Aarhus, Musikhuset:
PROKOFIEV, BRAHMS
30.09.2021
Einen passenderen Titel für dieses Konzert als "Supernova i det grønne" hätte das Aarhus Symfoni Orkester kaum wählen können. Denn tatsächlich leuchtet Prokofievs für den Solisten so unsagbar schwierig zu spielendes Werk wie eine alles und jeden mitreissende Explosion am Firmament auf - und bildet damit einen spannenden Kontrast zur Sinfonie von Brahms, die mit dem Alphornthema, dem Chora, dem Liedhaftenl und der Kontemplation der Natur einen Weg vom Dunkel ins Licht beschreitet. Andris Poga und das Aarhus Symfoni Orkester zeichneten diesen (manchmal durchaus mit Gegenkräften ringenden) Weg, den Brahms hier beschritt, mit kräftigen Pinselstrichen im farbenreichem Spiel. Exzellent spielten die Blechbläser, sublim das Holz, satt die Streicher.
Doch das Ereignis des Abends fand vor der Pause statt.
Bezhod Abduraimovs Interpretation von Prokofievs 2. Klavierkonzert riss vom Stuhl, 35 Minuten Hochspannung, ohne jegliche Möglichkeit, das Ohr etwas ruhen zu lassen. Dieses Klavierkonzert gehört zu den allerschwierigsten des Repertoires und kommt auch deshalb nicht gerade oft zur Aufführung, zumal einige Starpianisten die Hände davon lassen. So etwa Martha Argerich (die sehr wohl gerne und oft Prokofievs 3. Klavierkonzert spielt). Auch Prokofiev selbst, der zweifelsohne einer der besten Klaviervirtuosen des 20. Jahrhunderts war, geriet während eines Konzerts unter der Leitung von Ernest Ansermet in den 30 Jahren in Bedrouille. Prokofiev hatte, nachdem seine Noten in den Wirren der russischen Revolution verbrannt waren, das Konzert für eine Aufführung in Paris rekonstruiert und es sowohl bei der Uraufführung in Russland als auch während seiner Zeit im Westen mehrmals aufgeführt. Bezhod Abduraimov warf sich mit vollem Elan in die verzwacktesten Passagen, trumpfte mit kraftvollen Akkorden, ja geradezu Kaskaden von Akkorden, liess die Glissandi sprühen, die Hände und Finger sprangen mit unermüdlicher Geläufigkeit und Präzision über die Tasten, die komplexe Rhythmik stimmte in perfekter Synchronität mit dem Orchester. Die fünfminütige Kadenz spielte Abduraimov mit fesselnder Stringenz, liess den Zuhörer die technischen Schwierigkeiten vergessen. Es ist ja ein Konzert ohne jegliche Ruhepunkte, der Pianist ist ständig aufs Äusserste gefordert. Nach der kurzen Andantino-Einleitung schlägt die Musik nur noch schnelle Tempi an, kein einziger langsamer Satz ist in dem viersätzigen Stück enthalten, nach dem tumultuosa Finale des ersten folgt ein diabolisches Scherzo mit zehn Noten pro Sekunde, die der Virtuose am Klavier zu spielen hat. Auch danach keine Entspannung, denn das Intermezzo baut wuchtige Höhepunkte auf, ein Klimax folgt dem nächsten. Tiraden im fortissimo leiten den Finalsatz ein, ein wuchtiges Tempestoso, nur kurz unterbrochen durch ein Schlaflied-Thema, bevor ein langes Diminuendo zur letzten Explosion der wilden Reprise führt, das Publikum regelrecht von den Stühlen riss. Eine Standing Ovation für die Ausführenden. Doch selbst nach diesem gewaltigen Kraftakt hatte der Solist noch die Energie, um das Publikum mit einer beruhigenden Zugabe in die Pause zu entlassen: Chopins Prélude op.28 Nr.4, bekannt geworden auch durch das Chanson Jane B. des Komponisten Serge Gainsbourg für Jane Birkin. Eine wunderbare Wahl!
Fazit: Prokofievs 2. Klavierkonzert gehört nun definitiv zu meinen persönlichen Favoriten dieses Genres. Danke an das Aarhus Symfoni Orkester und vor allem an Bezhod Abduraimov!
Kaspar Sannemann, 16.10.3032
Applausbild vom Autor
DEN JYSKE OPERA
(Jütländische Oper)
jyske-opera.dk/
DON QUICHOTTE
17.8.2014 (Premiere)
Witzige und schmissige Inszenierung. Sehenswert!
Von den rund 25 Opern des großen französischen Meisters der Spätromantik, Jules Massenet (1842-1912), wurden gerade einmal drei an der Wiener Staatsoper (Manon, Wérthèr und Hérodiade) und eine im Rahmen des Klangbogen-Festivals 1999 (Marie Magdeleine) im ODEON in der Taborstraße 10 im 2. Wiener Gemeindebezirk in den letzten zwei Jahrzehnten gezeigt. Vergeblich wartet man hierzulande (noch) auf eine szenische Thaïs, Esclarmonde, Cendrillon, einen Cid oder Jongleur de Notre-Dame, oder eben auf Massenets spätes Meisterwerk, die cómedie-héroique in fünf Akten „Don Quichotte“. Den rigiden Regeln der Pariser Opéra Comique zufolge sollten in jener Zeit gesprochene Dialoge zwischen den einzelnen Musiknummern liegen. Massenet durchbrach dieses beengende Korsett dadurch, dass er die Textpassagen zu Orchesterbegleitung sprechen ließ, wodurch der musikalische Fluss nicht unterbrochen wurde.
James Johnson (Don Quichotte); Olafur Sigurdarson (Sancho Pansa)
Die Uraufführung fand im Februar 1910 in Monte Carlo statt und kein geringerer als der große russische Bassist Fjodor Iwanowitsch Schaljapin verkörperte die Titelrolle. Obwohl dieser Oper sogleich ein großer Siegeszug von Paris nach Brüssel und bis nach Moskau beschieden war, wird sie heute relativ selten aufgeführt und das hängt wohl auch mit den enormen gesanglichen Anforderungen an den Sänger der Titelpartie zusammen.
Den Jyske Opera Aarhus unter seiner umtriebigen Direktorin und Regisseurin Annilese Miskimmon gelang mit diesem Don Quichotte eine äußerst sehenswerte und vom Publikum heftig akklamierte Produktion, die bei ihr nicht in Spanien, sondern viel mehr im Italien der Nachkriegszeit, die Erinnerungen an jene schillernde Welt der Cinecittà wachruft, angesiedelt ist. Gleichsam als Memento zieht sich ein immer wieder kehrendes Element wie ein roter Faden durch diese Inszenierung: Es ist ein Knabe, der ein kleines Holzpferd auf Rädern über die Bühne zieht. Und man muss nicht Siegmund Freud gelesen haben, um zu verstehen, dass es der junge Quichotte ist, der davon träumt, später einmal ein Ritter zu werden…
Aileen Itani (Garcias); Viktoria Vizin (Dulcinea); Christian Damsgaard (Juan); Katazyna Mizerny (Pedro)
Eine weiß getünchte Wand mit einem Torbogen begrenzt das Bühnenbild des ersten Aktes. Vier Verehrer Dulcinées singen ihr ein Ständchen. Dulcinea erklärt ihnen, dass es ihr nicht genügt, bewundert zu werden und zieht sich wieder zurück, bevor eine lärmende und johlende Volksmenge das Nahen des Ritters von der traurigen Gestalt ankündigt. Don Quichotte wird nun auf einem riesigen Holzpferd auf Rädern thronend von seinem treuen Diener Sanchó Pansa auf den Platz vor Dulcineas Haus gezogen. Während der Ritter seiner angebeteten Dulcinée eine Serenade darbringt, wird er von einem ihrer Verehrer, Juan, gestört und es kommt zum Zweikampf, den Dulcinea aber durch ihren Auftritt beenden kann. Sie wünscht sich von Don Quichotte, er möge ihr jenes Perlencollier wieder erstatten, welches ihr der Räuberhauptmann Ténébrun geraubt hat.
Zum Gaudium des Publikums tritt nun Sancho Pansa mit einem lauten Rülpser auf und hadert über die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens („Comment peut-on penser du bien de ces coquines?“), während Don Quichotte ein Liebesgedicht verfasst. Und unweigerlich kamen dem Rezensenten jene Martin Luther unterstellten Worte „Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmacket?“ in den Sinn. Und „geschmacket“ hat diese klug durchdachte und witzige Inszenierung wohl jedermann und jederfrau im Auditorium. Schon der nun folgende Kampf des Ritters mit den Windmühlen gestaltete sich als ein bedrohliches Schattenspiel und schließlich wurde gar eines von drei Mühlrädern vom Schnürboden herabgelassen und Don Quichotte schickte sich an, dieses anzugreifen. Vorhang.
Den Jyske Operas Kor
Don Quichotte wird von den Räubern gefangen genommen. Diese bemitleiden ihn und er erhält das Perlencollier wieder erstattet und segnet zum Abschied die Bande.Im vierten Akt findet ein großes Fest vor dem Hause Dulcineas statt und das gesamte Ensemble tanzt zur schmissigen Musik ausgelassen Twist - und überraschender Weise eignete sich Massenets Musik dafür an dieser Stelle vorzüglich.
Im fünften Akt gelang der Regisseurin dann eine wunderbare Apotheose. Dem sterbenden Ritter erscheint noch einmal Dulcinea in einem strahlend weißen Kleid und dieses Mal mit einem richtigen Dressurpferd, das eine Levade vollführt. Natürlich kann man diesem Schlussbild auch Kitsch unterstellen und es ist insofern nichts neues, als Pferde schon häufig in Operninszenierungen Verwendung fanden. Dennoch: der Reiz dieses Schlusstableaus ließ das Sterben des Ritters von der traurigen Gestalt versöhnlich ausklingen. Bravo!
Olafur Sigurdarson (Sancho Pansa); James Johnson (Don Quichotte)
James Johnson gab einen respektablen Titelhelden Don Quichotte, wenngleich er nicht über jene stimmlichen Qualitäten eines Nikolai Ghiaurov oder José van Dam verfügte. Aber er berührte durch seine vollkommene Durchdringung der Rolle und bemitleidenswerten Erscheinung, die ihm das Herz Dulcineas und des Publikums an diesem Abend sicherte. Die Ungarin Viktoria Vizin, auf den großen Bühnen der Welt zu Hause, brillierte als äußerst charmante und kokette Dulcinea mit strahlendem Mezzosopran und perlenden Koloraturen. Ihre Arien bildeten zweifelsfrei den gesanglichen Höhepunkt an diesem Abend, besonders jene Canzone im vierten Akt („Ne pensons qu’au plaisir d’aimer“), bei der sie von einem Gitarristen (Kristian Lager) begleitet wird. Der isländische Bariton Olafur Sigurdarson war ein stimmlich ebenbürtiger Sancho Pansa mit einem ausgeprägten komischen Talent und einem satten, warmen Timbre.
Stimmlich wie darstellerisch ausgewogen war das übrige Ensemble. Erik Bekker Hansen und Robert Bøgelund Vinther als zwei Freunde Dulcineas und die vier Liebhaber Dulcineas: Der dänische Tenor Christian Damsgaard als Juan, die polnische Sopranistin Katarzyna Mizerny als Pedro, die US-amerikanische Sopranistin Aileen Itani als Garcias und der dänische Tenor Jens Christian Tvilum als Rodriguez. Der dänische Bass Jens Bové gab einen behäbigen Räuberhauptmann Ténébrun, unterstützt von seiner Bande bestehend aus Morten Hesteng Byrialsen, John Dempsey, Tue de Stordeur und Morten Wang. Der stumme Knabe, Abbild des jungen Ritters, war Lukas Valantiejus Gottholt Hansen.
Olafur Sigurdarson (Sancho Pansa)
Dem Aarhus Symphonieorchester unter Jérôme Pillement gelang eine prächtige Interpretation der von Leitmotiven durchzogenen und vom italienischen Verismo beeinflussten farbenreichen lyrischen Musik Massenets. Der Chor, der in dieser Inszenierung nicht als Gruppe, sondern als einzelne individuell geführte Personen agierte, wurde von Kaare Hansen sehr gut einstudiert.
Die gesamte stimmige Ausstattung steuerte Nicky Shaw bei. Mark Jonathan tauchte die einzelnen Szenen noch in sanfte Lichtstimmungen ein.
Nach der Vorstellung verbeugten sich zunächst das Dressurpferd mit seinem Trainer und dann das übrige Ensemble. Es gab Ovationen für alle Mitwirkenden und viele Bravorufe. Die Direktorin und Regisseurin kann auf diesen gelungenen Premierenabend zu Recht stolz sein.
Harald Lacina, 21.8.2014 Fotocredits: Kaare Viemose