Palma de Mallorca
IL TROVATORE
Teatre Principal 26. und 28.5. (Premiere und erste Reprise)
In Palma wurde 1667 ein Opernhaus gegründet, dem nach verschiedenen Ereignissen 1854 ein neu erbautes Gebäude in der bekannten Hufeisenform folgte, das auf der Saaldecke eine Darstellung des Helios von Felix Cogé zeigte. 1858 brannte das Haus nach einer Vorstellung von „Macbeth“ ab und wurde schon 1860 genauso wieder aufgebaut. Seit 1868 trägt es seinen heutigen Namen und wurde in den Jahren 2002-2007 renoviert, wobei die Technik erneuert wurde und die Bühnenhöhe von 14 auf 23 Meter stieg. Im Ganzen bietet das Haus in seiner 35. Opernsaison 803 Plätze.

Bei der Premiere dieser Produktion, für die Marta Eguilior (Regie und Bühne), Jesús Ruiz (Kostüme), David Bernués (Licht und Videos) sowie Inma Sàenz (Choreographie) verantwortlich zeichneten, war mein erster Gedanke, das Regietheater habe nun auch in der spanischen Provinz Einzug gehalten. Die aus Bilbao stammende Regisseurin, bisher in San Sebastian, Santander, Merida oder Jerez de la Frontera tätig, zeigte dem Publikum von Palma ihre auf den ersten Blick modernistisch wirkende Auffassung von Verdis glutvollem Werk. Bei der ersten Reprise wurde mir bewusst, dass es sich optisch um ein Mäntelchen handelt, etwa mit Leuchtstoffröhren, die der Chor bei Azucenas Ergreifung von einer Hand zur anderen führt, damit sich „etwas tut“. Die einen Kreis formenden Röhren dienten auch als Gefängnis von Manrico und Azucena im letzten Bild. Waffen (und auch Manricos Laute) bestanden aus Plexiglas. Viele „Einfälle“ ließen darauf schließen, dass die Dame entweder den Text nicht kennt oder bewusst ausblendet: Mehr als einmal wendet sich Graf Luna z.B. an Bedienstete (wie im 7. Bild, wenn er Manricos Freilassung befiehlt), von denen keine Spur zu sehen ist. Weitere Absurditäten sind, dass sich Leonora wie zur Priesterweihe flach auf den Boden legen muss, obwohl Manrico schon aufgetreten ist, um zu verhindern, dass sie ins Kloster geht. Als Erklärung war zu hören, dass sie sich schon im Himmel wähnt, während ihr Geliebter sie unter den Nonnen sucht. Das klingt gar nicht so unsinnig, aber woran es hapert, ist die szenische Umsetzung. Auch das Zigeunerbild wirkt zunächst zumindest interessant, wenn der Chor durchaus unheimliche Insignien auf der Brust trägt und denen der toskanischen Büffelhirten ähnelnde Hüte. Wenn dann aber unter der Maske eines Ziegenbocks Azucena erscheint, ist der ganze Eindruck von Heidentum und Aberglauben beim Teufel. Unterstrichen wird das noch von einem Tänzerquartett (drei Damen, ein Herr) in Tangas (eine der Szenen, die mich zunächst an Regietheater denken ließen).

Dazu gehört allerdings auch die zweite Szene des ersten Akts, wo Leonora und Inés sich auf einem “mordsmäßig großen”, kreisrunden Bett befinden, auf dem sie sich nach Leonoras Arie eine Polsterschlacht (!) liefern und auf welchem Luna dann über die durchaus willige Leonora herfällt - kein Wunder, dass diese vom plötzlich auftauchenden Manrico des Betrugs beschuldigt wird. Der Sopranistin wird überhaupt viel zugemutet: Während der bekannt schwierigen Arie im 4. Akt “D'amor sull'ali rosee” muss sie eine Reihe auf dem Boden stehender Friedhofskerzen anzünden anstatt sich auf ihren Gesang konzentrieren zu können. Zu erwähnen ist noch, dass bei Ferrandos Erzählung eine Art weißer Friedenstauben in Projektion über die Bühne fliegen, während Ferrando und der Chor doch von erschröcklichen Vögeln berichten, aber auch, dass Leonora während Manricos “Di quella pira” vor einer Madonna kniet, die lebendig wird und sich in Schmerzen windet. Kurz sei noch erwähnt, dass Azucenas Kind während ihrer Erzählung im 3. Bild von den Tänzern wie eine Pietà gehalten wird - der kleine Interpret war mindestens 6 Jahre alt. Konnte man den so einfach ins Feuer werfen (ich habe bei dieser Erzählung immer an ein Kleinkind gedacht)?
Schlimm ist das Ergebnis auch aus dem Blickwinkel der Probenzeit: Fünf Wochen fast ausschließlicher Bühnenproben (für die aus Jerez importierte Produktion!), deren Ergebnis darin besteht, dass die Sänger das opernübliche Bewegungsrepertoire zeigen und der Chor herumsteht. Ein spanischer Kollege, der meine Meinung teilte, hat beschlossen, keine weiteren Worte über die Inszenierung als solche zu verlieren. Ich weiß nicht, ob ich zu sehr ins Detail gegangen bin, aber ich denke, dass Musiktheater als (hier leider nicht gegebene) Einheit gesehen werden sollte.

Doch endlich zum musikalischen Teil: Das Orquestra Simfònica de les Illes Balears konnte seine Qualitäten leuchten lassen, obwohl es aus Platzmangel in reduzierter Besetzung antreten musste. Unter der Leitung von Matteo Beltrami wurde mit Einsatz und Temperament gespielt und dem Dirigenten, von dem die Verdis Werk entsprechenden feurigen dramatischen Impulse ausgingen, mit Hingabe gefolgt. Die Titelrolle sang der Sizilianer Angelo Villari, vor etwas mehr als zehn Jahren aus dem Chor des Teatro Massimo in Palermo hervorgegangen, mit einem Tenor von überzeugend maskuliner Farbe, dessen Höhen perfekt saßen, der aber auch in in den Pianostellen von „Ah sì, ben mio“ und im Duett mit der Mutter im letzten Bild überzeugen konnte. Die Georgierin Nino Surguladze hat einen eher hellen Mezzo, der aber, bruchlos geführt, durchaus auch den düsteren Farben der Azucena zu entsprechen vermag. Dass sie wie Manricos Tochter aussah, ist der Regisseurin anzulasten, die beschlossen hatte, Manrico und Luna seien Albinos, zurückzuführen auf ihren Namen Luna (=Mond)!. Für die ursprünglich als Leonora vorgesehene Sängerin sprang die Spanierin Yolanda Auyanet ab der Generalprobe ein. Sie hat einen angenehmen, relativ schlanken Sopran, der für die Rolle gut geeignet ist, weshalb man gerne über zwei bis drei forcierte Spitzentöne hinweg sieht. Angel Òdena hatte wiederholt expressive Nuancen, aber sein roh klingender, polternder Bariton ist für den Luna (und vor allem sein „Il balen del suo sorriso“) wenig geeignet. Auffallend gut gestaltete hingegen der erst 25-jährige spanische Bass Manuel Fuentes den Ferrando. Bei pfleglicher Behandlung könnte hier wirklich ein interessanter Interpret des heute den Bassbaritonen überlassenen Felds der „echten“ Bässe heranwachsen.Überdurchschnittlich interessant auch Marga Cloquell (Inés) und verlässlich der Ruiz von Joan Gabriel Riera. Der Bote von Jordi Fontana und vor allem der Zigeuner von Sebastià Serra ergänzten zuverlässig. Sehr wacker hielt sich der gerade einmal aus 20 Damen und 19 Herren bestehende Chor unter der Leitung von Pere Victor Rado.
Viel Jubel des auf 50% des Fassungsvermögens des Hauses reduzierten Publikums für die Sänger, den Dirigenten und die Musiker, apathische Akzeptanz der Regie.
Eva Pleus 31.5.21
Bilder: (c) Elena Rotger