Neue Oper Wien im MuseumsQuartier
Jörg Widmann
DAS GESICHT IM SPIEGEL
18.9.22
Musikalisch packend, aber textlich ein Desaster
Der 1973 in München geborene Klarinettist und Komponist Jörg Widmann arbeitete gemeinsam mit dem 1967 in Göttingen geborenen Schriftsteller, Autor und Regisseur, Roland Schimmelpfennig, an dem Stoff für die gemeinsame Oper „Das Gesicht im Spiegel“. Für beide war es die erste Musiktheaterarbeit. Die Uraufführung am 17.7.2003 im Cuvilliéstheater dirigierte Peter Rundel. Das krude Thema der Oper handelt von den ethischen Fragen und emotionalen Folgen des Klonens von Menschen. Patricia und Bruno betreiben gemeinsam einen Biotech-Konzern, um den es auf dem Aktienmarkt nicht gut bestellt ist. Ihrem genialen Ingenieur Milton ist es gelungen, eine lebendige Kopie von Patricia herzzustellen, die sie Justine nennen. Von Milton lernt sie sprechen und wird mit ihrer Umwelt vertraut. Sie darf sich aber nie im Spiegel sehen, denn dann würde sie bemerken, dass sie eine Kopie von Patricia ist. Beide Männer verlieben sich nun in den Klon, alias Justine. Bruno will mit Justine ein neues Leben beginnen und flieht samt den Produktionsplänen, um Justine jederzeit und überall reproduzieren zu können. Doch das Schicksal will es anders: er stirbt bei einem Flugzeugabsturz.
Justine, von Brunos Tod erschüttert, möchte sich das Leben nehmen, zumal sie ja kein Mensch ist. Milton und Patricia sehen ihr Experiment gescheitert. Sie wollen aber weiterforschen, um einen verbesserten Prototyp ohne geschäftsgefährdende Fehler zu entwickeln. Diese an sich einfach gestrickte Dreiecksgeschichte ist bei Betrachtung der Oper aber nicht leicht zu erkennen, woran wohl in erster Linie das Libretto von Roland Schimmelpfennig schuld ist. Den Rettungsanker aus diesem textlichen Dilemma hat jedoch Jörg Widmann mit seiner ekstatisch exzentrischen Musiksprache weitsichtig geworfen. Er fängt gleich einmal mit dem Rauschen des Meeres an, das an den Prolog zum Rheingold erinnert. Für die insgesamt 16 Szenen verwendet Widmann ein kleines Orchester mit je 2 Flöten, 2 Klarinetten, 2 Fagotten, 2 Hörnern, Trompete, Posaune, 4 Violinen, 3 Violoncelli, Kontrabass, Schlagwerk, Klavier, Gitarre und Akkordeon. Das amadeus ensemble-wien unter der umsichtigen wie erfahrenen Leitung von Walter Kobéra war dieses Mal noch stärker als sonst gefordert. Flirrende Geräusche, quälende scharfe Klänge wurden nicht nur den Klangkörpern, sondern auch den menschlichen Stimmen abgezwungen, gepaart mit einem über weiten Strecken banalen Text. Der venezolanische Regisseur Carlos Wagner betonte das Abstrakte der Geschichte und ließ diese in der Ausstattung von Christof Cremer in ritualisierter Form ablaufen.
Mit Hilfe von Farbe, Projektionen und Licht schufen die beweglichen und versetzbaren Wände Atmosphäre. Von daher wurden auch die Kostüme eher abstrakt und ritualisiert gehalten. Norbert Chmel verantwortete das Lichtdesign, während die Videoprojektionen von Jovan Sentic und Davide Porta die 16 Szenen der Oper anschaulich ergänzten. Die französische Sopranistin Roxane Choux ist als Patricia gesanglich besonders stark gefordert, wenn sie keuchend und krächzend in höchste Höhen hinaufklettert. Die portugiesische Sopranistin Ana Catarina Caseiro als Justine sieht man erst am Ende der Oper, zuvor wird ihre Rolle von einem Kind (Linnea Pschedezki) und dann von einer Tänzerin (Eszter Petrány) verkörpert. Auch sie dringt gesanglich in kaum erträgliche Höhen vor. Die beiden Baritone Wolfgang Resch als Bruno und Georg Klimbacher als Milton hatten es da gesanglich ein wenig leichter, in darstellerischer Hinsicht konnten sie sich auf Grund der dominierenden Frauenrollen nicht so profilieren wie man es sich eigentlich gewünscht hätte.
Hervorragend war auch der von Bernhard Jaretz geleitete Chor der Damen des Wiener Kammerchors, der in immer neuer Verkleidung in Satz- und Wortfetzen gebetsmühlenartig das Geschehen kommentiert. Am Ende der Oper herrschte bei mir Betroffenheit. Von der musikalischen Seite völlige Zustimmung, von der abstrusen Sprache Schimmelpfennigs mit ihren eigenwilligen Wortfetzen aber völlige Ablehnung. Das brisante, wenn auch nicht neue, Thema des künstlichen Menschen hätte man auch mit einer gewählteren Sprache und geschliffenen Wortwahl ausdrücken können. Der zustimmende Applaus des Publikums galt allen Beteiligten und einzelne Bravorufe waren gleichfalls zu vernehmen.
Harald Lacina, 20.9.22
(c) Bardel
NIKOLAUS SCHAPFL (1963*) Maestro Mozart, ich bin Beethoven!
Pfarrwirt, 1190 Wien-Heiligenstadt, Pfarrplatz 5 – 2.6.2022 (Uraufführung) Die musikalischen Giganten Mozart und Beethoven treffen fiktiv aufeinander
Pandemiebedingt wurde die Uraufführung des als Musiktheater für zwei Schauspieler, eine Sängerin und Tänzerin samt Kammerorchester mit 13 Instrumentalisten näher bezeichnete Werk vom 20.10.2020 auf den 2.6.2022 verschoben. Die Idee zu diesem Werk stammte von Dr. Herbert Groeger und sollte anlässlich des Beethovenjahres 2020 in Heiligenstadt, wo Beethoven 1817 wohnte und an seiner 9. Sinfonie arbeitete. Ausgehend von der These, dass diese beiden Großmeister der Musik einander im wirklichen Leben zwar nie begegnet waren, werden in acht fiktiven Dialogen philosophisch tiefgründige Themen abgehandelt. Diese Idee ist an sich nicht neu. Von Paul Barz (1943-2013) gibt es das Theaterstück „Mögliche Begegnung“, nämlich der Herren Bach und Händel im Jahre 1747. Ich habe die Premiere am 26.1.1996 im Theater Akzent mit Hans Joachim Kulenkampff (Georg Friedrich Händel), Heini Göbel (Faktotum Schmidt) und Helmut Oeser (Johann Sebastian Bach) als Produktion des Fritz-Rémond-Theaters im Zoo, Frankfurt/Main, verfolgen können. Und Albino Luciani, der Kurzzeitpapst Johannes Paul I., schrieb in seinem Buch „Illustrissimi“ „Briefe“ an große Gestalten der Vergangenheit und versah sie mit Urteilen über die Gegenwart. Und zuletzt sei an dieser Stelle noch an die einaktige Oper „Mozart und Salieri“ (1898) von Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow erinnert. Die Musik des Komponisten Nikolaus Schapfl ist neotonal geprägt. Unter Verwendung einer stark melodischen Klangsprache erreicht er durch neue Rhythmen und Akkorde eine eigene zeitgenössische Aktualität (vgl. Geleitwort von Prof. Dr. Ronald Moeder im Programmheft, S. 4-5). Als Einleitung und Komposition 1 wird ein Adagio von 90 Sekunden gespielt. Daran reiht sich der erste Dialog über Dienstherren und Schaffensbedingungen, unterbrochen von Komposition 2, einem Allegro in der Dauer von 10 Minuten und 15 Sekunden. Dialog 1 wird weitergeführt und schließlich mit der Komposition 3, einem vierminütigen Adagio, abgeschlossen. Dialog 2 widmet sich danach der Werke und Arbeitsweisen der beiden Komponisten im Vergleich. Komposition 4, ein Allegro in der Dauer von 6 Minuten mit dem Titel „Mozarts Ballnacht“ eröffnet den dritten Dialog über Frauen und Familie. Komposition 5, ein Molto Vivace von 75 Sekunden Länge, eröffnet den Dialog 4 über die Aufgabe des Kunstwerkes. Komposition 6, ein Molto Vivace von 45 Sekunden Dauer leitet in den Dialog 5 über Tod(esgründe) über. Hierauf erfolgt Komposition 7 „Walzer der unsterblichen Geliebten“ mit der Tempobezeichnung Moderato von 6 Minuten und 30 Sekunden Länge. Der Dialog wird weitergeführt und nur vom Orchestersignal 2 und einer Musikeinspielung aus dem 2. Satz von Beethovens 5. Klavierkonzert unterbrochen. Der daran anschließende Dialog 6 handelt die Grenzen der Kunst ab. Komposition 8, ein Allegro moderato, von 5 Minuten 45 Sekunden Länge, leitet in Dialog 7 über Werk und Geschichte über, unterbrochen durch Komposition 9 „Friede“ mit der Tempobezeichnung Larghetto von 6 Minuten. Während die Komposition 10, ein Andante von 7 Minuten 15 Sekunden Länge ertönt, tritt die unsterbliche Geliebte, die konkrete Adressatin von Beethovens Brief, auf und besingt die unerfüllte Sehnsucht…
Die gesamte Spielzeit betrug 1 Stunde und 40 kurzweilige Minuten. Jan Milosz Zarzycki leitete das Kammerorchester der Sinfonietta Viennoise mit Verve. Der Textdichter und Komponist in Personalunion war während der Aufführung am Klavier zu erleben. Als Beethoven trat Stephan Paryla-Raky auf, während die Rolle von Mozart, mit obligatorischer Perücke, von Kurt Hexmann rezitiert wurde. Als Sängerin und Tänzerin war die Polin Julitta-Domenika Walder mit gefälligem Sopran zu bewundern. In der Staatsoper Wien konnte man sie 2019 als Klytämnestra in der österreichischen Erstaufführung von Manfred Trojahns „Orest“ erleben. Das Kammerorchester Sinfonietta Viennoise rekrutierte sich aus Violine I und II, Viola, Violoncello, Kontrabass, Flöte, Klarinette, Fagott, Horn, Trompete, Posaune, Klavier und Percussion. Letztere wurde von zwei Schlagzeugern bedient. Sascha Tekale zeichnete für die Ton- und Videoeinspielungen während der Aufführung verantwortlich und Chris Scheidl besorgte die Lichtregie. Der Keller des Pfarrwirtes war bis auf den letzten Platz gefüllt und das anwesende Publikum zollte allen Mitwirkenden, dem Komponisten und dem Produzenten Dr. Herbert Groeger anerkennenden Applaus für die gebotenen Leistungen an diesem beschwinglichen Frühsommerabend.
Harald Lacina, 2.6.22