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PASSAGIERIN von Mieczysław Weinberg

Ein Mahnmal gegen das Vergessen

 21.5. 2022. Pr.

 

foto 3
Nadja Stefanoff (Marta) © Birgit Gufler

Es ist erstaunlich, leider aber auch kennzeichnend für die Mentalität unserer europäischen Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg, dass diese packende Oper über die NS-Massenvernichtung und Gräuel in Auschwitz des jüdisch-polnischen Komponisten Mieczysław Weinberg (1919–1996) zwar schon 1968 vollendet worden war, aber erst 2006 in Moskau konzertant und 2010 in Bregenz szenisch uraufgeführt wurde. Schuld daran war auch das sowjetische System, dessen Kulturzensoren dem Komponisten, der auf der Flucht vor den Deutschen schließlich in Moskau eine Heimat gefunden hatte, einen bloß „abstrakten“ und zu wenig „sowjetischen“ Humanismus vorwarfen. Das System fürchtete in Wahrheit, dass „Die Passagierin“ zu sehr an den Gulag – das System der Straf- und Arbeitslager in der Sowjetunion – erinnerte und Weinberg wurde schließlich auch in der UdSSR verfolgt und geächtet.

            Die Handlung, die auf einen realitätsnahen Roman der heute übrigens 98-jährigen Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz zurückgeht und von Alexander Medwedew in ein Opernlibretto gefasst wurde, kreist um eine für die Protagonistin, die einstige Auschwitz-Lagerwärterin Lisa, unangenehme Begegnung auf einer Schiffsreise in ein zukünftiges Leben zusammen mit ihrem Mann Walter: Sie erkennt in einer Passagierin, die sie stumm beobachtet, die einstige Gefangene Marta wieder. Diese Begegnung nach 15 Jahren löst in ihr eine Kette von unterdrückten Erinnerungen an Ereignisse und Traumata in Auschwitz aus, die im wachsenden Widerspruch zu eigenen Unschuldsbeteuerungen stehen. Szenen der Lagerzeit wechseln mit quälenden Dialogen zwischen Lisa und ihrem Mann, der um seine Diplomatenkarriere fürchtet, sollte Lisas SS-Vergangenheit publik werden. Die Passagierin selbst bleibt – außer in den Erinnerungsszenen – stumm und setzt am Ende aber ein starkes Zeichen: Sie bestellt beim Leiter der Schiffskapelle den Lieblingswalzer des Lagerkommandanten, den dieser einst von ihrem Verlobten, den ebenfalls im KZ inhaftierten Geiger Tadeusz, gefordert hatte – worauf Tadeusz, damals ebenfalls ein starkes Zeichen setzend, anstatt des Walzers Johann Sebastian Bachs „Chaconne“ in d-Moll spielte und diese Unbotmäßigkeit mit dem Leben bezahlte.

            Lisa fällt in der packenden Inszenierung von Johannes Reitmeier, dem Intendanten des Tiroler Landestheaters, letztlich förmlich aus der Gegenwart heraus und verfängt sich in quälenden Erinnerungen. Der mitunter rasche Szenenwechsel zwischen Schiff und Konzentrationslager durch eine begehbare Skulptur aus Lagerpritschen gelöst, die je nach Drehung sowohl ein Schiff als auch ein Gefangenenlager darzustellen vermag. Ansonsten verzichtet Thomas Dörfler, der Gestalter dieses eindrucksvollen Bühnenbildes, auf jede Art von Dekoration. Die Kostüme von Michael D. Zimmermann bleiben nahe am zeitlich-historischen Umfeld: Abendkleidung der sechziger Jahre am Schiff, Sträflingskleidung im KZ. Hier könnte man darüber diskutieren, ob nicht eine zeitlosere Kleidung eine Aktualisierung in dem Sinn, dass derartige Lager jederzeit möglich sind, bewirkt hätte. Allerdings erzeugt diese brutale Uniformierung der Gefangenen einen heftigen Kontrast zu den individuellen Sehnsüchten und Freiheitshoffnungen der Langerinsassinnen.

            Obwohl diese Oper fast drei Stunden dauert, fesselt sie bis zur letzten Minute, auch deshalb, weil die Handlung und die Musik stets „punktgenau“ sind, der rote Faden nie verlorengeht. Mieczysław Weinberg, der übrigens in seinem Freund Dimitri Schostakowitsch einen glühenden, aber leider erfolglosen Fürsprecher für seine Oper fand, schuf eine Musik der absoluten Klarheit und Reduktion: Klare Gesangslinien, meist unterlegt mit kammermusikalischen Strukturen, in denen die Klarinetten, die Fagotte, das Altsaxofon, die Hörner dominieren und das übrige Holz mit Blech und elegischen Streichern nur gelegentlich pointiert auffahren, stehen in Kontrast zur klangfarbenreichen Rhythmik von Pauken, Schlagwerk, Celesta, Klavier. Die Musik ist der russischen Schule ihrer Zeit verpflichtet und Einflüsse von Schostakowitsch und Prokofjew sind unüberhörbar. Doch Weinberg war alles andere als ein Epigone und so wechseln „russische“ Orchesterklänge geschickt mit Zitaten und Verfremdungen von Jazz, Volkslied und Barock. Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der vitalen Leitung von Tommaso Turchetta setzte die Orchesterpartitur blendend um.

foto 1
Jennifer Maines (Lisa), Roman Payer (Walter) © Birgit Gufler

            Das große Ensemble der Sängerinnen und Sängern, wobei handlungsbedingt die Frauen überwiegen, hinterließ durchgehend einen famosen Eindruck. Jennifer Maines sang die Partie der Lisa, die zwischen Schuldgefühlen, Selbstzweifeln und Brutalität pendelt, mit extremer Ausdruckskraft und Leichtigkeit in der Höhe, Nadja Stefanoff als ihre Gegenspielerin Marta, die sowohl im Mezzosopran als auch jugendlich-dramatischen Sopranfach zuhause ist, stand ihr um nichts nach. Der Tenor Roman Payer berührte als Walter insbesondere in den unruhig aufblitzenden, emotionalen Passagen, wenn seine Rolle ganz schnöde um ihr berufliches Fortkommen fürchtet und für die Opfer im Todeslager keine Empathie aufbringt. Alec Avedissian verkörpert den starken Tadeusz mit größter Überzeugung, und auch die Darstellenden der Nebenrollen sorgen für intensive Momente, etwa die brillante Susanne Langbein als Lagerinsassin Katja, wenn sie a cappella ein Volkslied vorträgt, Abongile Fumba mit warmem Timbre, wenn sie ihr Heil in der Religion sucht, oder Irina Maltseva als Krystina und Annina Wachter als Yvette, die mit stimmlicher Höhe und schauspielerischem Können für Emotionalität sorgen. Und ebenso die übrigen – Zsófia Mózer als Vlasta, Fotini Athanasaki als Hannah, Susanna von der Burg als Alte, Oliver Sailer, Valentin Vatev und Michael Gann als SS-Männer, Ulrike Lasta als Oberaufseherin, Rosmarie Reitmeir als Kapo, Jannis Dervenis als älterer Passagier und Andrea De Majo als Stewardess – bringen sich pointiert ein, prägnant unterstützt von Chor, Extrachor und Statisterie des Tiroler Landestheaters.

foto 8
Nadja Stefanoff (Marta), Chor © Birgit Gufler

Das von wahrem Humanismus geprägte, geniale Werk Mieczysław Weinbergs ist übrigens mehrsprachig, es wird auf Deutsch, Polnisch, Englisch, Französisch, Tschechisch, Jiddisch und Russisch gesungen und gilt heute als ein wohl unüberhörbares Mahnmal gegen das Vergessen.

Thomas Nußbaumer,  23.5.22

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online

 

IL TRITTICO

Premiere am 30. November 2019

Das „Trittico“ als drei Sätze einer Symphonie

Endlich einmal wagte sich mit dem Tiroler Landestheater - TLT wieder ein bekanntes Haus mit einer auch und gerade auf die vormalige Intendantin Brigitte Fassbaender zurückgehenden Tradition ebenso seltener wie anspruchsvoller und dabei äußerst erfolgreich aufgeführter Opern, an das schwierige „Trittico“, oder Triptychon, von Giacomo Puccini. Es sind drei Opern an einem Abend, der viel kürzer ist als nur ein Werk von Richard Wagner.

Intendant Johannes Reitmeier bewies nicht nur eine glückliche Hand mit der Auswahl des Leading Teams um Regisseur und Kostümbildner Carlos Wagner und seine Dramaturgin Susanne Bieler. Wagners phantasievoller Bühnenbildner Christophe Ouvrard konnte ein im „Trittico“ meist nicht zu umgehendes Einheitsbühnenbild geschickt auf jedes der drei Werke abstimmen, sodass man sich stets in einem neuen Ambiente wähnte. Dabei spielten auch das Licht von Florian Weisleitner und die Video-Projektionen von SlideMedia Barcelona eine wichtige Rolle. Für Wagner sind die drei Opern wie die Sätze einer Symphonie. Der erste ist ein leidenschaftliches, stürmisches Allegro, der zweite ein bleiches, schwermütiges Andante und der dritte ein Feuerwerk von Finale. Und genauso hat er sie bei allgemein guter Personenregie und viel Humoreske in „Gianni Schicchi“ auch in Szene gesetzt. Dazu suchte er einen roten Faden, der durch alle drei Stücke ginge. Er fand diesen im Element Wasser und in der Figur des Kindes. In „Il tabarro“ ist es die Seine, auf der der alte Lastkahn von Michele dümpelt; in „Suor Angelica“ der Brunnen im Klosterhof; und in „Gianni Schicchi“ der Arno, der durch das offenbar heiß geliebte Florenz fließt, dessen Einwohner nach damaligen Erkenntnissen wohl die migrationsresistenteste Stadtbevölkerung Europas gewesen sein dürfte. Über die heute ja vieldiskutierten Gründe eines möglichen Verharrens potentieller Migranten vor Ort wäre mal zu forschen. Eines könnte im Falle der hier angesprochenen Florentiner ja sein, dass dort 1597 die Kunstform Oper als Dramma per musica begann, auch wenn das zeitlich nicht ganz hinhaut. Vielleicht haben sie ja schon geahnt, was ihnen und ihren Nachkommen da entgangenen wäre…

Am schlüssigsten ist das Regie-Thema des Kindes in „Suor Angelica“. Da lässt Carlos Wagner Angelicas kleinen Sohn in ihrer Phantasie auftauchen. Sie gießen - eben mit Wasser – gemeinsam das Beet im Klosterhof und sehen die Pflanzen wachsen, wie die Hoffnung auf eine doch noch gemeinsame Zukunft. Allerdings vergiftet sich Angelica dann an ihnen und stirbt - die Realität holt sie wieder ein. In „Gianni Schicchi“ spielt der Arno eigentlich nur in Laurettas Arie eine Rolle, aber eine wichtige, denn dann legt Schicchi gezwungenermaßen los. Großartig, wie der Regisseur die grenzen- und skrupellose Gier der Verwandten Buosos zeigt, aber auch das Knechten der Schwestern durch das Reglement einer völlig entmenschlichten Ordensführung. Der trostlos grauweiß getünchte Klosterhof gleicht eher dem Gefangenenlager von Guantánamo als dem Innenhof eines Nonnenkonvents, sogar mit kleinen vergitterten Verließen, in die jede gesperrt wird, die eines vermeintlichen „Vergehens“ überführt wurde. Erschütternd ist zu beobachten, wie sklavenartig die autoritären Aufseherinnen über die jungen Schwestern herrschen, immer mit dem Anspruch, im Namen der Gottesmutter Maria zu handeln. Bei jeder noch so kleinen „Untat“, wie dem Unterlassen des Betens, jagen sie den Novizinnen heftige Schuldkomplexe ein. Wenn die kleine Schwester Genovieffa naiv darlegt, dass sie Schäferin war und alles darum geben würde, wieder mal ein Schaf streicheln zu können und ihm über das kalte Maul zu fahren - einfach rührend - , geht sie schon in vorauseilendem Gehorsam zu Boden, um die Stockschläge für solchen „Ungehorsam“ entgegenzunehmen…

In „Gianni Schicchi“ steht die gute Choreografie der vielen Personen auf der Bühne im Vordergrund, gepaart mit einer Reihe von humorvollen und sarkastischen Ideen. So entwickelt sich das Testament Buosos im wahrsten Sinne des Worte zu einer endlosen Papierschlange, ohne dass für die Erwartungsvollen etwas darin stünde. Schicchi weiß dann sehr wohl etwas damit anzufangen. Allerdings wirkt seine Verstellung als Buosos im Bett spätestens dann nicht mehr glaubwürdig, als er sich energisch neben den Notar setzt und ihm unmissverständlich klar macht, wohin die Reise mit dem Testament geht. Das war dann doch etwas überinszeniert. Mit der Leiche Buosos wird hingegen übel umgesprungen. Der Statist Andrea de Majo muss ich einiges an Herumgezerre und unsanfter Behandlung gefallen lassen. Im Hintergrund wird durch ein Rouleau passend zur Handlung des Öfteren die Silhouette von Florenz in der Abenddämmerung sichtbar. Die Kostüme im „Schicchi“ waren von ganz besonderer - auch farblicher - Fantasie und Originalität. Sie setzten sich somit optisch stark von den beiden vorhergehenden Stücken ab, die Sonderstellung von „Gianni Schicchi“ betonend.

Johannes Reitmeier und seine Operndirektorin Angelika Wolff hatten jedoch ein noch glücklicheres Händchen bei der Auswahl der Sänger. Mit der Usbekin Barno Ismatullaeva, die 2014 die Competizione dell’Opera in Tashkent gewann, erlebten wir eine Angelica von Weltklasse, so empathisch gestaltete sie die Rolle der verzweifelten Mutter. Die schon wundervoll gesungene Arie „Senza Mamma…“ sah noch eine Steigerung in den dann folgenden vokalen Herausforderungen, bei denen die Stimme neben herrlichen Spitzentönen auch eine profunde Tiefe offenbarte, und das alles mit völlig authentischer Mimik. Ismatullaeva erwies sich als Glücksfall für diese Rolle - and there is certainly more to come. Daniel Luis de Vicente gab darstellerisch und mit leuchtenden baritonalen Farben den Michele und den Schicchi. Er bewies mit seiner Wandlungsfähigkeit vom grimmigen, mit dem Leben im Unreinen stehenden Michele und dem späteren Schicchi, den er mit unglaublicher Komik und faszinierendem Mienenspiel regelrecht inszenierte, enormes darstellerisches Talent. Dazu kommt ein kräftiger, bestens geführter Bariton, der bisweilen schon ins Heldische weist. Anna-Mario Kalesidis war als schönstimmige Giorgetta ihm auch darstellerisch auf Augenhöhe. Sie kümmerte sich rührend um die gepeinigten Seeleute und schüttete ihre ganze Lebensqual ihrem Liebhaber Luigi aus. Dieser wurde mit einem kräftigen Tenor von Alejandro Roy durchlitten. Susanna von der Burg gab eine lebhafte Charakterstudie der Frugola, also des Frettchens, während sie als Äbtissin in „Suor Angelica“ genau das Gegenteil verkörperte und vor Boshaftigkeit keine Miene verzog. Johannes Maria Wimmer als ihr Ehemann Talpa (und später Betto) sowie Dale Albright als Tinca machten ihre Sache ebenfalls bestens. Das harte Leben der Besatzung auf dem alten Kahn wurde beklemmend spürbar.

In „Suor Angelica“ beeindruckte neben Barno Ismatullaeva besonders die als eiserne Lady auftretende Anna Maria Dur mit dunklem Mezzo, gnadenlos mit Eiseskälte im Durchsetzen der Enterbung Angelicas, die vor lauter Verzweiflung über den Tod ihres Sohnes gar nicht mehr wusste, was sie tat. Tatiana Rasa sang zwar mit relativ kleiner, aber umso schönerer Stimme die Schwester Genovieffa (mit ihrem Schaf). Rasa war später eine sehr gute Lauretta im „Schicchi“, bei deren vokalem Flehen der Sinneswandel ihres Vaters verständlich wurde. Nico Darmanin sang und spielte einen prägnanten und nachvollziehbar verliebten Rinuccio. Joachim Seipp mit bassbaritonalem Wagner-Timbre gab einen respektgebietenden Simone, der gleichwohl von der hier über sich hinauswachsenden Anna Maria Dur als Zita zu Boden gestoßen wurde, als er annahm, aufgrund seines Alters und des ehemaligen Bürgermeisterpostens in einem toskanischen Provinznest die drei bedeutendsten teile des Erbes Buosos in Empfang nehmen zu können - „peggio per te“… Eine beeindruckende Rollenstudie legte Unnsteinn Árnasson als Notar hin, ebenso wie Stanislav Stambolov als Arzt Spinelloccio, dem sich die ganze Verwandtschaft auf der Treppe hinunter zum falschen Buoso im Bett immer wieder entgegen warf, sobald er Anstalten machte, zu seinem Patienten hinunterzugehen - ein lustiger Regieeinfall! Alec Avedissian spielte Simones Sohn Marco und Camilla Lehmeier dessen extrovertierte Frau. Auch die kleinen Nebenrollen in „Suor Angelica“ und „Gianni Schicchi“ waren ansprechend besetzt, sodass es vom Personal her in allen Stücken große Homogenität gab. Immerhin hat das „Trittico“ so viele Solisten wie der gesamte „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner! Das war mir bis dato auch noch nicht bewusst.

 

Für Lukas Beikircher, den neuen Chefdirigenten des TLT, enthält das „Trittico“ mit die schönste Musik, die Puccini komponiert hat. Mit entsprechender Verve leitete er das in bester Verfassung spielende Orchester des TLT und konnte seiner Überzeugung auch klanglich Nachdruck verleihen. Dabei war ihm die Führung der Sänger stets ein großes Anliegen. Das ist ja gerade bei den Verwandtschaftsszenen im „Schicchi“ ein nicht immer leichtes Unterfangen. Der Chor des TLT, von Michel Roberge einstudiert, hatte starke Momente insbesondere in „Suor Angelica“. Auf dieses „Trittico“ kann das TLT Innsbruck stolz sein! 

Fotos: Rupert Larl      

Klaus Billand/10.12.2019

www.klaus-billand.com

 

 

LILIOM

ÖEA – am 23. Februar 2019

Ringelspiel und menschliche Tragödie

Am Tiroler Landestheater (TLT) Innsbruck fand nun durch das Engagement seines Intendanten, Johannes Reitmeier, der auch selbst Regie führte, die österreichische Erstaufführung der Oper „Liliom“ nach dem gleichnamigen Schauspiel des ungarischen Dramatikers Ferenc Molnár (1878-1952) und der Musik der öst. Komponistin Johanna Doderer sowie dem Libretto von Josef E. Köpplinger statt. „Liliom“ erlebte erst am 4. November 2016 als Auftragsarbeit des Staatstheaters am Gärtnerplatz München seine erfolgreiche UA. Köpplinger war zu jener Zeit dort Intendant. Man spielte die Oper in der Münchner Reithalle, weil sich das Gärtnerplatztheater in der Renovierung befand. Köpplinger hielt sich mit seinem Libretto dicht am Original von Molnár und schrieb nur einen Teil des Textes neu, um bisweilen einen für den Opernstoff relevanten abweichenden dramaturgischen Verlauf zu erreichen. Seine Wunschkandidatin für die Komposition war die 1969 in Bregenz geborene Johanna Doderer, die mit ihm in drei Jahren die Oper schuf. Dabei blieb sie vollkommen tonal, eher eine Seltenheit bei heutigen Opernkompositionen. In einem äußerst lesenswerten Interview mit Ingrid Lughofer im sehr gut gemachten Programmheft meint Doderer: „Ich glaube, dass das Verweigern der Tonalität nichts mit Modernität zu tun hat.“ Ein überaus bedenkenswertes Statement!

 

Nach dem UA-Erfolg in München war auch in Innsbruck eine sehr bemerkenswerte Neuinszenierung zu erleben. Das trifft für das ebenso eindrucksvolle wie sinnhafte Bühnenbild von Thomas Dörfler und die fantasievollen Kostüme von Michael D. Zimmermann bei intelligenter Lichtregie von Ralph Kopp zu, wie auch für die gesangliche und orchestrale Seite. Susanne Bieler sorgte für die dramaturgische Unterstützung. Dörfler zeigt eine interessante Tunnelkonstruktion, die sofort an den legendären Tunnel-„Ring“ von Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin aus den 1980er Jahren erinnerte. Themenähnlich ging es ihm damals auch um eine spiralartige Interpretation der Wagnerschen Tetralogie, die in Friedrichs Interpretation keinen Anfang und kein Ende hat – und so ist es auch mit dem „Ringelspiel“ in „Liliom“, wie ja schon der Name sagt. Im zweiten Teil nach der Pause wurden die fünf Ringe dieses Tunnelgebildes gegeneinander versetzt und bildeten damit tatsächlich fünf Ringe, die noch direkter auf das „Ringelspiel“ verwiesen, das nun wieder mit einem ganz neuen Kapitel im Leben von Julie, ihrer Tochter und den Freunden beginnen konnte.

 

Stefan Klingele dirigierte mit viel Gefühl und Verständnis der komplexen Partitur, die bisweilen an Korngold, Schreker, Weill und andere erinnert, das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck. Nach eigener Aussage hatte sich Doderer ja intensiv mit anderen Komponisten auseinandergesetzt, insbesondere mit Giacomo Puccini, dem Molnár übrigens einen Kompositionsvorschlag verweigerte, weil er befürchtete, es würde dann nur noch als ein Werk von Puccini wahrgenommen. Doderer setzt die Tonalität sehr facettenreich ein, insbesondere, um emotionale Momente musikalisch zu charakterisieren, auch durch die Verwendung von Leitmotiven. Manchmal spielt nur das Klavier, dann wieder handelt es sich vornehmlich um Sprechgesang. Dur wechselt schnell mit Moll. So ist die mürrisch auftretende Frau Muskat zu signifikanten Teilen eine Sprechrolle. Immer aber ist die Stimmung des jeweiligen Moments, so auch der großen Chorszenen auf der Schaubühne, eindrucksvoll und stimmungsgerecht getroffen, sodass die Komposition mit den Gesangs- und Sprechstimmen nicht immer unbedingt musikalisch, aber in der emotionalen Wahrnehmung von Gesang, Stimmen und Musik zu einer Einheit wird. Und das ist schon große Kunst.

 

Michel Roberge hatte den stimmstark singenden Chor und Extrachor des TLTbestens einstudiert. Die beherzt singenden und als Clowns auftretenden Wiltener Sängerknaben standen unter der Leitung von Johannes Stecher. Die Clown-Ästhetik herrschte überhaupt auf der Schaubühne vor, wobei auch schwarze und weiße Luftballons vorkamen, die bisweilen metaphorische Bedeutung erlangten. Mit einer eindrucksvoll feinzeichnenden Personenregie und Dramaturgie schaffte Regisseur Reitmeier den Spagat zwischen der Darstellung der dem „Ringelspiel“ verpflichteten Schaubühnen-Ästhetik im leicht futuristisch stilisierten Wurstel-Prater-Stil und der menschlich berührenden Tragik der Beziehung des „Titelhelden“ zu seiner Freundin Julie und der gemeinsamen Tochter Luise (Wozzeck lässt hier grüßen). Wegen seines Selbstmordes hat er diese während ihres Heranwachsens bis zum 16. Lebensjahr nicht erlebt. Besonders der zweite Teil, in dem also Liliom wieder zur Erde zurückkehrt und als Bettler auf seine Familie trifft, die ihn naturgemäß nicht erkennt, aber dennoch etwas ahnt, ist sowohl dramaturgisch wie auch musikalisch sehr berührend. Skurrilität wechselt thematisch nachvollziehbar mit tragischer Sozialrealität ab. Und selbst die vordergründig härteste weibliche Hauptrolle, Frau Muskat, die mich mit dieser Rolle immer wieder an die späte Astrid Varnay erinnerte, zeigt bei Reitmeier noch menschliche Züge…

 

Eine starke Szene war die Beurteilung der Selbstmörder durch den Polizeikonzipisten Joachim Seipp, der kraftvoll und bestens begründet darüber entschied, wer von ihnen noch einmal auf die Erde zurückdurfte, um wichtige menschliche Angelegenheiten zu regeln. Nachdem der Jude Dr. Reich noch einmal zurück durfte, um seinem Sohn Lebewohl zu sagen (aber nicht um seinen finanziellen Verbindlichkeiten zu regeln) musste der Polizeikonzipist mit seinen Polizisten Florian Stern (auch Erster Detektiv) und Johannes Maria Wimmer (auch Zweiter Detektiv) Liliom quasi auf die Erde zurückprügeln, da dieser sich im Tode ganz wohl fühlte. Aber als er von seiner Tochter hört, will er nochmal hinab. Die einfache Sprache Köpplingers erlangt hier gleichwohl große Tiefe und Aussagekraft.

Eine sarkastisch humoristische Einlage bietet der dritte Selbstmörder, der sich offenbar erhängt hat und nun auf seine „Rückkehrgenehmigung“ wartet. Als die Abfertigung von Dr. Reich (skurril: Dale Albright, auch Linzmann) und erst recht jene von Liliom so lange dauerten, zog er mit seiner Riesenschlinge um den Hals frustriert von dannen, noch bevor sein Fall überhaupt angesprochen wurde… Doderer sagt im Interview auch, dass ihr Momente zum Lachen wichtig seien, was ihr nicht nur hier gelungen ist und im Übrigen auch ihren Wunsch erkennen ließ, eine Opera buffa zu schreiben. Interessant wird auch in der Oper der von Molnár so betonte Aspekt inszeniert, dass der Selbstmörder aus großem Egoismus handelt und die Folgen seines Ablebens für die ihm Nahestehenden, möglicherweise sogar von ihm Abhängigen – wie hier in „Liliom“ – gar nicht bedenkt, bzw. außer Acht lässt. Eine wichtige Lehre dieses Stücks, die Köpplinger und Doderer brillant herausgearbeitet haben.

Daniel Prohaska, der auch schon die UA sang und wohl der einzige Sänger auf der Welt ist, der den Liliom drauf hat, gab eine beeindruckende Charakterstudie des „Strizzi“ und „Hallodri“ mit guten menschlichen Eigenschaften, und bisweilen heldisch schlanken tenoralen Klängen. Judith Spießer war ihm eine Julie auf Augenhöhe mit bestens intonierendem, leuchtendem Sopran und hervorragenden sowie empathischen Qualitäten. Sie zeigte nachvollziehbar die Entwicklung vom jungen unbedarften eitlen Ding auf der Schaubühne zur reifen und verantwortungsvollen Frau, die sich rührend um ihre vaterlose Tochter und Umgebung kümmert. Auch Sophia Theodorides als ihre Freundin Marie bestach durch eien klangvollen Sopran. Susanna von der Burg war eine boshafte, neidvolle und vom Leben wohl frustrierte Frau Muskat, die neben einer ausdrucksvollen Sprache auch gesanglich überzeugte. Alec Avedissian gab einen etwas and Verdis Sparafucile erinnernder Ficsur, den er mit einem kraftvollen Bass sang. Anna-Maria Kalesidis gab eine naive Luise als Tochter Lilioms und Julies, mit einem schönen hellen Sopran. Ruth Müller war eine resolute Frau Hollunder. Unnsteinn Árnason spielte als Wolf Beifeld einen gekonnt langweiligen Ehemann Maries mit gut artikulierendem Bass. Bedauernswert war Stanislav Stambolov als bei Julie nicht landen könnender Drechsler mit guter Stimme. Michael Gann war der Ärmlichgekleidete und Jannis Dervenis Ein Alter Schutzmann.

Großer Beifall des Publikums im nicht voll besetzten Haus, gerade auch für das leading team, die Komponistin und den Librettisten. Erlebenswert! Und Johannes Reitmeier hat nun nach dem „Tannhäuser“ und dem „Rienzi“ die dritte eindrucksvolle Regiearbeit abgeliefert, die ich am TLT erleben konnte. Es bleibt unter seiner Leitung auf gutem Kurs!

 

Weitere Aufführungen bis 22. Mai 2019, ausgerechnet Richard Wagners Geburtstag…

 

Klaus Billand 27.2.2019

Fotos (c) Rupert Larl

 

 

RIENZI

24.06.2018
 

Hatte das Tiroler Landestheater (TLT) schon in der Intendanz von Brigitte Fassbaender in der österreichischen Opernwelt für bemerkenswertes Musiktheater gesorgt, so geht der positive künstlerische Trend mit dem Intendanten Johannes Reitmeier offenbar weiter. Schon im Mai 2016 hatte er einen äußerst interessanten und schlüssigen „Tannhäuser“ inszeniert (hier besprochen). Mit seiner Dramaturgin Susanne Bieler gelang Reitmeier diesmal eine dramaturgisch und szenisch eindrucksvolle Neuentdeckung des „Rienzi“, dieses ersten erfolgreichen Werks von Richard Wagner. Immerhin hat ihm der Mitte des 19. Jahrhunderts federführend in Paris tätige Komponist Giacomo Meyerbeer durch ein Empfehlungsschreiben an den Intendanten des Königlichen Hoftheaters Dresden im Oktober 1842 zur dortigen UA des Werkes verholfen. Wagner hatte dann den „Rienzi“ dennoch, auch nach vielen Änderungen und vor allem Kürzungen, mit dem Bayreuth-„Bann“ belegt. Er war ihm unter anderem zu sehr im Stile der Meyerbeerschen Grand Opéra geschrieben.

Reitmeier einigte sich mit dem Musikalischen Leiter Lukas Beikircher, der das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck mit viel Verve und Gefühl für die intimen Stellen dirigierte, auf sinnvoll ausgewählte Striche. Er schaffte somit eine Straffung der Handlung, die dem Zuschauer die Figuren sehr viel näher brachte, weil sie die persönlichen Schicksale von Cola Rienzi, Adriano, Irene sowie den Colonnas und Orsinis in den Mittelpunkt stellte. Dieses Konzept ging auch in den optisch eindrucksvollen und dramaturgisch sinnvollen Bühnenbildern von Thomas Dörfler und mit der exzellenten Lichtregie von Ralph Kopp voll auf. Sie zeigten im Wesentlichen drei immer wieder changierende Geschlechtertürme, die  für die Antike, das Mittelater und die faschistoide Architektur des 20. Jahrhunderts stehen. Sie sind mit Treppen für die Auf- und Abgänge der Protagonisten sowie die Aufmärsche der manipulierbaren und hier sicht- und hörbar manipulierten Volksmassen versehen. Nicht zuletzt durch die Kostüme von Antje Adamson ergab sich so eine zeitlose Ästhetik mit einem gewissen Schwerpunkt in der Gegenwart, aber auch mit Referenzen an das Alte Rom und gar Napoleon Bonaparte.

Warum Napoleon Bonaparte? Schon zu Beginn der Ouvertüre sehen wir, wie Rienzi vor dem Riesenabbild des französischen Kaisers sich in dessen Ornat selbst die Krone aufsetzt, während seine Schwester Irene von den Orsinis auf brutalste Art und Weise verschleppt wird. Reitmeier zeigt sodann, wie der in völliger Selbstüberschätzung von der Realität abhebende Volkstribun immer mehr das Vertrauen der Römer Bürger verliert und schließlich gar seine eigenen Ideale verrät. Dieser persönlichen Eindimensionalität stellt der Regisseur den sich ständig verändernden Adriano entgegen als einen politischen Heißsporn, ja einen am Ende in sich zerrissenen Menschen. Irene ist die stets treu zu ihrem Bruder haltende milde Schwester, die deshalb auch der Liebe zu Adriano entsagt. Die Spannungen in diesem Personendreieck werden mit exzellenter Personenregie nachvollziehbar und zeitweise aufregend heraus gearbeitet. Die Colonnas und Orsinis treffen sich hingegen zu ihrer Verschwörung gegen Rienzi wie zwei Mafia-Familien im Film „Der Pate“ von Francis Ford Coppola.

Jennifer Maines, schon im „Tannhäuser“ eine beeindruckende Venus, gab mit einem perfekt geführten helleren Mezzosopran einen intensiven und die Wechselbäder seiner Gefühle einnehmend darstellenden Adriano, als Hosenrolle natürlich. Josefine Weber, damals die Elisabeth, bestach durch ihren in allen Lagen klangvollen Sopran und beste Diktion. Joachim Seipp sang den Orsini mit farbigem Bariton. Johannes Maria Wimmer konnte hingegen mit seinem allzu resonanzlosen Bass und einer zu sehr auf Kraft ausgelegten Gesangstechnik als Colonna stimmlich nicht überzeugen. Noch weniger gelang das Marc Heller als Rienzi, der für Torsten Kerl als Zweitbesetzung auftrat. Sein Tenor war der Partie nicht gewachsen. Die Stimme klingt verquollen und ist in den Höhen belegt, was er immer wieder mit Kraftgesang zu kompensieren versuchte. Dafür stellte er den Niedergang des Volkstribuns eindrucksvoll dar. Immer wieder schwebte ihm Napoleon Bonaparte vor, den er offenbar nachzuahmen versuchte und den man in kleinen bildlichen Referenzen auch in entsprechenden Situationen auf der Bühne sah. Im finalen großen Monolog „Allmächt’ger Vater…“ konnte Heller auch stimmlich einigermaßen überzeugen. Der junge isländische Bassist Unnsteinn Árnason sang mit klangvollem Bass einen Respekt gebietenden päpstlichen Legaten Raimondo. Florian Stern als römischer Bürger Baroncelli und Alec Avedissian als Cecco del Vecchio ergänzten das Ensemble ansprechend. Chor, Extrachor und Kinderchor des TLT unter der Leitung von Michel Roberge leisteten sängerisch und auch choreographisch Bestes, ebenso wie die fantasievoll geführte Statisterie des TLT.

Am Ende steht für Rienzi, Irene und Adriano die Lynchjustiz… Ein grausames Ende, aber auch ein ausgezeichneter „Rienzi“ am TLT, der auf weitere interessante Interpretationen nicht nur im Wagner-Fach im schönen Innsbruck hoffen lässt.

Copyright; Rupert Larl/ Tiroler Landestheater                            

Klaus Billand 8.8.2018

 

 

MARTHA

von Friedrich von Flotow

6.04.2018
 

Vor einer Wiederentdeckung steht die zuletzt eher selten gespielte Oper „Martha oder Der Markt von Richmond“ von Friedrich von Flotow. Das romantisch-komische Werk in vier Akten, das seine Uraufführung im Jahr 1847 am Wiener Kärntnertortheater erlebte, wurde im Vorjahr anlässlich der Wiedereröffnung des Gärtnerplatztheaters in München in einer alten Loriot-Inszenierung gezeigt (der Online-Merker berichtete darüber im November 2017) und steht seit einigen Tagen in einer Neuinszenierung am Tiroler Landestheater in Innsbruck auf dem Spielplan.    

 Friedrich von Flotow (1812 – 1883) hatte ein inniges Verhältnis zu Wien. Sein Meisterwerk Martha war ein Auftragswerk der Wiener Hofoper und eroberte nach dem sensationellen Uraufführungserfolg die ganze Welt, wobei als zweite Bühne 1848 Weimar folgte, wo Franz Liszt mit diesem Werk seine Tätigkeit als Operndirigent begann. Es folgten innerhalb kurzer Zeit Aufführungen in Berlin, München, Schwerin und in Paris. Flotow lebte einige Jahre in Wien und war anlässlich seines 70. Geburtstags und der gleichzeitigen 500. Aufführung von „Martha“ Ehrengast der Wiener Hofoper.

Die Handlung von Flotows Meisterwerk, dessen Libretto von Wilhelm Friedrich (Pseudonym des Hamburger Dichters Friedrich Wilhelm Riese) stammt, in Kurzfassung: Als sich Lady Harriet Durham, ein Edelfräulein der englischen Königin, wieder einmal unendlich langweilt, kommt ihr die Idee, sich als Bauernmagd Martha zu verkleiden. Auf dem Markt von Richmond lässt sie sich mit ihrer Vertrauten Nancy vom reichen Pächter Plumkett und seinem Ziehbruder Lyonel engagieren. Naturgemäß erweisen sich die edlen Damen als wenig brauchbar für die Hausarbeit – doch umso geeigneter für anderes… Nach einigen peinlichen Zwischenfällen und Lyonels gesellschaftlichem Aufstieg – durch einen Ring wird er als Sohn des zu Unrecht verbannten Grafen Derby erkannt – kommt es zu einem Happyend zu viert. Lady Harriet schwört dem überraschten Lyonel ewige Treue. Dem „Himmelsglück“ steht nun nichts mehr im Wege.

 Anette  Leistenschneider verlegte die Handlung in die 1950er- und 1960er-Jahre, wobei sie eine temporeiche, flotte und witzige Inszenierung schuf, die nur ab und zu knapp an Klamauk vorbeischrammte. Dazu ein Zitat aus dem im Programmheft unter dem Titel „Die entstaubte „Martha“ abgedruckten Interview mit der Regisseurin: „Mir hat es eine große Freude bereitet, den Staub von diesem hübschen Stück zu pusten und es sowohl charmant-augenzwinkernd als auch romantisch-poetisch auf die Bühne zu stellen.“ Es ist ihr zur Freude des begeisterten Publikums eindrucksvoll gelungen.

Andreas Becker, ein Spezialist für Puppenbau, gestaltete die Bühne, wobei er auf britische Besonderheiten Wert legte. So waren auch zwei rote Telefonzellen, das Porter-Bier und ein Fish and Chips-Wagen wichtige Requisiten. Dass die britische Flagge als Bühnenvorhang ziemlich stark verschmutzt war, darf wohl als witzige Anspielung zur heutigen Situation Großbritanniens gedeutet werden. Da die Regisseurin in ihrer Inszenierung ein Puppenspiel mit einbaute, war Andreas Becker der ideale Partner, unterrichtet er doch am Figurentheater-Kolleg in Bochum.

Für die zum Teil sehr bunten und teils sehr eleganten Kostüme zeichnete Michael D. Zimmermann verantwortlich, für die kreative Lichtregie Ralph Kopp.

Ausgezeichnet besetzt war das große Sängerensemble: Die international sehr erfahrene Sopranistin Susanne Langbein, die ab 2010 Ensemblemitglied des Tiroler Landestheaters war und jetzt freischaffend tätig ist, war als Lady Harriet eine Idealbesetzung. Mit ihrer höhensicheren Stimme und ihrem reizend-charmantem Spiel begeisterte sie das Publikum von der ersten bis zur letzten Szene. Mit großer Innigkeit sang sie das Lied „Letzte Rose“.

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Susanne Langbein als Lady Harriet alias Martha und Joshua Whitener als Lyonel (Copyright: Rupert Larl)

Eine exzellente Leistung, der die Münchner Mezzosopranistin Camilla Lehmeier als Nancy kaum nachstand. Auch sie war stimmlich und schauspielerisch erstklassig, wobei sie ihre Rolle als Vertraute von Lady Harriet stets augenzwinkernd spielte.

In der Rolle des Lyonel brillierte der amerikanische Tenor Joshua Whitener mit seiner lyrischen, ausdrucksstarken Stimme und durch die einfühlsame Darstellung seiner Rolle. Wehmütig und herzergreifend seine Interpretation der Arien „Martha, Martha, du entschwandest …“und „Ach, so fromm, ach, so traut“. Eindrucksvoll auch der Tiroler Bassbariton Andreas Mattersberger als reicher Pächter Plumkett. Mit kräftiger Stimme und selbstsicherem Auftreten versuchte er den Späßen der Damen Herr zu werden. Köstlich ironisch die Szene, als Plumkett und Lyonel die beiden Damen übers Knie legten und in Zeitlupentempo den Po versohlten.

Gleichfalls sehr humorvoll der Salzburger Bassist Johannes Maria Wimmer in der Darstellung von Lord Tristan Mickleford, Lady Harriets Vetter. Verkleidet als dralles  Dienstmädchen, reizte er die Lachmuskeln des Publikums besonders stark. Mit viel Komik stattete auch der bulgarische Bass Stanislav Stambolov die Rolle des Richters zu Richmond aus. Zu nennen sind noch die drei Mägde Monika Duringer, Bernadette Müller und Alice Chinaglia, die gemeinsam mit dem Chor und Extrachor des Landestheaters Innsbruck (Einstudierung: Michel Roberge) ihren großen Auftritt auf dem Markt zu Richmond hatten, wo sich die Mägde auf humorvolle Art zur „Anstellung auf ein Jahr“ anboten. Als Puppenspielerin zeigte Ingrid Alber-Pahle ihr meisterliches Können.

Meisterlich auch das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung des südkoreanischen Dirigenten Seokwon Hong, dem es schon bei der Ouvertüre gelang, die klangschönen und ins Ohr gehenden Melodien des Komponisten in allen Nuancen wiederzugeben. Das restlos begeisterte Publikum dankte am Schluss allen Mitwirkenden mit lang anhaltendem Applaus.

Gratulation der Intendanz des Tiroler Landestheaters, dieses musikalische Meisterwerk, das zu den reizvollsten romantisch-komischen Opern des 19. Jahrhunderts zählt, wiederbelebt zu haben.

Udo Pacolt

Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online

 

 

 

Kammerspiele in der Messe

DER TOTENTANZ

Kammeroper von Kenneth Winkler

Aufführung am 1.3.2017

Der junge Innsbrucker Komponist Kenneth Winkler (Jahrgang 1988) erhielt seitens des Tiroler Landestheaters den Auftrag, für dessen Reihe „Opera Austria“ eine Kammeroper zu schreiben. Winkler konnte bereits Proben seines Talentes am TLT abliefern, und zwar schrieb er die Bühnenmusik für „Die Räuber“ und „Bernarda Albas Haus“ sowie für die Tanztheaterproduktion „Körper.Seelen“. Intendant Johannes Reitmeier erkor Franz Kranewitters „Totentanz“, quasi der Epilog zu den vorangegangenen „Sieben Totsünden“ des Tiroler Dramatikers (1860 – 1938) als geeignetes Sujet für Winklers Opernerstling.

Um es vorweg zu nehmen – das Experiment gelang, Winkler macht Lust auf mehr. Seine Musik ist, obwohl nur mit sechs Instrumentalsolisten besetzt, abwechslungsreich, farbig, teils melodisch – getragen (die Szenen mit den zwei „Stimmen“), teil aber auch ganz schön „rappig“, mit Computersound-Untermalung. Alles eher als ein Ohrenschinder und auch für Frischlinge auf dem Gebiet der zeitgenössischen Oper bestens geeignet.

In spannenden 75 Minuten wird die teils makabre Geschichte vom Totengräber und seiner Frau erzählt, die in Zeiten des großen Sterbens (Pest!) als einzig Überlebende dank Leichenfledderei zu Wohlstand gekommen sind. Alles, was ihnen wertvoll erschien, wurde von den Toten abgenommen und gierig in einer sargähnlichen Truhe verwahrt. Aber Tod und Todin sind auf dem Weg zu dem liederlichen Paar und fordern diese auf, sich ihnen anzuschließen. Die Totengräbersleut‘ bitten und flehen, es wird ihnen eine „Gnade“ gewährt: die beiden sollen unter sich ausmachen, wer als Erster gehen muss. Ein erbitterterter Kampf auf Leben und Tod nimmt seinen Anfang.

Der Charakter-Tenor Dale Albright und die immer wieder ob ihrer Vielseitigkeit gepriesene Susanna von der Burg bringen das mit allen Todsünden „gesegnete“ Duo Infernal überzeugend auf die Bühne und machen einen erschaudern. Tolle Singschauspieler, die beiden! Schönstimmig und äußerst jugendlich-attraktiv betreten Tod (Florian Stern) und Todin (Susanne Langbein) die Bühne, um ihre nächsten Opfer einzusammeln. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die „Heimbringer“ mit derart delikaten Tönen ausgestattet werden? In den Intermezzi sowie im Pro- und Epilog tauchen zwei namenlose, lediglich als „Stimmen“ bezeichnete Wesen auf. Der souveräne Tenor Joshua Lindsay und die zauberhafte, mit einem Edelmezzo allererster Güte gesegnete Camilla Lehmeier veredeln dieses geheimnisvolle Paar. Großartiges leistet die (inkl. Dirigent) sechsköpfige Formation „Tiroler Ensemble für Neue Musik“ – Ernst Theuerkauf (Viola), Sunhild Anker (Violincello), Martin Flörl (Trompete), Robert Jöchl (Posaune), Fausto Quintabà (Klavier) sowie der alles bestens koordinierende Hansjörg Sofka (Computersound).

Alexander Kratzers Debut als Opernregisseur überzeugte auf Anhieb, die spannende Ballade sorgte für wohliges Gruseln. Gera Grafs der „Toteninsel“ nachempfundenes, den eingeschränkten Bühnenraum sensationell vergrößerndes Bühnenbild sowie die treffenden, personenbezogenen Kostüme rundeten den überaus positiven Eindruck ab. Überaus herzlicher, lange anhaltender Applaus des vollen Hauses.

Fazit: es wäre schade, wenn diese Opernproduktion nach Ablauf der Serie verschwinden würde. Szenische Umsetzung und vor allem die musikalischen Leistungen beeindruckten enorm, lediglich ein Teil des Librettos mit seinen teilweise banalen Reimchen (speziell in den Totengräberszenen) sorgten für so manche Pein.

Bilder (c) Tiroler Landestheater / Rupert Larl

Dietmar Plattner 5.3.2017

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)

 

 

TANNHÄUSER

Premiere am 14. Mai 2016

Mit großer Spannung wurde die Neuinszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“ am Tiroler Landestheater – TLT in der Regie des Intendanten Johannes Reitmeier erwartet. Ihm gelang in den Bühnenbildern von Thomas Dörfler und mit den Kostümen von Antje Adamson eine äußerst überzeugende Sichtweise auf das Stück, in dem es vor allem um den Aspekt der Künstler-Oper geht. Es wird die Geschichte des ganz der Kompositionskunst und einer nahezu obsessiven Liebe zur Musik verpflichteten Tannhäuser, der zwischen den zwei Welten des Venusbergs – hier das Sanatorium Monte Verità – und der Wartburggesellschaft hin und hergeworfen wird und ist. Dass Ganze erleben wir im Rahmen einer angedeuteten Opernaufführung im virtuellen Tiroler Landestheater. Denn schon während der Ouvertüre sehen wir, wie der Sänger Tannhäuser sich nach einer Aufführung, von roten Rosen aus den Rängen überschüttet, für den Applaus dieses Theaters bedankt. Im Verlauf der Handlung erkennen wir dann, dass die roten Rosen in Wahrheit von Venus stammen und der Saal des Tiroler Landestheaters zum Schauplatz des Sängerkriegs auf der Wartburg und des 3. Akts wird. Und damit vermitteln selbst diese ersten Bilder während der von Chefdirigent Francesco Angelico relativ pathetisch vorgetragenen Ouvertüre schon einen Eindruck von Tannhäusers zerrissener Persönlichkeit zwischen dem Venusberg und der konservativen, in festen gesellschaftlichen Regeln und Zwängen verhafteten Wartburggesellschaft.

Als Metapher für den Venusberg entdeckte Reitmeier nach langem Suchen den sog. Monte Verità, den Berg der Wahrheit. Dieser Hügel über dem schweizerischen Ascona zog, wie Ingrid Lughofer in der Theaterzeitung schreibt, in den Jahren von 1900 bis 1940 zahlreiche Reformer, Alternative und Künstler aus ganz Europa an. Sie lebten in der Abgeschiedenheit des Monte ungehindert von sozialen Zwängen in freier Liebe, also dem Idealbild eines Venusbergs recht nahe kommend. Reitmaier verdeutlicht das mit einem Grüppchen weißgekleideter, zum Teil leicht beschürzter und sich in beschwingten Ayurvena-ähnlichen Bewegungen ergehenden Statisten. Allein durch ihre Art und Weise des Agierens machen sie Tannhäusers wachsendes Interesse an baldiger Abreise nachvollziehbar, auch wenn dieser liebestrunken in den schönen Armen der Venus Jennifer Maines liegt und den Lorbeerkranz bekommt… Maines besticht mit einem klangvoll blühenden, dunkel schattierten Sopran bei besten Höhen und sehr guter Diktion, abgesehen von einer überaus sinnlichen erotischen Darstellung, die sie bei ihrem zweiten Auftritt zum Ende des 3. Akts nochmals verfeinert. (Man spielt in Innsbruck also die 2. Dresdner Fassung). Da fliegen dann auch endlich die echten roten Rosen… Im Venusberg hat man eher den Eindruck, dass es nicht der Ruf nach Elisabeth ist, der das Fass der vermeintlichen oder tatsächlichen Genusssucht zum Überlaufen bringt, sondern Tannhäusers Unmöglichkeit, sich hier als Künstler zu verwirklichen. Denn er kommt mit seiner Komposition und den vielen Notenblättern, die ihn ständig umgeben, nicht mehr zu Recht. Das Gleiche wird ihm aber bald darauf auch auf der Wartburg passieren.

Die Wartburggesellschaft verortet Reitmeier in einem spießig aggressiven Burschenschaftler-Milieu. Schon der Empfang Tannhäusers nach den frühlingshaft schön klingenden Versen von Sophie Mitterhuber als junger Hirt lässt die ganze Verschrobenheit, Steifheit und gar gefährlich aggressiv wirkende Annäherung, ja Anbiederung an Tannhäuser offenbar werden, der sich von den Rittern regelrecht überrumpelt fühlt. Er scheint schon in diesem ersten Moment zu merken, dass es auf der Wartburg mit ihren Zwängen auch nicht gut gehen wird. Dennoch willigt er scheinbar wider Willen erst mal ein. Nun kommt auch noch Wolfram in unguter Art und Weise ins Spiel, der sich offenbar in Elisabeth verguckt hat und in penetranter Weise Tannhäuser aus sicherer Deckung heraus bei seinem Wiedertreffen mit ihr und auch später immer wieder beobachtet. Zu Beginn des 3. Akts kommt es sogar zu einer durch den Landgrafen quasi erzwungenen Hochzeit mit Wolfram, bei der Elisabeth jedoch im letzten Moment vor den gestrengen Augen des Bischofs das Ja-Wort verweigert und stattdessen auf des Landgrafen Geheiß ins Kloster geht. Aber auch die asketisch strengen Blicke der Äbtissin lassen da nichts Gutes erhoffen – all dies auch wieder Verweise auf die orthodoxe Verbohrtheit der Wartburggesellschaft, die in einer „Tannhäuser“-Inszenierung selten so nachvollziehbar in ein dunkles Licht gerückt wird.

Dazu trägt auch der völlig herunter gekommene Saal des Tiroler Landestheaters bei, der zu Beginn des 2. Akts gezeigt wird und auch im dritten wieder sichtbar wird. Hiermit wird bildlich nicht nur der geistige und sozialpsychologische Verfall der Wartburggesellschaft symbolisiert. Es wird zudem sinnhaft angedeutet, dass diese Gesellschaft auch auf künstlerischem Gebiet, und dazu gehört nun mal der Gesang, abgedankt hat. Wolfram bleibt nach der Pleite vor dem Altar fortan in den Kleidern des Bräutigams auf der Bühne und erlebt so die Romerzählung Tannhäusers, der sich, im Gegensatz zu ihm, immer treu geblieben ist. KS Armin Kolarczyk ist einer der besten an diesem Abend und lässt für den Wolfram einen balsamisch klingenden Bariton erstrahlen. Auch seine Darstellung der hier schwierig angelegten Rolle lässt nichts zu wünschen übrig.

Im Sängerwettstreit zeigt Reitmeier Tannhäuser nun endgültig als scheiternden Helden, der also in beiden Welten nahezu provokativ aneckt und letztlich an sich selbst verzweifelt. Schon durch seinen lockeren Künstleranzug aus dem Venusberg inmitten all der in glänzendem Wichs angetretenen Chargierten ist Tannhäuser die Provokation selbst. Seine Rettung durch Elisabeth vor den Verbindungsdegen der „edlen“ Gesellschaft wird dann zu einem emotionalen Höhepunkt des Abends. Die junge Josefine Weber aus München, schon relativ früh kompetent ins Wagnerfach u.a. mit Gutrune, Senta und Sieglinde eingestiegen, kann mit ihrem jugendlich dramatischen und klangvoll leuchtenden sowie durchschlagskräftigen Sopran bei großer Höhensicherheit und guter Diktion begeistern. Sie bildet zur Venus an diesem Abend nicht nur stimmlich, sondern auch optisch einen Kontrapunkt, der die Zwangssituation des Titelhelden noch nachvollziehbarer macht. Das Gebet singt Weber mit bewegender Verinnerlichung. Daniel Kirch erweist sich an diesem Abend als ein Tannhäuser der Extraklasse.

Der lange an der Komischen Oper unter Harry Kupfer tätige Kirch ist neben seinem breiten Lied- und Konzertrepertoire nun offenbar auch im dramatischen Fach der Oper angekommen. Mit solch darstellerischer und gleichzeitig stimmlicher Intensität hat der Rezensent den Titelhelden noch selten erlebt. Kirch singt von Anfang an mit größter Konzentration, viel Emphase und kann diese beachtliche Leistung durch eine fulminante Romerzählung noch einmal steigern. Von ihm würde man gern mal einen Siegmund hören…

Guido Jentjens ist ein bewährter Landgraf Hermann mit noblem Bass. Joshua Lindsay als Walther von der Vogelweide, Andreas Mattersberger als Biterolf, Dale Albright als Heinrich der Schreiber und schließlich Unnsteinn Arnason als Reinmar von Zweter vervollständigen das durchaus gute Ensemble. Die nach ihrer Rückkehr aus Rom optisch als sprichwörtliche menschliche Wracks gezeichneten Chöre, der Tiroler Chor des TLT und der Extrachor des TLT, klingen stimmstark und in den einzelnen Gruppen transparent.

In einem ergreifenden Finale wird Tannhäuser verrückt und kann selbst in den letzten Momenten seines Lebens von der Musikwerdung seiner Noten nicht lassen. Er dirigiert den Knabenchor, hier die Wiltener Sängerknaben, bis er endgültig,- an der Welt und sich selbst gescheitert,- in Wolframs Armen stirbt.

Francesco Angelico, dem der „Tannhäuser“ ganz besonders am Herzen liegt, weil er die erste Wagner-Oper war, die er live in seinem Leben gesehen hat, dirigierte das Symphonieorchester Innsbruck mit großem Engagement und viel Sinn für die Details. Die Steigerungen in den großen Tableaus gelangen eindrucksvoll, ebenso wie die Begleitung beispielsweise Elisabeths bei ihrem Gebet, wo aus dem Graben große Melancholie erklang. Kleinere Unebenheiten fielen dagegen kaum ins Gewicht. Man merkte dem Dirigenten und auch dem Orchester seine Begeisterung an, nach dem „Parsifal“ vor einigen Jahren wieder einmal Richard Wagner zu spielen.

Eine gute Ensemble-Leistung des ganzen Hauses, die Wagners Charakterisierung Tannhäusers „Tannhäuser ist nie und nirgends etwas nur ein wenig, sondern alles voll und ganz“ nachhaltig unterstreichen konnte. Auf diese Produktion kann das TLT stolz sein.

Klaus Billand  31.5.16

Copyright: Rupert Larl / Landestheater

 

 

Uraufführung einer Kammeroper in Innsbruck

„Der Weibsteufel“

von Florian Bramböck

Vorstellung: 31. 3. 2016

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Sophie Mitterhuber als Weib und Florian Stern als Mann

Mit einer interessanten Uraufführung wartet zurzeit das Tiroler Landestheater in seiner Dependance Kammerspiele in der Messe auf: „Der Weibsteufel“ von Florian Bramböck nach dem gleichnamigen Stück von Karl Schönherr. Der 1867 in Axams geborene Schönherr galt lange Zeit als der wichtigste österreichische Dramatiker neben Arthur Schnitzler.

Die packende Dreiecksgeschichte ist ein Auftragswerk des Tiroler Landestheaters, das der Innsbrucker Saxophonist und Komponist Florian Bramböck als Kammeroper schuf, die sich dem Stoff nach seinen Worten „tonal, freitonal, geräuschhaft und rhythmisch“ nähert. Der Kampf der Frau mit sich selbst und mit den beiden Männern spiegelt sich in der Musik wider, die nach seinen eigenen Worten „fetzt und bremst, kratzt und klingt, schnauft und rauft, schwebt und singt“. Alle diese Töne, die die verschiedenen Stimmungen des Werks feinsinnig illustrieren, waren auch vom fünfköpfigen Orchester unter der Leitung von Seokwon Hong zu hören, das sich aus einem Klavier, einer Geige, einem Cello, einer Klarinette und einem Hackbrett zusammensetzte. Eine Besetzung, die den kammermusikalischen Charakter der Oper wahrte und die Partitur äußerst präzis zum Erklingen brachte.

Der Inhalt der Kammeroper, deren Libretto Johannes Reitmeier nach Schönherrs Text mit Gefühl für dessen expressive Sprache einrichtete: Auf ein Schmugglerehepaar an der Grenze zwischen Bayern und Tirol wird ein junger Grenzjäger angesetzt, der sich an die Frau heranmachen soll, um dem Mann das Handwerk zu legen. Auch der Schmuggler fordert seine Frau auf, dem Grenzjäger schöne Augen zu machen, um ungestört sein Gewerbe treiben zu können. Aber aus der geplanten Verbindung zwischen den beiden erwächst eine leidenschaftliche Liebe und aus der berechnenden Großzügigkeit des Ehemanns brennende Eifersucht. Als jedoch die Frau durchschaut, dass sie nur Objekt in den Spekulationen der Männer ist, hetzt sie beide gegeneinander auf. Dazu ein treffliches Zitat des Weibes aus dem

  1. Akt: „Aufgerissen habt ihr mich bis auf den Grund – und jetzt wollt’s mich wieder einfach zuadrahn, wie einen Wasserhahn. Aber mich fangt’s ihr nimmer, fangt’s ihr nimmer, nimmer, nimmer ein.“

 Dem amerikanischen Tenor Dale Albright, der seit einigen Jahren auch als Regisseur tätig ist, gelang eine packende, atmosphärisch dichte Inszenierung mit guter Personenführung. Michael D. Zimmermann gestaltete eine Bühne mit wenig Requisiten in Blau und Rot (Licht: Michael Reinisch) und die farblich dazu glänzend passenden Kostüme. Im gut illustrierten Programmheft erläutert der Bühnenausstatter seine Farbenwahl: „Die Farbe Blau verdeutlicht die Gefühlskälte zwischen den Figuren. Mit den roten Möbeln versuchte die Frau zu Beginn ihrer Ehe vergeblich, etwas menschliche Wärme in die karge Hütte zu bringen. Rot ist aber auch die Farbe des Blutes, das am Schluss der Oper vergossen wird.“

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Das Weib (Sophie Mitterhuber) wird vom Jäger (Johannes Wimmer) begehrt

Vor Beginn der Vorstellung ließen sich zwei der drei Darsteller – Sophie Mitterhuber und Florian Stern – als stark verkühlt ansagen, retteten aber durch ihr Auftreten die Vorstellung. Das Publikum dankte ihnen mit spontanem Applaus.

In der Rolle des Weibes bot die Sopranistin Sophie Mitterhuber eine exzellente Leistung – sowohl darstellerisch wie auch gesanglich (von ihrer Verkühlung war nichts zu bemerken!). Zu Beginn spielt sie eine demutsvolle Ehefrau – als sie jedoch merkt, als Köder benutzt zu werden, zeigt sie ihre innere Zerrissenheit und bietet zum Schluss einen „Teufelstanz“, den sie auf sehr erotische Art darzubringen versteht.

Schauspielerisch ebenso stark der Tenor Florian Stern als ihr Mann, obwohl er stimmlich ein-, zweimal sichtlich durch seine Verkühlung zu kämpfen hatte. In jeder Szene überzeugend der BassistJohannes Wimmer in der Rolle als Jäger, der als ehrgeiziger, karrieresüchtiger Mann dennoch bald durch das Weib seine Pflichten vergisst.

Am Schluss der eineinhalbstündigen Vorstellung großer Jubel des Publikums mit vielen Bravo-Rufen für die drei Darsteller und den Dirigenten, der schließlich auch die fünf Musiker auf die Bühne holte:John Groos (Klavier), Agnieszka Kulowska (Violine), Susanne Fritz (Violoncello), Max Bauer(Klarinette) und Anna Strickner (Hackbrett). Sie wurden ebenfalls verdientermaßen mit lang anhaltendem Beifall für ihre Leistungen belohnt.

Udo Pacolt 3.4.16

Besonderen Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)

Fotos (c) Rupert Larl

 

 

 

 

TURANDOT

Premiere: 21.11.2015

besuchte Vorstellung: 26.12.2015

Verpasste Chancen...

Lieber Opernfreund-Freund,

"Turandot" geht auf ein altes chinisches Märchen zurück, das Carlo Gozzi im 18. Jahrhundert zur Tragikomödie umarbeitete und 1762 in Venedig herausbrachte. Auch Friedrich Schiller widmete sich um 1800 dem Stoff, dessen Version die Grundlage für die Opernbearbeitungen beispielsweise von Antonio Bazzini, Ferruccio Busoni und eben auch Gioacomo Puccini bildet. Und doch entscheidet sich der Regisseur René Zisterer, am Tiroler Landestheater in Innsbruck eben kein Märchen zu erzählen.

Um die psychologisychen Aspekte der handelnden Figuren geht es ihm, wie er im informativen Programmheft bekennt. Aber ein wirkliches Psychogramm gelingt dem Österreicher nicht. Der Stoff wird nahezu alles Asiatischen beraubt ins Orts- und Zeitlose versetzt, die Personenführung der Massenszenen wirkt wenig durchdacht, das offensichtliche Fehlen einer irgendwie gearteten Lichtregie entzaubert selbst musikalisch berückendste Momente wie das Besingen des Mondes oder die Sehnsuchtsszene der drei Minister. Der Schlager des Werkes, "Nessun dorma", wird bei voller Beleuchtung vor dem Gaze-Vorhang wie in einer Operngala dargeboten und Ping, Pang und Pong dürfen nicht eine Sekunde komisch sein. Lediglich die Szene, in der die Titelfigur vom Freitod Liús im wahrsten Sinne des Wortes berührt wird, vermag einen kurzen Moment der Gänsehaut zu erzeugen. Da helfen auch die teils phantasievollen Kostüme und der imposante Bühnenaufbau im zweiten Akt nicht, für die Agnes Hasun verantwortlich zeichnet. Die variabel gestaltete bronzefarbene Palastmauer zeigt stimmungsvoll Patina, aber alles ist irgendwie immer in Bewegung - das wirkt dadurch fast penetrant und recht beliebig. Turandots Auftrittskostüm erinnert an ein goldenes Kettenhemd und unterstreicht das Kämpferische, das dieser Frau innewohnt, da ist der Chor in C&A-Klamotte weniger originell. Und natürlich: Puccini hat mit dem Ende ja so sehr gerungen. Deshalb kanns gar nicht so sein, wie es der Text sagt - das Liebesglück der Prinzessin und Kalaf ist also in Innsbruck nur scheinbar. Tatsächlich bleibt Turandot für den Prinzen unerreichbar. Unterm Strich bleiben da für mich zu viele verpasste Chancen, den Zauber des Werkes - auch jenseits des Märchenhaften - zu nutzen.

Leider springt Alexander Rumpf am Pult auf einen ähnlichen Zug wie der Tiroler Regisseur. Er suhlt sich in der Klanggewalt der Partitur, lässt das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck im Graben förmlich explodieren. Das Schlagwerk ist prominent in den Proszeniumslogen postiert, so dass man gut sehen kann, wie viel die vier Percussionisten in zu tun haben - und hören. Da bleibt wenig Gelegenheit für Zauber. Ruhig wird es selten, doch zumindest in Liús erster Arie gelingt es, so dass Susanne Langbein da herrliche Töne fein wie Glas produzieren kann. Die Rolle ist von der Regie ansonsten eher kämpferisch angelegt - Liú ist hier mitnichten das "Nichts", als das sie sich vorstellt. Sie wird zum Alter Ego Turandots, zur Hauptfigur, leitet den Prinzen durch die Rätselszene, gibt sich streitbar bis zum Schluss - und auch diesen Aspekt des Charakters verkörpert die junge Sopranistin wunderbar. Der portugiesische Tenor Paulo Ferreira ist der zweitbesetzte Kalaf - und nach dem gestrigen Abend frage ich mich, warum.

Er wirft sich vor allem im ersten Akt sämtlichen Spitzentönen souverän entgegen, singt nuanciert, sein warmes Timbre erinnert in der Mittellage stellenweise an Placido Domingo. Überflüssig also zu erwähnen, dass sein überzeugend dargebotenes "Nessun dorma" den einzigen Szenenapplaus des Abends hervorruft. Am meisten gespannt jedoch war ich auf die Turandot von Jennifer Maines. Ich habe sie bereits vor einigen Jahren am TLT einmal als "Manon Lescaut" gehört, später als Catalanis "Wally". Danach hat sie Mezzorollen wie die Fürstin in "Adriana Lecouvreur" interpretiert und ich war zugegebenermaßen skeptisch, wie so eine Turandot klingen kann. "Einfach toll" ist die Antwort: Bedrohliche mezzohaft gefärbte Tief- und Mittellage mit schneidend scharfer und präziser Höhe im zweiten Akt, dazu eine verletzliche, doch niemals kindliche, verunsicherte Frau in der Kusszene. Die Kanadierin bringt alles mit, was die Rolle verlangt - samt enormer Bühnenpräsenz - und meistert sie souverän.

Größere Schwierigkeiten, stimmlich über den Klangteppich aus dem Graben zu kommen, hatte Il-Young Yoon als Mandarin, erfrischend dagegen war es, den Kaiser einmal nicht als altersschwaches Männlein mit brüchiger Stimme präsentiert zu bekommen, sondern sauber und klar ausgesungen von Dale Albright. Neben dem gewitzt aufspielenden Joshua Lindsay als Pong und dem souverän singenden Florian Götz als Ping fällt Florian Sterns Pang stimmlich leider ein wenig ab. Michael Hauensteins blinder König Timur überzeugt und vermag zu berühren. Der von Michael Roberge einstudiert Chor hat wesentlichen Anteil daran, dass die musikalische Seite des Abends dann unterm Strich doch überzeugt.

Ihr

Jochen Rüth aus Köln

27.12.2015

Die Fotos stammen von Rupert Larl.

 

 

 

ADRIANA LECOUVREUE

Opernrarität in schwarz-weiß

Premiere am 7.2.15

Lieber Opernfreund-Freund,

heute schreibe ich Ihnen aus dem schönen Tirol, wo gestern am hiesigen Landestheater „Adriana Lecouvreur“ von Francesco Cilea Premiere hatte. Das Werk ist eine meiner absoluten Lieblingsopern. Die wunderbaren Melodien, tollen Kantilenen, Arien und Duette sind bewegendste Musik und die Geschichte basiert – trotz ihres wahrlich opernhaften Schlusses – auf einer wahren Begebenheit. Die französische Schauspielerin Adrienne Lecouvreur lebte von 1692 und 1730 und begeisterte das Pariser Publikum durch einen neuen, natürlicheren Deklamationsstil – und nicht nur das, sondern dem Vernehmen nach auch Hermann Moritz Graf von Sachsen, unehelicher Sohn von August dem Starken und Kriegsheld sowie einer der begehrtesten Junggesellen seiner Zeit. Das plötzliche wie vorzeitige Ableben des Bühnenstars gab schon bald Anlass zu Spekulationen, zumal Moritz nicht gerade des Ruf eines treuen Liebhabers genoss, und man vermutete, dass eine der anderen Gespielinnen hier ihre Finger im Spiel haben könnte… Dieses Histörchen inspirierte Mitte des 19. Jahrhunderts Eugène Scribe und Ernest-Wilfried Legouvé zu einem Theaterstück, das den gleichen Namen trug wie die unglückliche Schauspielerin und in dem die Fürstin de Bouillon, Nebenbuhlerin der schönen Schauspielerin, als Giftmischerin ausgemacht wurde, die ihr einen vergifteten Veilchenstrauß schicken lässt. Die Handlung wurde um politische Intrige und die Figur des Theaterleiters Michonnet ergänzt, der Adrienne heimlich liebt, dann aber seine Gefühle hinter ihrem (vermeintlichen) Glück zurückstellt. Francisco Cilea vertonte dies wiederum 50 Jahre später, nachdem Arturo Colautti den Stoff in ein Libretto gegosssen hatte. Die Oper „Adriana Lecouvreur“ hatte 1902 in Mailand mit Enrico Caruso in der Rolle des Liebhabers Maurizio Premiere. In den 1980er und 90er Jahren war die „Adriana“ eine Rolle, die Montserrat Caballé oder Renata Scotto gerne und oft gesungen haben.

Zur Umsetzung des Werkes hat man in Innsbruck Bruno Klimek engagiert. Dessen Krefelder „Aida“ hat mich vor einigen Jahren noch einigermaßen begeistert. Was er aber aus Cileas wunderbarem Werk gemacht hat, lässt mich dann heute doch szenisch enttäuscht nach Köln zurück fahren. Das Einheitsbühnenbild besteht im Wesentlichen aus einem Podest, das die Bühne einnimmt, rechts und links sind Wände, die durch jeweils fünf Durchgänge unterbrochen sind, im Hintergrund ist eine Art überdimensionales Fenster zu sehen. Ausstattung gibt es keine – bis auf einen überdimensionalen Kronleuchter in Akt drei, der am Ende des zweiten Aktes effektvoll im Bild platziert wird. Verstärkt wird die szenische Ödnis durch die trostlose Personenregie. Es kommt kaum zu Interaktion, jede(r) singt und spielt für sich allein – gerne vorne an der Rampe und dem Publikum zugewandt, denn steht man kaum drei Meter weiter hinten, ist man wegen des offenen Bühnenaufbaus schwer zu hören. Die Personen handeln beinahe autistisch, nicht einmal in Liebesduetten oder in der Sterbeszene kommt es zu Berührungen. So verpuffen die Innigkeit, die das Libretto und vor allem Cileas Musik zeichnen, ebenso wie die durchaus komödiantischen Momente vor allem im ersten Akt. Michonnet ist als Beobachter der Szenerie omnipräsent – das Ganze ist wohl als eine Art Erinnerung zu deuten – trägt einen dunklen Anzug. Dunkle Farben tragen überhaupt alle außer den vier Mitgliedern der Comédie-Francaise, die in bunte Rollenkostüme gehüllt sind, und natürlich Adriana, die – wie solls auch anders sein – nur weiß gewandet ist (detailreiche Kostüme: Michael D. Zimmermann). Einziger Farbtupfer ist also auf weiten Strecken der lilafarbene Veilchenstrauß, der zweifelsohne eine wichtige Rolle für die Handlung spielt – allerdings trägt diese Schwarzweißmalerei als Regiekonzept keinen kompletten Opernabend. Das hätte man besser machen können.

Besser gemacht habens die Sänger. Allen voran die junge Russin Karina Flores in der Titelrolle. Sie verfügt über eine weiche Mittellage, nicht zu scharfe Höhe und ein unbeschreibliches messa di voce, wie ich es lange nicht mehr gehört habe. Von der Regie bzgl. der Schauspielerei stark eingeschränkt, vermag sie zumindest mit ausdrucksstarker Mimik zu überzeugen. Ihr zu Seite steht (im wahrsten Sinne des Wortes) Paulo Ferreira. Der ist in Innsbruck ein alter Bekannter, sang hier u.a. schon den Hagenbach in der „Wally“ oder jüngt den Sänger im „Rosenkavalier“ und macht im feschen Anzug mit Dandy-Halstuch eine gute Figur. Er verfügt über eine gut anspringende Höhe, wie die Rolle sie verlangt (neben Caruso waren auch Franco Corelli und Placido Domingo immer wieder gerne „Maurizio“), interpretiert kraftvoll und sicher – lediglich im dritten Akt mit ein wenig zu viel Druck –, singt mit dem nötigen tenoralen Schmelz – vielleicht nicht jedermanns Sache – und findet zu berührendem Piano im letzten Akt. Susan Maclean gibt die von Eifersucht zerfressene und auf Rache sinnende Fürstin mit voluminösem Mezzo – bei der Auftrittsarie drückt es einem regelrecht in den Sessel – und facettenreichen Ausdruck. Ebenso überzeugend tritt Michael Bachtadze als Michonnet auf. Sein farbenreicher Bariton passt wunderbar zum Regisseur, der zwischen väterlicher Liebe und Liebeskummer schwankt. Ihm gelingt – wegen auch wegen des ver-inszenierten Finales – zu Beginn des vierten Aktes der anrührendste Moment des Abends. Joshua Lindsay ist ein frecher Abbé, Andreas Mattersberger singt den Fürsten von Bouillon mit mächtigem Bass. Als Andrianas Schauspielerkollegen ergänzen Susanne Langbein mit hellem Sopran, Marija Jokovic, Florian Stern und Johannes Wimmer das Ensemble vortrefflich.

Der ohnehin kurze Chorauftritt ist zu etwa der Hälfte den Strichen im dritten Akt zum Opfer gefallen. Die wenigen verbliebenen Takte werden sicher vorgetragen (Einstudierung: Michel Roberge), unterstützt von einer seltsamen, an Madonnas „Vogue“ aus dem Jahr 1990 erinnernden Choreografie.

Francesco Angelico führt das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck sicher durch die Partitur, präsentiert gelungen Tempi- und Farbenwechsel, übertönt aber gerade in den ruhigen Momenten gerne einmal das Sängerensemble.

Das Premierenpublikum im gut besuchten, aber nicht ausverkauften Haus spendet artig Beifall und bejubelt vor allem die Sänger – durchaus zu Recht.

Mein Fazit aus Innsbruck: Augen zu und durch! Was da gegen die Musik inszeniert wurde – vor allem im vierten Akt, wird dem Werk leider nicht gerecht. Zuviele Chancen bleiben ungenutzt – und das ist schade, gibt’s doch die „Adriana“ nicht gerade an jeder Ecke. Das akkustisch Dargebotene überzeugt dafür um so mehr!

Liebe Grüße von

Jochen Rüth aus Köln 9.2.15

Fotos von Rupert Larl für das Tiroler Landestheater

 

 

DER ROSENKAVALIER

Vorstellung: 11. 1. 2015

 Im November 2014 gedachte auch das Tiroler Landestheater des 150. Geburtstags von Richard Strauss – mit einer sehens- und hörenswerten Neuinszenierung seiner wohl populärsten Oper „Der Rosenkavalier“. Es war die vierte Tiroler Produktion dieses Werks, für die man mit Heinz Zednik einen der beliebtesten österreichischen Sänger als Regisseur gewinnen konnte. Zur Freude des Publikums, das von Beginn bis zum Ende vollauf begeistert schien. Dazu trugen auch die prächtigen Bühnenbilder und Kostüme (Ausstattung: Michael D. Zimmermann) ganz wesentlich bei.

  Heinz Zednik lässt den Rosenkavalier – wie von den Autoren vorgesehen – Mitte des 18. Jahrhunderts in Wien spielen. Dazu ein Zitat des Regisseurs aus einem im informativ und illustrativ gut gestalteten Programmheft abgedruckten Gespräch mit der Dramaturgin Susanne Bieler: „Das war mir sehr wichtig. Generell bin ich Übertragungen von Stücken in eine andere Zeit gegenüber durchaus aufgeschlossen. Aber speziell den ‚Rosenkavalier‘ sehe ich gerne in der dafür vorgesehenen Epoche. Meiner Ansicht nach passt das besser zur Sprache. Es ist zwar eine von Hofmannsthal erfundene Kunstsprache, aber ich bin davon überzeugt, dass die Menschen damals in etwa so gesprochen haben. Auch der hinreißenden Musik wird man dadurch eher gerecht.“

 In vielen kleinen Gesten, aber auch im Mienenspiel der Hauptdarsteller ist die führende Hand des Regisseurs zu spüren. Es gelang ihm wunderbar, die zwischenmenschlichen Gefühle der Protagonisten auf die Bühne zu bannen und eine dichte Wienerische Atmosphäre zu schaffen. Kompliment! Typengerecht ausgewählt die einzelnen Figuren dieser Komödie für Musik, wie der Untertitel der Oper lautet.

 Als Feldmarschallin Fürstin Werdenberg sang und spielte die gebürtige Wiener Sopranistin Susanna von der Burg ihre Rolle von der ersten bis zur letzten Szene eindrucksvoll. Es stimmte jede Geste, jede Miene. Ihr ebenbürtig als Octavian die bulgarische Mezzosopranistin Valentina Kutzarova, die auf burschikose Art den jungen, verliebten Mann gab. Interessant, dass Octavians Spitzname Quinquin dem eines Grafen Esterházy zur Mozart-Zeit entliehen ist. Der junge, kraftstrotzende Basssänger Andreas Hörl spielte den Baron Ochs auf Lerchenau gekonnt grobschlächtig und war auch stimmlich überzeugend. Es scheint in Mode zu kommen, diese herrliche Rolle mit einem jungen Sänger zu besetzen. Warum nicht…

 Der Wiener Bariton Peter Edelmann war ein überzeugender Herr von Faninal, die hübsche Sopranistin Susanne Langbein als dessen Tochter eine Idealbesetzung. Sie spielte die junge, unbedarfte Sophie, die eben erst aus dem Kloster kommt, um einen ihr unbekannten Mann zu ehelichen, brillant. Mit köstlicher Mimik und exzellenter Stimme gab sie der Rolle das nötige Profil. Beeindruckend der harmonische Gleichklang ihres warmen Soprans mit der Stimme von Valentina Kutzarova als Octavian in der Schlussszene. Ein Liebespaar zum Verlieben!

 Der portugiesische Tenor Paulo Ferreira bot als Sänger eine Pavarotti- Parodie und schmetterte seine Arie mit voller Brust und wehendem Taschentuch ins Publikum. Aus dem großen Ensemble wären noch die deutsche Sopranistin Susann Hagel als Leitmetzerin, der amerikanische Tenor Joshua Lindsay als Intrigant Valzacchi, die kanadische Sopranistin Jennifer Maines als dessen Begleiterin Annina und der deutsche Bassist Marc Kugel in den Rollen des Polizeikommissars und des Notars zu nennen. Sie alle waren für die gute Ensembleleistung mit verantwortlich.

Warum Alexander Rumpf das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck anfangs so laut spielen ließ, dass man meinte, in einer Sondervorstellung für Schwerhörige zu sitzen, ist rätselhaft, zumal er besonders die Schlussszene wunderbar einfühlsam dirigierte.      

Das Publikum war von der qualitätsvollen Aufführung begeistert und spendete allen Mitwirkenden nicht enden wollenden Beifall mit vielen Bravo-Rufen für Susanna von der Burg, Susanne Langbein, Valentina Kutzarova und Andreas Hörl.

Udo Pacolt (Merker-online) 17.1.15

Bilder: Teater Innsbruck

 

LA WALLY 

Rundum gelungener Einstand des neuen Intendanten

Premiere am 29.9.2012 

Am Landestheater Innsbruck war die Eröffnungspremiere der Spielzeit 2012/13 mit Spannung erwartet worden. Johannes Reitmeier gab dort als Nachfolger der so erfolgreichen wie beliebten Brigitte Fassbaender seinen Einstand als Intendant und präsentierte sich am dem Innsbrucker Publikum zudem als Regisseur von Alfredo Catalanis „La Wally“. Die Oper basiert auf dem von Wilhelmine von Hillern verfassten Geierwally-Roman, der im kaum eine Autostunde von Innsbruck entfernten Sölden spielt.

Die Geschichte ist schnell erzählt: die wilde Gutsherrntochter Wally soll nach dem Willen Ihres Vaters den Verwalter Vinzenz Gellner heiraten, obwohl sie den Jäger Josef Hagenbach liebt. Deshalb verlässt sie mit ihrem Jugendfreund Walter den heimischen Hof und kehrt erst nach dem Tod des jähzornigen Vaters zurück. Als Hagenbach sie auf einen Fest vor versammelter Dorfmannschaft düpiert, verlangt sie von Gellner, den Jäger zu töten, rettet diesen dann jedoch aus einer Schlucht und zieht sich in die einsame Bergwelt zurück. Als Hagenbach zu ihr empor steigt, um sie um Verzeihung zu bitten und ihr seine Liebe zu gestehen, reißt ihn eine Lawine in die Tiefe und die verzweifelte Wally stürzt sich ihm in den Abgrund nach.

Heimvorteil also, sollte man meinen – doch die Oper war bisher in Innsbruck nicht gezeigt worden. Reitmeier verzichtete in seiner Umsetzung vielleicht auch deshalb bewusst auf Aktualisierung, ohne Bergmassive aus Pappmaché auf die Bühne zu bringen. Statt dessen ließ er sich von Thomas Dörfler eine eisblaue Gletscherwelt bauen, gleichsam Symbol für die Seelenwelt Wallys nach dem Affront des Geliebten, in die sich mittels Bühnentechnik äußerst wandelbar bald hier eine Stube erhebt, bald dort eine Schlucht senkt. Michael Zimmermann bewies zudem den hier notwendigen Mut zu Lokalkolorit und entwarf hinreißende, an die Tiroler Trachtenmode des 19. Jahrhunderts angelehnte Kostüme. Der Regisseur beschränkt sich darauf, die Geschichte zu erzählen, schafft zusätzlich Authentizität, indem er beispielsweise Perchten – Geisterwesen aus der alpinen Sagenwelt – auftreten lässt, und erweitert Handlungsstränge gekonnt im bespielten Vorspiel zum vierten Akt.

Unterstützt wird er hierbei von Alexander Rumpf, der für die musikalische Leitung des Abends verantwortlich zeichnet. Er hat sich hörbar intensiv mit der vielschichtigen Partitur auseinander gesetzt und entlockt ihr mit dem glänzend vorbereiteten Tiroler Symphonieorchester Innsbruck mannigfaltige Farben, auch wenn er an der einen oder anderen Stelle ein wenig zum Schleppen neigt.

Die Sängerriege erweist sich durch die Bank als Glücksgriff. Der Gasttenor Paulo Ferreira meistert die anspruchsvolle Partie des Hagenbach mit Bravour, Bernd Valentin überzeugt als sein Gegenspieler Gellner. Melanie Lang als Afra gefällt mit warmem Mezzo und variantenreichem Spiel, Johannes Wimmer stellt als Soldat sein komödiantisches Talent unter Beweis. Sophie Mitterhubers beweglicher Sopran erklimmt als Hosenrolle Walter mühelos die höchsten Höhen, überrascht mit einem in der Tat gejodelten Auftrittsjodler und entlockt damit dem ansonsten in dieser Beziehung recht klatschfaulen Premierenpublikum den einzigen Szenenapplaus des Abends, Marc Kugel gibt überzeugend den alten Patriarchen Stromminger.

Verdiente Königin des Abends ist allerdings die kanadische Sopranistin Jennifer Maines. Seit acht Jahren Ensemblemitglied am Landestheater zieht sie stimmlich wie darstellerisch alle Register, um der facettenreichen Figur der Wally Leben einzuhauchen. Sie klingt hier mädchenhaft verletzlich, dort kraftvoll-energisch, spielt hier ebenso überzeugend die verzweifelt Liebende wie dort die unnahbare gute Partie und meistert nicht nur das berühmte „Ebben, ne andró lontana“ mit Bravour.

Bei dieser hervorragenden Teamleistung stören besonders die handwerklich beinahe schlampig gemachten Striche in der Tenorpartie des Schlussaktes. Da und dort fehlen einige wenige Takte, der Text ist bisweilen mitten im Satz unterbrochen. Sinnstiftend ist die Beschneidung des Notenmaterials indes nicht – vielmehr sind Catalanis reichen Melodienbögen unterbrochen, klingt die Sequenz auch für den Nichtkenner fast ein wenig nach Schluckauf. Trauriger Höhepunkt ist die bis auf die Schlusszeile schlicht nicht dargebotene, vergleichsweise bekannte Schlussarie des Hagenbach (man stelle sich ein „Nessun dorma“ vor, das nur aus zwei „Vinceró“-Rufen besteht). Zweifellos präsentiert Ferreira diese eine Zeile extrem kraftvoll und hält den Schlusston effektvoll lange, doch fragt man sich, ob die erwähnten Striche einem Aufsparen eben dieser Kraft geschuldet sind oder warum sonst sich Dirigent, Regisseur und Künstler auf diese Art der Darbietung haben einigen können.

Dies jedoch ist der einzige Wermutstropfen an einem ansonsten rundum runden Opernabend. Von andernorts in Premieren oft noch beobachteten Abstimmungsproblemen zwischen Bühne und Graben keine Spur. Das Publikum feiert Künstler und Produktionsteam gerechterweise mit anhaltendem und starken Applaus, Johannes Reitmeier hat die Feuerprobe bestanden und man wünscht ihm, seinen Künstlern und seinem Publikum viele weitere gleicherweise kurzweilige Opernabende am Tiroler Landestheater.

Jochen Rüth

Das Copyright der Bilder liegt beim Landestheater Innsbruck

 

Die Produktion ist auf DVD erschienen bei  Capriccio/ORF  (C 9005)

Laufzeit 119 min.

 

Besprechung der DVD

 

DER OPERNFREUND  | opera@e.mail.de