
DÖBELN
kleine Stadt tolles Theater


Bilder (c) Mittelsächsisches Theater
DIE LUSTIGE WITWE
Premiere am 23.01.2015
Lehárs „Lustige Witwe“ in Döbeln ist sehr brav
Lieber Opernfreund-Freund,
eine Operette ist laut Definition ein musikalisches Bühnenwerk, das sich durch eher leichte, eingängige Musik, eine heitere oder sentimentale Handlung und gesprochene Dialoge zwischen den Musiknummern auszeichnet. Gestern hat am kleinen Döbelner Theater, das seit 1993 eine Theaterehe mit dem Haus in Freiberg führt, das wohl erfolgreichste Stück des wohl erfolgreichsten Konponisten des 20. Jahrhunderts in dieser Gattung Premiere: „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár. Der Gesandschaftssekretär Danilo Danilowitsch ist letzte Hoffnung der Botschafters eines fiktiven Zwergstaates namens Pontevedrino, der vom Staatsbankrott bedroht ist und dessen einzige Rettung die Landestochter Hanna Glawari ist, die durch Heirat zu Geld gekomen und mittlerweile verwitwet ist. Deren Millionen müssen unbedingt im Land gehalten und deshalb eine Heirat mit einem Ausländer verhindert werden. Danilo und Hanna kennen sich von früher, einst verhinderte die aristokratische Verwandschaft des Grafen einen glücklichen Ausgang der Verbindung zwischen den beiden. Nach zahlreichen Irrungen und Wirrungen und vielen Operettenschlagern und Ohrwürmern kommt es natürlich zum Happy End.

Das pittoreske Haus aus dem Jahr 1872 war bis auf den letzten Platz besetzt, als sich der Vorhang hob und Judica Semler, Oberspielleiterin des Musiktheaters des mittelsächsischen Theaters, 111 Jahre nach der Uraufführung ihre Lesart des Evergreens präsentieren konnte. Sie stellt Danilo in den Mittelpunkt der Handlung, präsentiert eine Figur ohne weißen Seidenschal und ganz selten mit Zylinder, die ganz in schwarz gewandet neben der übrigen, in farbenfrohe, prächtige Roben gehüllten Gesellschaft fast wie ein Totengräber wirkt (hinreißende Bühne und Kostüme von Robert Schrag). Er ist hier nicht nur der weltgewandte Lebemann, sondern eher gestrandete Gestalt, die ihr Verlangen nach Liebe und Lebensglück mit demonstrativer Vergnügngssucht zu kaschieren versucht. Ein interessanter Focus ist damit gesetzt, ansonsten allerdings ist die Inszenierung recht brav, zeigt aber durchaus Witz und Esprit.
Die Partie des Danilo wird wahlweise mit Tenor oder Bariton besetzt und für den Regieansatz scheint letzteres auch die passendere Wahl. Guido Kunze verfügt über einen eleganten Bariton und stattet deshalb die Figur des Danilo mit dem nötigen Gewicht aus. Die zum Mittanzen verlockenden Nummern gelingen ihm ebenso wie Anrührendes und so überzeugt er auch oder gerade abseits von gewohnter Heesterscher Optik und Interpretation.

Die aus Norwegen stammende Sopranistin Tonje Haugland ist in letzer Minute für den erkrankten Haussopran eingesprungen und erweist sich als Glücksgriff. Sie ist eine charismatische, gewinnende Bühnenerscheinung, bringt eine wandelbare Stimme und wunderbar lyrische Höhe mit. Ihre Hanna ist schlicht beeindruckend. Valencienne und Camille de Rossillon werden in Döbeln als stimmlicher Gegenpart gezeigt. Die beiden jungen Ensemblemitglieder Lindsay Funchal und Derek Rue begeistern mit frischem Witz und enormem Charme. Lindsay Funchal verliert auch beim ausgelassenen Cancan nicht die Kontrolle über ihren feinen, schwebenden Sopran (Choreografe: Martina Morasso und Rossitza Stojanova ), der junge Amerikaner führt seinen schlanken Tenor sicher in höchste Höhen. Sergio Raonic Lukovic hat als Botschafter Zeta nicht viel zu singen, tut dies aber mit eindrucksvollem Bassbariton und besticht vor allem durch komödiantisches Talent, zeigt das beste Gespür für Timing im kompletten Sänger-Ensemble. Besser macht das ausschließlich der einzige Nicht-Sänger des Abends, der Schauspieler Andreas Pannach , der dem „Mädchen für alles“ Njegus Profil verleiht. Unbedingt hervorzuheben ist die Leistung des jungen Baritons Nikolaus Nitzsche . Der erst 22jährige Sänger verfügt über eine enorme Bühnenpräsenz, eine beeindruckende Höhe und weckt als Vicomte Cascada Neugier auf mehr. Der leicht spröde klingende Tenor von
Jens Winkelmann in der Rolle des St. Brioche mag wohl seiner angesagten Erkältung zugeschrieben werden.

Die Ensemblemitglieder Rita Zaworka, Susanne Engelhardt, Barbora Fritsche, Dimitro John Walter Moses, Stefan Burmester und Frieder Post singen, spielen und tanzen mit ebenso großer Spielfreude wie der glänzend disponierte Opernchor (Einstudierung: Alexander Livenson).
Juheon Han, 1. Kapellmeister am Haus, führt die Protagonisten auf der Bühne gekonnt und voller Esprit durch den Abend, erzeugt mit der Mittelsächsischen Philharmonie beste Operettenlaune.
Herausgekommen ist unterm Strich ein wenig frecher, aber nichtsdestoweniger kurzweiliger und unterhaltsamer und somit repertoiretauglicher Operettenabend.
Ihr
Jochen Rüth aus Köln
24.01.2015
Die Fotos stammen von Jörg Metzner.
DON QUICHOTTE
Aufführung am 27. 12.2015
Dass dieser „Ritter von der traurigen Gestalt“in den Spielplan des Mittelsächsischen Theaters aufgenommen wurde, dürfte dem Engagement seines GMD Raoul Grüneis und dessen Affinität zum französischen Kulturkreis zu verdanken sein. Und so stand natürlich der musikalische Chef des Hauses persönlich am Pult der Mittelsächsischen Philharmonie, wo er sich inbrünstig einer Partitur widmete, deren Qualitäten, anders als bei Massenets „Manon“ oder dem „Werther“ mit ihren populär gewordenen Hits, sich nicht auf den ersten Blick offenbaren. Dieser „Quichotte“ kommt eher einer Speise für musikalische Gourmets gleich, die zwar die mit echtem Pfeffer gewürzten spanischen Anklänge nicht missen möchten, sich aber besonders an den raffiniert ausgekosteten gefühlstiefen Momenten delektieren. In dieser Beziehung bewährte sich Grüneis als fein nachschmeckender Koch, der Streicher (Pizzikatopassagen) und Holz zu betörendem Spiel animierte, andererseits bei Bedarf mit dem triumphal auftrumpfenden Blech gebührend nachwürzte. Insgesamt eine fabelhafte orchestrale Menü.

1971 leistete Götz Friedrich an Berlins Komischer Oper mit seinem Einsatz für Massenets Werk Pionierarbeit, wobei er freilich die Handlung in eine als Bordell zu verstehende Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlegte, deren Bewohner den ihnen in jeder Beziehung fremden Quichotte in den Tod hetzen. Folgerichtig erlangt der Titelheld Dulcineas angeblich entwendetes Collier auch nicht von einer letztlich bekehrten Räuberbande zurück, sondern entpuppt sich die Diebesbande als verkleidete Bordellbesucher, die im Verein mit Dulcinea den Ritter dem Spott und der Schande ausliefern. Gebrochenen Herzens stirbt der Gedemütigte auf einer Müllhalde. Diese den sozialen Konflikt krass ins Scheinwerferlicht rückende Ansatz besitzt gegenüber dem Original zweifellos einen nicht gering zu veranschlagenden Vorteil, andererseits ist die zumindest punktuell vom Librettisten Henri Cain vertretene Ansicht, dass Quichottes moralisches Ethos nur noch von Kriminellen verinnerlicht wird, gleichfalls nicht von der Hand zu weisen.

Die vom Mittelsächsischen Theater verpflichtete Regisseurin Kristina Wuss bekennt sich zum Original , vertraut der Übersetzung Ernst Huldschinskys, erzählt die Geschichte geradlinig und schnörkellos. Lediglich einige überbordender Phantasie entsprungene Details (Garcias Verwandlung in einen abgestürzten Piloten, die zu Kohlköpfen mutierenden Perlen des Colliers) wären vermeidbar gewesen. Tilo Staudtes lokale Döbelner und Freiberger Bezüge geschickt einbeziehende Gesamtausstattung leistete dem Anliegen der Regie vorzügliche Dienste, wozu auch ein Teil der eingesetzten Videos (Kampf mit den Windmühlenflügeln) beitrug.
In der Schaljapin-Rolle des Quichotte präsentierte Sergio Raonic Lukovic einen eher stämmigen als hageren Titelhelden, dem man seine idealistische Haltung und die bedingungslose Liebe zu Dulcinea ohne Abstriche glaubte. Dabei gewinnt er seinem etwas spröden, im Forte gut behausten Bass auch manch geglückte Pianostelle ab und überzeugt in dem berührenden winterlichen Finale, wenn er sich, der Erscheinung Dulcineas folgend, zur Sancho Pansa zugesagten „Insel der Träume“ begibt. Diese Dulcinea war Barbora Fritscher, die ihren Hang, ab einer gewissen Höhe vorrangig auf’s Forte zu setzen, in der Zwischenzeit minimiert hat und mit etlichen klangschönen Passagen gefiel.

Darstellerisch vermied sie kurtisanenhafte Anklänge, konzentrierte sich vielmehr auf ein ebenso leichtfertiges wie oberflächliches Geschöpf. Als Sancho Pansa vermied Martin Gäbler aufgesetzt buffohaftes Posieren, gab den einfachen Mann aus dem Volke mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, der gegen Ende des 4. Aktes bei dem Lobpreis auf seinen Herrn zu starker gesanglicher Form auflief. Klar voneinander abgestuft, ergänzten Susanne Engelhardt, Lindsay Funchal, Derek Rueund Jens Winkelmann (Dulcineas Kavaliere) das Ensemble.
Die von Alexander Livenson einstudierten Chöre müssten stimmlich gelegentlich dezenter agieren und noch an ihrer Textverständlichkeit arbeiten. Dass nach dem ersten Vorhang das Saallicht anging und damit den verdienten Beifall abdrosselte, war das einzige Ärgernis dieser Aufführung.
Joachim Weise 29.12.15
Mit besonderen Dank an MERKER-online (Wien)
Bilder (c) Mittelsächsisches Theater