disponierten Orchester des Bolschoi-Theaters.

Ob der Sadko sich auf Dauer durchsetzen kann, wird die Zukunft zeigen. Das Zeug dazu hat er. Einen guten Anteil daran wird sicherlich die vorliegende, bei Bel Air erschienene DVD haben, die in erster Linie konventionell eingestellte Gemüter erfreuen wird. In der Tat geht der auch in Deutschland bekannte Regisseur Dmitri Tcherniakov, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, zusammen mit seiner Kostümbildnerin Elena Zaitseva ganz anders an das Werk heran als man es sonst von ihm gewohnt ist. Gekonnt lässt er verschiedene Welten aufeinanderprallen. Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Phantasie geben sich ein Stelldichein. Die Kaufleute sind ein äußerst traditionell und altbacken kostümierter sowie in herkömmlichen Traditionen erstarrter Haufen, der mit den Ansichten des rationalen, ganz den Werten der Gegenwart verhafteten und demgemäß modern gekleideten Sadko nichts anzufangen weiß und ihn demzufolge zum Außenseiter stempelt. In dieser Welt hält nur seine ebenfalls zeitgenössisch eingestellte und deshalb modern gewandete Frau Lubava zu ihm. Auch die Sadkos Phantasie entspringende Märchenwelt wird vom Regisseur äußerst traditionell dargestellt. So weit so gut. Indes wirkt dieser Ansatzpunkt etwas übertrieben. Das konventionelle Element dominiert die Aufführung doch allzu sehr. Die Grenze zum Kitsch wird manchmal in bedenklicher Weise gestreift, was nicht sein sollte. Zum größten Teil verkommt die Inszenierung zu einem Ausstattungsschinken, der zwar zugegebenermaßen schön anzusehen ist, den Liebhabern des modernen Musiktheaters, zu denen ich mich zähle, aber durchaus nicht behagt. Die Mäßigung, die Tcherniakov sich hier auferlegt hat, ist doch sehr verwunderlich. Vielleicht liegt es an dem russischen Publikum, das moderne Produktionen nicht zu mögen scheint. In Deutschland hat sich der Regisseur bisher immer sehr viel zeitgemäßer und radikaler gezeigt. Versöhnlich stimmt das letzte Bild, das auf einer leeren Bühne spielt. Die zuvor ebenfalls gänzlich märchenhaft gekleidete Volkhova entkleidet sich während ihres Schlummerliedes bis auf das Unterkleid und legt ein schlichtes zeitgenössisches Kostüm an, bevor sie schließlich die Bühne verlässt. Die anderen Mitwirkenden und der Chor stehen Sadko jetzt positiver gegenüber, akzeptieren seine Haltung und kommen deshalb nun ebenfalls zeitgenössisch gekleidet auf die Bühne. Nur der von der Regie als Spielleiter gedeutete ältere Pilger erscheint in seinem alten Kostüm. Dennoch kann sich das moderne Element auf Dauer nicht durchsetzten. Vereinzelte traditionelle Kostümbestandteile sowie das wieder hereingefahrene altbackene Hafenbild belegen dies.

Erheblich besser sieht es mit den gesanglichen Leistungen aus. Das Bolschoi-Theater verfügt wahrlich über ein phantastisches Ensemble! An erster Stelle ist Nazhmiddin Mavlyanov zu nennen, der mit sauber gestütztem, substanzreichem und ebenmäßig geführtem Tenor einen guten Sadko singt. Wunderbar ist der warm und geschmeidig klingende, dabei bestens fokussierte jugendlich-dramatische Sopran von Aida Garifullina in der Rolle der Volkhova anzuhören. Einen vollen, runden Mezzosopran bringt Ekaterina Semenchuk in die Partie der Lubava ein. Mehr von der lyrischen, vokal schlanken Seite her nähert sich Yuri Minenko der Hosenrolle des Nezhata. Profundes Bass-Material nennt Stanislav Trofimov als Meeresszar sein eigen. Gleichermaßen gut schneidet sein Stimmfachkollege Dmitry Ulianov ab, der mit hochkarätigem, sonorem Bass einen erstklassigen Waräger-Kaufmann singt. Bei dem kräftig, markant und mit schöner Linienführung intonierenden Alexey Nekludov ist der indische Kaufmann bestens aufgehoben. Andrey Zhilikhovsky ist ein prachtvoll vokalisierender venezianischer Kaufmann. Zweiter im Kreis der auf dieser DVD vertretenen Baritone ist Sergey Murzaev, der der Erscheinung des großen Helden als älterem Pilger stimmlich gleichermaßen Würde als auch Autorität zu verleihen weiß. Nichts auszusetzen gibt es an dem Whistle von Mikhail Petrenko. Bei den Nebenrollen ist zwar auch ein recht flacher, halsig klingender Tenor vertreten, insgesamt kann man aber auch mit diesen recht zufrieden sein. Eine imposante Leistung erbringt der prägnant singende, von Valery Borisov famos einstudierte Chor des Bolschoi-Theaters.

Fazit: Angesichts des doch arg konventionellen szenischen Rahmens der hier auf DVD gebannten Aufführung mag nun mancher alter Opernbesucher in Nostalgie verfallen. Meinetwegen. Ich tue das bestimmt nicht. Mein Geschmack ist ein anderer und in erster Linie von dem in Deutschland vorherrschenden modernen Musiktheater geprägt. Konventionelle Inszenierungen, wie hier, sind überhaupt nicht mein Fall. Die Oper an sich hätte es indes sicher in hohem Maße verdient, wieder mehr gespielt zu werden. Sie ist wahrlich nicht zu verachten!

Ludwig Steinbach, 5.11.2021

 

Wichtiges Redaktions-PS

Bitte hören Sie mal rein in die wunderschöne Arie Song od India. Wenn Sie den VIVALDI-Browser benutzen (welchen sonst als echter Opernfreund ;-) haben Sie auch garantiert keine Werbung.

 

Und fragen Sie bitte ihre Intendanten, warum wir ein solches Opern-Juwel nicht zu hören bekommen, dafür immer und immer und immer wieder die des karge Mini-Repertoire der 10 gleichen abgelutschten Opern.

Grüße vom Herausgeber

 

 

 

Capriccio 2021                Best.Nr.: C5460                 2 CDs

Im Dezember 2020 fand an der Wiener Staatsoper unter Corona-Bedingungen die österreichische Erstaufführung von Hans Werner Henzes selten gespielter, aber bemerkenswerter Oper Das verratene Meer statt - eine beachtliche Angelegenheit. Ein am 14.12.2020 entstandener Audio-Live-Mitschnitt der Produktion ist jetzt von dem Label Capriccio auf CD veröffentlicht worden. Diese Aufnahme ist gut geeignet, den Komponisten Henze wieder einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Nach Aufführungen von Der Prinz von Homburg (Stuttgart), und The Bassarids (Salzburg, Komische Oper Berlin und Mannheim) war in Wien 2020 mit dem Verratenen Meer nun endlich auch ein zwar weniger bekanntes Werk Henzes auf den Brettern, die die Welt bedeuten, gelandet, das aber dennoch beredtes Zeugnis vom großen Können des Komponisten ablegt.

Dem Libretto von Hans-Ulrich Treichel zugrunde liegt der Roman des im Jahre 1925 geborenen Japaners Yukio Mishima, der 1970 freiwillig aus dem Leben schied. Geschildert wird der Mord einer Teenager-Gang an dem Seemann Ryuji. Dieser hatte zuvor seinem ursprünglichen Beruf abgeschworen und war an Land gegangen, um Fusako, die schöne junge Mutter des Bandenmitglieds Noboru, zu heiraten. Dieser Verrat Ryujis an dem Meer wird ihm von der Gang verübelt. Der Seemann stirbt an einem vergifteten Tee, den Noboru ihm reicht. Es ist eine recht eindringliche Geschichte, mit der Komponist und Textdichter hier aufwarten und die sich tief einprägt. Fast hat es den Anschein, als hätte Hitchcock für das Stück Pate gestanden. Der Psycho-Charakter des Librettos ist offensichtlich.

Die Oper wurde im Jahre 1990 an der Deutschen Oper Berlin aufgeführt, hatte damals aber keinen sonderlichen Erfolg. 2006 erfolgte eine Aufführung bei den Salzburger Festspielen in japanischer Sprache, die ungleich erfolgreicher ausfiel. Sehenswert war vor einigen Jahren auch die Frankfurter Inszenierung des Werkes. Die der vorliegenden CD zugrunde liegende Wiener Aufführung folgt im Wesentlichen der Salzburger Version, hier aber wieder auf Deutsch. Dieser hinzugefügt wurden in Wien indes die in Salzburg gestrichenen Zwischenspiele der Berliner Uraufführung. Das war kein Fehler, denn gerade diese sind es, die einen fulminanten Eindruck hinterlassen. Henze hat eine sehr vielschichtige, abwechslungsreiche Musik in freier Tonalität geschrieben. Imposanten Klangballungen nach Art der großen Orchesterausbrüche eines Richard Strauss korrespondieren feine, zarte und filigrane Piano-Stellen. Auf diese Differenzierungen legt Dirigentin Simone Young besonders großen Wert. Bei den rein orchestralen Passagen dreht sie das blendend disponierte Orchester der Wiener Staatsoper mächtig auf. Bei der Begleitung der Sänger hält sie sich dagegen dezent zurück. In der Tat ist ihr Dirigat sehr sängerfreundlich. Sie setzt mit den Musikern markante Akzente und baut langgedehnte große Spannungsbögen auf.

Mit den gesanglichen Leistungen kann man zum großen Teil zufrieden sein. An erster Stelle ist hier die großartige Vera-Lotte-Boecker zu nennen, die mit einer wunderbar italienisch fokussierten, strahlkräftigen, frischen, farbenreichen, höhensicheren und über brillante Koloraturen verfügenden Sopranstimme eine ausgezeichnete Fusako singt. Das ist eine ganz große Leistung einer Sängerin, die schon oft mit Henze großen Erfolg hatte. Nicht zu überzeugen vermag der recht maskig und dünn klingende Noboru - die Nummer Drei der Gang - von Josh Lovell. Ein markant singender und trefflich deklamierender Ryuji ist Bo Skovhus. Was sonoren Stimmschmelz und eine vorbildliche italienische Technik angeht, ist ihm sein Baritonkollege Eric Van Heyningen als Nummer Eins um einiges überlegen. Mit der Nummer Zwei ist der Countertenor Kangmin Justin Kim besetzt, der zu den besten seines Fachs zählt. Sein Stimmsitz beruht im Gegensatz zu vielen seiner Stimmfachkollegen nicht unnatürlicherweise auf der Fistelstimme, sondern gemahnt stark an einen gut gestützten Mezzosopran. Gute Leistungen erbringen auch Stefan Astakhov (Nummer Vier) und Martin Häßler (Nummer Fünf) mit solide im Körper fundierten tiefen Stimmen. Vokal recht flach präsentiert sich Jörg Schneiders Schiffsmaat.

Fazit: Insgesamt haben wir es hier mit einer echten Rarität zu tun, deren Anschaffung durchaus zu empfehlen ist. Diese CD, für deren Publikation dem Label Capriccio herzlich zu danken ist, stellt einen wichtigen Beitrag zu der derzeit zu beobachtenden Henze-Renaissance dar.

Ludwig Steinbach, 29.9.2021

 

 

UNITEL     Best.Nr.: 804908        1 DVD

Wer kennt sie nicht, die berühmte Méditation religieuse aus Massenets selten gespielter Oper Thais. Hier handelt es sich um ein ausgesprochenes Wunschkonzertstück von hoher Eindringlichkeit, das berechtigterweise eine so hohe Popularität genießt. Angesichts des hohen Bekanntheitsgrades der Méditation geriet die Oper, der sie entstammt, fast in Vergessenheit. Dabei handelt es sich bei der Thais um ein äußerst reizvolles Werk. Sicher, Massenets Werther und Manon stehen viel öfter auf den Spielplänen der unterschiedlichsten Opernhäuser. Indes ist die Thais durchaus lebensfähig. Ihr musikalischer Reichtum ist enorm. Das Stück wurde im Jahre 1894 in Paris uraufgeführt und fand beim damaligen Publikum keinen sonderlichen Anklang. Erst die 1898 ebenfalls in Paris zur Premiere gelangte Umarbeitung der Oper konnte sich durchsetzen. Auf dieser jetzt bei dem Label UNITEL erschienenen DVD ist die zweite Fassung zu erleben, die ebenfalls nochmals ein wenig gekürzt wurde. Man begnügte sich am Theater an der Wien mit drei Akten, die aber dennoch ein in sich geschlossenes Ganzes darstellen. Man kann dem Handlungsverlauf problemlos folgen. Aufgezeichnet wurde im Januar 2021 eine Vorstellung, die aufgrund der geltenden Corona-Beschränkungen ohne Publikum erfolgte.

Die Thais birgt eine ernstzunehmende Gefahr in sich: Nämlich die des Kitsches. Eine konventionelle Produktion kann aus diesem Grund scheitern. Nun, das muss man bei einem modernen Regisseur wie Peter Konwitschny sicher nicht befürchten. Zusammen mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Johannes Leiacker erteilt er jeder traditionellen Deutung eine strikte Absage und siedelt das Ganze in einem gemäßigt zeitgenössischen Rahmen an. Das tut dem Stück gut, denn damit entgeht es voll und ganz dem Risiko, ins Kitschige abzugleiten. Demgemäß kann man Konwitschnys ausgezeichnet durchdachte und mit Hilfe einer spannenden, stringenten Personenregie eindrucksvoll auf die Bühne gebrachte Inszenierung als voll gelungen bezeichnen. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er die Thais nicht zu einem puren Ausstattungsstück degradiert, sondern in verstärktem Maße dem geistigen Gehalt des Werkes Rechnung trägt. Aber das ist man von Regiealtmeister Konwitschny ja gewohnt. Die Bühne ist bei ihm und Leiacker fast leer. Man sieht lediglich einen Sandhaufen, einen Laufsteg für Models sowie ein Sofa samt Lampe vor einem Rundhorizont.

Diese Knappheit in der Ausstattung leistet der vollen Konzentration auf die zwischenmenschlichen Beziehungen Vorschub, die von Konwitschny akribisch herausgearbeitet werden. Thais, Crobyle und Myrtale sind echte Paradiesvögel in prachtvollen, ausladenden Revuekostümen, in denen sie das Volk beglücken. Die schwarz gekleideten Mönche und die Bürger hat das Regieteam mit Engelsflügeln ausgestattet, was als Zeichen ihrer himmlischen Abgehobenheit zu deuten ist. Während der Méditation religieuse, die eindrucksvoll Thais` Wandlung von der Hure zur Heiligen zeigt, geht auch mit ihnen eine Wandlung vor: Auf einmal tragen sie keine Flügel mehr - ein treffliches Sinnbild ihrer neu gewonnenen irdischen Bodenständigkeit. Jetzt haben wir es nicht mehr mit irgendwie gearteten himmlischen Wesen zu tun, sondern mit reinen Menschen. Diese versuchen, mit Geld Thais von ihrem neuen Weg zurückzuhalten, was ihnen aber nicht gelingt. Sie werfen mit Geldscheinen um sich, die bis zum Ende der Aufführung als Reminiszenz an Thais‘ altes Leben auf dem Boden liegen bleiben. Neben Thais gilt das besondere Interesse des Regisseurs der Figur des Athanael, die er mit großer Eindringlichkeit zeichnet. Es ist eine der zentralen Stellen der ursprünglichen Oper, wenn der Mönch am Ende erkennen muss, dass er selbst Thais in hohem Maße begehrte und sein Bekehrungsversuch ein Irrweg war. Bei Konwitschny ist sich Athanael die ganze Zeit über bewusst, dass er Thais liebt. Diese Liebe wird von dem Knaben Amor begünstigt. Athanael erkennt, dass dieser Liebe keine Zukunft beschieden ist. Er zerbricht Amors Pfeil und erschießt schließlich sogar den kindlichen Gott. Seine Versuche, das auf Thais gerichtete Begehren in sich auszulöschen, bleiben aber erfolglos. Am Ende des dritten, in einer dunkel ausgeleuchteten Wüstenlandschaft spielenden Aktes, bleibt er nach Thais` Tod einsam und verzweifelt zurück.

Massenet hat eine herrliche, impulsive und gefühlvolle Musik geschrieben, die von Dirigent Leo Hussain und dem bestens disponierten ORF Radio-Symphonieorchester Wien elegant und mit großer Pracht vor den Ohren des Zuhörers ausgebreitet wird. Gleich dem Regisseur tappt auch Hussain nicht in die Kitsch-Falle. Neben einer ungeheuren Intensität weist sein gelungenes Dirigat auch zahlreiche emotionale Momente auf. Diese werden aber nie überbetont, so dass der Klangteppich an keiner Stelle ins allzu Süßliche abgleitet. Kitsch auf musikalischer Ebene wird so ebenfalls gekonnt vermieden.

Vollauf zufrieden sein kann man mit den gesanglichen Leistungen. Nicole Chevalier ist eine mit tadellos sitzendem, fulminantem und höhensicherem Sopran ungemein intensiv singende Thais, die sie auch erstklassig spielt. In nichts nach steht ihr Josef Wagner, der mit vollem, rundem und differenzierungsfähigem Heldenbariton und sehr imposant den Athanael singt. Einen vorbildlich fokussierten, geradlinig geführten und kräftigen Tenor bringt Roberto Sacca in die Partie des Nicias ein. Gut gefällt als Palémon der profund singende Bass von Günes Gürle. Mit solidem Stimmmaterial warten Carolina Lippo und Sofia Vinnik in den Rollen von Crobyle und Myrtale auf. Frau Vinnik gibt dazu noch die Albine. Solide klingt Jörg Espenkotts Diener (Servant). In der stummen Partie des kleinen Amor gefällt Samuel Wegleitner. Eine gute Leistung erbringt der von Erwin Ortner einstudierte Arnold Schoenberg Chor.

Fazit: Eine rundum gelungene DVD, die sowohl von der szenischen als auch von der musikalischen und gesanglichen Seite Freude bereitet und stark dazu geeignet ist, das Stück der Vergessenheit zu entreißen. Es wäre sehr zu wünschen, dass sich wieder mehr Opernhäuser auf dieses herrliche Werk besinnen und es zur Aufführung bringen. Ein Tipp an alle Opernfreunde: Kauft diese DVD! Hier haben wir es mit einer echten Rarität zu tun, deren Anschaffung lohnt!

Ludwig Steinbach, 9.9.2021


  

 

Dynamic 2021       Best.Nr.: 37899      2 DVDs

Uneingeschränkte Freude bereitet die neue Siegfried-DVD, mit der die Liveaufzeichnungen von Wagners Ring an der Oper Sofia nun mit Bravour in die dritte Runde gehen. Aufgezeichnet wurde die Aufführung vom 30.5.2012. Für die Veröffentlichung dieser äußerst bemerkenswerten DVD, deren Anschaffung sehr empfohlen werden kann, ist dem Label Dynamic ein herzliches Dankeschön auszusprechen. Wieder einmal hat das Opernhaus Sofia nachhaltig unter Beweis gestellt, dass es zu den ersten Häusern nicht nur in Bulgarien, sondern weltweit gehört. Hier wird äußerst gewissenhaft und sehr sorgfältig gearbeitet und demzufolge werden hervorragende Ergebnisse erzielt. Szenische, musikalische und gesangliche Aspekte fügen sich bei diesem Siegfried zu einer phantastischen Symbiose zusammen. Alles wirkt wie aus einem Guss.

Überzeugend ist schon die Inszenierung von Plamen Kartaloff im Bühnenbild und den Kostümen von Nikolay Panayotov. Zwar ist Kartaloff kein Anhänger des modernen Musiktheaters, das ich bevorzuge; sein Regieansatz ist indes auch nicht rein konventioneller Natur. Seine Herangehensweise an den Siegfried ist vielmehr recht abstrakter Natur, wobei das Designer-Element im Gegensatz zu Kartaloffs Deutungen von Rheingold und Walküre - wir berichteten - etwas zurückgedrängt wird. Dabei hat er das Werk gut durchdacht und mit einer Anzahl gefälliger Tschechow’ scher Elemente angereichert. Bei den ersten Takten der Musik knüpft der Regisseur geschickt an das Ende der Walküre an und präsentiert einen riesigen Feuerring, wobei die Flammen das Ergebnis von Projektionen sind. In der Folge wird das Bild des ersten Aufzuges von zwei spitzwinklig zusammenlaufenden halben Ringen und einem im Hintergrund über die Bühne laufenden Steg dominiert. Das sind bildliche Elemente, die man aus Rheingold und Walküre bereits kennt.

Während des Vorspiels zeigt Kartaloff die Geburt Siegfrieds. Die hochschwangere Sieglinde wird auf einem Kubus mit einem riesigen Loch hereingefahren und schenkt dort ihrem Sohn das Leben. Dieser wird von dem hinzugetretenen Mime dann in eine Decke gehüllt. Die Entwicklung des Babys Siegfried zum jungen Mann vollzieht sich in Windeseile. Er wird zu einem ausgemachten Kraftprotz, der mühelos den Ambos, den er später mit seinem Schwert spaltet, hochhebt. Er verfügt indes auch über sensible Züge. Sein Wesen dominieren sie allerdings nicht. Zu Beginn erschreckt er Mime mit einem riesigen Teddybär. Hinzuerfunden hat der Regisseur zwei stumme Nibelungen, die Mime behände zur Hand gehen und emsig seine Heimstatt reinigen. Immer wieder wird von Kartaloff die Vergangenheit heraufbeschworen, was einen interessanten geistigen Überbau ergibt. So zeigt er auch nach Siegfrieds Geburt noch oft Sieglinde, einmal sogar Siegmund. Das macht insbesondere bei der Erzählung Mimes im ersten Aufzug Sinn. Ebenfalls nachvollziehbar ist, dass Siegfrieds Eltern bei der konventionellen Schwertschmiedung beobachten, wie Notung unter den regen Händen ihres Sohnes wieder ein Ganzes wird. Sieglinde zeigt der Regisseur ferner, als sich Siegfried im zweiten Aufzug nach seiner Mutter sehnt und als er im dritten Aufzug glaubt, Brünnhilde sei seine Mutter. Diese Stellen sind trefflich ausgewählt. Der mit einem Monokel versehende Wanderer erscheint zur Rätselszene mit einem großen Medizinball, auf den die Weltkarte gemalt ist.

Im zweiten Aufzug erblickt man, wie bereits in Kartaloffs Interpretationen von Rheingold und Walküre, einen ganzen Ring auf der in ästhetisches Blau gehüllten Bühne. Beherrscht wird diese zudem von einem ausgedehnten Metallgerüst, von dem aus der nach der ersten Szene auf der Bühne verharrende Alberich Siegfried beobachtet. Erneut lässt hier Tschechow grüßen. Der Lindwurm wird durch die bereits aus dem Vorabend und dem ersten Abend bekannten Zylinder dargestellt, die hier aber rot angestrahlt werden. Im Gegensatz zu den meisten anderen heutigen Produktionen des Ring-Scherzos verwandelt sich Fafner nach seiner Niederlage im Kampf mit Siegfried nicht zurück in den Riesen. Der als Frau gezeigte Waldvogel schwebt auf einer Schaukel herein, auf der er beeindruckende, manchmal regelrecht akrobatisch anmutende Flugbewegungen ausführt.

Im dritten Aufzug erwacht Erda in einer ausgehöhlten Flosse. Der Feuerzauber wird durch einen aufrecht stehenden halben Feuerring symbolisiert, wobei die Flammen erneut durch Projektionen erzeugt werden. Brünnhilde ist im Gegensatz zum Ende der Walküre nicht mehr auf eine riesige Matte gebettet, sondern auf einen steinernen Altar. Begrüßen tut sie die Welt von einem hohlen halben Ring aus. In dieser Szene erreicht Kartaloffs Personenregie, die schon bisher ausgeprägt, stringent und spannend war, einen letzten Höhepunkt.

Ein Hochgenuss ist es, den Sängern zuzuhören. Wieder einmal wird offenkundig, über was für ein phantastisches Ensemble das Opernhaus Sofia doch verfügt. Nachhaltig wird hier auf höchstem Niveau demonstriert, wie Wagner gesungen werden muss. Wie schon in Rheingold und Walküre sind sämtliche Stimmen wunderbar im Körper verankert, was bei Ring-Aufführungen in deutschen Landen eine absolute Seltenheit ist. Hier haben wir es mit einem Musterbeispiel hochkarätigen Wagnergesanges zu tun. Alle Sänger ohne Ausnahme erstreiten sich auf dieser DVD die höchsten - Bayreuther - vokalen Weihen. Das beginnt schon bei Martin Iliev, der mit seinem bestens fokussierten, strahlkräftigen und baritonal grundierten Heldentenor, der sowohl zu dramatischen Ausbrüchen als auch zu zarten Lyrismen fähig ist, einen hervorragenden Siegfried singt. Ausgesprochen gut gefällt auch Krasimir Dinev, dessen hochkarätiger Mime sich mit prächtig ausgeprägter, markanter und klangschöner Stimme für das Heldenfach empfiehlt. Der Wanderer von Martin Tsonev besticht durch einen perfekt italienisch geschulten, nobel und edel klingenden sowie sonoren Bass-Bariton, eine ausgezeichnete Linienführung und hohes Ausdruckspotential. Biser Georgievs Alberich zeichnet sich durch markante Tongebung und hohe stimmliche Intensität aus. Klangschön singt Petar Buchkov den Fafner. Einen gut sitzenden, profunden Mezzosopran bringt Rumyana Petrova in die Partie der Erda ein. Als Brünnhilde gefällt mit ausladendem hochdramatischem Sopran, fulminanten Spitzentönen und intensiver Tongebung Bayasgalan Dashnyam. Mit vorbildlich fundiertem, kräftigem lyrischem Sopran wertet Lyubov Metodieva die kleine Rolle des Waldvogels auf.

Am Pult knüpft Pavel Baleff auf grandiose Art und Weise an seine großen Vorgänger Furtwängler und Knappertsbusch an. Die von ihm angeschlagenen äußerst breiten Tempi leisten einer guten Transparenz Vorschub. Viele Einzelheiten werden hörbar. Darüber hinaus versteht er sich ausgezeichnet auf den Aufbau großangelegter Spannungsbögen. Er hat wirklich den ganz großen Atem für Wagner. Eine reichhaltige dynamische Skala und eine gelungene Herausstellung verschiedener Farben tun ihr Übriges, das Klangbild abwechslungsreich und interessant erscheinen zu lassen. Das Orchestra of the Sofia Opera and Ballet setzen seine Intentionen perfekt um.

Ludwig Steinbach, 6.9.2021

 

NAXOS 2021         Best.Nr.: 2.110691-92         2 DVDs

Bei dem Label NAXOS ist ein bereits im Jahre 2012 am Theater an der Wien entstandener Live-Mitschnitt von Hindemiths Oper Mathis der Maler auf DVD erschienen. Hier handelt es sich um die erste DVD dieses genialen Werkes, das der Komponist Anfang der 1930er Jahre schrieb. Die Vor- und Zwischenspiele fasste er zu einer Symphonie zusammen, die bereits im Jahre 1934 in Berlin unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler aus der Taufe gehoben wurde. Im Folgenden sahen sich Hindemith und sein Werk im nationalsozialistischen Deutschland vielerlei Anfeindungen ausgesetzt. Die Uraufführung des Mathis fand deshalb am 28.5.1938 an der Züricher Oper statt.

In seiner Oper schildert Hindemith die Nöte von Mathias Grünewald, dem Schöpfer des berühmten Isenheimer Altars. Ungewollt gerät der Künstler, der nur arbeiten will, in das Gewirr der Glaubenskriege der Reformationszeit. Dieses Thema wird vom Komponisten mit Hilfe einer eindringlichen, vielschichtigen Musik geschildert, die auch Zitate anderer Werke aufweist. Oft hört man die Stilistik des Concerto grosso durchschimmern. Immer wieder geschickt variiert wird der Gesang Es sungen drei Engel ein` süßen Gesang aus Des Knaben Wunderhorn von Gustav Mahler. Besonders erwähnenswert sind die Anklänge an Götterdämmerung und Parsifal von Richard Wagner. Es ist schon ein interessantes Stilgemisch, das von Bertrand de Billy und den hervorragend disponierten Wiener Symphonikern mit großem Elan, imposant, prägnant und spannungsreich dargeboten wird.

Regisseur Keith Warner gehört nicht zu den modernen Inszenatoren. Er nähert sich dem Werk von der konventionellen Seite. Anhand der von Emma Ryott entworfenen modernen Anzüge der Mainzer Bürger lässt er indes durchaus auch mal moderne Elemente in seine insgesamt traditionelle Sichtweise einfließen. Bemerkenswert ist, dass es sich bei Warner um keinen Regisseur handelt, der nur mit dem Reclamheft in der Hand inszeniert und buchstäblich an dessen Anweisungen klebt. Er hat sich ansprechende Gedanken über das Stück gemacht und seiner Arbeit ein überzeugendes Konzept zugrundegelegt. Letzteres besteht in der Präsentation der die Bühne von Johan Engels dominierenden riesigen plastischen Christus-Figur des Isenheimer Altars, was eine enorm starke Wirkung entfaltet. Dieser Christus wird irgendwann einmal in seine Bestandteile zerlegt, auf denen es sich gut spielen lässt, und am Ende als Zeichen für den Frieden wieder zusammengesetzt. Einen trefflichen Eindruck hinterlässt am Ende auch die Szene, als eine Anzahl zeitgenössisch gekleideter Menschen an dem von Mathis geschaffenen Isenheimer Alter vorbeipilgert und ihn bewundert. Ebenfalls beeindruckend sind die skelettierten, in Glasvitrinen zur Schau gestellten toten Märtyrer im zweiten Teil. Hier wird ein eindringlicher Totenkult betrieben. Trotz des konventionellen Rahmens handelt es sich um eine nicht ungefällige Inszenierung mit teilweise recht starken Bildern und einer ausgefeilten, abwechslungsreichen Personenregie.

Bei den gesanglichen Leistungen halten sich Positiva und Negativa die Waage. Allen voran glänzt Wolfgang Koch, der sich mit einer ungemein lebendigen Darstellung und einem bestens italienisch fokussierten, mächtigen und durchschlagskräftigen Heldenbariton als Idealbesetzung für den Mathis erweist. Mit bestens fundiertem, warm und emotional geführtem Sopran überzeugt Katerina Tretyakova in der Partie der Regina. Als Ursula überzeugt mit ansprechendem dramatischem und expansionsfähigem Sopran Manuela Uhl. Immer noch wie ein junger Gott, sonor und ebenmäßig sowie mit phantastischer italienischer Technik singt Franz Grundheber den Riedinger. Martin Snell ist mit profundem, tadellos sitzendem Bass ein solider Lorenz von Pommersfelden. Nicht zu überzeugen vermag Kurt Streit, der den Albrecht von Brandenburg mit flachem und stark maskigem Tenor singt. Noch weniger gefällt der ziemlich kehlig klingende Hans Schwalb von Raymond Very. Überhaupt nicht im Körper singt auch Charles Reids Wolfgang Capito. Lediglich mittelmäßig sind Oliver Ringelhahn als Sylvester von Schaumburg und Magdalena Anna Hofmann in der Partie der Gräfin Helfenstein. Nicht auf ganzer Linie gefallen die kleinen Nebenrollen. Trefflich singt der von Blanka Juhanakova einstudierte Slovak Philharmonic Choir.

Ludwig Steinbach, 17.8.2021

 

 

Dynamic       Best.Nr.: 37898          2 DVDs

Mit einer rundum gelungenen, geradezu preisverdächtigen Walküre geht die DVD-Veröffentlichung des Wagner’schen Ring des Nibelungen aus dem Opernhaus Sofia in die zweite Runde. Aufgenommen wurde eine Aufführung vom 14.4.2011. Es ist dem Label Dynamic hoher Dank auszusprechen, dass es diese ganz vorzügliche Vorstellung auf DVD gebannt hat. Was hier in jeder Beziehung geboten wird, ist rundum eitel Sonnenschein. Inszenierung und musikalische und gesangliche Leistungen fügen sich zu einer phantastischen Symbiose zusammen, die Freude bereitet. Hier stimmt einfach alles. Um es vorwegzunehmen: Die Anschaffung der DVD ist sehr zu empfehlen!

Schon das szenische Niveau ist gegenüber dem Rheingold enorm angestiegen. War dort noch das traditionelle Element nachhaltig zu spüren, so sind hier die konventionellen Aspekte zugunsten einer durchaus gefälligen, überzeugenden abstrakten Sichtweise mit designermäßigem Einschlag sowie phantastischen Kostümen zurückgedrängt. Regisseur Plamen Kartaloff und sein Bühnen-und Kostümbildner Nikolay Panayotov haben wahrlich hervorragende Arbeit geleistet. rosalies Bayreuther Ring von 1994 werden sie gekannt haben. Da gibt es einige Ähnlichkeiten, insbesondere was das Designer-Moment angeht. Dem entzückten Auge hat das Bühnenbild recht viel zu bieten, und auch ein geistiger Überbau ist dieses Mal vorhanden.

Zentrales Bühnenbildelement ist wie bereits im Rheingold ein riesiger Ring. Dieser ist hier gespalten. Ein Teil dient den Handlungsträgern teilweise als Spielfläche, ein weiteres Segment ist aufgerichtet. Im zweiten Aufzug führt ein Steg über die Bühne. Auch das kennt man von rosalies Bayreuther Walküre. Das durchaus gefällige Bühnenbild nutzt der Regisseur für eine ansprechende Personenregie, die sich zwar nah an Wagners Anweisungen bewegt, aber - wie schon gesagt - ein gutes geistiges Konzept erkennen lässt. Dies besteht in der ständigen Beschwörung der Vergangenheit unter Verwendung mannigfaltiger Tschechow’ scher Elemente. Immer wieder ziehen im Hintergrund Personen und Situationen aus dem Rheingold vorbei. Bereits zu Beginn sieht man die akrobatenartig umherspringenden Rheintöchter. Später wird der Zuschauer auch noch Zeuge, wie Wotan und Loge Alberich den Ring rauben. Zudem erblickt man Erda und Fafner. Diese Visualisierungen gehen aber noch weiter. Wenn Siegmund von seiner Zwillingsschwester berichtet, tritt im Hintergrund das Wälsungenpaar als Kinder auf. In dem Augenblick, in dem Sieglinde von dem Fremden erzählt, der das Schwert in den Stamm der Esche stößt, erscheint Wotan im Hintergrund. Seine Vaterschaft von den Zwillingen wird auch visuell offenkundig, wenn an der Stelle, an der Sieglinde Wälse erwähnt, im Hintergrund die bereits aus dem Rheingold bekannten Walhall-Zylinder über die Bühne fahren. Später, wenn Wotan das Ende heraufbeschwört, sieht man diese brennen. Hier wird in eindrucksvoller Art und Weise die Götterdämmerung vorweggenommen. Diesen Zylindern kommen hier noch weitere Bedeutungen zu. So symbolisieren sie Grane sowie die übrigen Rosse der Walküren. Als Zylinder wird im ersten Aufzug auch die Esche dargestellt. Das ist alles recht überzeugend. Ebenfalls gefällig ist das Ende gestaltet. Der Feuerzauber besteht aus naturalistischen Flammen, die auf den aufrecht stehenden halben Ring projiziert werden, während Loge in seinem Flugobjekt über die Bühne fliegt. Brünnhilde wird von Wotan auf einer riesigen Matte in Schlaf versenkt.

Pavel Baleff wurde damals für sein Dirigat des Rheingolds zum Dirigenten des Jahres gewählt. In welchem höheren Maße hat er diese Auszeichnung doch für seine Interpretation der Walküre verdient. Den einleitenden Gewittersturm und den Walkürenritt nimmt er ziemlich zügig. Im Übrigen orientiert er sich indes mehr an den langsamen Tempi eines Furtwängler, Knappertsbusch und Levine, ohne dabei jemals die Spannung aus den Augen zu verlieren. In der Tat wartet er mit atemberaubenden Spannungsbögen auf, die ihresgleichen suchen. Sein Dirigat atmet zudem große Wärme und Emotionalität und weist außerdem eine vorbildliche Transparenz auf. Da hört man viele Details. Die Ausdruckspallette ist enorm. Bemerkenswert ist ferner, dass Baleff auch an den Stellen noch die Ruhe wahrt, wo andere Dirigenten vorwärts drängen und mit enormen Steigerungen aufwarten. Die prächtig disponierten Musiker des Orchestra of the Sofia Opera and Ballet folgen Baleffs Anweisungen auf den Punkt genau und setzen seine Intentionen präzise und mit enormem Schönklang um.

Freude bereiten auch die gesanglichen Leistungen. Nikolai Petrov ist ein bereits in die Jahre gekommener Wotan, der indes mit seinem prachtvollen, bestens fokussierten Heldenbariton wie ein junger Gott singt. Leider ist seine Darbietung nicht ganz fehlerfrei. Das aber nur am Rande. Aufhorchen lässt die Brünnhilde von Mariana Tzvetkova. Hier haben wir es mit einem fulminanten hochdramatischen Sopran zu tun, dem vokale Attacke und stählerne Spitzentöne in gleichem Maße zur Verfügung stehen wie schöne gefühlvolle Töne. Ein wunderbar baritonal timbrierter, ausgesprochen kraftvoll, kernig und ausdrucksintensiv singender Siegmund ist Martin Iliev. In nichts nach steht ihm Tsvetana Bandalovska, die sich mit einem überaus glanzvollen jugendlich-dramatischen Sopran als Idealbesetzung für die Sieglinde erweist. Sie hat einfach alles, was für diese schwierige Partie erforderlich ist: Eine imposante Tongebung, ausladende Jubelausbrüche, enormen Höhenglanz sowie eine prägnante Tiefe in der Alt-Tessitura. Als Fricka argumentiert Rumyana Petrova mit ausladendem, kraftvollem Mezzosopran Wotan gekonnt in Grund und Boden. Eine voluminöse, sehr sonore und kräftige, dabei ausgesprochen bedrohliche Bassstudie zeichnet Angel Hristov in der Rolle des Hunding. Bei dem aus Lyubov Metodieva (Gerhilde), Milena Gyurova (Helmwige), Dimitrinka Raycheva (Waltraute), Blagovesta Mekki (Schwertleite), Irina Zhekova (Ortlinde), Mariela Aleksandrova (Siegrune), Tsveta Sarambelieva (Roßweise) und Margarita Damyanova (Grimgerde) bestehenden Ensemble der markant singenden kleinen Walküren empfiehlt sich jede der Sängerinnen nachhaltig für größere Rollen. Allgemein ist zu konstatieren, dass - wie bereits im Rheingold - durch die Bank phantastisch im Körper gesungen wird, was wahrlich eine Seltenheit ist. Von den aufgebotenen Sängern, die obendrein über einen sehr fähigen Deutsch-Coach verfügten, hätte jeder eine Weltkarriere verdient. Das zeugt erneut von dem unbestreitbaren hohen Niveau des Opernhauses Sofia, dem an dieser Stelle ein hohes Lob auszusprechen ist. So ausgezeichnet wird Wagner hierzulande nicht immer besetzt. Auf den Siegfried kann man schon gespannt sein.

Ludwig Steinbach, 8.6.2021

 

 

 

Bel Air 2021     Best.Nr.: BAC186        2 DVDs

Hier haben wir es mit einer echten Rarität zu tun: Nikolai Rimsky-Korsakovs auf einem Stück von Alexander Ostrovshi beruhender, am 10.2.1882 am Marinski-Theater aus der Taufe gehobener Oper The Snow Maiden, zu Deutsch Schneeflöckchen. Das Libretto hatte der Komponist selbst verfasst, womit er nachhaltig in die Fußstapfen Richard Wagners trat, dessen Parsifal ebenfalls im Jahre 1882 uraufgeführt wurde. Rimsky-Korsakov hat großartige Arbeit geleistet. Seine ganz der Romantik verpflichtete Partitur der Snow Maiden weist einen enormen Klangreichtum auf. Hier haben wir es mit einer recht einprägsamen, expressiven und ausladenden Musik zu tun, die sich zudem durch den stetigen Wechsel von dichten, üppigen Klangtableaus und eher dünn instrumentierten Stellen, wie beispielsweise die Lieder Lels, auszeichnet. Auch a-capella-Passagen kommen vor. Eruptiven, wuchtigen Orchesterwallungen korrespondieren zarte, filigrane Töne. Es ist schon ein sehr ansprechendes Klanggemisch, das von Mikhail Tatarnikov und dem hervorragend disponierten Orchester der Opéra National de Paris bestens zu Gehör gebracht wird. Auf das Erzeugen großer Linien und dem Aufbau von Spannungsbögen versteht sich der Dirigent trefflich. Der von ihm und den Musikern erzeugte Klangteppich atmet große Wärme und enorme Intensität. Dazu kommt eine feine Auskostung der breit gefächerten dynamischen Skala, was ein recht ausgewogenes, abwechslungsreiches und differenziertes Klangbild ergibt.

Da es sich bei der Snow Maiden um eine relativ unbekannte Oper handelt, hier einige Worte zum Inhalt: Die Handlung dreht sich um die junge Snow Maiden, die Tochter von Mutter Frühlingsfee und König Frost. Das junge Mädchen will mit den Menschen zusammenleben und bei diesen die Liebe finden. Sie begibt sich nach Berendei, wo sie von Bobyl Bakula und Bobylikha, einem kinderlosen Paar, an Kindes statt angenommen wird. Dort offenbart sich ihr in Lel die Liebe, der sie indes ablehnt. Umworben wird sie von Mizguir, der sich just in dem Augenblick in sie verliebt hat, als er dabei war, Kupava zu heiraten. Diese ist über Mizguirs Verhalten tief bestürzt und beklagt sich bei dem Zaren Berendey über das Verhalten ihres Bräutigams. Der Zar ordnet daraufhin an, dass derjenige belohnt werde, der erfolgreich um Snow Maiden werbe. Die Geschichte nimmt verwicklungsreich ihren Fortgang. Am Ende findet Kupava die Liebe in Lel, während Snow Maiden unter einem Sonnenstrahl dahinschmilzt. Die Bewohner von Berendei loben die Rückkehr zu den Zyklen der Natur.

Regisseur Dmitri Tcherniakov, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, hat sich eine Mäßigung auferlegt, die man von ihm nicht gewohnt ist. Man kennt ihn als durchaus radikalen modernen Inszenator. Hier indes wartet er neben modernen auch mit zahlreichen konventionellen Elementen auf. Den Anfang verlegt er in eine zeitgenössische Tanzschule, in der die Lehrerin Mutter Frühlingsfee und der elegante Geschäftsmann König Frost diskutieren. Die Frühlingsfee studiert mit einer Reihe als Vögel maskierter Kinder einen Tanz ein. Im Folgenden verlagert der Regisseur das Geschehen in einen ausgesprochen naturalistischen Wald, in dem die Bewohner von Berendei in Holzhütten leben. Lediglich Bobil und Bobilika hausen in einem zeitgenössischen Wohnwagen. Auch die gelungenen Kostüme von Elena Zaytseva weisen in unsere Gegenwart. Hier handelt es sich um eine faszinierende, rückwärtsgerichtete Gesellschaft, die versucht, die alten Werte und Traditionen ihrer Vorfahren wieder aufleben zu lassen. Dazu gehört auch, dass sich einige von ihnen nackt ausziehen. Wenn diese Leute im ausgesprochen naturalistischen Wald-Bild des letzten Aktes auf einmal gänzlich traditionell gewandet erscheinen, wird offenkundig, dass sie ihr Ziel erreicht haben. Im Gegensatz zu Snow Maiden sind sie noch nicht bereit, das Unbekannte zu akzeptieren und sich ihm zu stellen. Ihr Anführer ist der Zar, der zu Beginn auf einer Staffelei ein Bild malt. Das Ganze wird von Tcherniakov als Parabel über die widersprüchliche Situation im heutigen Russland inszeniert. Mannigfaltige Parallelen zwischen dem paradoxen Stück und Putins Russland werden aufgezeigt. Der geistige Gehalt der Inszenierung ist mithin schon recht modern. Die konventionellen Bilder stehen dazu in krassem Gegensatz. Mithin hält die Produktion für jeden Geschmack etwas bereit. Auch mit gelungener Symbolik wartet der Regisseur auf, so wenn am Ende als Ausdruck der von dem Tod Snow Maidens ungehindert weiterlaufenden Zeit ein riesiges Rad verbrannt wird

Mit den Sängern kann man größtenteils zufrieden sein. Aida Garifullina singt mit silbern schimmerndem, in jeder Lage voll und rund klingendem und in der Höhe herrlich aufblühendem lyrischem Sopran eine beeindruckende Snow Maiden. Einen imposanten, ebenfalls bestens fokussierten und kräftigen dramatischen Sopran bringt Martina Serafin für die Kupava mit. Die Partie des Lel hat Rimsky-Korsakov ursprünglich für einen Mezzosopran geschrieben. Hier ist sie mit dem Countertenor Yuriy Mynenko besetzt. Nun ist diese Stimmgattung überhaupt nicht mein Fall. Indes kann man Mynenko eine große Ausgewogenheit und Geradlinigkeit des Vortrags nicht absprechen. Ich habe schon mäßigere Countertenöre gehört. Mit sauber dahinfliessendem, trefflich sitzendem Bariton singt Thomas Johannes Mayer den Mizguir. Kraftvolles, vorbildlich fundiertes Tenormaterial bringt Maxim Paster für den Zaren Berendey mit. Einen tiefgründigen, profunden Mezzosopran nennt die Mutter Frühlingsfee von Elena Manistina ihr eigen. Eine stimmgewaltige Bassstudie erbringt Vladimir Ognovenkos König Frost. Tadellos sitzendes Mezzosopran-Material bringt Carole Wilson in die Rolle der Bobylikha ein, während der Bobyl Bakula Vasily Gorshkovs recht flach und überhaupt nicht im Körper singt. Letzteres gilt auch für Vasily Efimov als Waldgeist. Julien Joguet (Maslenitsa), Vincent Morell (Erster Herold), Pierpalo Palloni (Zweiter Herold) und Olga Oussova (Page des Zaren) runden das homogene Ensemble ab. Eine großartige Leistung erbringt der von José Luis Basso einstudierte Chor der Opéra national de Paris.

Ludwig Steinbach, 31.05.2021

 

 

Capricchio 1990/2021        Best.Nr.: C5440            2 CD

Dieses Jahr feiert die Musikwelt den 150. Geburtstag von Alexander Zemlinsky. Und 2022 jährt sich sein Todestag zum 80. Mal. Das ist Grund genug für das Label Capricchio, einige der bei ihm in den vergangenen Jahrzehnten erschienenen CDs mit Werken Zemlinskys neu aufzulegen - unter anderem seine Aufnahme der am 22.1.1900 an der Wiener Hofoper unter der musikalischen Leitung von Gustav Mahler aus der Taufe gehobene Oper Es war einmal, die hier zur Besprechung ansteht. Damit hat Capriccio den Liebhabern von Zemlinskys Musik zum Jubiläum des Komponisten ein treffliches Geschenk gemacht. Diese Oper, deren Uraufführung ein voller Erfolg war und die auch danach noch etliche Aufführungen erlebte, war irgendwann einmal in Vergessenheit geraten. Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass Zemlinskys Werke ab 1933 im deutschsprachigen Raum nicht mehr aufgeführt werden durften und der Komponist in die USA in das Exil gehen musste. Indes hat es Es war einmal redlich verdient, wieder einmal aufgeführt zu werden. Die Opernhäuser sollten sich wirklich erneut auf dieses Werk besinnen. Seine musikalische Ausbeute ist beachtlicher Natur. Es ist ganz der spätromantischen Tradition verpflichtet und von enormem Schönklang geprägt. Grundlage der Komposition ist eine erweitere Tonalität, die indes an keiner Stelle schräg wirkt, sondern recht eingehender Natur ist. Die Einflüsse von Gustav Mahler sind offenkundig. Ohne das Vorbild Richard Wagners wäre diese Oper ebenfalls nicht denkbar gewesen. Es ist schon ein äußerst faszinierendes Stück Musik, mit dem sich der Opernliebhaber hier konfrontiert sieht und das einen ganz in seinen Bann zieht. Hans Graf am Pult des Danish Radio Symphonie Orchestras stellt sich voll und ganz in den Dienst des Werkes. Seine Auffassung der Partitur ist keine wuchtig-pathetische, sondern eine leichte und ein wenig kammermusikalische. Das Klangbild wirkt zu jeder Zeit warm und getragen. Präzise baut der Dirigent Spannungsbögen auf und badet mit den bestens disponierten Musikern genussvoll in den spätromantischen Klangwogen. Dabei versteht er sich auch trefflich auf die Herausarbeitung spezifischer Coleurs. In der Tat ist die Farbenskala der Partitur bei ihm recht ausgeprägt und vielfältig.

Mit den Sängern kann man größtenteils zufrieden sein. Mit ihrem silbern schimmernden, in jeder Lage sauber ansprechenden und hervorragend fokussierten jugendlich-dramatischen Sopran erweist sich Eva Johansson als Idealbesetzung für die Prinzessin. Mit ebenfalls gut sitzendem, kraftvollem und wandelbarem Tenor singt Kurt Westi den Prinzen. Insgesamt ist seine Darbietung ebenmäßig und differenziert. Solide, wenn auch nicht außergewöhnlich ist die Leistung von Per Arne Wahlgren als Kaspar. Eine sehr sonore, profunde und dramatische Bassstimme bringt Aage Haugland in die Rolle des Königs ein. Ordentlich bewältigt Christian Christiansen den Kommandanten und den Herold. Recht flachstimmig mutet Ole Hedegaards Freier an. Vokal befriedigend gibt Susse Lillesoe die Hofdame. Wenig auffällig ist der Schweizer von Guido Paevatalu. Der von Kaare Hansen einstudierte Danish National Radio Chorus macht seine Sache gut.

Ludwig Steinbach, 03.06.2021

                     

 

 

Es war eine für die damaligen Verhältnisse erfolgreiche Oper. Nachdem Demofoonte 1742 im Teatro Regio Ducale, also dem Vorläufer der heutigen Scala, mit einer „schönen und gut passenden Musik“ (so der Sängerstar Carestini) uraufgeführt worden war, ging das Werk bis 1747 noch über verschiedene italienische Bühnen, bevor es bis vor einigen Jahren im Orkus der Operngeschichte verschwand.

2014 erlebte es unter William Christie seine Auferstehung im Theater an der Wien; die Einspielung mit seinem Ensemble Complesso Barocco sollte die letzte werden, die der Altmeister einer einstmals als „Alte Musik“ bekannten Kunst vorlegen konnte. Damit gelang ihm zwar kein Coup, aber doch nichts weniger als die einzige Gesamteinspielung einer jener acht italienischen Opern, die der junge Gluck in seinen acht frühen Jahren zwischen Mailand und Venedig geschrieben hat. Demofoonte ist freilich neben der Ipermestra die einzige Oper, die wenigstens annähernd vollständig erhalten blieb. Bis auf die Ouvertüre und die Rezitative haben sich sämtliche Arien erhalten; Grund genug, sich an eine Vervollständigung des Werks zu machen. Christie benutzte also die zeitlich benachbarte Sinfonia zur Ipermestra und schrieb die Rezitative neu – hört man die mehr als dreistündige Aufnahme, will sich der Mehrwert der nicht sonderlich inspirierten Rezitativvertonungen nicht recht einstellen. Für die Einspielung hätte es möglicherweise genügt, die Arien und beiden Accompaganato-Rezitative auf die Silberscheibe zu bannen, zumal das Booklet zwar interessante Informationen zu Werk, Aufführung und Rekonstruktion enthält, aber die Grundlage – der Text – im Netz gesucht werden muss. Der Blick in die Übersetzung, die J.F.A. Aubert 1737 aus Anlass einer hochfürstlichen Feier in München vorlegte, und der Vergleich mit dem italienischen Textbuch, das 1742 in Mailand herauskam, offenbart allerdings jene typischen Unterschiede, wie sie bei der Opera seria üblich waren: Nicht alle Arien-Texte entsprechen jener Fassung, die Gluck fünf Jahre nach dem italienischen Druck vorgelegt hat, weil er es in Mailand mit anderen Sängern, allen voran der berühmte Kastrat Giovanni Carestini, daher auch mit anderen Nummerntexten zu tun hatte. Es ist im besten Sinne gleich gültig – denn die Affekte, die hier wie dort vom jungen Komponisten in Musik gesetzt worden sind, tangierten nicht das Wesentliche: die Dialoge und die Handlung. Nur schade, dass gerade die Rezitative nicht in der Originalgestalt vorliegen; die Einspielung mit dem Complesso Barocco wäre noch ein wenig überzeugender ausgefallen.

Die Frage ist freilich, wie „überzeugend“ die Handlung einer Oper sein kann, die mehrere Dutzend Male von Komponisten der scheinbar starren Gattung „Opera seria“ eine Musik geschenkt bekam, die nicht einmal den Eindruck erweckte, dass sie das Rad neu erfinden würde. Schaut man in die Gluck-Literatur, bekommt man es – bezogen auf seinen Stil – interessanterweise mit durchaus verschiedenen Meinungen zu tun: 1. war Glucks frühe Oper nicht deshalb so erfolgreich, weil sie anders war, sondern weil sie das Altbekannte von Neuem sagte. 2. unterschied sich Gluck von den meisten Zeitgenossen, weil er schon in seinen juvenilen Werken (soweit das Material eine Meinung zulässt) ansatzweise jene Sprache entwickelte, die in seinen reifen Werken mit ihren unverwechselbaren Wortvertonungen gültig werden sollte. 3. finden sich an seltenen Stellen des Demofoonte Passagen, die gänzlich frei sind von den Klischees der Gattung, „doch aufs Ganze gesehen haben derartige Extravaganzen“ (wie in Dirceas Arie „Padre, perdona“) „des jungen Deutschen für das italienische Publikum wohl nicht mehr bedeutet als eine pikante Würze in einer wohl zubereiteten, beliebten Speise; sie erhöhen den Reiz der Werke, ohne deren Charakter zu verändern“ (so Anna Amalie Abert 1959). Das gelind Neue also könnte in jener koloraturfernen Einfachheit der Stimmführung bestehen, die später zu bestechenden Wirkungen führen sollte. Tatsächlich zeichnen sich die Arien des Demofoonte, bei allem konventionellem Ton, nicht durch einen übermäßigen Kehlenzirkus auf. Und es fällt auf, dass Gluck nur eine einzige Arie aus einer anderen Oper – aus L‘Olimpiade – in den Demofoonte integriert hat.

Konventionell ist gewiss auch das Libretto Metastasios, doch wird man ihm nicht gerecht, wenn man ihn neben die vielen anderen Libretti des Dichters hält, in denen akkurat die gleichen Schemata der Personeneinteilung (der Fürst, zwei Paare und einige confidenti), der Arien-Zuweisungen, der von Intrigen und Missverständnissen beseelten Handlung und der überaus „überraschenden“ Konfliktlösungen herrschen. Wer sich dem Demofoonte allerdings so nähert, als gäbe es sonst keine Opera seria mit ihren rachsüchtigen Vaterkönigen, empfindsamen Töchtern, verzweifelten Amanten und mutigen Liebhaberinnen, könnte vielleicht dem Theaterhistoriker (und späten Strauss-Librettisten) Joseph Gregor zustimmen, der 1950 in seiner Kulturgeschichte der Oper dem Dichter Gerechtigkeit widerfahren ließ: er sei „das einzige Beispiel (gewesen), dass auch der Textdichter die Vollendung der Oper bedeuten könnte. Es erweist sich bei ihm, dass die gute Übereinstimmung des Wortes und der Musik zu den Idealen der Oper gehören muss, und gerade darin war er Meister. Seine psychologische Kunst, wenn auch gedämpft durch die Vers- und Wortornamentik des Rokoko, ist achtenswert.“ Mit anderen Worten: Wer die seelischen Verwerfungen, denen Metastasios Figuren unterliegen, in Bezug auf Glucks konventionelle, doch von Mikrospuren eigener Sprache nicht freie Arien ernst nimmt, könnte hier und da kleinste Überraschungen erleben – nicht zuletzt in den beiden Accompagnati. Was nicht heißt, dass der Librettist, wie Rousseau meinte, ein „Genie“ war. Dazu sind seine Geschichten mit ihren vorhersehbaren Momenten – den grausamen Vätern, vertauschten Kindern, verliebten Paaren und aus dem Nichts auftauchenden Briefen, die am Ende alles erklären – , denn doch zu dauerkonstruiert, um nicht die Erinnerung an unendlich viele Filme, die nach dem erfolgversprechenden Schema F gebastelt wurden, aufkommen zu lassen. Wer indes etwas für den Klassizismus, für Racine und Corneille und die sensible Sprache dessen übrig hat, was man schon damals als „Ausdruck der Seele“ bezeichnete, könnte auch am Demofoonte ein Interesse finden, das über die Begeisterung für geläufige Gurgeln hinausgeht – wozu es freilich letzten Endes einer Inszenierung bedarf, die aus den Dacapo-Arien dramatisch lebendige, szenisch nachvollziebare Gebilde macht. Vorschlag: Man sollte das Stück wenigstens einmal inszenieren – idealerweise mit neu komponierten, vielleicht sogar neutönerischen Rezitativen. Alles andere wäre für die Bühne problematisch.

Die Aufnahme benötigt denn auch einige Zeit, bevor sie dem Drama angemessene Hitze gibt. Im Lauf des ersten Akts wird klar, dass es vor allem Romina Basso, Ann Hallenberg und Aryeh Nussbaum Cohen sind, die den dramatischen Gehalt der Opera seria tragen. Basso und Hallenberg singen das zweite (Liebes-)Paar, Cherinto und Creusa; das schlichtweg betörende Verzweiflungsduett wird allerdings von Sylvia Schwartz (der Königstochter Dircea) und Cohen gesungen. Letzterer, ein junger Counter, erfüllt die Rolle des unglücklich Liebenden primo uomo Timante mit einem bezwingend butterweichen Ton (man höre sich nur seine Arie Sperai vicino al lido an), während seine Dircea, also Sylvia Schwartz, die Traurigkeit der scheinbaren Königstochter in eine vornehme Form gießt. Zusammen mit dem anrührend artikulierenden Cohen bildet sie, rein klanglich betrachtet, ein Kontrastpaar vokaler Gestaltung. Dagegen öffnen sich die wie stets messerscharf agierende Altistin Basso und die Sopranistin Hallenberg in eine stimmlich fokussierte Dramatik – zusammen repräsentieren die beiden Paare so etwas wie verschiedene Seiten eines Medaillenduos. Als stolze Prinzessin Creusa bringt sie jenen Ton der furiositá ins Spiel, der auch heute noch zu fesseln vermag.

Weniger fesselnd klingt die weniger wichtige Titelrolle. Colin Balzer singt zwar sauber und schön, doch wenig bewegt und bewegend. Dafür hat er auch nur drei Arien. Bleiben zu erwähnen Vittorio Pratos ansprechend klingender Matusio (noch ein Vater) und Nerea Berraondos Minipartie des Hauptmanns Adrasto – und das Orchester, das Glucks frühe Musik nicht schroff, aber mit einem zurückhaltenden Sinn für die spätbarocke Klangrede realisiert. Man kann sich also darüber freuen, dass von den acht frühen Opern Glucks nun – neben den Arien-Einspielungen aus Tigrane, Sofonisba, Semiramide und Ipermestra – wenigstens eine in einer insgesamt guten Einspielung vorliegt.

Gluck: Demofoonte. Il Complesso Barocco. Dirigent: Alan Curtis. Brillant Classics.

Frank Piontek, 10.5. 2021

 

 

ORFEO       Best.Nr.: C00062      2CDS

Live aus dem Musikverein Wien kommt ein Audio-Mitschnitt von Johann Strauß‘ jr. einziger Oper Ritter Pasman. Aufgenommen wurde eine wohl konzertante Aufführung vom 27.10.1975. Es ist sehr begrüßenswert, dass das Label ORFEO den Mitschnitt nach nun immerhin 46 Jahren in den Archiven entdeckt und nun auf CD veröffentlicht hat. Die musikalische Ausbeute kann sich sehen lassen. Hier haben wir es mit einer echten Rarität zu tun!

Die Handlung ist schnell erzählt: Auf der Burg des Ritters Pasman wird ein Festmahl für den Hausherrn und seine Jagdgesellschaft vorbereitet. Der inkognito erschienene König Karl Robert von Anjou verliebt sich in eine junge Frau, die sich als Eva, die Frau von Ritter Pasman, entpuppt. Die beiden geben sich ein Stelldichein, in deren Verlauf der König Eva auf die Stirn küsst. Natürlich erfährt Pasman davon. Wutentbrannt und in Unkenntnis der wahren Verhältnisse reist er an den Hof des Königs. Dort gibt er seiner Absicht kund, Rache an dem Unbekanntem zu nehmen. Der Sachverhalt klärt sich schließlich auf und die Königin erlaubt nun ihrerseits Pasman, sie als Wiedergutmachung ebenfalls auf die Stirn zu küssen.

Aus der Taufe gehoben wurde Ritter Pasman am 1.1. 1892 an der Wiener Hofoper. Der Erfolg beim Publikum war durchaus beachtlich, die Kritiker zeigten sich aber distanziert. Bereits nach einer Aufführungsserie wurde Strauß‘ einzige Oper wieder abgesetzt. Gründe dafür gab es mehrere. Einmal war die Inszenierung nicht gelungen, sie glich mehr einem Konzert in Kostümen als aufregendem Musiktheater. Und der Dirigent der Uraufführung ignorierte vielfach die Anweisungen des Komponisten in der Partitur. So erklangen beispielsweise vielfach falsche Tempi. Wenn man heute dem Werk gerne auch einmal auf der Bühne begegnen würde, hat dies sicher seine Gründe. Die Musik ist recht ansprechend und weist ein gutes Gemisch von ernsten und heiteren Klängen auf. Vielfach scheint der Operettenkomponist durch, wie beispielsweise bei dem grandiosen Ballett. Dem Walzer und dem Csardas hört man gerne zu. Echte Ohrwürmer gibt es in der Oper zwar nicht, die Melodien sind aber insgesamt recht eingängig. Das i-Tüpfelchen des Ganzen ist, dass Walzerkönig Johann Strauß hier Richard Wagner huldigt: Man hört Anklänge aus den Meistersingern und chromatisch werden Anklänge an den Tristan spürbar. Darüber hinaus ist der Ritter Pasman gleich den Wagner’schen Musikdramen durchkomponiert. Diese Art des Komponierens war Strauß indes eigentlich fremd. Dennoch hat die Partitur ihre Meriten. Es wäre schön, wenn sich das eine oder andere Opernhaus einmal zu einer Aufführung des Stückes entschließen könnte. Dieses Werk hätte es verdient, rehabilitiert zu werden. Dazu hätte auf der vorliegenden CD auch das kompakte, abwechslungsreiche und schwungvolle Dirigat von Heinz Wallberg seinen Anteil. Das gut disponierte ORF Vienna Radio Symphony Orchestra setzt die Anweisungen des Dirigenten routiniert und mit großem Schönklang um.

Gesanglich halten sich Positiva und Negativa die Waage. Eberhard Waechter singt mit sauber durchgebildetem, gut sitzendem und ausdrucksstarkem Bariton den Ritter Pasman. Einen wunderbaren tiefsinnigen Mezzosopran italienischer Schule bringt Trudeliese Schmidt für die Eva mit. Weit entfernt von den Vorzügen einer soliden italienischen Technik bewegt sich der Karl Robert von Anjou Josef Hopferwiesers. Seine Tongebung wirkt manchmal kehlig. Da ist ihm die vortrefflich im Körper sowie warm und gefühlvoll singende Sona Ghazarian in der Rolle der Königin weit überlegen. Ein prächtiges vokales Bassgewand legt Artur Korn dem Rodomonte an. Axelle Gall singt tadellos eine tiefgründige Gundy. Peter Drahosch betont stimmlich die komische Seite des Knappen Mischu, verfügt indes nicht über die nötige Körperstütze seines Tenors. Flach klingt auch Horst Witsche in der kleinen Rolle des Hofmarschlass Omodé. Eine gefällige Leistung erbringt der von Gottfried Preinfalk einstudierte ORF Chor.

Ludwig Steinbach, 7.5.2021

 

Aus Vor-Corona-Zeiten

Die schönste Andrea-Chénier-Produktion hat die Deutsche Oper Berlin, eine sehr ansehnliche präsentierte die Mailänder Scala zur Saisoneröffnung 2017, wenn auch in manchem irritierende ohne Szenenapplaus, weder beim Improvviso, noch zu Nemico della Patria oder la Mamma morta, und auch am Schluss gab es keine Solovorhänge. Da flüsterte zwar Tenor Yusif Eyvazov erregt mit dem Bariton, der verneinend den Kopf schüttelte, aber es blieb beim Sichverneigen in Gruppen. Sollte etwa Diva Anna Netrebko hinter den Kulissen gewirkt und verlangt und erreicht haben, dass der Gatte nicht eventuellem Buhgeschrei ausgesetzt würde? Die Angst allerdings wäre unberechtigt gewesen, denn der italienische Bariton war um nichts besser oder schlechter als der aserbaidschanische Tenor. 

Wie dem auch sei, die beiden Glanzpartien wurden an diesem Abend unter Wert vor das Publikum gebracht, erinnert man sich an prachtvolle Besetzungen wie die mit Franco Corelli oder Piero Cappuccilli. Für sein unattraktives Timbre kann Eyvazov nichts, er braucht zudem etwas Zeit um sich frei zu singen, so dass das Improvviso sein schwächster Beitrag ist, die Höhe hingegen ist unangefochten, für Fu soldato stehen ihm strahlende Töne zur Verfügung, für den Bel Di di Maggio sogar zarte, und insgesamt ist seine Leistung eine achtbare, wenn auch keine Begeisterung auslösende. Gattin Anna Netrebko musste sich dem Verdikt der im Libretto genannten bella bionda beugen und eine enorme helle Perücke tragen, auch in den späteren Akten, in denen sie damit längst als Aristokratin enttarnt worden wäre und die sie viel matronenhafter aussehen läßt, als sie es eigentlich ist. Auch ihr Kostüm im ersten Akt ist nicht das kleidsamste, da hatte Ursula Patzak es mit den anderen Damen besser gemeint. Vokal liegt der Sängerin die leidgeprüfte Maddalena der späteren Akte besser als die übermütige des ersten Akts, im zweiten kommm der dunkel getönte Sopran zu schönem Fluss, La Mamma morta wird in wunderschöner mezza voce begonnen, läßt den Sopran herrlich aufblühen aus dunkler Verschattung heraus. Einen robusten Bariton hat Luca Salsi für den Gérard, den er von Anfang an zum Dauerforte zwingt, allzu grobschlächtig klingt Nemico della Patria, am besten gelingt die Ansprache an das spendeunlustige Volk. Gar nichts Aristokratisches an sich hat die Contessa von Mariana Pentcheva, typgerecht ihre Szene eindrücklich nutzend ist die Bersi von Annalisa Stroppa, verquollen klingt Costantino Finucci als Fléville, gar nicht hinfällig Judit Kutasi als Madelon, samtig-schwarze Farben hat Gabriele Sagona für den treuen Roucher, und Francesco Verna als Mathieu besitzt den Bariton, den man sich für einen Gérard gewünscht hätte. Schon scheußlich-schrecklicher   als Carlo Bosi ihnzu singen und zu spielen vermag, hat man den Incredibile erlebt.

Chor und Orchester der Scala, letzteres unter Riccardo Chailly, erfüllen alle Erwartungen, die man an eine Inaugurazione hat, aufs Schönste.

Gemeinhin endet die Oper mit der Abfahrt des Liebespaares auf dem Karren zum Schafott. In der Scala ist in den letzten drei Akten die Guillotine allgegenwärtig, werden abgeschlagene Köpfe über die Szene getragen und der letzte Blick fällt auf den Henker, der das Paar an seinem Mordinstrument empfängt. Mario Martone ist ein in Italien bekannter Regisseur, Margherita Palli, die für die Szene zuständig ist, schon beinahe legendär als Ausstatterin. Beide verhalten sich sehr respektvoll gegenüber dem Werk, die Regie duldet sogar Opernstandardgesten wie bei Nemico della Patria. Irritierend sind die Verzerrspiegel im Hintergrund, das zeitweilige Erstarren des Ensembles, die Video-Regie von Patrizia Carmine macht durch Perspektivenwechsel auf sich aufmerksam, man guckt auch mal aus Himmelshöhen auf das Bühnengeschehen herab. Insgesamt kann man zufrieden, aber nicht glücklich sein mit dieser Aufnahme.

Major 757308

Ingrid Wanja, 7.5.2021

   

 

OEHMS CLASSICS 202   Best.Nr.: 0C 980    3 CDs

trailer

Der 18.8.1912 war ein großer Tag für das Opernhaus Frankfurt am Main: Mit enormem Erfolg wurde an diesem Abend Franz Schrekers fulminante Oper Der ferne Klang aus der Taufe gehoben. In den kommenden Jahren trat die Oper einen enormen Siegeszug durch die verschiedenen Opernhäuser an. Diese Erfolgsgeschichte sollte aber vorerst nur bis in das Jahr 1933 dauern, als die braunen Machthaber die Musik des jüdischen Komponisten Schreker als verfemt deklarierten und kurzerhand auf den Index der in Deutschland verbotenen Werke setzte. In den letzten Jahrzehnten gab es indes erneut einige beachtliche Neuproduktionen des Werkes, dessen Ruhm von neuem stark anstieg. Im April 1919 kehrte Schrekers Oper schließlich an den Ort seiner Uraufführung Frankfurt am Main zurück: Die Premiere fand bei Publikum und Kritik eine begeisterte Aufnahme und zeugte von dem enormen Können des Komponisten.

Gerne denkt man an diese hervorragende Aufführung zurück. Damiano Michieletto war eine grandiose Inszenierung gelungen, die jedem Geschmack etwas zu bieten hatte. Er hatte das Ganze geschickt modernisiert und in ein Altersheim verlegt. In diesem Ambiente kam es in oft recht surrealistischer Weise zu beeindruckenden Verzahnungen von Wirklichkeit und Traumwelt. Den beiden Protagonisten Grete und Fritz stellte der Regisseur zwei gealterte Alger Egos zur Seite. An dieser Stelle soll nicht auf alle Einzelheiten der damaligen Inszenierung eingegangen werden. Gesagt werden soll und muss indes, dass wir es hier mit einer phantastischen Produktion zu tun hatten, die hoffentlich in absehbarer Zeit einmal auf DVD veröffentlicht wird. Bis dahin muss man mit der soeben bei dem mit der Oper Frankfurt seit geraumer Zeit zusammenarbeitenden Label OEHMS CLASSICS erschienenen CD des Fernen Klangs Vorlieb nehmen. Um es vorwegzunehmen: Die Anschaffung lohnt sich, denn es handelt sich dabei um eine beachtliche Angelegenheit.

Das beginnt schon bei dem Dirigat von GMD Sebastian Weigle. Zusammen mit dem gut disponierten Frankfurter Opern- und Museumsorchester taucht er tief in Schrekers phänomenale spätromantische Klangwogen ein und erzeugt einen intensiven, von enormer Glut und Leidenschaft geprägten Klangteppich, der sich zudem durch ansprechende Differenzierungen und Nuancen auszeichnet. Vielfältige, trefflich durchgehaltene Spannungsbögen und markante Akzente tun ein Übriges, das Klangbild abwechslungsreich und interessant zu gestalten.

Auch mit den Sängern kann man insgesamt zufrieden sein. Die Grete ist bei der mit gut fokussiertem Sopran voll und rund sowie sehr intensiv singenden Jennifer Holloway in besten Händen. Neben ihr überzeugt in der Rolle des Fritz der über schönes, baritonal timbriertes, weich und geschmeidig eingesetztes Tenormaterial verfügende Ian Koziara. Als Graf punktet der trefflich gestützt und profund singende Gordon Bintner in erster Linie mit der berühmten Ballade von der Glühenden Krone. Einen sauber dahinfliessenden, klangschönen Bass-Bariton bringt Dietrich Volle für die Partie des Dr. Vigelius mit. Ein angenehm intonierender Schmierenschauspieler ist Iurii Samoilov. Ordentlich klingt Magnus Baldvinsson als alter Graumann. In der kleinen Rolle von Graumanns Frau gefällt Barbara Zechmeister. Nadine Secundes altes Weib hat ihre besten Tage deutlich hinter sich. Ausgesprochen maskig und deshalb überhaupt nicht gefällig singt Theo Lebow den Chevalier. Kräftiges Bassmaterial bringt Anthony Robin Schneider für den Wirt mit. Solide, aber nicht außergewöhnlich gibt Sebastian Geyer den Rudolf. Mit voller Tenorkraft stattet Hans-Jürgen Lazar das zweifelhafte Individuum aus. Iain Macneil (Baron), Julia Dawson (Mizi), Bianca Andrew (Milli, Kellnerin), Julia Moorman (Mary), Kelsey Lauritano (Spanierin) und Anatolii Suprun (Polizeimann, Diener)runden das homogene Ensemble zufriedenstellend ab. Auf hohem Niveau präsentiert sich der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt.

Ludwig Steinbach, 29.4.2021

 

Anmerkung

 

Es ist kaum zu glauben, aber anscheinend wahr: Es gibt keine einzige DVD von dieser phantastischen Oper. Es wäre also eine Großtat der Frankfurter Oper diese Aufnahme, die man ja in HD mitgeschnitten hat, wie alles in den letzten Jahren endlich nicht nur als CD, sondern auch als Bild-Silberscheibe herauszubringen. Vielleicht auch eine Sache für den Förderverein der Opern. Bei dieser Tradition eigentlich ein MUSS.                                                         P.B. 1.5.2021

 

 

 

 

DYNAMIC 2021             Best.Nr.: 37897                2 DVDs

In den Jahren 2010 bis 2013 wurde an der Oper Sofia ein neuer Ring des Nibelungen geschmiedet. Dieses Ereignis geriet damals zu einer kleinen Sensation: Es war das erste Mal, dass Wagners Ring nicht nur in Bulgarien, sondern auf dem Balkan überhaupt in Szene gesetzt wurde. Das Publikum war begeistert und auch die Presse sparte nicht mit Lob. Es hat 11 Jahre gedauert, bis sich das Label DYNAMIC entschlossen hat, die Mitschnitte dieses Rings nun einem interessierten Publikum auf DVD zugänglich zu machen. Innerhalb der nächsten Monate werden nacheinander die vier Opern auf DVD erscheinen. Den Beginn machte jetzt das Rheingold in der Inszenierung von Plamen Kartaloff und dem Bühnenbild und den Kostümen Nikolay Panayotovs.

Liebhaber des modernen Musiktheaters werden hier wenig auf ihre Kosten kommen. Die zugegebenermaßen recht flüssige Personenregie ist ausgesprochen konventionell. Ein übergeordnetes geistiges Konzept ist an keiner Stelle erkennbar. Dem neugierigen Intellekt wird wenig geboten, was schade ist. Dennoch hat diese Produktion durchaus ihre Meriten. Sie wird stark von abstrakten und Designer-Elementen sowie von phantastischen Kostümen geprägt, was durchaus gefällig ist. Das Auge wird hier schon verwöhnt. Erinnerungen an den Bayreuther Ring von rosalie und Alfred Kirchner aus den 1990er Jahren drängen sich auf. Wem rosalies Arbeit damals gefallen hat, dem wird auch Kartaloffs Rheingold zusagen. Sehr ansprechend ist auch die ständige blaue Ausleuchtung des Ganzen. Hier haben wir es gleichsam mit einer optischen Symphonie in blau zu tun.

Hauptbestandteil des Bühnenbildes ist ein riesiger blauer Ring, der sich durch alle vier Szenen des Vorabends zieht. In den Tiefen des Rheins erblickt man ein Trampolin, auf dem die Rheintöchter eifrig herumtollen, hüpfen sowie Saltos und Purzelbäume schlagen. Alberich kommt unter dem Ring hervorgekrochen. Das Rheingold stellt der Regisseur als vom Schnürboden herabschwebender Trichter dar. Sieben Zylinder symbolisieren die Zinnen von Walhall. Fasolt und Fafner tragen Riesenpuppen auf dem Rücken und fahren auf einer Baggerschaufel herein. Loge erscheint in einer Flugmaschine. Seine Brille verleiht ihm einen intellektuellen Anstrich. In dem Flugobjekt entschweben Loge und Wotan am Ende der zweiten Szene nach Nibelheim, das von eisernen Türmen und durchlässigen Röhren dominiert wird. Der Hort, den die in weiße Schutzanzüge gekleideten Nibelungen auf die Bühne bringen, besteht aus stählernen Ringen. Alberichs Verwandlungen sind recht traditionell gelöst. Der Wurm wird mit Hilfe einer Projektion erzeugt, die Kröte ist konventionell dargestellt. Im vierten Bild wird Alberich in einer Plastikfolie gefangen gehalten. Zudem haben ihm die Götter ein Netz über den Kopf gestülpt. Die Erscheinung Erdas wird mit filmischen Mitteln auf den Hintergrund geworfen. Zu seinem großen Gedanken erhebt Wotan ein Schwert. Dem Klavierauszug zum Rheingold kann man entnehmen, dass das schon im Jahre 1876 in Bayreuth so gemacht wurde. Hier haben wir es mit einem sehr betagten Regieeinfall zu tun, der indes gut zu dem in der Musik erklingenden Schwertmotiv passt. Am Ende erscheinen noch einmal die Rheintöchter, während Loge in seiner Flugmaschine davonschwebt. Angesichts dieser Produktion wird nun so mancher ältere Opernliebhaber sicherlich in Nostalgie verfallen. Meinetwegen. Ich bevorzuge zwar einen etwas moderneren Inszenierungsstil, indes habe ich schon schlechtere Rheingold-Inszenierungen gesehen.

Auf ausgesprochen hohem Niveau bewegen sich die gesanglichen Leistungen. Das Opernhaus in Sofia verfügt über ausgezeichnete Sänger, das muss man sagen. Dieses Rheingold ist sorgfältiger besetzt als man es bei Aufführungen im deutschsprachigen Raum gewohnt ist. Es wird durchweg vorbildlich im Körper gesungen, was wahrlich eine Seltenheit ist und allein schon das Anschaffen der DVD lohnt. Wotan ist bei dem sonor und ausdrucksstark singenden Nikolay Petrov in bewährten Händen. Einen klangvollen und voluminösen Bassbariton bringt Biser Georgiev für den Alberich mit. Als Loge gefällt der voll und rund singende Daniel Ostretsov. Noch besser klingt der kraftvoll und imposant intonierende Mime Krasimir Dinevs. Auf seinen Mime im Siegfried kann man sich schon freuen. Einen mächtig ausladenden Mezzosopran bringt Rumyana Petrova in die Rolle der Fricka ein. Veselina Vasileva ist eine imposant singende Freia mit ansprechender Höhe. Der Mezzosopran von Blagovesta Mekki ist zwar trefflich fokussiert, indes fehlt der Sängerin für die Erda etwas vokale Stamina. Mit klangvollem und elegant dahinfliessendem Bass macht Stefan Vladimirov die Liebe Fasolts zu Freia glaubhaft. Ebenfalls hervorragend schneidet der markant singende Fafner von Petar Buchkov ab. Von Krastan Krastanovs geradlinigem Donner und dem vollstimmigen Froh Miroslav Andreevs hätte man gerne mehr gehört. Einen homogenen Gesamtklang bilden Irina Zhekova, Dorotea Doroteeva und Tsveta Sarambelieva als die Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Floßhilde. Erwähnenswert ist zudem, dass sich die Sänger das Deutsche insgesamt gut zu eigen gemacht haben. Ihre Aussprache ist bis auf einige vernachlässigbare Ausnahmen recht gut. Sie müssen einen ausgezeichneten Deutsch-Coast gehabt haben.

Man kann es trefflich nachvollziehen, dass Pavel Baleff nach der Premiere des Rheingold vor elf Jahren zum Dirigenten des Jahres gekürt wurde. Zusammen mit dem gut gelaunt aufspielenden Orchester der Oper Sofia erzeugt er in ausgewogenen Tempi einen kompakten, handfesten Klangteppich, der sich außerdem durch große Spannung, feurigen Elan und prägnante Akzente auszeichnet.

Ludwig Steinbach, 15.4.2021

 

 

NAXOS             Best.Nr.: 2.110670           1 DVD

Um es vorwegzunehmen: Die jetzt bei dem Label Naxos erschienene DVD von Leoncavallos Pagliacci und Mascagnis Cavalleria Rusticana ist in hohem Maße empfehlenswert. An diesem im September 2019 an der Dutch National Opera Amsterdam entstandenen Live-Mitschnitt hat man seine helle Freude. Das Niveau ist in jeder Beziehung ausgesprochen hoch. Hier lohnt sich der Kauf wirklich, das Geld ist gut angelegt!

Schon die szenische Seite der Aufführung begeistert. Wieder einmal tritt Robert Carsen den Beweis an, dass er zu den besten Vertretern der Regiezunft gehört. Seine Deutung der beiden Verismo-Opern ist modern, stimmig und trotz des zeitgenössischen Ambientes sehr stückgerecht. Zusammen mit Bühnenbildner Radu Boruzescu und Annemarie Woods (Kostüme) dreht Carsen die Reihenfolge um, präsentiert Pagliacci vor Cavalleria Rusticana, verzahnt beide Werke geschickt miteinander und siedelt sie in der Welt des Theaters an. Schon dieses Grundkonzept geht voll auf und ist sehr überzeugend. Auch sonst lässt Carsens spannende, klug durchdachte und von einer stringenten Personenregie geprägte Inszenierung keine Wünsche offen. Das ist wahrlich erstklassiges Musiktheater!

Wenn sich in Pagliacci der Vorhang des Amsterdamer Opernhauses öffnet, erblickt man auf der Bühne einen gleichartigen roten Vorhang. Hier haben wir es mit einem Theater auf dem Theater zu tun. Dieses auf Bertolt Brecht zurückgehende Prinzip ist zwar nicht mehr neu, aber immer wieder effektiv. Tonio tritt als Prolog in gutbürgerlicher Kleidung, die er auch am Ende wieder trägt, vor den Vorhang. Die Protagonisten sind Opernsänger, die hier mal eben in die Maske von Komödianten geschlüpft sind. Sie erfreuen sich der Gunst des zu Beginn und im Schlussakt im Zuschauerraum platzierten Publikums des Theaters auf dem Theater - auch hier lässt Brecht grüßen -, das vom Chor verkörpert wird. Diese treue Fangemeinde ist ihren Sängern/innen aufs herzlichste zugetan. Nedda gibt einigen weiblichen Anhängern bereitwillig Autogramme. Wenn man die Komödianten in ihren Rollen sieht, spielt sich die Handlung vor dem roten Vorhang des Theaters auf dem Theater ab. Wenn sie privat werden, dreht sich der Vorhang und es kommt die Hinterbühne zum Vorschein. In diesem Ambiente werden Liebe, Leidenschaft und Eifersucht von Carsen perfekt herausgearbeitet.

Die bereits erwähnte Verzahnung zwischen den beiden Opern funktioniert folgendermaßen: Am Ende von Pagliacci sind Nedda und Silvio von Canio ermordet worden. Zu Beginn von Cavalleria Rusticana sieht man sie tot auf dem Boden liegen. Betroffen blicken die Choristen auf die beiden Leichen herab. Nun ist das Spiel aus. Nedda und Silvio stehen auf und verlassen munter miteinander plaudernd die Bühne. Es war eben alles nur Theater. Hier wird deutlich, dass Carsen gekonnt mit Sein und Schein des Theaters spielt. Auch diese Idee des Regisseurs vermag so vollständig zu überzeugen wie das Folgende. Standen in Pagliacci die Solosänger/innen im Zentrum des Geschehens, so widmet sich Carsen in Cavalleria Rusticana nun dem Chor als Hauptdarsteller. Zu Beginn bereiten sich die Chorsänger/innen auf eine Probe vor und ziehen sich um. Bevor man mit der Arbeit beginnt, wird noch ausgelassen Alfios Geburtstag gefeiert. Nach getaner Arbeit wird ebenfalls kräftig gefeiert, wobei Turiddu ausgelassen sein Trinklied zum Besten gibt. Turiddu, Alfio und Lola sind Chorsänger. Santuzza sucht unter den Choristen eifrig nach ihrem ehemaligen Liebhaber Turiddu. Schließlich fragt sie die Chorleiterin, ob sie wisse, wo er sei. Diese verneint. Mama Lucia fungiert als Vorsteherin der Notenabteilung, die nach erfolgter Chorprobe die Noten wieder einsammelt. Auch hier beleuchtet Carsen einfühlsam die vielfältigen tragischen Verflechtungen von Liebe, Eifersucht und Tod. Zum Schluss versammelt sich der Chor vor einem im Hintergrund aufragenden riesigen Spiegel. Dann fällt der Hauptvorhang und man erblickt ein weiteres großes Spiegelglas. Carsen hält dem Publikum den sprichwörtlichen Spiegel vor und zeigt ihm gekonnt die verheerenden Folgen auf, wohin die Hauptaspekte beider Werke, Eifersucht und Ehebruch, führen können.

Mit den Sängern/innen kann man fast durchweg voll zufrieden sein. Einziger Sänger, der in beiden Opern auftritt, ist Roman Burdenko, weswegen er hier gleichsam vor die Klammer gezogen wird. Sowohl der Tonio in Pagliacci als auch der Alfio in Cavalleria Rusticana werden von ihm mit bestens italienisch fokussiertem Bariton kraftvoll, höhensicher und mit einer unglaublichen dramatischen Intensität gesungen. In Pagliacci begeistern neben ihm in erster Linie der viril und äußerst intensiv singende Brandon Jovanovich als Canio sowie die einen bestens verankerten, farbenreichen und abwechslungsreich eingesetzten Sopran in die Partie der Nedda einbringende Ailyn Pérez. Gut gefällt auch der vorbildlich tief gestützt, ausgesprochen feinfühlig und lyrisch intonierende Silvio von Mattia Olivieri. Demgegenüber fällt der dünn und überhaupt nicht im Körper singende Peppe von Marco Ciaponi deutlich ab. In Cavalleria Rusticana ist an erster Stelle Brian Jagde zu nennen, der sich mit seinem kräftigen, erstklassig geschulten italienischen Heldentenor als erste Wahl für den Turiddu erweist. Neben ihm gefällt in der Rolle der Santuzza mit ausdrucksstarkem, ebenmäßig geführtem Mezzosopran Anita Rachvelishvili. Erstaunlich ist, über welche enormen Stimmreserven die nicht mehr junge Elena Zilio, die die Mutter Lucia eindrucksvoll bewältigt, noch verfügt. An Rihab Chaiebs voll und rund singender Lola ist ebenfalls nichts auszusetzen. Imposant präsentiert sich in beiden Opern der von Ching-Lien Wu hervorragend einstudierte Chor der Dutch National Opera Amsterdam. Ein Sonderlob ist dem Kinderchor auszusprechen.

Eine großartige Leistung erbringt am Pult Lorenzo Viotti, der zusammen mit dem bestens disponierten Netherlands Philharmonic Orchestra einen geradezu berauschenden Klangteppich erzeugt. Mit enormem Können entfalten Dirigent und Musiker hier eine veristische Klangpracht, die ihresgleichen sucht. Die Strukturen der beiden Partituren werden von Viotti gut herausgearbeitet und in einen großangelegten musikalischen Zusammenhang gestellt. Insgesamt ist sein ansprechendes Dirigat äußerst fulminant und emotional, dabei aber auch recht nuancenreich, woraus ein sehr differenziertes Klangbild resultiert.

Ludwig Steinbach, 11.4.2021

 

 

 

Capriccio 2021            Best.Nr.: C5382                             2 CDs

Der jüngst vom Label Capriccio auf CD veröffentlichten Aufnahme von Erwin Schulhoffs auf einem Libretto von Karel Josef Benes - die deutsche Übersetzung stammt von Max Brod - beruhender einziger abendfüllender Oper Flammen liegt eine Produktion des Theaters an der Wien vom August 2006 zugrunde. 17 Jahre hat es gedauert, bis sich endlich ein Label dazu entschlossen hat, den Live-Mitschnitt dieses durchaus beachtlichen Werkes auf Tonträger herauszubringen. Die musikalische Ausbeute ist nicht zu verachten und zeugt von den hohen Qualitäten ihres Schöpfers.

Erwin Schulhoff (1894 – 1942) ist nur einer von zahlreichen Komponisten, deren Schaffen im Dritten Reich von den Nationalsozialisten verfemt, als entartete Musik bezeichnet und schlussendlich verboten wurde. Dieses Schicksal hat Schulhoff mit vielen anderen Tonsetzern geteilt, deren oft ausgesprochen ansprechenden Werke von den bornierten braunen Machthabern kurzerhand auf den Index gesetzt wurden. Auch Schulhoff konnte sich den Auswirkungen der politischen Entwicklung nicht entziehen. Nach der Besetzung Tschechiens, wo er mit seiner Familie lebte, durch die deutsche Wehrmacht im März 1939 plante er die Emigration in die Sowjetunion, deren Staatsbürgerschaft er besaß. Zu einer Flucht des Komponisten kam es jedoch nicht mehr. Er wurde von den Nazis im Juni 1941 verhaftet und in das deutsche Konzentrationslager Wülzburg gebracht, wo er am 18. August 1942 im Alter von nur 48 Jahren an Unterernährung und Tuberkulose starb. Nach seinem Tod geriet sein Schaffen über Jahrzehnte hinweg in Vergessenheit

Erst in den 1990er Jahren kam es zu einer Renaissance der Musik von Schulhoff, darunter auch die Flammen. Und das ist äußerst verdienstvoll, denn diese Oper kann sich durchaus sehen lassen. Ihr Ausgangspunkt ist der Don-Juan-Stoff, der vielfach in der Literatur- und Musikgeschichte Verarbeitung fand. Berühmt geworden ist in erster Linie Mozarts Deutung des Stoffes unter dem italienischen Titel Don Giovanni. Sicher ist die Oper von Mozart die berühmtere, aber auch Schulhoffs Bearbeitung des Stoffes kann sich sehen lassen. Sein Zugang zu dem Stück ist ein gänzlich anderer als der von Mozart, dennoch kann man die Flammen als eine Art verfremdete Hommage an Mozarts Werk bezeichnen (vgl. Booklet). Dem Booklet lässt sich auch die Grundkonzeption seiner Schöpfer entnehmen: Die Grundidee in Benes und Schulhoffs Werk ist nicht die Darstellung des schillernden Frauenverführers, sondern das Schicksal des von seinen Wünschen und Bedürfnissen Getriebenen, der nie auch nur annähernd sein Glück und seinen Frieden in der Beständigkeit zu finden vermag. Dramaturgisch essentiell ist die Gegenüberstellung von Leben und Tod. Dem die Flammen des Lebens symbolisierenden Don Juan steht der Tod bzw. die Frauenfigur La Morte gegenüber, die für die Flammen des Todes steht. Dieses Gegensatzpaar zieht sich unwiderstehlich an, kann aber nie zusammenfinden. Don Juan, der La Morte in Liebe verfallen ist, sehnt sich nach dem Tod, der ihm aber verwehrt bleibt. Seine Versuche, die Todesfrau zu verführen, scheitern. Am Ende steht erneut die Szene des Anfangs. Hier haben wir es mit einem Kreislauf zu tun, der ständig von neuem beginnt und den Protagonisten nicht freigibt. Das Ganze wird von sechs Schatten kommentiert: Sechs Frauenstimmen, die die Funktion eines antiken griechischen Chores einnehmen. Im Gegensatz zu Mozarts Don Giovanni sind die Flammen nicht aus einem linearen Handlungsfaden aufgebaut, sondern bestehen aus einer losen Abfolge von Szenen. Daraus ergibt sich ein sequenzartiger Charakter des Ganzen.

Schulhoff hat eine eindringliche Musik geschrieben. Insgesamt ist seine Oper stark der Prager Schule als Gegensatz zur Wiener Schule verpflichtet. Das Stück enthält keine Ohrwürmer, ist aber doch recht angenehm anzuhören. Seine spätromantische Tonsprache wird von einer erweiterten Tonalität geprägt und kann den Einfluss eines Max Reger nicht verleugnen. Ein prägnanter Rhythmus, Einflüsse des Jazz und expressionistische Anklänge sind weitere Merkmale von Schulhoffs Musik, die bei Bertrand de Billy und dem versiert aufspielenden ORF Vienna Radio Symphony Orchestra in besten Händen ist. Die vielfältigen Strukturen der Musik werden vom Dirigenten trefflich herausgearbeitet. Emotional dargebotenen lyrischen Passagen, die fast kammermusikalisch anmuten, korrespondieren enorm wuchtige, dramatische Phrasen, woraus ein differenzierter, ansprechender Klangteppich resultiert.

Größtenteils zufrieden sein kann man mit den gesanglichen Leistungen. Einzige Ausnahme bildet leider Raymond Very, der der Rolle des Don Juan mit seinem flachen, überhaupt nicht im Körper sitzenden und etwas kehlig klingenden Tenor in keinster Weise gerecht wird. Da ist ihm Iris Vermillion, die die La Morte mit sauber fokussiertem, klangvollem und intensivem Mezzosopran tadellos singt, haushoch überleben. Gut gefällt auch Stephanie Friede, die für die Partien der Frau, der Nonne, der Margarethe und der Donna Anna einen gut verankerten, farbenreichen Sopran mitbringt. Ebenfalls gut gefällt der markante Bariton von Salvador Fernández-Castro in der Rolle des Komthurs, der hier nicht der Vater, sondern der Ehemann von Donna Anna ist. Nichts auszusetzen gibt es an den tiefgründig intonierenden Frauenschatten von Gabriela Bone, Nina Bernsteiner, Anna Peshes, Christa Ratzenböck, Hermine Haselböck und Elisabeth Wolfbauer. Nicht außergewöhnlich, indes solide geben Karl-Michael Ebner, Andreas Jankowitsch und Markus Raab die Commedia-dell-Arte-Figuren Pulcinella, Pantalone und Harlekin. Eine gefällige Leistung erbringt der von Erwin Ortner trefflich einstudierte Arnold Schoenberg Chor. Als Jazzband fungieren Mitglieder des Orchesters der Vereinigten Bühnen Wien.

Ludwig Steinbach, 9.4.2021

 

 

NAXOS Best.Nr.: 8.669022-24  3 CDS

Gerne denkt man an die Stuttgarter Produktion von John Adams‘ 1987 an der Houston Grand Opera erfolgreich aus der Taufe gehobener Oper Nixon in China aus dem Jahr 2019 zurück. Das war eine ganz bemerkenswerte Aufführung, die hoffentlich in absehbarer Zeit auch einmal auf DVD veröffentlich werden wird. Sehr erfreulich ist es, dass dieses Werk bei dem Label NAXOS auf CD erhältlich ist. Hier haben wir es mit einer ausgesprochen modernen, sogar historischen Oper zu tun. Auf den ersten Blick könnte man auf den Gedanken kommen, dass die Nachrichten bei diesem Stück in die Oper gehen, denn hier haben wir es mit einem ausgesprochen interessanten Stück ehemaliger Tagespolitik zu tun. In diesem beachtlichen Werk geht es um den ersten Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten Nixon in der Volksrepublik China im Februar 1972. Im Zentrum der Handlung steht dabei die Medienwirksamkeit von Nixons Staatsbesuch in China. Erwähnenswert ist zudem, dass Nixon mit diesem Besuch China die westliche Welt erschlossen hat - ein Fakt, der auch für seine Wiederwahl essentiell gewesen sein dürfte. In Nixons Reise nach Peking liegt eine Wurzel dessen, wie heute Politik gemacht wird. Librettistin Alice Goodman kam es darauf an, eine große heroische Oper zu schreiben. Sämtliche Figuren sind darauf bedacht, sich als Helden zu gerieren. Nachhaltig stellt Nixon in China die Frage, wer die Helden des 20. Jahrhunderts sind und was sie ausmacht. Der ganze Staatsbesuch Nixons ist eine einzige, groß angelegte Heldenkonstruktion.

John Adams‘ Musik ist recht beeindruckend. In erster Linie setzt der Komponist hier auf Minimal-Music. Indes bringt er auch andere Faktoren ins Spiel, wie beispielweise das Musical. Eine Stelle gemahnt stark an Leonard Bernsteins West Side Story. Traditionelle Oper lässt Adams ebenfalls in sein Werk mit einfließen. So vernimmt man einmal Jochanaan-Musik aus Richard Strauss‘ Salome. Anklänge an Wagner und Schönberg werden ebenfalls deutlich. Jazz-Elementen wird in gleicher Weise gehuldigt. Daraus resultiert ein sehr ansprechendes Klanggemisch, das durchaus zu gefallen vermag und bei Marin Alsop und dem bestens disponierten Colorado Symphony Orchestra in den besten Händen ist. Dirigentin und Orchester legen sich mächtig ins Zeug und erzeugen einen markanten, sehr intensiven und durchsichtigen Klangteppich mit einem Maximum an Ausdrucksstärke. Herrlich muten im dritten Akt die zahlreichen Streicherkantilenen an und auch die Zitate aus der Musikgeschichte hat Frau Alsop trefflich herausgestellt.

Zum größten Teil zufrieden sein kann man auch mit den Sängern/innen. Die einzige Ausnahme bildet leider der Sänger des Nixon: Robert Orth singt den amerikanischen Präsidenten mit stark in der Maske sitzendem und recht trocken klingendem Bariton. Insgesamt scheint er mehr auf den Tönen zu sprechen als zu singen. Seine Kollegen/innen sind ihm da weit überlegen. Ein Hochgenuss ist es, Marc Heller zuzuhören, der einen ungemein klangvollen, baritonal timbrierten, strahlkräftigen und bestens italienisch geschulten Tenor in die Rolle des Mao Tse-tung einbringt. Dass er manchmal in die Fistelstimme geht, was eigentlich nicht sein sollte, dürfte den Anweisungen des Komponisten in der Partitur geschuldet sein. Mit hervorragend fokussiertem, warmem und tiefgründigem Sopranklang stattet Maria Kanyova die Pat Nixon aus. Tracy Dahl bewältigt mit tadellos verankertem, gut ansprechendem Sopran die hohe Tessitura der Chiang Ch’ing (Madame Mao Tse-tung) hervorragend. Recht sonor und geschmeidig klingt der Chou En-lai von Chen-Ye Yuan. Ebenfalls einen trefflichen Eindruck hinterlässt Thomas Hammons‘ voll und rund klingender Bass als Henry Kissinger. Melissa Malde, Julie Simson und Jennifer DeDominici in den Partien der drei Sekretärinnen bilden einen homogenen Gesamtklang. Prächtig klingt der von Douglas Kinney Frost einstudierte Opera Colorado Chorus.

Ludwig Steinbach, 26.3.2021

 

Gleich dreimal Topp: Sänger, Bühne, Regie

Naxos/Opus Arte, ROH London, 2004 / 2021, 2 DVD/Blu-ray

Eigentlich müsste bei dieser Einspielung Gounods Oper „Mephisto“ heißen, denn Erwin Schrott dominiert die ganze Aufnahme nicht nur stimmlich mit unermüdlichem Bassbariton, sondern auch darstellerisch als charismatisch böswitziger Teufel, der trotz seiner diabolischen Macht auch noch Charme ausstrahlt und fast sympathisch wirkt. Im Vergleich zur ersten Einspielung dieser Inszenierung aus dem Jahre 2004 ist er der große Gewinn. Zumal Bryn Terfel mich schon damals als unappetitlicher Rasputinverschnitt gar nicht überzeugte. Irina Lungu nützt ihre Chance als Einspringerin für die ursprünglich vorgesehene und an der Bandscheibe (?) erkrankte Diana Damrau voll aus und ist alles andere als nur ein Ersatz. Denn sie brilliert nicht nur schönstimmig in der vertrackten Juwelenarie mit ihren klaren Koloraturen, sondern erfüllt die schwere Rolle auch noch mit Gefühlswärme und flexibler Leidenschaft! Sehr sensibel singt Michael Fabiano seinen Faust, der bei ihm der introvertierte Gelehrtentyp bleibt, ungeschickt in der Liebe und im Leben und sich sogar noch weltfremd entsetzt, was er da angerichtet hat. Sein Hohes C im „Salut demeure chaste et pure“ ist gekonnt im hauchzarten Falsett angelegt. So gibt er ihm viel mehr eindrucksvolle Tiefe, als wenn er es, wie fast alle Angebertenöre, zur Hochtonprotzerei missbrauchen würde. Auch Stephane Degout ist als Valentin ein Charakter und nicht nur der Herr Kammersänger, der mit einem Ohrwurm angibt. Seine Todesszene geht in ihrer dumm-sturen Moralverkündung ohne Liebe  wirklich unter die Haut, zumal auch noch vorbildlich gesungen wird. Dan Ettinger sorgt am Pult für neue Klangeindrücke und permanenten Drive, den die ja manchmal zu Langatmigkeit neigende Oper schon dringend nötig hat.

Die Krone aber verdient hier mal ausnahmsweise die Regie von David McVicar und die überwältigende Bühnenarchitektur des fast genialen Charles Edward! Endlich mal eine Inszenierung bei der mitreißendes Theater statt verstiegener Regiekonzepte geboten wird! Und mögen kopflastige Feuilletonisten noch so sehr die Nase rümpfen, die weltweit über die Kinoaufführungen ein Millionenpublikum für die wunderschöne Welt der Oper begeisterte.

Von den 8 „Faust-DVDs“ die ich kenne, ist diese für mich die Interessanteste. Vor allem toppt sie mühelos die beiden Regie - Langweiler aus Salzburg und New York. Und das trotz der großartigen Sänger dieser Aufnahmen.

Peter Klier, 24.3.2021

 

 

 

Es ist wahrlich eine interessante CD, die von dem Label ORFEO jetzt auf den Markt gebracht wurde: Beethovens Leonore in einer Liveaufnahme aus dem Musikverein Wien vom 14.12.1970. Dem versierten Musikkenner ist es bekannt, dass Beethovens großartige Oper Fidelio unter diesem Titel im Jahre 1805 aus der Taufe gehoben wurde. Kein Geheimnis ist es auch, dass der Fidelio das Schmerzenskind seines Schöpfers war. Der Erfolg wollte sich erst bei der dritten Fassung von 1814 einstellen. Dabei handelt es sich bei der im Jahre 1805 uraufgeführten Leonore um eine recht beachtliche Angelegenheit. Man lauscht der CD mit großem Interesse, denn die musikalische Ausbeute ist auch hier enorm. Es klingt vieles altbekannt, und ist doch so neu. Gegenüber der gängigen Fidelio-Fassung aus dem Jahr 1814 fallen bei der Leonore zahlreiche Kürzungen, Erweiterungen und Umstellungen auf. Hier haben wir es zuerst einmal mit drei Akten zu tun. Die ersten beiden Akte der Leonore wurden von Beethoven später beim Fidelio zu einem Akt zusammengefasst. Die Arie Marzellines O wär ich schon mit dir vereint wird an den Anfang verlegt. Das Duett Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein zwischen Jaquino und Marzelline erklingt an zweiter Stelle. Anschließend ertönt das von Beethoven später gestrichene Terzett Ein Mann ist bald genommen zwischen Rocco, Marzelline und Jaquino, das durchaus seine Qualitäten hat. Das in der Version von 1814 Leonores Arie Komm, o Hoffnung vorangestellte Rezitativ Abscheulicher, wo eilst du hin? Ist bei der Leonore durch ein anderes ersetzt worden: Ach, brich noch nicht, du mattes Herz!, das ebenfalls recht beachtlicher Natur ist. Ebenfalls gut gefällt das Liebesduett Um in der Ehe froh zu leben zwischen Leonore und Marzelline, bei dem Beethoven später leider ebenfalls den Rotstift ansetzte. Der Schluss des zweiten Finales - bei Fidelio das Finale des ersten Aktes - ist 1805 noch anders gestaltet als 1814. Hier findet eine markant gestaltete Szene zwischen Pizarro und den Wachen statt. Gänzlich anders komponiert ist die Arie des Florestan Gott! Welch Dunkel hier! zu Beginn des zweiten Aktes. Der schnelle, äußerst schwierig zu singende Poco-Allegro-Teil fehlt bei der Leonore völlig. Das Duett zwischen Leonore und Florestan O namenlose Freude hat hier mit dem Rezitativ Ich kann mich noch nicht fassen eine lange Einleitung. Auch Don Fernandos Musik klingt anders als man es vom Fidelio her im Ohr hat.

Es erstaunt ein wenig, warum der Leonore im Jahre 1805 so wenig Erfolg beschieden war. Ein Grund dafür war sicherlich politischer Natur: Die Bedrohung Wiens durch Napoleon dürfte die Hauptursache dafür gewesen sein, dass die Musikwelt die Leonore damals nicht in dem Maße wahrnahm wie sie es eigentlich verdient hätte. Die kompetente musikalische Führungsspitze war damals bereits aus Wien geflohen. Ein weiterer Vorwurf ging dahin, dass das Werk mit seinen ursprünglich drei Akten - das wurde oben bereits erwähnt - zu lang war. Dieser Vorwurf dürfte indes haltlos sein. Die CD geht knapp unter 2.5 Stunden, was eine völlig normale Zeit für einen Opernabend ist. Daraus folgt, dass das Werk durchaus seine Meriten hat, die es verdienen, wahrgenommen zu werden. Sicher ist: Bei der Leonore handelt es sich um eine lebensfähige Angelegenheit.

Die gesanglichen Leistungen auf der CD sind teils gut, teils weniger gut. An erster Stelle ist Gwyneth Jones zu nennen, die sich als Idealbesetzung für die Leonore erweist. Mit bestens fokussierter Sopranstimme meistert sie jede Klippe dieser heiklen Partie mit Bravour. Hochdramatische Attacke steht ihr in gleichem Maße zur Verfügung wie lyrische Innigkeit, was eine sehr differenzierte Gesamtleistung ergibt. Meisterhaftes, imposantes und gut verankertes Heldentenormaterial bringt James King für den Florestan mit. Weniger überzeugend ist in der Partie des Don Pizarro Theo Adam, dessen Bass-Bariton ausgesprochen maskig klingt. Wunderbar italienisch geschult klingt der sonore, ausdrucksstarke dunkle Bass von Gerd Nienstedts Rocco. Ausgesprochen dünnes Sopranmaterial bringt Rotraud Hansmann in die Rolle der Marzelline ein. Da schneidet der Jaquino von Werner Hollweg schon besser ab. Aber auch von ihm hätte man sich etwas mehr Körperstütze seines an sich nicht unangenehm klingenden Tenors gewünscht. Ein solider Don Fernando ist Eberhard Waechter. Mit nicht allzu großem, indes solide gestütztem Tenor singt Alfred Winkler den ersten Gefangenen. Tiefgründiger klingt Ladislav Illavsky als zweiter Gefangener. Mächtig legen sich die bestens einstudierten Chöre ins Zeug.

Eine imposante Leistung erbringen Carl Melles und das gut aufgelegte ORF Vienna Radio Symphony Orchestra. Mit Pathos hat die Auffassung des Dirigenten nichts zu tun. Er dirigiert das Ganze recht geradlinig in ausgewogenen Tempi. Vor allem im ersten Akt geht er recht lyrisch ans Werk. Wo es geboten ist, kann er aber auch ausgesprochen dramatisch werden. Da dreht er den Orchesterapparat schon mal ganz schön auf. Insgesamt ist sein Dirigat recht abwechslungsreich.

Ludwig Steinbach, 18.3.2021

 

 

Mascagnis "Iris" - Endlich auch auf CD

Eigentlich hätten bereits ihre Vorgänger verdient, was nun der vorerst letzten der Aufführungen der Berliner Operngruppe beschieden ist: die Verewigung auf zwei CDs mit Mascagnis Iris. Gern hätte man die Entwicklung des Orchesters nachverfolgt, das Felix Krieger gegründet und auf- und ausgebaut hat, und die vom kleinen Orchester mit teilweise Laien-, teilweise Berufsmusikern, von Belcanto- und frühen Verdiopern und damit vor allem auf eine Begleiterfunktion beschränkt, zu einem vollwertigen Klangkörper aus freischaffenden Berufsmusikern reicht, die den hoch anspruchsvollen Orchesterpart des Verismo und Symbolismus beherrschen. Nun liegt also der vorläufige Höhepunkt der künstlerischen Arbeit der Operngruppe in einem Doppelalbum mit informationsreichem Booklet mit einführendem Artikel, zweisprachigem Libretto und Künstlerbiographien vor, dazu reich bebildert mit Fotos von japanischen Figurinen und Landschaften.

Iris war die erste italienische Oper im japanischen Milieu, wie es sich die Europäer um die Jahrhundertwende vorstellten. Butterfly folgte erst später, wird als Figur oft als Nachfolgerin von Iris gesehen, obwohl Welten die beiden voneinander trennen. Es handelt sich bei der Ihren um eine Phantasiewelt, in der die Sonne, die als machtvoller Chor persönlich auftritt, und viele bunte Blumen die Welt der Kindfrau Iris und ihres blinden Vater darstellen, aus der sie brutal durch das Begehren eines Reichen, der sich der Unterstützung eines Bordellbesitzers  bedient, herausgerissen wird. Als sie dem Werben des Kidnappers nicht nachgibt, verliert dieser sein Interesse an ihr, überlässt sie dem Bordellbesitzer als Werbeobjekt. Ihr Vater verflucht Iris, nachdem er sie in dieser Funktion ausfindig gemacht hat, sie stürzt sich in einen Abgrund und wird sterbend von Lumpensammlern ihrer goldenen Kleider beraubt. Ihre geliebten Blumen und der Gesang der Sonne begleiten Iris in den Tod, und auch die  aus der Ferne an ihr Ohr klingenden Bekenntnisse der drei Männer, die für ihr Schicksal verantwortlich sind, führen ins Metaphysische.

Das einst erfolgreiche Werk ist inzwischen ein fast unbekanntes, nur die Serenade „Apri la tua finestra“, wegen der hohen Tessitura so bang gefürchtet wie wegen ihres Effekts von Tenören heiß geliebt, und der Gesang der Sonne als gewaltiger Chor sind ab und zu zu hören.

De Partitur stellt beachtliche Anforderungen an Gesangssolisten wie Orchester, ist von großer chromatischer und harmonischer Raffiniertheit, die von den Instrumentalisten voll ausgekostet wird, eingeschlossen des ihr innewohnenden „tocco di manierismo“. Das Orchester zeichnet den Wechsel von der Nacht zum Tag gleich zu Beginn des Stücks bruchlos aus dem akustischen Dunkel aufbrechend und in ein immer reicher und raffinierter werdendes Farbspektrum nach, in nahtloser Steigerung und schönem An- und Abschwellen des Klangs sich entfaltend. Wunderbar werden im Verlauf der Oper die wechselnden Stimmungen erfasst, besonders das Vorspiel zu Iris‘ Arie im zweiten Akt, ihrer Vision vom Himmel, ist von großer atmosphärischer Dichte. Nicht makellos, aber mit überwältigendem Einsatz bringt der von Steffen Schubert einstudierte Chor aus Laien und Berufssängern die Hymne der Sonne, Gänsehaut beim Zuhörer erzeugend, zu Gehör.

Wie immer und bereits von Anfang an mit Francesco Ellero d‘Artegna auf vorzügliche Besetzungen bedacht und damit erfolgreich, hatte Felix Krieger für ein angemessenes Sängerensemble gesorgt. Bereits in ihrer Auftrittsarie lässt Karine Babajanyan einen leicht ansprechenden Sopran mit farbenreicher mezza voce hören, der auch im Forte weich bleibt und dessen Vibrato sie auch in der großen Arie im 2. Akt gut unter Kontrolle behält. Die Farben ihres Soprans harmonieren mit denen des Orchesters. In der kleinen Rolle der Geisha / Dhia lässt Nina Clausen eine kristallklare Stimme vernehmen.  Mit viel tenoralem Enthusiasmus geht Samuele Simoncini die Partie des Osaka an, sein Tenor ist weitaus schöner als der Charakter seiner Figur, er weiß echtes Gefühl und hymnischen Elan ebenso zum Ausdruck zu bringen wie die fahle Rechtfertigung seines Egoismus‘ in „Così la vita. Addio!“ Einen durchaus auch für Verdi einsetzbaren Bariton hat Ernesto Petti für den Kyoto, die Stimme kann einfach schön oder auch verschwörerisch –verrucht wie im Duett mit Osaka im 2. Akt oder im „Mi comprendi“ klingen. Tadellos und ausdrucksstark gibt David Oštrek den Cieco, angenehm klingt der Tenor von Andres Moreno Garcia für den Lumpensammler.

Für den September plant die Berliner Operngruppe ihren nächsten Auftritt. Das Werk steht noch nicht fest, unbestreitbar  aber ist die Sehnsucht ihres Publikums nach der Entdeckung weiterer interessanter italienischer Opern und möglichst auch ihrer Aufzeichnung zum nachfolgenden häuslichen Genuss.

Oehms classics 991, 2 CDs

Ingrid Wanja

 


Bei dem Label Opus Arte ist vor einiger Zeit ein in Glyndebourne entstandener Live-Mitschnitt von Samuel Barbers im Jahre 1958 an der New Yorker Metropolitan Opera aus der Taufe gehobener Oper Vanessa auf DVD erschienen. Aufgenommen wurde eine Aufführung vom 14.8.2018. Hierbei handelt es sich um eine echte Rarität! Die Handlung lehnt sich spürbar an Brittens The Turn oft he Screw an, weist aber auch deutliche Parallelen zu Strauss‘ Rosenkavalier und Janaceks Katja Kabanova auf. Daraus ergibt sich ein dramatisch imposantes Gemisch, das sehr gefällig ist und von Gian Carlo Menotti in ein prägnantes Libretto gekleidet wurde.

In einer Zeit, in der sich ein Hans Werner Henze bereits einen Namen gemacht hatte, mag Barbers Tonsprache eher etwas altmodisch anmuten. Bei der damaligen Presse hatte die Vanessa aus diesem Grunde keinen sonderlichen Erfolg. Das Publikum dagegen war von dem Werk begeistert. In die Zeit eines Schreker und eines Zemlinsky zurückgehend weist sie viele Elemente auf, die sich in das Gedächtnis einprägen und sicher auch Gegnern der modernen Oper zu gefallen vermögen. Der spätromantische Klangteppich ist von großer Schönheit. Anklänge an Richard Strauss sind ebenso spürbar wie Bezüge zu Puccini. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man sagen, dass dieses Werk ungefähr in den 1920er Jahren entstanden sei. Das ist schon eine Musik, die man voll genießen kann. Hier huldigt Barber in hohem Maße der Spätromantik, die auch in so mancher heutiger Oper wieder spürbar wird. Das ist gewiss kein Fehler. Der Eindruck ist enorm, was sicher auch an dem fulminanten Dirigat von Jakub Hrusa liegt. Die spätromantischen Aspekte der Partitur werden vom Dirigenten und dem prächtig aufspielenden London Philharmonic Orchestra aufs Beste ausgekostet. Hrusas Herangehensweise an das Stück ist von großer Intensität und einem ausgeprägten Gespür für Farben geprägt. Die Linienführung der Instrumente ist hervorragend. Auch die dramatischen Akzente werden eindringlich herausgearbeitet.

Bei seiner gelungenen Regiearbeit hat sich Keith Warner von dem Film Noir leiten lassen. Zusammen mit seinem Ausstatter Ashley Martin-Davis macht er deutlich, dass diese Geschichte auch von Hitchcock stammen könnte. Oftmals werden filmische Projektionen eingesetzt. Das ist schon einmal ein gutes Grundkonzept. Das Regieteam lässt das Ganze in einem spätviktorianischen Ambiente spielen, das von imposanten Sofas und einer im zweiten Akt sichtbar werdenden Wendeltreppe bestimmt wird. Geprägt wird das Bühnenbild ferner von zwei riesigen drehbaren und bespielbaren Spiegeln, die als Reflektionsfläche für die unterschiedlichen seelischen Befindlichkeiten, Wünsche und Sehnsüchte, der beteiligten Personen fungieren und manchmal auch einen Blick in die Vergangenheit gewähren. So wird man bereits zu Beginn Zeuge von Vanessas Geburt. Derart ist zu konstatieren, dass die Titelfigur stark auf vergangene Zeiten fixiert ist. Auch diese Idee Warners kann sich sehen lassen. Ebenfalls einprägsam ist seine starke psychologische Personenführung. In der Zeit, in der die Psychoanalyse aufkam, ist es nur zu berechtigt, Bezüge zu Sigmund Freud herzustellen. Und das tut der Regisseur mit großer Akribie. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden einfühlsam ausgelotet. Am Ende tritt Erika in die Fußstapfen ihrer Tante Vanessa und nimmt ganz deren Rolle ein. Das Spiel kann von vorne beginnen. Mit diesem Gemisch von konventionellen und modernen psychologischen Aspekten ist Warner eine insgesamt überzeugende Gratwanderung gelungen, der man einiges abgewinnen kann.

Bei den gesanglichen Leistungen haben die Damen die Nase vorne. Sowohl darstellerisch wie auch stimmlich geht Emma Bell ganz in der Rolle der Vanessa auf. Sie verfügt über einen angenehmen, gut sitzenden und ausdrucksstarken Sopran, mit dem sie jede Facette der Titelfigur abwechslungsreich und differenziert auszudeuten vermag. Übertroffen wird sie von Virginie Verrez, die einen wunderbaren, bestens italienisch geschulten, glutvollen und nuancenreichen Mezzosopran für die Erika mitbringt, der sie auch schauspielerisch mit eindringlichem Spiel ein vielschichtiges Gepräge gibt. Immer noch über beachtliche vokale Reserven verfügt die darstellerisch etwas undurchschaubare Old Baroness von Rosalind Plowright. Zu wünschen übrig lässt Edgaras Montvidas, der dem Charmeur Anatol rein schauspielerisch zwar gut gerecht wird, stimmlich aber mit seinem flachen, überhaupt nicht im Körper sitzenden Tenor in keiner Weise zu gefallen vermag. Mit hervorragender italienischer Technik, recht sonorer und geradliniger Baritonstimme singt Donnie Ray Albert den Old Doctor. Von William Thomas (Nicholas) und Romanas Kudriasovas (Footman) weist der Bariton eine besser fundierte Stimme als der Tenor auf. Grundsolide schlägt sich der von Nicholas Jenkins einstudierte Glyndebourne Chorus.

Fazit: Eine DVD, die musikalisch prachtvoll ist, szenisch für jeden Geschmack etwas bereit hält und schon aufgrund des absoluten Raritätencharakters des Werkes durchaus zu empfehlen ist.

Ludwig Steinbach, 5.2.2021

Sonstige Aufnahmen dieser tollen Oper

 

 

 

Wieder eine tolle Aufnahme bei NAXOS

NAXOS  Best.Nr.: 2.110663 1 DVD

Live von der Oper Rom kommt ein Video-Mitschnitt von Sergey Prokovievs phänomenaler Oper The fiery Angel (Der feurige Engel). Aufgezeichnet wurde eine Aufführung vom 23.5.2019. Prokoviev hatte bereits im Jahre 1919 die Komposition des von ihm selbst verfassten Librettos aufgenommen, die er indes erst 1925 vollenden konnte. Zu seinen Lebzeiten war es dem 1953 verstorbenen Komponisten nicht mehr vergönnt, seine Schöpfung auf der Bühne zu erleben. Das Werk kam vollständig erst viel später zur Aufführung, setzte sich aber schnell durch. Heute gilt diese Oper als Prokovievs Hauptwerk - und das zu Recht, denn hier haben wir es mit einem gewaltigen Stück zu tun.

Mit dieser DVD wäre Prokoviev sicher in hohem Maße zufrieden gewesen. Das Niveau der aufgezeichneten Produktion ist hoch. Das beginnt schon bei der Inszenierung von Emma Dante in dem Bühnenbild von Carmine Maringola und den Kostümen von Vanessa Sannino. Das Regieteam siedelt die Handlung in einem konventionellen Rahmen an. Im Gegensatz zu vielen anderen traditionellen Regisseuren/innen wartet Frau Dante mit einer überaus gelungenen Regiearbeit auf. Sie inszeniert nicht nur gleichsam mit dem Reclamheft in der Hand brav am Stück entlang, sondern hat sich durchaus eigene gute, tiefschürfende Gedanken zu dem Feurigen Engel gemacht, die sehr überzeugen. Darüber hinaus versteht sie sich trefflich auf Personenregie, die spannend und stringent ausfällt.

Die Regisseurin sieht die Oper als eine explosive Mischung aus fantastischem Realismus und endlosem Durcheinander von Alpträumen, Wahnsinn, sexuellen Impulsen und kulturellen Zusammenstößen. Der geistige Gehalt ihrer Ideen ist nicht zu verachten. Den von einem Break-Dancer dargestellten feurigen Engel versteht sie als Projektion, der eine gute und eine böse Seite in sich trägt. Beide Aspekte existieren nebeneinander in einer überzeugenden Koexistenz und sind gleichermaßen darauf bedacht, Renata nachhaltig zu manipulieren. Diese leidet unter einer ausgeprägten Schizophrenie, deren Ursache ihre geistigen Sehnsüchte sind und die manchmal in surrealen Dialogen münden. Sie liebt die Musik, liest Noten und spielt Geige. Die Befindlichkeiten Renatas und des Soldaten Ruprecht werden von Emma Dante hervorragend herausgearbeitet. Ihre Arbeit geht manchmal stark unter die Haut. Dazu tragen auch die gelungenen Bühnenbilder bei. Das Wirtshaus des ersten Aktes verlegt das Regieteam in gotische Katakomben mit lebendigen Körpern. Der zweite Akt wird von einem gewaltigen Bücherhaufen geprägt, der Renatas übersteigertes Interesse an verbotenen magischen Inhalten symbolisiert. Agrippa von Nettesheim seziert Leichen, darunter auch ein Baby. An die Stelle von Heinrichs Kölner Haus treten zwei Blöcke von übereinander gelagerten romanischen Rundbögen. In der Wirtshausszene des vierten Aktes sind diese zu einem einzigen Bogen zusammengeschoben. Der fünfte Akt, in dem Renata Opfer der Inquisition wird, spielt wieder in den Katakomben. Geprägt wird dieses eindringliche Bild von einer Frau, die statt Jesus am Kreuz hängt. In dieser Inszenierung wird Renata nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dennoch erleidet sie ein Martyrium. Letztlich gelingt es ihr, sich von dem feurigen Engel zu befreien. Sich erstechend opfert sie sich selbst und wird zur Ikone - ein eindrucksvolles Bild! Insgesamt kann man die Inszenierung als rundum gelungen bezeichnen.

Auch die gesanglichen Leistungen bewegen sich insgesamt auf hohem Niveau. Ewa Vesin vermag mit gut sitzendem, markant und ausdrucksstark klingendem Sopran die hysterische Seite der Renata gut zu vermitteln. Neben ihr bewährt sich mit ebenfalls gut verankertem Bariton Leigh Melrose in der Rolle des Ruprecht. Übertroffen wird er von seinem Stimmfachkollegen Andrii Ganchuk, der eine prächtige, überaus klangvolle und bestens italienisch fokussierte Baritonstimme für den Faust und den Diener mitbringt. In jeder Lage voll und rund singt Sergey Radchenko den Agrippa von Nettesheim. Maxim Paster gibt mit baritonal anmutendem Tenor einen trefflich charakteristischen Mephistopheles. Einen volltönenden, sonoren Bass bringt Goran Juric für den Inquisitor mit. Als Wirtin gefällt mit profundem Mezzosopran Anna Victorova. Auch Mairam Sokolova besticht mit tiefsinniger Mezzo-Stimme in der Doppelrolle von Wahrsagerin und Äbtissin. Größtenteils solide klingen die Nebenrollen. Einen guten Tag hat der Chor.

Am Pult bewährt sich Alejo Pérez, der die Strukturen von Prokovievs Musik bestens herausarbeitet und zusammen mit dem gut disponierten Orchestra del Teatro dell`Opera di Roma den Schwerpunkt auf eine prägnante Rhythmik und ausgeprägte Dramatik legt.

 

Fazit: Eine in jeder Beziehung hervorragende DVD, deren Anschaffung sehr zu empfehlen ist!

Ludwig Steinbach, 17.1.2021

 

 

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